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Kata_____Lović
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Bremen

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Insgesamt 177 Bewertungen
Bewertung vom 13.02.2022
Albinus, Anna

Revolver Christi


sehr gut

"Ich Begriff, dass ich über ein Jahr lang alles untersucht hatte, ohne das Geringste herauszufinden. Alle Verbindungen, die sich gezeigt, alle Details, die mir bekannt geworden waren, sagten nichts aus über den Revolver und noch weniger über Christus an der Waffe."

Revolver Christi ist eine kompakte sprach-und stilsichere verdichtete Novelle.

Im unterägyptischen Umma Maram existierte bis ins 9.Jahrhundert eine kriegerische christliche Stöhmung, die Gewalt und Schmerz zur höchsten Form der göttlichen Hingabe erkoren.
Revolver Christi ist eine über 900 Jahre alte Waffe, die im Rufe steht ihren Besitzer:innen besonderes Glück zu bringen, um die es mystische Geschichten mit Stigmem, Selbsttötung und Unglück gibt.

1908, 17. Juli 2:15 Uhr, Ausstellung der Reliquie Revolver Christi. Peter Zochen, erschossen. In der Hand des Toten die Botschaft "Verwundet von der Liebe Christi" . Ein Stigma am Sonnengeflecht wird später gefunden. Die Umstände bleiben rätselhaft.

2018, 5. Juli 12:07, Johanna Wächter schießt mit einer baugleichen Waffe den Revolver Christi aus der Vitrine und schweigt. Die Waffe erhielt sie vom Schwiegervater des Kommissars. Johanna lauert ihm auf, macht Andeutungen, spricht in Rätseln, verstirbt, hat ein Stigma. Die Tochter des Kommissars verhält sich eigentümlich, sie erkennt den Revolver Christi aus ihrer Kindheit.

Stefanie taucht auf. Als junge Frau war sie mit radikalen Christen zusammen, wie Margot, die Mutter der Frau des Kommissars, die sich vielleicht das Leben nahm als Kämpferin Christi.

Wie der Kommissar tappte ich bis zum Ende im Dunkeln, dachte, ich verstünde einen Zusammenhang, verlor die Spur und die Gedanken.
Ich vermute theologische und historische Bezüge, die bestimmt Spaß machen zu entdecken. Mir blieb diese Novelle intellektuell verschlossen mit sieben Siegeln.

Der Revolver Christi versprüht bis zum Schluss die Energie und Faszination des Mystischen und Geheimnisvollen, des Unergründlichen.

Bewertung vom 13.02.2022
Taha, Karosh

Im Bauch der Königin


ausgezeichnet

Im Bauch der Königin von Karosh Taha ist ein Wenderoman. Es gibt zwei Vorderseiten, zwei Geschichten, die in der Mitte zusammen treffen.

Im Bauch der Königin entblättert sich eine ganze Welt. Es kommt eine Gemeinschaft zum Vorschein, in der die Menschen Gutes und Schlechtes tun, dabei sich und andere verletzen. Sie können nicht anders, sie handeln aus Überlebensdrang, Stolz und Liebe.
Im Epizentrum dieser Welt läuft Shahira, mit roten Lippen, lackierten Fingernägeln, kurzen Röcken und einer Sinnlichkeit, die ihr selbst nicht bewusst zu sein scheint. Sie ist eine "Ungehaltene" alleinstehende Frau, das ist ihr bewusst. Shahira wird von den Frauen gemieden, von den Männern angeschmachtet.

Im Bauch der Königin ist eine Liebeserklärung an die Frauen. Neben Shahira ist da noch Amals Mutter, die ebenso stark wie Shahira ihre Kinder alleine aufzieht. Sie ist eine "Wartende". Auch Raffiq's Mutter steht vor dem Problem, zu einer "Wartenden" oder "Ungehaltenen" zu werden. Die Tochter Amal ist kämpferisch und sucht, Sanye ist fürchterlich erwachsen und vernünftig, Jana, das "Alman-Mädchen" fügt sich der Rolle der asexuellen besten Freundin gut.

Im Bauch der Königin ist eine Liebeserklärung an die Männer. An Väter, die im Irak|Kurdistan wer waren, studiert haben, Architekten sind und in Deutschland Hilfsarbeiten ausführen, die deutsche Sprache gebrochen sprechen. An Männer die zurück wollen, als sich die Chance bietet, Kurdistan aufbauen und auf den Widerstand ihrer Frauen und Kinder stoßen. An Väter, die ihre Familien verlassen und Söhne, die den starken Müttern entwachsen. Younis ist bewunderter Außenseiter, wie seine Mutter Shahira, Raffiq beobachtet, sucht, unterstützt.

Die Rezensionen der Feuilletons irritieren, sie sind voll von "Zwischenwelten" "Zerrissenheit" "Parallelgesellschaft" "zwischen den Kulturen" . Dina Netz von Deutschlandfunk Kultur schreibt gar, dass die Autorin beweisen müsse, über andere Themen und Figuren zu schreiben. Das muss sie ganz und gar nicht. Karosh Taha kann Geschichten erzählen, universelle Geschichten, die Sprache ist poetisch und klar, die Romanform innovativ.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.12.2021
Snider, Grant

Dein Bücherregal verrät dich


ausgezeichnet

Was für ein Schätzchen ist dieses Buch bitte? Ich habe fast die ganze Zeit gelächelt, als ich es durchgeblättert, angeschaut, gelesen habe. Sagt man bei Comics lesen? Es ist ja eine Mischung aus schauen und lesen.

Wenn ihr auf der Suche nach einem Geschenk für Vielleser:innen seid, greift zu diesem.

Ich erkore diesen Buchschatz zu meiner Toilettenlektüre. Klingt dispektierlich, finde ich aber gar nicht dispektierlich. Dort soll es von nun an liegen und mir und wem auch immer in Zukunft Freude machen. Und das macht es, wenn ich nur darauf schaue. Ich liebs.

Wovon anderes soll es handeln, als von Büchern, vom lesen, vom Leben mit den Büchern, vom lesen und schreiben. Natürlich berührten mich nicht alle Geschichten gleich und es gab auch kleine Vergaloppierunfen in Richtung "der Autor und seine Care-arbeitende Ehefrau", verziehen, verziehen, die anderen Geschichten wiegen es auf.

Bewertung vom 28.09.2021
Seifert, Nicole

FRAUEN LITERATUR


ausgezeichnet

Wie fein und subtil die Diskurse und Praktiken für eine Marginalisierung von Frauen in der Literatur wirken, legt Nicole Seifert in FrauenLiteratur eindringlich und überzeugend dar.

Seifert nähert sich dem Thema durch ihre "kleine persönliche Lesehistorie" an. Auch wenn FrauenLiteratur andere Wege einschlagen wird, dachten meine Mitleserin und ich kurz an Kim Jiyoung, des nüchternen Stiles wegen, der im Kontrast zum Thema steht, der Eindringlichkeit und der bei der Leserin aufkommenden Wiedererkennung und Emotionalität wegen.

Seifert folgt einem stringenten Aufbau, in dem sie Argumente, die ihren Standpunkt falsifizieren oder ignorieren, vorwegnimmt und sich mit ihnen auseinandersetzt.

Sie berichtet über vergessene Autorinnen in der Literaturgeschichte und legt dar, was das mit Kanonisierung zu tun hat. Auch den Themenfeldern und Zuschreibungen von "weiblichem Schreiben" widmet sie ein Kapitel. Typische Abqualifikationen fasst sie treffend mit "banal, kitschig und trivial" zusammen, Bilder, die in uns allen wirken. Bei der Frage, warum Weiße männliche Literatur besser bezahlt, gefördert, mehr verlegt, beworben, besprochen, eingeladen wird und mehr Preise erhält, entgegnet sie detailliert und überzeugend dem Argument, es zähle nur die Qualität.

Es ist logisch und folgerichtig, dass Seifert den Bogen weiter fasst, Rassismus, die Marginalisierung von Schwarzen, nicht westeuropäischen, queeren Stimmen mitdenkt und Raum gibt. Es wäre schön, wenn diese Themen mehr Förderung und Aufmerksamkeit bekäme.

Das Problem, was in Frauenliteratur beschrieben wird, trifft dieses Buch in besonderem Maße, müsste es doch von Weißen Männern gelesen werden bzw. von all jenen Menschen, die sich mit der Materie nicht viel beschäftigen. Doch ich befürchte, diese werden weiterhin nicht zu diesem Buch greifen, heißt es doch FrauenLiteratur. Ein Teufelskreis.

Daher erscheint es mir fast wichtiger, was Nicole Seifert rund um das Buch tut, Interviews geben, sich den Argumenten und Fragen stellen, die sie im Buch bereits vorweg genommen hat. Danke Nicole Seifert für die klaren und eindringlichen Worte und noch mehr dafür, dass du sie in Interviews und Artikeln in die Welt trägst.

Bewertung vom 25.09.2021
Otoo, Sharon Dodua

Adas Raum


ausgezeichnet

"Jedes Mal, wenn Ada ihren Körper von sich selbst trennte, war es desaströs. Jedes Mal. Und nicht nur für sie... Und ihre Zersplitterung sprengte ein Loch in die Würde all ihrer Folterer"

Meine Begeisterung für die poetische und klare Sprache, die wechselnden Erzählinstanzen und den Aufbau kann ich kaum in Worte fassen. Der Roman ist dicht, voll, komplex, so dass es schwer ist, sich zu begrenzen und ihm gerecht zu werden. Ich wünsche diesem Text eine tiefgreifende Rezeption, lohnt es sich doch sehr.

Vieles ist nicht auserzählt. Wir als Leser:innen sind aufgefordert, die Verbindungen zu suchen, die Auslassungen zu füllen, die Geschichten und uns selbst in unserer Rezeption der Geschichte(n) zu reflektieren.

Adas Raum wird zusammengehalten durch Schleifen, Schleifen der Überzeitlichkeit, der Unendlichkeit und ja, auch durch Gott. Der Weltgeist, der unterschiedliche Gestalten annimmt und ein Fruchtbarkeitsarmband, das von einer Person zur anderen wandert, halten die vier Adas zusammen.

Die ersten drei Adas werden begleitet und beschützt vom Weltgeist in Gestalt eines Besens, eines Türklopfers und eines Raumes. Doch alle drei Adas sterben vorzeitig, gewaltvoll durch die Hand von Weißen Männern. Ada eins lebt im 15. Jahrhundert in Westafrika, dem Teil, den wir heute Ghana nennen. Sie trauert um ihr Baby, wird von portugiesischen Kolonialisatoren gefangengenommen und stirbt. Die Londoner Mathematikerin Ada Lovelace ist Ada zwei. Sie lebt eigenständig, hat Liebhaber und lebt trotzdem gefangen. Ihr Leben nimmt ein gewaltvolles Ende. Ada drei im KZ und ihr Körper wird benutzt. Bei dem Versuch, sich zu befreien stirbt auch diese Ada.

Mit der vierten Gestalt von Ada sind wir im gegenwärtigen Berlin. Ada ist Schwarz, in Ghana aufgewachsen wie Ada eins, studiert Informatik in der Tradition von Ada zwei, und den direkten Bezug zu Ada drei erfahren wir im Verlauf. Ada trägt das lang ersehnte Kind aus, das die anderen nicht bekamen. Der Weltgeist beschützt sie als Pass und kann sie nicht schützen. Bezüge zur Geschichte, den anderen Adas und ihren Weggefärt:innen sowie Peinigern führen wie Perlen zu ihr, sie beginnt zu verstehen, sich zu verschwestern und sich zu ermächtigen.

Bewertung vom 25.09.2021
Gorelik, Lena

Wer wir sind


sehr gut

Mit Wer Wir Sind setzt Lena Gorelik ihren Eltern ein Denkmal. Der Sound des autobiographischen Romans ist persönlich, intim, ernst, mitunter schwelgend, nostalgisch, wehmütig.

Wer Wir Sind verläuft nicht rein chronologisch, eher asoziativ. Es wirkt, als würde die heutige Lena - Mama, Schriftstellerin - in ihren alten Tagebüchern, Fotos und Gegenständen wühlen, sich erinnern und diese Erinnerung mit ihrer heutigen versöhnlicheren Sicht anreichern.

Ihr früheres Ich hat sich alleine gefühlt, unverstanden, orientierungslos. Immer mehr hat sie sich geschämt für ihre Eltern, noch später rebelliert, provoziert, sich distanziert. Um keine Streberin und Außenseiterin zu sein, hat sie sich angestrengt, schlechte Noten zu schreiben, aber sie war, wer sie war.

In ihrem heutigen Ich löst sich die Scham und Wut auf in einem warmen Gefühl von Nähe und Respekt dafür, was ihre Eltern alles geleistet haben. Heute stellt sie sich der Frage, wie es wohl für ihre Eltern gewesen sein muss, Sankt Petersburg in den 90ern zu erleben, die unsichere Stimmung und Angst unter der jüdischen Bevölkerung. Wie es sich angefühlt haben muss in einem Wohnheim. Wie schwer es gewesen sein muss, zurück gewiesen zu werden bei dem Versuch, an den eigenen akademischen Beruf anzuknüpfen, schließlich in einer Fabrik zu landen und als Reinigungskraft "meine Perle" genannt zu werden. Wie schmerzhaft es gewesen sein muss, die Mutter und die eigenen Kinder leiden zu sehen, aber nicht den Weg weisen zu können und es auszuhalten, wie die Rollen sich vertauschen.

Lena sinniert nicht nur über ihre Eltern sondern auch über die Sprache. Sie streut in den Text immer wieder russische Worte, schreibt sie in kyrillisch auf, erklärt sie einmal und setzt auf die Lernfähigkeit der Leser:innen. Nun, meine eher schlecht als rechten Kyrillischkenntnisse reichen, es zu lesen. Ich vermute aber, dass es auch ohne gut funktioniert, sie wiederzuerkennen und ein kleines bisschen selbst zu erleben, wie es ist, sich eine ganz neue Schrift und Sprache anzueignen. Außerdem ist es ein schönes Stilmittel, fast gegenständlich wirkt die Schrift, wie eines der wenigen Dinge, die sie als Erinnerungsstücke behalten konnte.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.09.2021
Markovic, Dalibor

Pappel. Die Geschichte eines Herumtreibers


ausgezeichnet

Märchenhaft beginnt Pappel, das Debüt des Poetry Slammers Dalibor Marković.

Am selben Tag, an dem Franz Kafka das Licht der Welt erblickt, rutscht in einem Wald der Samen einer Pappel in eine fruchtbare Erdspalte. Er keimt, sprießt und verwandelt sich in einen Baummenschen. Nahezu alterlos wird Pappel durch die bewegten Jahrzehnte zwischen 1883 und der Jetztzeit stolpern.

Pappel ist ein Handlungsgetriebener, heiterer und intensiver Roman mit surrealen Momenten. Der Sound ist übermütig, charmant-naiv, abenteuerlich, philosophieren-leichtfüßig. Er passt sich den Geschehnissen und dem jeweiligen Zeitgeist an.

Pappel überfällt eine Kutsche, die Kutsche von Kafka. Er erbeutet den Roman Die Verwandlung und eine Papprolle, in der die einzige Sprachaufnahme des zurückgezogenen Schriftstellers steckt.

Pappel geht in die Stadt, verkauft Groschenromane, wird Drogenkurrier und Kartenabreißer im Kino. An der Umgebung und am sich verändernden Tonfall der Erzählung merken wir, wie die Zeit vorbeirast, während Pappel in unterschiedliche Rollen schlüpft. 1924 stirbt Kafka, eine Randnotiz, 1933 begegnet er Kafkas Verlobter Felice Bauer auf der Flucht nach Amerika vor den Nazis. Pappel ist gleich zweimal auf dem Schiff, in Gestalt des weltgewandten Konrad von Pappel Oberdeck und des schwatzenden Hilfsmatrosen Konrad Unterdeck. Die Sprachaufnahme von Kafka ist immer da, auch wenn er sie nicht immer hat.

Forwind, Pappel findet sich wieder im Nachkriegsdeutschland, hereingeraten in eine terroristische Vereinigung, die sich rund um die charismatische Liane bildet. Forwind die Zeit rast immer mehr, Pappel taucht unter, führt ein langweiliges Leben, hat eine Phase als reicher Lebemann, als Obdachloser auch, stets seinen Kafkaschatz hütend. Doch ein junger Mann ist ihm auf den Fersen, ein pensionierter Polizist und die Witwe eines der Opfer der Anschläge.