Benutzer
Benutzername: 
Reiseweise

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2025
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


gut

White Lotus


Am Strand des tropischen Resorthotels ist ein Blauwal gestrandet und am nächsten Tag ist er verschwunden - was bleibt, ist sein unerträglicher Geruch. Im Hotel wird trotzdem versucht, alles seinen üblichen Gang gehen zu lassen, was natürlich nicht gelingt.
Die Geschichte folgt verschiedenen Protagonist:innen, aus deren Sicht die Kapitel abwechselnd erzählt werden - das Ehepaar, das sich in einer Krise befindet, ihre Tochter, ein Hotelangestellter, eine Flugbegleiterin… Die Erzählweise ist gelungen, die Charaktere sind es aber nicht immer. Einiges erinnert an die bekannte Serie „White Lotus“, in der auch die Abgründe der verwöhnten Hotelgäste, ihre Betrügereien und der schöne Schein des Luxushotels persifliert werden. Leider sind aber einige der Charaktere mit etwas zu abstrusen Eigenschaften ausgestattet, andere wiederum bleiben recht blass. Außerdem ist unklar, wie sehr die Motive als Allegorien auf Dekadenz und Verfall gelesen werden sollen (z.B. der Walgeruch) und auch das Ende ist nicht auserzählt.

Bewertung vom 08.04.2025
Green, John

Tuberkulose


ausgezeichnet

Ein Manifest

Vermutlich würde kaum jemand ein Buch über Tuberkulose lesen, wenn es nicht von John Green geschrieben worden wäre. Und alle, die dieses Buch in die Hand nehmen werden, werden froh sein, es gelesen zu haben.
Es ist ein Sachbuch und das Thema ist alles andere als ein fröhliches Thema - dennoch kann man es schwer zur Seite legen. John Green beschreibt, was Tuberkulose ist, er schreibt über die wandelnde Wahrnehmung von Tuberkulose (mal Künstlerkrankheit, mal Armenkrankheit, mal Allerweltskrankheit), er stellt die erschreckende Situation dar, in der wir uns immer noch befinden angesichts der unglaublichen Infektionszahlen dieser Krankheit, die wir im globalen Norden eher mit blassen Dichtern des vorigen Jahrhunderts in Verbindung bringen als mit der tödlichsten Krankheit der Menschheitsgeschichte.
Leitend für das Buch ist aber die Geschichte von Henry, einem Tuberkulose-Überlebenden aus Sierra Leone. Lesenswert.

Bewertung vom 07.04.2025
Haas, Wolf

Wackelkontakt


sehr gut

Puzzle, Elektriker und Mafia

In diesem Roman wimmelt es von Charakteren mit ungewöhnlichen Verhaltensweisen und Hintergrundgeschichten. Da ist zum einen Franz Escher, der (obgleich wenig einfühlsam) als Trauerredner arbeitet und obsessiv Puzzle legt. Als er auf den Elektriker wartet, liest er ein Buch über einen Mafia-Kronzeugen, der ein Buch liest über einen Mann, der auf den Elektriker wartet… Mehr über die Charaktere lässt sich nicht verraten ohne Spoiler.

Der Übergang zwischen den beiden Geschichten, die in dem Roman gelesen werden, geschieht oft ohne Einleitungen und ist gerade dadurch sehr geschickt gemacht. Die Geschichten werden immer weiter miteinander verwoben bis zu dem Punkt, wo es die Charaktere selber bemerken. Die sich so entwickelte Doppelgeschichte ist inhaltlich längst nicht so innovativ wie die Erzählweise - trotz einiger überraschender Wendungen - und am Ende wird einiges nicht aufgelöst, was man gerne aufgelöst gesehen hätte.

Bewertung vom 22.03.2025
Ben Saoud, Amira

Schweben


gut

Zu viele Ideen

In diesem Debutroman wird eine dystopische Zukunftsversion beschrieben, in der die vom Klimawandel in ihrer Zahl reduzierte Menschheit in Siedlungen lebt, deren einzige Verbindung zu den Siedlungen der Außenwelt im Warenaustausch besteht. Das „Streben nach mehr“ und das Ansammeln von Wissen über die Zeit des „Davor“ sind verboten, ebenso die Anwendung von Gewalt. In dieser Welt lebt die Protagonistin davon, dass sie die Rolle anderer Frauen annimmt - Geliebte, Töchter, Ehefrauen. Gleichzeitig scheint es mit der Welt in der Siedlung zu Ende zu gehen und merkwürdige Dinge geschehen.

Wie man aus der Übersicht der Themen erkennen kann, sind in dem Roman sehr viele dystopische Ideen miteinander verknüpft worden. Leider zu viele. Viele Ideen sind grundsätzlich gut, aber nicht zu Ende geführt (wie das Auftreten der Gewalttätigkeit unter Jugendlichen) und eigentlich geht es auch vielmehr um toxische Beziehungen als eine dystopische Zukunft. Schade, gute Ideen vergeben.

Bewertung vom 06.03.2025
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


gut

Exil-Geschichten

In „Heimweh im Paradies“ schildert Autor Martin Mittelmeier die Exil-Jahre von Thomas Mann und dessen Familie in Kalifornien. (Fast) jedem Kapitel entspricht ein Jahr zwischen 1938 und 1952 und damit die gesamte Zeit, die Mann im Exil verbrachte. Eine produktive Zeit, in der diverse wichtige Schriften (u.a. Dr. Faustus) entstanden und Thomas Mann gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten anschrieb, Reden hielt und die deutsche künstlerische Exilgemeinde vernetzte. Einige dieser Kapitel sind interessant, z.B. jenes, das sich den Diskussionen um Musik widmet, die Adorno und Mann geführt haben. Einige sind aber auch banal, ohne großen Erkenntnisgewinn und anstrengend zu lesen. Der Schreibstil ist teilweise verkünstelt - da ist die Rede von den „epischen Riesenentwürfen, die Gegenwärtigkeit und mythischen Gesang auf so bezwingende Weise zusammenbringen“ oder Reliefs, in denen durch Ironisierung das Wesen der Idee erst sichtbar werde. Auch wenn hier vielleicht an den Stil Thomas Manns erinnert werden soll, hemmt es den Lesefluss und lässt einen ratlos zurück, was konkret denn damit gemeint sein könnte. Insgesamt ein eher schwächerer Beitrag zum Mann-Jubiläum.

Bewertung vom 18.02.2025
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


ausgezeichnet

Bittersüße Familiengeschichte

Der neueste Roman von Dmitrij Kapitelman ist die Fortsetzung seiner preisgekrönten „Formalie in Kiew“ und ebenso großartig geschrieben. Der Autor hat einen besonderen Sprachwitz, kann überzeugende melancholische Sprachbilder zeichnen und lustig wie nachdenklich über sein komplexes Familienleben zwischen Leipzig und Kyjiw schreiben.
Der Roman ist (wie immer bei ihm) recht autobiographisch und gleichzeitig von einigen magisch-realistischen Szenen durchdrungen. Der Erzähler berichtet von der Entfremdung zwischen ihm und seiner Mutter aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, da seine Mutter ihre Informationen ausschließlich aus russischen Propagandasendern bezieht. Außerdem berichtet er von dem schwierigen Leben als Aussiedlerfamilie in Leipzig, wie der Laden der Familie in der Pandemie endgültig schließen musste und generell erzählt er von seiner komplexen ukrainisch-jüdisch-deutsch-russischen Identität. Absolut lesenswert und berührend geschrieben!

Bewertung vom 13.02.2025
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


weniger gut

Tagebuch

Christoph Kramer schreibt über drei Tage im Leben des fünfzehnjährigen…Christoph Kramer. Autor und Protagonist / Erzähler sind dieselben und der ganze Roman scheint sehr autobiographisch zu sein. Er handelt von drei Sommertagen, in denen sich Christoph verliebt, feiert, und sein Herz gebrochen wird.

Im Interview sagte der Autor, das Buch sei ein Herzensprojekt gewesen und das glaubt man beim Lesen. Das macht den Roman aber nicht automatisch gut. Es scheinen viele Erlebnisse zu sein, die er unbedingt mal mitteilen und verarbeiten wollte. So wird die Geschichgte leider eher zu einer Art Tagebuch und nicht zu einem Roman, was schade ist. Einige Beschreibungen der Gefühlswelt eines Fünfzehnjährigen sind gelungen und auch die Jugendsprache ist es in den meisten Fällen. Allerdings hätten dem Buch einige Kürzungen und Straffungen gut getan. Ein roter Faden fehlt irgendwie und ich habe noch nie so oft über Akne und Pickel am Rücken lesen müssen, das war nach dem zehnten Mal wirklich zu viel. Ein zweites Buch des Autoren würde ich nicht lesen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.02.2025
Prödel, Kurt

Klapper


sehr gut

Ein bisschen wie Tschick

„Klapper“ ist einerseits ein typischer Coming-of-Age-Roman: Der Protagonist ist Außenseiter, erfährt durch eine ungewöhnliche Freundschaft eine Wandlung und erlebt Höhen und Tiefen des Teenager-Daseins. Anderseits ist der Roman anders, denn es gibt zwar ein versöhnliches Ende, aber doch auch einige sehr tragische Momente, die nicht wieder gekittet werden. Auch das Springen zwischen 2011 und 2025 ist ungewöhnlich, aber literarisch gut umgesetzt.

Die Story dreht sich um Klapper und Bär - Klapper ist Gamer und der krasse Außenseiter in seiner 11. Klasse, Bär ist neu dort und freundet sich mit ihm an. Beide verbindet das Counterstrike-Spielen und das Leben in ihren dysfunktionalen Familien, die ihnen aber trotzdem Halt geben, worüber sie aber nie sprechen. Eigentlich sprechen sie auch sonst nie viel über Persönliches.

Der Roman liest sich gut. Einige Verweise (Christina-Aguilera-Parfüm und Axe-Deo, Overheadprojektoren in der Schule und der Sharan als Familienauto) erinnern an die eigene Jugend, passen aber teilweise nicht ganz ins Jahr 2011. Trotzdem: Auch aufgrund der realistischen Jugendsprache empfehlenswert.

Bewertung vom 22.01.2025
Fabbri, Camila

Dancing Queen


gut

Deprimierend.

Der Roman beginnt mit einem Autounfall. Paulina erwacht, überall Blut, Schmerzen, ihre Sinne spielen verrückt, ein Hund läuft herum, man will ihr helfen. Dann folgt der erste Rückblick: Ihr Freund Felipe und sie befinden sich in einem lang andauernden, quälenden Beziehungsende.
Der ganze Roman ist aus Zeitsprüngen aufgebaut zwischen dem Autounfall, dem Ende der Beziehung von Paulina und Felipe und der Reise von Paulina und ihrer Freundin Maite aufs Land, um ihren Beziehungsproblemen zu entkommen. Und alles ist deprimierend - es geht um gescheiterte Beziehungen, um sexuelle Gewalt, um Monotonie, ums Scheitern, langweilige Jobs und Vereinsamung, verletztem Schweigen. Laut Jury, die das spanischsprachige Original des Romans prämiert hat, trifft das das Lebensgefühl von Frauen Mitte bis Ende Dreißig…was den Roman irgendwie noch deprimierender macht.
Kann man lesen, muss man aber auch nicht. Und schon gar nicht, wenn man in der falschen Stimmung dafür ist.

Bewertung vom 09.01.2025
Glattauer, Daniel

In einem Zug


sehr gut

Unterhaltsame Dialoge

Der Schriftsteller Eduard Brünhofer fährt von Wien nach München. Warum, traut sich der Ich-Erzähler Brünhofer zunächst nicht zu sagen, aber der Termin steht ihm bevor. Schräg gegenüber im Abteil sitzt eine Frau, von der er glaubt, dass sie ihn erkannt hat - und bald schon verwickelt sie ihn in ein Gespräch. Dieses nimmt so einige Wendungen, die Brünhofer so ganz sicher nicht erwartet hatte. Die Unbekannte heißt Catrin Meyr und stellt ihm so offene, teilweise unverfrorene, neugierige Fragen, dass er schnell mehr erzählt, als er eigentlich vorhatte (denn eigentlich würde er lieber zuhören).

Die Dialoge zwischen diesen beiden Protagonist:innen sind rasant, schlagfertig und klug. Wo sie im Mittelpunkt stehen, ist der Roman sehr unterhaltsam und man denkt oft, wie Recht der eine oder die andere doch hat. Zwischendurch fließen Gedanken des Ich-Erzählers oder seine Beobachtungen ein, die oft auch interessant sind. Einige Klischees (über Frauen, Männer, Italiener und die Liebe) tauchen auch auf, die sich der Autor hätte sparen können, insgesamt aber ein kurzweiliger Roman mit einigen Sätzen, die im Gedächtnis bleiben - und einem netten Twist am Ende!