In dem spannenden Ethnokrimi "Sheloquins Vermächtnis", der in British Columbia spielt, erzählt Brita Rose Billert, wie auch im 21. Jahrhundert immer noch weiße Kanadier versuchen, die indianischen Ureinwohner um ihren Landbesitz zu betrügen und in ihrer Habgier auch nicht vor Mord zurückschrecken. Im Mittelpunkt ihres Romans stehen Angehörige des Stammes der Squamish, die ein enges und naturverbundenes Verhältnis zu ihrem Land haben, das sie vor Ausbeutung schützen wollen. Ihre Weigerung, das Land an Investoren zu verkaufen, führt zu einer Welle von Gewalt.
Man merkt der Autorin an, wie sehr sie den Natives in Nordamerika durch persönliche Beziehungen verbunden ist. Sie vermittelt sehr emphatisch und kenntnisreich einen Einblick in ihre Geschichte, Gedankenwelt und besonders ihr Verhältnis zu dem Land, auf dem sie leben. Die Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, lässt die Autorin in ihrem Buch ein versöhnliches Ende finden.
In "Labyrinth der verwaisten Wünsche" erzählt Samer Al Najjar die schmerzhafte Lebensgeschichte des jungen Adam, der in seinem Heimatland Syrien früh seine Eltern verliert, dann mehr oder weniger geduldet im Haus seines Onkels aufwächst und sich 2011 als junger Erwachsener der Revolution gegen die Unterdrückung durch das Regime anschließt. Er verliert Angehörige und Freunde, als die Demonstrationen, an denen er teilnimmt, gewaltsam niedergeschlagen werden und viele Teilnehmer getötet oder eingesperrt und gefoltert werden. Auch er selbst gerät in Lebensgefahr und entschließt sich zur Flucht aus seinem Heimatland, die ihn über die Türkei und Griechenland schließlich bis nach Österreich führt.
Es handelt sich natürlich um einen politischen Roman - wie könnte es anders sein -, aber er zeigt auch sehr eindringlich auf, welche psychischen Folgen die Unterdrückung durch ein politisches System bis hin zum bewaffneten Kampf gegen die eigene Bevölkerung und daraus bedingt zu einer erzwungenen Flucht aus der Heimat haben kann. Adam, der als Vollwaise durch seinen schwierigen Start ins Leben eh schon wenig familiäre Unterstützung und Rückhalt erfahren hatte und sich bereits während der Schulzeit seinen Lebensunterhalt selbst verdienen musste, hat den traumatisierenden Erlebnissen während der Revolution psychisch wenig entgegen zu setzen. Er reagiert darauf mit Ängsten, depressiven Phasen bis hin zur Suizidalität und einer Posttraumatischen Belastungsstörung.
Aber trotz all der schmerzhaften Erfahrungen, die sein Protagonist durchleben muss, lässt Samer Al Najjar doch auch immer wieder schöne Erlebnisse und auch Hoffnung aufblitzen. Sei es die enge emotionale Bindung zwischen Adam und seiner Cousine Darin in der gemeinsam verbrachten Kindheit und Jugend oder die Aufbruchstimmung während der anfangs friedlichen Revolutionsbewegung. Auch zeigt Adam selbst unter sehr belastenden Lebensumständen immer wieder seine Fähigkeit, aus Fremden Freunde werden zu lassen und nicht zuletzt findet er auch in Österreich Hoffnung auf einen Neuanfang, als er sich verliebt.
Der Autor schafft es, nicht zuletzt durch seine oft blumige Sprache und seine poetischen Beschreibungen, dem Leser ganz unmittelbar vor Augen zu führen, welchen Verlust an vertrauter Kultur und Heimat eine erzwungene Flucht in die Fremde bedeutet. Umso größer ist mein Respekt, dass er selbst diese Reise und den Neuanfang in Deutschland so erfolgreich gemeistert und dabei seinen Traum von einem freien Syrien nicht aufgegeben hat.
Ruth Wares Buch "Das College" richtet sich nicht an Leser, die atemberaubende Spannung und blutige Gemetzel suchen. Stattdessen glänzt sie mit ausgefeilten Charakteren und den dramatischen Auswirkungen, die deren Beziehungen untereinander haben.
In einem Elite-College in Oxford trifft eine bunte Mischung von Studienanfängern aufeinander. Es gibt die verwöhnten, reichen Absolventen elitärer Privatschulen wie auch feierfreudige junge Menschen, die vor allem die Geselligkeit der Studienjahre genießen wollen, ehrgeizige Streber, die die Uni als Sprungbrett für eine lukrative Karriere nutzen, sowie weniger betuchte junge Menschen, die es nur dank ihrer Begabung an das renommierte College geschafft haben und dankbar für diese Chance sind.
Die sympathische Protagonistin Hannah freundet sich mit einem Kreis von Kommilitonen an, die unterschiedliche Probleme haben: Prüfungsängste, unglückliche Liebesbeziehungen, Eifersucht, mangelnde Begabung, Abhängigkeit. Unter der freundschaftlichen Oberfläche gären Antipathien, Schikanen, Betrug. Dies führt schließlich zur Ermordung einer Studentin, für die ein unschuldiger, wenn auch unsympathischer Collegemitarbeiter verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wird.
Erst zehn Jahre nach dem Mord beginnt Hannah, angeregt durch die Recherchen eines Journalisten, nach dem wirklichen Täter in ihrem alten Freundeskreis zu suchen, wodurch sie in immer größere Gefahr gerät.
Parallel zu dem Kriminalfall wird Hannahs Privatleben geschildert, ihre Ehe mit einem ehemaligen Kommilitonen, mit dem sie ihr erstes Kind erwartet. Diese private Beziehung spielt in die Tätersuche mit hinein und führt zu einigen Verwicklungen.
Das Buch, das eher ein Kriminalroman als ein Thriller ist, bietet neben viel britischem Lokalkolorit psychologisch fundierte Beziehungsanalysen, die nicht nur unterhaltsam sind sondern auch aufzeigen, wie unsere Wahrnehmung von Menschen und den von ihnen möglicherweise begangenen Taten durch Sympathien und Antipathien beeinflusst werden.
Das Buch wurde vor 25 Jahren geschrieben und ist dementsprechend vom Inhalt her überholt. Der Autor war noch weit von seinen späteren Schriftstellerqualitäten, die er bei Oxen unter Beweis stellte, entfernt. Dass es jetzt erst übersetzt und auf den deutschen Markt gebracht wird, dient nur dem Zweck, von der Erfolgswelle seiner späteren Bestseller zu profitieren.
Den Eindruck erweckt Tom Liehr. Er erzählt in erster Linie die über zwanzig Jahre währende Liebesgeschichte zwischen Marie und Clemens und an zweiter Stelle die Schwierigkeiten der Kulturszene, die sich seit einiger Zeit aus Angst vor Diskriminierungsvorwürfen zu Überkorrektheit in den künstlerischen Aussagen nötigt.
Marie und Clemens sind Bildungsbürger aus dem Berlin der Gegenwart, dessen Lokalkolorit kenntnisreich beschrieben wird. Sie sind gutaussehend, beruflich erfolgreich, von sich selbst sehr eingenommen und denken recht abfällig über Menschen in ihrem Umfeld, die sie für hässlich, unkultiviert oder selbstgerecht halten. Marie ist neben ihrer Anwaltstätigkeit politisch für den Umweltschutz aktiv und Clemens ist Comedian, was sie natürlich von Durchschnittsmenschen abhebt... Tom Liehr skizziert ihre Wahrnehmungen und Interpretationen mal wie Fakten, worin womöglich sein Verständnis mitschwingt, und dann wieder ironisch bis boshaft.
Die große Liebe zwischen beiden, deren Anfang mit großer Überzeugungskraft sehr strahlend und liebevoll beschrieben wird, verliert mit den Jahren ihren Glanz. Die gegenseitige sexuelle Anziehungskraft, auf die beide nicht nur sehr großen Wert legen sondern die für sie auch gleichbedeutend mit Liebe zu sein scheint, lässt nach und beide entschließen sich zur Trennung. Diese Erosion der Gefühle wird aus meiner Sicht weniger ausführlich und damit weniger nachvollziehbar beschrieben, so dass die bereits im Klappentext angekündigte Trennung und deren Begründung trotzdem überrascht. Auch beide Protagonisten spüren ihren emotionalen Nachhall noch lange, sind jedoch von der Richtigkeit ihrer Entscheidung überzeugt.
Verständlicher als das Ende der Liebesgeschichte fand ich die geschilderten Sorgen um die Kunst- und Meinungsfreiheit, da die Vorbehalte zeitweise auch Clemens' Existenz bedrohen, sowie sein Hadern mit der Selbstzensur, die sich Kulturschaffende und Veranstalter aus Angst vor potentieller, zum Teil völlig übertriebener oder ungerechtfertigter Kritik in klassischen sowie sozialen Medien auferlegen. Diesen Passagen des Romans fehlt der sonst oft überwiegende humorvoll-bissige Tonfall. Sie sind ernsthafter und zeichnen sehr authentisch die persönliche Betroffenheit des Autors nach.
Die anfängliche Frage würde ich mit "Nein" beantworten. Ich halte das Ende einer Liebe nicht für unausweichlich. Aber ich habe den Roman trotzdem genossen; er ist sehr eloquent geschrieben und auch in seinen häufigen Lästereien, die auf einer scharfen Beobachtungsgabe fußen, unterhaltsam. Erhellend waren zudem die Einblicke in die Comedyszene, sowohl in Bezug auf die fachlichen Informationen als auch hinsichtlich der Sorgen und Schwierigkeiten, die die Branche umtreiben.
Insgesamt ist es ein vielschichtiges Buch für Leser, die sich nicht durch Humor von der geäußerten Kritik an kulturellen, sozialen und politischen Missständen ablenken lassen.
Der zehnte Band um die Ermittlerinnen Ingrid Nyström und Stina Forss bietet wieder die gewohnte Spannung, ist jedoch leider überfrachtet mit verschiedenen Handlungssträngen, Verdächtigen und Motiven.
Das so betonte aktuelle Thema Naturschutz spielt in der Krimihandlung keine zentrale Rolle. Verschiedene Personen treffen auf dramatische, jedoch unglaubwürdige Art zusammen und enden in einer Tragödie. Um einige Hauptfiguren wird ein übertriebenes Verwirrspiel betrieben, das den Leser eher frustriert statt ihn sinnvoll miträtseln zu lassen.
Ingrid Nyström ist in diesem Fall auch nicht auf der Höhe ihrer Ermittlerkompetenz. Sie führt Alleingänge durch, überfordert sich auf verantwortungslose Weise und macht infolgedessen Fehler. Da wundert es nicht, dass das ganze Team - ähnlich wie der Leser - kurz vor Ende des Buches immer noch keinen Durchblick in Bezug auf Täter und Motiv hat.
Natürlich ist das Klagen auf hohem Niveau, aber durch die Vorgängerbände ist man eine andere Qualität gewohnt. Nur aus Verbundenheit zum Team vergebe ich vier anstatt drei Sterne.
"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht."
Diese Aussage von Vaclav Havel könnte auch den Inhalt dieses Buches beschreiben. Wir lernen Josefine kennen, eine Rotkreuzschwester, die während des zweiten Weltkrieges in Nordafrika im Einsatz war und sich dort in Harun, einen Berber, verliebte. Die Jahre, die sie bei seinem Volk verbrachte, prägten sie und nach ihrer unfreiwilligen Heimkehr nach Deutschland blieb die Sehnsucht nach einer Rückkehr zu Harun und seiner Familie. Doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht und Josefine erfuhr nie, was aus ihrer großen Liebe wurde.
In einem zweiten Handlungsstrang wird der Lebensabend von Josefine beschrieben, den sie - inzwischen an Demenz erkrankt - in einer Seniorenresidenz verbringt. Dort wird sie - ebenso wie zwei ihrer langjährigen Freundinnen - von einem sehr feinfühligen und engagierten Pfleger mit libyschen Wurzeln betreut. Dank ihm und seinen Eltern bekommt sie wieder Zugang zu ihren Erlebnissen in Nordafrika und findet darin Trost.
Dieses schöne und traurige Buch beschreibt sehr einfühlsam, wie bereichernd und schwierig es ist, von einer Lebenswelt in eine andere einzutauchen und sich dabei von Menschen und Träumen zu verabschieden, um sich dann wieder neuen Begegnungen und Aufgaben zu öffnen. Die Autorin zeigt dabei auf, dass eine Lebensphase kein Happy End haben muss, um für die betreffenden Personen von großer Bedeutung und ein Geschenk zu sein.
In "Das Lied des Wassers" wird die Wassertheorie, d.h. Erkenntnisse über das Gedächtnis von Wasser und die Möglichkeit, dieses zu vitalisieren, mit einer Liebesgeschichte verknüpft.
Der Protagonist Richard gerät in eine Lebenskrise, die er überwindet, indem er seine bisher rein materialistisch orientierte Lebensweise hinter sich lässt und sich bei einem wieder gefundenen Jugendfreund auf andere Werte besinnt wie Naturschutz, Emotionalität und Solidarität. Es wird auch seine Liebesgeschichte mit Gabriela beschrieben, die aus zwei kurzen, viele Jahre auseinander liegenden Episoden besteht.
Während die Informationen über die Wassertheorie sehr informativ und gut recherchiert waren, konnte mich die Liebesgeschichte nicht wirklich überzeugen. Sie erschien mir nicht wie eine ernst zu nehmende Partnerschaft sondern war geprägt von Zufälligkeit und leidenschaftlichen, aber nicht dauerhaften Emotionen.
Die im Buch mit Hilfe von vitalisiertem Wasser durchgeführte Seereinigung wurde als eine Art Happening beschrieben, was die Wassertheorie leider in die Nähe von Esoterik und Glaubenslehre rückte, anstatt ihren wissenschaftlichen Charakter zu betonen.
Dem belebten Wasser könnte man einen größeren Gefallen tun, wenn man darüber in einem weniger schwärmerischen Stil berichten würde.
In seinem Aachen-Krimi lässt Carsten Berg den Privatdetektiv Libuda vordergründig in einem Vermisstenfall ermitteln. Bald stößt dieser aber auch auf einen Betrug nach dem Schneeballsystem, einen über 20 Jahre zurückliegenden Raubüberfall und schließlich sogar Verbrechen, die während des zweiten Weltkrieges begangen wurden. Dazu wechselt der Autor vorwiegend zwischen zwei Zeitebenen hin und her.
Leider werden die früheren und heutigen Geschehnisse abwechselnd in so vielen kurzen Kapiteln erzählt, dass lange zwischen den verschiedenen Handlungssträngen kein Zusammenhang zu erkennen ist. Auch wird dadurch der Lesefluss unterbrochen und die Spannung des Krimis bleibt auf der Strecke.
Im Laufe der Geschichte werden verschiedene Verdächtige eingeführt, allerdings bleibt deren Beschreibung so vage, dass der Leser nicht wirklich miträtseln kann. Das Verhalten des Privatdetektivs ist dabei auch nicht hilfreich. Er verhält sich wenig professionell, geht manchen Spuren gar nicht oder erst mit Verspätung nach und setzt sich mit seinem impulsiven Verhalten manchem Risiko aus.
Letztendlich gab es für mich in dem Buch keine Figur, die mir sympathisch war. Und das macht es erfahrungsgemäß schwierig, mit den Akteuren mitzufiebern oder ihnen die Daumen zu drücken.
Für einen Folgeband kann ich nur eine entschlackte Handlung, weniger überflüssige Figuren und einen überzeugenderen Protagonisten empfehlen.
Im zweiten Fall des Leipziger Ermittlerduos Seiler und Novic geht es vordergründig um den Tod eines Lokalpolitikers. Dahinter verbergen sich aber noch andere Straftaten wie Korruption bei Behördenmitarbeitern, kriminelle Machenschaften politischer Gruppierungen sowie der Baumafia und Verdunkelung bei der Polizei.
"Heißes Pflaster" ist ein zum großen Teil politischer Krimi, der mir noch besser gefällt als der erste Band der Buchreihe. Dies liegt vor allem an den originellen, glaubwürdig gezeichneten Ermittlern. Der Synästhetiker Novic leidet unter seiner Hypersensibilität, gleichzeitig befeuert sie seine Intuition bei der Aufklärung des Falles. Da bekommt die Redewendung, jemanden nicht riechen zu können, noch mal ein ganz anderes Ausmaß. Angesichts seiner offensichtlichen sozialen Isolation empfindet man Mitleid.
Auch Seiler bekommt in diesem Band mehr Raum, sei es durch private Beziehungen oder ihren Verdacht, dass der vermeintliche Suizid ihres Mannes mit Machenschaften seiner Exkollegen in Zusammenhang stehen könnte. Dabei spielt auch der Vorgesetzte der beiden Hauptkommissare eine noch undurchsichtige Rolle.
In diesem Krimi werden Zwiespalte aufgezeigt: welche Handlungen, die aufgrund von Wohnungsnot, wirtschaftlichen Interessen oder politischer Gesinnung erfolgen, können noch akzeptiert werden? Der Riss geht durch die Gesellschaft: ob es Polizisten sind, deren politische Einstellung ihre Arbeit beeinflusst, oder Anwohner, die zwar die soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit erkennen, aber nicht in das Sperrfeuer politischer Gruppierungen geraten wollen. Der Autor bezieht selber Stellung, indem er mit der Hausbesetzerszene sympathisiert, die naiv bis idealistisch dargestellt wird, während vor der rechten Gefahr gewarnt wird, die manipulativ ist und die Bereitschaft zeigt, über Leichen zu gehen.
Alex Pohl zeigt einmal mehr sein Talent für sehr spannende Szenen sowie unterschwelligen Humor. Dass er Liebeskummer und Trauer weniger gut oder weniger bereitwillig beschreibt, konnte mich nicht bewegen, dafür einen Stern abzuziehen.
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