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Lilis Lesemomente
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Garbsen

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Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 18.02.2024
Cavanagh, Steve

Liar / Eddie Flynn Bd.3


ausgezeichnet

Liar ist der dritte Band der Eddie-Flynn-Reihe und kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden. Liar verbindet zwei zeitliche Geschehen miteinander. Während der zurückliegende Part gezielt einige Informationen liefert, bin ich im aktuellen Geschehen mittendrin. Es geht Schlag auf Schlag und Eddie kann manches Mal kaum eins und eins zusammenzählen, da muss er schon parieren.


Im Rückblick - da gebe ich ihm recht - sollte man öfter auf seinen Verstand als auf diese Stimme hören, die sagt "Und was ist, wenn wir es doch versuchen?". Und genau das macht Eddie Flynn so menschlich. Er hat seine Ecken und Kanten, wenn es um die Inhalte fremder Manteltaschen geht, kann er quasi zaubern und er ist ein ganz wunderbarer Strafverteidiger.



"Ich hatte am Morgen feststellen müssen, dass meine Krankenversicherung nicht zahlte, wenn ich in ein brennendes Gebäude lief. Und da denken die Leute, Trickbetrüger wären hinterhältig." - Seite 159



Das weiß auch Leonard Howell. Schließlich kennen er und Eddie sich aus Kinder- und Jugendtagen. Und genau diese jugendlichen Qualitäten schätzt Lenny so sehr an seinem alten Freund. Denn das Spiel, das Leonard Howell zu spielen bereit ist, ist gefährlich, aussichtslos und muss unter allen Umständen gut ausgehen.



"Worum er mich bat, hätte im Grunde meinen professionellen Suizid zur Folge. Kein Geld auf der Welt konnte mich dazu überreden, Ja zu sagen. "Ich mach´s", sagte ich." - Seite 68



Steve Cavanagh erzählt die Geschichte bildhaft und lenkt meinen Blick auf wichtige Details ohne sich darin zu verlieren. Zackig geht die Geschichte weiter. Steve Cavanagh erzählt in ultrakurzen Kapiteln, so dass ich immer noch eins und noch eins und noch eins lesen möchte, weil das Geschehen spannend erzählt ist. Selbst während der Gerichtsverhandlung kommt keine Langeweile auf. Da gilt es die Geschworenen zu beachten oder einen Blick auf das Publikum zu werfen oder das Augenmerk auf die direkte Verhandlung und Fragestellung zu lenken.

Absolut authentisch übersetzt ist der Roman von Jörn Ingwersen, der selbst Autor ist. An zwei Stellen habe ich beim Lesen gestockt. Da hieß es "... meinen Hinterkopf vom Sitz schälen ..." und "Der Charger fraß die Meilen.". Wobei es sich bei dem Charger um ein Fahrzeug handelt. Die Wortwahl hat meinen Lesefluss gehemmt, obwohl über die Sache an sich Klarheit herrscht. Nur, wenn ich mich aus dem Sitz schäle habe ich ein ganz anderes Bild vor Augen, als wenn ich meinen Hinterkopf vom Sitz schäle.

Auch mit den zwei Stopps ist Liar ein wahres Lesevergnügen. Ehrlich gesagt: Liar zu lesen war mir ein Fest. Ich freue mich schon sehr auf einen weiteren Fall mit Eddie Flynn.



Fazit
Liar ist für alle, die äußerst spannend erzählte Thriller lieben und für alle Fans von Eddie Flynn.

Bewertung vom 03.01.2024
Thomas, Aiden

Wendy & Peter. Verloren im Nimmerwald


ausgezeichnet

Wendy & Peter - Verloren im Nimmerwald erzählt die Geschichte von Wendy Darling und Peter Pan. Im Fokus der Geschichte steht die mittlerweile erwachsene Wendy Darling. Sie ist achtzehn Jahre alt und hat vor fünf Jahren ihre beiden Brüder John und Michael im Wald verloren. An den Verlauf des Abends des Verschwindens und die folgenden Monate kann sie sich nicht erinnern. Der Verlust trifft Wendy und ihre Eltern sehr hart und ist nach fünf Jahren längst nicht verarbeitet.


Eines Abends trifft Wendy auf Peter. Er kommt ihr bekannt vor, doch Parallelen zwischen ihrem Peter Pan aus den Geschichten, die sie ihren Brüdern oft erzählt hat und diesem realen Peter will sie nicht ziehen. Oder ist er es doch? Dummerweise gerät sie mit dem Aufeinandertreffen in den Fokus von polizeilichen Ermittlungen. Als dann auch wieder Kinder verschwinden - wie einst ihre Brüder - ist es mit Wendys Ruhe und dem geordneten Leben restlos vorbei. Die Schatten der Vergangenheit holen Wendy buchstäblich ein.

Wendy & Peter - Verloren im Nimmerwald spielt in der realen Welt, in der Wendy zu Hause ist. Statt magischem Sternenstaubgeglitzer müssen sich Wendy und Peter die irdischen Kräfte zu Nutzen machen, denn leider verliert Peter Tag für Tag seine Magie.



"Menschen finde ich viel beängstigender als die Dunkelheit", sagte er. "Jemand kann direkt vor dir stehen und gefährlich sein, ohne dass du es auch nur ahnst." - Seite 94



Die Geschichte ist spannend erzählt und entwickelt bereits am Anfang eine angenehme Sogwirkung. Aiden Thomas spielt mit den bekannten Charakteren, mit den Erinnerungen an die Geschichte des Peter Pan und transportiert diese geschickt in das irdische Leben der Wendy Darling. Die Trauerbewältigung der Eltern, die Verdrängung von Gefühlen und Tatsachen, die Wendy nicht erleben wollte und die fehlenden Erinnerungen an Peter Pan, das Nimmerland, den Feenstaub machen die Geschichte für mich realistisch und zugleich wünschenswert fantastisch.



"So gern hätte sie sein weiches Haar angefasst, seine warme Haut berührt. Peter sah aus, wie sich der Sommer anfühlte." - Seite 307



Wendy & Peter - Verloren im Nimmerwald ist düster und tragisch. Aiden Thomas trifft genau den richtigen Ton für die Erzählung und schreibt die Situationen sehr anschaulich, so dass ich die Reaktionen der Charaktere bildlich vor mir sehe.

Zum Schluss hat mich die Geschichte eiskalt erwischt. Obwohl Aiden Thomas mich als Leserin zuvor auf das Ende vorbereitet hat, war es nicht das Ende, das ich mir gewünscht hätte. Das macht es so lebensnah, so realistisch und zugleich traumhaft. Und dann wünsche ich mir meinen Peter Pan an meine Seite, nur um festzustellen, dass ich ihn im wirklichen Leben längst an meiner Seite habe.

Übersetzt wurde Wendy & Peter - Verloren im Nimmerwald aus dem Englischen von Michaela Link. Die deutschsprachigen Worte sind so gewählt, als hätte es nie einer Übersetzung bedarft. Vielen Dank für das wunderbare Lesevergnügen, das mir damit bereitet wurde.



Fazit

Wendy & Peter - Verloren im Nimmerwald ist für alle junggebliebenen Erwachsenen, die Peter Pan und Wendy Darling ins Herz geschlossen haben und für alle, die fantastische, düstere Geschichten im Genre Young Adult lieben. Oder, wie es die Widmung im Buch nicht besser hätte ausdrücken können:



"Für jedes schwere Herz, das zu schnell erwachsen werden musste." - Seite 5

Bewertung vom 30.12.2023
Meyer, Kai

Die Bibliothek im Nebel (MP3-Download)


ausgezeichnet

Die Bibliothek im Nebel führt mich als Leserin ins Graphische Viertel nach Leipzig, an die Cote d´Azur und nach Sankt Petersburg. Der Roman öffnet mir im historischen Geschehen der Jahre 1917, 1928 und 1957 die Tore zu einer umfassenden Geschichte aus Schauerroman, historischem Kriminalroman, ein Hauch Abenteuer und einer Liebesgeschichte, der ich nur zu gerne folge.

Eröffnet wird das Geschehen mit einer Familiensaga, die einen recht tragischen Verlauf nimmt. Es ist beunruhigend mitzuerleben, wie das eigene Kind behandelt wird und die Eltern gleichzeitig dem Wunsch nach eigener Verwirklichung hinterherjagen. Mitten in dieser "Familienidylle" befindet sich Artur. Artur, der irgendwie zur Familie gehört, aber nie gänzlich aufgenommen wird. Artur, der seiner Leidenschaft als Bibliothekar nur zu gern nachkommen möchte, dem dann aber die Revolution ein Schnippchen schlägt. Schlussendlich bleibt ihm keine andere Wahl als aus Sankt Petersburg zu fliehen und sich auf den Weg nach Leipzig zu machen. - Ins Graphische Viertel. Er macht sich auf in der Hoffnung, seiner großen Liebe Mara wieder zu begegnen. Mara, seine ideelle Adoptivschwester, die mittlerweile mit einem anderen Mann verlobt, aber hoffentlich noch nicht verheiratet ist. Im Gepäck hat Artur ein Buch, das unbedingt sein Ziel in Leipzig erreichen muss.

Artur ist nicht der einzige, der auf der Suche nach Mara ist. Jahre später macht sich Liette auf die Suche nach Mara. Liette, die so gern mehr über die Bibliothek im Nebel erfahren möchte.

Kai Meyer erzählt mit Die Bibliothek im Nebel eine umfassende Geschichte. Sie ist angereichert mit einer Düsternis, die ich zu durchbrechen wünsche. Und irgendwie ist da immer ein Schimmer, ein Glanz, der mich hoffen lässt, dass die Geschichte in irgendeiner Form gut enden mag. Die verschiedenen Zeitebenen greifen erst nach und nach ineinander und der Spannungsbogen, den Kai Meyer hält, scheint mir manches Mal zum Greifen nah.

Die Erzählstimmen von Fabian Busch, Luise Helm und Johann von Bülow tun ihr übriges um mich in der Geschichte mitzunehmen und mir die Geschehnisse vor Augen zu führen. So ganz erschließt sich mir der Wechsel der Stimmen nicht. Ich finde es aber bereichernd, über den Zeitraum von mehr als 17 Stunden mehr als einer Stimme lauschen zu dürfen, wobei jede ihre eigenen Vorzüge hat.

Es war mir ein Fest, den Charakteren zu folgen, mitzuermitteln und zu rätseln, wie es in der Geschichte weitergeht. Besonders schön fand ich die losen Verknüpfungen zu dem Roman Die Bücher, der Junge und die Nacht. Sei es der Wunsch, selbst im Graphischen Viertel in Leipzig unterwegs zu sein, die Liebe zu Büchern, oder einer starken Nebenfigur wiederzubegegnen.



Fazit
Die Bibliothek im Nebel ist für alle, die historische Schauerromane mögen und mit komplexen Handlungen auf verschiedenen Zeitebenen gut zurecht kommen. Und natürlich für alle, die sagenumwobene Geschehnisse um Bücher lieben.

Bewertung vom 18.12.2023
Wesseling, Antonia

Wenn ich uns verliere / Light in the Dark Bd.1


ausgezeichnet

Wenn ich uns verliere ist die Geschichte von Maggie und Leo. Die Situation ist eher ungewöhnlich, in der sich die beiden kennenlernen und die Emotionen der beiden sind spürbar. Beide sind mir auf Anhieb sympathisch, wie sie so um ein Taxi streiten. Das Gefühl zwischen Maggie und Leo scheint nicht nur zu stimmen, sondern auch auf tiefe Verbundenheit zu beruhen. Der Umgang ist sehr vertrauensvoll und wertschätzend - wenn auch Maggie manches Mal herrlich und widerlich zugleich - ziemlich kratzbürstig ist. Und genau das mag ich an ihr: ich habe nicht den Eindruck, dass sie sich verstellt um jemanden zu gefallen.







"Dein Ernst? Ich konnte ja nicht wissen, dass man bei einer Taxibestellung in Köln ein Gesundheitszeugnis vorlegen muss." Ihre Schlagfertigkeit und ihr Selbstbewusstsein sind verdammt sexy, auch wenn sie gerade mit Sicherheit nicht auf diese Art von mir wahrgenommen werden will. - Seite 23



Leo hingegen ist der charmante Ruhepol von den beiden. Sein Vorrat an Geduld, Verständnis und Liebe zu Maggie scheint unerschöpflich. Doch, wie heißt es so schön? Steter Tropfen hölt den Stein. Und irgendwann muss auch Leos Geduld mal erschöpft sein.



Antonia Wesseling schreibt die Geschichte der beiden Protagonisten so spannend und eindrücklich, dass ich das Buch gar nicht mehr zur Seite legen will. Besonders gefällt mir, dass Antonia Wesseling sich Gedanken um ihre Leserinnen und Leser macht und zu Beginn des Romans einen Hinweis über möglicherweise sensible Themen anspricht. Um nicht zu spoilern, befindet sich die Auflistung der sensiblen Themen am Ende des Buches.

Genauso fürsorglich ist auch ihr Schreibstil. Sie nimmt mich als Leserin mit auf die Reise in das Seelenleben ihrer Protagonisten. Die Geschichte wird im Wechsel von Maggie und Leo erzählt, so dass ich stets ihre Gedanken und Empfindungen hautnah erlebe. So schaue ich den Charakteren nicht nur - wie deren Gegenüber - vor den Kopf, sondern mitten ins Herz. Ich kenne die Wünsche, die Barrieren, die Hemmschuhe der Vergangenheit und stemme die Kraftanstrengungen bei Veränderungen mit. Das alles hilft mir, die Herausforderungen von Maggie und Leo nachzufühlen und mit Verständnis zu begleiten.

Und manche Situationen kennen wir selbst nur zu gut, wenn es beispielsweise um Abgrenzung geht.



"Wie war dein Tag?" "Sonntagig." Ihre Antwort lässt kaum zehn Sekunden auf sich warten. "Sind bei dir alle Sonntage gleich?, tippe ich. "Vermutlich nicht. Aber sie verbreiten alle so ein gewisses Sonntagsgefühl." ... "Probier´s aus. Wie war dein Sonntag?", fragte Maggie. "Elternig", antwortete ich und nicke Melina zu, die mich gebannt beobachtet. Sie klatscht sich vergnügt in die Hände, und ich verdrehe grinsend die Augen. - Seite 200



Dabei ist der Schreibstil locker und leicht und ich erfahre ganz nebenbei mehr über typische Verhaltensweisen von Menschen, die mit Erkrankungen und einschneidenden Lebensereignissen befasst sind. Dabei ist der Grat zwischen empfundenem Wissen und Wahrheit der Charaktere manches Mal nicht nur spürbar sondern nimmt geradezu unüberwindbare Entfernungen an.



"Eine Therapie zu machen, war für mich völlig abstrakt. Ich konnte die Probleme nicht bei mir sehen, sondern war felsenfest davon überzeugt, die anderen Menschen seien nur zu blöd." - Seite 293



"Und das macht es manchmal sogar noch schlimmer, oder?", frage ich und senke den Blick auf die Wiese. "Irgendwann fängt man an, nicht nur unter seinen eigenen Gefühlen zu leiden, sondern auch darunter, dass man glaubt, sie nicht haben zu dürfen." - Seite 316



Mir gefällt die Art und Weise, wie Antonia Wesseling ihre Protagonisten zu Wort kommen lässt. Diese natürliche Art in der wörtlichen Rede, ihre Verhaltensweisen, die unangepasst aber immer authentisch zur Person sind. Ein Leseerlebnis, dass mich wunderbar in die Welt von Maggie und Leo und ihre Herausforderungen katapultiert hat. Ich freue mich jetzt schon auf die beiden Folgebände der Light in the Dark Reihe.



Fazit
Wenn ich uns verliere ist für alle, die packend erzählte Liebesromane mit Mental Health Komponenten mögen.

Bewertung vom 04.12.2023
Seldeneck, Lucia Jay von

Weltfrieden


ausgezeichnet

Weltfrieden ist die Geschichte der ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der VEB Fermentationsbetriebe in einem kleinen Ort in Brandenburg. Zehn Jahre nach der Wende leben sie immer noch als Nachbarn nahe dem Betrieb und dem langsam vor sich hin zuwildernden Weltfrieden - der Kindertagesstätte des ehemaligen Werks.


Zunächst wirkt das Zusammenleben sehr beschaulich. Die Mitfünfziger leben nachbarschaftlich zusammen, statt einer Zukunft bekommen sie Frührente, die Kinder sind weggezogen. Als jedoch der Weltfrieden verkauft und zuvor von ihnen entrümpelt werden soll, kommt der innere Unfrieden zutage. Trotz eines damals misslungenen Tests, bei dem die früheren Mitarbeiter und Probanden für immer ihre Haare verloren hatten, haben sie gern in dem Werk gearbeitet. Sie wollten etwas bewegen. Und nun: Abstellgleis. Und dann soll ihnen auch noch der Weltfrieden genommen werden. Bei den Aufräumarbeiten kochen die Gefühle und die miesen Gedanken hoch. Als dann auch noch unliebsame Dokumente auftauchen, ist die Spannung auf dem Höhepunkt.

Lucia Jay von Seldeneck nimmt mich als Leserin mit nach Brandenburg in einen fiktiven kleinen Ort. Die Charaktere dort präsentieren sich als eigenständige und vor allem sehr eigenwillige Figuren, die dasselbe Schicksal teilen: den Verlust des geliebten Arbeitsplatzes zu Zeiten der Wende mit all seinen Herausforderungen: Frühverrentung, Chancenlosigkeit, Verlust der Jugend durch den Weggang der Kinder und dann noch die Stigmatisierung. Die Emotionen sind spürbar und ich bin ganz froh, dass ich nicht unmittelbar in der Auseinandersetzung stecke. Die Charaktere haben durch ihre Besonderheiten einen hohen Wiedererkennungswert. Es macht mir Spaß, ihnen zu folgen und sie durch die bevorstehende unliebsame Lebensepisode zu begleiten.

Die Geschichte wird von Anna Thalbach gelesen. Anna Thalbach verleiht mit ihrer einzigartigen Stimme und dem Wechsel in der Geschwindigkeit bei der Erzählung, der Geschichte einen Schwung und damit den Figuren sozusagen den letzten Schliff. Mit Begeisterung lausche ich, wie die Hitzköpfe aneinandergeraten und sich wieder zusammenraufen. Es ist so ein typisch, lebendiges Zusammenleben unterschiedlicher Charaktere, das mich immer wieder Schmunzeln lässt. Auch, wenn es bei dieser Geschichte um nichts geringeres als den Weltfrieden geht.



Fazit
Weltfrieden ist für alle, die einen Ausflug nach Brandenburg zehn Jahre nach der Wende wagen wollen, um den ganz normalen Alltag und die Verletzungen der ihrer Hoffnungen und ihrer Arbeit beraubten Menschen zu erleben. Charaktere, die sich selbst nicht zu ernst nehmen, denen aber ihre Ziele - auch die beraubten - überaus wichtig sind.

Bewertung vom 28.11.2023
Passmann, Sophie

Pick me Girls


ausgezeichnet

Pick me Girls erzählt die Geschichte eines Frauenlebens und gleichermaßen Episoden aus dem Leben von Sophie Passmann als Heranwachsende. Pick me Girls schildert, wie es sich anfühlt oder anfühlen kann, wenn das Leben einer Frau davon abhängig gemacht wird von dem Gedanken, einem Mann zu gefallen und ihm gefällig zu sein.









Dass Mädchen und junge Frauen, die in solch einem Glauben aufwachsen, sich anders entwickeln, als Mädchen und junge Frauen, die diesem Patriarchat nicht ausgesetzt sind, liegt auf der Hand.

Doch zu welchem Menschen, zu welcher Frau, hätte sich das Mädchen, hätte sich die junge Frau entwickeln können, wenn sie nicht diesen Glaubenssätzen ausgeliefert gewesen wäre?

Für mich war es erschreckend anhand von Pick me Girls festzustellen, dass Mädchen und junge Frauen auch heute noch in unserem Land mit derartigen Vorbildern aufwachsen. Ich mag diese Menschen nicht, die immer noch Kinder nach diesen Vorgaben erziehen und ihnen somit unnütze Barrieren aufbürden. Barrieren, die bewirken, dass weder Mädchen und junge Frauen sich frei entfalten können. Barrieren, die bewirken, dass auch Jungen und junge Männer sich nicht frei entwickeln können.

Sophie Passmann erzählt ungeschönt Episoden aus ihrem Leben. Sie schildert Begegnungen mit Männern ohne eine Blatt vor den Mund zu nehmen, aber auch ohne eine einzelne Person aus ihrem Leben zu brüskieren.

Am meisten beeindruckt bin ich von ihrem Vorhaben, anhand dieser Begebenheiten bildhaft darzustellen, was für Gefahren dieser Aufbau von Druck und vorgegebenen Lebenszielen der Entwicklung der Frau entgegenstehen.

Im Interview mit Bärbel Schäfer, anlässlich ihrer Buchvorstellung auf der Frankfurter Buchmesse, sagte Sophie Passmann



"Scham ist ein gefährliches Gefühl, weil man viel aushält aus Scham. Nicht nur negative Gefühle, sondern auch schlechte Behandlung. Man hält aus, schlecht behandelt zu werden, wenn man glaubt, jene Gegenleistung für die eigene Existenz anbieten zu müssen." - Sophie Passmann



Liebe Sophie, auch ich mag diese jungen Mädchen, die rebellisch sind, die denken, sie wären so ganz anders als die anderen Frauen. Bitte lass diese jungen Mädchen und Frauen wissen, dass sie auf sich aufbauen können, dass sie auf sich vertrauen sollten und dass sie ein schöneres und vor allen Dingen ihr eigenes Leben leben dürfen. Ich würde mir wünschen, dass Pick me Girls jedes Mädchen, jede Frau lesen wird. Vielleicht ein bisschen weniger bildungssprachlich und vielleicht auch eines heruntergebrochen auf ein jüngeres Alter.

Pick me Girls ist für mich in dieser Zeit eine Lektüre, auf die wir, als Gesellschaft, nicht verzichten können.



Fazit
Pick me Girls ist für alle, die wissen, dass es das Patriarchat noch gibt und für jene, die wissen, dass es abgeschafft gehört.

Bewertung vom 17.11.2023
Funke, Cornelia

Die Farbe der Rache / Tintenwelt Bd.4


sehr gut

Die Farbe der Rache ist Band 4 der Tintentrilogie. - Klingt ein bisschen merkwürdig, ich weiß. Eine Trilogie umfasst drei Bände. Die Farbe der Rache beschäftigt sich in der Hauptsache mit zwei Nebencharakteren, nämlich mit Staubfinger und Orpheus. Auch hat Die Farbe der Rache nichts mit der Macht der Tinte und dem Heraus- oder Hineinlesen in die Geschichten zu tun, weshalb im Titel statt Tinte die Farbe der Rache zu Tragen kommt. In diesem Buch ist die Farbe der Rache Grau.

Diejenigen unter euch, die die Tintentrilogie kennen, sind nach all den Jahren sicher noch vertraut mit Meggie, ihrem Vater Mo, Roxane und eben auch mit Staubfinger. Staubfinger, der das Feuer tanzen lassen kann. Alle die Leser, die das Vergnügen noch nicht hatten, lege ich die Tintentrilogie bestehend aus Tintenherz, Tintenblut und Tintentod ans Herz. Ein wahrlich berauschendes, magisches Abenteuer.

Umso mehr freue ich mich, dass das Abenteuer von Cornelia Funke weitererzählt wird.

Getreu dem Motto "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." (Wilhelm Tell) hat es Orpheus in Die Farbe der Rache auf Staubfinger und seine Lieben abgesehen. Seine Tat ist abscheulich und Staubfinger muss um all seine Lieben bangen. Glücklicherweise ist auf Orpheus Helfer nicht allzuviel Verlass, so dass eine klitzekleine Chance besteht Orpheus nicht nur zur Rede zu stellen, sondern die Greueltaten im besten Falle umzukehren. Eine Sicherheit gibt es jedoch nicht, nur die Hoffnung auf wirksame gute Magie.

Cornelia Funke schreibt in einem sehr bildhaften, beinahe malerischen Erzählstil. Es ist, als würde sie die Geschichte schreiben und ich könnte mich in sie hineinlesen. Ich nehme die Dunkelheit wahr, spüre die Kälte der Nacht und die Hitze des tanzenden Feuers. Die Gefühle der Charaktere sind für mich beinahe greifbar. Die befürchtete Hoffnungslosigkeit, der Ärger von Staubfinger über sich selbst und sein Schweigen, die Machtlosigkeit der Verschwundenen, aber auch der Ärger von Orpheus und die Angst von Eisenglanz.

Mein Herz jedoch hat eine junge Frau gewonnen: Lilia. Lilia hat ein sehr freundliches, einnehmendes Wesen und scheint im Einklang mit der Natur zu leben. Sie ist sanft, zurückhaltend und klug und sie handelt mit Weitblick. Wie gern würde ich ihr im wirklichen Leben begegnen.

Liebe Cornelia Funke, wenn du Lilia jemals in unsere Welt lesen lässt, dann bitte so, dass ich sie kennenlerne.

Die Farbe der Rache hat mich sehr gut unterhalten und mich wieder einmal in meine geliebte Tintenwelt reisen lassen. Wer auf ein Wiedersehen mit Meggie und Mo und Elenor gehofft hat, wird nicht umhin kommen, sich an diese Charaktere mit Wehmut zu erinnern.

Sehr gut gefallen haben mir auch die Zitate zu Beginn eines jeden Kapitels. Wie beispielsweise das Kapitel "Ein neues Haus, ein alter Feind".



"Wenn schlechte Menschen deine Feinde sein wollen, beginnen sie immer mit dem Versuch, dein Freund zu sein." - William Blake - Seite 156



Hand aufs Herz: Wer hat das schon erlebt?



Fazit
Die Farbe der Rache ist für alle, die in die Tintenwelt einkehren wollen um dem Feuertänzer zu begegnen. Ein magisches, bildhaft geschriebenes Abenteuer.

Bewertung vom 15.11.2023
Coulin-Riegger, Ulla

Es wird so unbemerkt zu spät


ausgezeichnet

Es wird so unbemerkt zu spät ist die Geschichte über den Psychotherapeuten Rafael Lenz. Rafael Lenz wächst selbst in einem für ihn ungesunden Elternhaus auf. Immer wieder ist der Konflikt zwischen Vater und Sohn in seinem Lebensverlauf spürbar und dominiert Rafaels Handeln.


Rafael Lenz, der durch Empathie, Forschungsdrang und dem unbedingten Willen seinen Patienten zu helfen, selbst immer tiefer in die Erschöpfung, die "neue Krankheit" gleitet. Mir gefällt seine den Patienten zugewandte Art. Die gestörte Beziehung zu seinem Vater ist spürbar. Ebenso die langsame Phase der Entfremdung zu seiner Frau Lisbeth und seinen beiden Söhnen, während Rafael nur noch eines kann: für seine Patienten die helfende Hand sein.

Ulla Coulin-Riegger schreibt die Geschichte um den Psychotherapeuten, Sohn, Ehemann, Vater und Freund sehr eindrucksvoll. Die Bande der Freundschaft und das Unvermögen, aufgrund äußerer Beweggründe eine Bindung nicht anschaulich zu machen. Die Liebe und das Unvermögen, dieser offen zu begegnen und sie zu fördern. Die Hingabe zu Beruf und vermeintlicher Berufung und das Unvermögen, dieser Hingabe Einhalt zu gebieten.

Es wird so unbemerkt zu spät lässt mich nachdenklich zurück. Was, stelle ich mir die Frage, ist denn für den Menschen gut? Darf jeder Mensch seine Bedürfnisse haben und hat ein jeder Mensch das Recht, ihnen nachzugeben? Was ist mit dem Recht des anderen, nicht nach der Fasson der anderen zu leben, zu reagieren, zu handeln?

Es wird so unbemerkt zu spät ist eine Geschichte, die Ruhe, die Konzentration und Stärke benötigt. Genauso, wie Rafael Lenz Verständnis benötigt. Verständnis der anderen, Verständnis aber vor allem von ihm für sich selbst.



Fazit
Es wird so unbemerkt zu spät ist für alle, die sich mit "der neuen Krankheit" beschäftigen und auseinandersetzen wollen ohne ein Sachbuch zu lesen.

Bewertung vom 09.10.2023
Strobel, Arno

Der Trip - Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand. (MP3-Download)


sehr gut

Der Trip - Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand. ist der neueste Thriller von Arno Strobel. Evelyn Jancke ist forensische Psychologin und steht gerade selbst unter dem Druck psychischer Belastungen. Vor zwei Jahren ist ihr Bruder Fabian mitsamt seiner Frau auf dem gemeinsamen Urlaubstrip verschwunden. Die Polizei hat die Ermittlungen längst aufgegeben und Evelyn Jancke leidet mehr, als dass sie lebt.


Ein wenig Aufwind erhält sie, als sie gebeten wird, die Ermittlungen der Oldenburger Polizei bei einer Mordserie zu unterstützen und dabei auf ihren alten Freund und ehemaligen Lebensgefährten Gerhard Tillmann trifft. Grotesk wird die Sache allerdings, als nach einem verpfuschten Mordversuch ein Fahndungsfoto des Täters auftaucht, das verdammt viel Ähnlichkeit mit Fabian hat.

Zack! Spannung aufgebaut. Allein durch diesen ersten Einstieg in die Geschichte ist mein Ehrgeiz geweckt und ich verfolge aufmerksam, wie alles zusammenpassen soll. Fabian selbst ist verschollen. Ist er zum Mörder geworden? Was wären seine Motive?

Der flüssige Erzählstil von Arno Strobel und die Art, in der Sascha Rotermund die Geschichte präsentiert, machen Lust auf mehr und am liebsten würde ich den Thriller in einem Atemzug erleben.

Hin und wieder komme ich beim Hören des Hörbuchs allerdings ins Stocken. Nicht alles erscheint mir logisch und auf den ersten Blick nachvollziehbar. Und manchmal rebelliert mein innerer Monk, wenn es um Namensfindung und Wortwahl geht. Dennoch: die Spannung steigt und es macht Spaß dem Geschehen zu folgen.

Ein bisschen ist mir Sascha Rotermund mit der Betonung beim Lesen drüber. Der gewollte Aufbau von Spannung mit seiner Art zu sprechen um den Hörer zu locken, ist stellenweise nicht ganz passend. Er nimmt sich dann aber auch gleich stimmlich wieder etwas zurück, so dass ich das Hörbucherlebnis genießen kann, ohne vor (unnötigem) Spannungsaufbau direkt umzukommen.

Der Trip ist auf jeden Fall spannend und macht Spaß zu hören. Wer sich solch einen Thriller wünscht, für den ist Der Trip perfekt.



Fazit
Der Trip ist für alle, die spannende und gut aufgebaute Thriller mögen und sich nicht an Feinheiten stören. Für Strobel-Fans ein Muss!

Bewertung vom 01.09.2023
Martin, Tina N.

Apfelmädchen / Kommissarin Lind ermittelt Bd.1


sehr gut

Apfelmädchen ist das Thriller-Debüt der Autorin Tina N. Martin. Die Geschichte spielt in Schweden in der Gegend um die Stadt Boden, in der Tina N. Martin selbst lebt.


Die Geschichte kommt für mich scheinbar langsam ins Rollen. Auf den ersten rund 80-100 Seiten gewöhne ich mich an den Erzählstil und die Charaktere. Im Laufe der Erzählung werden es immer mehr Figuren. Diese haben gute Unterscheidungsmerkmale, doch trotzdem muss ich - sobald wiederholt die Rede von einem dieser Charaktere ist - mich bemühen, mich daran zu erinnern, um wen es jetzt gerade geht.

Die Mühe lohnt sich. 100 gelesene Seiten später mag ich das Buch schon gar nicht mehr aus der Hand legen.

Apfelmädchen wird in zwei Ebenen erzählt. Die eine Ebene spielt ab dem Jahr 1975, die andere aktuell im August.

Aktuell sind Kriminalkommissarin Idun Lind und ihr Partner Calle Brandt dabei, einen Mordfall aufzuklären. Die beiden sind ein eingespieltes Team und können sich scheinbar blind aufeinander verlassen. Der Mordfall wirft viele Fragen auf: niemand hatte offenkundig ein Mordmotiv gegen das Opfer. Und doch wurde der Leichnam der jungen Frau sogar eigens in Szene gesetzt.



Triggerhinweis
Bei diesem Buch komme ich leider nicht umhin, einen Hinweis zu geben. Wer sich überraschen lassen will, liest hier nicht weiter, sondern erst wieder ab der nächsten Überschrift Meine Meinung.

Apfelmädchen spricht über häusliche Gewalt, über erwachsene Menschen in Wirkungsfeldern, denen sie nicht gerecht werden und hat einen religiösen bzw. einen Bezug zu Sekten.

Ich kann alle verstehen, die aufgrund der Thematik hier aussteigen.



Meine Meinung
Apfelmädchen ist ein klug erzählter Thriller. Die Geschichte nimmt einen überraschenden Verlauf und wartet mit einem - zumindest anfangs - überraschenden Ende auf. Der Erzählstil wirkt auf mich noch etwas ungelenk, die Geschichte ist aber gleichwohl spannend.

Es gibt viele Charaktere, die aufeinandertreffen, und diese grenzen sich alle sehr gut voneinander ab. Jeder hat seine Eigenart, seinen eigenen Stil. Das gefällt mir und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Bei den Namen musste ich allerdings etwas länger überlegen, wenn die Charaktere wieder in Erscheinung treten. Das hat den Lesefluss etwas gehemmt.

Dafür war die Spannung da. Tina N. Martin motiviert mich mit ihrer Art die Geschichte zu erzählen die Beweggründe und die handelnden Akteure zu begreifen. Die Emotionen der Charaktere blieben ein wenig auf der Strecke, dafür nimmt Tina N. Martin kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Greueltaten geht. Das ist auch der Grund, weshalb ich einen Triggerhinweis in meiner Rezension platziert habe. Dazu kommt eine etwas raue Art, die Geschichte zu erzählen. An zwei, drei Stellen musste ich erst noch einmal zurückgehen, um noch einmal nachzulesen, ob die Figuren auch genau dort sind, wo sie sein sollen: unterwegs im Auto oder noch am Schreibtisch sitzend. Wer sich mit solchen Details nicht aufhält, ist jedoch richtig im Schwung der Geschichte.

Ich bin mir nicht sicher, ob es an der Art der Erzählung von Tina N. Martin liegt oder ob vielleicht aufgrund der Übersetzung von Leena Flegler abrundende Details fehlen. Bei Übersetzungen aus dem Schwedischen stelle ich häufig fest, dass ein Lektorat der Geschichte oftmals gut tun würde. In dieser Übersetzung von Leena Flegler scheint mir aber alles stimmig übersetzt zu sein.



"Sie waren als Eltern komplette Versager. All das, was Papa uns zugemutet hat - die Schläge, die Drohungen, der Hohn. Das verzeihe ich ihm nie, und ich verzeihe Mama nicht, dass sie zu alldem den Mund gehalten hat." - Seite 53



Apfelmädchen gewährt mir als Leserin einen Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche. Ich empfehle starke Nerven beim Lesen.



"Es sind zärtliche Worte, doch seine Stimme ist hart. Mit einem Mal ist ihre Kehle ganz trocken und fühlt sich an wie zugeschnürt. Schon bemerkenswert, wie zwei kurze Sätze ein Gefühl erzeugen, als würde ihr jemand den Hals zudrücken." - Seite 86



Die Geschichte wird erzählt, wie ein rauer Wind, der einen durchrüttelt und nicht mehr loslässt. Ich freue mich schon jetzt auf den zweiten Band und ein Wiedersehen mit Idun Lind und Calle Brandt mit Gewittermann.

Wer Apfelmädchen liest, entscheidet sich für einen Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche.



Fazit
Apfelmädchen ist für alle, die tief in die Abgründe der menschlichen Psyche blicken wollen und eine zeitweilig raue Erzählart abkönnen.