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leseleucht
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Insgesamt 187 Bewertungen
Bewertung vom 16.04.2025
Kui, Alexandra

Was hast du nur getan? (eBook, ePUB)


sehr gut

Erwartungshaltungen
Cassidy und ihre Clique versuchen gerade ihre Image zu ändern, von den Badgirls zur Ordnungstruppe ihrer Schule. Da liegt auf einmal eine Leiche auf dem Schulhof. Ein Junge aus bestem Haus. Selbstmord? Oder hat es etwas mit Drogen zu tun? Oder hatte jemand eine Rechnung mit ihm offen? Etwa Cassidys beste Freundin, die, wie es scheint, eine engere Beziehung zu dem Opfer pflegte, als sie selbst Cassidy nicht anvertraut hat? Immer mehr Indizien weisen darauf hin. Blöd, dass Cassidy und ihre Clique eh schon im Visier der Polizei sind. Wie kann Cassidy ihre Freundin schützen? Und sich selbst?
Alexandra Kui hat ein spannendes Jugendbuch geschrieben, indem es um mehr geht als um die Aufklärung eines Todesfalles. Mit viel Feingefühl beschreibt sie die verschiedenen Milieus an einer Schule, die alle so ihre Probleme haben, gerade, wenn es darum geht, herauszufinden, wer man ist und wohin man will. Und das alles noch unter den verschiedenen Vorzeichen gesellschaftlicher Herkunft. Dabei ist nur der scheinbar begünstigt, der mit dem goldenen Löffel im Mund aufwächst, denn auch die Kinder aus diesen Familien kämpfen mit Leistungs- und Erwartungsdruck, sehen sich einengenden Rollenbildern ausgesetzt. Ihr Selbstbewusstsein ist häufig auch nur ein Schein, getragen von schicken Klamotten und Statussymbolen. Aber auch Cassidys Welt ist nicht einfach. Sozial schwaches Milieu, alleinerziehende, überforderte, arbeitslose Mutter. Eine kleine Schwester, die eine Aufpasserin braucht. Dafür hat Cassidy sich das Image eines harten Mädchens auferlegt, das cool ist, keine Gefühle zeigt und ihren Weg auch mit der Faust durchzusetzen bereit ist. Obwohl sie – einmal in den Radar der Polizei geraten – ernsthaft bemüht ist, ihren Weg mit anderen Mitteln zu finden. Nur das ist gar nicht so leicht, wenn es darum geht, einen Mord aufzuklären, der eventuell auf das Konto von Drogendealern geht, und wenn man dabei mit seiner eigenen unrühmlichen Vergangenheit konfrontiert wird. Gerade die Figur der Cassidy bietet in ihrer Vielschichtigkeit und Sensibilität eine gute Projektionsfläche für Themen wie Freundschaft und Verantwortung sowie Ablehnung einer Opferrolle. Bei all den ernsten Tönen kommt aber auch der Humor nicht zu kurz. So kann Kui gut mit Klischees spielen und sie ironisieren, auch wenn ihr manche Figuren wie der Polizist und Endgegner von Cassidy ein wenig zu schwarz-weiß geraten. Auch die Ermittlerrolle, die sie ein wenig zum unfreiwilligen Hilfssheriff der Schuldirektorin macht und im Rahmen derer sie harte Prügel à la Schimansky einzustecken hat, will nicht so recht zu Cassidy passen. Aber ansonsten ein spannender, witziger, aber auch ernsthafter Jugendroman, der sich gut lesen lässt.

Bewertung vom 16.04.2025
Meyer-Landrut, Christian

David – Mein Gott,mein Gott, warum hast du mich verlassen.


weniger gut

Was gewinne ich einem alten testamentarischen Buch noch ab?
Die Geschichte von Davids Aufstieg vom Hirtenjunge zum König Isreals, dem von Gott Auserwählten, der dann als König seine Gegner mit unbarmherziger Gewalt auslöschen lässt, der Ehebruch begeht, viele Frauen hat, Widersacher perfide ausschaltet wird in diesem schmalen Band gut erzählt, für mich allerdings nicht wirklich neu. Offen bleiben die Fragen, wie ein Mensch, der sich so verhält, der Gesalbte Gottes sein kann, aus dessen Geschlecht der Erlöser der Menschheit stammt. Nur um die Erlösungswürdigkeit des Menschen zu demonstrieren? Eingefügt in die Geschichte sind immer wieder Psalme, wie sie David gesungen haben könnte. Dabei verfremdet der Autor den Wortlaut mit einer für mich pseudomodernen Auslegungen, die allerdings einzig das Ziel zu verfolgen scheint, die Schlechtigkeit des Menschen und der Welt anzuklagen: die Ungerechtigkeit, die Gewalttätigkeit, die Ausbeutung und Zerstörung des Planeten. Moderne, immer wieder besungene Zivilisationsuntergangsgesänge. Eingefügt sind zudem Fotos, meist anderer Fotografen, die recht einfach zu einer Art Collage umgestaltet wurden und die in den Psalmen beklagten Missstände plakativ untermalen. Das wirkt auf mich sehr artifiziell und überstilisiert. Fragwürdig ist für mich auch die Prämisse, unter der das Buch steht: die Klage Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, die auch ein Zitat eines alttestamentarischen Psalmes ist. Soll darin eine Gottferne in der, wie oben dargestellten, beklagenswerten Welt konstatiert werden? Worauf stützt sich dann die Hoffnung und die Mühe, diesen alttestamentarischen Text wieder hervorzuholen? Gleichzeitig liest sich das Buch wie eine Anklage an Gott, der nicht hilft, der aber zugleich verantwortlich gemacht wird für die Mängel seiner Schöpfung. Problematisch dabei ist, wenn man einen Bibeltext aus seinen Zusammenhängen und aus der biblischen Tradition reißt. Denn so dürfte doch für die Schöpfung gelten, dass sie so, wie sie von Gott gedacht war, gut war, wenn man der ersten Schöpfungserzählung Glauben schenken darf. Und so bleibt aus der David-Geschichte hier nur der grausame Kriegsgott über, der er für das von einer Übermacht an Feinden bedrängten Volk Israel auch gewesen ist und auf dem all seine Hoffnung ruhte, ein Land zu finden, in dem es in Frieden leben konnte. Für Israel ist das sicherlich ein immer noch aktueller Zustand. Aber das christliche Gottesbild setzt neben dieses noch andere Akzente, die mir in diesem Buch fehlen. So lese ich aus dem Buch ein letztlich recht trostloses Bild von einem Gott, der den erlösungsbedürftigen Menschen sich selbst überlassen hat, ohne dass dieser das Bedürfnis nach Erlösung zumindest nicht durch einen Gott zu haben scheint. Fehlt dieser Zivilisationskritik nicht ein konstruktiver Ansatz?

Bewertung vom 16.04.2025
Allert, Judith

Knäckebrothelden


gut

Vom Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen
Samys Großvater ist gestorben. Seitdem ist seine Oma still und leise, seine Mama muss ganz plötzlich immer mal kurz nach nebenan und sein Vater ist besonders lustig. Ohne Opa, den Helden der Familie, ist der Umgang miteinander schwer. Da taucht ein Zettel auf mit Opas letztem Willen: noch einmal ans Meer. Flugs wird seine Urne vor der Beerdigung geklaut, ein klappriger Familienbus gechartert und los geht`s auf eine abenteuerliche Reise Richtung Meer mit erfreulichen, beängstigenden und kriminellen Begegnungen, mit Pannen, ohne Handynetz und Routenplaner, mit Polizeieinsatz und ohne Plan. Wird die Familie mit Opas sterblichen Überresten, was auch immer das ist, ans Meer gelangen? Und werden sie als Familie wieder einen unbeschwerteren Umgang miteinander finden?
Das Buch verbindet tief traurige Erfahrungen mit witzigen Erlebnissen und spannenden Abenteuern. Wir begegnen einer Menge warmherziger, offener Menschen, aber auch solchen, die das ausnutzen. Alle tragen ein wenig dazu bei, die Erinnerungen an den verstorbenen Opa weniger schmerzlich zu machen. Das ist auf jeden Fall ein schöner, neuer Ansatz, sich dem Thema zu nähern, wie man mit dem Verlust eines geliebten Menschen umgehen kann und wie neben der schmerzlichen Vermissen die schönen Erinnerungen ein Trost sein können. Allerdings finde ich den Schreibstil, auch wenn er die Sicht des Enkels Samy einnehmen soll und für junge Leser geschrieben ist, zum Teil unangenehm oder unpassend aufgedreht und ein wenig überzogen albern. Das stört mich im Hinblick auf das ernste Thema dann doch stellenweise empfindlich, auch dann, wenn die Ereignisse selbst ein wenig zu abenteuerlich werden, denn die „Krümel“ von Opa in der Knäckebrotdose auf der Rückbank ist schon so ein eher gewöhnungsbedürftiger Gedanke, der schon mal die Frage nach der Pietät aufwirft.

Bewertung vom 14.04.2025
Dimitrova, Anna

People Pleaser


sehr gut

Hilfe zur Selbsthilfe

Der Jugendroman geht ein ernstes Thema mit Witz an und bringt nicht nur jugendliche Leser ordentlich ins Grübeln.
Nina ist immer für alle da, für ihre Mutter, ihren jüngeren Bruder, ihre Freund:Innen und die Boyfriends ihres Freundin Teo. Denn nur so geht es Nina gut, nur so hat ihr Leben einen Sinn. Oder etwa nicht? Denn eigentlich steckt ihre Freundschaft mit Teo, die in letzter Zeit eine selbstzerstörerische Ader in sich entdeckt hat, schon in der Krise, bevor der Badboy Aleks auftaucht und Teos Ehrgeiz in puncto Selbstzerstörung noch mehr entfacht. Da muss Nina doch eingreifen und helfen. Und wenn sie Teo selbst nicht helfen kann, muss sie Badboy Aleks umerziehen, damit er Teo nicht noch mehr Schaden zufügt. Ein ehrgeiziges Projekt, bei dem Nina gänzlich übersieht, dass es in ihrem Leben auch noch andere Personen gibt, denen ihr Interesse gelten sollte, nur nicht unbedingt im helfenden Sinne, und dass sie mit ihrem Hilfsprojekt mehr als eine Grenze überschreitet.
Anna Dimitrova hat vor dem Hintergrund eigener Erfahrung einen packenden Roman geschrieben, der mit viel Witz und Humor, aber auch mit Tiefgang und psychologischem Feingefühl das Thema people pleasing aufnimmt. Sie zeig auf, welche Motive zu dieser Art selbstverneinendem Helfersyndrom führen und welche Auswirkungen das nicht nur auf das Leben des pleasers haben kann. Einmal in die Hand genommen, mag man Ninas Geschichte nicht mehr weglegen. Sie wächst einem sehr ans Herz. Man leidet mit ihr, versteht manchmal mit ihr die Welt nicht mehr, sieht aber auch sehr deutlich, wo ihre Probleme liegen, und würde ihr nur zu gerne helfen. Aber am effektivsten ist es, den anderen dem Raum zu geben, sich selbst zu helfen. Über viele Dinge muss man während des Lesens nachdenken. Auch wenn man selbst vielleicht nicht die Therapie für die beste Freundin machen würde und wenn der Badboy in der Realität nicht wirklich so viele tiefgreifenden Probleme mit sich trägt, sondern wirklich nur ein blöder Arsch ist, so kommt man doch ins Grübeln, welche Wirkung ständige Hilfsbereitschaft auch auf die nahestehenden Personen hat. Dass sie nicht nur aus reiner Selbstlosigkeit entsteht, dass sie die anderen entmündigt oder ihnen die Möglichkeit nimmt, auch umgekehrt für den anderen da zu sein, und sie somit dazu bringt, sich als minderwertiger oder schlechter zu fühlen, sind nur einige der erhellenden Erkenntnisse aus der Lektüre.
Auch wenn das Ende dann doch wieder ein wenig zu glatt und zu viel Happy End ist, ist Ninas Story auf jeden Fall spannend zu lesen und führt auch jüngere Leser sensibel an ein wichtiges Thema, das des Selbstwertes, mit großem Unterhaltungsfaktor heran.

Bewertung vom 14.04.2025
Schünemann, Christian

Bis die Sonne scheint


sehr gut

Schöner Schein

Sympathisch ist der Erzähler in Schünemanns Roman „Bis die Sonne scheint“, der so unbeholfen wirkt und so anders als der Rest dieser Familie, die eine komische Mischung von Optimismus, Komik und gefährliche Verdrängungsmechanismen ausmacht. Diese haben die Eltern, Vater Architekt, Mutter gelernte Buchhalterin, zwischenzeitlich Wolllädcheninhaberin und bisweilen helfende Hand im Büro ihres Mannes, an den Rand des finanziellen Ruins getrieben. Doch das versuchen sie geschickt zu vertuschen, vor den Leuten im Dorf, vor den Kindern und vor der Großmutter. „Bis die Sonne scheint“ ist so etwas wie ihr Lebensmotto: Sie suchen so lange nach ihrem Lebenszuschnitt, bis ihnen die Sonne scheint. Allerdings machen ihnen Wolken immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Ein Konzept funktioniert, verspricht Erfolg. Doch dieser ist nicht von Dauer. Und schon muss man sich wieder auf die Suche nach der Sonne machen. Dies Prinzip setzt sich schon länger in beiden Familien fort. In Exkursen werden im Rückblick die Familiengeschichten beider Elternteile erzählt, beginnend mit dem Ende des Krieges 1945, der von allen eine Neuordnung des Lebens fordert. Immer wieder müssen Lebensmodelle über den Haufen geworfen werden, muss nach einem Scheitern ein Neuanfang gewagt werden. Höhen und Tiefen wechseln sich ab. Aber irgendwie gilt immer nur das Weitermachen, so kräftezehrend es auch ist, um ein klein wenig Lebensglück zu finden. Wem das nur schwer zu gelingen scheint, ist der junge Erzähler. Sein Glück fällt dem misslungene Lebenskonzept der Eltern zum Opfer: der Frankreichaustausch, den er ersehnt, kann nicht bezahlt werden, die Konfirmation schrumpft auf eine Minifamilienfeier und das Elternhaus gerät unter den Hammer. Zukunft ungewiss. Einziger Lichtblick ist Zoe. Ihre Eltern stammen aus dem Osten, aber sie haben im Westen Fuß gefasst. Geld spielt keine Rolle. Dafür bröckelt hier die Ehe der Eltern, die Mutter verfällt in eine Depression, der Vater hat eine neue. Auch keine Idylle.
Der Roman kann den Leser schon packen. Die Schicksale der Familien sind zum einen ergreifend, zum anderen nicht ohne Komik. Besonderes Highlight für die Zeitgenossen sind die vielen Reminiszenzen an die Zeitgeschichte. Auf jeden Fall ein spannendes Porträt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nur die vielen Sprünge in der Handlung in verschiedene Stränge der Vergangenheit und die bisweilen verwirrenden Beziehungsgeflechte in den Familien bringen beim Lesen schon einmal durcheinander: wer war das gleich noch mal?

Bewertung vom 14.04.2025
Wildner, Maxine

Bis unsre Seelen Sterne sind. Rilke und Lou Andreas-Salomé


sehr gut

Leiden erschafft Großes
Das ist die Tragik vieler berühmter Künstler, dass ihr Leben voller Leiden Voraussetzung für ihre großartigen Kunstwerke ist. So ergeht es auch Rainer Maria Rilke. Ein schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter, eine unglückliche Physiognomie und eine der Sehnsucht verschriebenes Seelenleben, das sich schnell langweilt, wenn sich die Sehnsucht erfüllt, und das das Sehnen sucht, schaffen die Disposition für die großen Gedichte, die dem Künstler vor allem im Nachleben so viel Bewunderung und Verehrung eingebracht haben. Zu Lebzeiten führte er ein eher kümmerliches Leben, immer knapp bei Kasse, immer angewiesenen auf Gönner, immer in Angst vor dem weißen Blatt, immer auf der Suche nach so etwas wie Zuhause.
In ihrer Romanbiografie porträtiert Maxine wildner im Doppel Rile und Lou Andreas Salomé, eine ungewöhnliche Frau, Geliebte, Entdeckerin, Förderin und Vertraute Rilkes. Auch ihr Leben ist ein unstetes. Sie führt eine Ehe zum Schein und ein eher unkonventionelles Leben. Sie besucht nicht nur als eine der ersten Frauen die Universität, sie hat auch wechselnde Beziehungen zu Männern. Auch sie ist ständig auf Reisen und auf der Suche. Ihr Verhältnis zu Rilke ist wechselhaft. Sie ist viel älter. Er schwierig. Beide haben eine Anlage zum Narzissmus. Beide streben nach Unabhängigkeit, brauchen aber auch die Bewunderung, den Rat, die Inspiration des anderen.
Das Buch zeigt ein schonungsloses, nicht immer schönes Bild zweier unkonventioneller Leben. Insbesondere Rilke zeichnet die Autorin immer wieder abstoßend und flicht gleichzeitig seine wunderschönen Verse in ihren Text mit ein. Man kann schon verstehen, dass beide sich immer wieder suchten und gegenseitig abstießen, weil sie schon eine Art Seelenverwandte waren und zugleich immer auf der Suche nach etwas. Wildner zeigt weitere Parallelen auf, die sie verbanden, und macht diese Verbundenheit bis zum Moment von Rilkes Tod sehr deutlich. Es entsteht das spannende, ungewöhnliche Porträt einer Beziehung, die über eine Liebesbeziehung hinaus zu einer Beziehung einer tieferen Art der Liebe wird.
Einzig störend ist die Verwirrung, die bisweilen durch die Zeitsprünge vor und zurück zwischen Rilkes und Lous Leben entsteht in dem Bestreben, beiden Personen – auch über ihre gemeinsame Beziehung hinaus – gerecht zu werden.

Bewertung vom 27.03.2025
Heimgartner, Thomas

Ping


ausgezeichnet

Wussten Sie, dass Ping ein chinesischer Vorname ist?
Nicht nur das erfährt der Leser in Thomas Heimgartners „Zweiseitenspiel“, sondern auch jede Menge über Tischtennis. Doch gleich vorweggenommen, der Roman ist nicht nur etwas für eingefleischte Tischtennisexperten oder die, die es noch werden wollen und denen das eingeflochtene Glossar zum sportiven Fachvokabular gute Dienste leisten kann.
Das Schöne an dem schmalen Bändchen ist, dass man ihn als Hommage an eine Tischtennisjugend lesen kann. Als leichtfüßige, vielleicht ein wenig nostalgische Retrospektive in eine von nichts als vielleicht ein wenig Liebeskummer belastete Sommerferienzeit der späten 80er. Als anregenden Generationenroman im Gespräch zwischen Tochter und Vater, die beide auf der Suche sind nach ihrem Platz im Leben und die beide indirekt um das Verständnis des anderen werben: Der Vater, indem er von seiner Jugend im Sommer 1989 erzählt, seiner Leidenschaft für Tischtennis, seiner Sehnsucht nach Zugehörigkeit und seiner ersten zarten Liebe zu Ping, einem chinesischen Mädchen, das verschwindet, bevor er es überhaupt kennenlernen kann. Die Tochter, die sich vom Vater verlassen fühlt, der Frau, 25jähriges „Kind“ und Heimat hinter sich gelassen hat, um in Bangkok herauszufinden, wer er ist – oder vielleicht findet er es heraus in dem sich dadurch neu eröffnenden Gespräch mit seiner Tochter. Die Tochter fordert Antwortnt, provoziert in pointiertem, (selbst)ironischem Stil und offenbart damit auch sich selbst als Suchende nach einem eigenen Ort, an den sie gehört, nach einem passenden Beruf, einem passenden Partner, denn der ihr bekannte Ort von Zuhause oder Heimat ist ihr mit der Flucht des Vaters ja auch ein Stück weit genommen worden, unabhängig davon, dass ihr Alter diesen Schritt ins Leben von ihr verlangt.
Und so kann man dieses „Zweiseitenspiel“ auch lesen als literarisches Experiment mit der Metapher des Ping-Pong-Spiels, wie der Laie es nennt, die nicht nur für die unberechenbaren Bälle steht, die einem das Leben zuspielt, sondern auch für eine Form des Dialogs und damit die strukturelle Form des Textes: ein Hin und Her, ein Schlagabtausch zwischen Vater und Tochter mit je eigenem Spielstil und wechselnder Intention. Scheint es zu Beginn noch um Sieg und Niederlage, Angriff (der Tochter) und Verteidigung (des Vaters) zu gehen, so wird daraus bald eine Zu(sammen)spiel, das bemüht ist, die Bälle möglichst lange in der Luft zu halten. Kunstvoll und fast unmerklich – den genauen Leser fordernd – webt der Text in die zwei zunächst zusammenhanglos nebeneinander stehenden Nachrichten – die Tochter schreibt über sich in Reaktion auf das Verlassenwerden vom Vater, der Vater hält scheinbar zusammenhanglos seine Jugendgeschichte dagegen – erste zarte Bezüge, Antworten ein, die sich immer mehr zum echten Dialog auswachsen. Die Tochter schreibt im inkohärenten Stakkato-Stil einer digital geprägten Short-Message-Generation (mit herrlich selbst- und medienkritischen Exkursen), der Vater erzählt behäbiger, mit der Muße eines Jungen, der sechs Wochen sorgenfreie Ferien und jede Menge – fast schon zu viel – freie Zeit vor sich hat.
Meine Ausführungen zeigen schon das, was für mich die absolute Freude an dem kleinen Büchlein ausmacht: Man kann sich Tochter und/oder Vater nahe fühlen, sich in ihre Situationen hineinversetzen, ohne das man viel von ihnen erfährt, womit sich gleichzeitig eine Offenheit ergibt, die Anregungen gibt und Platz lässt für ganz viele Gedanken und Bezüge, die sich herstellen lassen. Das zum Teil rasante Ping-Pong des Dialogs – Ping ist wohl auch ein Maß für die Zeitspanne eines digital gesendeten Nachrichtenpakets und der darauf folgenden Antwort („Paketumlaufzeit“) – erzeugt beim Lesen das Gefühl, da noch einmal genauer hinschauen und noch mal nachlesen zu müssen, um einen flüchtigen Gedanken aufnehmen und weiter denken zu können.
Was will man mehr von einem Buch, das einen gut unterhält, mit dessen Figuren man sich gerne austauschen mag, als dass es – man verzeihe mir diese Schülerinterpretationsaufsatzpauschalphrase – zum Nachdenken anregt und fast zwangsläufig zum Reden über sich bringt.

Bewertung vom 25.03.2025
Engelmann, Gabriella

Der Gesang der Seeschwalben / Die Bücherfrauen von Listland Bd.1


gut

Seicht
Eigentlich ein interessanter Plot: Eine Bücherfrau auf Sylt soll nach erfolgreichem Podcast-Porträt Gegenstand einer Biografie der Journalisten und Autorin Anna werden. Doch bei der Recherche stößt diese auf Schwierigkeiten, Geheimnisse und Geheimverstecke, die in die dunkle Zeit des Nationalsozialismus zurückreichen, die auch die Insel Sylt nicht verschont.
Die Umsetzung hat mich allerdings wenig überzeugt. Die Atmosphäre der Insel Sylt und auch der norddeutschen Lebensart ist durchaus ansprechend. Aber die Story beinhaltet für mich einige Ungereimtheit und erscheint mir unausgewogen darin, worauf das Augenmerk der Handlung liegt. So lesen wir seitenlang über Lenes großer Liebe und Sehnsucht zu dem Buchhändler Marten, der im Gästezimmer ihrer Eltern auf schriftstellerische Inspiration hofft, dann aber plötzlich aus (noch) nicht bekannten Gründen überstürzt abreisen muss. Wir schreiben das Jahr 1937 und können erahnen, was ihn zur Flucht veranlasst. Genauso ergeht sich Anna auf Ebene der Gegenwart immer wieder in ihren sehnsüchtigen Gedanken an den Sohn der Bücherfrau Fenja, die sie zu Recherchezwecken aufsucht. Nur ist der leider schon anderweitig vergeben.
An anderer Stelle aber fehlen Entwicklungen, Handlungsmotive und emotionale oder rationale Hintergründe für das Handeln der Figuren: Warum verschwindet Fenja, bevor Anna überhaupt ankommen kann und obwohl sie zu einem Arbeitstreffen verabredet sind. Sie kann einen kryptischen Zettel schreiben, aber keinen nachvollziehbaren Grund, den es gibt und den man auch, ohne zu viel Persönliches preiszugeben, nennen könnte. Oder Lenes Mann, den sie heiratet, als sie erfährt, dass sie von Marten unehelich schwanger ist. Eingeführt wird die Figur so, als ob sie nichts dagegen hätte, das Kind eines anderen großzuziehen. Aber gleich vom ersten Moment an präsentiert sie sich unsympathisch und unterschwellig bedrohlich. Dann verschwindet sie fast in der Versenkung, nur um plötzlich aufzutauchen und unerwartet anzukündigen, dass er mit der gemeinsamen Tochter, die sie neben Lenes erstem Mädchen haben, die Insel verlassen und zu seiner Familie ziehen werde. Dann ist die Figur wieder absent. Eine Gefühlsregung Lenes darauf wird kaum genannt. Sie akzeptiert schnell, macht keinerlei Versuche, Kontakt zu der Tochter aufzunehmen, auch nicht, als der Krieg vorbei und die Gefahr gebannt ist, dass die halbjüdische Identität der älteren Tochter zur Gefahr für die Familie würde. Zwar wird traumatisches Schweigen als ein Grundproblem in der Familie von Lene und Fenja benannt, das sich auch noch auf Fenjas Kinder ausdehnt und wohl der Grund für ihr zuerst unerklärtes Abtauchen sein soll. Auch Fenjas ältere Tochter verschwindet einfach, man weiß nur, dass sie in die große Welt hinaus möchte. So ist dann der Boden für den zweiten Band gelegt. Ein neues Geheimnis, das es zu entschlüsseln gilt. Und wahrscheinlich auch eine zweite Chance für Anne und ihre Liebe zu Fenjas Sohn.
Insgesamt finde ich die Story zu dünn, es gibt zu wenig Entwicklung, von Charakteren mag ich nicht wirklich sprechen. Und auch die schlimme Zeit des Nationalsozialismus ist nur ein flüchtiger Schatten. Er liefert Gründe für vieles, aber eben nicht tiefgreifend, sondern phrasenhaft die allgemeinen Plots um diese Zeit aufnehmend: Die zwei jüdischen Buchhändler auf List sind auf einmal weg. Lenes Mann ist strammer Nazi und duldet kein nicht rein arisches Kind. Er nutzt es als Druckmittel, sich und die Tochter freizupressen. Lene träumt stattdessen von literarischen Salons in der Nachkriegszeit, von ihrem geliebten Marten, von dem sie eigentlich gar nichts weiß, auch nicht, dass er Jude ist. Aber sie agiert auch hier nicht und stellt Nachforschungen an.
Eingeschoben werden ebenso phrasenhaft Sentenzen über den Wert der Bücher und des Lesens, über den Wert der Familie und die Notwendigkeit, offen zu kommunizieren und das traumatisierte Schweigen zu überwinden, um die Bürde endlich loszuwerden, und nicht weiter auf die kommenden Generationen zu übertragen.
Es gibt so viele Bücher zu diesen Themen, und auch viele bessere.

Bewertung vom 22.03.2025
Gröschner, Annett

Schwebende Lasten


ausgezeichnet

Beeindruckend
Das Leben von Hanna umspannt ein langes 20. Jahrhundert. Aufgewachsen bei der „halben Schwester“ als Gehilfen im Blumenladen in Magdeburg über den eigenen Blumenladen bis zur Kranführerin der Kruppwerke in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs und dann im Betrieb der DDR lebt Hanna das Leben einer Frau, die viel erlebt und erleidet. Sie heiratet, der Mann trinkt, verliert ein Bein, trinkt mehr, die Kinder werden gezeugt, geboren, abgetrieben, geboren usw. Sechs Kinder erblicken das Licht der Welt, zwei gehen verloren. Für sie gibt es kein Grab. Sie erleidet Verluste und gewinnt hinzu: Schwiegersöhne, Enkelkinder. Andere zerbrechen an der Grausamkeit des Krieges, an den Repressalien des Systems, an den Kindern, den gewollten und den ungewollten. Aber Hanna hält Stand, immer, irgendwie. Weitermachen, das ist die Devise. Die einzige Konstante ist der Wandel. Und Hannas Blumen.
Annett Gröschel gelingt es phänomenal die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts aus weiblicher Perspektive auf nur 280 Seiten zu schreiben und dabei ein so intensives Lebensgefühl zu vermitteln, wie es kein Geschichtsbuch kann. Hanna stammt aus einfachen Verhältnissen, lernt aber über die Schwestern, die eine „bessere Partie“ gemacht haben, auch ein wenig materielles Glück kennen. Sie heiratet einen Sozialdemokraten und ist durch ihre Arbeit im Werk dem Sozialismus sicherlich näher. Aber sie verfällt keiner Ideologie, weder den Nazis noch dem Sozialismus der DDR. Sie verfügt über keine umfangreiche Schulbildung, aber über Menschenverstand und Herzensbildung. Vielleicht sind es die Blumen, die sie unanfällig für Ideologien und menschlicher machen als viele Mitmenschen ihrer Zeit. Sie wächst dem Leser ans Herz mit ihrer Lebensklugheit. Er ist beeindruckt von ihrer Pragmatik, ihrem Lebenswillen, auch wenn er manchmal mehr aus dem Muss als aus dem Wollen stammt, von ihrer Liebe zu und ihrem Händchen für die Blumen. Er leidet mit ihr im Hinblick auf die schwierige Ehe, die Entfremdung von den Kindern, den Verlusten im Krieg, der Ausbeutung durch das DDR-System. Und wie könnte man besser Geschichte erfahren und begreifen als so nah an der Seite einer Frau, die mitten im Leben steht!
Elke Heidenreich spricht von der „perfekten Balance zwischen lakonisch und herzzerreißend“, ich würde sagen, das Buch ist durch die Lakonie so herzzerreißend. Die im Buch häufig so klar und schnörkellos beschriebenen Bilder für das Grauen und das Leid und den seelischen Schmerz prägen sich nicht nur Hanna unvergesslich ein. Aber auch die Bilder für das Schöne, die hier immer Blumenbilder sind, sind anrührend und vermitteln einen versöhnlichen Schluss, ohne kitschig oder illusorisch zu sein.
Ein beeindruckendes, ein großartiges, ein absolut lesenswertes Buch!

Bewertung vom 16.03.2025
Ankaoua, Maud

Das Geheimnis des Augenblicks


weniger gut

Luxusreise für Luxusprobleme
Maelle ist erfolgreich und arbeitet viel, aber ist sie auch glücklich? Ihre Freundin erkrankt an Krebs und schickst sie mit einem Auftrag nach Nepal. Eigentlich passt das nicht in Maelles Zeitplan. Widerwillig lässt sie sich darauf ein. Und dies Reise stellt ihr Leben auf den Kopf, denn arbeiten ist auf einmal nicht mehr alles.
Die Reiseeindrücke von Nepal sind beeindruckend und für mich auch das Interessanteste an dem Buch. Die Hauptfigur ist mir wenig sympathisch. Ich finde sie sehr selbstbezogen und ein wenig larmoyant auf hohen Niveau sowie sprunghaft. Hat sie gerade noch ein erhebende Erfahrung der Allverbundenheit, so verfällt sie fünf Minuten wieder in ihre alten Verhaltensmuster, geprägt von Gereiztheit und Enttäuschung, die sich in Ungeduld und Wut äußern. Die Lebensweisheiten, die sie hier weiter vermitteln will, kennt man von den Grundprinzipien her aus verschiedenen Lebensratgebern. Hier werden sie ziemlich aufgebläht in immer wieder neuen Worten aus unterschiedlichen Mündern mantraartig wiederholt. Das macht das Lesen im zweiten Teil ziemlich zäh. Der, der ernste Probleme hat, dürfte sich von der Predigt der allumfassenden Liebe, an die man nur glauben muss und dann existieren keine Probleme mehr und Angst ist sowieso nur eine Selbstbehauptungsstrategie des bösten Ego, nicht wirklich ernst genommen fühlen.