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Urte Köhler

Bewertungen

Insgesamt 78 Bewertungen
Bewertung vom 26.11.2023
Eine halbe Ewigkeit (eBook, ePUB)
Kürthy, Ildikó von

Eine halbe Ewigkeit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eine wundervolle Geschichte, in der sich eigentlich jede Frau Mitte 50, die Kinder hat und verheiratet ist, wiederfindet.
Ihre Schilderungen über die Begleiterscheinungen des Alltagslebens mit Kindern sind treffend und absolut wahr. Die Formulierung der vorübergehend verminderten Lebensqualität während der Nachwuchs sich durch die Pubertät kämpft ist zwar sehr hart, entbehrt aber leider nicht seine Grundlage. Verbunden mit dem Eintauchen in die Wechseljahre kann das schon mal zu einem hormonellen Supergau führen.
Der Wunsch nach Flucht und einem wie auch immer gearteten anderen, neuen Leben taucht da schon mal am Horizont auf und je nach Stimmungslage können die Hormone anstehende Entscheidungen ziemlich einseitig beeinflussen.
Ildikó von Kürthy gelingt es auf anschauliche, gefühlsmäßig aufgeladene Art und Weise den Leser abzuholen und in das Drama des Lebens Mitte 50 einzubinden. Die Menschen, die die Autorin/Protagonistin in dieser Phase des Lebens kennenlernt, bilden einen bunt zusammengewürfelten Haufen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat, aber einen sehr unterschiedlichen Hintergrund hat und dadurch anders geprägt worden ist.
Viele offene Fragen des Lebens finden auf einmal Antworten, die so ganz anders ausfallen, als die Autorin/Protagonistin es sich gedacht hat. Plötzlich fallen Belastungen ab, Lebenserfahrungen und Kommunikation weisen den Weg in die kommenden Jahre, kleine Veränderungen bringen eine ganz neue Dynamik in den bisher eingefahrenen Alltag und öffnen neue Perspektiven.
Die Frage nach Veränderungen, Gewohnheiten und Bequemlichkeit bekommt einen anderen Stellenwert als noch 25 Jahre früher.
Diese Geschichte ist eine Homage an das Leben, seine Vielfältigkeit und an das, was jeder für sich daraus macht.

Bewertung vom 29.09.2023
Between Us - Die große Liebe kennt viele Geheimnisse (eBook, ePUB)
McFarlane, Mhairi

Between Us - Die große Liebe kennt viele Geheimnisse (eBook, ePUB)


sehr gut

Mhairi McFarlane mal anders. Reifer irgendwie.
Die Figuren sind nach altbewährter Art wunderbar angelegt und in sich stimmig. Sie ergänzen sich wunderbar mit dem Charakter der Heldin, der in diesem Roman erstmalig umfassend Raum für innere Reflexion gegeben wird. Ein Vorgang, der in den vorherigen Romanen weniger ausgeprägt war.
In ihrer Geschichte arbeitet die Autorin erschreckend realistisch heraus, wie jemand jahrelang in einer Beziehung leben kann, der Meinung ist, alles sei bestens, um dann festzustellen, dass ein wesentlicher Charakterzug des Partners all die Jahre im Verborgenen blieb. Nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht, durch Gespräche mit Freunden, Sätze, die scheinbar harmlos sind, aber doch ein immenses Gewicht haben. Die Protagonistin Roisin dröselt die Zusammenhänge auf, angestoßen von der Tatsache, dass sie das Gefühl hat, ihre Beziehung hat sich verändert, seit ihr Partner Joe auf der Erfolgsschiene fährt. Und das ziemlich rasant.
Unterstützung erhält sie dabei von ihrem langjährigen Freund Matt aus der Clique, der schon seit längerem Zielscheibe des Spotts von Joe geworden ist. Deshalb hat er Abstand und kann Joes Charakter klar erkennen.
Was mir an dem Roman besonders gut gefallen hat, ist die Tatsache, dass die Helden nicht um den heißen Brei herumreden, sondern die Fakten/Gefühle deutlich aussprechen und den anderen damit konfrontieren. Nichts ist in meinen Augen schlimmer und langweiliger zu lesen, als Helden, die um ihre Gefühle herumeiern, meinen, sich nie wieder im Leben verlieben zu dürfen und den anderen in die Flucht zu schlagen, wenn sie sich trauen, zu ihren Gefühlen zu stehen.
Das ist hier zum Glück nicht der Fall und deswegen ist diese Liebesgeschichte so erfrischend und ehrlich. Es hat wohl auch mit dem Alter der Helden (und Autorin?) zu tun. In den Dreißigern ist man schon etwas abgeklärter im Umgang mit der Liebe und nicht mehr so grenzenlos naiv und unerfahren wie in den Zwanzigern.
Eine wunderbar ehrliche und realitätsbezogene Geschichte, die verdeutlicht, dass manchmal die Dinge des Lebens im Umbruch sind, aber wenn man zu sich selbst und seinen Gefühlen steht, steht man nicht allein da.

Bewertung vom 26.08.2023
Der Glanz der Zukunft. Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent (eBook, ePUB)
Marly, Michelle

Der Glanz der Zukunft. Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent (eBook, ePUB)


gut

Ein Buch über eine Frau, die man durchaus beneiden kann. Nicht unbedingt für ihre Freundschaft mit Yves Saint Laurent, sondern für ihre heute in der Art nicht mehr mögliche Karriere. Kein abgeschlossener Bildungsweg mit zwangsläufig daraus folgender Karriere, sondern Umwege über Bekanntschaften, Freunde und Wegbegleiter, die es Loulou de la Falaise möglich gemacht haben, dass zu tun, was ihr gefällt und vor allem das, worin sie gut ist: Mode. Nicht das Entwerfen, sondern das stimmige Kombinieren von Kleidungsstücken und Accessoires. Ganz nebenbei erhält der Leser Einblick in die zum Teil schrillen Teile und farbenfrohe Bekleidung der Zeit.
Damit einher geht ein Sittengemälde der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Wer in der Zeit groß geworden ist, kann einen Hauch des Lebensgefühls noch erahnen, das Wilde der 60er und der Aufbruch des Feminismus. Aber leider auch Drogen und zerbrechende Existenzen.
Die Figur des Yves Saint Laurent kommt für meinen Geschmack etwas zu dünn rüber. Als Leser kann man erahnen, was für eine fragile Seele der Designer war. Manchmal hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht. Das hätte ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen beiden Persönlichkeiten - de la Falaise und Saint Laurent - gegeben, welches jetzt lediglich an der Oberfläche kratzt.
Insgesamt ist die Romanbiografie ein lesenswertes Buch, wobei meiner Meinung nach das Sittengemälde im Vordergrund steht und damit die Möglichkeiten einer jungen Frau, in dieser Zeit ihren Platz im Leben zu finden.

Bewertung vom 05.08.2023
Die Erfindung des Lächelns (eBook, ePUB)
Hillenbrand, Tom

Die Erfindung des Lächelns (eBook, ePUB)


gut

Die berühmte Meinung über das Lächeln der Mona Lisa ist auch in diesem Roman vielfältig. Es steht nicht im Zentrum der Betrachtungen, und doch lässt sich jeder der Betrachter zu einer Meinung darüber herab.
Ich bin in dieses Buch mit aufgeregten Erwartungen gestartet, die zum großen Teil auf die Lektüre der kulinarischen Krimis um Xavier Kieffer beruhen.
In der Erfindung des Lächelns kommt zwar wieder Hillenbrands hervorragende Fähigkeit, eine verzwickte Geschichte zu stricken zum Einsatz, doch sind die Verwicklungen mitunter etwas weitschweifig und nur am Rande für den Verlauf der Geschichte notwendig. Nichtsdestotrotz ist die Geschichte ungemein spannend und absolut lesenswert.
Gut recherchiert, lernt der Leser eine Menge über die Epoche und das Alltagsleben der Protagonisten.
Auch das bekannte Personen in den Aufklärungsfall verwickelt sind, gibt der Geschichte eine interessante Note, versucht man doch, sein eigenes Wissen über sie mit den Handlungen im Roman zu verbinden. Was mir bei Picasso nicht ganz gelingen wollte. Seine Persönlichkeit stellte ich mir anders vor.
Über das Ende des Buches kann der Leser verwundert sein. Das Nachwort schließlich gibt ein wenig Aufschluss über den Ausgang der Geschichte. Das macht nichts, wie der Leser feststellen wird, wenn er das Nachwort gelesen hat. Ich will hier nichts vorweg nehmen.
Insgesamt ist es ein gut zu lesendes, spannendes Buch mit teilweise skurrilen Charakteren und lustigen Begebenheiten, so nach dem Motto, die besten Geschichten schreibt das Leben selbst. Und Tom Hillenbrand verpackt sie in eine wunderbare Krimi-Story.

Bewertung vom 12.06.2023
Sommertage im Quartier Latin / Paris und die Liebe Bd.1 (eBook, ePUB)
Martin, Lily

Sommertage im Quartier Latin / Paris und die Liebe Bd.1 (eBook, ePUB)


gut

Wäre die Seine ein plätscherndes Bächlein, dann würden sich die Story und der Fluss durch Paris ähneln.
Leider hat die Seine aber so gar nichts von einem Bächlein, sodass die Sommertage im Quartier Latin zwar in der lauen Luft träge vergehen, jedoch nichts Mitreißendes an sich haben.
Die Geschichte, gewebt wie ein duftiges Stück Voile, fesselt den Leser nicht durch die spröde, teilweise nicht nachvollziehbare Selbstfindung der Heldin Lola, sondern durch die federleichte Stimmung in den Zeilen, die den Leser unmittelbar auf den Place de la Contrescarpe verfrachtet, vor sich ein Pain au chocolat und einen Kaffee.
Diese Stimmung ist es, die etwas Magisches auf den Leser ausübt und ihn das Buch zu Ende lesen lässt. Über die holprigen, unbeholfenen Entwicklungsschritte Lolas ist man dann bereit, hinweg zu sehen. So manches Mal habe ich bei den Überlegungen der Heldin gedacht: wie doof kann man sein?
Wer die Liebe nicht erkennt, die ihm vor die Füße fällt und mutig danach greift, der hat etwas Wichtiges nicht verstanden: sie als Geschenk anzunehmen. Dafür braucht es keine Ahnen, die einem mit Briefen auf die Sprünge helfen, keine Parallelen zu irgendwas. Dafür braucht es gesunden Menschenverstand und Mut. Garantien hat das Leben nicht vorgesehen.
Dennoch ist das Buch zu empfehlen, für Leser, die sich aus ihrer eigenen Welt wegträumen wollen. Ein Sommerabend in Paris ist dafür wie geschaffen.

Bewertung vom 23.05.2023
Wo du mich findest (eBook, ePUB)
Barns, Anne

Wo du mich findest (eBook, ePUB)


weniger gut

Angelockt durch die Thematik habe ich das Buch neugierig aufgeschlagen und musste feststellen, dass der Erzählstil einem Bericht ähnelt. Und zwar einem, der der Person erzählt wird, die an dem Geschehen teilhat.
Das war doch sehr ernüchternd.
Auf der anderen Seite jedoch ist die Ich-Perspektive sehr erhellend, was die gefühlte Welt der Protagonistin angeht. Um diese dreht sich die Geschichte nämlich.
Die Fähigkeit einer Frau sich eine Lebenswelt zurecht zu spinnen, die sich an der zufälligen Begegnung mit einem Fremden entzündet. Die Auswirkungen auf ihr reales Leben und die Veränderungen, die sich daraus ergeben.
Das alles ist sehr nachvollziehbar geschildert, auch wenn der geneigte Leser nicht alles wirklich versteht und ganz sicher andere Schritte machen würde, wäre er in derselben Situation.
So manches Mal hätte ich mir gewünscht, die Gefühlswelten wären ausführlicher und eingängiger geschildert worden. Gerade die Reaktionen des Fremden fallen ziemlich dünn aus und der Umgang der weiblichen Protagonistin damit ist unglaubwürdig. Besonders weil sie ihr Leben umkrempelt, den Fremden sucht und sich ihm anvertraut. Ihre ach so großen Hoffnungen finden kein Echo - in die eine oder andere Richtung - in den knappen Sätzen, die der nun nicht mehr Fremde benötigt, um darauf zu reagieren.
Insgesamt ist die Thematik sehr spannend und bietet viel Raum für emotionale Schilderungen, psychologische Zusammenhänge und daraus resultierende menschliche Verhaltensweisen.
Leider kommt das alles - für meinen Geschmack - in diesem Roman zu kurz.

Bewertung vom 27.03.2023
Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1 (eBook, ePUB)
Bonetto, Andrea

Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Vito Grassi, ein Mann in den mittleren Jahren auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung - ausgerechnet in der Provinz. Aber Italien ist auch in der Provinz ein paradiesischer Ort. Also, warum nicht?
Als Commissario hat ihn der in Rom zurückgelassene Alltag gleich wieder mit Beschlag belegt - zwei Leichen! Auf geht's!
Mit Hingabe und akribischer Ermittlungsarbeit gelingen die Aufklärung und die Einführung der Protagonisten und handelnden Personen. Ein wundervolles Team, aus Individualisten, kantigen Typen, Sonderlingen und anderen merkwürdigen Menschen zusammengesetzt, wacht über Recht und Ordnung in einem beschaulichen Teil Italiens - Ligurien.
Der Erzählstil ist gut, flüssig lesbar und die Kapitel so gehalten, dass der Leser an der Lektüre dranbleibt. Ein bisschen Page-Turner.
Die italienische Lebensart wird auf alltägliche Art in die Handlung eingebunden und wer schon mal in Italien war, wird sein dortiges Lebensgefühl aufgefrischt finden. Kochen war noch nie so leicht und schmackhaft wie im europäischen Stiefel.
Kompetenzgerangel wie es in Italien zwischen unterschiedlichen Behörden zum gelebten Alltag gehört, findet sich in den Zeilen wieder. Aber auch, dass es letztlich doch klappt und fundierte Ermittlungsarbeit geleistet wird.
Diese Kriminalgeschichte zu lesen, macht viel Freude und sorgt für unterhaltsame Stunden. Manchmal ist es schon erstaunlich, welche Wendung Dinge nehmen und an welchen Enden man zufällig auf das gestoßen wird, was einen wirklich weiterbringt.
Was allerdings etwas schmal ausfällt, ist der Umgang der Eheleute Grassi nach langem Zusammenleben. Sie agieren mehr nebeneinander und haben sich wenig zu erzählen, sodass der Leser den Eindruck gewinnt, eine Ehe sei nicht unbedingt ein Hinderungsgrund, dass jeder eigene Ziele an unterschiedlichen Orten verfolgt. Was auf der anderen Seite aber erst die Trennung der beiden und damit den Anfang einer unterhaltsamen Krimi-Reihe möglich macht.

Bewertung vom 21.12.2022
Fang jetzt bloß nicht an zu lieben
McFarlane, Mhairi

Fang jetzt bloß nicht an zu lieben


ausgezeichnet

Auch dieser neue Roman der Autorin McFarlane ist wieder gespickt mit wundervollen Charakteren, die allesamt hervorragend angelegt und stimmig sind.
Der Leser steht eigentlich in jeder Szene neben dem Geschehen und so manches Mal möchte man den Charakter einfach nur schütteln oder ihn zu seinem heldenhaften Verhalten beglückwünschen.
Für mich auffällig bei der Lektüre war, dass das Aussehen der Personen zwar am Rande erwähnt wird, es der Autorin aber gelingt, die Schönheit einer Person über die Darstellung der Charaktereigenschaften zu erreichen. Was wieder mal zeigt, dass das Äußere nur eine untergeordnete Rolle spielt, wenn sich jemand auf der Bühne der Lebenspartner befindet. Liebe macht schön.
Anschaulich herausgearbeitet wird auch die massive Gefahr, die von Social Media Plattformen ausgehen kann. Sie kann Leben und Karrieren zerstören und zwar durch die Macht der Anonymität der Masse. Dieses unkontrollierte Heraushauen von Vorurteilen und unqualifizierten Meinungen ohne Kenntnis des Hintergrunds ist beängstigend. Nicht, weil jemand schreibt, er sage die Wahrheit, ist das auch tatsächlich so. Niemand im Netz kennt die wahren Gründe. Sei es weil er den Schreiber nicht kennt oder auch weil sein Horizont zu begrenzt ist, Wahrheiten zu erkennen.
Das es gelingt, einen Mann frauenfeindliches und emotional zerstörerisches Potenzial nachzuweisen, stimmt hoffnungsfroh. Doch dass es dazu mehr als nur eine einzige Frau braucht, ist erschütternd. Warum kann eine Frau nicht genug Glaubwürdigkeit besitzen, eine solche Person zu entlarven?
Ein wundervoller Roman über die Liebe, das Leben und die Macht der digitalen Welt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.10.2022
Das letzte Versprechen (eBook, ePUB)
Lind, Hera

Das letzte Versprechen (eBook, ePUB)


gut

In diesem auf Tatsachen basierenden Roman kann ich die Heldin nur noch für ihre emotionale Kraft bewundern, mit der sie ihr Leben gemeistert hat.
Ein Leben überreich an Qualen und seelischer Not unter der so mancher zusammengebrochen wäre.
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich im ersten Drittel des Buches manche Textpassagen nicht gelesen habe, weil die dort geschilderte Grausamkeit jenseits meiner Vorstellungskraft liegt. Dieses Buch eignet sich nicht als Bettlektüre vorm Einschlafen.
Auf der anderen Seite halte ich es für enorm wichtig, solche Geschichten in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, denn es zeigt auf, was ein Mensch aushalten kann (nicht muss!) und macht deutlich auf welchem Niveau das "Leiden" der Menschen in Erste-Welt Ländern liegt. Was heute als Zumutung empfunden wird ist lächerlich und fast beschämend verglichen mit dem Leid von Anna aus dem hier rezensierten Roman.
Niemand wünscht irgendjemandem das durchmachen zu müssen, was Anna durchgemacht hat, aber wenn es gelingt, die Augen dafür zu öffnen, dem eigenen Leid einen Maßstab anzulegen. Sich vielleicht zu fragen, wie schlimm man tatsächlich dasteht, verglichen mit dem, was an Leid tatsächlich möglich ist. Nicht, dass nicht jeder das eigene Leid als besonders schlimm empfindet, aber angesichts von dem, was möglich ist, sollte niemand sein Leid egoistisch in den Mittelpunkt stellen. So nach dem Motto: mein Leid ist schlimmer als deins.
Ist es das wirklich?
Ich denke, der Leser sollte die Geschichte von Anna als Messlatte nehmen und sich fragen: Wie sieht es wirklich aus mit meinem Schicksal? Sollte ich meine Person vielleicht nicht als das Zentrum des Universums betrachten, dem ständig "Leid" zugefügt wird, weil es nicht nach seinem Willen läuft?

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.10.2022
Der Traum beginnt / Die Wintergarten-Saga Bd.1 (eBook, ePUB)
Roth, Charlotte

Der Traum beginnt / Die Wintergarten-Saga Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Frauen, die Charlotte Roth in ihrem Roman zeichnet, sind authentisch, (meistens) stark, unabhängig und kompromisslos. Letzteres ist etwas, dass die Heldin Nina besonders kennzeichnet.
Vom Theater fasziniert und beinahe schon besessen, sucht sie ihren Platz in Berlin Anfang der 1920er Jahre. Sie trifft auf eine von Männern beherrschte Welt, die so voller Vorurteile gegenüber der Leistung von Frauen sind, dass sie in Nina nur das Provinzmädchen sehen und außerstande sind, ihre Begabung zu erkennen. Geschweige denn, ihr eine Chance einzuräumen. Bis auf den einen, denjenigen, der sich in Nina verliebt.
Der Kampf der Heldin gegen die unfassbar herablassend handelnden Männer ist hart und Nina muss herbe Rückschläge einstecken.
Das Milieu, das Roth treffend und lebensnah beschreibt, lässt die gesellschaftliche Komponente des Romans hervorragend zu Tage treten. Auch wenn Berlin in allen Farben schillert und in der Nacht taghell beleuchtet ist, kann diese äußerliche Pracht die Armut der Menschen nicht verdecken. Hunger schleicht durch die Straßen Berlins, das Leben findet von einem auf den nächsten Tag statt, Obdachlosigkeit gehört zum Straßenbild und der Tod lauert an vielen Ecken.
Und doch ist es den Menschen dieser Geschichte gegeben, stark zu sein, dieses Leben zu ertragen und mit erhobenem Kopf die Zukunft anzupacken. Sie finden die Kraft, ihr Leben neu auszurichten und sich den eigenen Platz zu erkämpfen.
Wie die Autorin es schafft, ihre Protagonisten ihre Wege gehen zulassen, ist das spannende an der Lektüre, die auch den ein oder anderen Lacher bereit hält.
Charlotte Roths Schreibstil ist wunderbar zu lesen, gut flüssig und neugierig machend, was das nächste Kapitel bereit hält.
Am besten allerdings hat mir die Figur der Oma Hulda gefallen. Sie steht stellvertretend für all diejenigen Menschen, die es mit dem Leben aufnehmen, sich nicht unterkriegen lassen und vor allem nicht jammern. Die Protagonistin Nina ist eine wundervoll gelungene Figur, der die Natur diese nützlichen Eigenschaften mitgegeben hat. Jammern nützt nichts und niemand ändert sich, nur weil du wütend auf ihn bist.
Ein wunderschönes Fazit.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.