Benutzer
Benutzername: 
SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 516 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2024
Zang, Tina

Ein Schuljahr voller Zauberei - Schulfest statt Mathetest (Ein Schuljahr voller Zauberei 2)


gut

„Schulfest statt Mathetest“ ist der zweite Teil der vierbändigen Reihe „Ein Schuljahr voller Zauberei“. Während im ersten Band Elena und Felix im Mittelpunkt stehen, wechselt der Fokus hier zu Meryem und Felix, und Elena tritt nur noch als Randfigur auf. Meinen Sohn hat das zunächst erstaunt, doch es bietet die Möglichkeit, nun andere Kinder der Klasse besser kennenzulernen.
Lehrer Blitzke hat die Klasse in Verdacht, hinter den unerklärlichen magischen Vorkommnissen im Klassenzimmer zu stecken, und möchte die Kinder durch Projektarbeit von weiteren Streichen abhalten. Da das Schulfest ansteht, sollen die Schüler und Schülerinnen in Gruppen einem kleinen Bühnenbeitrag ausarbeiten. Der beste Beitrag wird mit einer Medaille belohnt.
Der erste Band war sehr lustig zu lesen, und wir hatten auf eine ebensolche Fortsetzung gehofft. Leider zündet der Humor im zweiten Band nicht so richtig, Blitzkes „Versprecher“ mit der jeweils folgenden doppelten Korrektur sind allzu vorhersehbar und nutzen sich ab, ebenso die sprachlichen Eigenheiten des Lehrers Frohgemut („ungewöhnlich, ausgesprochen ungewöhnlich“, „hervorragend, regelrecht hervorragend“, etc, und er kann sich Blitzkes Namen nicht merken). Anhand der liebevoll angelegten Figur von Simon zeigt die Autorin, dass auch Kinder, die sehr zurückhaltend sind und Lernschwierigkeiten haben, oftmals verborgene Talente besitzen und ein ebenso wertvoller Bestandteil der Klassengemeinschaft sind wie alle anderen Kinder auch. Dies ist sehr schön dargestellt. Leider sind die Charaktere insgesamt recht stereotyp und eher oberflächlich, hier hätte ich mir etwas tiefer ausgearbeitete Figuren gewünscht. Bei der Handlung vermissen mein Sohn und ich originelle magische Einfälle und Spannung, sie plätschert eher etwas brav vor sich hin. Insgesamt sehe ich das Buch eher als Vorlesebuch für 5-8jährige Kinder, für ältere Selbstleser ist mir die Geschichte nicht komplex genug.

Bewertung vom 27.03.2024
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


sehr gut

Nachdem ich „Als Großmutter im Regen tanzte“ mit großer Begeisterung verschlungen hatte, war ich nun sehr gespannt auf „Und Großvater atmete mit den Wellen“. Während der erste Band die Geschichte von Juni Bjerkes Großmutter Tekla erzählt, steht hier ihr Großvater Konrad im Mittelpunkt. Der zweite Teil lässt sich jedoch auch ohne Kenntnis des ersten Teils lesen.
Während im ersten Buch die Figur Juni Bjerke als Ich-Erzählerin mit eigenem Handlungsstrang auftrat, tritt sie hier komplett in den Hintergrund und taucht nur als fiktive Autorin von Vor- und Nachwort auf, die die eigentliche Geschichte flankieren.
Konrad heuert als junger Mann wie sein älterer Bruder Sverre als Seemann auf der Anitra an, einem zivilen Handelsschiff. Während des Zweiten Weltkrieges transportiert dieses Treibstoff für die Alliierten nach Australien und wird von Japan mit Torpedos angegriffen. Konrad und Sverre werden hierbei getrennt, Konrad überlebt knapp und landet in einem Krankenhaus auf der von Japan besetzten Insel Java, wo er die junge norwegische Krankenschwester Sigrid kennenlernt. Beide werden von den Japanern in getrennten Arbeitslagern interniert und kämpfen um ihr Überleben, getragen von der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft nach dem Krieg.
Die Geschichte wird chronologisch aus einer personalen Erzählperspektive geschildert, die kapitelweise zwischen Konrad, Sigrid und – seltener – Sverre wechselt. Trude Teige schreibt lebendig, und mitreißend, so dass ich mich sehr gut in die einzelnen Personen hineinversetzen und mitfiebern konnte. Sie hat auch für dieses Buch wieder historische Fakten und Zeitzeugenberichte recherchiert und vermittelt ein eindrückliches Bild von den Umständen in Indonesien während des Zweiten Weltkrieges, den grausamen Internierungslagern der Japaner und den Unabhängigkeitsbestrebungen der Indonesier von der niederländischen Kolonialherrschaft. An manchen Stellen wirkt das Buch hierdurch allerdings etwas hölzern, wenn allzu deutlich „Informationsdialoge“ zwischen den Charakteren dazu dienen, den Kriegsverlauf und politische oder gesellschaftliche Zustände zu vermitteln.
Insgesamt kommt für mich der zweite Band leider nicht ganz an den ersten heran, der mich erzählerisch und inhaltlich mehr überzeugt hat. Bei Konrads Geschichte war von vornherein der Ausgang bezüglich Sigrid erwartbar, wenn man bereits den ersten Band kennt, so dass mir hier etwas Spannung fehlte. Der Tekla und Lilla betreffende Teil war eher lieblos und kurz abgehandelt, hier hätte ich mir gewünscht, dass ihr gemeinsames Leben mehr Raum einnimmt. Der größte erzählerische Schwachpunkt ist für mich allerdings, dass völlig unklar bleibt, woher die Enkelin Juni Bjerke plötzlich die Informationen über das Leben ihres Großvaters haben will, da ihre Großeltern, wie im ersten Band deutlich wurde, niemals mit ihr über die Vergangenheit gesprochen haben. Im ersten Band wird die Spurensuche Junis nach der Vergangenheit ihrer Großmutter detailliert vermittelt, die Erkenntnisse die sie erlangt, sind glaubhaft motiviert, und der Erzählteil Teklas ist klar getrennt von Junis Wissen. In Konrads Fall fällt seine Geschichte völlig „vom Himmel“, und Vor- und Nachwort verlieren hierzu keine Silbe.
Fazit: Ein eindrücklicher, flüssig zu lesender und interessanter Roman, der jedoch etwas hinter seinem herausragenden Vorgänger zurückbleibt.

Bewertung vom 24.03.2024
Tägder, Susanne

Das Schweigen des Wassers


sehr gut

„Das Schweigen des Wassers“ spielt kurz nach der Wende in der Mecklenburgischen Provinz, im fiktiven Ort Wechtershagen. Kommissar Groth, gebürtiger Wechtershagener und kurz vor dem Mauerbau aus der DDR nach Hamburg geflohen, kehrt als Aufbauhelfer Ost zurück. Kurz nach seiner Ankunft kommt ein Mann unter ungeklärten Umständen zu Tode, und Groth findet sich in einem Fall wieder, der weit in die Vergangenheit zurückreichen und mit dem Mord an einem jungen Mädchen im Jahr 1981 im Zusammenhang stehen könnte.
Groth ist ein leiser, melancholischer Ermittler, der in seine alte Heimat zurückkehrt und doch ein Fremder bleibt. Er ist hin- und hergerissen zwischen Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend und dem Blick dessen, der lange weg war und das ehemals Vertraute nun aus der Distanz wahrnimmt. Susanne Tägder verwendet viel Sorgfalt darauf, die Atmosphäre kurz nach der Wende auf vielfältige Weise greifbar zu machen. Im Kleinen zeigt sich das immer wieder in wie beiläufig eingeflochtenen Bemerkungen der sog. „kleinen Leute“, wie einem Wirt, Groths Sekretärin, seiner neugierigen Nachbarin oder der Putzkraft im Kommissariat. Auch politisches Taktieren um begehrte, neue Posten, wirtschaftliche Umbrüche und die Verfahren zur Prüfung auf etwaige Stasi-Vergangenheiten bei Staatsbediensteten werden thematisiert. Hierin liegt für mich die besondere Stärke des Romans. Der Kriminalfall selbst konnte mich nach einem starken Beginn letztlich nicht vollständig überzeugen. An einigen Stellen empfand ich die Geschichte gegen Ende als unrund und nicht ganz glaubwürdig, die Zeichnung mancher Figuren wirkt nicht geglückt (etwa das Mädchen Martina Borowski, deren Aussageverhalten sehr plötzlich wechselt). Auch fehlte es mir an Spannung, da für mich der Täter relativ schnell klar war und das Grundgerüst der Geschichte recht offensichtlich war.
Etwas unverständlich ist mir, warum das Interview mit der Autorin dem Roman vorangestellt und nicht im Anschluss abgedruckt wird, da die Autorin darin wesentliche Aspekte des Romans vorwegnimmt und in Teilen bereits das Ende verrät, was ich als sehr ärgerlich empfand.
Insgesamt ein interessanter Roman, der mehr durch seine atmosphärische Schilderung als durch eine spannende, bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Krimihandlung besticht.

Bewertung vom 24.03.2024
McCann, Jacqueline;Bédoyère, Camilla de la;Mills, Andrea

Das Lexikon der erstaunlichsten Fakten


weniger gut

Bereits aus meiner eigenen Kindheit habe ich Ravensburger in guter Erinnerung, und auch unser Sohn hat einige wirklich informative Sachbücher dieses Verlages. Das „Lexikon der erstaunlichsten Fakten“ hat uns hingegen leider enttäuscht.
Zunächst empfinde ich die Illustrationen für ein Lexikon, das sich an die Altersgruppe von 6-8 Jahren richtet, als zu kindlich und zu wenig detailliert. Gleich zu Beginn fällt der Rubinkolibri negativ auf, dessen Zeichnung kaum Ähnlichkeit mit dem echten Vogel hat. Zudem erfährt man lediglich, dass man das Männchen an der Gefiederfarbe erkennt, aber nicht, worin der Unterschied zum nicht abgebildeten (und in natura ebenfalls bunten) Weibchen besteht. Insgesamt wirkt das Buch sehr unstrukturiert und wenig durchdacht, was sich bereits am Inhaltsverzeichnis bemerkbar macht: Es gibt u.a. die Rubriken Tiere, Dinosaurier, Vögel, Ozeane und Krabbler, die sich immer wieder überschneiden. Zwischen die Kapitel mit den Lebewesen wird plötzlich das Kapitel Fahrzeuge eingeschoben, das besser gegen Ende bei den Robotern aufgehoben wäre. Insgesamt präsentiert das Buch über weite Strecken eher Allgemeinwissen als erstaunliche Fakten; so erfährt man beispielsweise, dass ein Polizeiauto „sehr schnell“ sein muss und über Funk und Bordcomputer verfügt – nichts, was uns groß erstaunen würde. Ähnlich einfach und schwammig sind auch viele weitere Fakten gehalten.
Die Aufmachung ist recht bunt und knallig, voller Ausrufezeichen, und ständig begegnet einem der Ausruf „Wow!“. Man merkt dem Buch sehr deutlich an, dass es ursprünglich für den amerikanischen Markt konzipiert wurde (Originaltitel: „Encyclopedia of Wow!“). Ebenfalls negativ fällt mir die Schreibung des Kleinbuchstaben „m“ auf, die nicht mit der hier üblichen übereinstimmt und eher wie ein verunglücktes großes M aussieht. Für Lese- und Schreibanfänger ist dies nicht optimal.
Fazit: Sowohl als Lexikon als auch als Sammlung skuriller Fakten eher dürftig. Das Ravensburger Grundschullexikon etwa ist wesentlich besser gelungen.

Bewertung vom 23.03.2024
Lux, Lana

Geordnete Verhältnisse


ausgezeichnet

Als Philipp zehn Jahre alt ist und die dritte Klasse wiederholen muss, kommt Faina in seine Klasse. Er, der rothaarige Außenseiter aus schwierigen familiären Verhältnissen, und Faina, das jüdisch-ukrainische Einwandererkind, werden beste Freunde. Philipp hilft Faina, Deutsch zu lernen und sie befreit ihn aus seiner Einsamkeit. Als Erwachsene ziehen sie zusammen und sind mehr als Freunde, aber doch kein echtes Liebespaar. Nach einem Streit folgt eine mehrjährige Funkstille, bis eines Tages Faina Hilfe suchend vor seiner Tür steht.
Das Buch gliedert sich in drei Teile. Der erste wird aus Philipps Sicht erzählt, der zweite aus Fainas, und der dritte aus wechselnden Perspektiven. Ich liebe Romane, in denen sich bei Perspektivwechseln Wortwahl und Sprachstil an die jeweilige Figur anpassen, und Lana Lux ist es hervorragend gelungen, bereits anhand der Sprache die Wesenzüge, Gefühle und Denkstrukturen von Philipp und Faina herauszuarbeiten.
Beide Protagonisten sind auf ihre Weise durch ihre Kindheit traumatisiert, sind sich einerseits tief verbunden und auf andere Weise völlig gegensätzlich. Philipp, der planvolle, nach außen hin mustergültige Mann, wohlhabend, fürsorglich und großzügig, und Faina, die freiheitsliebende, unstrukturierte, mittelose schwangere Frau mit abgebrochenem Studium sind auf fatale Weise voneinander abhängig. Beim Lesen hatte ich von Anfang an ein beklemmendes Gefühl, das sich immer weiter steigerte, je weiter die Geschichte voranschritt.
Lana Lux zeigt in „Geordnete Verhältnisse“, wie schnell man in eine toxische Beziehung geraten kann und mit welchen manipulativen Mechanismen Schuldgefühle und Abhängigkeiten erzeugt werden. Aus unbedeutend wirkenden Anzeichen entwickelt sich so eine quälende Situation, aus der eine Befreiung nur schwer möglich ist.
Ein beeindruckend geschriebenes, aufwühlendes Buch zu einem wichtigen Thema und für mich ein Highlight in diesem Frühjahr.

Bewertung vom 21.03.2024
García Márquez, Gabriel

Wir sehen uns im August


ausgezeichnet

Gabriel García Márquez‘ letztes Werk, das seinem Willen zufolge nicht mehr veröffentlicht werden sollte. Seine beiden Söhne haben sich nach reiflicher Überlegung über diesen Wunsch hinweggesetzt und uns Leserinnen und Leser mit einem letzten literarischen Geschenk bedacht.
Besonders bewundernswert war für mich einmal mehr Márquez‘ Gefühl für Sprache und seine Fähigkeit, mit wenigen Worten intensive, atmosphärische und lebendige Bilder zu erzeugen. Vieles bleibt in diesem Kurzroman nur angedeutet (zB der Eintritt der Tochter ins Kloster, der Sohn), und es ist mir unklar, ob dies so beabsichtigt war oder dem Umstand geschuldet ist, dass Márquez diesem nicht mehr selbst den letzten Schliff geben konnte. Auch der Schluss wirkt auf mich etwas unrund. Die Geschichte von Ana Magdalena, die - zunächst spontan, später geplant - die jährlichen Besuche am Grab ihrer Mutter auf einer abgelegenen Insel nutzt, um aus ihrer konventionellen Eheroutine auszubrechen, ist ungewöhnlich und sehr erfrischend. Ich habe dieses Buch sehr genossen, und freue mich, dass dieses Spätwerk – meines Wissens sein einziges mit einer weiblichen Hauptfigur – noch erscheinen durfte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.03.2024
Freytag, Anne

Lügen, die wir uns erzählen


gut

Anne Freytag brachte ich bisher vor allem mit Jugendbüchern in Verbindung , mit „Lügen, die wir uns erzählen“ veröffentlicht sie nun ihren ersten Erwachsenenroman. Für mich war es gleichzeitig das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe.
Helene ist 47 Jahre alt, gefeierte Autorin und Programmleiterin eines Verlages, Mutter zweier Teenager, verheiratet mit einem erfolgreichen Anwalt und wohnt in einem großen Haus in einem noblen Stadtteil Münchens – nach außen hin eine Bilderbuchfamilie aus der akademischen Oberschicht. Doch die Fassade bröckelt, als ihr Mann sie für eine andere Frau verlässt und Helene beginnt, ihre Lebensentscheidungen zu hinterfragen. Was, wenn Sie sich damals für Ihre große Liebe Alex in Paris entschieden hätte? Inwieweit hat sie sich von den Erwartungen ihrer Eltern, ihres Umfelds und der Gesellschaft leiten lassen und wer ist sie eigentlich selbst?
Oft sind es die kleinen unscheinbaren Ereignisse, die rückblickend über das weitere Leben entscheiden, und tief im Inneren bleiben wir oft einsam, auch unseren vermeintlich Nächsten fremd, in uns selbst gefangen mit unseren Ängsten, Zweifeln, Prägungen und Verletzungen. Helenes inneren Zwiespalt, die Diskrepanz zwischen ihrem Fühlen und dem äußeren Bild beschreibt Anne Freytag intensiv, eindrücklich und lebendig, Helene war mir sofort nahe und ich konnte mich insbesondere zur Beginn gut in sie hineinversetzen.
Die einzelnen Kapitel springen wild durch die Zeit, von der Gegenwart in verschiedene Stufen der Vergangenheit, und teilweise scheint es, als hätte sich die Autorin hier selbst etwas verzettelt, so dass manches logisch nicht ganz zusammenpasst (so versuchte Helene mit 31 monatelang erfolglos, schwanger zu werden, hatte dann innerhalb eines Jahres zwei Fehlgeburten und wird längere Zeit später tatsächlich schwanger – hat nun aber mit 47 eine 16jährige Tochter. Auch andere Ereignisse sind zunächst 1,5 Jahre, später plötzlich mehrere Jahre auseinander. Im Kapitel „Alexander Finch“ konstatiert Helene: „Alex hatte es also wirklich getan. Er hatte wirklich einen Roman geschrieben.“, und das nachdem Alex bereits Jahre zuvor Romane veröffentlicht hatte und sie auch schon früher auf einer seiner Romanlesungen war. Die Verwunderung ist also unverständlich.)
Die erste Hälfte des Buches habe ich gebannt verschlungen, in der zweiten änderte sich das jedoch zusehends. Helenes Gedanken wiederholten sich immer wieder, hier hätte etwas Straffung gutgetan. Helene wirkt zunehmend selbstsüchtig und selbstmitleidig auf mich, sieht sich vor allem in der Opferrolle, die Bedürfnisse ihrer Kinder und ihres Mannes hinterfragt sie nicht, und ihre jahrelange emotionale Bindung an Alex ist für mich unverständlich – zu sehr empfinde ich ihn als unstet und bindungsunfähig, als dass ich glauben könnte, dass hieraus jemals eine ernsthafte Beziehung hätte entstehen können. Auch Teile der Handlung wirkten auf mich zunehmend unglaubwürdig. Da renovieren zwei handwerkliche Laien angeblich problemlos und in kürzester Zeit eine absolute Bauruine (jeder, der schon selbst gebaut hat, kann hier nur den Kopf schütteln), und die Tochter Anna durchlebt einen plötzlichen und für mich nicht ausreichend motivierten Sinneswandel. Besonders Georgs finale Erklärung für sein Verhalten gegenüber Jonas empfand ich als sehr konstruiert und wenig glaubhaft. Da der Roman so vielversprechend begonnen hatte, fand ich es sehr schade, dass er für mich gegen Ende immer stärker abfiel.
Fazit: Insgesamt ein unterhaltsam geschriebener Roman, der mich leider inhaltlich nicht ganz überzeugen konnte. Hinsichtlich Stil und Thematik könnte ich mir vorstellen, dass Fans von Ildiko von Kürthys Roman „Eine halbe Ewigkeit“ auch Gefallen an „Lügen die wir uns erzählen“ finden könnten.

Bewertung vom 13.03.2024
Giammarco, Francesco

Das hat er nicht von mir!


gut

Anhand des Klappentextes hatte ich erwartet, dass sich der Autor angesichts seiner Vaterschaft auf humorvolle, aber gleichzeitig tiefgründige Weise mit der eigenen Kindheit und Jugend auseinandersetzt, um diese Erfahrungen reflektiert in die Erziehung des eigenen Nachwuchses einfließen zu lassen: Was hat ihn geprägt, wie beeinflusst sein eigenes Aufwachsen sein Verhalten gegenüber dem Sohn, wie helfen die eigenen Erlebnisse, das Kind besser zu verstehen? Leider kamen mir diese Aspekte im Buch deutlich zu kurz, und mir fehlte eine klare Linie, so dass ich mich immer wieder fragte, welche Intention denn nun hinter diesem Buch steht.
Der erst zweijährige Sohn kommt eher am Rande vor, im Mittelpunkt stehen die Jugenderinnerungen des Autors – jugendliche Alkoholerfahrungen, die Abneigung gegen die Schule, erste unglückliche Liebe, erster Job, das Hadern mit dem eigenen Körper. Dies sind alles Erfahrungen, die vielen Lesern und Leserinnen nicht fremd sind, und sie sind unterhaltsam und mit lockerem Humor geschildert. Allerdings wird das Buch hierdurch mehr zu einer leicht erzählten Biografie über das eher gewöhnliche Leben als Teenie und junger Erwachsener in der Generation Y. Einen echten Erkenntnisgewinn im Bezug auf die Erziehung des Kindes sehe ich nicht, und vieles bleibt mir zu sehr an der Oberfläche. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit hier eine Rolle spielt, dass ich eine Frau bin und möglicherweise einen etwas anderen Blickwinkel auf bestimmte Jugenderlebnisse und Kindererziehung habe. Meine Erwartungen hat es leider nicht ganz erfüllt.

Bewertung vom 12.03.2024
Dreyer, Tine

Morden in der Menopause


gut

Anhand des Klappentextes hatte ich mir eine humorvollen Roman a la "Achtsam morden" von Karsten Dusse erhofft, der das Thema Menopause auf turbulente, augenzwinkerndene Weise mit einem Mordfall verbindet. Leider konnte "Morden in der Menopause" diese Erwartungen nicht ganz erfüllen. Die Geschichte ist durchaus unterhaltsam und kurzweilig, doch es fehlt mir an Esprit und Sprachwitz. Die Figuren einschließlich der Protagonistin wirkten auf mich unsympathisch und oberflächlich. Besondere Schwierigkeiten hatte ich mit Livs Schwiegereltern, deren Beschreibung, Verhalten und Sprachstil für mich nicht zu 90jährigen Personen passte. Livs Ehemann erschien als ein kleinlauter Feigling, der es nicht fertigbringt, seinen eigenen Vater mit dessen Spielsucht zu konfrontieren und stattdessen lieber jahrelang die Spielschulden bezahlt. Und Livs Moralempfinden ist recht .... flexibel. Auch der Kriminalfall selbst hatte seine Schwachstellen. So erscheint mir die Umstände der unter menopausalen Einflüssen begangenen Morde und die beschriebene Beseitigung der Opfer schon aufgrund der Statur von Opfer und Täterin sehr unlogisch. Der Schluss kommt dann etwas plötzlich und lässt für mich zu viele Fragen offen.

Insgesamt eine nette Unterhaltung für zwischendurch, aber leider nicht mehr.

Bewertung vom 12.03.2024
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


sehr gut

Das Setting von "Das andere Tal" hat mich sofort neugierig gemacht. Ein Tal mit einem See und einer Stadt, eingefasst von einer Gebirgskette im Westen und einer Steppe im Osten, das sich in beiden Himmelsrichtungen wiederholt, wobei die Täler in Ostrichtung jeweils 20 Jahre versetzt in der Zukunft liegen, und in Westrichtung entsprechend jeweils 20 Jahre in der Vergangenheit. Besuche in einem Nachbartal sind nur in Trauerfall erlaubt, streng reglementiert und müssen von speziellen Gremien (Conseils) beider Täler genehmigt werden. Die Besucher dürfen sich nicht zu erkennen geben, nicht eingreifen und nur aus der Ferne beobachten.

Die Geschichte um die Ich-Erzählerin Odile besteht aus zwei Teilen. Im ersten ist Odile 16 Jahre alt und wird zufällig Zeugin eines Besuchs aus dem Osten, in dem sie die Eltern von Edme erkennt, einem Jungen, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Hierdurch weiß sie, dass Edme bald sterben muss. Der 2.Teil spielt 20 Jahre später. Mehr möchte ich über den Inhalt nicht verraten.

Der Schreibstil ist flüssig zu lesen, und die Geschichte hat mich von Anfang an gepackt. Allerdings habe ich mich etwas über die Figurenzeichnung gewundert. Odile erschien mir seltsam unbeteiligt und emotional kühl, fast gleichgültig. Angesichts Edmes bevorstehenden Todes und ihrer ersten Verliebtheit hätte ich erwartet, dass sie stärker mit dem Schicksal hadert, Edme beschützen möchte und innere Konflikte um ihr Vorwissen eine größere Rolle spielen. Die anderen Figuren wirkten auf mich eher eindimensional und durchschaubar, es fehlten mir Ambivalenz und persönliche Entwicklungen. Generell empfand ich die Atmosphäre als auffällig kühl und empathiearm, was für einen Roman, in dem emotionale Belastung und starke Trauer angesichts eines Schicksalsschlags mit ausschlaggebend sind für eine Besuchserlaubnis in einem anderen Tal, beinahe paradox wirkt.

In welcher Zeit die Handlung spielt, bleibt unklar. Es gibt Strom und Autos, dennoch wirkt die Welt antiquiert, vieles bleibt vage. Telefone oder andere technische Errungenschaften werden nicht erwähnt, die Grenzbefestigung ist spartanisch, höhere Bildung und Universitäten scheint es nicht zu geben, wie Waren und Rohstoffe importiert werden, die im Tal nicht selbst hergestellt oder gewonnen werden, wird nicht erklärt. Die Täler scheinen sich diesbezüglich zu ähneln, Fortschritt ist nicht erkennbar.

Der promovierte Philosoph Howard bietet mit seinem Roman ein philosophisch höchst interessantes Gedankenspiel, das bemüht ist, die üblichen Widersprüche in Zeitreiseromanen zu vermeiden. Da mir Logik und Stringenz sehr wichtig sind, ist dies für mich ein großer Pluspunkt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass Howard hier seiner Leserschaft noch deutlich mehr zutraut. So erfährt man nur oberflächlich von der Arbeit des Conseils und des Archivs, innere Strukturen bleiben unklar, und die Chance einer wirklich tiefgründigen Auseinandersetzung mit den Entscheidungskriterien für oder gegen eine Besuchspetition, der Abwägung von Nutzen und Risiken für den Einzelnen und die Gemeinschaft im Tal, die Ängste der Bevölkerung bei bevorstehenden Besuchen, bleibt ungenutzt. Auch sind die Folgen von Störungen, die durch Besucher aus einem Nachbartal hervorgerufen werden können, bei genauerem Hinsehen deutlich komplexer, als es im Buch zunächst den Anschein hat. Da ich nicht spoilern möchte, ist es schwierig zu beschreiben, worauf ich hinaus möchte. Nur so viel: Wenn ein Besuch aus dem Osten im Tal eine Störung verursacht, d.h. den Fortgang des Lebens in irgendeiner Weise beeinflusst, hat dies Auswirkungen auf die Existenz der Menschen in diesem und allen östlichen Tälern. Mit Voranschreiten der Zeit wird jedoch auch im ersten Tal westlich 20 Jahre später der Zeitpunkt erreicht, zu dem im Ausgangstal die Störung stattgefunden hat (und entsprechend 40/60/80... Jahre später in den noch weiter westlich gelegenen Tälern). Um Kontingenz zu erreichen, müsste nun ein Besuch aus dem Ausgangstal im Westtal dieselbe Störung hervorrufen. Doch was ist, wenn die damalige Störung im Ausgangstal gerade dazu führt, dass der Grund für den auslösenden Besuch nicht mehr gegeben ist, etwa weil der zugrundeliegende Trauerfall hierdurch vermieden wurde? Dass dies dem Autor natürlich bewusst ist, klingt ansatzweise an, als Odile in Teil 2 Zeugin eines Fluchtversuchs wird und Überlegungen über die Konsequenzen für sich anstellt. Leider arbeitet er dies nicht stärker aus. Wendet man diesen Gedanken konsequent im Nachhinein auf das Buch an, erscheint manches in einem anderen Licht.

Mich hat dieses Buch noch lange, nachdem ich es beendet hatte, sehr beschäftigt, insbesondere hinsichtlich der komplexen Zusammenhänge, die sich erst bei gründlichem Durchdenken offenbaren. Bezüglich der Bewertung bin ich hin- und hergerissen. Einerseits hat mich die Idee des Buches wirklich begeistert, dennoch bleibt das Gefühl zurück, dass hier das philosophische Potenzial des Gedankenexperiments nicht weit genug ausgeschöpft wurde.