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jewi
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Forchheim

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Insgesamt 29 Bewertungen
Bewertung vom 29.12.2017
Lied der Weite
Haruf, Kent

Lied der Weite


gut

Als die 17-jährige Victoria merkt, dass sie schwanger ist, wird sie von ihrer Mutter verstoßen. Dank einer ungewöhnlichen Idee ihrer Lehrerin Maggie Jones kommt Victoria bei den beiden Brüdern Harold und Raymond McPheron unter, zwei gealterten Junggesellen, die seit Jahren ihren Bauernhof alleine bewirtschaften. Parallel lernt man Tom Guthrie und seine Söhne Ike und Bobby kennen, die damit zu kämpfen haben, dass ihre Mutter sie verlassen hat.

Nachdem ich Anfang des Jahres ganz eingenommen von "Unsere Seelen bei Nacht" war, habe ich mich sehr auf das neue Buch von Kent Haruf gefreut. Wobei "neu" etwas irreführend ist, da es bereits 2001 unter dem Titel "Flüchtiges Glück" ins Deutsche übersetzt wurde und im Original bereits 1999 erschienen ist.

Ähnlich wie bei "Unsere Seelen bei Nacht" ist das zentrale Thema des Buches, nicht alleine zu sein und in ungewöhnlichen Konstellationen zusammenfinden. Es ist sehr herzerweichend mitzuverfolgen, wenn die beiden alten Brüder - und lebenslange Junggesellen - sich unbeholfen um Victoria bemühen und für sie sorgen. Vergleiche zwischen dem Bekannten (Aufzucht von Kühen und Kälbern) und Unbekannten (Schwangere Jugendliche) sind teilweise sehr amüsant.

"Ich weiß schon, es klingt verrückt, sagte Maggie. Wahrscheinlich ist es das auch. Keine Ahnung. Ist mir auch egal. Aber das junge Mädchen braucht jemanden, und ich bin zu jeder Verzweiflungstat bereit. Sie braucht ein Zuhause für die vor ihr liegenden Monate. Und sie - sie lächelte die beiden an - , zwei so einsame alte Kerle wie Sie brauchen auch jemanden. Jemanden, für den Sie sorgen, etwas, worüber Sie sich Gedanken machen können, nicht nur immer ihre alten roten Kühe." (S. 140)

Des Weiteren lernt man die beiden Kinder Ike und Bobby kennen, die seitdem ihre Mutter die Familie verlassen hat, mit ihrem Vater alleine leben. Zu Beginn ist die Mutter in einem depressiven Zustand, wobei man nicht erfährt, wie es dazu kam. Man begleitet die Jungen in ihrem Alltag, ihrem Nebenjob und wird auch Beobachter einer ziemlich ekligen Obduktion eines Pferdes.

Insgesamt wirkt das Buch wie ein Robert Redford Film, der in ruhigem Erzählton diese kleine Geschichte erzählt und insgesamt viel von der ländlichen Stimmung einfängt. Mir war dies allerdings etwas zu wenig, da sich die Handlung durch die ruhige Erzählart sehr zieht. Die zentrale Handlung – Victoria findet bei den Brüdern McPheron ein neues Zuhause – beginnt beispielsweise erst nach 140 Seiten.

Ich denke aber, dass man mit diesem Buch einen guten Eindruck vom Leben der Menschen in ländlichen Gegenden von Colorado Ende der 1990 Jahre bekommt. Wer ein ruhiges Buch mit einer herzerwärmenden Konstellation sucht, macht mit „Lied der Weite“ nichts falsch. Wer allein wegen „Unsere Seelen bei Nacht“ zu dem Buch greifen möchte, sollte nicht enttäuscht sein, wenn die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden.

Bewertung vom 12.11.2017
Blutroter Sonntag / Frieda Klein Bd.7
French, Nicci

Blutroter Sonntag / Frieda Klein Bd.7


sehr gut

„Blutroter Sonntag“ von Nicci French ist bereits der siebte Band um die Londoner Psychotherapeutin Frieda Klein. Das Buch schließt nahtlos an Band 6: „Böser Samstag“ an. Auch in diesem Roman geht es um Dean Reeve, der Frieda schlaflose Nächte bereitet. Aber nicht nur Frieda ist dieses Mal direkt bedroht, auch ihre Freunde sind dieses Mal großen Gefahren ausgesetzt.

Ich mag die Personen in den Frieda-Klein-Romanen. Ich vermeide hier absichtlich das Wort Thriller, obwohl dies auf dem Cover steht. Mit einem klassischen Thriller haben die Bücher meiner Meinung nach nichts zutun, ich hätte diese eher als unkonventionelle Krimis bezeichnet, da es in jedem Band um einen Kriminalfall geht. Außerdem macht die Atmosphäre der Bücher aus, dass Frieda durch London spaziert und sich mit unterirdischen Bächen & Flüssen beschäftigt.

Ich hab mich von dem Buch gut unterhalten gefühlt Es ist beim lesen ein bißchen wie nach Hause kommen, weil man die Macken und Eigenarten der Protagonisten bereits kennt. Nichtsdestotrotz bin ich auch froh, dass die Reihe mit dem nächsten Buch endet. Ich bin der Meinung die Geschichte ist langsam aus erzählt, zudem frage ich mich, wer auf die Idee gekommen ist, die Bücher nach Wochentagen zu benennen und dann statt sieben acht Bücher herauszubringen. Wird Band 8 dann wieder Montag im Titel tragen? Außerdem zieht sich das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Frieda und Dean nun schon recht lange hin und ich hoffe, dass auch dies langsam aufgelöst wird.

Fazit

Solide Geschichte, die wieder mit einem Cliffhanger endet. Ich hoffe, dass Frieda und ihr Umfeld noch einen würdigen Abschluss bekommen.

Bewertung vom 21.09.2017
Palast der Finsternis
Bachmann, Stefan

Palast der Finsternis


gut

Gegenwart: Die 17-jährige Anouk und vier weitere Teenager werden eingeladen, einen bisher versiegelten, unterirdischen französischen Palast zu erkunden. Parallel lernt man in einem zweiten Handlungsstrang, der 1789 spielt, die Adlige Aurélie du Bessancourt kennen, deren Vater den unterirdischen Schmetterlingspalast gebaut hat, um die französischen Revolution wie in einem komfortablen standesgemäßen „Bunker“ überstehen zu können.

Auf das Buch war ich vorab sehr gespannt und auch die vielen positiven Besprechungen haben zu meinen hohen Erwartungen beigetragen. Die Mischung der Handlungen zwischen Gegenwart und 18. Jahrhundert ist erstmal ungewöhnlich und in einem wiederentdeckten Palast kann man sicherlich einiges entdecken.

Leider bin ich mit dem Buch nicht ganz warm geworden. Es dauerte ca. 90 Seiten, bis das erste mal Spannung aufkam. Protagonistin Anouk trug durch ihre flapsige Art auch nicht gerade dazu bei, mich für das Buch zu begeistern. Nach einer Weile wird nachvollziehbar erklärt, warum Sie so handelt. Trotzdem wird man als Leser erstmal lange im Dunkeln gelassen, bis etwa zur Mitte etwas mehr zu ihrer Geschichte erzählt wird.

Innerhalb des Buches wechselte das Spannungsniveau immer wieder. Ich habe aus zeitlichen Gründen immer mal wieder einige Tage pausieren müssen und hatte keinen extremen Drang unbedingt weiterlesen zu müssen, da es nicht durchgängig spannend war. Das Buch hatte für mich außerdem einige Widersprüche: Zum einen wusste man nicht, in welche Richtung die Geschichte gehen sollte. Zum anderen waren einige Elemente vorhersehbar (bsp. wer Perdu ist). Die Auflösung bzw. das Ende hatte einige Logikfehler, was die Lektüre dann leider nicht ganz rund gemacht hat.

***Fazit***

Am Ende blieb ein Buch mit einer eigentlich ganz netten Schlussmessage Anouk betreffend. Leider ist aber sonst von dem Buch nicht viel haften geblieben. Wer es lesen möchte: Nur zu. Man verpasst aber nichts.

Bewertung vom 13.09.2017
Der Hirte / Fredrik Beier Bd.1 (2 MP3-CDs)
Johnsrud, Ingar

Der Hirte / Fredrik Beier Bd.1 (2 MP3-CDs)


weniger gut

Der durch einen Schicksalsschlag humpelnde Hauptkommissar Fredrik Beier wird mit dem Fall der vermissten Tochter von Politikerin Kari Lise Wetre betraut. Während seiner Ermittlungen erfährt Beier, dass Annette Wetre sich mit ihrem Sohn der Sekte „Gottes Licht“ angeschlossen haben soll. Als in Solro – dem Hauptquartier der Sekte – Mitglieder dieser ermordet aufgefunden werden, fehlt von den anderen Mitgliedern inkl. Annette jede Spur. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn die anderen Sektenmitglieder schweben weiterhin in Lebensgefahr.

Ich habe mich mit dem Hörbuch etwas schwergetan. Zum einen hat mir Dietmar Wunder als Sprecher sehr gut gefallen, da er sehr lebendig und eindringlich spricht. Man konnte die sprechenden Personen anhand seiner Stimmlage unterscheiden und es ist packend ihm zuzuhören.

Teilweise konnte ich aber dem Hörbuch schlecht folgen. Dies lag zum einen an den unzähligen norwegischen Namen bei denen es mir schwer fiel, diese während des Hörens immer richtig zuzuordnen. Des Weiteren gab es mehrere Handlungsstränge die sich mir nicht als Ganzes erschlossen haben, es waren einfach zu viele Themen für ein Buch (Der Fall an sich, Nationalsozialismus, Islamismus). Ich weiß nicht ob dies an der gekürzten Lesung gelegen hat oder – wie ich erst nachträglich gelesen habe – dass sich um eine Reihe handelt, was vermuten lässt, dass einige Fragezeichen erst in den Folgebänden aufgelöst werden. Was mich auch gestört hat war die teilweise sehr vulgäre Sprache und die beschriebene Brutalität der Folterszenen. Ich kenne einige Thriller und halte auch ein bisschen was aus, aber der Autor hat hier nochmal eine Schippe draufpacken müssen.

***Aufbau***

2 mp3-CDs
Dauer: 11 Std. 55 Min

***Fazit***

Der Auftakt dieser neuen Thriller-Reihe konnte mich nicht überzeugen: Zu verwirrend und vollgestopft war die Handlung, zu brutal die Darstellung. Schade!

Bewertung vom 06.09.2017
Drei Tage und ein Leben
Lemaître, Pierre

Drei Tage und ein Leben


sehr gut

Der 12-jährige Antoine erschlägt im Affekt den 6-jährigen Nachbarsjungen Rémi. Voller Panik entdeckt zu werden, vertuscht er die Tat und fürchtet fortan als Mörder entlarvt zu werden. Ein Jahrhundertsturm verwischt die Spuren, Antoines Schuld und Angst hingegen begleiten ihn weiterhin.

Sprachlich gelingt es Pierre Lemaitre mit seinem leichten französischen Erzählton den Leser bereits auf den ersten Seiten für sich zu gewinnen. Die Angst Antoines entdeckt zu werden ist über das gesamte Buch hinweg spürbar. Die Ungewissheit in den Tagen nach dem Mord kam mir jedoch stellenweise etwas zu lang vor, wobei ich diese trotzdem als nötig empfunden habe, um Antoines Gefühlswelt besser nachvollziehen zu können. Nach einem Zeitsprung löst sich dieses Gefühl aber komplett auf, da man erfährt, wie es Antoine Jahre nach der Tat ergangen ist und welche Auswirkungen die Angst auf sein Leben hat.

Tatsächlich ließ ihn die Angst nie los. Sie döste, schlief ein und kam wieder. Antoine lebte in der Überzeugung, dass der Mord ihn früher oder später einholen und sein Leben ruinieren würde. (S. 179)

Antoine hat über das gesamte Buch hinweg die Sympathie des Lesers. Seine Handlungen sind hierbei im Großen und Ganzen nachvollziehbar. Trotzdem hinterlassen seine Entscheidungen den Eindruck, dass an dem Tag von Rémis Tod auch Antoines Leben geendet hat.

Ein gutes Buch über eine lebenslange Schuld, dessen gesamte Tragik erst am Ende deutlich wird.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.08.2017
Töte mich
Nothomb, Amélie

Töte mich


ausgezeichnet

Belgien, 2014. Der Grafenfamilie Neville ist das Geld ausgegangen, eine Gartenparty soll die letzte ihrer Art sein, bevor das Schloss in dem die Familie lebt verkauft wird. Graf Henri Neville holt einige Abende vor diesem Ereignis seine 17-jährige Tochter Sérieuse (was für ein Name!) von einer Wahrsagerin ab, da diese seine Tochter vor dem Erfrieren gerettet hat. Die Wahrsagerin weissagt dem Grafen, dass er auf seiner Gartenparty einen Gast ermorden wird. Für dieses „Problem“ stellt sich seine melancholische Tochter zur Verfügung und versucht im Laufe des Buches, ihren Vater für ihren Plan zu gewinnen.

Der Titel „Töte mich“ lässt auf ein Drama oder Thriller schließen, der Roman entpuppt sich jedoch als sehr launiges, witziges opereskes Märchen.

Amélie Nothomb verwebt viele Verweise auf klassische Literatur und die Erzählungen aus der Antike in ihrem 112-seitigen Buch. Beispielsweise heißen Sérieuse Geschwister Oreste und Électre (Elektra und Oreste töteten in der griechischen Mythologie ihre Mutter und sind die Geschwister von Iphigenie). Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass Sérieuse eigentlich Iphgenie hätte heißen müssen, um das Geschwistergespann aus der Sage zu ergänzen.

Oreste und Électre sind im Gegensatz zu Serieuse schön, charismatisch und fröhlich. Trotzdem haben sie Schwierigkeiten bei der Partnerwahl, dessen Grund eins meiner Liebsten Zitate aus dem Buch darstellt:

Wenn er eine junge Frau ansprach, wurde sie auf der Stelle blöde, entweder weil sie nie anders gewesen war oder weil sein Ruhm sie einschüchterte. (S. 52)

Die Wortgefechte zwischen Vater und Tochter machen Spaß und haben auch beim Rezitieren in meinem Umfeld für einige Lacher gesorgt. Der Graf versucht alles, um seinem durch die Wahrsagerin prophezeiten Schicksal zu entfliehen und zögert auch nicht, nach einem Präzedenzfall in der Geschichte der Adelsfamilien zu suchen.

„Du bist wirklich lustig, Papa. Genauso wie dein Bedürfnis nach einem Präzedenzfall. Warum muss es denn unbedingt einen geben?“ -
„Weil das eins der Prinzipien aristokratischen Handelns ist: Man lässt sich von den Taten seines Ahnen inspirieren.“ (S. 94)

Das Buch erinnert sehr an die Handlung von komischen Opern und ist für alle Liebhaber dieser Gattung eine klare Empfehlung!

Bewertung vom 17.08.2017
Underground Railroad
Whitehead, Colson

Underground Railroad


sehr gut

Cora wurde als Sklavin auf der Randall-Plantage geboren und ist zu Beginn des Buches etwa 16/17 Jahre alt. Ihre Großmutter stammte aus Benin /Westafrika und wurde häufig verkauft, bis sie auf der Randall-Plantage ihre letzte Station fand. Coras Mutter Mabel war die einzige Sklavin der Randall-Plantage, der die Flucht gelang. Dies geschah fünf Jahre vor Beginn des Buches und Cora lebt seitdem – selbst zwischen ihren Leidensgenossen – ein sehr einsames und isoliertes Leben.

Nach einer Gruppenvergewaltigung durch andere Sklaven ist sie traumatisiert und kann nur schwer Nähe zulassen. Als sie eines Abends von Ceasar - einem anderen Sklaven - gefragt wird, ob sie ihn bei seiner Flucht begleitet (durch die gelungene Flucht ihrer Mutter stellt sie für ihn eine Art „Glücksbringer“ dar), verneint Sie. Durch einige brutale und sadistische Vorfälle auf der Plantage ändert sie ihre Meinung. Die Flucht über die geheime Underground Railroad bringt Cora in mehrere Staaten, in denen sehr unterschiedlich mit ehemaligen Sklaven umgegangen wird.

Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut und erhofft, mehr von den geschichtlichen Hintergründen der „Underground Railroad“ zu erfahren, weshalb ich etwas enttäuscht war, dass der Autor diese etwas abgewandelt hat. Diese Info konnte ich dem Leseexemplar entnehmen. In der eigentlichen Veröffentlichung wird es kein geschichtliches Vorwort geben.
Zur Zeit der Sklaverei wurden Codes in Form von Bahnbegriffe wie Passagiere (Geflüchtete) und Stationsvorsteher (Fluchthelfer) verwendet, um im geheimen kommunizieren zu können. Diese Codierung hat Whitehead wörtlich genommen, weshalb die Unterground Railroad im Buch Bahngleise und Züge darstellen. In der Realität erfolgte die Flucht über Pferdewägen, Schiffe und ähnliches.

Die Kapitel wechseln zwischen langen und kurzen Kapiteln, wobei die langen Kapitel Coras Blickwinkel, ihre Geschichte und ihren Fluchtweg beschreiben. Die kurzen Kapitel geben Einblick in andere Charaktere, mit denen Cora zu tun hatte. Diese anderen Blickwinkel waren zum Teil hilfreich und erhellend um ein globaleres Bild von den Gegebenheiten zu bekommen.

Das Buch hallt nach. Nicht nur in Bezug auf Sklaverei, sondern auch den für mich neuen Aspekt der medizinischen Experimente an der schwarzen Bevölkerung. Auch Zwangssterilisationen sind ein Buch ein Thema, welches als Instrument der „Geburtenkontrolle“ angewendet werden sollte. Perfide ist dabei auch die genau umgedrehte Seite auf den Plantagen, auf denen Kinder als Sklavennachkommen und weitere Arbeitskräfte durchaus gewünscht waren.

Wem es nichts ausmacht, dass Colson Whitehead die Geschichte nicht einwandfrei historisch aufgebaut hat, bekommt ein fesselndes Buch, über welches man nach Beendigung sprechen möchte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.08.2017
Heimkehren
Gyasi, Yaa

Heimkehren


ausgezeichnet

"Heimkehren" ist ein Debütroman der aus Ghana stammenden Amerikanerin Yaa Gyasi. In dem 400 Seiten starken Buch wird die Familiengeschichte der Halbschwestern Effia und Esi über mehrere Generationen hinweg abwechselnd erzählt. Die Lebensgeschichte der beiden Schwestern und ihrer Nachfahren verläuft sehr unterschiedlich, u.a. auch, weil sich beide nie kennen lernen.

Effia wird mit einem britischen Kolonialisten zwangsverheiratet und lebt ein mehr oder weniger gutes Leben bei ihrem Mann auf der Festung Cape Coast in Ghana.
Esi hingegen wird durch die Briten als Sklavin nach Amerika verkauft, um dort als Besitz eines Sklavenhalters – täglichen Misshandlungen und Vergewaltigungen ausgesetzt - dessen Plantagen bewirtschaften zu müssen.

Das ganze Buch lebt davon, dass jedes Kapitel einem anderen Protagonisten gewidmet ist, denn abwechselnd kommen Effia und ihre Nachkommen (ungerade Kapitel) sowie Esi und ihre Nachkommen (gerade Kapitel) zu Wort. Man ist teilweise etwas wehmütig, wenn man eine Protagonistin / einen Protagonisten über ein Kapitel begleitet hat und dies endet, da man die Charaktere innerhalb der relativ kurzen Kapitel (max. 35 Seiten) sehr lieb gewinnt. Durch die Nachkommen, erhält man glücklicherweise einen Einblick, wie es der vorherigen Generation weiterhin ergangen ist. Andererseits ist der Charakteren- und Zeitenwechsel die Stärke dieses Buches, da man über Generationen hinweg die Familie begleitet und viel von der geschichtlichen Entwicklung mitbekommt.

Alle Charaktere sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben und durch politische und soziale Gegebenheiten entwurzelt. Hierzu trägt nicht nur die durch Amerikaner und Briten praktizierte Sklaverei bei, sondern auch die Stammeskriege sowie Sklaverei innerhalb der afrikanischen Völker (im Buch werden die Erzählungen aus Sicht der Völker ‚Asante’ und ‚Fante’ erzählt).

Das Buch macht einen sehr gut recherchierten Eindruck ohne als Geschichtsbuch daherzukommen. Man bekommt jedoch einen Überblick über das Leben der schwarzen Bevölkerung vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Spannend war hierbei der Einblick in die afrikanischen Kulturen, bedrückend die Sklaverei und Rassentrennung sowie Unterdrückung, die auch heute noch spürbar ist.

Ein starkes Buch, was ich allen ans Herz legen möchte, die sich für Generationsromane und vor allem afroamerikanische Geschichte interessieren.

Bewertung vom 29.07.2017
Geborene Freaks
Kaufman, Andrew

Geborene Freaks


ausgezeichnet

Die fünf Freak-Geschwister haben durch ihre Großmutter – liebevoll „der Hai“ genannt - zu ihrer Geburt spezielle Fähigkeiten bekommen, den die Freaks „Flegen“ (Zusammensetzung aus Fluch und Segen) nennen:
Angie kann immer vergeben, Lucy verirrt sich nicht, Richard meidet Gefahr, Abba verliert nicht die Hoffnung und Kent ist der Kämpfer.

8 Jahre haben sich die Geschwister Freak nach der Familientragödie, in der ihr Vater mit dem Auto verunglückt & ihre Mutter verrückt geworden ist nicht mehr gesehen.

Als Großmutter Freak im Sterben liegt, beauftragt sie die schwangere Angie, sich auf die Suche nach ihren Geschwistern zu machen und diese bis zu ihrem Geburtstag (und gleichzeitigen Todestag) zusammenzubringen, damit sie den Fluch aufheben kann.

***Buchkritik***

„Zu ihrem Namen kamen die Freaks durch eine Kette von Ereignissen, die manche Leute Zufall, andere hingegen Schicksal nennen würden. Der junge Engländer Sterling D. Frenk überquerten Bord des isländischen Fischkutters Örlög den Atlantik, um nach Kanada auszuwandern. [...] Nach seiner Ankunft in Halifax betrat Sterling die frisch zusammengezimmerten Planken des Pier 21 und zeigte seine Papiere einem Einwanderungsbeamten vor, der just an diesem Morgen seine Zukünftige Frau kennengelernt hatte. In kreativer Hochstimmung (oder einfach aus Zerstreutheit) änderte der Beamte das n in Sterlings Nachnamen in ein a um.“ (Buchbeginn, S. 7)

In diesen heiteren Worten beginnt die Geschichte, die vor lauter skurriler Ereignisse, Wortwitz und Überraschungen strotzt.

Über das gesamte Buch lernt man die Geschwister Freak nach und nach kennen und schließt sie im Laufe des Buches ins Herz. Kleine Szenen und Situationen werden als Running Gag verwendet, beispielsweise erzählt Angie bei jeder neuen Begegnung mit einem ihrer Geschwister, dass sie ihre Großmutter im Krankenhaus besucht hat. Die Antwort ist immer die gleiche „Großer Gott! Warum?“ (der „Hai“ hat scheinbar in der Vergangenheit ordentlich Eindruck hinterlassen!)

Außerdem ignorieren oder vergessen ihre Geschwister regelmäßig Angies Schwangerschaft. Immer wieder muss sie ihre Geschwister daran erinnern und in einigen Situationen um Hilfe bitten. Mal wird ihr Mal mehr, mal wird ihr mal weniger geholfen.

Zentraler Kern sind Ereignisse aus der Kindheit die in Rückblenden erzählt werden. Immer wieder spielt „Rainytown“ eine Rolle, die Ferienbeschäftigung aus Kindertagen. Die Namen für die Gebäude, die die Geschwister gemeinsam bauen sind witzig gewählt (Dr. H.K. Fresse für eine Schönheitsklinik ist nur eins von unzähligen Beispielen).
Einige Umstände werden nicht erklärt, beispielsweise, mit welchen Kräften die Großmutter diese Fähigkeiten vergeben konnte oder warum die Mutter nach den Ereignissen so neben sich steht und sich nie erholt hat. Mich hat dies aber im Fluss der Geschichte nicht gestört.
Das Cover mit dem Elefantenhintern ist definitiv ein skurriler Hingucker, hat aber inhaltlich nichts mit dem Buch zu tun. Gefallen haben mir die kleinen Grafiken jeweils zu Beginn eines Kapitels, welche sich direkt auf den nachfolgenden Inhalt beziehen.
Letztendlich ist „Geborene Freaks“ ein gelungenes Buch über den Wert von Familie und das Zusammenhalten untereinander.

***Fazit***

Skurril und witzige Odyssee von fünf "verfluchten" Geschwistern die ihre Familiengeschichte aufarbeiten und zurück zu ihren Wurzeln finden.

Bewertung vom 07.06.2017
Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge, 8 Audio-CDs
Hogan, Ruth

Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge, 8 Audio-CDs


ausgezeichnet

„Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge“ ist das Debüt der britischen Schriftstellerin Ruth Hogan.

***Inhalt***

Anthony Peardew ist gealterter Schriftsteller und leidenschaftlicher Sammler von Gegenständen, die er auf der Straße findet und katalogisiert. In seinen Kurzgeschichten denkt er sich kleine Geschichten um diese Gegenstände herum aus. Beispielsweise, wie ein Regenschirm – den er gefunden hat – verloren ging und wem dieser gehörte.

Laura, die Peardew als Assistentin eingestellt hat – soll sich nach seinem Tod um sein Haus – genannt Padua – und die verlorenen Gegenstände kümmern. Unterstützung erhält sie vom Gärtner Freddy und der Nachbarstochter Sunshine.

In einem zweiten Handlungsstrang 40 Jahre früher – 1974 – beginnt die Geschichte von Eunice, die vom Verleger Bomber als Assistentin eingestellt wird. Aus dem Arbeitsverhältnis entsteht eine tiefe Freundschaft, die auf die Liebe zu Hunden, Ausflügen und Filmabenden beruht. Bombers schreckliche Schwester Portia spielt hier ebenso eine Rolle, da sie als angehende Schriftstellerin mit abgekupferten Geschichten für Erheiterung bei den beiden Freunden sorgt.

***Buchkritik***

Die Stärke dieses Buches ist die warmherzige Schreibweise, Unaufgeregtheit und Ruhe in der es erzählt wird, sowie die gut beschriebenen, sehr sympathischen Charaktere. Es ist nicht alles „Friede-Freude-Eierkuchen“, die Themen Alzheimer und Tod werden von der Autorin angesprochen.

Außerdem kann ich mich nicht erinnern, jemals ein Buch gelesen zu haben, in dem ein Charakter – wie hier Sunshine – das Down-Syndrom hat. Sunshine – eine junge Frau im Alter von 19 Jahren wird in allen Facetten beschrieben: freundlich, ehrlich, wissend, witzig, eifrig („Es wird Zeit für die leckere Tasse Tee“) aber auch fordernd und mit der Tür ins Haus fallend. Dies macht sie somit für den Hörer / Leser zu einer dreidimensionalen Figur, die einem ans Herz wächst.

Diese Charakterausarbeitung ist bei allen Charakteren zu finden und bringt diese dem Leser / Hörer näher: Laura, deren Ehe unschön endete, die ihre Träume aufgegeben hatte und in Padua ein neues Zuhause findet, sich jedoch ihr neues Glück selbst nicht richtig gönnt. Freddy, der ruhige und freundliche Gärtner, der mit seiner schrecklichen Freundin („Freddo!“) nicht Schluss machen kann und sich lieber vor ihr versteckt. Alle haben sie ihre Stärken und Schwächen.

Eunice und Bomber (die von Rufus Beck „Junice“ & „Bommer“ ausgesprochen werden) pflegen eine sehr vertraute Freundschaft, ohne das dies jemals in eine Beziehung übergeht. Eunice, die in Bomber heimlich verliebt ist, spricht diesen Umstand nicht an, um die Freundschaft nicht zu gefährden. Vielleicht ahnt sie auch, dass Bomber schwul ist, er diese Identität jedoch unterdrückt und nicht ausleben kann. Deutlich wird dies nie ausgesprochen, auch nicht, als Bomber von seiner Mutter direkt mit dieser Frage konfrontiert wird. Im Nachhinein denke ich, dass dies jedoch „zwischen den Zeilen“ sehr deutlich wurde.

Letztlich kann man in diesem Buch das Verlieren und Finden nicht nur auf Dinge, sondern auch auf Freundschaft, Liebe, Glück, das Gedächtnis und das Leben an sich übertragen. Dies macht das Buch zu einer runden, sehr lesenswerten Geschichte, die ich irgendwann nochmal hören oder lesen möchte.

Rufus Beck spricht diese Geschichte sanft, mit leisen Tönen, was dieser Geschichte ganz und gar gerecht wird. Ich könnte mir für dieses Hörbuch keinen besseren Sprecher vorstellen.

***Fazit***

Wer Spaß an britischen Romanen voller skurriler, witziger, schöner Situationen und tollen Charakteren hat, sollte unbedingt zu diesem Hörbuch greifen. Rufus Beck ist der perfekte Sprecher für diese Geschichte und macht sie zu einem witzigen, emotionalen und hörenswerten Ereignis.