Familie Fletcher, bitte hier entlang zur Gruppentherapie!
Worum geht’s?
Carl Fletcher, ein reicher Jude, wird in den achtziger Jahren direkt vor seiner Villa entführt. Fünf Tage später taucht er nach Zahlung eines beträchtlichen Lösegeldes wieder auf. Seine Mutter Phyllis tut alles, um ihn davon zu überzeugen, dass er das Erlebte nicht an sich heranlassen soll, das »sei nur seinem Körper passiert, nicht ihm.« In der Folge wird das Erlebte quasi totgeschwiegen und für Familie Fletcher beginnt eine neue Zeitrechnung, es gibt eine Zeit vor der Entführung und eine Zeit danach.
Im Roman begleiten wir die drei Kinder der Fletchers, Beamer, Nathan und die zum Zeitpunkt der Entführung noch ungeborene Jenny durchs Leben und stellen fest, dass so ein Trauma sich auch an spätere Generationen vererben lässt.
Beamer, der als erfolgloser Drehbuchautor in immer neuen Versionen seiner Manuskripte ständig die Entführung seines Vaters nachspielt und sich von Dominas erniedrigen lässt, Nathan, der sich als Anwalt für Bodenrecht lieber in seinen Akten verkriecht, als sich mit realen Menschen zu beschäftigen und der es nicht schafft, seiner Frau wichtige Neuigkeiten wie den Verlust seines Jobs mitzuteilen, und Jenny, die trotz ihrer hohen Intelligenz orientierungslos durchs Leben treibt, an Depressionen leidet und schließlich zum ersten Mal Erfüllung im Leben erfährt, als sie ein Computerspiel entdeckt, in dem sie dafür sorgen muss, dass ihr Avatar ein geregeltes Leben führt.
Wie war’s?
Die Fletchers sind mit ihren über 500 Seiten zwar keine leichte Kost und vor allem der mittlere Teil um Jenny hätte meiner Meinung nach gut ein wenig kürzer ausfallen können, aber insgesamt konnte mich das Buch sehr begeistern.
Die Charaktere sind wie aus dem Leben gegriffen, man kann ihre Beweggründe und Probleme sehr gut nachvollziehen. Man weint, leidet und lacht mit ihnen, denn die Fletchers sind vor allem eins: bitterböse und tragisch-komisch.
Die deutsche Übersetzung von Sophie Zeitz ist ebenso Weltklasse wie das Buch. Ich, ebenfalls Literaturübersetzerin, verneige mich vor den genialen Ideen der Kollegin.
Schon dieser Satz: »Ein anderer Kellner brachte einen Teller Whiskey Bacon Double Mayo Slam Jams, entweder weil die Schicht gewechselt hatte oder weil Lewis die erste Kellnerin gewarnt hatte, keine Knickerwichserin zu sein … einfach herrlich!
Fazit
Von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung und volle Punktzahl! Ich kann mir gut vorstellen, dass eines Tages auch dieses Buch wie das Erstlingswerk der Autorin »Fleishman steckt in Schwierigkeiten« verfilmt wird, Stoff für eine Serie bieten die Fletchers jedenfalls mehr als genug.
Wenn einer eine Reise tut, dann soll er auch erzählen!
Worum geht´s?
Eduard Brünhofer, ehemaliger Autor von Liebesromanen aus Wien, wird von seinem Verleger zu einem Treffen nach München zitiert, bei dem es beruflich um alles oder nichts geht. Eduard teilt sich das Zugabteil mit einer unbekannten Frau mittleren Alters, Catrin Meyr, die sich später als Therapeutin entpuppt. Es entspinnt sich eine stundenlange Diskussion über die Liebe, Meyrs Auffassung von Langzeitbeziehungen und ihrer Unmöglichkeit, die Eduard Brünhofer allmählich immer unangenehmer wird. Bis der Zug schließlich in München einfährt und sich herausstellt, dass alles längst nicht so zufällig war, wie es den Anschein hatte.
Wie war´s?
«In einem Zug« war mein erster Roman von Daniel Glattauer. Gerade ausgelesen bin ich noch ein bisschen zwiegespalten, wie er mir nun gefallen hat. Die Dialoge zwischen Eduard und Catrin sind sehr authentisch und glaubwürdig, man kauft ihr die unbequeme, neugierige Art und ihm als Autor seinen Widerwillen, die unzähligen Fragen zu beantworten, problemlos ab. Die Ausführungen über die Ehe, das Leben und die Liebe fand ich mitunter etwas weitschweifig. Vielleicht tut es diesem Buch wirklich gut, wenn man es quasi »in einem Zug« liest und nicht in vielen kleinen Leseabschnitten. Ich hatte beim Lesen einige Unterbrechungen und habe immer wieder ein wenig den Faden verloren.
Fazit
Für Glattauer-Fans bestimmt klasse. Ich persönlich habe mich grundsätzlich gut unterhalten gefühlt und habe mich gerne als unsichtbare Dritte mit ins Zugabteil gesetzt, bin mir aber ziemlich sicher, dass dieses Buch nicht besonders lange »nachhallen« wird, zumindest nicht bei mir.
Die ›alte Welt‹ ist untergegangen. Ein giftiger Nebel hat alles Leben verschlungen, mit Ausnahme einer kleinen Insel, wo es noch ein paar Überlebende gibt. Diese führen ein friedliches Leben, jeder hat seine geregelte Beschäftigung und Hobbys, die drei Dorfältesten sorgen dafür, dass alles reibungslos läuft.
Bis eines Tages das Unvorstellbare geschieht. Niema, die Beliebteste der Dorfältesten, wird ermordet aufgefunden. Emory, wohl die Einzige auf der Insel, die bisher ihren Weg im Leben nicht gefunden hat und nie lange bei einer Beschäftigung bleibt, untersucht den Mord gemeinsam mit ihrer Tochter Clara. Die Zeit drängt, denn mit dem Mord an Niema wurden auch die Abwehrsysteme der Insel außer Kraft gesetzt, welche die Insel bis dato vor dem Giftnebel geschützt haben. Werden sie es rechtzeitig schaffen, den Mord aufzuklären, bevor der Nebel die Insel erreicht und alle tötet?
Wie war’s?
Vorab möchte ich mal die unfassbar schöne Gestaltung des Covers mit Farbschnitt loben. Ich habe selten ein so schön gestaltetes Buch gesehen und bin schon fast in Versuchung, es zukünftig als Wohnungsdeko zu benutzen, weil die Farben so gute Laune machen.
Zum Inhalt: Es ist schwer, viel über das Buch zu schreiben, ohne zu spoilern. Stuart Turton ist für mich einer dieser Autoren, die in keine Schublade passen, und genau das macht seinen Reiz aus. Ob Krimi à la »und täglich grüßt das Murmeltier«, Gespenstergeschichte auf hoher See oder wie hier düstere Endzeit-Apokalypse mit unerwarteten Twists, sein Werk ist abwechslungsreich und vielseitig.
Die Story ist unfassbar gut konstruiert, man fliegt nur so durch die Seiten. Beim Lesen kommen immer mehr Fragen auf: Was hat es mit Abi auf sich, einer KI, die in den Köpfen aller Bewohner sitzt und ihre Gedanken liest? Warum die nächtliche Sperrstunde und wieso haben die Dorfbewohner morgens oft unerklärliche Verletzungen? Die abschließende Auflösung des Ganzen ist stimmig und es bleiben eigentlich keine Fragen offen.
Auch die Übersetzung der lieben Kollegin Dorothee Merkel möchte ich nicht unerwähnt lassen. Sie hat mir sehr gut gefallen und man vergisst, dass man kein Original liest, ein größeres Lob können wir Literaturübersetzer: innen uns kaum wünschen.
Fazit
Es war mir ein Fest! Schon lange hat mich kein Buch mehr so begeistert wie dieses. Von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung und 11 von 10 Sternen. Greift zu, ihr werdet es nicht bereuen.
Drei Frauen, gefangen in unglücklichen Ehen – ein beeindruckendes Debüt!
Worum geht’s?
Colette Crowley hat das Undenkbare getan: für eine Affäre hat sie Mann und Kinder verlassen und ist nach Dublin durchgebrannt. Doch jetzt ist sie zurück im irischen Küstenstädtchen Ardglas. Jeder ihrer Schritte wird von der Gemeinde argwöhnisch beobachtet. Sie mietet sich im Cottage von Donal und Dolores Mullen ein, um erstmal zur Ruhe zu kommen. Als ihr Mann Shaun ihr nach ihrer Rückkehr den Kontakt zum jüngsten Sohn Carl verbietet, sucht sie in ihrer Verzweiflung schließlich Rat bei Izzy, die in einer unglücklichen Ehe mit Lokalpolitiker James gefangen ist, der sich für die Legalisierung der Scheidung in Irland einsetzt. Izzy versucht, Colette den Kontakt mit Carl zu ermöglichen, was natürlich nicht lange unbemerkt bleibt. So steuern die Frauen immer näher auf die abschließende Katastrophe zu.
Wie war‘s?
Coast Road war für mich ein packendes, erschütterndes Debüt. Ein Buch, dessen Handlung gut vor 100 Jahren spielen könnte, denn ich konnte kaum glauben und mir war bis dato nicht bewusst, dass es 1994 in Irland nicht möglich war, sich einfach scheiden zu lassen, wenn eine Ehe nicht mehr funktioniert. Alan Murrin schildert sehr eindrücklich, was es mit den Frauen macht, nicht aus ihren unglücklichen Beziehungen ausbrechen zu können. Vor allem der Hass, den Izzy auf ihren Mann James entwickelt, war meiner Meinung nach sehr anschaulich dargestellt und auch gut nachzuvollziehen.
Fazit
Kein vergnügliches Buch, kein Buch, das man einfach so nebenbei liest – dafür ein Debüt, das einen lange beschäftigt und im Gedächtnis bleibt.
Elena macht Urlaub in Frankreich. Nana, die Frau ihrer Chefin Ali, liegt im Sterben, deswegen steht das Haus leer. Elena nutzt also die Gelegenheit und macht sich für drei Wochen mit Kind und Kegel auf an die französische Atlantikküste. Mit dabei sind ihre beiden Kinder Rinus und Linn, Nanny Eve sowie eine Freundin ihrer Tochter. Ihr Mann Kolja bleibt zu Hause, in der Ehe läuft es nicht rund. Was als entspannte Urlaubsreise beginnt, steht von Anfang an unter keinem guten Stern und läuft aufgrund innerer Konflikte und äußerer Bedrohungen immer mehr aus dem Ruder.
Wie wars?
Irgendwie wollte ich den Roman mögen, richtig warm geworden bin ich mit meinem ersten Buch von Nina Bussmann allerdings nicht. Das alles wirkt etwas lieblos runter erzählt, die Charaktere bleiben blass, unnahbar und man kann sich mit niemandem so richtig identifizieren (abgesehen davon, dass mir beim Lesen immer wieder durch den Kopf schoss, dass die eigentlich alle eine Therapie bräuchten). Viele Handlungsfäden verlaufen irgendwie ins Nichts, vor allem die plötzlich auftauchenden ungebetenen Besucher, die sich ebenfalls bei Elena einnisten. Was genau will Franz eigentlich dort? Auch dieser latente Konflikt zwischen Eve und Elena. Beide scheinen um die Liebe und Aufmerksamkeit der Kinder zu buhlen, Ehrlichkeit und Offenheit sucht man zwischen ihnen vergeblich. Das im Klappentext groß angekündigte Verschwinden eines der Mädchen spielt sich erst auf den letzten Seiten des Romans ab und ist irgendwie auch weder schlüssig, noch sonderlich interessant.
Fazit
Weglegen und abbrechen war keine Option, weil mich trotz allem interessiert hat, wie die Geschichte ausgeht und was genau Elena in diesen Wochen in Frage stellt oder auf welche Katastrophe das ganze nun hinausläuft (obwohl es sich die ganze Geschichte über schon angedeutet hat und mich letztlich auch nicht überraschen konnte). Insgesamt hat mich das Buch zwar ganz gut unterhalten, fällt aber meiner Meinung nach in die Kategorie »kann man mal lesen, muss man aber nicht«. Auf jeden Fall nichts, was einem längere Zeit im Gedächtnis bleibt.
Das Thema ist so alt wie die Frage, ob wir tatsächlich allein im Universum sind. Wenn wir schon nicht von außerirdischen Lebensformen besucht werden, wie könnten wir uns dann aufmachen, um andere Planeten zu besuchen oder uns vielleicht sogar dort niederzulassen?
Interessant, mit welchen Fragen man sich im Vorfeld so alles beschäftigen muss. Welcher Planet kommt in Frage? Wie sorgen wir für lebensfreundliche Bedingungen, um nicht sofort tot umzufallen, sobald wir fremden Boden betreten? Oder können wir uns am Ende sogar unwirtliche Verhältnisse so zurechtbiegen, dass auch wir Menschen dort überleben können? Wie lange dauert die Reise, wie stehen wir das (physisch wie psychisch) überhaupt durch? Was ist mit Schlaf, was gibt’s zu Essen und wie funktioniert eigentlich eine Weltraumtoilette?
Wie war’s?
Ich war positiv überrascht, wie gut es der Autorin gelungen ist, auch recht trockene Abschnitte wie Entfernungen, berechnete Reisegeschwindigkeiten usw. so Laienverständlich aufzubereiten, dass es sogar mir als leidenschaftlicher Mathe- und Naturwissenschaftsmuffel gelungen ist, bis zur letzten Seite durchzuhalten und mir tatsächlich auch das eine oder andere zu merken.
Faszinierend war auch die Auflockerung durch diverse Farbfotos und Grafiken, die ich allerdings leider am E-Book-Reader in schwarz-weiß anfangs gar nicht so wahrgenommen habe, beim späteren Durchblättern am Tablett war ich dafür richtig begeistert davon.
Besonders schön sind die kleinen Einblicke in Details, von denen man sonst nichts oder nur am Rande erfährt, zum Beispiel das Weihnachtsmenü der NASA als kleine Überraschung für die Astronauten.
Fazit
Ein hochinteressantes Sachbuch für alle, die sich für Raumfahrt und unseren möglichen Weg zur multiplanetaren Spezies interessieren.
Unblutiger britischer Weihnachtskrimi für gemütliche Lesestunden
Worum geht’s?
Edie O’Sullivan, die achtzigjährige Rätsel-Expertin und Kreuzworträtsel-Autorin, kann mit Weihnachten so überhaupt nichts anfangen. Der Dezember ist für sie der schlimmste Monat des Jahres. Zu viele Schicksalsschläge, die ausgerechnet an Weihnachten passiert sind, haben ihr das schönste Fest des Jahres dauerhaft verleidet.
Als am 19. Dezember plötzlich ein Päckchen mit 6 Puzzle-Teilen, die Ausschnitte eines blutigen Tatorts zeigen und einem Brief vor ihrer Tür liegt, ist Edie gefordert. Der mysteriöse Absender droht: sollte es Edie nicht gelingen, bis Weihnachten die Puzzleteile zusammenzufügen, werden mindestens 4 Menschen sterben. Wird sie diese Herausforderung meistern?
Wie war’s?
»Das mörderische Christmas Puzzle« ist ein recht unblutiger Krimi, der trotzdem mit einem tollen Spannungsbogen punkten kann.
Edie als Protagonistin war für mich sehr stimmig dargestellt. Sie schleppt eine Menge seelischen Ballast mit sich rum, unter anderem durch eine sehr schmerzhafte Trennung von ihrer damaligen Freundin Sky und den tragischen Tod ihrer Angehörigen.
Besonders gut gefallen hat mir auch ihre Nachbarin, die neunzigjährige Riga Novack, die immer wieder für einen Lacher sorgt, auch wenn die Ermittlungen mit jedem neuen Mordfall immer schwieriger werden.
Edies Adoptivsohn Sean blieb im Vergleich dazu ein bisschen blass, obwohl auch er grundsätzlich eine interessante Geschichte mitbringt, was seinen Mann Liam und die geplante Adoption angeht, die alles andere als einfach ist.
Die Mordermittlungen, die Edie teils auch im Alleingang erledigt, indem sie der Polizei neue Hinweise verschweigt, sind ebenfalls stimmig, die eingebauten Rätsel zum Mitraten raffiniert (wobei ich darauf ehrlich gesagt nicht so viel Augenmerk gelegt habe, da ich kein großer Rätselfreund bin).
Fazit
Dieses Buch ist jetzt zwar nicht so spannend, dass man es kaum aus der Hand legen könnte, trotzdem habe ich es sehr gerne gelesen und es hat gerade jetzt vor Weihnachten schon eine heimelige Stimmung beim Lesen vermittelt, die mich auf das Fest eingestimmt hat.
Leipzig im Jahr 1681. Anna, ein junges Mädchen, wird beschuldigt, ihr neugeborenes Kind getötet zu haben. Ein Verbrechen, das mit dem Tod bestraft wird.
Ein Arzt und ein Anwalt versuchen mit für die damalige Zeit neuartigen Methoden wie der Lungenschwimmprobe und fortschrittlichen Ideen, Annas Unschuld zu beweisen und sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Ob es gelingt?
Wie war’s?
Ich sollte vielleicht vorab erwähnen, dass historische Romane so gar nicht mein Beuteschema sind.
Trotzdem hat mich der Grundgedanke, anhand der sogenannten Lungenschwimmprobe, die später in die Medizingeschichte eingehen sollte, zu beweisen, dass Anna die Wahrheit sagt, fasziniert, und ich wollte dem Buch unbedingt eine Chance geben.
Und ich wurde nicht enttäuscht und habe mich trotz der umfangreichen 700 Seiten nicht eine Sekunde gelangweilt.
Tore Renberg hat die damalige Zeit für mich lebendig werden lassen. Passenderweise durfte ich dieses Buch auf einer Rundreise durch Leipzig und Dresden lesen, was die historischen Orte für mich noch eindrucksvoller erlebbar gemacht hat.
Komplett hingerissen war ich von der Darstellung der verschiedenen Charaktere, allen voran Dr. Johann Schreyer, der erstmals eine Lungenschwimmprobe durchführt, und Dr. Christian Thomasius, der Rechtsanwalt mit dem Faible für gutes Essen, den wir quasi durchs gesamte Buch begleiten. Renberg hat ihn so gut beschrieben, dass ich oft das Gefühl hatte, direkt neben ihm zu sitzen.
»Er war das Neue.
Über seinem Kopf, davon gehe ich aus, stand eine sengende Sonne.
Manchen Menschen geht es so.« (S. 95).
Auch die Übersetzung von Karoline Hippe und Ina Kronenberger hat mir sehr gut gefallen, sie haben es geschafft, die damalige Zeit auch sprachlich erlebbar zu machen, ohne dass der Text irgendwie anstrengend oder schwierig zu lesen wird.
Einzig und allein bestimmte Szenen, wie z. B. der spätere Rachefeldzug von Hans Heinrich Voigt, Annas Vater, der das Unrecht, das seiner Tochter angetan wurde, rächen will, waren manchmal schwer zu ertragen, was unter anderem natürlich der sehr bildhaften Sprache geschuldet ist, bei der sofort ein Film vor dem inneren Auge abläuft. Aber alles passt, ist stimmig und sicherlich für die damalige Zeit auch authentisch.
Fazit
Ich habe es nicht bereut, mich diesem dicken Wälzer gestellt zu haben, von mir volle Punktzahl und eine uneingeschränkte Leseempfehlung! Ein Buch, bei dem man nach der letzten Seite so traurig ist, als hätte man einen treuen Wegbegleiter verloren.
Lou hat’s nicht leicht. Den Job als Galeristin hat sie nach einem Schicksalsschlag vorübergehend an den Nagel gehängt, eigentlich will sie ein Buch schreiben, treibt aber orientierungslos dahin und verbringt viel Zeit mit ihrer kleinen Tochter Rosa. Sergej, ihr zweiter Ehemann, ist Pianist und jüdisch, genau wie sie. Eine ganz normale Familie in Berlin. Bis Lou einer Einladung zum 90. Geburtstag ihrer Tante folgt, die auf Gran Canaria feiert. Plötzlich wieder mit dem alten ex-sowjetischen Clan aus Israel konfrontiert, der sich dort trifft, wächst in ihr das Bedürfnis nach einer Identitätssuche. Sie stellt ihre Ehe in Frage, sinniert über ihre Familiengeschichte und landet schließlich unverhofft in Israel, um den drängenden Fragen auf den Grund zu gehen.
Wie war’s?
Ein Buch, das ich innerhalb weniger Tage verschlungen habe. Prinzipiell habe ich mich gut unterhalten gefühlt, auch wenn mir nicht so richtig klar ist, worauf die Autorin mit ihrer Geschichte nun eigentlich hinauswollte.
Gut nachvollziehbar waren für mich Lous Probleme mit ihrem Mann, ich kann mir gut vorstellen, dass das Leben mit einem Künstler, der sozusagen in seiner eigenen Welt lebt, nicht einfach ist. Auch die Beziehung zu ihrer Mutter und ungeliebten Schwiegermutter wurde sehr glaubhaft dargestellt. Die Buschtrommeln, mit denen die Gerüchte über Lou in ihrer Familie die Runde machen, haben mich oft zum Lächeln gebracht. An einem bestimmten Punkt scheint die Scheidung schon fast beschlossene Sache zu sein, obwohl von Lous Seite davon niemals die Rede war.
Weniger gelungen fand ich den Handlungsstrang rund um ihre Tante Maya und deren verstorbene Schwester Rosa. Was genau war die Message dahinter? Dass in keiner Familie die Dinge so sind, wie sie zu sein scheinen? Dass es immer mehrere Wahrheiten hinter einer Geschichte gibt?
Fazit
Da sich das Buch flüssig liest und man sich beim Lesen gut unterhalten fühlt, vergebe ich gerne 3 Sterne, auch wenn die Handlung bei mir so einige Fragen offen gelassen hat.
1720. Die französische Kolonie La Louisiane braucht dringend neue Ehefrauen, die den Fortbestand der Kolonie sichern. In der Pariser Salpêtrière erhält Superiorin Marguerite deshalb den Auftrag, eine Liste mit 90 Frauen zusammenzustellen, die mehr oder weniger freiwillig an Bord der La Baleine gehen und die beschwerliche Reise in die Kolonie antreten sollen.
Wir begleiten Charlotte, eine junge Waise, Geneviève, eine verurteilte Engelmacherin und Pétronille, eine Tochter aus besserem Hause, deren Gesicht von einem großen Muttermal entstellt ist und die alle, ob sie nun wollen oder nicht, auf der ominösen Liste landen, bei den Reisevorbereitungen, der beschwerlichen, langen Reise in ein neues Land und Leben, dem Verheiratet-Werden mit ihnen völlig unbekannten Männern und ihrer Zukunft in den USA.
Wie war’s?
Witzigerweise hat jemand in einer anderen Rezension geschrieben, die ersten 150 Seiten müssen man irgendwie „durchstehen“, danach würde es besser. Mir ging es nun genau umgekehrt. Ich war geflasht von der Leseprobe, habe mich riesig auf das Buch gefreut und bin auch voller Enthusiasmus in den ersten Teil gestartet.
Gerade die Beschreibung der Salpêtrière, der Stimmung in Paris, die meiner Meinung nach sehr gut eingefangen wurde, haben mir richtig gut gefallen. In diesem ersten Teil konnte ich mich noch mit der einen oder anderen der Frauen identifizieren, habe gespannt mitgefiebert, wie es nun mit ihnen weitergeht.
Und ziemlich genau nach diesem Teil ist dieser Lesefluss bei mir extrem gekippt. Die Autorin verliert sich in ziemlich langatmigen Landschaftsbeschreibungen, extrem konstruiert wirkenden Metaphern, der Text wirkt auf mich künstlich aufgeblasen und in die Länge gezogen, und durch das ständige Hin- und Herspringen zwischen den einzelnen Frauen kam ich irgendwann auch komplett durcheinander, zumal es sehr viele Namen und Nebenpersonen gibt, von denen man gar nicht weiß, ob sie irgendwann wichtig werden oder nicht. Alles in allem war bei mir nach 300 Seiten einfach die Luft raus und ich habe die Lektüre daher vorzeitig beendet.
Fazit
Packender Anfang, ein interessantes Stück vergessener Geschichte, aber der Stil hat mir in dem Fall ein „Durchhalten“ bis zur letzten Seite unmöglich gemacht. Die erste Leseenttäuschung 2024 und tatsächlich das erste Buch dieses Jahr, das ich leider nicht zu Ende lesen möchte.
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