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SimoneF

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Insgesamt 542 Bewertungen
Bewertung vom 31.08.2025
Stava, Sophie

Eine falsche Lüge - Wird es ihre letzte sein?


ausgezeichnet

Sloane ist in armen Verhältnissen aufgewachsen und lügt seit ihrer Kindheit, um sich gegenüber anderen interessanter zu machen. Inzwischen ist ihr das Lügen in Fleisch und Blut übergegangen. So stellt sie sich eines Tages dem gutaussehenden Jay im Park als Krankenschwester Caitlin vor, als sie seiner Tochter Harper hilft. Kurz darauf lernt sie Jays Frau Violet kennen, die ihr bald eine Stelle als Kindermädchen für Harper anbietet. Caitlin alias Sloane und Violet freunden sich immer mehr an, kleiden und frisieren sich ähnlich, und Sloane ist überglücklich, mit der reichen und bildhübschen Violet und ihrer Vorzeigefamilie so eng verbunden zu sein. Hierfür ist sie auch bereit, immer weiter zu lügen. Doch ist bei Jay und Violet wirklich alles so, wie es scheint, oder spielt auch hier jemand ein falsches Spiel?
Sloane war für mich von Beginn an psychologisch hervorragend aufgebaut. Sie ist einsam und unsicher, fühlt sich unsichtbar und lügt, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Obwohl sie eine notorische Lügnerin ist, war sie mir nicht unsympathisch, da ich mit ihr mitfühlen konnte. Als sie Violet kennenlernt, verkörpert diese alles, was Sloane nicht hat bzw. ist: Violet sieht toll aus, ist reich, hat eine bezaubernde Tochter, einen sehr attraktiven Ehemann und ein nobles Haus in Bestlage. Und, unglaublich, aber wahr: Violet interessiert sich für Sloane, sucht ihre Nähe. Für Sloane erfüllt hierdurch ein Traum.
Über den Inhalt und auch den Erzählstil möchte ich an dieser Stelle gar nicht mehr schreiben, um nicht zu viel vorwegzunehmen, nur so viel: Beides wartet mit überraschenden Wendungen bzw. Kniffen auf, die mich als Leserin begeistert haben. Ich dachte immer wieder, ich wüsste nun, worauf die Geschichte hinauslaufen würde, und wurde jedes Mal wieder eines Besseren belehrt. Die Autorin Sophie Stava hält die Spannung bis zum Schluss hoch, und ich wollte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Das Ende hat mich noch einmal richtig überrascht, wenn auch nicht vollends überzeugt, da mir manches doch sehr unglaubwürdig erschien. Auch bleibt Jay im Gegensatz zu Sloane und Violet recht blass.
Davon abgesehen ist „Eine falsche Lüge“ genau so, wie ich mir einen guten Psychothriller wünsche: Hochspannung ohne Blutvergießen, ein packender Schreibstil und psychologisch interessante Charaktere.

Bewertung vom 27.08.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

Daniela Dröscher wurde mir aufgrund ihres Buches „Lügen über meine Mutter“ vielfach empfohlen, und so habe ich voller Vorfreude zu ihrem neuesten autofiktionalen Werk gegriffen. Die Protagonistin Daniela steht kurz vor ihrem Rigorosum und hat endlich eine befristete Festanstellung in der Wissenschaft in Aussicht, als ihr Körper streikt und die vielfältigsten Beschwerden auftreten. Es beginnt eine Odyssee von einer Arztpraxis zur nächsten, die Mediziner:innen sind bestenfalls desinteressiert bis unverhohlen genervt von ihrer Patientin mit den unklaren Symptomen. Dieser Part ist mir aus eigener Erfahrung nicht unbekannt, und Dröscher beschreibt die Probleme des Gesundheitssystems treffend.

Als Romanhandlung waren mir die eingehende Beschäftigung mit Krankheiten, Medikamenten, Arztbesuchen und ihr rotierendes Gedankenkarussell aber zu dünn. Dass sich ihr beruflicher Stress und die unsichere Beschäftigungssituation samt prekärer finanzieller Lage im Universitätsbetrieb auf die Gesundheit niederschlagen, ist zwar glaubwürdig, aber wenig originell. Die bemüht wirkende Verbindung zwischen ihren Krankheiten und dem Verhältnis zu Bruder und Mutter erschien mir etwas abwegig. Grundsätzlich ist es auch immer schön, einen Einblick in das Innenleben einer Figur zu bekommen, aber auf die detaillierte und bildliche Beschreibung der Darmspülung hätte ich doch gerne verzichtet.

Leider konnte ich hier auch mit der Intertextualität, die sich durch da gesamte Buch zieht, nichts anfangen, da die Autor:innen und Dichter:innen, auf die sie referenziert, nicht meinen Literaturvorlieben entsprechen.

Hinzu kommen offensichtliche inhaltliche Fehler. So gehören die von Daniela Dröscher genannten Wirkstoffe wie Fentanyl, Codein und Tramadol entgegen ihrer Behauptung nicht zur Gruppe der Nicht-steroidalen Antirheumatika, sondern zu den Opioiden. Selbst als Nicht-Medizinerin wurde ich hier stutzig. Auch wundert mich, dass sie in Bezug auf die Bewertung der Dissertation der Protagonistin immer nur die Stufen „summa“ und „cum“ erwähnt und die dazwischenliegende Note „magna“ unterschlägt.

Insgesamt hat mich „Junge Frau mit Katze“ leider enttäuscht und lässt mich etwas ratlos zurück.

Bewertung vom 27.08.2025
Goldewijk, Yorick

1000 und ich. Zweifle nicht, zögere nicht, hinterfrage nicht.


gut

Letztes Jahr haben mein Sohn (11) und ich mit Begeisterung „Cato und die Dinge, die niemand sieht“ von Yorick Goldewijk gelesen, und so war ich sehr neugierig auf sein neuestes Werk „1000 und ich“, zumal ich Dystopien sehr mag und der Klappentext entsprechende Assoziationen weckt.

8 lebt zusammen mit vielen anderen „Unbeseelten“ in Surdus, wird durch eine Stimme aus einem Bildschirm in ihrer Wohnzelle indoktriniert, von Spähern auf Schritt und Tritt überwacht. Jeden Tag geht sie der gleichen monotonen, stumpfsinnigen Tätigkeit nach, durch die sie „kalibriert“ wird. Die Unbeseelten leben wortlos und ohne Kontakt nebeneinander her, doch 8 fühlt eine unbestimmte Sehnsucht. Eines Tages erhascht sie einen verbotenen Blick einer anderen Unbeseelten, und sie setzt alles daran, diese wiederzusehen, auch wenn es ihre Eliminierung bedeuten kann.

Zu Beginn fühlte ich mich an „1984“ erinnert. Die Unbeseelten werden darauf kalibriert, „nichts“ zu sein, stoisch sinnlose, immer wiederkehrende Befehle auszuführen. Der Name „Surdus“, der im Lateinischen „dumpf, gefühllos“ bedeutet, ist passend gewählt. Die Erzählung wird zunehmend surreal, verlässt die Grenzen der Logik und ich habe mich mehrmals gefragt, in welcher Welt die Handlung angesiedelt ist und worum genau es sich bei den Wesen handelt, die beispielsweise niemals essen müssen. Erst gegen Ende klärt sich dies alles auf und führt zu einem Aha-Erlebnis, dessen Prinzip mich an eine bekannte Filmreihe erinnert. Näher kann ich nicht darauf eingehen, da ich nicht spoilern möchte. Wer das Buch gelesen hat, wird aber wissen, worauf ich mich beziehe.

Die Geschichte enthält einige interessante Ansätze, die jedoch erst im Nachhinein klar werden, und man braucht eine gewisse Ausdauer, um bis dahin durchzuhalten. Einige Handlungselemente kehren mehrfach wieder, auch die Gedanken von 8 drehen sich im Kreis, und ich merkte, dass ich beim Lesen ungeduldig wurde. Mein Sohn hat mit 11,5 Jahren schon nach den ersten Seiten die Lust verloren. Die surreal anmutenden Ereignisse erschweren das Verständnis, und echte Spannung kommt nicht auf. Bei der Zielgruppe ab 12 Jahren kann ich mir nicht vorstellen, dass diese angesichts der monotonen, verwirrenden Handlung bei der Stange bleiben. Für ältere Kinder und Erwachsene empfinde ich die Gesamtidee wiederum als nicht komplex genug; so war mir beispielsweise sehr schnell klar, wie die Zahlen 1000 und 8 zusammenhängen und welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben.

Insgesamt würde ich dieses Buch am ehesten Leser:innen ab ca. 14 Jahren empfehlen, die Interesse an Gedankenspielen haben. Mich konnte die Geschichte leider nicht überzeugen und ich vergebe knappe 3 Sterne.

Bewertung vom 24.08.2025
Kelly, Julia R.

Das Geschenk des Meeres


ausgezeichnet

An einem Wintertag um 1900 findet der Fischer Joseph am Strand der kleinen schottischen Insel Skerry einen Jungen, der vom Meer angespült wurde. Der Kleine überlebt, und die Lehrerin Dorothy erklärt sich auf Bitten des Pfarrers bereit, ihn bei sich aufzunehmen, bis seine Herkunft geklärt ist. Doch diese Aufgabe bringt Dorothy an den Rand ihrer Kraft, hat sie doch selbst 20 Jahre zuvor ihren eigenen Jungen Moses im selben Alter an das Meer verloren. Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen für Dorothy immer mehr, und sie muss sich der Trauer und dem Schmerz stellen, ihren Erinnerungen, die sie jahrelang verdrängt hat. Und nicht nur bei ihr reißen alte Wunden auf…

Julia R. Kelly erzählt in zwei Zeitebenen, „Jetzt“ und „Damals“, die sich kapitelweise abwechseln und vor allem gegen Ende immer stärker ineinander übergehen, wenn sich die Figuren im Jetzt an die Ereignisse vor langer Zeit zurückerinnern.

Der einfühlsame und atmosphärische Schreibstil gefiel mir auf Anhieb, und ich hatte beim Lesen die karge Schönheit der Küste und das raue Meer genau vor Augen. Sehr gelungen fand ich die Figurenzeichnung, die die einzelnen Charaktere glaubwürdig und lebendig wirken lässt, ambivalent und zutiefst menschlich.

Besonders gut konnte ich mich in Dorothy hineinversetzen. Sie kommt als junge Lehrerin neu nach Skerry, in eine alteingesessene Dorfgemeinschaft, und ihre Zurückhaltung und Unsicherheit lassen sie unnahbar und arrogant erscheinen. Sie hat keinen guten Start bei den Frauen im Dorf, und wie so oft machen Ängste, Missverständnisse, Unausgesprochenes und Missgunst das Zusammenleben schwer.

Der Roman zeigt zudem, welche Herausforderung die Mutterschaft an uns Frauen stellt: Da sind die Selbstzweifel, die wohl jede junge Mutter kennt, ob man denn alles richtig macht, dem Kind gerecht wird, liebevoll und aufmerksam genug ist. Negative Erfahrungen aus der eigenen Kindheit können zusätzlich blockieren, und der kritische Blick von außen, nicht selten gerade durch andere Frauen, erhöht den Erwartungsdruck noch zusätzlich.

Bis zum Schluss hält der Roman die Spannung, auch wenn ich in vielen Punkten bereits die richtige Vermutung hatte, was dahinterstecken könnte. Ich habe dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite geliebt, und es hat mich auf eine Weise bewegt und zum Nachdenken gebracht, wie es nur ganz wenige Bücher schaffen. Wunderschön und traurig zugleich, voller verpasster Chancen und dennoch mit der Hoffnung auf eine versöhnliche Zukunft. Ein wirklich herausragendes Debüt, das ich von Herzen weiterempfehlen möchte!

Bewertung vom 21.08.2025
Collin, Philippe

Der Barmann des Ritz


sehr gut

Philippe Collin schreibt über das Leben von Frank Meier, der zur Zeit der deutschen Besatzung in Frankreich Barmann im legendären Nobelhotel Ritz war. Während die Nazi-Größen im Ritz ein- und ausgehen und von Meier an der Bar bedient werden, hütet er ein Geheimnis: Als Sohn eines polnischen Juden schwebt er permanent in Lebensgefahr. Gleichzeitig hilft er anderen Juden unterzutauchen.

Der Roman basiert auf realen Personen und Ereignissen, ergänzt diese jedoch durch fiktive Begebenheiten. Auch die Tagebucheinträge von Frank Meier, die immer wieder dazwischengeschoben werden, entspringen der Vorstellung von Philippe Collin.

Das Buch besteht aus kurzen, jeweils mit einer Datumsangabe versehenen Kapiteln, die dem Roman einen chronologischen Charakter verleihen. Frank ist hin- und hergerissen im Spannungsfeld zwischen ständiger Lebensgefahr und dem privilegierten Leben im Ritz. Während ein Großteil der französischen Bevölkerung Not leidet, mangelt es im Nobelhotel an nichts. Frank lebt in ständiger Angst um sich, seine große Liebe Blanche und seinen jüdischen Lehrling Luciano. Während seine Augen und Ohren an der Theke stets wachsam sind, muss er die perfekte Fassade als Barmann gegenüber den Nazis aufrechterhalten.

Der Schreibstil ist sehr eingängig zu lesen, und die ungewöhnliche Perspektive eines Barmanns hat einen besonderen Reiz. Die mondäne Atmosphäre im Ritz konnte ich mir beim Lesen sehr gut vorstellen. Die Figuren blieben für mich alle jedoch etwas unnahbar, auch Frank. Wirklich sympathisch wurde er mir nicht, was vielleicht an seiner etwas anbiedernden Art gegenüber der reichen französischen Oberschicht lag. Auch seine Verehrung von Blanche, der Frau des Hoteldirektors, nahm mir zu viel Raum ein.

Sehr hilfreich fand ich das Glossar am Ende des Buches und auch die Fotografien einiger historischer Personen aus dem Buch sowie deren Werdegang nach dem Krieg.

Ein sehr lesenswertes Buch mit einem ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Besatzungszeit in Frankreich.

Bewertung vom 20.08.2025
Keßler, Verena

Gym


ausgezeichnet

Die Protagonistin bewirbt sich auf einen Job als Tresenkraft im MEGA GYM. Im Vorstellungsgespräch gibt ihr der Chef zu verstehen, dass ihr Körper nicht den Anschein erweckt, als trainiere sie selbst regelmäßig. Spontan greift sie zu einer Notlüge: Sie habe erst kürzlich entbunden. Der Chef gefällt sich als Feminist und gibt ihr die Stelle. Um glaubhaft als frischgebackene Mama durchzugehen, warten allerdings einige Fallstricke auf sie, und schnell wird klar, dass sie noch deutlich mehr zu verbergen hat…

Verena Keßler gelingt es, mit relativ wenigen, präzise gesetzten Worten auf 192 Seiten eine intensive, lebendige und teils groteske Geschichte zu erzählen, die einen so starken Sog entwickelt, dass ich sie an einem Tag komplett verschlungen habe. Der Schreibstil ist herrlich bissig, pointiert und humorvoll, so dass ich insbesondere im ersten Drittel ein Dauergrinsen im Gesicht hatte. Doch der Roman bietet weit mehr als nur eine unterhaltsame Geschichte, die die Welt der Fitnessstudios aufs Korn nimmt. Je weiter die Handlung fortschreitet und je mehr man über die Vergangenheit der Protagonistin erfährt, desto mehr Tiefgang entwickelt der Roman, und zeigt, in welche Abgründe Leistungsdruck, Selbstoptimierung, Egoismus und rücksichtloses Aufwärtsstreben führen können.

Ein absolut großartiges Buch, das ich unbedingt weiterempfehlen möchte!

Bewertung vom 14.08.2025
Shusterman, Neal

All Better Now


sehr gut

Mit „All better now“ veröffentlicht Neal Shusterman den ersten Teil einer Dilogie, in dem eine neue Corona-Variante namens „Crown Royale“ die Welt in Atem hält. Vier Prozent aller Infizierten sterben, doch die Genesen sind von einer einem tiefen Glückgefühl beseelt. Die Aussicht auf immerwährendes Glück ist verlockend – ist sie das Risiko einer Ansteckung wert? Diese Frage stellen sich auch Mariel und Rón, die verschiedener kaum sein könnten: Mariel lebt mit ihrer Mutter in einem kleinen Auto, beide kommen kaum über die Runden. Rón ist der Sohn des Milliardärs Blas Escobedo und fühlt eine große Leere in sich. Ein Zufall führt beide zusammen und schon bald müssen sie sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen, denn Genesene und Bekämpfer des Virus verfolgen unterschiedliche Missionen.

Die Idee des Romans hat mich sofort neugierig gemacht, weil ich das Gedankenspiel eines Glücks-Virus ethisch, soziologisch, ökologisch und ökonomisch hochinteressant finde. Welche Auswirkungen hätte ein solches Virus auf unsere Welt? Würden Not, Gewalt, Kriege und Umweltzerstörung ein Ende finden? Andererseits: Gäbe es ohne Konkurrenzdenken, dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und dem Streben nach Erfolg überhaupt noch bahnbrechende Innovationen? Ich hatte mir von „All better now“ eine tiefergehende Auseinandersetzung mit derartigen Fragestellungen erhofft, wurde jedoch weitestgehend enttäuscht. Shusterman geht zwar auf ethische Konflikte ein, etwa, ob zum Wohle der Menschheit als Ganzes eine absichtliche Ansteckung Nicht-Infizierter durch Super-Spreader gerechtfertigt ist, und falls ja, unter welchen Voraussetzungen, doch weitere Überlegungen bleiben an der Oberfläche. Die Auswirkungen der Krankheit werden zudem nicht genauer spezifiziert. Sie die Genesenen wirklich glücklich (und was ist Glück überhaupt?), ist das Glück von Dauer? Auf mich wirken sie eher stumpfsinnig, als stünden sie unter dem Einfluss psychedelischer Drogen.

Die nicht klar umrissenen Veränderungen bei den Genesenen sind für mich das größte Manko des Buches, da es hierdurch inkonsistent und wenig glaubhaft wirkt. So suggeriert Shusterman, die Genesenen würden einen nachhaltigeren, weniger konsumorientierten Lebensstil führen. Gleichzeitig essen sie weiterhin Junk-Food und reisen vermehrt mit Autos und Flugzeugen durchs Land, der CO2-Abdruck interessiert sie schon mal nicht. Ein echtes Umdenken zum Wohl des Planeten sehe ich also nicht. Plötzlich bio-vegan lebende Menschen sind einer amerikanischen Leserschaft vielleicht auch nicht vermittelbar. Auf mich wirkt der ganze Roman diesbezüglich ein bisschen wie eine oberflächliche Behauptung ohne komplexeres Gesamtkonzept.

Auf die unvermeidliche Lovestory hätte ich gut verzichten können, sie ist aber vermutlich ein Zugeständnis an die jugendliche Zielgruppe. Der Schreibstil ist eher einfach gehalten, und streckenweise erinnert mich das Buch an einen Hollywood-Blockbuster, der eine durchaus spannende Handlung, aber wenig Tiefgang bietet.

Am interessantesten finde als Charaktere den Milliardär Blas Escobedo, der erfrischenderweise nicht den gängigen Klischees entspricht, und eine ältere Dame namens Glynis Havilland, deren gewitzte Aktionen für Überraschungen sorgen.

Ich habe lange überlegt, wie ich „All better now“ bewerten soll. Auch wenn ich mir mehr Tiefe und komplexere Charaktere gewünscht hätte, möchte ich hier bei einem Jugendbuch, das auch unterhalten und eine breite Leserschaft erreichen soll, nicht zu strenge Maßstäbe anlegen. Zudem bietet das Buch viel Stoff für interessante Diskussionen und regt zum Nachdenken an, und die Grundidee ist wirklich gut. Ich vergebe daher knappe 4 Sterne.

Bewertung vom 14.08.2025
George, Nina

Die Passantin


gut

Die französische Schauspielerin Jeanne Patou befindet sich gerade in Barcelona, als sie aus dem Fernsehen erfährt, dass das Flugzeug abgestürzt ist, in dem sie eigentlich hätte sitzen sollen. Aus einem inneren Impuls heraus hatte sie den Flieger in letzter Minute doch nicht bestiegen, doch das weiß niemand außer ihr, und so geht ihr Tod durch die Nachrichten. Für Jeanne bietet sich die einmalige Gelegenheit, alles hinter sich zu lassen und ein ganz neues Leben zu beginnen. Doch ist das überhaupt möglich, noch einmal völlig neu anzufangen?
Sie taucht in einem Haus unter, in dem nur Frauen leben, die alle Gewalt durch Männer erfahren haben und sich gegenseitig unterstützen. Viereinhalb Jahre später läuft Jeanne auf der La Rambla zufällig ihrem Mann über dem Weg…
Nina George hat ein zutiefst feministisches, wütendes Buch geschrieben, das sich mit den Folgen der patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft auseinandersetzt: Mit der psychischen und physischen Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind, den strukturellen Benachteiligungen, aber auch dem typisch männlichen Blick durch Kameras: reduziert auf ihren Körper und ihre Sexualität.
Dem stellt sie den Zusammenhalt der Frauen, die gemeinsam in einem Haus wohnen, gegenüber. Diese unterstützen sich gegenseitig, passen aufeinander auf, geben sich Halt.
Trotz des wichtigen Themas konnte mich der Roman allerdings nicht gänzlich für sich einnehmen. Generell stört es mich, wenn vor feministischem Hintergrund das Genus verändert wird: So ist zB immer von „der Mondin“ anstatt von „dem Mond“ die Rede, was bei mir ein Augenrollen hervorruft. Das Schicksal der Mitbewohnerinnen von Jeanne hat mich zudem mehr berührt als das der eigentlichen Hauptfigur, bei der ich mich des Gedankens nicht erwehren konnte, dass sie in der Beziehungskonstellation mit ihrem Mann an ihrer Situation nicht ganz unschuldig ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die aus privaten, wirtschaftlichen, rechtlichen oder gesellschaftlichen Gründen ihrem Ehemann nicht entkommen können, hätte Jeanne alle Möglichkeiten dazu gehabt. Der Macht ihres Mannes gab Jeanne durch ihre Passivität erst recht Raum. Mir fiel es daher schwer, wirklich Mitgefühl mit Jeanne zu entwickeln.
Der Schluss wirkt angesichts des ausführlichen Erzählstils davor etwas überhastet und unglaubwürdig. Insgesamt bleibe ich mit gemischten Gefühlen zurück.

Bewertung vom 14.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


sehr gut

Bijoux ist zwölf Jahre alt, als sie 1993 zu Beginn des Studentenaufstandes aus Kinshasa zu ihrer Tante Mira nach London geschickt wird. Mira ist schweigsam, unnahbar, und auch zwölf Jahre später haben die beiden noch keinen Draht zueinander gefunden. Als sich Bijoux in eine Frau verliebt, muss sie ihre Liebe geheim halten, denn Homosexualität gilt in der evangelikalen Kirchengemeinde, die den Mittelpunkt des Lebens der strengreligiösen Tante bildet, als „unafrikanisch“ und widernatürlich.

Christina Fonthes erzählt abwechselnd und auf verschiedenen Zeitebenen aus der Perspektive von Mira und Bijoux. Bijoux‘ Kapitel zeigen eindrücklich ihre Zerrissenheit zwischen Familie und Tradition einerseits und ihrem Wunsch, als lesbische Frau frei und selbstbestimmt leben zu können. Miras Geschichte, die im Jahr 1974 beginnt, offenbart Schritt für Schritt, wie aus dem einst fröhlichen und ausgelassenen Mädchen eine vermeintlich unerbittliche, strenge und gefühlskalte Frau wurde.

Ich liebe Romane mit Zeitsprüngen und Perspektivwechseln, und erzählerisch hat mir „Wohin Du gehst“ sehr gut gefallen. Bijoux und Mira sind glaubwürdige und vielschichtige Charaktere, in die ich mich gut hineinversetzen konnte und deren Handeln aus dem Kontext heraus für mich nachvollziehbar war, obwohl ich einen völlig anderen kulturellen Hintergrund habe.

Inhaltlich waren einige Entwicklungen für mich jedoch vorhersehbar, und der Schluss war mir ein bisschen zu dick aufgetragen. Sprachlich hat mich „Wohin Du gehst“ nicht ganz überzeugt, da sich einige Satzmuster recht oft wiederholten. So wird ein bestimmtes Parfum ganze siebenmal als „Mischung aus Vetiver, Lavendel und Moschus“ beschrieben, die honigfarbenen Augen zwei Personen werden neunmal hervorgehoben, Bijoux`“Zerfallen“ beim Liebesspiel achtmal. Auch die häufige Beschreibung diverser Kleidungsstücke, Frisuren und Gerüche hätte ich nicht gebraucht. Zum Ende hat sich noch ein kleiner Fehler eingeschlichen, da ein bestimmter medizinischer Test im Jahr 1982 erwähnt wird, der erst 1984 entwickelt wurde.

Fazit: Abgesehen von kleineren Kritikpunkten ein sehr lesenswertes Debüt!

Bewertung vom 08.08.2025
Eschbach, Andreas

Die Auferstehung


gut

In meiner Jugend habe ich die Folgen der Drei ??? rauf und runter gehört, und so war die Aussicht auf eine Erwachsenenversion der drei Detektive sehr verlockend.

Justus, Peter und Bob sind mittlerweile in ihren 50ern und haben sich, auch aufgrund eines tragischen Vorfalls, aus den Augen verloren. Eines Tages taucht plötzlich eine Frau wieder auf, die vor sieben Jahren im brasilianischen Dschungel bei einem Unwetter verschollen ist und für tot erklärt wurde. Da es sich hierbei um Tracy Hitfield, die Enkelin des legendären Albert Hitfield, handelt, dauert es nicht lange, bis jeder der drei auf die eine oder andere Weise mit dem aufsehenerregenden Ereignis zu tun bekommt, denn es gibt jemanden, der Zweifel daran hat, dass die Vermisste tatsächliche diejenige ist, für die sie sich ausgibt…

Der Werdegang von Justus, Peter und Bob in den letzten 30 Jahren ist glaubwürdig dargestellt, und auch, dass sich ihre Wege getrennt hatten, war für mich nachvollziehbar. Dass Freundschaften zerbrechen oder einschlafen, passiert oft genug. Die Erzählweise erinnert sehr an die Originalwerke, was vermutlich beabsichtigt ist, mich aber doch etwas gestört hat. Bei einem Roman für Erwachsene hatte ich einen etwas anspruchsvolleren Stil erwartet. Auch der Handlungsverlauf erinnert mich eher an ein Jugendbuch, da die Geschichte und die Charaktere sehr oberflächlich bleiben, die Wendungen vorhersehbar sind und insgesamt viel zu viele Zufälle eintreten, um plausibel zu sein. Echte Spannung kam beim Lesen leider nicht auf. In manchen Situationen fühlte ich mich auch ein bisschen an „Die Drei ??? und das leere Grab“ erinnert.

Arg breitgetreten wurden die Anfälle von Nostalgie und die Vergleiche zwischen der Technik von damals und heute, wenn sich die drei immer wieder wundern, was heute im Gegensatz zu früher alles möglich ist. Da hatte ich eher den Eindruck, diese wären Mitte 70 und nicht Mitte 50. Kurios klingt in einem Dialog auch der Satz „Das ist ein riesiges Gebiet, größer als Österreich“ angesichts eines amerikanischen Settings. Ich bezweifle, dass in den USA irgendjemand Österreich als Vergleichsmaßstab heranziehen würde. Er würde wohl eher South Carolina wählen.

So charmant ich die Idee finde, die Geschichte der Drei ??? als Erwachsene weiterzuführen, die Umsetzung in „Die Auferstehung“ konnte mich leider nicht überzeugen.