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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 570 Bewertungen
Bewertung vom 02.11.2025
Städing, Sabine

Petronella Apfelmus - Hexenschuss und Zaubernuss (Band 13)


ausgezeichnet

Auch wenn mein Sohn mit 11 Jahren eigentlich nicht mehr zur Zielgruppe gehört und sonst inzwischen „coole“ Bücher bevorzugt, liebt er Petronella heiß und innig und wollte auch den neuen Band unbedingt lesen, und das sagt schon sehr viel aus über die wunderbare Reihe um die sympathische Apfelhexe.

In „Hexenschuss und Zaubernuss“ herrscht große Aufregung rund um die Mühle: Eine Gruppe von Kryptozoologen zeltet auf der Wiese hinter dem Garten und geht auf die Jagd nach magischen Wesen. Damit nicht genug: Ihre Wertsachen, die sie von Herrn Kuchenbrand in einem Raum der Mühle einschließen lassen, um sie dort sicher zu verwahren, werden gestohlen, und der Papa der Zwillinge gerät unter Verdacht. Klar, dass Luis, Lea, Petronella und die Apfelmännchen ihre eigenen Nachforschungen anstellen!

Wir sind seit Jahren Fans der Reihe, und auch der dreizehnte Band bietet wieder eine sehr unterhaltsame Geschichte rund um die die Kuchenbrand-Zwillinge, Petronella, den Hirschkäfer Lucius und die Apfelmännchen. Diesmal sind auch Petronellas vom Hexenschuss geplagte Oma und die neugierige Hexobine Höckerbein mit von der Partie. Wir lieben die gemütliche Atmosphäre der Petronella-Bücher, die ideal für Kinder ab dem Grundschulalter geeignet sind. Die kurzen Kapitel sind perfekt zum Vorlesen und zum Selbstlesen für geübte Leseanfänger. Die fröhlichen schwarz-weißen Illustrationen lockern den Text zusätzlich auf.

Fazit: Sehr empfehlenswert, wie alle Bücher der Petronella-Reihe!

Bewertung vom 02.11.2025
Pflüger, Andreas

Kälter


ausgezeichnet

Amrum, 1989. Acht Jahre sind vergangen, seit Luzy Morgenroth ihrem bisherigen Leben den Rücken kehrte und nun als Inselpolizistin eine ruhige Kugel schiebt. Als der Bruder ihrer besten Freundin eines Abends jedoch spurlos von der Autofähre verschwindet, spürt Luzy instinktiv, dass dies kein Unfall war. Sie bekommt es schon bald mit einem Killerkommando zu tun und muss ihre alten Fähigkeiten und Instinkte reaktivieren. Mitten in den Wirren, die der Zusammenbruch des Ostblocks auslöst, findet Luzy sich in einem unübersichtlichen Geflecht verschiedenster Geheimdienstinteressen wieder, in der ein Dämon aus der Vergangenheit auf sie wartet.

Andreas Pflüger ist mit „Kälter“ ein rasanter, actiongeladener Agententhriller gelungen, der reich an überraschen Wendungen ist. Die Verstrickungen der einzelnen Figuren zwischen MfS, KGB, CIA, BKA, BND und Mossad sind komplex und erfordern Konzentration beim Lesen, sorgen aber bis zur allerletzten Seite für absolute Hochspannung. Viel Raum nehmen die teils recht brutalen Kampfszenen ein, die Pflüger wortreich beschreibt und häufig mit Anspielungen auf Filme, Musikstücke und Literatur verbindet. Immer wieder zitiert er auch Stephen Hawking und zieht Vergleiche zwischen Luzys Wahrnehmung und der Quantenmechanik, die mich als Naturwissenschaftlerin eher nervten. Seine verwendeten Bilder wirken dabei zuweilen etwas effekthascherisch und zogen die Szenen unnötig in die Länge; da wäre weniger mehr gewesen. Die Dialoge sind taff und markig, manchmal zynisch, und gelegentlich blitzt auch Humor durch, der für etwas Auflockerung sorgt.

Wer bereits den preisgekrönten Thriller „Wie Sterben geht“ gelesen hat, kann sich über ein Wiedersehen mit einigen Protagonisten freuen, auch bestimmte Ereignisse darin werden erwähnt. Allerdings sind diese für das Verständnis der Handlung von „Kälter“ nicht von Belang, so dass sich der neue Thriller unabhängig lesen lässt.

Wie immer beeindruckt Pflügler durch seine tiefgehende Recherchearbeit und sein Insider-Wissen. Im Nachwort erwähnt er hierbei auch Quellen vom BND, der Sicherungsgruppe beim BKA und seine Freundschaft mit dem ehemaligen Präsidenten des BKA.

Fazit: Ein sehr empfehlenswerter Thriller für alle, die komplexe Geheimdienst-Plots mit viel Action schätzen und gerne nochmal in die spannende Wendezeit abtauchen möchten.

Bewertung vom 25.10.2025
Mirow, Benedict

Joshua Jackelby


ausgezeichnet

London im Jahr 1851. Joshua Jackelby ist Zeitungsjunge und lebt zusammen mit seinen Freuden Leroy und Charlotte und seiner Hündin Hazel, die er aus der Themse gerettet hat, im Bahnhofsgebäude der „Waterloo Station“. Als sie eines Tages einen schwer verletzten Mann finden, beginnt ein großes Abenteuer für die drei Freunde, bei dem sie es nicht nur mit einer gefährliche Straßengang zu tun bekommen, sondern auch einen beispiellosen Raub verhindern müssen, der von langer Hand geplant wurde.

Ich habe dieses Buch zusammen mit meinem Sohn (11) gelesen, und dank der lebendigen und bildhaften Schreibweise konnten wir tief ins viktorianische London eintauchen. Joshua ist ein empathischer und sensibler Junge, der überlegt handelt, Charlotte („Charlie“) ist mutig und pragmatisch, und Leroy ist gut darin, Dinge zu „organisieren“ und das Überleben der drei zu sichern. Darüber hinaus unterstützt er auch seine kleinen Geschwister, die in prekären Verhältnissen leben. Die Freunde halten fest zusammen und haben früh gelernt, Verantwortung für sich zu übernehmen.
Die Handlung spielt zur Zeit der echten Weltausstellung im Hyde Park, und ganz nebenbei erfährt man interessante historische Details. Überhaupt gelingt es dem Autor Benedict Mirrow hervorragend, ein Gefühl für die damaligen Lebensverhältnisse zu vermitteln und Geschichtliches rund um Medizin (Anästhesie, Cholera-Bekämpfung), technische Erfindungen und gesellschaftliche Aspekte einzuflechten. Insbesondere die Ausbeutung von Arbeitskräften aus den Kolonien, die in Großbritannien als Haussklaven gehalten wurden, Diskriminierung und Rassismus rückt er eindrucksvoll in den Fokus.

Uns beiden hat das Buch richtig gut gefallen. Ich habe den Eindruck, dass es für meinen Sohn besonders toll war, in Joshua und Leroy zwei spannende männliche Protagonisten haben. Viele Neuerscheinungen konzentrieren sich gerade auf weibliche Hauptfiguren, und „Joshua Jackelby“ ist somit gerade für Jungs besonders interessant (und natürlich gibt es auch hier tolle weibliche Charaktere). U.a. auch durch die Konfrontation mit der Straßengang bietet das Buch auch einiges an Action. Körperliche Auseinandersetzungen und auch Polizeigewalt werden thematisiert, aber nicht detailliert beschrieben. Besonders gut gefiel mir hier Joshuas überlegte Art zu handeln, mit der er klassische Freund-Feind-Schemata durchbricht und den Menschen in den Vordergrund stellt.

Im Nachwort ordnet der Autor die Geschichte in den historischen Kontext ein, was mir sehr gut gefällt. Hier hätte ich sogar gerne noch ein bisschen mehr gelesen, insbesondere auch zum „Himmelssegler“. Dieses Fluggerät nimmt im Buch eine zentrale Stellung ein, und es wäre interessant gewesen zu erfahren, ob ein derart angetriebener Apparat tatsächlich einmal gebaut wurde. Gefunden habe ich hierzu auch im Internet nichts.

Fazit: Eine spannende Abenteuergeschichte mit sympathischen Protagonisten, interessanten historischen Hintergrundinformationen zum viktorianischen London und tollen Botschaften. Eine klare Leseempfehlung von uns!

Bewertung vom 22.10.2025
Taschler, Judith W.

Die Deutschlehrerin


ausgezeichnet

Die Deutschlehrerin Mathilda und der Schriftsteller Xaver waren 16 Jahre lang ein Paar, bis Xaver eines Tages einfach seine Sachen packt und verschwindet, während Mathilda in der Arbeit ist. Mathilda fällt in ein tiefes Loch und braucht lange, um darüber hinwegzukommen. Viele Jahre später kreuzen sich ihre Wege durch einen Schreibworkshop an Mathildas Schule, für den ihr Xaver als Gastautor zugeteilt wird.

Mathildas und Xaver schreiben sich im Vorfeld des Workshops Emails, die im Wesentlichen die Grundlage des Buches bilden – quasi die moderne Form eines klassischen Briefromans.

Stück für Stück nähern sich die beiden per Mail an die schwierigen, bisher unausgesprochenen Themen ihrer Vergangenheit heran, und es wird klar, dass beide Geheimnisse mit sich tragen. Wortgewandt belauern und umtänzeln sie sich und versuchen, sich wechselseitig aus der Deckung zu locken, ohne selbst zu viel preiszugeben. Fiktive Geschichten, die sie sich erzählen, und Realität werden zu einem kunstvollen Reigen aus Beziehungsdrama, Krimi und Psychothriller verwoben, der einem beim Lesen den Atem anhalten lässt.

Mit jeder Mail bekommen die Charaktere mehr Kontur, und ich hatte Mathilda und Xaver beim Lesen lebendig vor Augen. Mathilda ist eine pragmatische, lebenstüchtige Frau, die in ihrem bürgerlichen Dasein als Lehrerin aufgeht und sich damals sehnlichst ein Kind von Xaver gewünscht hätte, während Xaver jegliche Verantwortung scheute und sich in der Rolle des freien, intellektuellen Künstlers gefiel, der sich in der Bewunderung seines Publikums sonnt. Auf eine bürgerliche Existenz blickt er mit Herablassung, auch wenn er sich von Mathilda während ihrer Beziehung finanziell aushalten ließ.

Bereits 2014 habe ich „Die Deutschlehrerin“ erstmals gelesen und auch 10 Jahre später zieht mich Judith Taschlers literarisch virtuos konstruierter Roman wieder in seinen Bann. Für mich ist dies das beste Werk der Autorin und ich kann es nur wärmstens weiterempfehlen!

Bewertung vom 22.10.2025
Broekaert, Joël

Die Weltgeschichte in zwölf Bohnen


ausgezeichnet

Kurz und knackig wirft Joël Broekaert auf 176 Seiten einen höchst ungewöhnlichen Blick auf die Weltgeschichte: In dreizehn Kapiteln erzählt er anhand von zwölf Bohnen (die Ackerbohne hat zwei Auftritte) und deren Einfluss kurzweilige, lehrreiche, oft ungewöhnliche historische Episoden und zeigt, wie eng verwoben Geschichte, Politik, Kultur und Ernährungsgewohnheiten sind.

Besonders gut gefiel mir das Kapitel über die Antike und die Ackerbohne, in dem der Autor etwa darüber sinniert, warum Pythagoras ein strikter Bohnen-Verweigerer war und ganz nebenbei die Wortverwandtschaft der Bohne in verschiedenen Sprachen erläutert. Diese Gedanken lesen sich höchst vergnüglich, und die Vorstellung des geräuschvoll Bohnen verdauenden Diogenes in seiner Regentonne brachte mich zum Lachen.

Für geschichtsinteressierte Leserinnen und Leser eine informative und äußerst unterhaltsame Lektüre; auch ein sehr schönes Geschenk!

Bewertung vom 22.10.2025
Tidhar, Lavie

Adama


gut

Adama ist ein epischer Familienroman, der über mehrere Generationen hinweg erzählt wird, in meinen Augen jedoch weder ein Kriminalroman noch ein Thriller. Die Erzählweise mag stellenweise Thrillerelemente aufweisen, auch das Gewaltpotential im Buch ist hoch, wer Spannung oder Suspense erwartet, wird jedoch enttäuscht werden.

Stattdessen erzählt Lavie Tidhar achronologisch die Geschichte von Ruths Familie zwischen 1945 und 2009, die eng verwoben mit der gewaltvollen Gründungsgeschichte Israels ist. Der Autor deutet hier mehr an, als dass er erklärt und auserzählt, ein beträchtliches historisches Vorwissen wird also vorausgesetzt. Das war kein Problem für mich, jedoch bleiben auch bestimmte kriminelle Machenschaften und deren Auftraggeber im Dunkeln, so dass es teilweise bis zum Schluss nicht klar wird, wer auf welcher Seite für wen arbeitet. Das mag symptomatisch für die turbulente Anfangszeit des Staates Israels sein, ich empfand es jedoch als sehr unbefriedigend.

Die Charaktere sind klar gezeichnet, ambivalent und meist knallhart. Als Identifikationsfiguren eignen sie sich nicht, ich blieb zu allen auf Distanz und merkte beim Lesen, dass mir ihr Schicksal im Grunde egal war und dadurch für mich weder Spannung noch Emotionen aufkamen. Hierbei sticht besonders die sehr unerbittlich wirkende ungarischstämmige Zionistin Ruth heraus, die für das höhere Ziel eines Staates Israel buchstäblich über Leichen geht, auf brutale Rache sinnt und niemals vergeben kann. Als eine der ersten Siedlerinnen hat sie den Kibbuz Trashim mit aufgebaut und ordnet der Gemeinschaft alles unter. Das hier beschriebene Leben im sozialistischen Kibbuz fand ich sehr interessant (wenn auch für mich als Individualistin im höchsten Maße abschreckend), und machte für mich den besonderen Reiz des Buches aus. Der Blickwinkel ist stark zionistisch geprägt, da Leid der arabischen Bevölkerung durch die Nakba klingt nur schwach am Rande an.

Alles in allem ein durchaus gut geschriebenes und lesenswertes Buch, aber leider nicht mein Geschmack.

Bewertung vom 22.10.2025
Schlett, Liv K.

Birk


ausgezeichnet

Birk ist sechzehn Jahre alt und auf den ersten Blick ein typischer Teenie: Er zockt gerne, skatet mit seinen Kumpels, geht ins Fitnessstudio und ist heimlich in das hübscheste Mädchen seiner Klasse verliebt. Doch er hat ein Problem, das ihn massiv belastet und von dem niemand erfahren darf. In seiner Not eröffnet er einen anonymen Blog, um sich seine Sorgen von der Seele zu schreiben. Doch dann geschieht etwas, das sein komplettes Leben auf den Kopf stellt…
Die Autorin Liv K. Schlett hat sich ein weitgehend unbeachtetes, aber hochsensibles Thema für dieses Buch ausgesucht, das für die Betreffenden extrem belastend ist. Aber auch Jugendliche, die mit anderen, ähnlich tabuisierten Problemen zu kämpfen haben, dürften sich in Birks Gefühlsleben wiederfinden. Birk erzählt seine Geschichte in Form von tagebuchartigen Blogeinträgen, die sich über ca. ein halbes Jahr erstrecken. Hierbei gelingt es der Autorin hervorragend, sehr einfühlsam Birks Gefühlsachterbahn zwischen Hoffnung und Zuversicht, Ängsten, Verzweiflung und Einsamkeit zu schildern. Das Buch hat auch mich einen regelrechten Sog entwickelt und ich habe es binnen eineinhalb Tagen gelesen. Die dezent eingesetzte lockere Umgangssprache trifft genau den richtigen Ton und dürfte Jugendliche ansprechen, ohne anbiedernd zu wirken. Die Figuren, allen voran Birk, wirken sehr authentisch und lebendig.
Das Buch zeigt, dass Blogs und soziale Medien ein durchaus zweischneidiges Schwert sein können: Sich Probleme anonym von der Seele zu schreiben und sich mit anderen online auszutauschen, kann ein Weg oder ein Ventil sein, um mit einer Situation besser klarzukommen. Auf der anderen Seite bergen diese natürlich auch Risiken wie Cyber-Mobbing, die ebenfalls hier thematisiert werden.
Mit „Birk“ ist Liv K. Schlett ein außergewöhnlich einfühlsames, starkes Jugendbuch gelungen, das sich an Jugendliche ab ca. 14 Jahren richtet und viel Stoff zum Nachdenken bietet. Eine ganz klare Leseempfehlung und volle 5 Sterne!

Bewertung vom 10.10.2025
Khayyer, Jina

Im Herzen der Katze


ausgezeichnet

Jina Khayyers Roman „Im Herzen der Katze“ ist autofiktional. Den äußeren Rahmen bilden die „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste in Iran nach dem Tod der 23-jährigen Jina Mahsa Amini. Diese wurde wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die strengen Kleidervorschriften durch die Sittenpolizei gefangengenommen und geschlagen, woraufhin sie ins Koma fiel und wenige Tage später verstarb. Die Ich-Erzählerin, die denselben Vornamen wie das getötete Mädchen und die Autorin trägt, sitzt in Frankreich und verfolgt über Instagram die Vorgänge in dem Land, in dem ihre Familie verwurzelt ist. Sie selbst wurde in Deutschland geboren, doch viele Familienmitglieder, u.a. ihre Schwester Roya mit Mann und Tochter Nika, leben in Iran. Jina bangt um das Leben ihrer Schwester und Nichte, die sich mutig den Protesten angeschlossen haben und unter Lebensgefahr auf die Straße gehen, um für Freiheit und Selbstbestimmung zu demonstrieren.

In Rückblenden erinnert sich Jina an ihre Reisen in den Iran: Im Jahr 2000 besucht sie zum ersten Mal das Geburtsland ihrer Eltern und ist hin- und hergerissen zwischen einer tiefen Liebe und Verbundenheit zu Land, Leuten, Sprache und jahrtausendealter Kultur einerseits und dem Schrecken über die Unterdrückung der Frauen, den drakonischen Strafen für Homosexualität, für Verstöße gegen die Hidschab-Regeln oder für kleinste Zuneigungsbekundungen zwischen nicht verheirateten Paaren andererseits. Die eklatanten Gegensätze und die emotionale Zerrissenheit Jinas sind ergreifend geschildert. 2009 gerät Jina selbst mitten in die Protestkundgebungen der Grünen Bewegung.

Interessant fand ich ganz besonders die wörtliche Übersetzung bestimmter Wendungen von Farsi ins Deutsche. Diese vermitteln einen kleinen Eindruck des Persischen, das in seiner Bildhaftigkeit so völlig anders ist als die pragmatische, sehr direkte deutsche Sprache.
Der Mut und die Entschlossenheit der Frauen, die 2022 für ihre Rechte kämpften, haben mich tief beeindruckt. Es war erschütternd zu lesen, wie friedlich demonstrierende junge Menschen misshandelt, vergewaltigt und zu Tode geprügelt wurden, in kurzen Schauprozessen Todesstrafen verhängt wurden. Khayyer zeichnet ein vielfältiges, buntes Bild der iranischen Gesellschaft, deren Wunsch nach Freiheit und Offenheit brutal vom Regime unterdrückt wird. Beim Lesen sitzt man gleichsam mit Jina hilflos am Smartphone und bangt mit Roya und Nika um deren Sicherheit. Rückblickend weiß man, dass die Proteste zu keiner Verbesserung der Menschenrechtslage führten; diese ist heute noch schlechter als damals.

Mich hat „Im Herzen der Katze“ sehr bewegt und auch noch mehrere Tage beschäftigt, nachdem ich es beendet hatte. Da ich über vieles zuvor nicht im Bilde war, habe ich im Anschluss noch weitere Informationen zu den realen Ereignissen im Buch recherchiert, und ich habe größten Respekt vor den Frauen, die sich unter höchster Gefahr für Selbstbestimmung und Freiheit einsetzen. Jina Khayyer setzt ihnen mit ihrem Roman ein Denkmal und rückt die Situation der Frauen im Iran wieder in unser Bewusstsein. Ein großartiges, tief bewegendes Buch, dem ich von Herzen den Deutschen Buchpreis gewünscht hätte.

Bewertung vom 10.10.2025
Fahringer, Viktoria

Meine Tiroler Welt


sehr gut

Viktoria Fahringer ist eine der vielversprechenden Spitzenköchinnen Österreichs, bereits mit Anfang Zwanzig erkochte sie sich die erste Haube von Gault&Millau. „Meine Tiroler Welt“ ist nun ihr erstes Kochbuch, zu dem auch gleichzeitig ein Dokumentarfilm produziert wurde. Ein bisschen merkt man diesen filmischen Aspekt dem Kochbuch an, die Besuche bei den Produzentenbetrieben für den Film finden sich auch im Buch und wirken ein bisschen wie eine Mischung aus Werbung und transkribierter Filmaufnahme. Diese Reportagen hätte ich jetzt nicht unbedingt gebraucht.

Die Rezepte sind nach Jahreszeiten geordnet, wobei die Zuordnung etwas verwirrend ist. So finden sich im Inhaltsverzeichnis unter „Frühling“ die Unterkapitel Getreide und Gemüse, „Sommer“ wartet mit Käse, Fisch, Lamm und Rind auf, der „Herbst“ bringt Knödel, Wild, Pilze und Kalb, und der „Winter“ bietet lediglich Nachspeisen. Das mutet nicht nur etwas seltsam an, sondern ist auch inhaltlich wenig aussagekräftig; etwas detaillierter hätte das Verzeichnis dann schon sein dürfen.

Die Rezepte selbst bieten Tiroler Klassiker, ansprechend bebildert und aussagekräftig sowie übersichtlich beschrieben. Der Schwierigkeitsgrad wird mit einer Punkteskala von 1 bis 3 angegeben, die Portionen sind gewöhnlich für 4 Personen gedacht, und Arbeits- und Koch- bzw. Backzeit sind sofort ersichtlich. Lediglich Piktogamme zur Kennzeichnung von veganen oder vegetarischen Speisen vermisse ich. Wie aus dem Inhaltsverzeichnis jedoch bereits ersichtlich wird, enthält ein sehr großer Teil der Gerichte tierische Produkte, so dass insbesondere Veganer:innen hier nur wenig finden dürften. Negativ aufgefallen ist mir, dass einige Rezepte ein sogenanntes „Zaubermehl“ benötigen, einen von Veronika Fahringer entwickelten glutenfreien „All-in-one-Mix“, der nur über ein Startup bezogen werden kann.

Fazit: Das Buch bietet einen kulinarischen Road-Trip durch Tirol und macht Lust aufs Nachkochen. Da mir an manchen Stellen der Marketing-Gedanke zu sehr im Vordergrund steht, ziehe ich einen Stern ab und vergebe 4 Sterne.

Bewertung vom 09.10.2025
Kicaj, Jehona

ë


gut

Jehona Kicaj wurde im Kosovo geboren, wuchs jedoch seit frühester Kindheit in Deutschland auf. Ihr Romandebüt „ë“ ist autobiografisch geprägt und macht deutlich, wie sehr das Leben der Erzählerin bis heute durch ihr Leben in der Diaspora und die Auswirkungen des Kosovo-Krieges, den sie selbst nicht unmittelbar erlebt hat, beeinflusst ist.

Die Erzählerin sucht wegen fortwährender Probleme mit ihrem Kiefer aufgrund nächtlichen Zähneknirschens (Bruxismus) mehrfach ihren Zahnarzt auf, der ihr eine Aufbissschiene anpasst und schließlich eine psychische Ursache vermutet. Sie sinniert über den Zusammenhang ihrer Kieferprobleme mit dem Verlust von albanischer Heimat und Sprache und der Aneignung einer für sie bis heute als fremd empfundenen deutschen Sprache. Diese Gedanken wirken auf mich doch sehr konstruiert und gespreizt, insbesondere, wenn die Erzählerin, die unter anderem studierte Germanistin ist, glaubt, ihre Probleme mit der Kiefermuskulatur stünden in Zusammenhang mit dem Deutschen: „Manchmal frage ich mich, ob die Verspannungen in meinem Kiefer nicht auch auf die deutsche Sprache zurückzuführen sind. Ich bilde mir ein, dass meine Kiefergelenke an Tagen, an denen ich nur Albanisch gesprochen habe, weniger laut einrasten.“

Der in Deutschland heute relativ wenig bekannte Kosovo-Krieg 1998/1999 ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Buches, und Kicaj verbeißt sich regelrecht in diese Thematik, um im Sprachbild zu bleiben, auch wenn sie damals bereits seit Jahren mit Eltern und Geschwistern in Deutschland lebte. Eine Aufarbeitung des Krieges und der vor allem von serbischer Seite begangenen Menschenrechtsverletzungen ist sicher notwendig, doch Kicaj bleibt auf einer rein persönlichen Ebene, und ihr gelingt es nicht, die Thematik von einer höheren Warte zu reflektieren. Das Buch liest sich wie ein langes Lamento über den Verlust von Heimat und Wurzeln, von Sprache und Kultur, vom Gefühl, nie wirklich in Deutschland angekommen zu sein. Allerdings kann ich dem Text nicht erkennen, dass die Erzählerin versucht hätte, in Deutschland eine zweite Heimat zu finden. Im gesamten Buch ist eine innere Distanz zur deutschen Sprache und dem Land spürbar und mir fehlt bei ihr die Bereitschaft, nach vorne zu sehen und sich als junge Frau in die Zukunft gewandt ein neues Leben aufzubauen, anstatt den Blick stets nur nach rückwärts zu richten.

Nach der Lektüre muss ich leider sagen, dass ich keinen emotionalen Zugang zur Protagonistin finden konnte und eher zunehmend genervt von ihr war. Leider bietet das Buch auch keinen historisch verwertbaren Blick auf den Kosovokrieg, weil die sachliche Distanz samt Einordnung und neutralen Fakten fehlen. Insgesamt hatte ich mir deutlich mehr von einem Kandidaten auf den deutschen Buchpreis erwartet.