Benutzer
Benutzername: 
Sophie

Bewertungen

Insgesamt 169 Bewertungen
Bewertung vom 06.10.2024
Turhan, Su

Verwerfungen


gut

Etwas verwirrend, aber nicht ohne Charme

Mit „Verwerfungen“ schickt Su Turhan bereits zum achten Mal seinen bayrisch-türkischen Kommissar Zeki Demirbilek ins Rennen.Vorweg sei gesagt: Es war vielleicht nicht die beste Idee, mit dem achten Band einer Reihe zu starten. Vieles, was für mich als Einsteigerin verwirrend war, ist womöglich für Fans der Reihe selbstverständlich. Insofern würde ich bei Interesse dazu raten, den ersten Band zu kaufen.

Verwirrungspotenzial gibt es nämlich allerhand in diesem Roman mit seinen vielfältigen Schauplätzen und den unzähligen Figuren, die hier und da alle einmal zu Wort kommen. Im Kern geht es in „Verwerfungen“ um ein Kunstobjekt, das zwischen Istanbul und München hin und her wandert, hier mal gestohlen und dort mal gefälscht wird und stets in die falschen Hände zu geraten scheint. Jeder scheint „die Medusa“ haben zu wollen. Zeki Demirbilek, der sich nach einer ernsten Verletzung in Istanbul auskuriert, kooperiert auf etwas undurchsichtige Weise sowohl mit der Istanbuler als auch mit der Münchner Polizei und ist zudem noch persönlich involviert, denn das Opfer des ersten Diebstahls war ein befreundeter Münchner Antiquitätenhändler, der sich immer tiefer in das Drama um die Medusa verstrickt.

Die größte Schwierigkeit, die ich mit „Verwerfungen“ hatte, war, einen Überblick über die vielen Figuren zu bekommen. Das Problem dabei ist, dass die Fäden nicht alle bei einem Protagonisten (Zeki) zusammenlaufen, sondern unheimlich vieles gleichzeitig an verschiedenen Orten passiert, was Zeki teilweise nur am Rande tangiert. Wir folgen hier also nicht einem Ermittler oder einem Ermittlungsteam, sondern vielen verschiedenen Handlungssträngen mit unterschiedlichen Hauptfiguren, die alle irgendwie (entfernt) mit der gestohlenen Medusa zu tun haben. Bei dieser gewaltigen Menge an Perspektiven bleibt kaum Zeit, um einzelne Figuren besser kennenzulernen oder überhaupt ihre Bedeutung in Zekis Leben klar festzustellen. ABER: Dieser Eindruck entstammt natürlich meiner Perspektive als Neuleserin. Wer all diese Figuren bereits aus sieben Vorgängerbänden kennt, sieht das womöglich völlig anders. Daher bin ich geneigt, das Buch wohlwollend zu bewerten, denn die Verstrickungen um die Medusa, also der eigentliche Kriminalfall, sind durchaus spannend und unvorhersehbar, sodass die Kriminalhandlung selbst positiv aus dem Perspektiven-Gewirr hervorsticht.

Insgesamt ein Buch, das ich nur Menschen ans Herz legen würde, die bereits die Vorgängerbände zur Reihe gelesen haben.

Bewertung vom 06.10.2024
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


gut

Ein nachdenklicher, langsamer Roman

„In den Wald“ von Maddalena Vaglio Tanet startet wie ein Spannungsroman, entwickelt sich dann jedoch sehr langsam und behutsam in eine nachdenkliche Erzählung über Lebenswege und Träume, enttäuschte Hoffnungen und verborgene Sehnsüchte. Nicht reizlos, aber durchaus mit Schwächen.

In einem kleinen italienischen Ort begeht eine 11-jährige Schülerin Selbstmord. Ihre Lehrerin, Silvia, der das Mädchen ans Herz gewachsen ist, verkraftet diese grauenvolle Entwicklung überhaupt nicht und versteckt sich in einer Übersprungshandlung im Wald. Während ihre Familie und ihr Umfeld nach ihr suchen, reflektiert Silvia nicht nur über das, was zur Tat ihrer Schülerin geführt hat, sondern auch über ihr eigenes Leben – die Kindheit im Internat, das Verhältnis zur Familie, ihren Status als Alleinstehende.

Zu Wort kommen neben Silvia noch viele weitere Stimmen: Menschen aus dem Dorf wie auch Familienangehörige. Sie alle haben ihre eigenen Päckchen zu tragen, sodass die Geschichte immer wieder von der Handlung um Silvia abrückt und andere Pfade erforscht. Diese Vielstimmigkeit hat zwar ihren ganz eigenen Reiz, zeigt sie doch eine große Bandbreite von Biographien und den Wert eines Lebens, das auf viele unterschiedliche Arten verlaufen kann. Zugleich nimmt diese Vielfalt an Perspektiven dem Buch jedoch auch den Fokus. Hier geht es mal um Gewalt in der Familie, dort um Eheschwierigkeiten, dann wieder um Entwurzelung und Umzug in jungen Jahren, um Krankheiten und Mobbing. All diese Bereiche tangieren die Sphäre der Hauptfigur Silvia, aber eine echte Protagonistin ist sie nicht, wie sie dort passiv im Wald sitzt und über weite Strecken anderen Figuren das Feld überlässt.

„In den Wald“ ist ein durchaus interessanter Roman, der einen jedoch nach der Lektüre eher ratlos zurücklässt. Da der Text von hier nach dort mäandert, ist beim Zuschlagen des Buchs nicht so recht klar, welche Aussage es nun eigentlich transportieren wollte. Wer nachdenkliche Texte mag, wird „In den Wald“ aber vielleicht gerade aufgrund seiner unaufgeregten und beinahe dahinplätschernden Art zu schätzen wissen.

Bewertung vom 08.09.2024
Meller, Marc

Das Smartphone


sehr gut

Spannungssnack für Thrillerhungrige

Marc Mellers neuer Thriller „Das Smartphone“ spielt auf spannende Weise mit den Möglichkeiten des technischen Fortschritts – samt allen Konsequenzen. Echter Tiefgang kommt auf der rasanten Reise durch die Welt von KI, Spyware und Genforschung zwar nicht zustande, dafür besticht das Buch jedoch durch sein flottes Tempo und die originellen Ideen.

Paula steht kurz davor, ihre Doktorarbeit in Molekularbiologie zu beginnen und ihre wissenschaftliche Karriere zu starten, als der Kauf eines gebrauchten Smartphones ihr Leben aus den Angeln hebt. Unmittelbar nach dem Kauf wird der Besitzer des Handyshops ermordet – kurz nachdem er Paula mitgeteilt hat, dass er Spyware auf ihrem alten Gerät gefunden hat. Nur ein merkwürdiger Zufall? Paula wendet sich zunächst an die Polizei, gerät jedoch selbst bald ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Nur der psychisch kranke Bruder des Ermordeten scheint an Paulas Unschuld zu glauben. Aber ist die Verschwörung, die er aufzudecken gedenkt, echt oder nur ein Hirngespinst?

„Das Smartphone“ bewegt sich auf der Grenze zwischen Wissenschafts- und Actionthriller und setzt vor allem auf ein rasantes Tempo ohne Atempausen. Beinahe jedes Kapitel hält eine neue Wendung bereit, sodass die Lektüre wie im Flug vergeht. Der sehr einfach und knapp gehaltene Schreibstil trägt ebenfalls dazu bei, dass die Seiten nur so dahinsausen. Das Buch legt den Fokus vor allem auf die Schattenseiten moderner Technologie und beleuchtet einige erschreckende Möglichkeiten, wie diese Technologie missbraucht werden kann. So richtig zum Nachdenken anregen kann der Thriller dabei allerdings nicht. Aufgrund des rasanten Tempos und des knappen, handlungsorientierten Stils bleibt wenig Zeit für Reflexion, und bei keinem der angerissenen Themen geht es so richtig in die Tiefe, was gesellschaftliche oder individuelle Konsequenzen anbelangt. Das tut jedoch dem Unterhaltungswert des Buchs keinen Abbruch.

Fazit: „Das Smartphone“ ist ein spannender und origineller Thriller, jedoch eher eine Lektüre für zwischendurch. Wer nicht nach Tiefgang sucht, sondern vor allem gut unterhalten werden möchte, wird mit dem Buch sicher seinen Spaß haben.

Bewertung vom 03.08.2024
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


ausgezeichnet

Ein wirklich großer Wurf

Mit „In den Farben des Dunkels“ ist Chris Whitaker ein großer Roman mit phänomenalem Nachhall gelungen, der an die ganz essenziellen Fragen von Menschlichkeit rührt. Die Jahrzehnte umspannende Handlung verliert nie an Intensität, und der sprachlichen Wucht des Romans wird sich wohl kaum jemand entziehen können.

Im Kindesalter wird der Außenseiterin Saint ihr einziger Freund entrissen: Patch, aufgewachsen in schwierigen Verhältnissen, wird unverhofft zum Helden, als er die Entführung einer Mitschülerin verhindert, dabei jedoch selbst in die Fänge des Entführers gerät und über Monate hinweg verschollen bleibt. Während Saint alles daransetzt, ihn zu finden und zu befreien, kommt Patch in Gefangenschaft einem Mädchen näher, das das Verlies mit ihm teilt. Als die Befreiung schließlich irgendwann gelingt, bleibt dieses Mädchen zurück, doch Patch wird sie sein Lebtag lang nicht vergessen und sein Leben der Suche nach ihr widmen.

Was „In den Farben der Dunkelheit“ zu einem so außergewöhnlichen Buch macht, ist nicht nur die psychologische Tiefe jeder einzelnen Figur, sondern auch, dass so viele von ihnen zu Wort kommen, ohne dass die Geschichte je an Richtung verlieren und zerfasern würde. Saints Großmutter, der ermittelnde Sheriff, die von Patch gerettete Mitschülerin, der örtliche Kunsthändler … So viele Menschen spielen eine Rolle rund um die Entführung und die Folgen, die sie auch Jahrzehnte später noch nach sich zieht, und ihnen allen wird eine eigene Geschichte zugestanden, mit ihren eigenen Traumata und Sehnsüchten. Dabei bleibt Whitaker gleichwohl stets fokussiert auf das große Ganze, verliert nie Patchs Suche nach seiner Mitgefangenen aus den Augen. Seine Figuren entwickeln sich stetig weiter, selbst wenn sie auf der Stelle zu treten scheinen. Mit wortgewaltiger Sprache malt der Autor ein Bild davon, wie das Schicksal einer einzigen Person Wogen schlagen kann, die nicht nur eine kleine Gemeinschaft, sondern fast ein ganzes Land in Bewegung setzen.

„In den Farben des Dunkels“ ist ein tief berührender Roman, dessen Figuren einen noch lange nach dem Beenden der Lektüre nicht loslassen. Voller Inbrunst wünscht man ihnen das Beste und muss doch zusehen, wie sie einen Fehler nach dem anderen begehen. Mit diesem Roman ist Chris Whitaker wahrhaftig ein Abbild des wahren Lebens gelungen, jedoch angereichert mit Ästhetik und Poesie. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.08.2024
Petermann, Axel;Mattfeldt, Petra

Ken und Barbie / Im Kopf des Bösen Bd.2


sehr gut

Trotz schwachem Start eine spannende Lektüre

„Im Kopf des Bösen – Ken und Barbie“, der zweite Band aus der Reihe um das Ermittler-Duo Sophie Kaiser und Leonhard Michels, beginnt schwach, kann sich jedoch stetig steigern. Dank der polizeilichen Expertise von Fallanalytiker Axel Petermann, in Worte gepackt von Autorin Petra Mattfeldt, besticht das Buch vor allem durch die Authentizität des dargestellten Falls, der auf einer wahren Begebenheit beruht.

In Köln treibt ein Frauenmörder sein Unwesen. Mehrere junge Frauen sind bereits verschwunden, und als die ersten grausam zugerichteten Leichen auftauchen, treten Sophie Kaiser und Leonhard Michels vom BKA auf den Plan. Mit ihrem fallanalytischen Know-how erstellen die beiden ein Profil des Täters, das jedoch rasch an seine Grenzen stößt. Sind hier etwa zwei Personen am Werk – ein Paar? Als eine weitere junge Frau entführt wird, beginnt die Uhr zu ticken. Sophie und Leonhard stürzen sich mit allem, was sie haben, in die Arbeit und kommen sich dabei auch auf menschlicher Ebene näher. Für Sophie kein leichter Schritt, denn ihre autistischen Züge erschweren ihr zwischenmenschliche Beziehungen sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext.

Der Thriller basiert auf einem wahren Fall, einer Mordserie, die sich in den 1990ern in Kanada zutrug, wie das Nachwort detailliert aufschlüsselt. Petermann und Mattfeldt halten sich eng an die Abfolge der Ereignisse während dieser Morde und verlegen die Handlung nach Deutschland. Man merkt dem Roman an, dass hier geballte Expertise in Gestalt von Fallanalytiker Axel Petermann im Hintergrund steht, denn die Darstellung der Ermittlungen wirkt außerordentlich authentisch. Neben den beiden Ermittlungsfiguren kommen auch Opfer und Täter zur Sprache, in teils reißerischen Schilderungen, die aber fürs Genre gut passen und eine Abwechslung zum relativ neutral gehaltenen Ton des Handlungsstrangs rund um die Ermittlungen darstellen. Insbesondere der Start ins Buch wirkt beinahe nüchtern und damit nicht unbedingt spannungsgeladen. Das Autoren-Duo nimmt sich viel Zeit, Sophies Autismus zu erklären und vorzustellen, anstatt ihn anschaulich zu zeigen, sodass sich auf den ersten Seiten trotz Leichenfund nicht so recht Spannung einstellen will. Hat man es dann erst mal über die holzige Exposition geschafft, wird der Fall jedoch bald richtig spannend und auch Sophie im Kontakt mit ihrem Kollegen Leonhard als Figur etwas plastischer.

Ein spannender Thriller, der zwar schleppend ins Rollen kommt, dann aber durch hohes Tempo und ein authentisch geschildertes, spannungsreiches Ermittlungsverfahren überzeugen kann.

Bewertung vom 03.08.2024
Golling, Alexander Lorenz

In Flammen


gut

Grusel im klassischen Stil

Die elf Gruselgeschichten in Alexander Lorenz Gollings Kurzgeschichtensammlung „In Flammen“ überraschen zwar nur selten, warten aber doch mit einer ganz eigenen Atmosphäre auf. Sowohl stilistisch als auch inhaltlich entsprechen sie damit oft dem Typus des klassischen Schauermärchens, jedoch ergänzt um manch einen überraschend blutigen Vorgang.

Die in dem Buch versammelten Texte bewegen sich allesamt in der Region Donaumoos mitten in Bayern und greifen mehr als einmal historische Ereignisse oder lokale Legenden auf, was den Texten einen leicht folkloristischen Anstrich gibt. Schauerliche Gebäude und Orte, Geistererscheinungen und einsame Natur bilden die Hauptelemente der meisten Geschichten, sodass sie sowohl durch den regionalen Bezug als auch durch die Themenwahl zusammengehalten werden. Manch ein Geist ist rachsüchtig, manch einer doch eher traurig, aber es sind fast immer die Toten, die in irgendeiner Form aus ihren Gräbern zurückkehren. Eine Ausnahme von diesem Muster bildet „Auf Abruf“ – die kurze Geschichte bleibt jedoch in Andeutungen hängen und kann durch das hastig wirkende Ende nicht überzeugen.

Ebenso klassisch wie die Themenwahl mutet Gollings Sprache an: Altertümliche Ausdrucksweisen sind keine Seltenheit, fügen sich jedoch in den Texten mit historischem Setting naturgemäß besser ein als in anderen („Eine Familienangelegenheit“ ist in dieser Hinsicht positiv hervorzuheben). Insgesamt sorgt dieser Stil für eine gewisse Distanz zwischen Lesenden und Figuren. So richtig mitempfinden kann man das Grauen nur selten. Eine echte Ausnahme, die emotional wirklich zu berühren weiß, stellt der ungewöhnlich melancholische Text „Noch ein Bier, bitte!“ dar. Unter Verwendung der klassischen Methode der Geschichte in der Geschichte und wohlbekannter Motive schafft der Autor einen Text, der zwar nicht zu überraschen, aber auf tiefster Ebene zu berühren vermag. Eindeutig der Höhepunkt der Sammlung!

„In Flammen“ ist ein durchaus unterhaltsames Werk, das immer wieder mit atmosphärischen Momenten glänzt, jedoch keine großen Würfe schafft. Fans von klassischen Schauergeschichten kommen hier durchaus auf ihre Kosten, werden jedoch vermutlich keine großen Überraschungen erleben.

Bewertung vom 10.06.2024
Cors, Benjamin

Krähentage / Gruppe 4 ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Ein Thriller-Highlight

„Krähentage“ von Benjamin Cors hat einfach alles, was man sich von einem anspruchsvollen Thriller wünscht: eine grausige Mordserie, ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, eine kompetente Ermittlungstruppe mit Ecken und Kanten und jede Menge Spannung. Mit diesem Buch ist dem Autor wirklich ein großer Wurf gelungen.

Die gerade erst etablierte Gruppe 4 zur Aufklärung von Serienstraftaten hat keinen leichten Start: Direkt am ersten Arbeitstag macht sich ein gewiefter Serienmörder ans Werk, der für kurze Zeit die Identität seiner Opfer annimmt und ihre Leichen ausgehungerten Krähen zum Fraß vorwirft. Die Ermittlungstruppe um Jakob Krogh und Mila Weiss tritt auf der Stelle: Es mangelt an verwertbaren Spuren, der Täter scheint ihnen immer einen Schritt voraus zu sein, und zusätzlich sitzt ihnen der Staatsanwalt im Nacken und ihre Ressourcen werden durch eine parallel laufende zweite Ermittlung gebunden. Mit jedem neuen Opfer wächst die Verzweiflung – ist diesem Mann überhaupt beizukommen?

In „Krähentage“ geht es nicht so sehr um die Jagd nach dem Mörder, sondern vielmehr um das Wie: Wie kommt man einem Phantom auf die Schliche? Was sind die Hintergründe seiner Tat? Ab der ersten Seite begleiten wir Lesenden sowohl den Täter als auch die Ermittlungsgruppe – es bestehen keine Zweifel über seine Identität. Bisweilen kommt er Jakob und Mila sogar so nah, dass man die beiden am liebsten durch die Seiten hinweg anbrüllen und auf ihn aufmerksam machen würde. Gerade darin liegt die Stärke des Romans: Benjamin Cors lässt uns den Figuren ganz nahe kommen, und zwar nicht nur Jakob und Mila, sondern auch den anderen Ermittelnden sowie dem Täter selbst. Dabei kommt er weitgehend ohne Klischees aus: Während Jakob und Mila durchaus Anlagen klassischer Figurentypen haben (der Hüter eines dunklen Geheimnisses und die kratzbürstige Supertoughe), durchbrechen sie die stereotypen Verhaltensweisen dieser Figurentypen immer wieder und werden dazu zu echten, nahbaren Menschen, denen man ihre Emotionen wirklich abkauft. Der Autor bedient sich dabei einer Sprache, die für einen Thriller oft ungewohnt poetisch anmutet, gerade dadurch aber eine ganz andere Tiefe entwickelt, als das bei vielen anderen Genrevertretern der Fall ist. Blut und Grausamkeit kommen dabei zwar nicht zu kurz, fügen sich aber organisch in die Handlung ein, ohne voyeuristisch zu wirken.

„Krähentage“ ist blutig und hochspannend, zugleich aber ein Thriller mit echter Tiefe, authentischen Figuren und manch einer wahrhaft originellen Wendung. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 09.06.2024
Horowitz, Anthony

Mord stand nicht im Drehbuch


sehr gut

Brillant konstruiert und humorvoll erzählt

Mit „Mord stand nicht im Drehbuch“ tritt Bestseller-Autor Anthony Horowitz einmal mehr mitten hinein in seinen eigenen Kriminalroman. Diesmal jedoch nicht als Ermittler, sondern als Tatverdächtiger. Während der Mix aus Realität und Fiktion nicht immer ganz gelingt, ist die Krimi-Handlung selbst ein großes Vergnügen.

Nach der Premiere von Horowitz’ aktuellem Theaterstück – einer Kriminalkomödie – in London, wird die härteste Kritikerin des Stücks tot aufgefunden. Ermordet mit einem Dolch, wie ihn die Besetzung als Geschenk erhalten hat. Horowitz gerät ins Fadenkreuz der polizeilichen Ermittlungen und sieht sich gezwungen, Hilfe bei dem brillanten, jedoch unausstehlichen Privatdetektiv Hawthorne zu suchen.Während sich die Polizei immer dichter an seine Fersen heftet, ziehen Horowitz und Hawthorne auf der Suche nach Antworten quer durch London und Umgebung. Mit jedem Interview eines Verdächtigen aus der Theatertruppe tauchen neue Hinweise auf, und schlussendlich gilt es, ein Puzzle aus unzähligen Teilen zusammenzusetzen, um dem Täter auf die Schliche zu kommen.

„Mord stand nicht im Drehbuch“ ist im Grundsatz ein Kriminalroman in bester Agatha-Christie-Manier: ein begrenzter Kreis von Verdächtigen, alle mit ihren jeweils eigenen Motiven und Geheimnissen, und ein Ermittler, der nach und nach die Informationshäppchen sammelt und am Ende durch erstaunliche Denkleistung zu einem klaren Bild zusammensetzt. Horowitz würzt dieses Patentrezept mit einer kräftigen Prise Humor und einer vielleicht etwas ausgearteten Dosis Metaebene. Die selbstironische Art, mit der der Autor sich selbst als Hauptverdächtigen und Erzähler ins Zentrum der Ermittlungen schiebt, wirkt hier und da vielleicht etwas übertrieben augenzwinkernd. Insbesondere dann, wenn Horowitz in tiefstaplerischer Manier seinen eigenen Erfolg als Autor herunterspielt oder sich von anderen Romanfiguren kleinreden lässt. Ein bisschen weniger Horowitz und ein klein wenig mehr Hawthorne hätten dem Roman gutgetan. Die Ermittlungen selbst und die Auflösung des Falls können dank der brillanten Konstruktion und der geschickten Einflechtung kleinster relevanter Details über den gesamten Roman hinweg jedoch auf ganzer Linie überzeugen.

Insgesamt ein lohnenswerter Kriminalroman mit leicht gewöhnungsbedürftiger Erzählperspektive, der Genrefans und Fans von Horowitz ganz sicher großes Lesevergnügen bereiten wird.

Bewertung vom 09.06.2024
Frennstedt, Tina

Das letzte Bild / Cold Case Bd.4


sehr gut

Ein wendungsreicher Krimi zum Mitdenken

„Cold Case. Das letzte Bild“ ist bereits Tina Frennstedts vierter Band um die schwedische Kommissarin Tess Hjalmarsson und ihr Team, das sich gezielt mit Cold Cases, also alten und bislang ungelösten Fällen, beschäftigt. Genau wie die Vorgängerbände glänzt „Das letzte Bild“ durch einen komplexen und spannend konstruierten Fall und zahlreiche unerwartete Wendungen, wobei im Vordergrund stets die eigentliche Ermittlungsarbeit steht.

Tess hat es gerade nicht einfach: Sie ist vorübergehend vom Dienst freigestellt, und dann wird ihr auch noch wegen zu schnellen Fahrens der Führerschein entzogen. Nicht gerade die idealen Voraussetzungen für eine Ermittlung. Als jedoch in einem alten Fall, der Tess persönlich nahegeht, plötzlich neue Informationen auftauchen, ist sie wild entschlossen, der Sache endlich auf den Grund zu gehen. Bislang unbekannte Fotos des Opfers machen die Runde auf einer dubiosen Website. Da Tess die Zusammenarbeit mit ihrem eigenen Cold-Case-Team vorerst verwehrt bleibt, tut sie sich mit einem Profiler und einer Bildanalytikerin von der Kopenhagener Polizei zusammen. Neben den Schwierigkeiten der Ermittlungen bringt dies auch eine Reihe von berufspolitischen und persönlichen Hürden mit sich.

Tina Frennstedts Krimis zeichnen sich vor allem durch ihren Fokus auf der Ermittlungsarbeit selbst aus. Jede Wendung wird sorgfältig vorbereitet, jede Enthüllung befindet sich am richtigen Fleck, sodass Lesende mitdenken und miträtseln können. In „Das letzte Bild“ gelingt dies allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt – das Ende bringt dann doch noch eine nicht vorhersehbare Überraschung mit sich. Im Großen und Ganzen ist die „Cold-Case“-Reihe nicht effekthascherisch, in „Das letzte Bild“ lehnt sich die Autorin mit der ein oder anderen Enthüllung zum Ablauf der Tat dann aber doch etwas weiter aus dem Fenster. Das tut dem spannenden Leseerlebnis insgesamt jedoch kaum Abbruch. Besonders gelungen sind in diesem Band die Einblicke in weniger verbreitete Ermittlungsmethoden wie die Bildanalyse, die wertvolle Hinweise zur Lösung des Falls beiträgt. Wie von der Autorin gewohnt, sind es die kleinen Details, die am Ende entscheidend sind.

„Cold Case. Das letzte Bild“ ist ein absolut empfehlenswerter Krimi für Lesende, die gerne komplexe Ermittlungen begleiten und sich dabei selbst den Kopf zerbrechen. Trotz eines nicht hundertprozentig überzeugenden Endes kann dieser Roman gut unterhalten und lädt zum Mitfiebern ein.

Bewertung vom 01.05.2024
Raabe, Marc

Die Dämmerung / Art Mayer-Serie Bd.2


sehr gut

Überzeugender Thriller

Mit „Die Dämmerung“ schickt Autor Marc Raabe sein Ermittlerduo Art Mayer und Nele Tschaikowski in ihren zweiten Fall. Das Buch ist jedoch auch ohne Kenntnis des ersten Bandes bestens les­‑ und genießbar.

Als die in der Öffentlichkeit wohlbekannte (und wohlbetuchte) Charity-Dame Charlotte Tempel auf grausame Weise ermordet aufgefunden wird, gerät zunächst ihre 21-jährige Tochter Leo mit ihrer radikalen Umweltbewegung ins Visier der Ermittlungen. Den Lebensstil und Reichtum ihrer Familie lehnt sie von Grund auf ab. Dennoch können weder Art noch Nele so recht an die Schuld dieser jungen Frau glauben. Während sie Charlotte Tempels Umfeld auf weitere Verdächtige abklopfen, kommt jedoch einiges über Leos Familiengeschichte ans Licht, das ihr durchaus ein Motiv geben würde.

„Die Dämmerung“ arbeitet geschickt mit den Eigenschaften und Bedürfnissen seiner Figuren, kehrt ihre Schwächen und Unsicherheiten an die Oberfläche und schafft dadurch eine Handlung mit Tiefgang und glaubwürdigen Motiven. Durch den geschickten Kniff eines jahrzehntealten wiedergefunden Tonbands fördert der Roman nach und nach eine tragische Vergangenheit ans Licht, die Auswirkungen auf die Gegenwart hat. Schade ist dabei nur, dass in der Auflösung letztlich nicht alle Fäden zusammenfinden, sondern auch ein gewisses Überraschungselement eine Rolle spielt. So stößt man als Leser*in, der*die gern „mitermittelt“, irgendwann an die eigenen Grenzen und muss sich auf den Weg einlassen, den das Buch zuletzt einschlägt. Dazu gehören auch einige falsche Fährten, die schlussendlich ein wenig zu konstruiert wirken. Trotz dieser leichten Schwächen im letzten Drittel des Buchs lohnt sich die Lektüre von „Die Dämmerung“ aber gerade wegen der Komplexität des Falls und der starken psychologischen bzw. charakterlichen Komponente. Selten kommen in Thrillern die individuellen Eigenschaften von Figuren so stark und wirkungsvoll zum Tragen wie in diesem Roman.

Insgesamt ein absolut lohnenswertes Buch für Thriller-Fans, das vor allem durch seine durchdachten Figuren mit ihren individuellen Biografien glänzt.