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Dajobama

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Insgesamt 179 Bewertungen
Bewertung vom 11.09.2025
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


gut

Botanik des Wahnsinns – Leon Engler

In diesem Roman geht es um Geisteskrankheiten, psychische Störungen, wie Schizophrenie und Depressionen, insbesondere auch in Verbindung mit Suchterkrankungen. Der Autor hat Ahnung von der Thematik, ziehen sich ebendiese Krankheiten über Generationen durch seinen Familienstammbaum. Und so ist dies meiner Meinung nach weniger ein Roman denn vielmehr eine therapeutische Aufarbeitung der eigenen Familientraumata. Dabei kennt der Autor das Thema auch von der anderen Seite – als Therapeut in einer entsprechenden Klinik.

Das Ganze ist durchaus interessant, wenn man sich für Psychologie interessiert. Passenderweise werden zahlreiche Fakten über die Geschichte der Psychotherapie in München und Wien geliefert. Doch auch das täuscht nicht darüber hinweg, dass dies im Grunde eine gut gemachte Nacherzählung der Familienkrankheiten ist.

Der Schreibstil ist gewürzt mit bissigem Humor, der mir gut gefallen hat. Durch den sachlichen Berichtstil bleibt jedoch eine große Distanz zu den Figuren.

Zweifellos hat Leon Engler einiges zu erzählen. Wie so oft bei stark autobiographisch geprägten Werken, ist sein Nutzen der therapeutischen Aufarbeitung vermutlich größer als derjenige des Lesers.

3 Sterne.

Bewertung vom 11.09.2025
Morton-Thomas, Sophie

Das Nest


gut

Das Nest – Sophie Morton-Thomas
Dies ist ein etwas zäher Kriminalroman, der seinen Fokus mehr auf komplizierte
Familienverhältnisse setzt.
Dabei ist das Setting durchaus vielversprechend. Ein Campingplatz, zwei Kinder mit
schwierigen Entwicklungsbedingungen, die Ansiedlung einer Roma-Familie und ein
Mord. Natürlich ist am Ende alles ganz anders, als es Anfangs scheint. Dennoch
erscheint mir der Weg dorthin oft ein wenig holprig und unbeholfen.
Viel Platz nimmt die teils exzessive Vogelbeobachtung verschiedener Figuren ein. Das ist
zu Beginn durchaus atmosphärisch zu lesen und verleiht dem Roman eine zusätzliche
Dimension. Das eigentliche Geschehen allerdings kommt nur schwer in Bewegung. Die
Entwicklungen wirken oft sehr konstruiert, die Hinführung wenig elegant und recht
bemüht. Wirkliche Spannung kommt hierbei leider kaum auf. Vor allem auch, weil
verschiedene Handlungen sehr plötzlich und nicht nachvollziehbar sind. Generell
bleiben die Figuren recht blass und distanziert. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Fran
bleibt bis zuletzt absolut nicht einschätzbar.
Es ist eine interessante Geschichte, die allerdings hinter ihrem Potenzial deutlich
zurückbleibt. Gerade vom Thema Roma hatte ich mir mehr erhofft.
3 Sterne

Bewertung vom 11.09.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


ausgezeichnet

Strandgut – Benjamin Myers
Hier ist Benjamin Myers wieder ein großartiges Werk gelungen!
Mit 70 Jahren nimmt Bucky Bronco noch einmal seine letzten Kräfte zusammen und besteigt zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt ein Flugzeug, das ihn von Chicago bis ins englische Scarborough bringt. Hier soll der ehemalige Soul-Sänger seine Songs von damals zum Besten geben – eine Karriere, die seit einem halben Jahrhundert in Vergessenheit geraten ist. Nun ist Bucky alt und krank und macht doch neue Bekanntschaften, die ihm ein wenig Lebensmut zurückgeben.
Den sehr poetischen und ruhigen Erzählton ist man von Benjamin Myers ja bereits gewohnt. Diese Geschichte ist zusätzlich aber wirklich spannend! Es ist ein Rückblick auf ein Leben, das von Schicksalsschlägen und Ungerechtigkeiten, aber auch von der Liebe zur Musik geprägt ist. Sehr authentisch und extrem berührend, diesen alten Mann, seine Erinnerungen und Nöte zu begleiten.
Wenn man den Autor kennt, weiß man auch, dass man sich auf seine Geschichten einlassen muss. Er hat keine Angst vor Langeweile und erzählt mehr von Stimmungen denn von Handlungen. Hier ist es ihm aber durchaus gelungen, eine gewisse Grundspannung aufrecht zu erhalten. Fans dürften also nichts zu meckern haben.
Mir hat es ganz hervorragend gefallen!
5 Sterne.

Bewertung vom 24.08.2025
Goldewijk, Yorick

1000 und ich. Zweifle nicht, zögere nicht, hinterfrage nicht.


sehr gut

1000 und ich – Yorick Goldewijk
Ein spannender dystopischer Jugendroman und eine perfekte moderne Schullektüre mit viel Diskussionsstoff über existentielle Fragen des Menschseins.
Nummer 8 lebt unter vielen weiteren seelenlosen Mädchen in der Stadt Surdus. Tag für Tag folgt sie wie alle anderen ihrer Bestimmung. Dennoch spürt sie, dass sie anders ist, dass sie mehr will vom Leben, Langeweile spürt und Sehnsüchte. Da ist noch ein Mädchen,1000, gemeinsam mit ihr wagt sie auszubrechen.
Mit ca. 160 Seiten kurz und knackig, dennoch sehr gehaltvoll.
Illusion und Wirklichkeit verschwimmt zunehmend. Zum Ende gibt es aber eine für mich zufrieden stellende Auflösung.
Hat mir gut gefallen und hat mich bestens unterhalten. Ob es den Nerv der heutigen Jugendlichen trifft, kann ich aber nur schwer beurteilen.
4 Sterne

Bewertung vom 24.08.2025
Kingsolver, Barbara

Die Unbehausten


sehr gut

Die Unbehausten - Barbara Kingsolver
Zwei Geschichten, durch Jahrhunderte getrennt, doch durch den Ort der Handlungen verbunden.
Die Autorin hat ein unglaubliches Erzähltalent, mit dem sie ihre Leser durch viele Seiten führt.
Der gegenwärtige Handlungsstrang beschäftigt sich mit Willas Familie, zwischen Existenzängsten, dem amerikanischen Traum und medizinischer Unterversorgung. Da kommen ganz aktuelle Themen des modernen Amerika aufs Tablett.
Nicht weniger interessant ist der zweite Erzählstrang, der zu Zeiten Charles Darwins handelt, welcher auch immer wieder eine große Rolle spielt. Wissenschaft und deren mangelnde Anerkennung in der kirchlich geprägten Gesellschaft sind hier das große Thema.
So unterschiedlich diese beiden Geschichten erst einmal erscheinen, ergänzen sie sich dennoch sehr gut und haben mir beide gefallen.
Obwohl es doch einige Längen im Roman gibt, sorgt Kingsolver mit ihrem ganz eigenen, humorvollen und klugen Erzählstil immer wieder dafür, dass man dranbleibt. Denn nicht zuletzt ist ihre Geschichte immer wieder ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft - damals wie heute.
Sehr lesenswert - 4 Sterne

Bewertung vom 12.08.2025
Knecht, Doris

Ja, nein, vielleicht


sehr gut

Ja, nein, vielleicht – Doris Knecht
An diesem Roman faszinierte mich in erster Linie, mit welcher Selbstverständlichkeit Doris Knecht von den alltäglichen Nöten und Belangen einer Frau in ihren Fünfzigern erzählt. Tatsächlich habe ich noch nicht so viele Bücher zu diesem Thema gelesen.
Ein ausfallender Zahn, graue Haare, die Kinder sind ausgezogen, die Beziehung zum Vater der Kinder längst beendet. Die Ich-Erzählerin berichtet von ihrem Alltag, von Sorgen, Problemen – davon was bleibt und was noch möglich wäre. Meiner Meinung nach ist dies ein sehr feministisches Buch. Ein kritischer Blick zurück in die Vergangenheit und auf die Männer im Allgemeinen. Zumindest theoretisch ist die Protagonistin fest davon überzeugt, dass sie keinen Mann mehr in ihrem Leben will und braucht – schließlich genießt sie ihre Freiheit. Wenn ihr nur nicht immer wieder Friedrich- ein Jugendfreund - über den Weg laufen würde… keine Angst, es artet nicht in eine kitschige Love-Story aus!
Vielmehr ist es eine nachdenkliche, lebenskluge Geschichte, in der ich mich bei vielem wiedererkannt habe. Denn es geht unter anderem auch um gesellschaftliche Erwartungen und anerzogenes Verhalten. Spannend.
Bei all den hochinteressanten Grundsatz-Überlegungen kamen mir persönlich allerdings die Figuren etwas zu kurz. Allesamt bleiben recht blass, scheinen nur als Vorlage, bzw. Beispiel für weitere feministische Ausführungen zu dienen.
Ansonsten ist dieser Roman aber wunderbar flüssig lesbar und spricht etliche wichtige Themen an.
4 Sterne

Bewertung vom 26.07.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


ausgezeichnet

Das Geschenk – Gaea Schoeters
20 000 afrikanische Elefanten treiben plötzlich mitten in Berlin ihr Unwesen. Es ist ein „Geschenk“ des erzürnten Präsidenten von Botswana, als Antwort auf das beschlossene Einfuhrverbot von Jagdtrophäen der deutschen Regierung.
Die beinahe schon apokalyptische Situation ist fast witzig zu lesen, denn wie zu erwarten, bekleckert sich die deutsche Politik in Berlin nicht gerade mit Ruhm bei dem Versuch, diese Katastrophe irgendwie in den Griff zu bekommen… Schoeters nimmt die Politiker ordentlich auf die Schippe und verarbeitet auch ganz viele mehr oder weniger aktuelle Zustände und Begebenheiten aus unserer politischen Landschaft. So einige Personalien und Parteien sind deutlich zu erkennen, wobei ich sicherlich nicht alle Bezüge erkannt habe.
Dieser sehr schmale Roman ist so etwas wie eine Weiterführung des Themas aus dem Bestseller „Trophäe“. Nur dass wir uns nun nicht im tiefen Afrika befinden, sondern uns nun mitten in Deutschland mit den großen Problemen der Globalisierung auseinandersetzen müssen und aus diesem neuen Blickwinkel vielleicht manche Dinge besser verstehen lernen.
Im Grunde ist dies ein sehr ernstes Thema aus dem die Autorin mit ihrer knappen, immer treffenden Sprache eine groteske Satire mit feinem Humor gemacht hat. Afrikanische Elefanten bringen das politische Gefüge in Deutschland und in Europa durcheinander und die Staatschefs an ihre Grenzen.
Sehr kurzweilig und unterhaltsam, was aber nicht über den tiefen Sinn dahinter hinwegtäuscht. Ich habe mich köstlich amüsiert, aber auch viel über diese Geschichte nachgedacht.
Eine grandiose Autorin! 5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.07.2025
Kelly, Julia R.

Das Geschenk des Meeres


sehr gut

Das Geschenk des Meeres – Julia R. Kelly
Skerry, ein Fischerdorf an der schottischen Küste um 1900 – hier wird während eines Sturms ein kleiner Junge angeschwemmt. Lebend. Die Parallelen zu Dorothys vor vielen Jahren im Meer verschwundenen Sohn im gleichen Alter sind überwältigend und spülen so manch fast vergessenes Geheimnis wieder an die Oberfläche.
Dieser Roman ist durchgehend außerordentlich düster. Allein schon die winterlich-stürmische Atmosphäre an der Küste. Jeder der Bewohner von Skerry hat sein Päckchen zu tragen. Das Ausmaß wird erst nach und nach offenbar – scheinbar gibt es keine einzige glückliche oder auch nur zufriedene Person an diesem Ort.
Das große Thema dieser Geschichte ist Trauer. In erster Linie Dorothys Trauer, eine Lehrerin, die in Skerry niemals ganz angekommen ist und den Tod ihres Jungen nie verwunden oder auch nur ansatzweise verarbeitet hat. Irgendjemand (ich denke es war der Pfarrer), kommt nun auf die grandiose Idee, das aus dem Meer gefischte Kind, das so viele Ähnlichkeiten zu ihrem eigenen Jungen damals aufweist, ausgerechnet bei Dorothy unterzubringen. Damit sie eine Aufgabe hat und schließlich war sie ja selbst einmal Mutter.
Es gibt wirklich starke, bildhafte Szenen in diesem Buch. Sehr atmosphärisch, wenn auch durchwegs düster. Ich möchte aber auch die doch recht raumgreifende Liebesgeschichte zu Joseph, dem Fischer, nicht unterschlagen. Obwohl offensichtlich ist, dass die beiden einander anziehen, kommen sie doch nie zusammen. Eine Geschichte voller Irrungen und Wirrungen, Klatsch und Tratsch.
Erzählt wird auf zwei Zeitebenen – damals und heute. Wie Puzzlestücke fügt sich die Geschichte immer mehr zusammen. Auch wenn ich zwischendurch Mühe hatte dranzubleiben, mochte ich die Geschichte sehr gerne. Wirkliche Spannung kommt kaum auf. Die Sprache ist eher zart und so plätschert die Geschichte immer mal wieder ein wenig vor sich hin.
4 Sterne.

Bewertung vom 06.07.2025
Wood, Benjamin

Der Krabbenfischer


ausgezeichnet

Der Krabbenfischer – Benjamin Wood
Thomas Flett ist zwanzig Jahre alt und lebt als Krabbenfischer in einfachsten Verhältnissen mit seiner Mutter zusammen. Er liebt seine Heimat Longferry, den Strand. Dennoch ist es harte, teils auch langweilige Arbeit, die wenig einbringt und insgeheim lebt er für die Musik. Als ein Regisseur auf ihn und seine Tätigkeit aufmerksam wird, sich gar mit ihm anzufreunden scheint, ist plötzlich alles möglich.
Ein extrem ruhiger Roman, der von seiner starken Atmosphäre lebt und mich immer wieder an den Erzählstil von Benjamin Myers erinnerte. Doch auch an den Schimmelreiter musste ich denken, wenn Thomas mit Pferd und Karren durch dichtesten Nebel zieht.
Der Strand und das Meer spielen eine große Rolle und werden unglaublich stimmungsvoll beschrieben. Dabei ist es ein gefährlicher, unwirtlicher Ort, der schon etliche Leben gefordert hat. Es ist also eher eine etwas gruselige düstere Atmosphäre, die über der Geschichte schwebt.
Die Wünsche und Sehnsüchte dieses jungen Mannes, der in der Tradition dieses Berufes, in einem ärmlichen Leben ohne Perspektive feststeckt, sind mehr als nachvollziehbar.
Es ist einfach eine tolle, leise und poetische Sprache, mit der uns der Autor diese Geschichte nahebringt. Toll.
5 Sterne.

Bewertung vom 11.06.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan


sehr gut

Im Leben nebenan – Anne Sauer
Fast jeder hat sich wohl schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie sein Leben verlaufen wäre, hätte man die ein oder andere Entscheidung anders getroffen. Genau mit diesem Gedankenspiel beschäftigt sich dieser Roman.
Antonia wacht eines Morgens auf und wacht in einem anderen Leben auf – mit ihrer Jugendliebe als Ehemann und einem Säugling. Die Entscheidung, ihr Heimatdorf und Adam zu verlassen um in der Stadt ein Leben mit ihrem langjährigen Freund Jakob zu führen – sie wurde nie getroffen. Und so pendelt die Geschichte zwischen zwei Parallelwelten hin und her. In der Stadt führt Antonia ein Leben mit Jakob, ohne Kind – am Dorf hat sie plötzlich einen Säugling zu versorgen und einen Ehemann, den sie eigentlich nie wollte.
Die Was-wäre-wenn-Frage greift viele existentielle Themen auf. Was braucht man um glücklich zu sein, ist nur eine von vielen. Gerade die Rolle einer Frau mit bzw. ohne Kind in der Gesellschaft ist ein großes Thema.
Der Schreibstil ist locker-leicht und zieht den Leser sogartig mitten ins Geschehen. Gerade Anfangs war ich sehr begeistert von diesem Roman, gegen Ende hatte ich dann das Gefühl verstehen zu wollen (nicht gelungen), wie die beiden Parallelwelten zeitlich zueinander stehen. Zu viele Überkreuzungen haben mich eher irritiert und Fragen aufgeworfen.
Insgesamt habe ich dieses nachdenklich machende Buch aber sehr gerne gelesen. 4 Sterne.