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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Kwinsu
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Salzburg

Bewertungen

Insgesamt 91 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2025
Kalt wie die Nacht (eBook, ePUB)
Stäber, Bernhard

Kalt wie die Nacht (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Der "Wolf"-genannte Rolf Larsen braucht nach dem Tod seiner Frau Veränderung. So gibt er sein Polizisten-Dasein auf und zieht in das kleine Städtchen Bø, um sich als Privatdetektiv zu verdingen. Schnell kommt der erste Auftrag, doch aus einer einfachen Beschattung unter Mutmaßung einer Affäre wird schnell ein Mordfall. Gemeinsam mit der seltsamen Journalistin Sanna versucht er das, was der Polizei nicht so leicht gelingen mag: den Fall aufzuklären.

Bernhard Stäber setzt in "Kalt wie die Nacht" einen gelungen Start in die neue norwegische Krimireihe rund um den Privatermittler Wolf und der Journalistin Sanna. Der Spannungsbogen wird ordentlich gespannt, man wird ermutigt, wild zu spekulieren und hat lange Zeit Fragezeichen, die nur langsam weniger werden. Letztendlich wird kurz vor Schluss der Fall plausibel gelöst, ohne das Fragen offen bleiben.

Wolf ist ein sympathischer Kerl und man fühlt mit ihm - seinen Schmerz, über den Verlust seiner Frau, spürt man förmlich. Bei der Journalistin Sanna dachte ich mir erst: oh nein, sie hat eine dissoziativer Persönlichkeitsstörung - das kann ja nur schief gehen. Aber der Autor überraschte mich, beschreibt er die Erkrankung doch ohne Klischees sondern feinfühlig und glaubhaft.

Ich mag es sehr gern, wie die einzelnen Figuren ihre Beziehungen zueinander aufbauen, besonders Wolf und Sanna, aber auch andere Charaktere. Hier funktioniert nicht alles reibungslos und genau das macht die Geschichte glaubwürdig. Die Landschaft spielt - wie bei skandinavischen Krimis meistens - eine wichtige Rolle und wird gekonnt in die Geschichte eingewoben.

Mein Fazit: "Kalt wie die Nacht" ist ein gelungener Auftakt einer neuen, norwegischen Krimireihe, der sich durch einen spannenden, zu Spekulationen anregenden Fall auszeichnet und seine Charaktere mit viel Feingefühl und Authentizität versieht. Eine große Leseempfehlung an alle, die langsame, nordische Krimis mögen!

Bewertung vom 27.03.2025
Stromlinien
Frank, Rebekka

Stromlinien


ausgezeichnet

Die jugendlichen Zwillinge Enna und Jale können es kaum erwarten: morgen wird ihre Mutter Alea nach jahrzehntelanger Haft aus dem Gefängnis entlassen. Doch als es soweit ist, sind sowohl Jale als auch Alea verschwunden und keiner weiß wohin. Zudem stirbt ein Mann bei einem Bootsunglück auf der Elbe und nicht nur die Polizei fragt sich, ob das alles etwas miteinander zu tun hat. Enna beginnt auf der Suche nach den vermissten Angehörigen ihre Familiengeschichte zu durchleuchten und immer mehr Geheimnisse geraten an die Oberfläche.

Kurz: ich finde Stromlinien großartig! Am Anfang hatte ich meine Schwierigkeiten - die verschiedenen Charaktere sind mühsam, teilweise haben sie nicht sonderlich viele sympathische Eigenschaften, aber genau das ist es, was mich im Laufe der Zeit an diesem Roman begeistert hat: die Figuren sind eben nicht nur schwarz oder weiß, sondern sind mit ihren positiven sowie negativen Marotten authentisch und glaubwürdig. Die Geschichte springt in verschiedenen Zeitebenen und man fragt sich lange, was die unterschiedlichen Protagonist:innen eint - nach und nach fügen sich die Handlungsstränge zusammen. Die Erzählweise ist ebenfalls unterschiedlich: während Enna in der Ich-Form berichtet, wechselt der Erzähler in anderen Kapiteln in die 3. Person. Das erzeugt Spannung, bietet Abwechslung und ausreichend Raum für Spekulationen.

Einen besonderen Stellenwert nimmt in "Stromlinien" auch die Landschaft um die Elbmarschen ein. Detailliert und mit Leidenschaft erzeugt Rebekka Frank lebendige Bilder der Natur, seien es die Flusslandschaften oder die unterschiedlichen Tiere - mit den intensiven Beschreibungen fühlt man sich direkt in die Landschaft versetzt. Die Sprache generell ist bedächtig und langsam, was zur Folge hat, dass ich mich oft in der Vergangenheit fand, obwohl das Geschehen in der Gegenwart spielt. Wenn dann Enna beschrieben wird mit ihren grünen Haaren, Piercings und Tätowierungen und zeitgenössische Wörter eingesetzt werden, irritiert das oft, macht aber auch den besonderen Reiz dieses Romans aus.

Die Geschichte selbst ist mysteriös, voller Geheimnisse und Ungesagtem und blättert sich nur peu a peu auf, doch zum Ende werden alle Stränge plausibel zusammengeführt und aufgelöst. Einiges bleibt offen, anderes macht traurig. Aber das wohlige Gefühl mit der Gewissheit, dass alles irgendwie weitergeht, tut gut. Es tut gut diesen wundervollen Roman gelesen zu haben!

Bewertung vom 26.03.2025
Hier draußen
Behm, Martina

Hier draußen


ausgezeichnet

"Sich verabschieden von den Träumen vom Idyll, ankommen in einem echten Dorf, in dem die Dinge eben anders liefen als in den Köpfen von sechs Stadtmenschen, die hier etwas suchten, das es so eben doch nicht gab." (S. 196)

Ingo und Lara, ein Großstadtpaar, sind recht neu im beschaulichen Fehrdorf. Anschluss an die Landbevölkerung finden sie erst, als Ingo am Nachhauseweg eine weiße Hirschkuh überfährt und sie gemeinsam mit dem Jäger und Schweinebauer Uwe von ihrem Leid erlöst. Dieser Vorfall verspricht nichts Gutes, ist doch allseits bekannt, dass es nur noch ein Jahr dauert, bis einem der eigene Tod gegenübertritt, wenn man ein solch besonderes Tier tötet. Doch wie wahr ist diese Mähr?

Martina Behm hat mit "Hier draussen" einen großartig beobachtenden Roman geschrieben, der mit einer schwarzhumorigen Sprache aufwartet, Beziehungen sachte aufzudröseln weiß und dabei die Spannung immer aufrecht erhält. Wir erfahren hier viel darüber, weshalb es Städter aufs Land zieht und weshalb die Integration nur selten klappt. Wir werden aufgeklärt, wie Dörfler untereinander agieren und warum sie immer alles so machen wollen, wie es schon immer war. Aber vor allem lernen wir das Innenleben vieler Beziehungen kennen, die sich ändern, wenn Kinder ins Leben treten oder essentiell werden, wenn keine (mehr) da sind.

Es ist beeindruckend, wie Behm es schafft, Intimes nach außen zu holen; wie sie Bedürfnisse einzelner zart und sanft thematisiert; wie sie durch die unterschiedlichen Charaktere die Gemeinschaft beschreibt; wie sie Konflikte beobachtet, zuspitzt oder durch Schweigen eskalieren lässt; und vor allem: wie sie Patriachat und Kapitalismus bloß stellt, ohne dabei mit dem mahnenden Finger zu zeigen. Behms Sprache ist feinfühlig und schwarzhumorig und gleichzeitig entblößt sie Tragödien schonungslos. Ihre Beobachtungsgabe ist scharf, genauso ihr Gespür Landschaften in den Erzählungen Atem einzuhauchen. Das Erzählte, das stets verschiedenste Beziehungen in den Mittelpunkt stellt, ist frustrierend und hoffnungsvoll zugleich. "Hier draussen" erzählt nicht nur von der Beziehung zweier Menschen, sondern spannt den Bogen über das gesamte Dorf, legt somit den ganzen Mikrokosmos offen. Vorwiegend lesen wir in der Gegenwart, aber - genau wenn es perfekt passt - erfahren wir Hintergründe aus der Vergangenheit.

Mein Fazit: Martina Behms "Hier draussen" ist ein grandios gelungener Roman über die frustrierenden, aber auch hoffnungsvollen Beziehungen eines Dorfes untereinander. Es besticht durch eine treffsichere Beobachtungsgabe und ein liebevoll gewebtes Netz an Beziehungen in einem Dorf, das vor allem durch Veränderungen lebt. Das Buch ist ein absolutes Highlight und gehört jetzt schon zu meinen Lieblingsbüchern des Jahres 2025!

Bewertung vom 23.03.2025
Die Herde
Winter, Thilo

Die Herde


sehr gut

Der Zoologe Peter Danielsson reist nach China, um den Bau eines Riesenstaudamms zu verhindern, der nicht nur die Existenz weniger verbliebener Zwerggänse bedroht. Just zur selben Zeit wird bekannt, dass sich eine große Herde Elefanten aus einem chinesischen Nationalpark Richtung Norden auf den Weg gemacht hat und dabei Dörfer zerstört. Zeitgleich bedrohen in Bangkok Affen Menschen in einer Tempelanlage und in den USA bombardieren Millionen von Vögel einen Stadtteil mit ihrem Kot. Unterdessen weilt Peters Vater Abel in Mexiko und versucht die Geheimnisse der untergegangenen prähistorischen Stadt Teotihuacán auf die Spur zu kommen. Während Peter in China versucht, die Jagd auf die Elefantenherde zu verhindern, stellt sich nach und nach heraus, dass irgendwie alles miteinander zusammenhängt...

Thilo Winter gelingt mit "Die Herde" ein fesselnder Öko-Thriller, der es gekonnt schafft, die Spannung stets aufrecht zu erhalten und die unterschiedlichen Handlungsstränge langsam aber sicher miteinander zu verweben. Der Schreibstil ist angenehm, die kurzen Kapitel, die zwischen den Schauplätzen hin und her springen, sind kurzweilig und stets regt seine Erzählweise zu Spekulationen an. Er zeigt die Grausamkeit des Menschen gegenüber der Natur und im Speziellen gegen die Tierwelt, gibt gleichzeitig aber auch Hoffnung, da er Charaktere erschafft, die sich leidenschaftlich für deren Erhalt und für das Verständnis der Tierwelt einsetzt. Seine Figuren sind mitunter nervig, agieren aber mit Herzblut; Bösewichte teils überspitzt dargestellt, die Kunst dabei ist jedoch, dass sie immer glaubwürdig sind. Einzelne Phänomene ergeben am Ende doch das große Ganze und zeigen, dass in Wahrheit die Menschen die Verrückten sind.

Mein Fazit: "Die Herde" ist ein spannender, abwechslungsreicher Ökothriller mit glaubwürdigen Charakteren und einer schönen Kernbotschaft. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, auch wenn ich am Ende mit der Auflösung nicht hundertprozentig zufrieden war, aber das ist reine Geschmackssache. In Erinnerung bleiben wird mir dieser Roman auf alle Fälle nachhaltig und ich kann ihn allen empfehlen, die Bücher voller Spannung gepaart mit Gesellschaftskritik mögen.

Bewertung vom 17.03.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Klara ist tot. Abgestürzt beim Wandern. Ihre Begleiterin, Paulína - die Pflegerin von Klaras Mutter - kann dem nichts entgegensetzen.
Rückblickend erfahren wir von der Verbindung der beiden Frauen und wie unterschiedlich sie sich gegenseitig wahrgenommen haben. Klara kann sich durch die Hilfe von Paulína, die sich einfühlsam um ihre Mutter Irene kümmert, wieder ihrer Karriere widmen und sich selbst weiter verwirklichen. Paulína hingegen hat die größten Entbehrungen zu leisten, sind doch ihre beiden Söhne in der Slowakei zurückgeblieben und sie sieht sie nur mehr in ihrem pflegerischen Zwei-Wochen-Rhythmus. Unterschiedlicher könnten ihre Lebenswelten nicht sein, doch die österreichische Familie fühlt Paulína bereits als Familienmitglied, während die Slowakin still und gutmütig leidet.

Susanne Gregor liefert mit "Halbe Leben" einen großartigen Roman, der schmerzhaft bewusst macht, welche Entbehrungen 24-Stunden-Kräfte über sich ergehen lassen müssen. Und wie wir sie, als Arbeitgeber:innen, ausnutzen, ihre Lebenswelt ignorieren, sie nach unseren Ansprüchen formen wollen. Übergriffig, gedankenlos, egoistisch, nur damit unser gewohntes Lebens so weitergehen kann, wie wir es kennen und lieben. Aber eben auch nachvollziehbar. Wichtig dabei ist, dass die Autorin in keinem Moment mit erhobenen Zeigefinger auf die Situationen schaut, sondern sich als hervorragende Beobachterin und Erzählerin beweist.

Gregor schafft es mit ihrer einnehmenden, direkten und fein-analytischen Sprache, dass ein Hineinfühlen in die jeweiligen Charaktere ein Leichtes ist. Man spürt förmlich die Peinlichkeit in der Szene, als Klara Paulína als vermeintlichen Akt der Nächstenliebe ihre alten Kleidungsstücke andrehen will und Paulína so als Mensch zweiter Klasse dastehen lässt. Fühlt Paulínas Unwillen, die hässlichen Ausmusterungen entgegenzunehmen, es dann aber aus nicht ablehnend wollender Höflichkeit doch zu tun. Mit dieser Widersprüchlichkeit sind wir Leser:innen durch den ganzen Roman hindurch konfrontiert. Die nicht bösgemeinte und vermutlich nicht wahrgenommene Überheblichkeit gegenüber Menschen aus anderen Ländern wirkt abstoßend, ist aber wohl jedem und jeder Leser:in der Wohlstandgesellschaft bestens bekannt. Es gibt aber durchaus auch verbindende Elemente, beispielsweise ist die Beziehung von Paulína und ihrem Pflegeschützling Irene guttuend und wohlwollend. Nicht genug allerdings, um die immer mehr werdenden Forderungen von Klara und ihrem Ehemann in irgendeiner Weise erträglich zu machen.

Mein Fazit: "Halbe Leben" ist ein überaus gelungener und feinfühliger Roman, der die Kluft zwischen systemerhaltenden Pflegekräften aus Osteuropa und den Ansprüchen ihrer arbeitgebenden Familien eindringlich aufzeigt. Susanne Gregor holt die Existenz der pflegenden Menschen vor den Vorhang und gibt ihnen ein Sprachrohr, eine von vielen verleugnende Existenz. Dadurch veranschaulicht sie, wie wenig unsere Gesellschaft ohne diese aufopfernden und nicht wahrgenommenen Menschen auskommen würde. Ein absolutes Lesemuss für alle, die sich Gedanken über unser Miteinander machen wollen.

Bewertung vom 16.03.2025
Die blaue Stunde
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


weniger gut

Vanessa Chapman war Künstlerin, die auf einer einsamen Insel lebte. Ihr Verhältnis zu Männern war problematisch, dafür wurden ihre Kunstwerke in der Szene umso mehr gefeiert. Jahre nach ihrem Tod stellt sich heraus, dass eines ihrer Werke einen menschlichen Knochen enthält. Der Kunstkurator James Becker begibt sich deshalb regelmäßig auf die Insel, um bei Vanessas Vertrauten Grace mehr über den Hintergrund des Kunstwerks und der Künstlerin herauszufinden. Dabei ist er einem dunklen Geheimnis auf der Spur...

Paula Hawkins legt uns in "Die blauen Stunde" einen Roman mit Krimielementen vor, der einen außergewöhnlichen Erzählaufbau vorweist: unterschiedliche Erzählweisen wechseln sich ab. Tagebucheinträge der Künstlerin, Zeitungsberichte über sie und normale Erzählvorgänge aus der fiktiven Gegenwart und Vergangenheit wechseln sich ab. Das macht das Buch grundsätzlich recht gut und kurzweilig lesbar, den zusammenhängenden Sinn dahinter konnte ich aber nach Beendigung des Buches nicht so wirklich nachvollziehen.

Ich habe selten ein Buch gelesen, in dem mir beinahe alle Figuren so unsympathisch waren, wie in diesem Buch. Nur Becker und Grace sind stellenweise zugänglich, aber im Grunde haben die beiden auch nicht sonderlich viel einnehmende Charaktereigenschaften. Die Figur der Grace ist ziemlich widersprüchlich, scheinbar wurde sie nie in ihrem Leben geliebt und ihr wird unterstellt, mit Menschen nicht umgehen zu können, andererseits ist sie aber eine gut angenommene Landärztin. Generell waren die geschilderten Personen für mich allesamt unzugänglich. Die Kunstszene wird für meinen Geschmack viel zu umfänglich beschrieben, hier habe ich oft die Aufmerksamkeit verloren, weil mir die langen Passagen, in denen die (in der Realität fiktive) Künstlerin Vanessa beschrieben wird, einfach zu kunstdetailliert und ausschweifend beschrieben sind. In einigen Nebenschauplätzen erfahren wir auch einiges über Lug und Trug und allerlei Intrigen, die aber für die Geschichte nicht wirklich relevant sind. Zudem bleiben einige Themen, die aufgerissen wurden, unnötigerweise unerklärt.

In der zweiten Hälfte des Buches wird viel mehr auf Grace und Becker eingegangen und kurze Zeit dachte ich mir, dass ich endlich einen Zugang zu ihnen finden würde. Aber dann gibt es eine Entwicklung, die meines Erachtens ziemlich absurd ist. (die aus Spoilergründen hier nicht näher erläutert wird) Ich finde es sehr schade, dass mich das Buch so überhaupt nicht ansprechen konnte, denn die Beschreibung wirkt äußerst spannend. Ich kann es aber leider nicht weiterempfehlen.

Bewertung vom 12.03.2025
Berauscht der Sinne beraubt
Kirakosian, Racha

Berauscht der Sinne beraubt


gut

Die Mittelalterhistorikerin Racha Kirakosian nimmt uns in ihrem Buch "Berauscht der Sinne beraubt - Eine Geschichte der Esktase" mit in die Geschichte des (geistigen) Rauschzustands, indem sie die unterschiedlichen Wahrnehmungsstufen der Ekstase eingehend beleuchtet.
Es ist erstaunlich welche unterschiedlichen Aspekte eine Ekstase hervorrufen können. Eingehend werden religiöse Ekstasen beschrieben, aber auch veränderte Bewusstseinszustände im sexuellen Bereich, beim Tanzen oder bei gemeinschaftlichen Massenerlebnissen und viele, viele mehr.

Ich muss zugeben, dieses Buch zu lesen war eine Herausforderung. Auch wenn das Cover anderes vermuten lässt, ist dies kein übliches Sachbuch, sondern ein wissenschaftlicher Abriss der Thematik. Dies beweist auch der Umstand, dass die letzten 70 Seiten aus einem Anmerkungsapparat besteht. Die Sprache folgt der gängigen deutschen Wissenschaftssprache, wobei die Satzlängen hierfür durchaus kurz sind, das Sprachniveau hingegen ist hoch. Und nicht nur das, auch die umfangreichen Erläuterungen sind hochschwellig und deshalb eher schwer zugänglich. Sehr detailliert wird in die Menschheitsgeschichte und ihre ekstatischen Ausschweifungen hineingeblickt, es wird philosophiert, Zusammenhänge eingehend erklärt und historisch aufgearbeitet. Immer wieder schiebt die Autorin kurze Exkurse ein, die das gerade behandelte Thema besser bzw. anschaulich verständlich machen sollen, wobei sie hierbei mitunter auch persönliche Berichte vorlegt. Diese grau hinterlegten, mit "Exkursiv" oder "Diskursiv" betitelte Einschübe bieten eine Atempause in dem komplexen Erzähltext.

Nach Beendigung des Buches muss ich zugeben, dass ich mich an die meisten Passagen schon gar nicht mehr erinnern kann. Auch wenn die Grundthematik durchaus spannend ist, war die Art und Weise, wie es erzählt wurde, für meinen Geschmack viel zu hochschwellig und viele Erklärungen zogen sich in die Länge. Diese Buch ist wohl am Besten an geisteswissenschaftlichen Universitäten aufgehoben, für eine kurzweilige, lesende Abendbeschäftigung im Privaten würde ich es nicht empfehlen. Fundiert ist es selbstredend aber allemal.

Bewertung vom 17.02.2025
Death in Brachstedt
Wagner, Tobias

Death in Brachstedt


sehr gut

"Ein Wunder, dass nicht alles den Bach runtergeht, dachte ich, obwohl offensichtlich nur ein Bruchteil der Menschheit vollen Zugriff auf seinen Verstand hat." (S. 148)

Nachdem er sich immer seltsamer verhält, verschwindet plötzlich Leos Vater und taucht wenig später bei der Tante des 15-Jährigen auf. Es stellt sich heraus, dass er an einer seltenen Form der Demenz erkrankt ist, weshalb Leo nun einige Zeit allein über die Runden kommen muss. Mit seinem besten Freund Henri beschließt er die restlichen Ferien zu genießen. Sie drehen einen Film und organisieren die erste Party ihres Lebens. Doch die Erkrankung des Vaters trübt die schöne Zeit...

Tobias Wagner ist mit "Death in Brachstedt" ein wunderbar amüsanter und schräger Jugendroman gelungen, der auch mit Tiefgang aufwarten kann. Sein Schreibstil ist sehr erfrischend und immer mit einer Brise Humor versehen, die durch diverse schräge Erlebnisse noch verstärkt wird.

Besonders schön finde ich, wie die Hauptfigur Leo gezeichnet wird. Er ist zwar in der Pubertät und durchlebt seine erste Verliebtheit, andererseits ist die Liebe und das Vertrauen zu seinem Vater fast kindlich groß. Man ist es ja gar nicht gewohnt, dass ein Pubertierender so gar nicht genervt von seinem Elternteil ist. Und auch die Freundschaft zu Henri ist intensiv und tiefgründig, man nervt sich gegenseitig ab und an, aber grundsätzlich ist eine große Verbundenheit da, die im Laufe des Buches noch stärker wird. Bis auf eine kleine Ausnahme findet man keine Gehässigkeiten unter den Jugendlichen, was auch unüblich ist. Leo wirkt teilweise naiv, aber neugierig und unbekümmert zugleich, was ihn des Öfteren in seltsame Situationen bringt.

Die Mischung aus schrägen Erlebnissen, Kreativität, Naivität und Zusammenhalt ist, was "Death in Brachstedt" so besonders macht. Hinzu kommt, dass Leo, auch wenn das nicht so deutlich ausgesprochen wird, doch ein sonniges und hoffnungsvolles Gemüt hat und sich von den traurigen Vorkommnissen um seinen Vater nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Nichtsdestotrotz muss ich einen Bewertungsstern abziehen. Ich bin mir nicht sicher, ob die eingesetzte Sprache nicht zu erwachsen, zu unjugendlich für einen Jugendroman ist. Über lange Strecken dachte ich mir, dass der Plot vielleicht in den 90er Jahren angesetzt ist, auch wenn das durch die Existenz von Handys eher unwahrscheinlich schien (sie schreiben sich gegenseitig SMS! [sic!]). Später wird dann aber das Jahr 2018 erwähnt (auch hier wäre Whatsapp schon modern gewesen). Auch die ganzen Filme die angeführt und rezipiert werden, kenne ich als 80er-Jahre Kind - wobei ein Filmfreak natürlich in die Vergangenheit blickt. Ansprechen tut dies wahrscheinlich eher Personen älteren Semesters. Und: in einem Jugendroman wären doch sicher am Ende Anlaufstellen für Jugendliche erwähnt, die ihnen mit den durchaus schweren Themen, die im Buch vorkommen, helfen könnten.

Mein Fazit: "Death in Brachstedt" ist ein lesenswerter, nicht eindeutiger Jugendroman, der durch feinen Humor und schräge Vorkommnisse glänzt. Vor allem ist es aber ein Buch über Zusammenhalt und Freundschaft.

Bewertung vom 14.02.2025
Dunkle Asche (eBook, ePUB)
Thomsen, Jona

Dunkle Asche (eBook, ePUB)


gut

Die Polizeibeamtinnen Judith und Gudrun werden damit beauftragt, einen 30 Jahre zurückliegenden Mordfall an einer jungen Frau aufzuklären, nachdem es eine neue Zeugenaussage gibt. Alles sieht danach aus, als würde der ursprünglich Tatverdächtige nun endlich dingfest gemacht werden können. Doch dann tauchen neue Hinweise auf und Gudrun, die viele Beteiligte von damals kennt, muss gemeinsam mit Judith ein umfangreiches Lügennetz entwirren.

Jona Thomsen liefert mit "Dunkle Asche" einen soliden Cold-Case-Ostsee-Krimi, der durch den angenehmen Schreibstil, die Zeitsprünge und etliche Wendungen bis zum Ende spannend bleibt. Die zwei Hauptfiguren Judith und Gudrun starten als neues Team und müssen sich erst kennenlernen. Besonders Judiths gute Intuition und kritische Haltung bringen die Entwicklung des Falls gut voran. In das gegenwärtige Geschehen werden ab und an Rückblenden in die Tatzeit und die Gedankengänge des Täters - ohne dass dieser benannt wird - eingeflochten, was die Spannung und das eigene Spekulieren nur fördert. Ich persönlich hatte fast bis zum Schluss jemand anderen in Verdacht und war dann überrascht, als der wahre Schuldige sich enttarnte. Trotzdem ich das Buch gerne gelesen habe, besonders wegen den zwei Ermittlerinnen, gibt es einige Punkte, die bei mir zum Abzug von Sternen führen.

Gudrun ist eine taffe lesbische Frau, die ein Verhältnis mit einer deutlich jüngeren Person beginnt. An sich finde ich es ja super, wenn queere Personen als Figuren auftauchen, ist ja glücklicherweise ganz normal heutzutage. Allerdings wirkte es für mich in "Dunkle Asche" zu unnatürlich, zu gekünstelt, zu gewollt. Außerdem wurde gefühlt hundert Mal die Zweifel Gudruns betont, die sie aufgrund des deutlich jüngeren Alters ihrer Auserwählten hat, das war mir too much. Was mich aber noch mehr gestört, ja teilweise sogar genervt hat, war wie verschiedene Personen beschrieben waren. Fast alle waren übergewichtig und das, weil sie so eine große Last im Leben tragen mussten. Auf weitere Äußerlichkeiten wurde kaum eingegangen und ich habe mich gefragt, was uns der Autor mit diesem oft vergebenen Attribut sagen will. Judith hingegen tritt gestylt im Hosenanzug mit acht Zentimeter hohen Stiefeletten, die ihr natürlich beinahe zum Verhängnis werden, auf, was für mich nicht ansatzweise realistisch ist - sie ist eine polizeiliche Ermittlerin und keine Geschäftsfrau! Klarerweise gibt es dann auch eine schlanke Hausfrau, die von dem Geld ihres Gatten lebt und natürlich trotzdem unglücklich ist, sodass sie trinkt. Die hier gezeichneten Frauenbilder empfinde ich doch eher seltsam, klischeehaft, vorurteilsbeladen und altbacken.

Das schlussendliche Mordmotiv hat mich auch nicht überzeugen können, vor allem weil im kompletten Buch nie ein einziger Hinweis darauf war. Gut, man könnte sagen, dass es der Figur gut gelungen ist, dieses Geheimnis zu verbergen, nichtsdestotrotz war es für mich ob der Dramatik des Traumas einfach nicht glaubwürdig.

Mein Fazit: "Dunke Asche" ist ein solider Ostseekrimi, der durchaus spannend und kurzweilig ist. Durch das komische Frauenbild und das mir nicht nachvollziehbare Mordmotiv konnte er mich aber nicht vollends überzeugen.

Bewertung vom 10.02.2025
Schmerz (eBook, ePUB)
Jónasson, Jón Atli

Schmerz (eBook, ePUB)


sehr gut

Als ein junger Mensch aus dem Nationalpark Þingvellir verschwindet, fällt es der Kriminalpolizistin Dora zu, sich auf die Suche nach ihm zu begeben. Freude bereitet ihr das nicht, denn seit einem schrecklichen Unfall im Dienst, bei dem ihr Gehirn einen Schaden davon getragen hat, wurde sie nur mehr im Innendienst eingesetzt. Schließlich wird ihr der Ermittler Rado zur Seite gestellt, der aufgrund familiärer Verstrickungen aus einer Großrazzia herausgehalten werden soll. Langsam bilden sie ein Team und stoßen bei ihren Recherchen auf vielerlei widrige Umstände.

Jón Atli Jónasson gelingt mit "Schmerz" ein fulminanter Auftakt einer neuen isländischen Krimireihe, der mit viel Spannung, ereignisreichen Wendungen und zwei sehr speziellen Ermittler:innen aufwarten kann. Sprachlich schreibt der Autor packend, ab der ersten Seite wird man von der Geschichte und den Charakteren mitgerissen. Dora ist aufgrund ihres Handicaps sehr speziell, hat aber eine besondere Beobachtungs- und Kombinationsgabe. Im ersten Kapitel erfahren die Lesenden die Umstände ihres Unfalls, was zur Folge hat, dass man ihr gar nicht anders als mit Mitgefühl und Verständnis begegnen kann. Ihr Kollege Rado steht ihr erst mit großer Skepsis gegenüber, schnell aber lernt er Dora schätzen und sie werden ein eingespieltes Team, das viele Widrigkeiten durchleben muss. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie aufgrund verschiedener Umstände Außenseiter sind, etwas unkonventionell und nicht zwangsläufig regelkonform arbeiten und trotz allem hartnäckig bleiben.

Die isländische Atmosphäre und Landschaft wird, wie bei vielen Krimiautor:innen der Insel im Nordatlantik, gekonnt in den Kriminalfall eingearbeitet und die Leser:innen fühlen sich vor Ort, gebannt von der kargen und wunderschönen Landschaft und Natur. Auch gesellschaftsrelevante Themen werden eingebracht, so geht es um migrantische Gesellschaften, Geschlechtsidentitäten, Drogensüchte, Skrupellosigkeit, Gewalt und Kindererziehung. Die Spannung steigert und steigert sich und das, trotzdem es einige Zeitsprünge gibt. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und las es in eineinhalb Tagen aus.

Nichtsdestotrotz muss ich einen Stern abziehen. Die Auflösung des Falles passiert viel zu rasch und wird viel zu rapide und oberflächlich abgehandelt, was dem Ehrgeiz und der Intelligenz des Ermittlerteams diametral gegenübersteht - und vor allem dem dargebotenen Spannungsaufbau und Erzählstil des Autors. Das mag zwar damit zu tun haben, dass es tatsächlich ein offenes Ende gibt und uns ein Cliffhanger vor die lesenden Füße geworfen wird, allerdings hat mich das ziemlich verständnislos hinterlassen... Aber so gut wie der Autor schreibt und es weiß seine Geschichte zu erzählen, kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass der Fall im folgenden zweiten Band der Reihe nicht nicht aufgearbeitet wird. Sollte dies wieder erwarten anders sein, werde ich meine Sternevergabe zwangsläufig nach unten korrigieren müssen.

"Schmerz" ist ein packender und hervorragend erzählter Islandkrimi mit einem schrägen und sympathischen Ermittler-Duo, der es wagt in einem offenen Ende zu münden. Absolute Leseempfehlung!