Benutzer
Benutzername: 
SusanK
Wohnort: 
Osnabrück

Bewertungen

Insgesamt 234 Bewertungen
Bewertung vom 28.03.2021
Siebold, Henrik

Inspektor Takeda und die stille Schuld / Inspektor Takeda Bd.5


ausgezeichnet

Der Japaner Ken Takeda ist im Rahmen eines polizeilichen Austauschprogramms in Deutschland und ermittelt hier zusammen mit einem Deutschen Team. Bei einem Brand in einer Seniorenresidenz gibt es schnell Hinweise auf ein Verbrechen - und nach ersten Ergebnissen in verschiedenen Richtungen weist alles darauf hin, dass die Anschläge mit dem neu eingesetzten Pflegeroboter Lisa und ihrem "Vater" Dr. Nakamura in Verbindung stehen ...

Mit "Inspektor Takeda und die stille Schuld" legt der deutsche Autor Henrik Siebold bereits den fünften Bank um den japanischen Ermittler Ken Takeda vor und ich kann mich nur wundern, diese besondere Krimi-Reihe erst jetzt entdeckt zu haben!

Deutlich kommt zum Ausdruck, dass Siebold ein Kenner Japans ist und viele seiner Erfahrungen und Erlebnisse in die Handlung einfließen lässt:
Ken Takeda, der während eines behördlichen Austauschprogrammes in Deutschland weilt, spricht zwar perfekt Deutsch und hat sich in vielen Dingen gut an seine Deutsche Umgebung angepasst, doch er pflegt seine Traditionen (sehr schön beschrieben: die Tee-Zeremonie) und besitzt einen interessanten Blick auf Deutschland und macht sich über vieles Gedanken und zieht Vergleiche zu seiner Heimat. Beispielsweise stellt er sich die Frage, warum es in Deutschland kaum öffentliche Toiletten gibt und ob die Deutschen wohl weniger "müssen" müssen....
Diese Einblicke in die japanische Welt schätze ich sehr und vieles hat durchaus zum Nachdenken angeregt!

Neben diesen Aspekten der japanischen Kultur bleibt jedoch der zugrunde liegende Krimi durchaus spannend; die große Spannungskurve findet in einer einigermaßen überraschenden, aber absolut schlüssigen Aufklärung ihren Höhepunkt. Ergänzt wird das Ganze durch ein sehr interessantes Nachwort des Autors, der die zugrundelegenden Fakten auf erschütternde Weise verdeutlicht.

Die Haupt-Figuren sind gut ausgearbeitet und authentisch. Takedas Liebe zum Saxophon und der Jazz-Musik bieten nette Einschübe und bilden eine schöne Begleitmusik; die angesprochenen Stücke sind dabei aber wohl eher etwas für Kenner der Materie.
Allerdings finde ich die Einstellung der deutschen Ermittlerin Claudia Harms zur Liebe und ihre schwierige "Beziehung" zu Takeda einigermaßen schade: ein etwas frustrierender Aspekt, dem realtiv viel Raum eingeräumt wird.
Nebenfiguren - außer dem charismatischen, aber doch sehr exotischen Nakamura bleiben eher oberflächlich.

Schauplatz der Handlung ist Hamburg, und diese beliebte wunderschöne Stadt nimmt einen besonderen Platz in der Handlung ein, wenn immer wieder Gastronomie, Gebäude, Straßenzüge oder ähnliches harmonisch in die Handlung eingebunden sind. So erhielt ich ganz nebenbei schöne Tipps für meinen nächsten Besuch in der Hansestadt.

Henrik Siebold greift in diesem Krimi ein sehr aktuelles Thema auf: Die Pflege von den immer zahlreicher werdenden Pflegebedürftigen / Senioren in Deutschland, ihre Bedürfnisse und die Überforderung der schlecht bezahlten Pflegekräfte. Die Möglichkeit einer Unterstützung durch Pflegeroboter (die im wahren Leben noch eine Utopie ist) wird schon in der Handlung überaus kontrovers diskutiert und wird auch in der Realität zukünftig einiges an Konfliktpotential aufweisen - ein überaus spannendes Thema! Neben dem Einsatz von Robotik allgemein ist natürlich auch die Frage der "Schuld" von besonderer Bedeutung, wenn Personen zu Schaden kommen sowie von Ethik und Moral.

Spannung, Einblicke in die japanische Kultur und Thema konnten mich vollauf begeistern und ich kann diesen Kriminalroman nur wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 21.03.2021
Clark, Julie

Der Tausch - Zwei Frauen. Zwei Tickets. Und nur ein Ausweg.


ausgezeichnet

Claire ist in einer gewalttätigen Ehe mit einem Politiker gefangen; doch schließlich schmiedet sie einen Plan, um sich zu retten. Als dieser schiefzugehen droht, tauscht sie in letzter Sekunde die Identität mit Eva, einer Fremden, die sie am Flughafen anspricht. Doch auch Eva schien Gründe zu haben auszubrechen.....

Während Claires Geschichte chronologisch aus der Ich-Perspektive erzählt wird, wird Evas Leben Stück für Stück in Einschüben aufgearbeitet. Und erscheint sie Claire und uns Lesern anfangs noch als unsympathische Lügnerin, kommt sie uns immer näher.

Die Idee, die Identität zwischen zwei Menschen zu tauschen und in ein völlig fremdes Leben zu geradten, mag nicht neu sein. Doch dieser Thriller besticht durch seine sorgsam ausgearbeiteten Hauptfiguren, zwei starke Frauen, die aus ihrer Opferrolle ausbrechen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen zum Guten hin. Erscheinen beide anfangs noch völlig unterschiedlich, lassen sich immer mehr Parallelen zwischen diesen beiden so mehrdimensional angelegten und sich intensiv entwickelnden Figuren erkennen.

Wer Anteil nimmt an den menschlichen Abgründen und den tiefen Seelenqualen der Protagonisten, wird sich mit diesem Buch auf eine rasante Reise begeben, gefesselt von der Ungewissheit und dem Grauen, dass beide Frauen durchleben und in der Frage, wie sich das Dilemma überhaupt lösen lassen kann. Und auch auf viel Blutvergießen und gewalttätige Szenen verzichtet die Autorin weitestgehend.


Ich habe mitgefiebert mit Claire - und später auch Eva - und konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Kurze Kapitel und ein überaus flüssiger Schreibstil trieben die Spannung voran. Und auch der Schluss überzeugte mich durch eine absolut logische und nachvollziehbare Auflösung, in der alle offenen Fragen beantwortet wurden.

In meinen Augen ein großartiges Buch über zwei starke Frauen, spannend, und überaus empathisch.

Bewertung vom 03.03.2021
Puffpaff, Ellen

Der Todesbote (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Anna hat ihre Entführung inzwischen verarbeitet und führt ein zurückgezogenes, unaufgeregtes Leben in Hamburg. Doch nur zufällig entgeht sie einem Bombenanschlag am Arbeitsplatz, und als auch noch ihre befreundete Kollegin ermordet wird, scheint die Gefahr für Anna immer greifbarer. Als auch noch ihr früherer Entführer auf der Bildfläche erscheint, ist nicht mehr sicher, wer Freund und wer Feind ist ...

"Der Todesbote - Alles auf Jetzt" ist der zweite Teil einer Trilogie. Da ich den ersten Teil (noch) nicht kannte, fragte ich mich anfangs, ob mir vielleicht einige wichtige Informationen aus dem Vorgängerband fehlen würden oder ob die so vielen Verwirrungen und Geheimnisse gewollt sind; schließlich packte mich das Buch aber so sehr, dass ich unbedingt Vorgänger- und Nachfolgeband lesen will!

Ellen Puffpaff gelingt es mühelos, den Leser mit ihrem flüssigen und mitreißenden Schreibstil zu fesseln. Dabei webt sie aus einer schnellen mitreißenden Handlung mit überraschenden Wendungen und Geheimnissen einen hochspannenden Plot, der es unmöglich macht, das Buch zur Seite zu lesen - bis zu einem absolut unerwarteten und atemberaubenden Ende. Da sich nicht alle Fragen abschließend aufklären, bleibt nur der Trost auf ein baldiges Erscheinen des dritten Teils!

Die Figuren werden lebensnah und mit einer großen Tiefe geschildert und es fällt leicht, ihre Handlungen und Motive schließlich nachzuvollziehen, Sympathien und Antipathien zu entwickeln und mitzurätseln. Insbesondere zu Anna konnte ich viel Nähe aufbauen.

Abschließend möchte ich noch anmerken, dass der jungen Autorin es mit ihren selbst verlegten Büchern mühelos gelingt, sowohl logisch korrekt als auch ohne nennenswerte Rechtschreib- und Grammatikfehler ihre Bücher zu veröffentlichen - was ich mir viel häufiger wünschen würde!

Von dem für mich etwas schwierigen Einstieg abgesehen, habe ich lange keinen so spannenden, faszinierenden und packenden Thriller mehr gelesen! Absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 03.03.2021
Lima, Mario

Die Mauern von Porto


ausgezeichnet

Nach einem Brand im ältesten Teil Porto werden bei den Aufräumarbeiten zwei Skelette gefunden. Doch weil die Ermittlungen ergeben, dass der zugehörige Mord bereits 22 Jahre zurückliegt und in Portugal Mord nach 15 Jahren verjährt, gibt es keine weiteren Nachforschungen. Doch dann tötet der Mörder erneut - und das Team um Inspektor Fonseca setzt alles daran, den Schuldigen seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Mario Lima legt mit "Die Mauern von Porto" bereits den dritten Fall für Insepektor Fonseca vor, der in Porto ermittelt, und es ist auch für Neueinsteiger überhaupt kein Problem, der Handlung zu folgen. Die Schreibweise ist wunderbar flüssig und zieht den Leser schnell in seinen Bann.

Eher ungewöhnlich ist, dass dem Leser der Mörder schon auf den ersten Seiten präsentiert wird und die Spannung - im Gegensatz zu den klassischen "whodunit"-Krimis - sich daraus ergibt, dass der Schuldige nahezu unantastbar erscheint und nur fraglich ist, ob die Mordkommission der Polícia Judiciária ihn dingfest machen kann, bevor er weiteren Schaden anrichten kann ("Howcatchem"). Für mich zog sich auf jeden Fall ein wunderbarer Spannungsbogen durch das gesamte Buch, das ich gar nicht mehr aus der Hand legen mochte, und endete in einem fulminanten Showdown.

Eine besondere Rolle nimmt das Setting ein: mit viel Ortskundigkeit und wunderbar athmosphärisch werden die Orte in Porto beschrieben und wecken direkt Fernweh und Reiselust.

Die Figuren sind entsprechen ihren Rollen authentisch beschrieben. Ein besonderes Augenmerk liegt in diesem Band auf der neu hinzugekommenen Ermittlerin TéTé, die in Angola aufgewachsen und von dort geflüchtet ist. In diesem Zusammenhang wird ein schlimmer Teil der Portugiesischen Geschichte, der Kolonialherrschaft und dem folgenden brutalem Bürgerkrieg nach der Nelkenrevolution geschildert; für mich höchst interessante und sehr emotional geschilderte Informationen, die mir so nicht bewusst waren.

Und auch die Verjährungsdebatte (die in Deutschland bereits Ende der 60er Jahre aktuell war) wird hier wieder neu angestoßen - wobei ich die Meinung der hier ausgebremsten Ermittler teile, dass Mord nicht verjähren darf!

Mich hat dieser Krimi nicht nur bestens unterhalten, sondern auch interessante Denkanstöße gegeben und ich freue mich schon auf die nächsten Fälle von Inspektor Fonseca und seinem Team!

Bewertung vom 23.02.2021
Fischler, Joe

Totentanz im Pulverschnee / Ein Fall für Arno Bussi Bd.3


ausgezeichnet

Arno Bussi, der sich in Wien eigentlich auf einen Triathlon vorbereitet, soll seine Mutter Marina auf ein exclusives Wochenende in Maria Schnee begleiten. Doch aus den geplanten Urlaubstagen wird nicht, denn seine Mutter macht in der Nacht geheimnisvolle Beobachtungen und am nächsten Tag wird eine Leiche gefunden. Auf Drängen Marinas beginnt Bussi eigene Ermittlungen durchzuführen. Und obwohl seine Vorgesetzten in Wien alles andere als erfreut davon sind, lässt Bussi nicht locker, bis er, gemeinsam mit der zuständigen Ermittlerin Erna Katz, die düsteren Machenschaften des Ortes aufgedeckt hat.

Mit "Totentanz im Pulverschnee" legt der Innsbrucker Autor Joe Fischler seinen dritten Tirol-Krimi um den sympathischen Inspektor Arno Bussi vor, der immer wieder - wider Willen - in Mordfälle seiner Heimat Tirol verwickelt wird.

Ich muss an dieser Stelle meinen höchsten Respekt für Joe Fischler aussprechen: DIe Krimis um Arno Bussi sind nicht nur höchst vergnüglich, sprich unterhaltsam und humorvoll, sondern auch wirklich spannend und mit komplexer Auflösung - also viel mehr als lustig! DIese Kombination ist selten und hier höchst gelungen!

So steigerte sich die Spannung immer weiter, falsche Fährten wurden gelegt, einige Geheimnisse blieben bis zum Ende im Dunkeln - und dann folgte ein spektakuläres Finale mit so einigen Leichen und großem Durcheinander - und dann schließlich die Auflösung aller offenen Fragen. Und auch menschlich war es höchst befriedigend, denn die "Unsympathen" bekamen ihr Fett weg und die "Netten" duften sich freuen.

Der Kriminalroman lebt durch seine mit großer Liebe gezeichneten Figuren - und in dem kleinen Ort finden sich viele Tiroler Originale. Die Hauptfigur Arno Bussi ist sehr sympathisch; und obwohl er häufig in prekäre Situationen hineinrutscht, die durchaus skurril sind, ist er doch niemals eine Witzfigur, nicht einmal ein tragischer Held, denn - bis auf seine oft unerwiderten Lieben - ist er erfolgreich und geachtet. Und auch seine offiziell zuständige Mitstreiterin Katz ist ebenfalls ein liebenswertes Unikum mit ihrem nicht ganz echten Berlinerisch, die Bussi sehr schätzt.

Erwähnenswert sind die vielen kleinen Geschichten am Rande, die zwar nicht immer direkt für den Fortgang des Krimis wichtig sind, aber die Unterhaltung perfekt abrunden: Seien es die Kaiserschmarrn-Orgien des Inspektors, die ihm schwere Albträume bescheren oder der Klima-Exkurs, weil es in Maria Schnee eigentlich ja schon seit Jahren keinen Schnee mehr gibt. Doch Arno wäre nicht Bussi, wenn bei seinem Aufenthalt alles normal verlaufen würde....

Viel zu schnell war das Lese-Vergnügen vorbei und ich freue mich schon sehr auf den nächsten Fall mit Arno Bussi - wer weiß, wohin bzw. in welche Abgründe uns dann ein Cold-Case führen wird?!
Meine Leseempfehlung für excellente Unterhaltung und Spannung!

Bewertung vom 16.02.2021
Boehler, Arne M.

Eisenkind - Psychothriller (eBook, ePUB)


sehr gut

Vor vielen Jahren löste sich die sehr erfolgreiche satanische Rockband "Eisenkind" auf, die Mitglieder sind zerstritten. Doch einem zwielichten Milliardär gelingt es mit zweifelhaften Mitteln, alle für ein einziges Konzert in Schweden zu versammeln. In der Vorbereitung geschieht ein Mord, der die ermittelnde Kommissarin sehr unschön an ihren einzigen ungeklärten Fall erinnert: Der offenbar rituelle Mord an einer jungen Frau, der Auftakt einer Reihe von Serienmorden war, die an allen Auftrittsorten der Band stattfanden ....

Der Autor Arne M. Boehler, selbst mit einem spannenden Lebenslauf ausgestattet, weiß, von was er schreibt, und das springt dem Leser geradezu entgegen: Die Arbeit hinter dem Musikbusiness ist fein erzählt und bietet einen Blick hinter die Kulissen. Aber vor allem legt Boehler einen überaus spannenden Thriller um die bestialischen Morde vor, die - möglicherweise im Umfeld der Rockband "Eisenkind" - stehen, und das Buch fesselt von der ersten Seite bis zum letzten großen Show-Down; wiederholte Wendungen bieten eine rasante Fahrt, in der der Leser immer aufs Neue überrascht wird. Doch am Schluss werden alle offenen Fäden zu einem Abschluss verwoben.
Und genau hier ist mir das Ende dann fast etwas zu viel des Guten, in dem es für meinen Geschmack etwas zu viele Zufälle gibt - doch das bleibt eine Kritik auf hohem Niveau.

Besonders gut gefallen haben mir die ständigen Gegensätze: Die kraftvolle Rockmusik im Gegensatz zur Schlager-liebenden Kommissarin (die Helene Fischer als Handy-Klingelton hat), die Umgangssprache der Männer bis hin zu Goethe-Zitaten und der immer wieder durchscheinende Sarkasmus (die Psychologin des satanischen Texteschreibers namens Dr. Hell). Ansprechend spielt der Autor mit den Klischees um das Rockerleben.

Die Figuren werden gut beschrieben und entstehen bildhaft vor dem geistigen Auge des Lesers - und decken in ihrer Verschienenartigkeit ein weites Spektrum ab. Schnell hat man Sympathien und Antipathien gefunden, doch nichts scheint zu sein, wie es zunächst aussieht.
Die Wechsel in der Erzählperspektive zwischen den Hauptfigur Thälmann, mit dem man ständig mitfiebert und leidet, seinen Gedanken und Handlungen einerseits und der Polizeiarbeit andererseits geben eine positive Spannung wider.

Blutige Details werden selbstverständlich angesprochen, doch der Autor weidet sich nicht an ihnen, sondern bleibt am Fortschritt der Handlung.

Noch ein Wort zum gelungenen Titelbild: Natürlich spielen auch Nägel eine gewichtige Rolle!

Ich war gefesselt und konnte das Buch kaum aus der Hand legen.

Meine Meinung:
Ein sehr guter Thriller, der Lust auf mehr von Arne M. Boehler macht!

Bewertung vom 09.02.2021
Sommerfeldt, Albrecht

Von Huren, Bettlern und Glunterschratzen


ausgezeichnet

Der Veteran Johann Gabelschlag ist nach einem bewegten Leben wieder in seine Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt und verdient seinen Lebensunterhalt als Geldeintreiber für den jüdischen Geldverleiher Jakob Nagelstein. Seine Geschäfte verlaufen zufriedenstellend und er pflegt gute Kontakte zu den Strichkatzen und Bettlern, den Habenichtsen und Hungerleidern seines Viertels St. Jakob - abseits der reichen Pfeffersäcke bei den "Ehrlosen". Als die junge ortsfremde Hure Klara, mit der er sich eine Zukunft zu zweit vorstellen könnte, spurlos verschwindet, beginnt er sich umzuhören - und stößt auf immer mehr Verschwundene, die von niemandem vermisst werden. Und als dann sein Leben in Gefahr gerät, wird seine Suche zu etwas Persönlichem, von dem er nicht lassen kann ....

Albrecht Sommerfeldt ist mit seiner Geschichte um die Suche nach Vermissten aus einem ärmlichen Viertel, abseits des Glanzes der blühenden Stadt, ein überaus authentischer und packender Historischer Kriminalroman gelungen - dem der etwas sperrige, aber höchst ungewöhnliche Titel auf eine ganz besondere Weise gerecht wird.

Wer also trotz des Äußeren zu diesem Buch greift, den erwartet ein mitreißeder Kriminalfall, der den Leser, nachdem er sich erst einmal eingelesen hat in den besonderen Erzählstil mit vielen unbekannten Ausdrücken, auf eine spannende Reise mitnimmt bis zu einem fulminanten Showdown und überraschenden Ende - das den Leser aber in jeder Hinsicht zufrieden zurücklässt. Dabei macht der Autor nicht den Fehler, eine "moderne" Ermittlung zu schildern, sondern passt das "Umhören" der Hauptfigur und seine einfachen Mittel voll und ganz an seine Zeit an.

Der Erzählstil ist flüssig und bildhaft und nimmt den Leser mit in diese fremde und oftmals verstörende Welt; die zahlreich verwendeten Begriffe aus dem Rotwelschen, der Deutschen Gaunersprache, werden im Anhang übersetzt.

Oftmals hatte ich schon fast den Eindruck des Gestanks der ungewaschenen Körper, der ausgeschütteten Nachttöpfe oder der beim Gerben verwendeten ätzenden Flüssigkeiten in der Nase.

Die Figuren sind absolut authentisch, und insbesondere der im Mittelpunkt stehende Johann Gabelschlag ist mehrdimensional angelegt: unter der harten Schale des scheinbar brutalen Geldeintreibers befindet sich ein weicher Kern, der ein Herz für die Schwachen hat. Gerade die Menschen am Rande der Gesellschaft werden nicht verklärt, sondern mit der vollen Härte dargestellt und der Autor weiß mit der Wertlosigkeit eines Menschenlebens zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu schockieren. Obwohl ich durchaus gerne Thriller lese, hatte ich nach der schonungslosen Darstellung einer Schändung und Abschlachtung durchaus schlaflose Nächte.... Doch Sommerfeldt weidet sich nicht an der Unbarmherzigkeit der Taten, sondern gerade ihre Selbstverständlichkeit verursacht Gänsehaut und weckt Verständnis für viele Handlungen.

Der Schauplatz der Handlung liegt in der aufblühenden Hansestadt Hamburg; die dunklen Twieten, die Fleete und viele bekannte Orte lassen sich unschwer von mehr oder weniger Ortskundigen wiedererkennen - und geben einen besonderen Bonus für Hamburg-Liebhaber.

Ein besonderes Augenmerk legt der Autor auf
+ das Rotwelsche
+ die damals existierenden Randgruppen und Außenseiter
+ die Dreckapotheke und Leichenmedizin, die im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit als Heilmittel eingesetzt wurde.
All diese Themen sind gut recherchiert und im Anhang noch einmal gut zusammengefasst und erklärt, so dass ich einiges dazu lernen konnte.

Erwähnenswert ist auch das Thema "Religion", denn auch die Stellung und Rolle der Juden als ungeliebte Außenseiter sowie - sehr interessant - die Protestantische Kirche mit ihrer Weltanschauung wird besprochen und kommt nicht wirklich gut weg dabei.

Für mich ist "Von Huren, Bettlern und Glunterschratzen" ein herausragender HIstorischer Roman, der nicht nur spannend und unterhaltsam ist, sondern einen ungeschönten Blick wirft auf die beginnende Neuzeit, ohne Romantisie

Bewertung vom 31.01.2021
Stern, Anne

Scheunenkinder / Fräulein Gold Bd.2


sehr gut

Nachdem die frei schaffende Hebamme Hulda Gold zu einer jüdischen Schwangeren ins Berliner Scheunenviertel gerufen wurde, verschwindet das Neugeborene nach einer schwierigen Geburt von der Bildfläche. Doch Hulda wäre nicht die tatkräftige Frau, die jedem Rätsel hinterherspürt, wenn sie die Mauer aus Schweigen so hinnehmen würde. Ihre hartnäckigen Ermittlungen führen sie über viele Geheimnisse auf die Spur von Kinderhändlern und schließlich ist sie selbst in höchste Gefahr ...

Die waschechte Berlinerin Anne Stern hat mit "Scheunenkinder" ihren zweiten Roman um die tatkräftige Hebamme Hilda Gold vorgelegt, der sich auch problemlos ohne Vorkenntnis des ersten Bandes lesen lässt.

In ihrem Werk führt sie uns zurück in das farbenfrohe Berlin der aufregenden 20er Jahre und erschafft ein eindringliches Sittengemälde dieser wilden, aber auch schwierigen Zeit. Auf anschauliche Weise gelingt es Anne Stern, die Deutsche Geschichte - und hier gerade auch den sich verstärkenden Judenhass, die Zwiespältigkeit der Polizei, aber auch die wirtschaftlichen Probleme und die Verknappung der Lebensmittel - ihren Lesern zu veranschaulichen.

Die Figuren sind dabei absolut authentisch, durchaus mehrdimensional und wachsen dem Leser mit all ihren Ecken und Kanten ans Herz. Mir gefällt sehr, wie nachvollziehbar die Handlungen sind, selbst oder auch gerade vor den Umständen einer so anderen Zeit, in der wir uns befinden. Gerne habe ich mitgefühlt und -gelitten und hatte ständig ein buntes Kopfkino beim Lesen.

Absolut stimmig für mich ist, dass die moderne und emanzipierte Hulda Gold dabei auch keine klassische Liebesgeschichte erlebt, sondern auch ihre Beziehungen zu den Männern nicht gerade einfach, sondern eben auch von den Problemen der Zeit geprägt sind.

Eine wichtige Rolle spielt auch das Setting, und es lässt sich erspüren, wie sehr Anne Stern die Metropole "Berlin" liebt und hier gut recherchiert hat, so dass man sich mittendrin fühlt in dieser brodelnden Stadt.

In einer Mischung aus historischem Roman und Krimi kommt die Spannung nicht zu kurz und die Autorin legt einige Fährten, bis am Ende alles zu einem großen Showdown kommt und schließlich alle losen Fäden zu einem befriedigenden Ende führen. Für mich war jedoch der Geschichtsaspekt noch faszinierender und ich habe die gesamte Atmosphäre komplett aufgesogen.

Ich freue mich bereits auf den nächsten Band, um Hulda Gold wieder auf ihren Wegen in den goldigen Zwanzigern begleiten zu dürfen.

Bewertung vom 19.01.2021
McConaghy, Charlotte

Zugvögel


sehr gut

Wir befinden uns in einer Welt in der Zukunft, in der das Artensterben weit vorangeschritten ist. Die Ornithologin Franny hat ein paar Küstenseeschwalben mit Sendern ausgestattet, um ihnen auf ihrem vermutlich letzten Vogelzug zu begleiten. Dazu heuert sie auf einem der letzten existierenden Fischerboote an und findet sich inmitten einer exzentrischen Crew wieder, der Gewalt des Meeres ausgeliefert, nur mit den Vögeln als Kompass, und gerät schließlich selbst in Lebensgefahr.

Der Debütroman "Zugvögel" von Charlotte McConaghy ist eine DYstopie, die mich auf besondere Weise berührt hat. Zugegeben: Anfangs wurde ich nicht mit dem Buch warm, konnte keinerlei Zugang zu der merkwürdigen Franny finden und hielt mich nur anhand des wundervollen Schreibstils bei der Stange. Doch mit Fortschreiten der Geschichte wurde ich immer tiefer hineingesogen in die Welt und vor allem die Gefühle der Ornithologin.

Erst nach und nach wird die Erzählsituation deutlich und die Handlung springt zwischen verschiedenen Zeiten hin und her, so dass der Leser hier gefordert ist.

Obgleich von Beginn an klar ist, dass etwas Schlimmes mit Franny passieren wird ("Wenn ich in der Antarktis angekommen bin und meine Wanderung beendet ist, dann werde ich sterben"), ohne dass dem Leser die Hintergründe dazu klar sind, besteht nur sehr wenig Spannung; die Erzählung fließt leise vor sich hin. Dabei gibt es allerdings schon immer wieder Aufregungen und einzelne Zeitabschnitte werden geschickt miteinander verwoben - bis hin zu einer völlig überraschenden Wendung am Ende.

Wirklich besonders ist in diesem Debütroman der Schreibstil. Trotz meiner anfänglichen Distanz gelang es McConaghy, mich tief zu berühren und viele Sätze habe ich allein wegen ihrer Schönheit und Ausdrucksstärke mehrfach gelesen! Die Poesie der Sprache wird dabei jedoch niemals kitschig oder gleitet ins Melodramatische ab, was für mich ganz große Erzählkunst ist.

Die Figuren sind ausnahmslos ungewöhnliche, wenn nicht gar exzentrische Persönlichkeiten, die allesamt Sonderlinge, die nicht in die Welt passen. Dabei sind sie genau gezeichnet und scheinen mit einer besonderen Liebe der Autorin versehen zu sein und werden so auch immer liebenswerter.
Insbesondere die Hauptfigur ist extrem schwierig und kompliziert in ihrem Dasein, das von zahlreichen Verlusten und Ängsten getragen ist, dabei jedoch immer sehr authentisch und mehrdimensional. Lange Zeit hatte ich Probleme mit ihr, da sie mir absolut unsympathisch war und ihre Mission mir unverständlich.

Die Dystopie entwickelt sich dann immer mehr zu einer besonderen Liebesgeschichte, die sich ebenfalls vom Gewöhnlichen abhebt und einen neuen Weg geht. Und hier beginnt auch langsam das Verständnis für Franny und ihre Eigenarten, die auf anrührende Weise ans Herz gehen.

Doch auch das Artensterben, die Zerstörung der Natur durch die Menschen und die Umweltprobleme und der Klimawandel werden mehr wie deutlich, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger dargestellt zu werden, was sie ungleich einprägsamer macht.

Ich bin froh, dass ich das Buch nicht zur Seite gelegt habe und vergebe für die berührende, poetische Geschichte der Zugvögel und der Ornithologin Franny vier Sterne. Ein absolut lesenswertes Buch, das den Leser allerdings herausfordert.