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Benutzername: 
helena
Wohnort: 
Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 05.09.2020
Wer auf dich wartet / DCI Jonah Sheens Bd.2
Lodge, Gytha

Wer auf dich wartet / DCI Jonah Sheens Bd.2


sehr gut

Unterhaltsamer 2.Teil der Reihe um DCI Jonah Sheens

Letztes Jahr las ich ich den ersten Band dieser Krimireihe. Da ich ihn nicht schlecht fand, war ich nun auf ihren Neuen neugierig.
Mord in Southhampton - Zoe, eine Kunststudentin ist tot. Ihr Ex Freund Aidan, Dozent an der Uni, war zur Tatzeit über Skype verbunden. Dabei konnte er die Geschehnisse zwar nicht direkt sehen, aber eindeutige Geräusche hören. Höchst beunruhigt informiert er die Polizei, muss sich selbst jedoch etwas bedeckt halten, da er einiges zu verbergen hat.
Das Team um DCI Jonah Sheens nimmt nun die Arbeit auf und ermittelt vorrangig in Zoes Freundeskreis. Hier gibt es insbesondere Zoes junge und depressive Freundin Angelina mit Borderline Strukturen, ihre ehemalige, sehr religiöse Mitbewohnerin Maeve, den jähzornigen und eifersüchtigen Arbeitskollegen Victor sowie Felix, den etwas merkwürdigen Vermieter. Aber auch in Zoeys Familie gibt es mehr Schein als Sein, da ihr Vater seine Alkoholabhängigkeit versteckt.

Das Team um DCI Jonah mit den Kollegen Juliette Hanson, Lightman und O`Malley wird knapp, aber prägnant und sympathisch in Szene gesetzt. Man bleibt recht distanziert und die dezenten Privatgeschichten behindern nicht die eigentliche Ermittlungsarbeit, die hier sehr im Fokus steht.

Die meisten Figuren werden zwar nicht tief, aber mit Ecken und Kanten dargestellt und verheimlichen Dinge. Sie werden mit Empathie und Wohlwollen gezeichnet, die meisten waren mir jedoch eher unsympathisch. Ich wurde etwas abgestoßen und sogar gegruselt und fühlte mich streckenweise wie in einem Psychothriller (bin aber auch eher zart besaitet), weil die meisten wirklich psychisch auf bedenkliche Weise angeschlagen schienen..:) Und zwar so, dass ich mich fragte, wie dieser Freundeskreis überhaupt funktionieren konnte…Insgesamt wirkte die Atmosphäre zumeist etwas unheilvoll und auch traurig auf mich.
Zoe wird besonders anfangs als sehr selbstbewusst und stark geschildert, doch im Verlauf zeigen sich ihre Handlungen doch eher naiv, co-abhängig und stetig helfend. Ihre Beziehung zu Aidan wird beleuchtet, gerät zwar relativ überzeugend, an manchen Stellen mir jedoch zu schwülstig und trivial.
Auch gefielen mir einige Dialoge nicht so recht, sie wirkten platt und unglaubwürdig.

Thematisch geht es um ungesunde Beziehungen, Liebesbeziehungen, Machtverhältnisse, Abhängigkeiten und Co- Abhängigkeiten, um die Sinnhaftigkeit von Affairen sowie letztlich auch um Empowerment.
Viele Frauenfiguren standen hier im Mittelpunkt, das gefiel mir sehr gut. Sie werden zwar diskussionswürdig beschrieben (Schlankheitswahn, männlich- orientiert), aber es werden auch immer wieder Emanzipationsbestrebungen sichtbar.

Ich las den Krimi gut in einem Rutsch und war gefesselt. Rückblenden, Perspektivwechsel und kurze Kapitel sorgen für Spannung und ein hohes Tempo. Es gab viele vermeintliche Täter, das gefiel mir sehr gut, ich konnte gut miträtseln und es wurden oft falsche Fährten gelegt, wobei einige wenige relativ durchsichtig waren.
Einige Ähnlichkeiten zum Erstlingskrimi bestehen sowohl thematisch, als auch strukturell. So geriet auch der Showdown, der mir leider schon beim ersten Mal nicht recht gefiel, auch hier etwas unglaubwürdig und übertrieben.

Fazit: Unterhaltsamer Kriminalroman
3,5 Punkte

Bewertung vom 24.08.2020
Die Sommer
Othmann, Ronya

Die Sommer


sehr gut

Reichhaltiger Inhalt, etwas mühseliger Stil

Leyla lebt in verschiedenen Kulturen. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater ein ehemals geflüchteter staatenloser Kurde aus Syrien. Leylas Großmutter, gläubige Ezidin, lebt dort noch in einem kleinen Dorf. Leyla verbringt dort jedes Jahr ihre Sommerferien.
Als der Krieg jedoch beginnt, kann sie nicht mehr hinfahren. Stattdessen sitzt der Vater nun rund um die Uhr vor dem Fernseher und verfolgt angespannt die aktuellen Geschehnisse. Angesichts des Syrien- Krieges sowie der Gefahr durch die Daesch (IS), welche die Eziden auslöschen will, helfen sie ihren Verwandten bei der Ausreise nach Deutschland.
Zugleich erzählt der Vater seine eigene Flucht- Geschichte.
Leyla selbst fühlt sich nirgendwo richtig zugehörig, überall macht sie aufgrund ihres Andersseins Diskriminierungserfahrungen. Zudem der Krieg, der ihre Familie hochbelastet und unmittelbar betrifft, von ihren deutschen Freundinnen und Schulkameraden gar nicht wahrgenommen wird.

Viele Thematiken werden hier bearbeitet: die Kurdische Geschichte mitsamt der Unterdrückung, die Ezidische Geschichte mitsamt der Massaker, der Krieg in Syrien, das Flüchtling -Sein, das Asylrecht in seiner ungenügenden Ausprägung, das Migrant - Sein in Deutschland. Es ist zudem eine Familien- und Coming of Age Geschichte inklusive Queer-Seins. Zu viel? Einerseits ja und andererseits auch nicht. Hier wird ein durchaus realistisches Bild gezeichnet, welche unsere aktuelle Modernität abbildet, die komplex, widersprüchlich und vielgestaltig ist. Insofern finde ich das folgerichtig und gelungen.

Nicht so gelungen empfand ich den Schreibstil, die Art des Erzählens. Der Roman kam oft wie eine Aneinanderreihung von Anekdoten daher oder auch wie ein Bericht. Für mich las sich das auf Dauer beschwerlich, sehr nüchtern, zu oft emotionsarm. Wenngleich mich auch einige Szenen wirklich berühren konnten und aufgrund der detaillierten Beschreibungen auch klare Bilder entstanden, besonders vom Alltag in diesem kurdischen Dorf. Ebenso eindrücklich gelangen die Erlebnisse des Vaters sowie die Figur der Großmutter. Zwar werden die Figuren sehr distanziert geschildert, so blieb aber auch genügend Abstand, um über sie nachzudenken. Und über manche Entscheidungen, welche die Figuren treffen oder eben auch nicht treffen (Leyla in ihrer Passivität), lohnt es sich durchaus nachzudenken.

Mehrmals musste ich dennoch Pausen einlegen. Der „brave“ berichtende Schreibstil, die vielen Fakten und aneinandergereihten Anekdoten ermüdeten und langweilten mich etwas. Erst mit Zeit und paralleler Recherche "erarbeitete" ich mir diesen "Romanbericht". So informierte ich mich mit Hilfe anderer Quellen über Eziden und ezidische Kurden im speziellen und erst danach verstand ich Teile dieses Werkes besser, konnte Dinge besser einordnen und sie erhielten mehr Farbe und Hintergrund.
Mich verwirrte zum Beispiel anfangs die Verbindung von Eziden und Kurden – dies wusste ich vorher nicht und es schien mir auch aufgrund der unterschiedlichen Religionen unverständlich. Hierauf geht die Autorin leider kaum ein und thematisiert auch nicht, dass es auch große Konflikte zwischen ezidischen und muslimischen Kurden gab und gibt. Das fehlte mir. Selbstkritisch wurde mir jedoch auch bewusst, wie gern ich Menschen in bestimmte Schubladen sortieren möchte..:)

Insgesamt war das für mich ein etwas unbefriedigender Mix zwischen Bericht und Roman, der jedoch wichtige Themen anspricht, zur Völkerverständigung beiträgt, zur weiteren Auseinandersetzung anregt und damit auch ziemlich nachhallt.
3,5 Punkte

Bewertung vom 17.08.2020
Was Nina wusste
Grossman, David

Was Nina wusste


ausgezeichnet

Sehr intensiv und berührend

Der Klappentext fasst den Roman sehr gut zusammen. Grossman erzählt die Geschichte einer über Generationen traumatisierten Familie, die, wie man im Nachwort erfährt, auf wahren Begebenheiten beruht.

Drei Frauen und ein Mann: Vera, 90 Jahre, ihre Tochter Nina, um die 60 Jahre sowie Gili, 39 Jahre und Gilis Vater Rafael fahren gemeinsam nach Kroatien auf die Insel Goli Otok. Hier musste Vera fast 3 Jahre lang in einem jugoslawischen Straf- und Umerziehungslager Titos verbringen. Ihr Mann Milos hatte sich noch in Haft erhängt. In dieser Zeit verblieb ihre gemeinsame Tochter, die damals 6 jährige Nina ohne ihre Eltern. Obwohl dies nun alles schon sehr lange her ist, wird die „Familie bereits über drei Generationen vergiftet“, geprägt und traumatisiert von der Diktatur und dem Krieg. Was damals genau geschah und welche Spuren dies hinterließ, davon erzählt dieser Roman. Handlungsorte sind schwerpunktmäßig Jugoslawien vor, während und nach dem 2. Weltkrieg, insbesondere das Umerziehungslager Goli Otok sowie ein Kibbuz in Israel.

Die Geschichte nahm mich sehr gefangen, entwickelte einen starken Lesesog und schuf ein beeindruckend intensives Leseerlebnis, aufwühlend, berührend und ins Innerste gehend. Schon auf den ersten Seiten kamen mir die Tränen. Angesichts des beschriebenen Leids wurde ich zu tiefem Mitgefühl angeregt, jedoch nie herunter gezogen. Es las sich zwar traurig und schmerzhaft, aber auch ein wenig schräg und humoristisch, so dass ich oft schmunzeln und auch lachen musste. Zudem beeindruckten mich diese starken Figuren sehr.

Die seelisch sehr tief gezeichneten Figuren kamen mir sehr nahe, als Leser*in war ich sehr dicht an ihnen dran, obwohl man alles aus Gilis Perspektive erfährt. In den Zeiten wird immer wieder gewechselt, manchmal muss man auch sehr genau aufpassen, um zu bemerken, wessen Innenleben gerade eingefangen wird.

Rafael und Gili sind Filmemacher, daher lag es nahe, dass sie alles von ihrer Fahrt nach Goli Otok aufzeichnen, insbesondere die Gespräche miteinander. Gili fungiert zusätzlich noch als „Scriptgirl“, so dass man auch als Leser*in klare filmische Sequenzen vor Augen hat.

Bei Vera, der außergewöhnlich charismatischen, starken, tätigen und sehr hilfsbereiten Frau laufen alle Fäden zusammen. Sie wurde in einer ungarisch-jüdischen Familie geboren und heiratete den Serben Milos. Eine damals sehr ungewöhnliche, nicht allseits akzeptierte Verbindung, aber die Liebe zwischen den beiden schien ungewöhnlich stark.

Ihre Tochter Nina ist hingegen kaum greifbar, unnahbar, stets auf der Flucht, „sie ist da und zugleich abwesend“, „sowohl das verirrte als auch das schwarze Schaf“ der Familie.

Gili, die Erzählerin, steht kurz vor der Trennung, da sich ihr Lebensgefährte ein Kind wünscht. In Bezug auf ihre Mutter ist Gili sehr verbittert, wütend und böse, weil sie so früh von ihr verlassen wurde. Im Verlauf der Reise erfährt und sieht sie jedoch sehr viel und langsam verändert sich ihre Perspektive.

Die Geschichte dieser „verkappten“ Familie mit ihren starken Persönlichkeiten wird hier äußerst eindrücklich und psychologisch tief erzählt. Dabei wird die Geschichte der Juden gestreift, die Geschichte des Balkans, Krieg, Faschismus und Kommunismus. Es geht um Verlust, Verrat, Verlassenwerden, Mutterschaft, Liebe zum Kind, Liebe zum Mann und zur Frau. Und vor allem geht es um die Entstehung von Traumata, deren Langzeitfolgen, die Weitergabe an die folgenden Generationen sowie die versuchte Heilung.

Eines meiner Lesehighlights des Jahres!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.08.2020
Ein Sonntag mit Elena
Geda, Fabio

Ein Sonntag mit Elena


sehr gut

Schön erzählt

Titel und Klappentext wecken ein wenig falsche Erwartungen. Der italienische Titel: „Ein Sonntag“ passt schon eher. Um Elena geht es nämlich letztlich nicht, sondern vorrangig, aber nicht nur, um die Beziehungen innerhalb einer Familie. Besonders stehen dabei der Vater sowie seine mittlere Tochter im Mittelpunkt.

Der Vater, der „den Dringlichkeiten in seinem Leben mehr Aufmerksamkeit gewidmet“ hat, „als den Wichtigkeiten“ verlor vor 8 Monaten seine Ehefrau. Er ist schon in Rente, war früher ein großer Brückenbauer, der viel in der Welt umher reiste. Seine nun erwachsenen Kinder leben verstreut und zu seiner mittleren Tochter, deren Leidenschaft dem Theater gilt, hat er seit dem Tod der Mutter keinen Kontakt mehr. Er ist einsam und hatte sich das Leben in diesem Lebensabschnitt ganz anders vorgestellt.
An einem Sonntag kocht er das erste Mal sehr aufwändig, da seine älteste Tochter und seine Enkelin zu Besuch kommen wollen. Doch die Enkelin verletzt sich ernsthaft und muss ins Krankenhaus. Der (Groß-)Vater ist durcheinander, traurig, geht spazieren und lernt zufällig die dreißig Jahre jüngere Elena und ihren Skateboard-begeisterten Sohn Gaston kennen. Auch die beiden haben Schicksalsschläge zu verkraften… und jeder muss Entscheidungen treffen.

Dieser kurze Roman beginnt mit dem Vater als männliche Hauptperson, doch schon bald wird man gewahr, dass die Geschehnisse seine mittlere Tochter erzählt. Anfangs störte mich die Einführung dieser weiblichen Hauptperson, sie überzeugte mich nicht so ganz und irgendwie ergab sich für mich ein Missklang. Ich gewöhnte mich aber an sie und gab mich zu frieden. Sie erzählt, wie es zu diesem etwas besonderem Sonntag kam und wie es danach weiter ging. Zugleich erzählt sie über sich und reflektiert ihre etwas komplizierte Beziehung zum Vater, zur geliebten Mutter, zu den Geschwistern und insbesondere auch die Beziehung der Eltern zueinander. Sie ist dabei nicht allwissend, sondern bleibt stets subjektiv. Sie erzählt bruchstückhaft und in Rückblenden.
Man erhält daher kurze Einblicke in die Familie, wobei vieles nur angedeutet bzw. angerissen wird, einzelne Szenen wirken wie Spotlights, es wird nicht alles ausgeformt, so dass jede Menge Identifikationspotential für Leser*innen entsteht. Ich konnte mich gut hinein versetzen sowie über eigene Erfahrungen und Ansichten nachdenken. Ein zweites wichtiges Thema ist zudem das Leben selbst. Was ist wichtig, was ist realistisch, welche Entscheidungen trifft man.

Alle Figuren wirken, obwohl man sie eher distanziert betrachtet, zumeist recht authentisch. Sie geraten durchaus tief und werden durch die beschriebenen Dynamiken lebendig.

Der Schreibstil wirkte sehr ruhig, fast meditativ, gleichzeitig leichtfüßig auf mich. Der Autor schreibt leise und sehr schön, dabei humorvoll und liebevoll – eine sehr angenehme Mischung!

Die Geschichte wirkt sehr aus dem Leben gegriffen, sehr echt und überhaupt nicht kitschig. Ein zwei Stellen waren mir vielleicht zu konstruiert, aber letztlich ist das Leben selbst ja doch viel verrückter, als man denkt..:) Inhaltlich wird allerdings im Grunde nichts Neues erzählt, mittendrin langweilte ich mich daher fast ein wenig, bis ich doch wieder mitgenommen und auch sehr berührt wurde.

Fazit: Ein ruhiger, besinnlicher und berührender Roman, der sich mit Familienbeziehungen und den Wichtigkeiten des Lebens beschäftigt.

Bewertung vom 06.08.2020
Alter Hund, neue Tricks / Sean Duffy Bd.8
McKinty, Adrian

Alter Hund, neue Tricks / Sean Duffy Bd.8


sehr gut

Der 8.Teil um einen eigenwilligen Detektive in Nordirland während der Troubles

Der 8.Teil der Sean Duffy Reihe. Für mich allerdings der erste. Ich war super neugierig auf das Setting: Nordirland, Anfang der 90er, die „Troubles“ sind noch im Gange.
Zwar benötigt man für diesen Band keine Vorkenntnisse, dennoch könnten sie wahrscheinlich hilfreich sein und für einen tieferen Hintergrund sorgen.

DI Sean Duffy ist eigentlich nur noch einige Tage im Monat im Dienst. Den Rest verbringt er mit seiner geliebten Tochter und Frau in Schottland. Zu seinen Arbeitstagen nimmt er die Fähre nach Belfast und lebt dort in seinem alten Häuschen. Es geschieht nun aber ein Mord, während der eigentliche Hauptermittler im Urlaub weilt. Duffy muss ihn vertreten und fordert sich seinen alten Kollegen Crabbie an. Der erstmal harmlos erscheinende Mordfall entpuppt sich schon bald als sehr politisch hintergründig.

Duffy ist ziemlich eigen. Er nimmt seinen eigenen Weg und kümmert sich nicht immer um die Vorschriften. Er ist etwas angeberisch, dickauftragend, ein richtiger Maulheld. Aber auch sehr schlau, sogar intellektuell, manchmal gar etwas elitär wirkend. Er ist literarisch bewandert und ein Musikliebhaber mit großer Plattensammlung. Man erfährt ein wenig aus seinen Lektüren und man kann, wenn man Lust hat, auch die eingestreuten Musiktitel nachhören. Er hat auch düstere Seiten, innere Dämonen, mit denen er mich ein wenig an Harry Hole erinnerte. Grundsätzlich gefiel mir Duffy ganz gut, obwohl ich sein Verhalten manchmal zu dick aufgetragen fand.

Den Fall an sich fand ich nur mäßig spannend. Der Klappentext verrät für meinen Geschmack auch etwas zu viel. Gegen Mitte/ Ende wird es trotzdem sehr spannend, sehr bedrückend, sogar auch berührend. Es geht hier um ein größeres Ganzes, um größere politische Zusammenhänge, was mir wirklich gut gefiel.

Für mich war sowieso eher das Setting das Spannende und Reizvolle, hier kam ich ganz auf meine Kosten. Das Milieu, das Lebensgefühl wird sehr gut gezeichnet. Die stetige Gefahr und Gewalt wird spürbar. Duffy guckt gefühlt 100 Mal unter sein Auto, ob sich da ein Sprengsatz befindet. Dies und noch viele andere Details erhellen das Bild Nordirlands, einer Gesellschaft, die an „posttraumatischem Stress- Syndrom“ litt, obwohl „das traumatische Ereignis noch nicht mal vorbei“ war. Die Polizei wird von niemandem gern gesehen, was die Ermittlungsarbeit durchaus erschwert.

Eine zweite Thematik, die mir gut gefiel, war die Vergänglichkeit, die Veränderlichkeit des Lebens, ja auch die Endlichkeit. So sinniert Duffy immer mal wieder über sein Leben. Vor allem aber auch über die neuen Ermittlungsmethoden und neuen Ermittler, über die er feststellt: „Die beiden Männer waren jünger als ich. Mitte zwanzig, Anfang dreißig, dem Aussehen nach zu urteilen. Karrieristen. Sie kamen herum. Durchtrainiert. Kein Alkohol. Schicke Anzüge. Gewieft. Die neue Art Polizist. Analytiker. Schlampige Polizisten aus den Siebzigern, die wie ich ihren Institutionen folgten, waren auf dem absteigenden Ast.“ Diese Aspekte gefielen mir ebenfalls gut und lassen Entwicklungen erkennen.

Der Krimi ist in Kapitel mit Überschriften eingeteilt.

Hervorheben möchte ich noch den Humor, der sehr gut bei mir ankam. Des Öfteren habe ich wirklich gelacht, obwohl ich manches als etwas übertrieben fand, störte mich das letztlich nicht, ich amüsierte mich. Besonders die Dialoge fand ich sehr lebendig geschrieben.

Fazit: Zumeist spannender Kriminalroman mit einem eigenwilligen Detektive, sehr interessanten Milieuschilderungen Nordirlands sowie einem sehr lebendigem Humor! Jetzt muss ich natürlich auch noch einige der Vorgängerbände lesen…:)

Bewertung vom 25.07.2020
American Spy
Wilkinson, Lauren

American Spy


gut

Origineller Genremix

Marie arbeitet in den 80er Jahren nach ihrer Ausbildung in Quantico für das FBI in der Abteilung Spionageabwehr. Sie wird für ein Spezialprojekt der CIA ausgewählt. Als schwarze Frau scheint sie prädestiniert für diesen Auftrag. Sie soll den Staatschef von Burkina Faso korrumpieren. Doch ihr kommen Zweifel, ob sie das wirklich ethisch vertreten kann. Überhaupt gefallen ihr einige Aktivitäten des FBI nicht und es beginnen Schwierigkeiten…

Man erfährt als Leser*in alles in Form eines Briefes, den sie an ihre Zwillingssöhne schreibt. Wie alt diese gerade sind und warum sie diesen Brief überhaupt schreibt, erfährt man nur Stück für Stück, wodurch Spannung entsteht. Auch erfährt man lange nicht, was es mit dem Vater auf sich hat.
Der Brief ist nicht chronologisch erzählt, sondern eher assoziativ und in den Zeiten springend.
Marie reflektiert viel über die eigene Herkunftsfamilie, insbesondere über ihre ältere Schwester Helene, die sie sehr bewunderte, aber irgendwann nicht mehr richtig verstand. Auch diese arbeitete, bis zu ihrem frühen Tod, beim FBI. Die Mutter verließ die Familie und kehrte in ihr Herkunftsland Martinique zurück. Die Mädchen wuchsen so bei ihrem Vater, einem Polizisten, in New York auf. Marie beleuchtet die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern und die eigene Entwicklung. Die Figuren blieben mir jedoch etwas fremd. Auch konnte ich gegen Ende eine Handlung Maries nicht nachvollziehen, da sie irgendwie nicht zu ihren Wertmaßstäben passte. Zudem wurde es manchmal zu „gefühlsduselig", zu häufig wurden verschiedenste Gefühle benannt und auch das passte nicht so ganz ins Bild, da sich Marie eher verschlossen und kühl gab.
Neben der Familie steht natürlich ihre Tätigkeit beim FBI und in der CIA im Fokus. Diese Einblicke in das Spionagewesen, aus dem kritischen Blick einer schwarzen Frau, fand ich hingegen überaus interessant. Atemlos ließen mich die sehr realistisch erscheinenden Schilderungen der Aktivitäten, der Überwachungen von Bürgerrechtsinitiativen im Inland sowie der enormen Manipulation im Ausland, hier insbesondere der Geheimoperationen in Westafrika, zurück. Diese werden recht ausführlich und klar beschrieben. Obwohl ich das alles schon irgendwie gehört hatte, beeindruckte es mich Des Weiteren gefielen mir in diesem Zusammenhang die Diskussionen über Demokratie (-aufbau).
Zudem, das gefiel mir ebenfalls gut, wurden die Auswirkungen des Kalten Krieges sowie insgesamt die Diskriminierung von Schwarzen und Frauen nachvollziehbar und spürbar geschildert, ebenso die jeweilige Nichtzugehörigkeit – in den USA gilt Marie als die Schwarze, in Westafrika als die Amerikanerin.
Der Roman wartet noch mit einer Liebesgeschichte auf, die ich jedoch als zu dick aufgetragen empfand. Auch der Schluss geriet mir etwas zu pathetisch.

Tja, was war das nun? Ein Thriller? Ein Spionageroman? Ein psychologischer Familienroman? Ein Liebesroman? Ein Westafrika Roman? Satire, Trash oder Ernst? Von jedem etwas und für mich leider zu viel in einem. Auch aliterarisch sehr durchwachsen- klare gute Sätze wechseln sich ab mit recht trivialen Passagen. Dennoch gefiel mir die Originalität, die ungewöhnliche Hauptfigur- eine taffe weibliche schwarze Spionin sowie das ungewöhnliche Setting und nicht zuletzt der Humor. Obwohl ich insgesamt nur drei Sterne vergebe, bereue ich die Lektüre keinesfalls.

Bewertung vom 11.07.2020
Mai
Mácha, Karel Hynek

Mai


ausgezeichnet

Lohnenswerter tschechischer Klassiker

Ein junger Räuber sitzt im Kerker, da er den Nebenbuhler oder Verführer (?) seiner Geliebten ermordete. Zudem stellte sich heraus, dass dies sein Vater war, der ihn vor einiger Zeit verstoßen hatte. Man lauscht nun seinen letzten Gedanken kurz vor der Hinrichtung. Zugleich hört man man seiner Geliebten zu, man lauscht der Natur und ganz zum Schluss wird man eines Wanderers gewahr, der neben dem Skelett des jungen Mannes von ganz eigenen Empfindungen ergriffen wird.

Mai ist ein 1836 erschienenes Versepos und bei den Tschechen ein Klassiker. Jeder kennt es, wenngleich vielleicht nicht jeder es gänzlich gelesen hat..:) Zumindest die ersten 36 Verse sind wohl geläufig, da sie in der Schule gelehrt und traditionell am 01.Mai von jung
Verliebten am Denkmal des Dichters deklamiert werden.

Der Untertitel: „Romantisches Liebesepos“ trifft es nicht so ganz. Was ist das für ein Epos? Ein Liebesgedicht? Ein Schauergedicht? Ein Naturgedicht? Eine Tragödie? Es ist ein Gedicht über das Leben und den Tod, über das Werden und Vergehen. Voller Emotionen: traurig, melancholisch, düster, gruselig, schauerlich, romantisch, hoffnungsvoll, anmutig und sogar humorvoll. Voller jugendlichem Weltschmerz, aber auch altersweiser Hoffnung.

Einige Stellen, einige Bilder waren mir erst mal unverständlich und beschwerlich. Erst nach mehrmaligem Lesen entschlüsselte es sich etwas und entfaltete auch seine volle Wirkung. Andere Stellen waren hingegen sofort eingängig und wunderschön. Es lohnt sich sehr, immer wieder in diese sehr schönen Bilder einzutauchen!
Das Epos ist bezüglich der Strophen und Versmaße abwechslungsreich gestaltet. Inhaltlich bleibt es teils eher vage und lässt einige Fragen offen, nicht alle Zusammenhänge werden hier erklärt. Vorrangig geht es vielleicht auch eher um den Gebrauch der Sprache, um die besonderen Bilder mit ihrer Ausdruckskraft, Poesie, auch Fantasie und Emotionalität. Nicht zuletzt auch um die metaphysischen Gedanken, die zu Máchas Zeiten sicher nicht ganz alltäglich waren.

Der vorliegende Band enthält die tschechische und auch deutsche Version (linke Seite tschechisch, rechte Seite deutsch). Hin und wieder gibt es schwarz/weiß Illustrationen, zumeist eher abstrakt und in Faltbildertechnik.
Es folgt ein sehr umfangreiches Nachwort vom Übersetzer Ondrej Cikan. Er rückt das Versepos in den historischen Kontext und gibt Einblicke in das leider doch recht kurze Leben des Dichters, der sehr viel später erst zu einer Kultfigur avancierte. Zudem wird man für die enorme Herausforderung von Übersetzungen, insbesondere von Gedichten, sensibilisiert. So stellt Cikan verschiedene Versionen der unterschiedlichen Übersetzer gegenüber, was ich überaus spannend fand.
Wenngleich mir dieses ausführliche Nachwort an manchen Stellen etwas zu literaturwissenschaftlich geriet, empfand ich es insgesamt doch als sehr bereichernd, erhellend und vor allem auch notwendig! Sowieso lohnt es sich sehr, weitere Recherchen aufzunehmen, weitere Quellen zu nutzen oder auch sich beispielsweise Vertonungen des Gedichtes anzuhören!

Dieses Gedicht, dieses Versepos las ich vor allem aus Interesse an Klassikern und am Kulturgut der Tschechen. Es hat mir nun große Lust bereitet, mehr über Klassiker unserer Nachbarländer zu erfahren und vor allem auch Mut gemacht, mehr Gedichte zu lesen!

Bewertung vom 10.07.2020
Während wir feiern
Ulrich, Ulrike

Während wir feiern


sehr gut

„Wir feiern doch ständig neben dem Unglück der anderen“

Schweizer Nationalfeiertag. Alexa, Sängerin, bereitet ihre alljährliche Party vor, zu der sie Freunde und Nachbarn einlädt. Sie selbst ist Deutsche und hofft auf eine Einbürgerung. Sie kam vor Jahren aufgrund eines Engagements in die Schweiz und blieb dann der Liebe wegen. Sie lebt mit Adrian, einem Narkosearzt und dessen 16 jährigem Sohn Robert, einem leidenschaftlichem Fußballfan zusammen.
Parallel zu Alexas Partyvorbereitungen fürchtet der Tunesier Kamal seine Abschiebung. Kamal wendet sich an seinen Sprachlehrer Zoltan, den besten Freund Alexas, mit der Bitte um Hilfe. Doch der verwehrt sie ihm aus Gründen, die er sich selbst kaum einzugestehen wagt.

Dieser Roman spielt an diesem einem Tag und nimmt die verschiedensten Menschen in den Blick, wobei man als Leser*in dem inneren Erleben der jeweiligen Personen folgt. Von Beginn an fesselnd, konnte ich ihn kaum aus der Hand legen, obwohl ich zwischendrin hier und da genervt und gestresst, da die Abfolge der Vielzahl an Personen oft sehr schnell vonstatten ging. Es las sich assoziativ, ein schneller Reigen, der aber auch Raum für klare Beobachtungen und treffsichere Sätze ließ.
Diese vielen im Spotlight stehenden Figuren, macht eine sehr komplexe und tiefgründige Charakterisierung nahezu unmöglich, wobei es der Autorin dennoch gelang, überzeugende, wenngleich nicht immer sympathische, nämlich vor allem menschlich- fehlerhafte Figuren zu skizzieren.
Alexa, unheimlich gestresst und nervös wegen der Partyvorbereitung wirkt von sich selbst weit entfernt, hat aber dennoch das Herz am rechten Fleck. Ihre Freundin Evelyne, eine Rapperin, die an Schulen Workshops gibt, kommt zur Party. Ebenso wie Zoltan, der eine berühmte und verehrte Schriftstellerin mitbringt, die sich jedoch recht kantig im Umgang erweist und irgendwann konstatiert, man solle sie nicht mögen, sondern gefälligst ihre Bücher lesen..:) Der ehe erfolglose Schauspieler Brad erscheint, mit dem Alexa eine kurze Affaire hatte sowie ihr Lebenspartner Adrian, der irgendwann bemerkt, nachdem sich Kollegen über die große Anzahl der Deutschen in der Schweiz aufregen, dass sie sich doch eher über den geringen Frauenanteil unter den Ärzten aufregen sollten. Die teils sehr schwulenfeindlichen Jugendlichen um Robert blieben mir etwas unnahbar und fremd.
Kamals Schicksal ging mir nahe und berührte mich sehr. Es blieb mir nachhaltig im Gedächtnis, wie zugleich auch das Verhalten Zoltans. Nur an einer Stelle fiel es mir sehr schwer, Kamals Handeln nachzuvollziehen, möchte das hier jedoch nicht spoilern.

Die Sprache, obwohl doch Deutsch, klang mir hier und da aufgrund der Schweizer Begriffe manchmal – angenehm - fremd. Ich erhielt einen Einblick in das Schweizer Leben, wobei manche Andeutung sicher an mir vorbeiging. Hier können Schweizer bzw. Schweizkenner sicher noch mehr herausziehen.
Thematisch geht es um Beziehungen, um Staatsbürgerschaften und Nationalitäten, um Rassismus, Homophobie, aber auch um Demokratie und Mitbestimmung
Besonders steht hier die „Durchsetzungsinitiative“ der SVP, der Schweizer Rechtsaußenpartei kritisch im Fokus, die völkerrechtswidrige Bedingungen für die „Ausschaffung“ (Abschiebung) schaffen wollte und will.
Kontrastreich werden hier zudem zwei unterschiedliche Migranten dargestellt – die Deutsche und der Tunesier. Verdeutlicht werden ihre unterschiedlichen Wahrnehmungen, Motive, Rollen, Lebenswelten und vor allem Chancen und Möglichkeiten.

Insgesamt liest sich der novellenartig konzipierte Roman ernsthaft, humorvoll, satirisch und mit kritischem Blick. Im Verlauf kippt die Stimmung deutlich und es wird klar, dass eine Katastrophe naht. Das Ende, wenn gleich nicht völlig hoffnungslos, ließ mich bedrückt zurück.
Er inspirierte, mehr über die Schweizer Asylgesetzgebung zu recherchieren und mir das berühmte „Guggisberglied“ anzuhören, welches hier eine Rolle spielt. Zugleich nahm ich mir vor, Virginia Wolfs „Mrs. Dalloway“ zu le

Bewertung vom 06.07.2020
Expedition Natur: WILD! Die Wildkatze
Stütze, Annett;Vorbach, Britta

Expedition Natur: WILD! Die Wildkatze


ausgezeichnet

Wunderbar gestaltet, super interessant!

Dieses wunderbar gestaltete Kinderbuch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird eine Geschichte erzählt, im zweiten Teil werden Sachinformationen vermittelt.
Die Geschichte handelt von einer Wildkätzin mit vier Jungen, die aus ihrem Streifgebiet flüchten müssen, da hier Waldarbeiter am Werke sind. Sie müssen etliche Hindernisse bewältigen und Gefahren überstehen, bis sie endlich ein neues Streifgebiet finden.
Es liest sich spannend, berührend und stets sehr tiernah. Schon hier lernt man eine Menge über Wildkatzen. Illustriert ist die Erzählung mit sehr schönen und realistischen schwarz-weiss Zeichnungen.

Der darauf folgende Sachteil nutzt neben Zeichnungen vor allem auch Fotos und ist grafisch sehr schön mit ansprechenden Farben und in einem lockerem, sehr sympathischem Stil gestaltet. (Auch das Cover mit den glänzenden Augen und Schriftzügen ist übrigens sehr, sehr gelungen..:)
Hier erfährt man nun, wie Wildkatzen genau aussehen, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen, wie sie kommunizieren, was sie essen, wie sie jagen und wie sie generell leben. Die Informationen sind breitgefächert und lehrreich auch für ältere Leser*innen.

Der Tier- und Naturschutz wird nie aus dem Auge verloren. So wird gezeigt, wie die Ökosysteme zusammenhängen, wie Tier und Natur verbunden sind und wie der Mensch, z.B. durch die Schaffung von Waldverbindungswegen, positiv Einfluss nehmen kann.
Zuletzt wird auch der BUND näher vorgestellt, in dessen Zusammenarbeit dieses Buch aus der Reihe Expedition Natur: Wild! entstand (und hoffentlich noch weitere entstehen werden).

Die meisten Wildkatzen Europas leben in Deutschland, sie sind jedoch sehr scheu, man bekommt sie selten zu Gesicht. Hier erhält man nun über sie reichhaltige Informationen in Wort und Bild, überzeugend und kindgerecht dargeboten. Gleichzeitig wird man für den Tier- und Umweltschutz sensibilisiert bzw. motiviert.

Mir hat es sehr gefallen! Es beeindruckte mich und wirkt nach, daher empfehle ich es für alle ab 8 Jahren..:)

Bewertung vom 13.06.2020
Nur Mut! (Fachratgeber Klett-Cotta)
Rohwetter, Angelika

Nur Mut! (Fachratgeber Klett-Cotta)


sehr gut

„Mut und Angst sind die beiden Seiten derselben Medaille.“

Rohwetter, erfahrene Psychotherapeutin und Autorin legt hier ein kompaktes und leicht verständliches Werk über Angst vor. Der Schwerpunkt bildet dabei eine sehr umfassende Sammlung an praktischen Übungen für den Umgang mit der Angst.

Anfangs war ich etwas skeptisch, da mir u.a. ihre Auswahl an Begriffen, die sie etymologisch erläuterte sehr willkürlich erschien. Aber es dauerte nicht lang und ihr Wissen über Ängste überzeugte mich. Sie nutzt ein reiches Repertoire verschiedener Lehren und therapeutischer Verfahren und deren Erkenntnisse. Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, kognitive Therapie, Gestalttherapie, Ego State Therapie, Achtsamkeit, Meditation, Resilienzforschung sowie Gedanken von Dichtern und Denkern fließen in ihr Werk ein.
Sie verweist dabei immer wieder auf ihre Quellen und führt am Ende ein Literaturverzeichnis an. Zudem nutzt sie Fallbeispiele aus ihrer eigenen Praxis sowie Beispiele aus ihrem eigenen Leben.

Rohwetter differenziert einzelne Ängste und erläutert sie genauer (Zukunftsängste, Ängste aus der Vergangenheit, Ängste vor ganz konkreten Dingen, Traumata, ererbte Ängste, Phobien, Lebensängste). Sehr spannend fand ich eine weitere Unterteilung in irrationale, rationale und moralische Ängste, hier gewann ich neue Ideen für mich selbst. Des Weiteren geht sie auf das psychodynamische Modell der Grundformen der Angst nach Riemann ein und beschäftigt sich mit der Angstlust.
Hauptsächlich geht sie jedoch immer der Frage nach, wie man mit der Angst umgehen kann, wie man sie sich zum Freund machen kann bzw. wie man überhaupt mutiger werden kann.

Im Zuge dessen beeindruckte mich ihre Zusammenstellung der zahlreichen (!) praktischen Tipps, Strategien und der vielen (!) Übungen, wie man mit Angst umgehen kann. Diese (umfassende) Fülle hatte ich so eigentlich nicht erwartet. Sie unterteilt sie in Übungen für akute Notfälle sowie in dauerhaft beruhigende Übungen. Am Ende werden sie nochmal sehr übersichtlich zusammengefasst.
Einige Übungen sind recht anspruchsvoll und man sollte Vorkenntnisse über Visualisierungen oder der Arbeit mit inneren Anteilen haben. Manche Übungen würde ich vielleicht nur mit einem Therapeuten durchführen. Man benötigt sicherlich auch Disziplin und eine gewisse Souveränität. Andere Übungen wiederum sind sehr einfach zu handhaben. Insgesamt scheinen jedoch alle Übungen wirksam und ich denke jeder kann hier das Passende für sich finden.

Die Autorin schreibt sehr ressourcenorientiert, nahbar und verständlich. Die Zielgruppe erscheint weitgefasst. So erscheint das Buch geeignet für Menschen mit sehr starken oder auch häufigen Ängsten bzw. Panikattacken, aber durchaus auch für Menschen mit leichteren bzw. seltener auftretenden Ängsten. Hilfreich auch für Studierende und Menschen, die in pädagogisch oder therapeutischen Bereichen tätig sind.

Fazit: Ein reichhaltige, kompakter Überblick über Angst mit einer Fülle an hilfreichen Übungen. Empfehlenswert und überzeugend!