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Adelebooks
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Bremen

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Insgesamt 141 Bewertungen
Bewertung vom 03.05.2025
Valla, Kristin

Ein Raum zum Schreiben


ausgezeichnet

Drei Reisen

Dieses Buch ist eine wunderschöne Reise und das auf so viele Arten! Eine Reise nach Frankreich, die die Autorin unternommen hat, um dort ein Haus, einen Ort für ihr Schreiben zu finden. Eine Reise in die Vergangenheit und Gegenwart weiblicher Autorinnen, die alle, ähnlich wie die Autorin, einen Ort nur für sich erworben, geschaffen und eingenommen haben, um ihrer Kreativität nachzugehen und diesen Teil ihres Seins komplett entfalten zu können. Und - Ein Raum zum Schreiben- ist auch eine Reise der Autorin zu sich selbst, der Schriftstellerin Kristin Valla.

Mit Anfang 40 muss Kristin Valla mit Überraschung und einer gewissen Bitterkeit feststellen, dass sie zwar zwei erfolgreiche Romane vor über 10 Jahren veröffentlicht hat, seitdem jedoch von Ehe, Kindern und der Erwerbsarbeit als Journalistin so eingenommen war, und das durchaus nicht unglücklich, dass ihr dieser Teil von sich, die Schriftstellerin, auf seltsame Weise abhanden gekommen zu sein scheint. Diese Erkenntnis löst einen vollkommen unerwarteten Prozess aus, in dem die Autorin schließlich einen Kredit aufnimmt und sich auf die Suche nach einem Ort zum Schreiben, einem Ort nur für sich macht.

Die Reflexionen Vallas und Beschreibung der Reise, der Hausbesichtigungen und schließlich ihrer Einnahme des neuen Ortes, wechseln sich immer wieder ab mit Gedanken und Szenen zu anderen Schriftstellerinnen aus Vergangenheit und Gegenwart, die vor ähnlichen Herausforderungen wie sie selbst standen. In den Überlegungen der Autorin wird deutlich, wie sehr selbst aufgeklärte Frauen noch immer von gesellschaftlichen Strukturen geprägt sind, die sie in ihrer eigenen freien Entwicklung bremsen. Die Reise(n) an der uns Valla teilhaben lässt, ist nicht weniger als eine Dekonstruktion dieser Strukturen, Schicht für Schicht legt die Autorin ihre wahren Bedürfnisse und Wünsche frei, und dies in erster Linie für sich selbst! Dass sie damit nicht allein ist, zeigen die Verweise auf andere Schriftstellerinnen und ihre Herausforderungen als (schreibende) Frauen. Die Hürden bei der Suche und dem Einrichten, Renovieren und Einnehmen des Hauses, spiegeln dabei oft auch die gesellschaftlichen Hürden, denen sich Valla und viele Schriftstellerinnen vor ihr gegenüber sahen.

Ein Raum zum Schreiben ist ein ebenso persönliches, wie kluges Buch!

Bewertung vom 28.04.2025
Caldwell, Chloé

Women


gut

EIN ENTDECKUNGSROMAN, DER LEIDER IN EINE DYSFUNKTIONALE BEZIEHUNG UND STEREOTYPE ABDRIFTET

Women wird als Klassiker der queeren Literatur gefeiert und so ging ich gespannt und mit einigen Vorschusslorbeeren für das Buch an die Lektüre. Darin erzählt die namenlose Ich-Erzählerin, eine junge Schriftstellerin, wie sie sich zum ersten Mal, und zu ihrer eigenen Überraschung, in eine Frau verliebt. Finn, ist wesentlich älter, lebt in einer langjährigen lesbischen Beziehung und ist von der Ich-Erzählerin als Schriftstellerin eingenommen. Diese Aufmerksamkeit schmeichelt der Ich-Erzählerin und damit beginnt ein Kennenlernen in dem beide schnell Gemeinsamkeiten entdecken und eine echte Faszination füreinander entwickeln. Die Beziehung, die die beiden eingehen ist von Beginn an impulsiv und intensiv, und leider ab einem bestimmten Punkt alles andere als das, was man gemeinhin als gesund beschreiben würde.

Gelungen beschrieben ist für mich das Entdecken der sexuellen Orientierung und die Liebe zu einem Menschen jenseits des Geschlechts und internalisierten, heteronormativen Erwartungen der eigenen Sozialisation. Die Ich-Erzählerin reflektiert immer wieder wie wenig sie über queere Geschichte und Rechte weiß und wie wenig sie in ihrer eigenen Sozialisation damit konfrontiert wurde. Und so ist die Anziehung, die sie für Finn empfindet überraschend und überwältigend zugleich.

Als eher störend habe ich empfunden, dass die Geschichte letztlich stereotype Bilder über Weiblichkeit reproduziert. Die impulsiven, emotionalen Frauen, die sich dramatisch streiten und all das wird explizit als Norm einer lesbischen Beziehung dargestellt. An der Stelle erklärt sich für mich der Kultcharakter um den Roman nicht, denn aus dieser Perspektive zeigt und feiert er lediglich ungesunde Beziehungsmuster und reproduziert Stereotype über Weiblichkeit und lesbische Beziehungen.

Als Entdeckungsroman der sexuellen Orientierung funktioniert die Erzählung für mich hingegen sehr gut. So ergibt sich ein durchwachsenes Bild von Women für mich mit 3 Sternen.

Bewertung vom 05.04.2025
Hoven, Elisa

Dunkle Momente


ausgezeichnet

Jedes Verbrechen hat seine Geschichte - über die Hintergründe einer Tat

Eva Herbergen ist Strafverteidigerin, engagiert, fachlich versiert, glücklich verheiratet mit dem Literaturprofessor Peter. Die neun Fälle von denen in diesem Roman berichtet wird, zeigen, wie ihre Arbeit, die vermeintliche Gewissheit von Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge immer wieder auf den Prüfstand stellt, ein Drahtseilakt, der Eva rückblickend, trotz bester Intentionen nicht immer gelingen mag, ihr Verhalten darin zuweilen grenzwertig und grenzüberschreitend.

Die beleuchteten Fälle sind sehr vielfältig von Wirtschaftskriminalität über Erbmorde, Vergewaltigung, Tötungen aus Eifersucht und/oder Angst. Was sie eint ist der aufmerksame Blick in die Hintergründe der Straffälle und die Biografien der Täterinnen und Täter, zuweilen ein Verschwimmen von Täter und Opfer. Dabei blickt die Autorin nicht nur in die Tiefen der menschlichen Psyche sondern auch von gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, einfach und eindeutig, so wird nach wenigen Fällen deutlich, gibt es im wahren Leben und so auch Kriminalfällen kaum.

Der Roman ist kurzweilig und gut geschrieben. Die Fälle wirken jedoch teilweise skizzenhaft, im Fokus stets die Wendung und Überraschung. So liefert der Roman trotz überraschender Entwicklungen der Fälle oft mehr (ethische) Fragen als (juristische) Antworten. Ein gelungener juristischer Roman, der zum Nachdenken über Recht und Gerechtigkeit anregt.

Bewertung vom 05.04.2025
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


ausgezeichnet

Aufwachsen zwischen Leipziger Platte, Ukraine und Fernsehrussland

Der Autor ist Sohn russischer Eltern, geboren und aufgewachsen zunächst in Kyjiw, kam er als Kind mit seiner Familie schließlich nach Leipzig. Obwohl auch seine Mutter selbst nur wenige Momente ihres Lebens in Russland verbracht hat, trägt sie das Land in sich als russische Welt, die sie überall mit hin nimmt. Die Familie und das Umfeld in dem Kapitelmann aufwächst und lebt ist eine seltsame Camouflage postsowjetischer Prägung aus urkrainischer, moldauischer, jüdischer, russischer Kultur und dem Nachwende-Ostdeutschland.

Genau diese, zum Teil widersprüchliche, Welt zu porträtieren, macht es sich Dimitrij Kapitelman in Russische Spezialitäten zur Aufgabe. Dabei liefert er ebenso schmerzhafte, wie heitere Einsichten in ostdeutsche Nostalgie und postsowjetische Identitäten. Auch das gespaltene Verhältnis des Autors zwischen Heimat in der russischen Sprache und Europa und die Ablehnung und Distanz zum russischen Angriffskrieg werden nicht nur in Kapitelman selbst sondern auch innerhalb der Familie hart verhandelt, ganz besonders mit seiner Mutter, die mit dem Leben in ihrer eigenen Parallelwelt - dem Fernsehrussland - jegliche russische Propaganda willig inhaliert und ihren Sohn versucht damit zu indoktrinieren. Die liebende und geliebte Mutter und gleichzeitig Unterstützerin des Angriffskriegs - ein Widerspruch, den der Autor nicht zusammenbringt und ihn zu zerreißen droht.

Im zweiten Teil berichtet der Autor von seiner Reise nach Kyjiw. Was er dort erlebt, ist eine Mischung aus Bombenalarm, Zerstörung, Rekrutierung und dem Versuch in all dem eine Form von Leben und Normalität im Krieg, trotz Krieg, zu finden. So ist auch dieser Teil, wie schon der Teil zuvor, nicht ausschließlich düster, sondern im Gegenteil versucht der Autor mit seinem Sprachwitz, seiner intelligenten Beobachtungsgabe und dem Sinn für Absurditäten, jedoch nicht ohne Eindringlichkeit, die Ambivalenz des Lebens zwischen Leben und Tod, Krieg und Alltag authentisch einzufangen. Dabei wird seine Reportage von den persönlichen Beziehungen zu Freunden, die nach wie vor in der Ukraine leben und natürlich auch der ehrlichen Selbstbeobachtung und -Befragung bereichert.

Heimat, Muttersprache, Freundschaft und Familie sind zentrale Begriffe, die in der Biografie des Autors zum ersten Mal durch seine Emigration von Kyjiw nach Leipzig und ein weiteres Mal mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine herausgefordert werden. Ihn bei der Auseinandersetzung damit, in Russische Spezialitäten zu begleiten, ist in jeder Hinsicht lesenswert!

Bewertung vom 05.04.2025
Serrano, Beatriz

Geht so


ausgezeichnet

Marisa oder: eine Abrechnung mit der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft - bitterböse, witzig und traurig zugleich

Marisa ist Anfang 30 und erfolgreiche Marketingmanagerin einer Madrider Agentur. Auf den ersten Blick strahlt sie gesellschaftlichen Erfolg und Anerkennung aus. Doch was steckt hinter dieser Fassade? Genau diesen Blick wagt Beatriz Serrano und schaut dabei mit dem Fokus auf Marisas Leben und dessen Abgründe gleichzeitig in die mal amüsanten, mal bedenklichen und zuweilen zerstörerischen Tiefen der Gegenwartsgesellschaft.

Gekonnt verbindet die Autorin in der Erzählung um Marisa profunde Kapitalismuskritik mit modernen feministischen Diskursen. Die Werbebranche, Marisas Arbeitsbereich, fungiert hier als klug gewählter Schauplatz und Inbegriff der modernen kapitalistischen Logik, in der ein vermeintlicher Bedarf nach immer mehr Gütern geweckt wird, für deren Finanzierung sich die Individuen wiederum weiter ausbeuten lassen. Doch obwohl Marisa all dies sieht und verstanden hat, steckt sie in diesem System fest, betäubt sich mit Tavor und YouTube, spielt eine perfekte Rolle der Marketingmanagerin und kann sich dabei selbst kaum ertragen, noch weniger allerdings ihr (Arbeits)umfeld, das sich von Marisa dahingehend unterscheidet, dass den meisten Kolleginnen Marisas Ironie in der Arbeitsmoral fehlt, und diese willentlich und enthusiastisch in einem Bullshitjob arbeiten und unreflektiert Job und Leben gestalten.

Beatriz Serrano zeigt so auf wie die Entfremdung von der eigenen Arbeit, in einer Gesellschaft in der Arbeit und wirtschaftlicher Erfolg über gesellschaftliche Anerkennung und Sicherheit entscheiden, zu nicht weniger als der Entfremdung von sich selbst führen kann und damit jedem Sinn dafür, was ein zufriedenes Leben tatsächlich ausmacht. Ein Pflaster für diesen Gegenwartsschmerz liefert das kapitalistische System auch in Serranos Roman direkt mit: 24h Öffnungszeiten zum Shoppen und vermeintlichen Verwöhnen, YouTube, Instagram - der Balsam und die Belohnung für das affektgesteuerte, sinnentleerte Dasein und gleichzeitig Mittel zur Reproduktion der den Schmerz auslösenden, kapitalistischen Logik - willkommen im Teufelskreis von Profit und moderner Aufmerksamkeitsökonomie! Doch was können wir daraus lernen? Wie kann dieser Kreis durchbrochen werden? Wird Marisa dies gelingen?

Der Weg und die Antwort der Autorin ist hier sicher als durchaus bewusst überspitzt dargestellt zu verstehen, und verfehlt gerade deshalb seine Wirkung nicht! Geht so ist ein Roman, der mit seinem bissigen, witzigen, bitterbösen Ton nicht nur hervorragend unterhält, sondern mit seiner klugen hintergründigen Gesellschaftskritik auch zum Nachdenken und diskutieren darüber anregt, welchen Preis unser aktuelles Gesellschaftsmodell hat und in was für einer Gesellschaft wir leben möchten! Für mich in dieser Mischung ein grandioser Gegenwartsroman und ein echtes Highlight!

Bewertung vom 25.03.2025
Strubel, Antje Rávik

Der Einfluss der Fasane


sehr gut

Die Charakterstudie einer Aufsteigerin im Feuilleton

Hella Renata Karl ist Feuilletonchefin einer großen Zeitung und als solche vermeintlich - innerlich und äußerlich - fest etabliert und geachtet. Als ein bekannter Intendant überraschend und medienwirksam vor dem Hintergrund der Sidney Opera Suizid begeht, bringt dies Hellas Leben in ungeahntes Wanken.

Kai Hochwerth war ein berühmter Theatermensch, umstritten, unkonventionell und trotzdem oder gerade deshalb erfolgreich. Hella ist eine Aufsteigerin, verschlossen, ehrgeizig, sie teilt mit Blick auf ihre Herkunft wenig mit dem Milieu, in dem sie sich bewegt, und hat sich äußerlich und habituell doch scheinbar perfekt an dieses angepasst, ohne sich darin zuhause zu fühlen. Eine Eigenschaft, die sie überraschenderweise mit Hochwerth, an dem sie sonst so viel abstößt, einte. In Rückblicken wird enthüllt, wie sich in der Vergangenheit zwischen Hochwerth und Hella ein seltsames Spiel aus Ähnlichkeit, Ablehnung, Achtung und Anziehung entspinnt, das auch Hella selbst kaum formulieren und fassen kann. Was ist zwischen den beiden passiert und welche Rolle spielte dies für den Suizid Hochwerths? Spielte es eine Rolle?

Der Roman liest sich flüssig. Hellas Erleben wird eindrücklich geschildert und zieht in einen echten Bann. Die Sprache war mir persönlich stellenweise jedoch etwas zu vulgär.

Der Einfluss der Fasane ist ein kluges, pointiertes Stück über Macht und Einfluss im Medienbetrieb, mediale Kampagnen im Social Media Zeitalter und gleichzeitig eine Charakterstudie zweier Aufsteiger darin. So wird der Roman auch zu einer gelungenen Erzählung über die feinen Unterschiede in Herkunft und Habitus, und der Frage von Solidarität zweier Solitäre.

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Bewertung vom 25.03.2025
Goldfarb, Tobias

Das Abenteuer auf der Adlerinsel / Hilda Hasenherz Bd.2


ausgezeichnet

Die Heldenhäsin

Die Abenteuer- und Heldenhäsin Hilda Hasenherz ist zurück und steht vor einem neuen Abenteuer. Mara Mümmel, Prinz Lämpchens Mutter, ist lange verschwunden. Als plötzlich ein seltsamer Vogel im Hasen-Königreich auftaucht und Prinz Lämpchen einen Brief überreicht, gibt es endlich Gewissheit, Mara wurde entführt und nun in einem Turm auf der fernen Adlerinsel festgehalten. Natürlich muss sie befreit werden und wer wäre dafür besser geeignet als die offizielle Abenteuer- und Heldenhäsin des Königreichs? Natürlich geht Hilda auch diesmal nicht allein. Mit dabei ist der ängstliche Prinz Lämpchen und ihre treuen Gefährten und Freunde aus dem Fuchswald.

Frei nach Hildas Motto - Auf einer Abenteuerreise passiert immer etwas Überraschendes - stellen sich die Freunde der Herausforderung Prinz Lämpchens Mama von der Adlerinsel zu retten. Dabei ist natürlich die Reise bereits ein Abenteuer mit vielen Gefahren und Hürden. Wie werden sie zum Meer gelangen? Wie werden sie das Meer überqueren? Und wird es ihnen gelingen Mara Mümmel aus dem Turm des Königs Håson Kleeblatt zu befreien?

Die Geschichte ist nicht nur unglaublich liebevoll erzählt, sondern auch voller lehrreicher Details. Da ist natürlich Hilda, die als Heldenhäsin ein Beispiel an Mut und Tatkraft ist, da ist die Freundschaft und Solidarität zwischen den Gefährtinnen ganz unterschiedlicher Tierart, bei der jeder seine und ihre besonderen Talente und Eigenschaften in das Abenteuer einbringt und da sind zusätzlich auch immer wieder Details zur Lebenswelt und Lebensweise der verschiedenen vorgestellten Tiere. So ist Hilda Hasenherz zweites Abenteuer nicht nur eine wundervoll erzählte, spannende Geschichte sondern ganz nebenbei auch eine Erzählung über Mut, Freundschaft und das Tierreich.

Ganz besonders gelungen sind auch wiederum die wundervollen Illustrationen, die die Reise der Freunde begleiten und lose in die Geschichte und Seiten gestreut sind. Einzig die Schriftart des Kapitelverzeichnisses finde ich nicht ganz glücklich, weil nicht gut lesbar, gewählt.

Ein tolles Kinderbuch, nicht nur zur Osterzeit, zum Selbstlesen ab ca. 9 Jahren oder Vorlesen ab ca. 4 Jahren.

Bewertung vom 20.03.2025
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

Der Nobelpreisträger im Exil - Porträt aus einer Zwischenwelt

Was für eine andere Welt ist dies, in die der Autor uns in Heimweh im Paradies eintauchen lässt. Von heute aus betrachtet, jedoch auch zur damaligen Zeit im Vergleich zum europäischen Kontinent, auf dem Hitlers Expansions - und unmenschlicher Zerstörungswahn immer mehr Gestalt annimmt. Palmen, Sonne, Meer und Cocktails hier, Vernichtung, Hass und Krieg da. Und trotzdem leben die von Martin Mittelmeier porträtierten Intellektuellen im fernen Kalifornien in einer seltsamen Zwischenwelt, an die auch die Manns sich erst gewöhnen müssen.

Spiegelbildlich zur gleißenden Sonne Kaliforniens wirft Martin Mittelmeier das Licht auf eine besondere Gruppe von Menschen, die auf diesem Fleckchen Erde eine temporäre Heimat gefunden haben. Das Buch beschreibt die Jahre im Exil des 2. Weltkriegs in den USA, im Mittelpunkt Thomas Mann. Durch die eng vernetzte Exilcommunity, zeichnet Mittelmeier jedoch gleichzeitig auch ein Porträt des Milieus der deutschen Intellektuellen dieser Zeit aus Kunst, Film und Literatur in Kalifornien. Dabei wechseln sich feinsinnige Werksgenesen und Soirees immer wieder mit aktuellen politischen Nachrichten aus dem 2. Weltkrieg ab. Die Genese und der Wandel von Manns politischen Ansichten, seine Reflexionen über das Deutschsein, Zweifel an seinem Werk, das schwierige Verhältnis zu seinem Bruder und natürlich die restliche Familie mit all ihren Eigenheiten und Bedürfnissen werden von Mittelmeier gelungen nachempfunden.

Besonders nachdenklich haben mich die Passagen gemacht, in denen Mann über den Krieg, Hitler und die Möglichkeiten und Erwartungen an die USA sinniert. Hier zeigte sich eine seltsame Aktualität. Wüsste man den historischen Kontext nicht, könnten diese Gedanken ohne weiteres auch unsere Gegenwart beschreiben.

Martin Mittelmeier gelingt so mit Heimweh im Paradies ein hervorragendes Porträt der Exiljahre der Manns und der deutschen Intellektuellen in Kalifornien während des 2. Weltkriegs - ein bewegendes Porträt aus einer Zwischenwelt mit zuweilen fast unheimlichen Bezügen zur Gegenwart.

Bewertung vom 16.03.2025
Bracht, Helene

Das Lieben danach


ausgezeichnet

Ein Buch über das Unbeschreibliche - schrecklich und zart zugleich

Unglaublich eindringlich erzählt Helene Bracht in das Lieben danach von der Existenz als Frau, die schon als Kind für sie bedeutete Übergriffe zu erleben, Zeugin davon zu sein, jedoch in anderer Form auch zu begehen. Der Übergriff als Alltag inhärent in die Existenz des weiblichen Geschlechts in einer patriarchalen Gesellschaft eingeschrieben, die jederzeit die Verfügungsgewalt über den weiblichen Körper beansprucht.

Ausgehend von der eigenen Missbrauchserfahrung versucht die Autorin zu ergründen, was diese für den weiteren Lebensweg, hier speziell die Beziehungen und Sexualität, bedeutet, bedeuten kann. Welche Prägungen erfahren Menschen, speziell Frauen, dadurch und wie wirkt sich dies auf ihr Leben aus? Die Forschungsliteratur hierzu ist dünn, die essayistische Analyse der Autorin damit umso wertvoller für unser Verständnis davon. Deutlich wird, dass sich im Fall der Autorin und dies wahrscheinlich durchaus exemplarisch für andere Frauen mit ähnlichen Erfahrungen, die Missbrauchsvergangenheit und ihre Implikationen für die weitere Prägung intimer und sozialer Beziehungen unheilvoll mit patriarchalen Erwartungen an die Frau als Gebende vermischen. Dies zu lesen, zu verdauen, zu verstehen, ist bereits alles andere als leicht und gerade deshalb notwendig.

Diesem schwierigen Thema widmet sich Bracht in einer seltsam nüchternen und zugleich zarten Sprache und schafft es so die ganze Ambivalenz, die dabei in ihren Gefühlen mitschwingt nachvollziehbar einzufangen. So ist das Lieben danach auch eine ungewöhnlich offene Selbstanalyse der Missbrauchserfahrung, aber auch der Liebesbeziehungen und des Alterns und gelebten Lebens dieser außergewöhnlichen Frau.

Für mich war das Lieben danach ein Buch, das noch lange nachhallen wird und ich mit Blick auf die klugen und bedacht formulierten Gedanken darin, sicher noch öfter zur Hand nehmen werde. Es liegt trotz der schrecklichen Thematik ein seltsamer Trost in den Zeilen der Autorin, die dem Grauenvollen, die Schönheit der Sprache entgegenstellt und diesem so erfolgreich trotzt als eine Form der Aneignung der eigenen Geschichte. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 16.03.2025
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


sehr gut

Ein in den Himmel gereckter Mittelfinger…

Wanda ist eine glücklose Schauspielerin, seit 2 Jahren ohne Engagement und alleinerziehende Mutter der kleinen Karli. Zusammen mit ihrer Tochter lebt sie im 18. Stock eines Berliner Plattenbaus. Die prekären Wohnverhältnisse, mit trostloser Umgebung, versifftem Lift und schimmeliger Wohnung sind ein Spiegelbild für Wandas Leben. Sie steckt fest und hat das Gefühl die Armut, die sie bereits aus ihrer eigenen Kindheit kennt, nie hinter sich lassen zu können. Rotkäppchen und Jägermeister mit den anderen Müttern im Haus dienen als kleine Fluchten aus dem trostlosen Leben, in dem die Frauen sich gegenseitig Halt und praktische Unterstützung geben, weil es sonst niemand tut, weder die anwesenden oder abwesenden Männer in ihren Leben oder die Gesellschaft, an deren Rändern sie Leben. Und trotzdem gibt Wanda nicht auf, sie will frei sein, frei von vererbter Armut, ein Leben in Freiheit von den Zwängen des Prekariats.

So bewegt sich Wanda im Roman zwischen krankem Kind und den Herausforderungen als alleinerziehender Mutter und der Chance in der Schauspielerei endlich Fuß zu fassen und damit sich und Karli ein neues Leben zu ermöglichen.

Die Schauspielwelt ist dabei der ultimative Kontrast zu Wandas Leben, ein Universum mit anderen Koordinaten und Werten, Tesla, Rolex, teuere Hotels statt Platte. Ihr erfolgreicher Schauspielkollege Adam spiegelt die Leichtigkeit, die ein sorgloses Leben in materiellem Wohlstand, aber auch ohne den Verpflichtungen als Mutter und Alleinerziehende bedeuten könnte - die Anziehung, die Wanda zu ihm empfindet mag daher nicht nur auf Adam selbst bezogen sein, sondern auch all das, was er verkörpert. Der Kontrast könnte größer nicht sein, für Adam ist alles ein Spiel, für Wanda geht es hingegen immer um alles.

Sprachlich überzeugt der Roman mit authentischem Stil, der Wandas Welt gelungen transportiert. Achtzehnter Stock liest sich flüssig und kurzweilig.

Für mich war die Story jedoch nicht vollständig überzeugend. So gut wie der Kontrast aus glitzernder Schauspielwelt und Platte im Roman funktioniert, so wenig spiegelt er die Lebensrealität der meisten Menschen in prekären Wohn- und Lebensverhältnissen wider. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf den Alltag, sondern auch die ganz konkreten Chancen für einen Aufstieg und Weg in ein anderes Leben. Ein gesellschaftskritischer Aspekt kommt mir daher etwas zu kurz in diesem sonst durchaus gelungenen, kurzweiligen Roman, der letztlich ein bisschen den Charakter eines modernen Märchens hat.