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SimoneF

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Insgesamt 514 Bewertungen
Bewertung vom 30.04.2024
Northfield, Gary

Total verpeilt im Eisbärenland / Leif Wolffson Bd.1


gut

Die Leseprobe um den tollpatschigen Wikingerjungen Leif Wolffson und auch das einladende Cover haben meinen Sohn und mich zunächst sehr angesprochen und wir starteten gespannt in das Abenteuer um Leif und seine tierischen Freunde, den Erpel Olaf, den Papageientaucher Toki und das Moschusrind Flora. Gut gefallen hat uns Leifs Glaube an sich selbst trotz seiner fortwährenden Missgeschicke und der Zusammenhalt der Truppe. Jeder Charakter ist auf seine Art speziell, hat seine Stärken und Schwächen, und gemeinsam sind sie ein richtig gutes Team. Die Geschichte wird auf gut 300 Seiten flott und wendungsreich erzählt und ist in 20 Kapitel unterteilt. Der Autor selbst hat das Buch mit schwarz-weißen Comiczeichnungen illustriert. Diese wirken zuweilen etwas schnell hingekritzelt und gefielen uns nicht besonders. Leifs Ungeschicklichkeit fanden wir zunächst sehr witzig und unterhaltsam, doch mit Fortschreiten der Handlung wiederholte sich das Schema zu offensichtlich und nervte zunehmend. Mein Sohn hat das Buch deswegen nur noch widerwillig zu Ende gelesen.
Positiv hervorheben möchte ich noch das Glossar am Ende des Buches, das Wissenswertes rund um die nordische Mythologie und die Wikinger vermittelt.
Insgesamt konnte uns die Geschichte um Leiff nicht begeistern, und wir werden die Reihe nicht weiter verfolgen.

Bewertung vom 29.04.2024
Hartmann, Lukas

Martha und die Ihren


gut

In seinem autofiktionalen Roman schildert der Schweizer Autor Lukas Hartmann die Geschichte seiner Großmutter Martha und ihrer Nachkommen. Martha stammte aus ärmlichsten Verhältnissen und kam schon als junges Mädchen nach dem frühen Tod ihres Vaters als sogenanntes Verdingkind zu einer Bauernfamilie, wo ihre Arbeitskraft zählte, sie als Mensch jedoch nie Liebe erfahren durfte. Das Gefühl der Fremdheit und der unbedingte Wunsch, finanziell abgesichert zu sein und nie wieder Not leiden zu müssen, blieben ein Leben lang in ihr, ebenso wie ihr unermüdlicher Arbeitsdrang, der ihre Unabhängigkeit sichern sollte. Das Buch zeigt eindrucksvoll, wie Marthas Erfahrungen auch die nachfolgenden Generationen prägen, und wie schwer es auch ihren Söhnen und Enkeln fällt, Nähe zuzulassen. Es hat mich zudem überrascht, wie sehr sich die familiären Konflikte und die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen in der Nachkriegszeit in der Schweiz und Deutschland ähneln, obwohl die Schweiz im Zweiten Weltkrieg neutral geblieben war.
Leider konnte mich der Schreibstil nicht richtig fesseln. Er wirkte eher eintönig und uninspiriert, und eine echte Nähe zu den Figuren stellte sich bei mir nicht ein. Hierzu trugen auch die hin und wieder etwas abrupten Zeitsprünge bei. Als etwas unglücklich empfand ich auch die Kapitelüberschriften, die oft schon wesentliche Inhalte vorwegnahmen und so zusätzlich dazu beitrugen, dass keine richtige Spannung aufkam.
Insgesamt fand ich insbesondere Marthas Erlebnisse als Verdingkind sehr interessant und hätte speziell über diese Zeit gerne noch mehr erfahren.

Bewertung vom 29.04.2024
Kaiblinger, Sonja

Ungeheuer lieb Bd.1


weniger gut

Die Kinderbuchautorin Sonja Kaiblinger hat mit „Ungeheuer lieb“ den Auftakt zu einer neuen Kinderbuchreihe ab 8 Jahren vorgelegt. Mein Sohn und ich waren gespannt auf die Abenteuer von Ludwig, seiner Schwester Carla und dem geheimnisvollen Ungeheuer. Leider konnte uns beide die Geschichte nicht überzeugen. An vielen Stellen empfanden wir die Handlung als abstrus, die Charaktere als überzogen, uns fehlte der grundlegende Realitätsbezug und zuweilen auch die innere Logik, die auch in einer fantasievollen Geschichte gegeben sein sollte. Positiv war hingegen die Darstellung der Geschwisterbeziehung, denn Ludwig und Carla wurden im Laufe des Abenteuers ein eingespieltes Team, das fest zusammenhielt. Der comicartige Zeichenstil mit den übergroßen Kulleraugen traf auch nicht unseren Geschmack, zumal die Darstellungen manchmal nicht ganz zum Text passten, wie mein Sohn sofort bemerkte, und sich Bilder zum Teil wiederholen. Insgesamt wirkte das Buch etwas oberflächlich und lieblos gestrickt. Weniger gelungen fanden wir auch das allzu offene Ende – gerade ein Kinderbuch sollte meines Erachtens eine in sich abgeschlossene Kernhandlung besitzen. Dies ist hier nicht der Fall und zwingt dazu, auch den Folgeband zu kaufen. Wir werden diese Reihe dennoch nicht weiter verfolgen.

Bewertung vom 26.04.2024
Vogelsang, Lucas

Nachspielzeiten


ausgezeichnet

Fans des launigen MML-Podcasts ist Lukas Vogelsang bestens bekannt, und mit „Nachspielzeiten“ liefert er nun die perfekte Einstimmung auf die bevorstehende Europameisterschaft. In sieben Kapiteln begibt er sich auf einen bunten Streifzug durch die Geschichten, die der Fußball schreibt, sowohl auf dem Platz als auch – und vor allem – abseits davon. Er spürt den mal glänzenden, mal stillen und mal tragischen Helden von damals nach und blickt – teils mit ihnen gemeinsam – auf Schlüsselmomente zurück. Als Kind der 90er und 2000er haben mich besonders die Kapitel über Otto Rehagel, Mehmet Scholl und Paul Gascoigne angesprochen. Viele der Geschichten sind nicht neu und langjährigen Fußballfans gut bekannt, doch Lucas Vogelsang erzählt und verbindet die Anekdoten mit wunderbarem Wortwitz, sodass die Lektüre ein großes Vergnügen ist. Oftmals habe ich beim Lesen laut aufgelacht, weil Vogelsangs amüsante und messerscharfen Sprachbilder immer wieder den Nagel auf den Kopf treffen. Für Fußballfans ist dieses Buch ein absoluter Volltreffer!

Bewertung vom 26.04.2024
Rash, Ron

Der Friedhofswärter


ausgezeichnet

Ron Rashs neuester Roman spielt im Jahr 1951 zur Zeit des Korea-Krieges in einem kleinen Städtchen in North Carolina. Jacob Hampton, ein junger Mann aus wohlhabendem Hause, hat gegen den elterlichen Willen die mittellose Naomi geheiratet. Beide erwarten ein Kind, als Jacob seinen Einberufungsbefehl erhält. Da Jacobs Eltern jegliche Unterstützung verweigern, bittet Jacob seinen Jugendfreund Gant Blackburn, sich um Naomi und das Baby zu kümmern. Dieser ist durch die Folgen einer Polio-Erkrankung gezeichnet und arbeitet als Friedhofswärter – ein einsamer Beruf, der ihm jedoch den Umgang mit Menschen und deren unangenehme Blicke erspart. Als Jacob im Korea-Krieg schwer verwundet wird, nehmen die Ereignisse eine ungeahnte Wendung…

Mehr möchte ich zum Inhalt an dieser Stelle nicht verraten, nur so viel: Die Handlung verläuft in eine gänzlich andere Richtung, als ich anhand der Kurzbeschreibung erwartet hätte, und hat mich völlig überrascht! Ich konnte das Buch anschließend nicht mehr aus der Hand legen und habe es bis spät nachts in einem Rutsch verschlungen.

Ron Rashs Roman ist spannend wie ein Krimi und spiegelt die gesellschaftlichen Strukturen und Vorstellungen in den Südstaaten der 50er Jahre wider. Die soziale Kontrolle in der Kleinstadt ist groß, Klatsch und Tratsch blühen, und über Einfluss verfügt, wer Vermögen besitzt. Die Kinder haben ihr Leben nach den elterlichen Vorstellungen zu richten, individuelle Entfaltung und Selbstverwirklichung sind Fremdworte.

Die Handlung wird abwechselnd aus den Perspektiven von Jacob, Naomi und Blackburn erzählt, wobei Blackburns Anteil am größten ist. Dieser ist mir im Lauf der Geschichte durch seine ruhige, aufrichtige Art ganz besonders ans Herz gewachsen. Insbesondere im letzten Drittel hätte ich mir jedoch gewünscht, noch etwas mehr aus Jacobs Sicht zu erfahren. Er bleibt hier leider etwas blass, obwohl seine Entwicklung und inneren Konflikte besonders interessant gewesen wären.


Ron Rash gelingt es, eine unglaublich spannende Handlung mit einer sinnlichen, nahezu poetischen Schreibweise zu verbinden. Hierbei genügen ihm wenige Worte, um Stimmungen und Gefühle einzufangen, sein Stil ist präzise und frei von jeglichem Kitsch.

Mich hat dieses Buch wirklich begeistert, und ich würde sehr gerne noch mehr von Ron Rash lesen. Ich bin etwas erstaunt, dass bisher anscheinend keine weiteren Bücher von ihm in deutscher Übersetzung erschienen sind. Das ändert sich hoffentlich bald!

Bewertung vom 25.04.2024
Heine, Matthias

Kluge Wörter


sehr gut

Allein der Titel „Kluge Wörter“ regt zum Nachdenken an – was sind „Kluge Wörter“? Und gibt es diese überhaupt? Kann ein Wort an sich überhaupt „klug“ sein, oder ist hierzu ein Verstand nötig? Diese Gedanken gingen mir als erstes durch den Kopf. Matthias Heine versteht darunter Wörter, die der Bildungssprache zuzurechnen sind und die nicht selten als Distinktionsmerkmal dienen.

Der Autor hat eine bunte Auswahl an bildungssprachlichen Wörtern zusammengetragen, die sowohl recht geläufige wie aufoktroyieren, fulminant, impertinent oder misogyn umfasst, als auch eher Unbekanntes wie bramarbasieren, Prokrustesbett oder idiosynkratisch. Zu jedem Eintrag erfährt man als Leser*in Wissenswertes und oft Erstaunliches zu Herkunft, Bedeutung und Verwendung. Dies fand ich sehr interessant, insbesondere da sich die Letzteren im Laufe der Zeit manchmal gewandelt oder sogar ins Gegenteil verkehrt haben (etwa frugal). Ergänzt werden diese Erläuterungen durch diverse Zitate. Dank des angenehmen Schreibstils mit humorvollem Unterton wirkt das Buch keineswegs trocken, sondern liest sich sehr vergnüglich.

Dennoch erfüllt das Buch nicht ganz die Erwartungen, die ich aufgrund der Kurzbeschreibung hatte. Diese versprach eine „einfachen Zugang“ zu gebildeter Sprache und Erklärungen zu „aktuellen Verwendungsweisen und den damit verbundenen Fallen“. Dieses Versprechen löst das Buch nur teilweise ein. Die vom Autor ausgewählten Zitate sind häufig mehrere Jahrhunderte alt und entstammen der Philosophie und Hochliteratur. Dem Verständnis ist dies nicht zuträglich. Während die historischen Bedeutungen bzw. die Wortherkunft genau erläutert werden, fehlt oft eine präzise Beschreibung der heutigen Verwendung samt aussagekräftiger moderner Beispiele. Das ist jedoch nötig, um ein Gefühl für ein Wort zu bekommen und es auch sicher und korrekt in den aktiven Wortschatz einzubinden. Nichts ist sprachlich peinlicher als ein falsch benutztes Fremdwort. Ich musste hier immer wieder nebenbei noch Wikipedia zu Rate ziehen, um mir die entsprechenden Informationen zu holen. Ebenso habe ich Hinweise auf Wörter vermisst, mit denen es leicht zu Verwechslungen kommen kann. Bei „avisieren“ vs. „anvisieren“ merkt Heine dies an, bei „dezidiert“ hingegen fehlt ein Verweis auf „dediziert“.

Fazit: Ein unterhaltsames und aus sprachhistorischer Sicht interessantes Buch, als Nachschlagewerk und zur Erweiterung des aktiven Wortschatzes nur bedingt geeignet.

Bewertung vom 24.04.2024
Reiter, Max

Der Killer in dir


gut

Da ich vom selben Autor letztes Jahr „Erinnere Dich“ gelesen hatte und das Buch sehr spannend und psychologisch interessant fand, war ich neugierig auf „Der Killer in dir“.

Der Ex-Polizist Alex ist ein absoluter Familienmensch. Als Hausmann kümmert er sich um die Tochter, während seine Frau arbeiten geht. Eines Tages spricht ihn in einem Cafe ein geheimnisvoller Fremder an. Er hält ihn für einen berüchtigten Auftragskiller und beauftragt ihn mit einem Mord. Weigert er sich, wird seiner Familie etwas zustoßen. Alex befindet sich in einer Zwickmühle. Er möchte einfach nur ein ruhiges Leben mit Frau und Kind führen, und um seine Familie zu schützen, würde er alles tun. Doch kann er wirklich zu Mörder werden? Und was ist das für eine elektrisierende Erinnerung, wenn er an den tödlichen Schuss denkt, den er als Polizist einmal abgeben musste?

Das Buch ist in Form eines Tagebuchs geschrieben. Dies ist ungewöhnlich und ein interessanter Ansatz, führt jedoch auch dazu, dass die Handlung eher in Berichtsform wiedergegeben wird und wenig lebendig wirkt. Auch die Spannung leidet deutlich. Die Geschichte konnte mich inhaltlich leider nicht überzeugen, wirkte sie doch arg konstruiert und in einigen Punkten sehr unglaubwürdig. Die meisten Charaktere blieben eindimensional und blass. Der Protagonist wurde mir mit fortschreitender Handlung immer unsympathischer, seine Rechtfertigungsgründe für sein Handeln immer fragwürdiger, so dass mir am Ende völlig egal war, was mit ihm passieren würde.

Von der Grundidee des unversehens in die Kriminalität schlitternden Normalbürgers erinnerte mich das Buch an „Achtsam morden“ von Karsten Dusse, jedoch ohne dessen Humor und sprachliche Brillianz.

Insgesamt konnte „Der Killer in dir“ meine Erwartungen leider nicht erfüllen.

Bewertung vom 24.04.2024
Lampert, Regina

Die Schwabengängerin


ausgezeichnet

Da sich meine Urgroßeltern ebenfalls ab dem Kindesalter als Magd und Knecht auf einem schwäbischen Bauernhof verdingen mussten (wenn auch erst um 1915), interessierten mich die Lebenserinnerungen der „Schwabengängerin“ Regina Lampert sehr.

Es ist beeindruckend, wie lebendig und inhaltlich detailliert Regina Lampert noch über 60 Jahre später ihre Erlebnisse erinnert und in insgesamt acht Heften zu Papier bringt (Das neunte Heft ist nicht Teil dieses Buches). Dass hierbei nach so langer Zeit an mancher Stelle die zeitliche Abfolge etwas durcheinander gerät und nicht genau mit den historisch überprüfbaren Fakten aus den Matrikelbüchern und Chroniken übereinstimmt, ist nur allzu natürlich.

Sehr erstaunt war ich über die Hilfsbereitschaft der Leute damals – stets fand Regina einen Fuhrmann, der sie umsonst mitfahren ließ, und die Familien halfen sich bei Notlagen gegenseitig aus. Oft erhielt Regina großzügige Kleiderspenden, Speis und Trank, auch selbst bedachte sie stets Freunde und Verwandte, sooft es ihr möglich war. Reginas Erinnerungen zeugen von der harten Arbeitsbedingungen, denen bereits Zehnjährige ausgesetzt waren, fernab der Heimat und ohne Freizeit. Auch der enorme Einfluss der katholischen Kirche und die feste Verankerung des Glaubens im Alltag werden deutlich. Regina Lamperts Erinnerungen sind trotz des schweren Arbeitsalltags geprägt von Zuversicht und Lebensfreude, und ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass sie sich bei der Niederschrift vor allem an die guten Erlebnisse erinnern wollte. Die negativen Erfahrungen werden häufig nur angedeutet oder in wenigen kurzen Sätzen abgehandelt, etwa die Drangsalierungen der Schwabenkinder durch die älteren Knechte am Hof oder die freudlose und grausame Zeit als Magd im Kloster. Auch das wohl schwierige Verhältnis zum Vater, für den hauptsächlich Reginas Arbeitskraft zählte und der sehr streng gewesen zu sein scheint, klingt nur leise an. Ausführlicher geschildert werden vor allem die schönen Erlebnisse, insbesondere in den ersten der insgesamt acht Hefte.

Die aktuelle Neuausgabe wurde behutsam editiert und ausführlich kommentiert, auch ein Glossar mit einigen Dialektausdrücken fehlt nicht. Das sehr ausführliche Vorwort und die interessanten Erläuterungen zu Regina Lamperts Manuskript helfen, die Lebenserinnerungen richtig einzuordnen und geben wertvolle Hintergrundinformationen.

„Die Schwabengängerin“ ist ein einzigartiges Zeitzeugnis und äußerst lebendig, informativ unterhaltsam geschrieben. Unbedingt lesenwert!

Bewertung vom 16.04.2024
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

„Wo die Asche blüht“ war mein erstes Buch einer vietnamesischen Autorin, und ich war sehr gespannt auf Ihre Sichtweise. Der Blick auf den Vietnamkrieg ist im Westen ja sonst vor allem durch amerikanische Literatur und Filme geprägt. Da ich zur Zeit des Krieges noch nicht geboren war und mich bisher wenig damit auseinandergesetzt hatte, hat mich dieser Roman auch dazu veranlasst, immer wieder im Lesen innezuhalten und mich zu manchen historischen Ereignissen noch genauer zu informieren.
Der Roman besteht aus drei Erzählsträngen auf zwei Zeitebenen. So schildert er anhand der Schwestern Trang und Quynh die damalige Situation vieler junger vietnamesischer Frauen, die sich als Barmädchen und Prostituierte verdingen mussten, um zu überleben. Aus diesen Beziehungen gingen tausende Kinder hervor, die oft geächtet wurden, in Waisenhäusern aufwachsen mussten und auch als Erwachsene noch immer ausgegrenzt werden. Eines dieser Kinder ist Phong, der Jahre später auf der Suche nach seinen Wurzeln ist und gegen alle behördlichen Widerstände nach Amerika auswandern möchte. Anhand des Veteranen Dan, der 2016 mit seiner Frau nach Vietnam reist, um seine Kriegstraumata zu überwinden, und der sich dort auch auf die Suche nach seiner damaligen vietnamesischen Freundin macht, lernen wir auch die Seite der damaligen Gis kennen.
Nguyễn Phan Quế Mai schreibt einfühlsam und berührend, und ich wollte dieses Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Sie zeigt das Leid, das die Umstände und Folgen des Krieges auf allen Seiten gebracht haben, und das sich bis in die heutige Zeit auswirkt. Mir hat das Buch vieles ins Blickfeld gerückt, das mir bisher nicht bewusst war. Das Thema und auch der Schreibstil der Autorin haben mich so sehr bewegt, dass ich mir gleich anschließend „Der Gesang der Berge“ in der Bibliothek ausgeliehen habe.

Bewertung vom 14.04.2024
Möller, Melanie

Der entmündigte Leser


gut

Bereits der Titel „Der* ent_mündigte Lese:r“ ist provokant, und Melanie Möller kämpft in ihrer Streitschrift vehement für die kompromisslose Freiheit der Literatur, gegen zeitgeistkonformes Weichspülen und Abschleifen vermeintlicher Kanten. Die willkürliche Verwendung der Wortbinnenzeichen geschlechtergerechter Sprache im Titel deutet bereits darauf hin, dass Melanie Möller diesen wenig abgewinnen kann und auch im Buch überwiegend auf das generische Maskulinum setzt.
Man spürt sehr deutlich, dass die Autorin Professorin für Latinistik ist, da sie in jedem Kapitel einen antiken römischen oder griechischen Dichter einem klassischen oder moderneren Pendant gegenüberstellt. Bei letzteren zieht sie den Bogen von der Bibel über Shakespeare und Goethe bis Astrid Lindgren, wobei Annie Ernaux die einzige noch lebende Autorin ist. Ich muss gestehen, dass ich trotz großen Latinums und damit verbundener Lektüre der Klassiker des Altertums hier an meine Grenzen kam. Wer Freude an diesem Buch haben möchte, sollte sehr fit in den Werken von Catull, Vergil, Euripides, Sappho und Co. sein. Dies war mir nach der Kurzbeschreibung des Buches so nicht klar, und ich hatte hier eine etwas allgemeinverständlichere Abhandlung erwartet, die sich stärker an allseits bekannten Werken orientiert.
Melanie Möller tritt vehement für die Trennung von Künstler und Werk ein, und stellt sich hiermit gegen den Ansatz vieler Kollegen und Kolleginnen, die im Leben der Künstler nach Anhaltspunkten für ihr Werk suchen. Häufig bedient sie sich leider selbst immer wieder genau der Polemik, die sie ihrerseits andersdenkenden Kollegen und Kolleginnen vorwirft. In vielen Punkten kann ich als Laie den Standpunkt der Autorin nachvollziehen, auch mir gehen viele Auswüchse im Literatursektor wie ausufernde Triggerwarnungen, Sensitivity Readings und vorauseilender Gehorsam gegenüber dem Zeitgeist inzwischen zu weit, und ich schätze Literatur, die einen als Leser oder Leserin fordert, provoziert, aufwühlt und auch an die Grenzen bringt.
Insgesamt hatte ich mir unter diesem Buch etwas anderes erwartet, Freunde der Altphilologie kommen hier vermutlich eher auf ihre Kosten.