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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Herbert Huber
Wohnort: 
Wasserburg am Inn

Bewertungen

Insgesamt 232 Bewertungen
Bewertung vom 18.02.2024
Blood Brothers
Arnold, Elliott

Blood Brothers


sehr gut

Es beginnt zu vorhersehbar. Ich fühlte mich an meine Karl May Zeit vor über 60 Jahren versetzt (Blutsbrüder gab es dort auch). Als ich meinte, das kann ich weglegen, zog die Handlung und Dramatik an. Die langsam einsetzende Freundschaft zwischen Cochise und Tom Jeffords wirkte nicht aufgesetzt. Die Lage in Arizona des 19. Jhdts. und im Nahen Osten, 21. Jhdt., ist verschieden, aber Gedankenparallelen kommen bei der Lektüre. Die Lösung in beiden Sachlagen lag / liegt darin Klüfte vorbehaltslos zu überwinden.

Bewertung vom 11.02.2024
Erzählungen
Puschkin, Alexander S.

Erzählungen


ausgezeichnet

“Pique Dame” war für mich zu schnell zu Ende gelesen. Kurz vor Schluss meinte ich, es müsste noch weiter gehen. Danach hörte ich eine Lesung und war überrascht, wieviel inhaltliche Anstösse ich überlesen hatte.
“Pique Dame” ist eine Kurzgeschichte der Phantastik: das Übernatürliche, nicht Erklärbare müssen die Leser hinnehmen. Die Hauptperson Hermann, mit deutscher Abstammung, ist nach meiner Lesart kein Spieler. Er schaut zwar zu, hält sich aber strikt zurück, da er das Risiko scheut. Das ändert sich erst, als er die Chance wittert, als sicherer Sieger vom Spieltisch zu gehen. Damit ist er eigentlich auch kein Spieler, da er weiß oder zu wissen meint, dass er gewinnt. Es stellt sich die Frage, wie man die Überzeugung des (angeblich) sicheren Gewinns übernehmen kann. Puschkins Spieler geben vier, teilweise rationalisierende Erklärungen. Das Phänomen, dass auch haarsträubende Inhalte zu harten Überzeugungen werden, ist aktuell. Zudem stellt sich die ethische Frage, wie weit man bei der Durchsetzung seiner Glückssuche gehen darf. Hermann jedenfalls ist gierig genug, dass er das Mädchen Lisaweta völlig ausnutzt und über Leichen geht. Es läuft alles etwas aus dem Ruder.

Bewertung vom 02.02.2024
Der Umfang der Hölle
Steinfest, Heinrich

Der Umfang der Hölle


sehr gut

Wer Steinfest zum ersten Mal liest sei gewarnt. So ziemlich alle Erwartungen werden nicht erfüllt. Kein Kriminalroman, kein zielgerichteter Plot, kein ermittelnder Detektiv, gewöhnungsbedürftiger Stil, abschweifende Gedankenkonstrukte. Ein Beispiel: „Als man nun jedoch in den Wald trat, ergab sich der dicht stehenden Bäume wegen eine beträchtliche Dunkelheit.“ Das könnte man einfacher sagen.
Die Handlungsfolge ist eine James-Bond-Vorlage mit Siem Bobeck als Dr. No. Die Charaktere sind vielseitiger und schräger als bei Ian Fleming. Wo sonst gibt es geheimnisvolle Türen, die auf Gedichtzeilen von Georg Trakl reagieren? Freilich, auf S. 242 hätte der Roman enden können, aber Steinfest phantasiert weiter und es wird noch skurriler und zufallsreicher.
Wer nicht jedes Handlungsdetail auf die Waagschale legt, nicht jeden Satzzwirbel hinterfragt, der kann sich auf ein amüsantes Lesevergnügen freuen.

Bewertung vom 07.01.2024
Uniform Justice
Leon, Donna

Uniform Justice


sehr gut

Mein erster Brunetti-Krimi von Donna Leon lief geschmeidig ab. Ort des Erstgeschehens ist eine militärische Kadettenschule in Venedig. Die mangelnden Überraschungen der Handlung (es wird eigentlich nur ermittelt) gleicht die Autorin durch Seitenhiebe auf Soldatentum, Parlament und bürokratische Strukturen aus. Dazu kommt im Krimi von 2003 (!) eine Prise Immigrations- und Klimaproblematik. Witzige, philosophische und musikalische Einlagen machen die Lektüre angenehm. Freilich passiert nach der Initialzündung aktionsmäßig nur noch wenig.
Ein routinierter Krimi, den man gut am Kaminfeuer lesen kann.

Bewertung vom 06.01.2024
Donnie (eBook, ePUB)
Fatah, Sherko

Donnie (eBook, ePUB)


gut

Gotthard, ehemaliger Fremdenlegionär, unterhält eine Kneipe auf Korsika. Dem Ich-Erzähler wird der sterbende Hund Donnie übergeben. Und die Leserinnen müssen die ersten 28 Seiten durchstehen, bis sich der Lesenebel lichtet. Der Ich-Erzähler will Gotthard Erinnerungen aus seiner Legionärszeit abringen. Dabei trifft er skurrile Dorfbewohner (oder ist es eine Stadt?) und eine noch absonderliche Rumpffamilie weiter oben am Berg. Der Text entwickelt Sogwirkung. Die Bilder wie das hölzerne Kruzifix, das wie ein großer Raubvogel herabzustürzen scheint, werden nur angerissen. Am Ende verblieb ich ratlos. Für drei garantiert intensive Lesestunden empfehlenswert.

Bewertung vom 02.01.2024
The Way Some People Die (eBook, ePUB)
Macdonald, Ross

The Way Some People Die (eBook, ePUB)


sehr gut

Ross Macdonald wird oft mit Chandler und Hammett verglichen. Zu recht, sowohl was den Plot (verzwickt), den Ort (Kalifornien), als auch Sprache angeht. Lew Archer kann sich mit Philip Marlowe (Chandler) und Sam Spade (Hammett) messen. Er geht Schritt für Schritt vor, eine Spur führt zur nächsten. Die Szenen werden von Macdonald gut beschrieben. Wer die harte Sprache und Umgangsweise im Milieu an der Westküste und unter Gangstern mag, kommt voll auf die Kosten (manchmal mühsame Handlung).

Bewertung vom 23.12.2023
The Complete Short Stories
Saki

The Complete Short Stories


sehr gut

Sakis Kurzgeschichten, die jeweils nur wenige Seiten lang sind, sind gesellschaftskritisch, manchmal satirisch, witzig, makaber, bisweilen brutal. Oft nimmt er die englische Gesellschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts aufs Korn. Er führt sie als scheinheilig und gelegentlich absurd vor. Und gewiss: das ist auf andere Gesellschaften und Zeiten übertragbar. Meist gibt es überraschende Wendungen. Auch Gespenster und Horror durchziehen die Stories. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie Spitzenklasse. Ich ziehe den Sammelband von Zeit zu Zeit gerne zum Wiederlesen heran.

Bewertung vom 06.12.2023
The Hotel New Hampshire
Irving, John

The Hotel New Hampshire


gut

Mein Einstieg bei John Irving war vor vielen Jahre „A Prayer to Owen Meaning“, das ich mit wachsender Begeisterung las. Vielleicht waren es die Bezüge zur Blechtrommel (Irving ist als Grass-Fan bekannt), die mich anzogen.
In „The Hotel New Hampshire“ hat Irving wieder Grass seine Reverenz erwiesen, einiges erinnerte mich auch an das großartige "Die Insel des zweiten Gesichts" von Albert Vigoleis Thelen. Doch Irving überzieht im „Hotel“ das Groteske und Ordinäre. So wurde ich mit dem Personal in diesem Familien- und Entwicklungsroman nirgends warm. Alles passiert wie hinter einem Schleier. Die ausufernde Beschreibung (von vielen Leserinnen positiv als Fabulierkunst gerühmt) des Inzests und einiges andere der Handlung ist auf Krawall gebürstet. Wenn John Irving, dann „A Prayer to Owen Meaning“.

Bewertung vom 24.11.2023
Handbuch der Oper
Kloiber, Rudolf;Konold, Wulf;Maschka, Robert

Handbuch der Oper


ausgezeichnet

Seit ich zum 1.Mal dieses Werk in der Hand hatte (die zweibändige DTV-Ausgabe) ist es mir ein wertvoller Ratgeber. Das schätzen auch andere Musikliebhaber so ein, denn es liegt inzwischen in der 14., überarbeiteten Auflage vor. Als ich kürzlich die Händel-Oper Rodelinde anhören wollte, konnte ich mich vorab über Inhalt und Einzelheiten gut informieren. Ein Desideratum blieb auch in der Neuauflage unerfüllt: Angabe der Einzelstücke der jeweiligen Oper (sofern sie diese hat).

Bewertung vom 17.11.2023
Mrs Craddock
Maugham, W Somerset

Mrs Craddock


sehr gut

Bertha verknallt sich zweimal. Sie heiratet die erste Liebe Edward Craddock. Nüchtern betrachtet stellt diese Ehe nicht das dar, was sie sich gewünscht hatte. Später zettelt sie eine Affäre mit dem mehr als zehn Jahre jüngeren Gerald (ähnliche Namensstruktur wie Edward!) an. Hier zieht sie die Reißleine. Ziemlich am Ende las ich „She was free” und glaubte mich in "The Story of an Hour" von Kate Chopin versetzt.
W.S. Maugham glänzt mit seinen Charakterisierungen und feinen Beobachtungen.
Stimmt also der erste Satz des Romans, dass er auch „Triumph der Liebe” heißen könnte?
Bitte selbst herausfinden. Wer sich für Madame Bovary in der Grafschaft Kent kurz vor 1900 interessiert, wird gut bedient.