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Insgesamt 182 Bewertungen
Bewertung vom 04.08.2019
Amell, Carolina

Surf Like a Girl (dt.)


ausgezeichnet

Von Meer, Schönheit, Engagement und Surfragetten

Ich bin noch nie in meinem Leben auf einem Surfbrett gestanden, aber mich hat das Surfen schon immer fasziniert: Es braucht großen Mut, sich der Naturgewalt Wasser auszusetzen, die so sanft scheint und so unerbittlich ist. Und Frauen können sich dieser Naturgewalt genauso stellen. Mit „like a girl“ werden Tätigkeiten von Frauen noch zu häufig abgetan und als minderwertig angesehen. Der Bildband „Surf like a girl“ beweist auf eindrucksvolle Weise, dass dies eine Ehrenbezeichnung ist.

Carolina Amell vereint in dem Bildband die Fotografien und Biografien von Surferinnen, die oftmals ihre Arbeit selbst mit der Kamera festhalten. Mit wunderschönen Bildern zeigt der Bildband zeigt nicht nur die Frauen – und er zeigt das Meer in vielen Facetten, in seinen Blautönen, in seiner Struktur (manchmal auch auf Schwarz-Weiß-Bildern), seine Ruhe, die Gischt, die sanften Wellen und die gigantischen.
Ich wusste bislang noch nicht, dass es Big-Wave-Fotografie gibt, aber nun liebe ich sie. In dem Bild von Maria Fernanda bricht das Licht durch einen Teil der Welle, so dass ich das Wasser in all seinen Schichten sehen kann. Wunderschön!
Neben den doppelseitigen Fotografien ist auch die Zusammenstellung von mehreren Fotos auf einer Doppelseite wundervoll gelungen. Immer wieder werden einzelne Zitate in die Bilder integriert pointiert. Der Prestel-Verlag veröffentlicht einfach tolle Bildbände.

Aber in „Surf like a girl“ geht es nicht nur um Optik. Die engagierten Frauen setzen sich für eine nachhaltige Lebensweise ein, kämpfen für Umwelt- und Klimaschutz sowie für die Gleichberechtigung und Solidarität. Die irische Surferin Easkey Britton schildert bspw., dass die Mondphasen den Lauf des Meeres genauso beeinflussen wie ihre Menstruation. Die Frauen werden in in engen Wetsuits oder Bikini gezeigt, aber den Bildern geht Voyeurismus völlig ab. Meine Lieblings-Textpassage (der Kommentar von „Surfragette“ Marta Tomasini ist auch der längste Textbeitrag des Buchs) räumt auch gleich mit den Klischees von den sexy Surferinnen auf. Mit viel Selbstironie und Pragmatismus schreibt Tomasini von Bräunungsstreifen, kaputter Frisur oder davon, dass sie den Bikini gerne gegen einen Wetsuit tauscht, um nach einem Wipeout nicht nackt aufzutauchen, weil sich gerne mal die Bikini-Teile verabschiedet haben. Frau kann mit 61 noch surfen (Anne Taravet) oder schwanger (Stéphanie Goldie) und Frauen wie Meryem El Gardoum aus Marokko haben auf mit dem Short- oder Longboards Klischee durchbrochen.
Am allerspannendsten fand ich auch die Bios der BIWoC, wie der beiden Schwestern Ikit und Aping Agudo von den Philippinen. Ihr selbstbewusstes Zitat: „We embrace our Filipino identity and skin color“ feiert Diversity.

Einige kleinere Kritikpunkte hatte ich dann doch: In den Texten fielen mir in der Übersetzung an ein paar Stellen kleine Redundanzen auf. Nach welchem Muster die wundervollen Zitate übersetzt wurden – und wann nicht, habe ich nicht ganz verstanden. Bei dem Arugam Bay Girls Surf Club hätte ich es noch schöner gefunden, wenn nicht nur die drei Gründerinnen sondern zusätzlich auch die Frauen aus Sri Lanka selbst zu Wort gekommen wären. Und wenn es im Buch schon so viel um Nachhaltigkeit geht, könnte der Verlag doch bitte, bitte mal die Folieneinschweißung weglassen. Das mindert aber meine Begeisterung nicht.

Ich hatte erst überlegt, das Buch einer Freundin zu schenken. Nun bin ich aber in „Surf like a Girl“ so verliebt, dass ich es einfach nicht mehr hergeben kann. Ich kann ihn allen empfehlen, die das Meer lieben oder das Surfen oder Frauen jenseits der üblichen Rollen sehen und die (Gender-)Diversity wichtig finden. Mit 38 Euro ist der Bildband aber kein Schnäppchen, so dass ich schlecht schreiben kann, holt ihn euch alle. Aber es ist vermutlich nicht verwunderlich, dass ich 5 begeisterte Sterne vergebe.

Nach dem Motto eines meiner Lieblingszitate im Buch:
„Catch waves, not Pokémon.“

Bewertung vom 04.08.2019
Walder, Vanessa

Das Leben ist ein Rechenfehler / Die Unausstehlichen & ich Bd.1 (3 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Wunderschönes, einfühlsames, freches Hörbuch, das mitten ins ve-PIIIIIIEEEEPPP-te Herz geht.

Dieses grandiose Kinderbuch ab 10 ist frech und witzig, trotz der wichtigen und traurigen Themen, die es miterzählt. „Die Unausstehlichen und ich: Das Leben ist ein Rechenfehler“ gelingt Autorin Vanessa Walder sprachlich wunderschön und flüssig, wie ein einfühlsames Gespräch unter Freunden. Die verpiepten Flüchen ergänzen die Form genial und die Geschichte wurde von Maximiliane "Maxi" Häcke großartig eingelesen.
Ich hatte zum Glück eine recht normale Kindheit, aber im Trotz von Hauptfigur Enni auf die Ungerechtigkeit dieser Welt habe ich mich trotzdem wiedererkannt – und mit ihr gelitten. Die meiste Zeit musste ich allerdings nicht mit ihr leiden, denn sie beißt sich durch, ist klug und kämpft voller Ideen um einen Platz in dieser Welt. Ich habe mich in diese Figur verliebt und war vom Hörbuch hin und weg.

Grandiose Form
Und wenn es dann Piiiiiieeeepp, oder Piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeppppppp macht – je nachdem, was, wie lang und wie viel Enni geflucht hat – lässt sich vor jedem Piepen der Hauch eines Anlaut erahnen. Und jede*r kann sich überlegen, ob Enni jetzt "v-PIIIIIIIIIEEEEEP" oder "k-PPPPIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEPPPP" gesagt haben könnte. Denn dieses Mädchen könnte nicht mit niedlichen Flüchen aufwarten, dazu hat sie schon zu viel erlebt: Seit sie 8 ist, wird sie zwischen diversen Heimen und „Pflegis“ hin- und hergeschoben. Bei Pflegebruder Noah scheint sie angekommen zu sein, doch dann ziehen die Eltern in die Schweiz und sie soll - wie ein Hamster - nicht mit. Noah und sie bauen Mist und dann geht die Geschichte richtig los. Enni landet in einem geheimnisvollen Internat. Dort trifft sie auf die Unausstehlichen.

Divers und großartig
Die sind divers und großartig und ich habe sie sofort ins Herz geschlossen. Der sanftmütige Riese mit dem türkischen Vornamen Karan, bei dem der Background zwar keine Rolle spielt, aber spürbar ist. Der kleine Lucky, der an Diabetes erkrankt ist. Und dann der wunderschöne Dante, den alle Mädchen anhimmeln, sein Rollstuhl wird in einem Halbsatz erwähnt. Und Enni und die grandiose Autorin Vanessa Walder lassen uns dieses Detail immer wieder vergessen. Dantes Behinderung wird immer miterzählt, aber sie steht nicht im Vordergrund und wird schon gar nicht zum „Problem“. So sollte Inklusion im Kinderbuch (und auch in den Schulen) laufen. Erst recht, weil Lilith trotz ihrer Blindheit ein echtes Biest sein darf.
Diesen Kindern blieb die Sonnenseite des Lebens oft verwehrt, aber selbst die skeptische, fast schon misanthrop Enni zeigt Witz und Optimismus. Ich hatte immer wieder zwei Zeilen aus einem wunderschönen Aimee Mann-Song im Kopf: "From the ranks of the freaks who suspect they could never love anyone.“ Obwohl diese Welt der Unausstehlichen also wahrlich nicht perfekt ist, baut sie Vanessa Walder so einfühlsam, dass ich am liebsten weit über die 3 Stunden und 33 Minuten dieses Hörbuches hinaus eintauchen möchte.

Die Rechenfehler
Der Untertitel des Buches „Das Leben ist ein Rechenfehler“ ist übrigens auch Konzept. Die Mathematik ist das Konstrukt, das Enni Halt gibt. Da ich Mathe schon immer geliebt habe, finde ich es in Büchern immer doof, wenn etwas vermeintlich schweres aber nur im Buch schwer ist. Ennis Mathe-Konstrukte sind komplex genug, um glaubhaft zu sein, gleichzeitig so gut erklärt, dass auch Leser*innen etwas damit anfangen können, die ihre Mathe-Liebe (noch?) nicht entdeckt haben.

Fazit
Zum Glück soll es von „Die Unausstehlichen und ich“ weitere Bände geben und in der Geschichte sind noch einige Geheimnisse offen, obwohl man sie sicherlich auch so abgeschlossen stehen lassen könnte. Aber wer sollte das wollen??? Ich warte auf alle Fälle sehnsüchtig auf den kommenden Band!

Einstweilen vergebe ich eine absolute Leseempfehlung und warum gibt es auf der K-PIIIIIIIIIIEEEEEEEPPPPPP-Skala eigentlich nur 5 ver-PIIIIIIEEEPPPPPP-te Sterne?