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haberlei
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Wien
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Begeisterte Leserin von Krimis, Thrillern, Humorvollem, historischen (Frauen-)Romanen, Biografien

Bewertungen

Insgesamt 331 Bewertungen
Bewertung vom 06.02.2023
Neumeyer, Christine

Der Kuss des Kaisers


ausgezeichnet

Kaiser, Klimt und eine kopflose Leiche

„Der Kuss des Kaisers“ von Christine Neumeyer ist ein historischer Krimi aus der Kaiserzeit, mit typisch Wienerischem Lokalkolorit.

Klappentext:
Wien im Herbst 1908. Während der Vorbereitungen zur Präsentation eines neuen Gemäldes von Gustav Klimt in der Modernen Galerie des Schlosses Belvedere – der berühmte „Kuss“ – sorgt ein grausamer Mord für Aufregung. In den Brunnen des Schlossparks wird eine zerstückelte Leiche gefunden – jedoch ohne Kopf. Die Kriminalbeamten Pospischil und Frisch stehen vor schwierigen und heiklen Ermittlungen, denn das Schloss Belvedere ist die Residenz des Thronfolgers Franz Ferdinand. Welches Motiv steckt hinter einer derart brutalen Tat? Wie soll der Tote identifiziert werden – und vor allem: Wo befindet sich der Kopf?

Das Cover wirkt etwas düster. Schemenhaft ist ein Kutscher vor einer Häuserfront zu erkennen. Die eher ungewöhnliche Gestaltung des Einbandes, aus kompakter Pappe, ist mir nicht sonderlich sympathisch. Das Buch liegt etwas schwer in der Hand, zudem stoßen sich die Ecken leicht ab.

Der Schreibstil ist flüssig, die Kapitel sind angenehm kurz und – was ich persönlich stets sehr schätze – datiert, sodass man den Ablauf der Ermittlungen chronologisch exakt nachvollziehen kann. Die historische Atmosphäre kommt einerseits durch bildhafte und detaillierte Schilderungen, wie zum Beispiel des Umzuges anlässlich des Thronjubiläums, ausgezeichnet zum Ausdruck, wie auch dadurch, dass Menschen aus den verschiedenen Milieus im Roman eine Rolle spielen, von Mitgliedern des Kaiserhauses über Adelige und Beamte bis zur armen Putzfrau. Dass die meisten zudem auch noch Wienerisch sprechen, rundet das charmante Alt Wien-Flair stimmig ab. Zudem wird man - auch sehr anschaulich beschrieben - mit der Pracht des Schlosses Belvedere und den dazugehörigen Gartenanlagen, sowie wesentlichen Werken Gustav Klimts vertraut gemacht.

Obwohl es sich nach „Der Offizier der Kaiserin“ um den zweiten Band mit den Ermittlern Pospischil und Frisch handelt, beinhalten beide Bände für sich abgeschlossene Geschichten, sind also voneinander unabhängig problemlos verständlich. Die Handlung setzt genau zehn Jahre später ein, im Jahre des 60-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph und dem Jahr, in dem Klimt das Gemälde „Der Kuss“ vollendete.

Der Kriminalfall ist gut aufgebaut. Perspektiven- und Szenenwechsel gestalten einerseits die Handlung abwechslungsreich, anderseits bieten sie Einblicke in den Alltag der Menschen, ob arm, ob reich. Die Spannung hält sich entsprechend dem Wesen eines Whodunit-Krimis auf konstantem Niveau. Gemeinsam mit den Ermittlern tappt man bis zuletzt im Dunkeln bzw. verfolgt falsche Spuren. Verdächtig sind einige und doch keiner augenscheinlich. Nach und nach verdichten sich die Hinweise und Erkenntnisse, bis der (von mir nicht erwartete) Mörder letztlich überführt wird und seine Motivation zutage tritt. Die Autorin hat sich auch recht gut in die Art und Weise damaliger Polizeiarbeit und deren Möglichkeiten hineinversetzt.

Die agierenden Personen wirken lebendig und authentisch in ihrem jeweiligen Umfeld. Mit dem Kriminalbeamten Pospischil gelang der Autorin ein sehr sympathischer, menschlicher Ermittler, der mit einer ruhigen, einfühlsamen Art und dem richtigen Spürsinn agiert. Sein jüngerer Kollege Frisch verfügt zwar über Hochschulwissen und ist mit den modernen Verfahren vertrauter, wirkt aber noch etwas zu unscheinbar.

„Der Kuss des Kaisers“ war ein Krimi nach meinem Geschmack, der mir mit den liebenswürdigen Charakteren und dem stimmigen historischem Ambiente genussvolle Lesestunden beschert hat. Ich würde mich über weitere Fälle dieses Ermittlerteams sehr freuen.

Bewertung vom 01.02.2023
Hummel, Hedi

Das Lied des Wassers


ausgezeichnet

Alles fließt … alles ist in Bewegung – wie das Wasser, so auch der Lebensweg

„Das Lied des Wassers“ von Hedi Hummel war für mich in erster Linie ein äußerst gefühlvoller Liebesroman, in dem jedoch viel mehr steckt – eben durch die Verflechtung von Richards Lebensweg mit dem vielschichtigen Thema Wasser.

Worum geht es?
Primär wohl um die schicksalshaften Wendungen in Richard Andernachs Leben. Erlebnisse und zwischenmenschliche Beziehungen in der Kindheit und Studentenzeit, Schuldgefühle gegenüber einem Jugendfreund und eine unglückliche Liebe haben ihn geprägt, zu einem distanzierten Einzelgänger und Workaholic werden lassen. Bis ein kleines Büchlein über Wasser sein Leben verändert.

Bereits das Cover hat mich angesprochen. Das grüne Blatt mit den glänzenden Wassertropfen unterstreicht harmonisch den Titel. Das Buch erschien 2022, die Handlung spielt 2019, mit Rückblenden in die Vergangenheit, die sich durch die kursive Schrift optisch sehr gut hervorheben. Die Kapitel haben eine angenehme Länge.

Kaum hat man zu lesen begonnen, ist man gefangen von dem wunderbaren Schreibstil. Ich liebe Bücher, die ein Sprachkunstwerk darstellen. Und dieses Buch ist in meinen Augen eines. So voller Poesie. Detailreich und bildhaft, dabei aber nie langatmig. Stimmungen sind so atmosphärisch geschildert, dass der Funke überspringt und man in diese Gefühle –ob tiefempfundene Liebe, Zweifel, Verwirrung, Sehnsucht oder Trauer – mit hineingezogen wird. Man erfährt, was sie denken, was sie empfinden, und fühlt mit den Romanfiguren, kann sich in sie hineinversetzen, auch wenn man selber vielleicht anders reagieren würde.

Im Mittelpunkt steht Richard Andernach, der Börsenexperte, ein einsamer Wolf, dessen Leben sich nur um die Arbeit dreht. Die Rückblenden auf seine Vergangenheit offenbaren Richards Schuldgefühle. Einerseits hinsichtlich Paul, seinem Freund in der Kindheit, der plötzlich verschwand, und um den Richard sich zu wenig gekümmert hat, als dieser ihn brauchte. Andererseits hinsichtlich Gabriele, der Geliebten während der Studentenzeit, mit der ihn eine innige Liebe verband, die jedoch ebenfalls durch sein Fehlverhalten in Brüche ging. Beides hat Richards Leben geprägt. Er hat einen seelischen Schutzwall um sich errichtet, um nicht mehr verletzt zu werden. Nur bei seiner Arbeit fühlt er sich sicher. Das ist sein Metier. Er wahrt Distanz zu anderen Menschen. Bis er sich mit dem Thema Wasser zu beschäftigen beginnt.

Womit ich bei dem Kernthema des Romans gelandet wäre. Wasser gab dem Buch den Titel. Was es mit dem „Lied des Wassers“ auf sich hat, beginnt man im Laufe der Lektüre zu verstehen. Wasser, vom plätschernden Wildbach bis zum verunreinigten, gekippten See, zieht sich parallel zu der Liebesgeschichte, den Charakterbildern, in allen möglichen Varianten als roter Faden durch den Roman. Die Autorin hat akribisch recherchiert, geht sehr überzeugend auf alle möglichen chemischen Reaktionen und physikalischen Eigenschaften des Wassers ein, zitiert Forschungserkenntnisse und streift auch Umwelt- und esoterische Themen. Wissenserweiternd und interessant, fast wie ein Sachbuch. Ich war erstaunt, wie viele Aspekte hier relevant waren. Dieser Exkurs in die Wissenschaft wird gut dosiert serviert, stets von Richards Gedanken und Aktionen durchbrochen. Was die Umweltaktion am Ende, die Wasserreinigung, anbelangt, fühlte ich mich weniger vom technischen Verständnis her angesprochen als davon, wie das Aufeinandertreffen dieser drei Menschen sie verändert, wie sie ihre neuen Ziele erkennen, wie sich alles klärt und zum Guten wendet.

Die Entwicklung der drei Personen – von Richard, Paul und Gabriele – war für mich die vorrangige Thematik des Romans, die Wendungen, die ihr Schicksal nimmt. Die Charaktere sind facettenreich dargestellt, sie entwickeln sich, sie wirken unheimlich lebendig, sehr emotional in allen Schattierungen, haben Ecken und Kanten, begehen Fehler, agieren manchmal zu impulsiv und lassen sich zu unbedachten Handlungen hinreißen, aber sie lernen daraus, finden zu sich selbst, lernen loszulassen und ihren eigenen Weg zu finden.

„Das Lied des Wassers“ ist kein Roman, den man so einem Zug ausliest. Nicht, weil er nicht packend ist, sondern weil man animiert wird, eigenen Gedanken nachzuhängen. Übers eigene Leben, den Weg, den man selber einschlug – und last but not least auch über die Bedeutung des Wassers, für die Menschheit generell und für einen selber. Welch wertvolles Gut es darstellt und wie privilegiert wir hier in Europa sind.

Für mich war es ein Buch, das im Gedächtnis haften bleibt. Ich habe vor allem die poetischen Stellen geliebt, bin versunken in diese von wunderbaren Bildern geprägte Erzählkunst und Sprache. Ich spürte die Schönheit der Natur ebenso wie die Emotionen der Protagonisten in all ihren Schattierungen.

Eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 27.01.2023
Henn, Carsten Sebastian

Ein Schuss Whiskey / Kulinarische Kriminalromane Bd.3


sehr gut

Dubliner Flair, viel Whiskey-Wissen und ein bisschen Spannung

„Ein Schuss Whiskey“ von Carsten Sebastian Henn ist ein interessantes Konglomerat aus Whiskey-Seminar, Dublin-Reiseführer und Krimi für literarisch Anspruchsvolle.

Worum geht es?
Janus, ein deutscher Krimiautor, den es der Inspiration wegen nach Dublin, die Stadt der großen irischen Literaten, verschlagen hat, wird nach einer ausgiebigen Zechtour Zeuge eines Mordes. Rätselhafterweise taucht nirgends eine Leiche auf. Es lässt ihm keine Ruhe und gemeinsam mit seiner Mitbewohnerin Tessa beginnt er zu recherchieren. Sie stoßen auf die seltsame „Drunken Poets Society“. Bald erkennen sie: Whiskey spielt eine wesentliche Rolle.

Das Buch ist nach „Der Gin des Lebens“ und „Rum oder Ehre“ der dritte Teil der Trilogie über Hochprozentiges. Jeder dieser Romane ist in sich abgeschlossen, mit anderen Protagonisten. Für mich war es der erste Krimi des Autors; ich kannte bislang nur „Der Buchspazierer“, eines meiner Lieblingsbücher. Leider konnte mich dieser Whiskey-Krimi nicht genauso begeistern.

Der erste Eindruck, wenn man das Buch zur Hand nimmt, ist beeindruckend. Es fühlt sich sehr angenehm an, ist speziell durch den erhabenen Druck von Titel und Autorennamen. Das Foto stimmt auf die Thematik wunderbar ein. Die im Innenumschlag befindlichen Karten von Irland und Dublin mit den Standorten der Destillerien geben einen ausgezeichneten Ein- und Überblick in die Bedeutung der Whiskey-Produktion bzw. die Aktionsorte der Handlung.

Der Schreibstil ist flüssig, die Kapitel haben eine angenehme Länge. Sogar die Überschriften der Kapitel – Zitate bedeutender Persönlichkeiten zum Thema Whiskey – unterstreichen das Hauptthema dieses Buches, nämlich Whiskey. Die Krimihandlung wird mehrmals (optisch markant auf grauem Hintergrund gedruckt) mit Auszügen aus der Homepage der „Drunken Poets Society“ unterbrochen, die umfassende Information über die Geschichte von Whiskey, dessen Herstellung, Rezepte für Cocktails und Speisen u.a. bieten. Es wird quasi ein Whiskey-Seminar mitgeliefert.

Sehr atmosphärisch sind die Beschreibungen des Autors der irischen Lebensweise, der Stimmung in den Pubs und der diversen Sehenswürdigkeiten Dublins und der Umgebung. Die Profession des Autors als Restaurantkritiker und Weinjournalist verdeutlicht sich immer wieder in blumig beschriebenen Geschmacksnuancen des Whiskeys.

Auch der literarische Aspekt gehört zu Dublin, der „Stadt der trinkenden Dichter und dichtenden Trinker“, unweigerlich dazu. Kenner der irischen Literaturszene finden die Krimihandlung infolge der verwobenen Zitate und Hinweise auf diverse Werke sicher reizvoller als ich, die da nicht beschlagen ist.

Die verschiedenen Handlungsebenen bzw. Perspektiven dienen der Abwechslung, doch der Roman im Roman und das Audiotagebuch des Mörders, wodurch man dessen Gedanken erfährt, verwirren anfangs, weil sich der rote Faden der Story erst später offenbart. Dadurch kam ich nicht mit Anhieb in die Geschichte hinein. Letztlich entwickelte sich durch einen Wettlauf gegen die Zeit und einen spektakulären Showdown doch noch Spannung.

Im Mittelpunkt steht eigentlich Janus, der unter einer Schreibblockade leidende Autor. Mein Problem war, dass ich mit ihm und Tessa, seiner Mitbewohnerin, nicht richtig warm wurde. Sie waren sympathisch, aber emotionell farblos gezeichnet. Dass sie in einander verliebt sind, war kaum zu spüren. Ich habe Janus auch nicht wirklich abgenommen, dass er all diese Handlungen setzt, was Mut und Verwandlungsfähigkeit anbelangt. Die „Drunken Poets Society“, die sich aus sehr unterschiedlichen urigen Typen zusammensetzt, ist recht anschaulich und gut vorstellbar beschrieben.

Bei „Ein Schuss Whiskey“ genoss ich vor allem das Irland-Flair - meine Lust hinzureisen, wurde neuerlich entfacht; ich fand das umfassende Wissen rund um Whiskey beeindruckend und lehrreich, vermisste allerdings anfangs Spannung und konnte mich generell mit den Protagonisten nicht richtig anfreunden. Nichtsdestotrotz ist das Buch infolge der skurril anmutenden Handlung und dem sachbuchartigen Schwerpunkt ein Krimi der besonderen Art, der vor allem Irlandfans und Whiskeykenner beglücken wird.

Bewertung vom 21.01.2023
Mittmann, Markus

Wodka mit Grasgeschmack


ausgezeichnet

Keine schwere Zeit ist vorbei, nur weil sie vergangen ist. (Zitat S. 233)

„Wodka mit Grasgeschmack“ von Markus Wittmann ist – was man aufgrund des Titels wohl nicht vermuten würde – ein Buch, das zum Nachdenken anregt, trotz Tiefe Humorvolles in sich trägt. Für mich entpuppte sich der Roman als das erste Lese-Highlight des Jahres.

Worum geht es?
Zwei Söhne fahren mit ihren Eltern, die nach dem Ersten Weltkrieg aus Schlesien vertrieben wurden, nach Polen, um deren Heimatorte zu besuchen. Viele schmerzhafte Erinnerungen kommen hoch, und die Söhne erfahren Erlebnisse der Eltern, von denen diese noch nie erzählt haben.

Das Cover ist ansprechend, wirkt frisch und fröhlich. Man würde nie vermuten, welche Ernsthaftigkeit sich dahinter verbirgt. Wobei der Klappentext schon mehr erahnen lässt. Das Buch erschien 2019 und spielt in der nicht näher datierten Gegenwart. Die Kapitel sind angenehm kurz gehalten, mit Überschriften versehen, nicht nur passend zum Inhalt, sondern auch den poetischen Schreibstil unterstreichend. Zwei Komponenten machen diesen Roman zu etwas ganz Besonderem: die bildhafte Erzählweise des Autors und die Thematik, die einen einfach berührt und nachdenklich stimmt.

Markus Wittmann verfügt über eine phänomenale Beobachtungsgabe, einen ausgezeichneten Blick für Details und beschreibt sehr poetisch und atmosphärisch. In einzigartiger Weise verbindet er bei dieser ungewöhnlichen Fahrt die alltäglichen Reiseeindrücke mit den nach und nach aufkommenden Erinnerungsfetzen der Eltern. Da ist einerseits die Leichtigkeit, die Banalität der Vorkommnisse, die bei einem Ausflug, einem Urlaubsaufenthalt geschehen – man sagt Belanglosigkeiten, tankt, geht essen, probiert landläufige Kost, besichtigt Sehenswürdigkeiten, erfährt so manches über die schlesische Kultur, und andererseits tauchen aus dem Unterbewusstsein des Elternpaares erschütternde, grauenhafte und beklemmende Szenen auf, die wiederum zu tiefgründigen Überlegungen führen, inwieweit das Erlebte auch die Nachkommen prägt.

Anfangs irritierten mich die Zeitsprünge ein wenig. Bis ich erkannte, wie authentisch diese Szenen sind. Auch in der Realität vermischen sich die Eindrücke der Gegenwart, wenn man z.B. während einer Autofahrt aus dem Fenster blickt, mit den Gedanken, denen man nachhängt. Nach wenigen Seiten hat man das Gefühl, mit in diesem VW Beetle zu sitzen, so lebensnah und lebendig sind die Schilderungen. Unwahrscheinlich detailreich und gefühlsstark. Als der Protagonist einen Keks kostete, meinte ich, selber zu spüren, wie zart und köstlich dieser schmeckte. Und das ist nur eine von zahlreichen Stellen in diesem Buch. Es schwingt auch stets ein wenig Tristesse mit hinein, die Trauer um Vergängliches. Das wird sichtbar an zerstörten Städten, die zwar wieder hergestellt wurden, aber deren seinerzeitige Pracht dennoch verloren ging.

Je näher die Familie dem Ziel kommt, desto fühlbarer werden die Emotionen, von denen sie gerüttelt werden. Alles fließt ineinander. Es ist nie zu traurig. Es wechseln erschütternde Szenen, die Gänsehaut verursachen, mit Szenen der Gegenwart, mit Szenen, die Hoffnung aufkeimen lassen, wo Menschlichkeit zutage tritt. Der gastfreundliche Empfang der jetzigen Bewohner des seinerzeitigen Elternhauses des Vaters gab dem Buch auch den Titel „Wodka mit Grasgeschmack“. Unzählige Sätze haben mich beeindruckt. Aber DER Kernsatz für mich war: «Es gibt keine Nationalitäten! Es gibt nur Menschen und einen Himmel über diesen Menschen».

Die Charaktere sind in ihrer Verschiedenheit sehr gut dargestellt. Vater und Mutter reagieren ganz unterschiedlich auf die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit. Der Vater wesentlich emotioneller als die Mutter, deren Überlebensstrategie es war, stets nur nach vorne zu blicken. Bei beiden kommen Erinnerungen hoch, die sie jahrzehntelang verdrängt hatten. Es ist eine schmerzhafte Reise. Verlorenes Glück der Kindheit, Grauen der Flucht, unmenschliche Behandlung, Hunger, Armut, Kälte. Wie die Eltern, so gehen auch die Söhne mit der Situation anders um. Während der eine mit schnoddrigen Bemerkungen den Coolen mimt, stellt der zweite Fragen, beobachtet die Reaktionen seiner Eltern genau und versucht, sich das Gesehene einzuprägen. Er erkennt, dass die Erlebnisse der Vorfahren sich auf die Nachkommen auswirken, dass es wichtig ist, seine Wurzeln zu kennen. Demgemäß bindet er nach der Reise auch seinen Sohn in die Recherchen über die Vergangenheit mit ein.

„Wodka mit Grasgeschmack“ hat mich von Anfang an gepackt, schon allein der Erzählstil hat mich so sehr begeistert. Je mehr ich las, desto faszinierter war ich von der Art und Weise, wie diese doch traurige Thematik mit Leichtigkeit und Humor verpackt wurde.

Eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 09.01.2023
Verano, Daniel

Canaria Mortal


gut

Auflösung folgt ...

„Canaria Mortal“ von Daniel Verano ist der Auftakt für eine auf Gran Canaria spielende Krimireihe.

Klappentext:
Felix Faber hat genug von Deutschland. Er wandert nach Gran Canaria aus und heuert bei einer aufstrebenden Zeitung in Las Palmas an. Sein Start verläuft vielversprechend. Als kurze Zeit später auf dem Roque Nublo, einem der höchsten Berge der Insel, eine Leiche gefunden wird, stellt Faber eigene Ermittlungen an. Dabei bekommt er es nicht nur mit der taffen Ermittlerin Ana Montero zu tun, sondern lernt auch die dunklen Seiten der Touristeninsel kennen.

Der erste Eindruck ist das Cover, eine wunderschöne südliche Abendstimmung, sehr ansprechend, ein Eyecatcher. Der Schreibstil liest sich flüssig, diverse spanische Ausdrücke unterstreichen die Region. Allerdings vermisste ich ein Glossar mit jeweiliger Übersetzung; nicht alles ist für jemanden, der die Sprache nicht spricht, wirklich eindeutig verständlich. Das Buch gliedert sich in vier Teile und rund 50 angenehm kurze Kapitel. Hinsichtlich des Layouts fand ich es eigenartig, dass die Titelseiten der vier Abschnitte links, also auf der Blattrückseite gedruckt sind. Das Buch erschien 2022. Die Handlung spielt in der nicht näher bestimmten Gegenwart.

Obwohl sich der Autor zahlreicher Spannungselemente bedient – mehrere Handlungsstränge sorgen für Komplexität, Szenen- und Perspektivenwechsel und immer wieder eingesetzte Cliffhanger machen neugierig, mysteriöse Vorgänge und mehrere Verdächtige animieren zum Miträtseln – entwickelt sich die Handlung eher zäh, die Spannung steigert sich erst im letzten Drittel des Romans und selbst da prickelte es für mich nicht richtig. Mir fehlte Atmosphäre, Dramatik, die Protagonisten geraten nicht in wirklich brenzlige Situationen. Der Erzählstil ist eher nüchtern, wenig emotionell. Aber meisten irritierte mich das Ende. Denn meiner Meinung nach sollten auch bei einer Krimireihe die einzelnen Bände für sich abgeschlossen sein, der jeweilige Fall schlüssig gelöst sein. Durchwegs akzeptabel erscheint mir noch, dass die Jagd nach dem Hintermann, nach demjenigen, der die kriminellen Fäden zieht, sich auf Folgebände weiterzieht, aber ein Ende, wonach der im Zentrum der Ermittlungen stehende Mordfall nicht eindeutig gelöst und der tatsächliche Mörder nicht gefasst wird, lässt jedenfalls mich als Leserin unbefriedigt zurück.

Was die Charaktere anbelangt, so empfand ich es eher nur als ein oberflächliches Kennenlernen, ich vermisste noch Facetten und fühlbare Emotionen. Hier liegt noch reichlich Entwicklungspotential für Folgebände. Der im Mittelpunkt der Handlung stehende Journalist Felix Faber wirkte auf mich zu farblos, keineswegs wie ein tatkräftiger, wagemutiger Mensch. Sein Auftreten empfand ich vielfach als zu zaghaft, zu wenig selbstbewusst. Im krassen Gegensatz zu seinem laienhaften Gehabe stehen seine Spionageaktionen. Nervenstärke wie die eines Profis, unter Zeitdruck nach Passwörtern zu suchen und fremde PCs zu knacken, traute ich ihm einfach nicht zu. Die Kommissarin neigt wiederum zu unvorsichtigen Alleingängen und dienstlichen Überschreitungen, was mir ebenfalls nicht sehr realistisch erschien.

Am eindrucksvollsten fand ich das Urlaubsfeeling, das durch Schilderungen von Strand und Meer, Sonnenschein und kulinarische Genüsse vermittelt wird. Man bekommt richtig Reiselust.

„Canaria Mortal“ hat mich leider etwas enttäuscht, sowohl von der Spannung her als auch hinsichtlich der Protagonisten, mit denen ich nicht richtig warm wurde. Insbesondere störte mich, dass der Roman nicht in sich abgeschlossen ist, viele Fragen offen blieben.

Bewertung vom 05.01.2023
Mona Frick

Letztes Heimspiel


ausgezeichnet

Tod im Fußballstadion

„Letztes Heimspiel“ von Mona Frick ist der zweite Band der Kurzkrimi-Reihe rund um Oberkommissar Schäfer.

Worum geht es?
Und wieder findet ausgerechnet das Ehepaar Bromstetter eine Leiche. Im Fußballstadion. Oberkommissar Schäfer und sein Kollege Florian stoßen bei den Ermittlungen auf Hooligans und einen Bundesliga-Skandal aus den Siebzigern.

Ich stieg seinerzeit bei einer Leserunde mit Band 7 in die Serie ein, habe seither alle Folgebände gelesen, und vor kurzem begonnen, die Vorgängerbände nachzulesen.

Es ist ein nur knapp 80 Seiten umfassender Kurzkrimi. Der brennende Fußball am Cover passt stimmig zum Titel. Die Geschichte ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Das Buch erschien erstmals bereits 2013, spielt in der nicht näher bestimmten Gegenwart.

Die Handlung knüpft an jene des ersten Bandes an. Dem Kriminalfall kann man selbstverständlich ohne Vorkenntnis problemlos folgen, dennoch sind einige Hinweise, die sich auf die erste Begegnung von Bromstetter und Schäfer beziehen, verständlicher, kennt man die Vorgeschichte. Zudem verfügt man dann auch über zusätzliche Informationen zu den Protagonisten.

Der Schreibstil ist flüssig, der schwäbische Dialekt des Oberkommissars bringt einen humorvollen Touch in die Handlung. Die Autorin vermag mit kurzen und prägnanten Worten nicht nur bildhafte Beschreibungen von Personen, sondern auch von Stimmungen zu vermitteln: ob es die aufgeheizte Atmosphäre der Hooligans beim Fußballmatch ist, oder das panische Tohuwabohu, das durch einen Feueralarm im Hotel entsteht. Für tiefgehende Charaktere bleibt in einem Kurzkrimi zu wenig Raum. Dennoch sind Wesenszüge und Eigenarten erkennbar bzw. auch die Motivation der Täter.

Die Szenen- und Perspektivenwechsel zwischen Ermittlungsarbeit und Tätersicht gestalten die Handlung abwechslungsreich, vermitteln Spannung und geben Einblick in die Hintergründe der Tat.

Diese Reihe ist ideal für zwischendurch, für unterwegs oder bei längerer Wartezeit. Es sind Wohlfühlkrimis mit sympathischen Protagonisten, humorvoll und spannend zugleich.

Bewertung vom 03.01.2023
Summer, Drea

Der Nordseeritzer


ausgezeichnet

Gedankenwelt von Mördern

„Der Nordseeritzer“ von Drea Summer ist ein packender Krimi, der vielversprechende Auftakt zu einer neuen Sylt-Krimi-Reihe.

Worum geht es?
Kriminalkommissar Jan Graf wird Augenzeuge, wie ein Mann von einer Klippe springt, unter mysteriösen Umständen und wie es scheint, nicht freiwillig. Im Zuge der Ermittlungen stoßen er und seine Partnerin Kriminalkommissarin Stefanie Teufel auf einen Kindermörder, den Nordseeritzer, der kürzlich aus jahrzehntelanger Haft entlassen wurde. Es besteht zu befürchten, dass er weitere Kinder tötet. Aber die beiden müssen sich noch mit weiteren Vorfällen auf Sylt beschäftigen.

Bereits das Cover stimmt auf die Geschehnisse ein – ein bedrohliches Messer blitzt aus Düsternis hervor, darunter der Sandstrand von Sylt. Der Schreibstil ist flüssig, bildhaft und die Autorin versteht es meisterlich, Atmosphäre zu vermitteln. Die Kapitel sind kurz, mit Orts- und Zeitangaben übertitelt. Das Buch erschien 2022. Die Handlung spielt in der Gegenwart, vermutlich im Sommer 2021. Corona wird nicht erwähnt.

Dadurch, dass mehrere Handlungsstränge parallel laufen, durch stetige Szenen- und Perspektivenwechsel und einige Rückblenden ist die Handlung sehr abwechslungs- und temporeich. Zudem enden zahlreiche Kapitel mit einem Cliffhanger, was die Spannung noch zusätzlich befeuert. Man ist sofort mitten im Geschehen, mitten in den Ermittlungen, aber auch im Kopf der Täter. Beobachtet einen Auftragskiller bei seinen Vorbereitungen und bei der Ausführung seiner Taten, ebenso ist man bezüglich der Vorhaben des entlassenen, angeblich geheilten Kindermörders alarmiert. Die Mörderjagd gestaltet sich zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Es überstürzen sich die Ereignisse, immer wieder wird man von unerwarteten Wendungen überrascht. Und man will das Buch gar nicht mehr zur Seite legen. Pure Spannung von der ersten bis zur letzten Seite. Ein kompliziert angelegter Plot, zahlreiche anscheinend unabhängige Vorfälle, die sich ineinander verknoten und die sich letztlich schlüssig voneinander lösen. Mir gefiel generell der positive, happy-mäßige Ausklang.

Das Ermittlerpaar sowie deren Kollegen sind sehr sympathisch und gut vorstellbar gezeichnet. Es herrscht eine wohltuende positive und harmonische Atmosphäre im Team. Steffi und Jan sind ein eingespieltes Team, dienstlich. Sie können sich aufeinander verlassen, ergänzen einander und haben auch Spaß zusammen, können miteinander lachen. Ob sich darüber hinaus etwas ergeben könnte, wird wohl die Zukunft zeigen, liegt irgendwie in der Luft. Ebenso wird wohl in den Folgebänden noch etwas mehr über ihre familiären Verhältnisse und ihr Vorleben zutage kommen. Vorerst war es nur ein Kennenlernen. Den Protagonisten blieb in diesen Tagen auch kaum Zeit für ein Privatleben.

Der Haupttenor lag auf den Charakterbildern der Täter. In ebenso bewundernswerter wie erschreckender Art und Weise konnte sich die Autorin in die Gedankenwelt dieser psychisch gestörten Menschen versetzen, deren mehr oder weniger vorhandenen Emotionen einfangen, so manches Gruseln und Gänsehautfeeling dem Leser vermitteln.

„Der Nordseeritzer“ ist ein Pageturner, ein Buch, das man in einem Zug auslesen möchte. Es war dies mein erstes Buch von Drea Summer und wird definitiv nicht mein letztes sein. Vor allem möchte ich unbedingt diese Reihe weiterverfolgen. Das letzte Kapitel hat ja meine Neugier auf Band 2 geweckt.
5 Sterne! Eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 31.12.2022
Neukirchen, Dorothea

Leben Lieben Erben


sehr gut

Eine moderne junge Frau in den 80er-Jahren

„Leben lieben erben“ von Dorothea Neukirchen ist ein Roman, der Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre in Westdeutschland spielt, im Mittelpunkt steht eine junge, strebsame, modern denkende junge Frau.

Klappentext:
1979. Alix steht kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag, als ihre Erbtante stirbt. Altes Familienmisstrauen führt zu neuen Komplikationen, während Alix im männlich dominierten Fernsehsender um ihr Überleben als Filmemacherin kämpft.
Ein Glück, dass Didi, ihre große Liebe, hinter ihr steht ..

Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Die jeweiligen Handlungsorte und Personen sind gut vorstellbar. Die Kapitel sind kurz gehalten, mit Überschriften versehen, mit einem Stichwort zum kommenden Inhalt. Die chronologischen Ereignisse werden immer wieder durch Alix‘ Erinnerungen unterbrochen, was den Handlungsablauf abwechslungsreich gestaltet und Einblick in ihre Kindheit und Jugend gibt.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Alix, die berufliche Anerkennung sucht, sich durch den Tod ihrer Tante nicht nur mit Erbschaftsangelegenheit herumschlagen muss, sondern sich auch mit ihrer Familiengeschichte und ihren Wurzeln auseinandersetzt. Und immer wieder an Grenzen stößt. An die Vorherrschaft der Männerwelt. An juristische Finessen. An Tabuthemen. Und das Jahr 1980 bietet ihr nicht nur berufliche Chancen, sondern stellt generell einen persönlichen Wendepunkt dar. Sie feiert den 30. Geburtstag und heiratet.

Die handelnden Personen sind anschaulich charakterisiert, wirken lebendig, emotionell und authentisch. Die divergierende Denkungsweise der älteren zur jüngeren Generation ist deutlich zu erkennen. Insbesondere wandelt sich das Frauenbild zusehends. Aus der während der Kriegszeit mehr oder weniger erzwungenen Berufstätigkeit der Frauen, als die Männer im Krieg waren, und dem darauf folgenden Rückzug wiederum zur Frau am Herd, als die Männer heimgekehrt waren, bildete sich zusehends der Wunsch der Frauen nach Eigenständigkeit und Berufstätigkeit, sogar Karriere. Die modernen Frauen sehen ihre Arbeit nicht mehr als bloßen Übergang bis zur Heirat und Mutterschaft. Selbst wenn sie in ihrem Beruf erfolgreich sind, werden sie vielfach aber noch immer primär als die Ehefrau von XY wahrgenommen. Vor allem auch beruflich muss Alex erkennen: „Männer steigen im Wert, wenn sie sich durchsetzen. Aber von Frauen wird erwartet, dass sie pflegeleicht sind.“

Rund um Alix‘ Leben, ihre Liebe und ihr Erbe - Erbe nicht nur als finanzielle Hinterlassenschaft gesehen, sondern auch als Erbgut, als Bedeutung, die die eigenen Wurzeln für einen haben -, steckt sehr viel Zeitgeist in den Zeilen, aus den 80er-Jahren wie auch aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Denn Alix beschäftigt sich u.a. auch mit der Geschichte ihrer Vorfahren, soweit sich die ältere Generation diesbezüglich öffnet. Über vieles wird nach wie vor der Mantel des Schweigens gebreitet, abgeblockt.

Alix, Jahrgang 1950, ist nur ein paar Jahre älter als ich, sodass die geschilderte Zeitspanne viele Erinnerungen in mir weckte, ich so manche Parallele erkannte. Damals kämpften die Frauen für ihr Recht auf Abtreibung – wie erschreckend, dass ihnen dieses Recht in etlichen Ländern im 21. Jahrhundert wieder abgesprochen wird! Wie augenscheinlich wird einem der technische Fortschritt in diesen wenigen Jahrzehnten, wenn man liest, wie verzweifelt Alix eine Telefonzelle sucht, um zu informieren, dass ihr Zug Verspätung hat, dass Überseetelefonate schwierig zu führen sind, es noch VHS-Kassetten gibt und Farbfernseher neu herauskamen.

Das Buch thematisiert zwar die Frauenrolle, Männervorherrschaft und Emanzipationsbestrebungen von vor rund 40 Jahren. Letztlich fragt man sich als LeserIn, inwieweit sich das seither weiterentwickelt bzw. wirklich verbessert hat. Da ist noch einige Luft nach oben. Es spielen einige andere Themen mit hinein in diese Lektüre. Bedingt durch Alix‘ Filmprojekt über Sokrates einiges an philosophischen Gedanken, u.v.a.m.

„Leben lieben erben“ ist ein Buch, das nicht durch prickelnde Spannung oder erschütternde Familientragödien punktet, sondern durch das breite Spektrum an Stoff zum Nachdenken, zum Reflektieren über das eigene Leben. Es ist, wie es scheint, der Auftakt für weitere Romane über Alix und ihr Leben, das ich gerne weiterverfolgen möchte.

Bewertung vom 29.12.2022
Ruhrhofer, Norbert

Mordsradau in Bad Vöslau


sehr gut

Maklermassaker

„Mordsradau in Bad Vöslau“ von Norbert Ruhrhofer ist ein Wohlfühlkrimi mit typisch österreichischem Flair.

Worum geht es?
Zwei Makler verunglücken unter mysteriösen Umständen. Für die Polizei handelt es sich um Unfälle, was der Obmann des Immobilienverbands bezweifelt. Er ersucht das Ehepaar Pokorny um private Ermittlung. Und es bleibt nicht bei zwei Toten …

Das Buch erschien 2022 und ist der zweite Band mit den Pokornys als Ermittler-Duo. Für den Fall selbst ist es nicht erforderlich, den ersten Band gelesen zu haben. Dennoch fehlte mir der Beginn des roten Fadens, wie es überhaupt dazu kam, dass die beiden zu ermitteln begannen. Daher mein Rat, die Reihe mit Band 1 (Mord in Bad Vöslau) zu starten.

Der Schreibstil ist flüssig, sprachlich sehr authentisch durch typisch österreichische Ausdrücke. Die Kapitel sind datiert; pro Tag ein Kapitel, wobei sich die Ermittlungen über einen Zeitraum von zwölf Tagen erstrecken. Die Handlung spielt knapp vor Weihnachten im Jahr 2020, Covid19 wird nicht erwähnt. Mir persönlich gefällt es immer sehr, wenn eine Personenliste vorhanden ist, so gewinnt man auch als Neueinsteiger leichter einen Überblick über die Haupt- und Nebenfiguren. Ein Glossar wäre wohl für Nichtösterreicher hilfreich. Der kräftige Lilaton des Covers ist ein Eye-Catcher. Den Bezug der abgebildeten Lärchen- oder Kiefernadeln zum Inhalt des Buches konnte ich nicht nachvollziehen.

Der Krimi besticht durch sehr viel Lokalkolorit, nicht nur durch sehr anschauliche Beschreibungen von Bad Vöslau und diverser Orte im Umfeld, von Sehenswürdigkeiten und Landschaft, sondern insbesondere durch die in den dortigen Kaffeehäusern und Restaurants angebotenen kulinarischen Köstlichkeiten.

Die Spannung steigert sich sehr gemächlich, wird wie bei jedem typischen Whodunit-Krimi vorrangig dadurch genährt, dass man das Motiv für die Morde wissen möchte, und wer der Täter ist. Die Immobilien-Thematik ist eine etwas trockene, nicht sehr fesselnde. Die Recherchen laufen zäh, tappen alle doch lange im Dunkeln, bis so nach und nach immer mehr Machenschaften der Makler zutage kommen, mehrere Verdächtige ins Visier genommen werden. Erst gegen Ende verdichten sich die Beweise. In einem dramatischen Finale klärt sich schließlich alles schlüssig und der Täter wird mit Hilfe der Pokornys gefasst.

Im Mittelpunkt steht das doch sehr verschieden wirkende und doch harmonisch zusammen lebende Ehepaar Pokorny – die sportliche, kalorienbewusste und technisch versierte Toni und der eher bequeme, moderner Technik nicht sehr aufgeschlossene und etwas behäbige Genussmensch Willi. Deren Alltag begleitet man als stiller Beobachter, gut dosiert die privaten Stunden ebenso wie ihre Recherchen, wobei beides vielfach ineinander übergeht, beziehen sie ihre Informationen doch vielfach aus Gerüchten, Plauderei beim Kaffeetrinken und vom Hörensagen – Quellen, die der Polizei üblicherweise verschlossen bleiben. Durch die Freundschaft mit Gruppeninspektor Sprengnagl erfolgt ein stetiger inoffizieller Informationsaustausch mit der Polizei. Unterhaltsam ist immer wieder der Schlagabtausch mit der den Fall offiziell bearbeitenden Kriminalbeamtin, Chefinspektorin Wehli. Wenn die Pokornys wieder einmal die Nase vorne haben, schmunzelt man als Leser zufrieden. Wie bereits erwähnt, ich glaube, dass sich mir die Charaktere noch besser erschlossen hätten, hätte ich die Basis ihrer Beziehungen zueinander aus Band 1 gekannt.

Als Wienerin habe ich mich von der ersten Seite an richtig heimisch gefühlt, sowohl sprachlich als auch kulinarisch. Die Protagonisten sind sympathisch, teils urig ge- bzw. überzeichnet. „Mordsradau in Bad Vöslau“ ist eine gute Mixtur aus Spannung und lockerer Unterhaltung. Ich bin schon neugierig, in welche Mordfälle die Pokornys noch verwickelt werden!

Bewertung vom 23.12.2022
Silber, Eva-Maria

Moorgrab


sehr gut

Mordopfer im Moor - doch kein perfektes Verbrechen

„Moorgrab“ von Eva-Maria Silber ist der Auftakt zu einer neuen Serie, der erste Fall für das Cold Case Ermittlerduo Montag und Effi Lu.

Worum geht es?
Ein Fußgänger entdeckt im Moor die Hand eines darin versunkenen Menschen. Offensichtlich hat er im Moor etwas gesucht, wagte sich zu weit hinein und kam um. Wusste er von jenen fünf Moorleichen am Grund des Tümpels, auf die die Polizei nun stößt? Fünf Tote in zwei Autos, die sich bereits seit Jahrzehnten dort befanden? Ein Fall für das neu gegründete Cold Case Team.

Der Schreibstil liest sich flüssig, die Kapitel sind kurz, ohne Orts- oder Zeitangaben. Die Ermittlungen erstrecken sich ungefähr über eine Woche; ich hätte es geschätzt, wenigstens eine Wochentagangabe am Kapitelbeginn zu haben, um chronologisch die Übersicht zu behalten.

Das Buch erschien 2022, die Handlung spielt im Sommer 2020, Corona bleibt unerwähnt. Die Handlung spielt in Mardorf, Region Hannover, Niedersachsen. Bereits das Cover vermittelt sehr anschaulich die düstere, etwas bedrohliche Moorlandschaft, den Fundort der Leichen – es ist ein recht gruseliges Umfeld.

Die Spannung hält sich über den gesamten Krimi auf gutem Niveau. Sowohl die Szenen- als auch Perspektivenwechsel gestalten die Handlung abwechslungs- und temporeich. Immer wieder enden die Kapitel mit einem Cliffhanger, was faktisch zum Weiterlesen zwingt. Im actionreichen, allerdings für meine Begriffe etwas unrealistischen Finale klären sich sowohl der aktuelle als auch die Jahrzehnte zurückliegenden Morde. Obwohl ich irgendwann zu ahnen begann, wer der Täter war, so barg dennoch die detaillierte Auflösung Überraschendes.

Die Thematik Moorleichen war außergewöhnlich und in punkto Beschreibung der Leichen und der Ermittlungsarbeit nicht nur schaurig, sondern sehr beeindruckend und aufschlussreich. Das ist eine der Komponenten, die ich an Cold Case Krimis so interessant finde: was man mit heutigen technischen Möglichkeiten alles – in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes - ans Tageslicht bringen kann.

Die Charaktere wirken lebendig und sind optisch gut vorstellbar. Meine Sympathie galt vor allem der bescheiden und still im Hintergrund agierenden, sehr gescheiten Effi Lu, einer Deutschen mit chinesischen Wurzeln. Sie achtet auf Kleinigkeiten und treibt im Wesentlichen die Ermittlungen voran, während Montag, ein Womanizer schlechthin, der es nur schwer erträgt, einmal selbst betrogen worden zu sein, mit allerhand privaten Problemen kämpft, nicht wirklich bei der Sache ist, und sein gekränktes Ego im Alkohol ertränkt. Beide entwickeln sich im Laufe der Handlung. Während Effi Lu zusehends selbstsicherer wird, überwindet Montag schließlich sein Selbstmitleid, und zeigt doch noch seine Ermittlerqualitäten. Obwohl in dem zarten, unscheinbaren Wesen so einiges an Mut, Zähigkeit und Kreativität steckt, so habe ich Effi Lu dennoch ihren Alleingang, diese im Finale beschriebene Superwoman-Action nicht ganz abgenommen, verletzt wie sie war. Karen, Montags Ex-Geliebte und nicht kooperative Leiterin der Mordabteilung, war zwar in ihrer Abneigung ihm gegenüber verständlich, das von ihr inszenierte generelle Mobbing fand ich übertrieben.

„Moorgrab“ hat mir spannende Lesestunden bereitet, mir hie und da ein Schmunzeln entlockt und ich habe in manch brenzliger Situation mit den Protagonisten mitgefiebert. Dieses Ermittlerduo, so ungleich es ist, verspricht genau deswegen sich hervorragend zu ergänzen. Ich bin neugierig, wie sich die beiden weiter entwickeln und welche interessanten Fälle sie noch zu lösen haben werden. Ich freue mich auf die Fortsetzungen!