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SternchenBlau

Bewertungen

Insgesamt 166 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2019
Rohde, Marek;Koglin, Ilona

Faironomics


ausgezeichnet

Erhellend und motivierend: Wie wird man ökologisch und fair bei Projekten und Social Enterpreneurship?

„Nur allein dadurch, dass wir andere Produkte kaufen und verkaufen, ändert sich das zerstörerische Prinzip, nach dem unsere Welt heute funktioniert, eben noch nicht.“
Gegen dieses Grundproblem ist außer des kompletten Umbau des vorherrschenden Wirtschaftssystems noch kein Kraut gewachsen. Mit ihrem Buch „Faironomics - Ökologisch, fair und frei“ geben Ilona Koglin und Marke Rohde Unternehmern und Projektgestaltern passende Bausteine mit auf den Weg.

Wichtig: Erwartungshaltung an das Buch
Um Enttäuschungen zu vermeiden, ist es ganz wichtig den Untertitel ernst zu nehmen: „Wie du in 8 Schritten dein Traumprojekt verwirklichst und damit die Welt verändert“. Es geht in nämlich um die Umsetzung in konkreten Projekten, das heißt, das Buch richtet sich an (potentielle) Freiberufler*innen, (Sozial-)Unternehmer*innen, Aktivist*innen oder Menschen, die sich in NGOs oder Vereinen engagieren wollen. Für Leser*innen, die auf der Suche nach Anregungen für ihr Handeln ad hoc im Privaten sind, haben die beiden Autor*innen bereits „Und jetzt retten wir die Welt“ und „Gärtnern für eine bessere Welt“ veröffentlicht.
Selbstverständlich bedienen sich die beiden Autor*innen immer wieder bekannter Techniken aus dem Projekt Management: Ihr Buch gibt daher einen tolle Übersicht, gerade für Einsteiger. Für erfahrenere Leser in diesem Bereich bündelt sie diese Aspekte und liefert diesen durch den ökologischen und gerechten Ansatz einen echten Mehrwert.

Am eigenen Beispiel
Koglin und Rohde waren mit ihren eigenen Tätigkeiten unzufrieden und wollten diese ökologisch und fair verändern. Ihr Buch zeichnet daher auch ihre „Lernreise“ nach und die beiden flechten immer wieder persönliche Erfahrungen und Entwicklungen ein. Allein mit der Produktion des Buches setzen die Autor*innen ihre Grundsätze selbst um, denn es ist Cradle-to-Cradle hergestellt und kommt dazu ohne Folieneinschweißung aus. Das Design ist durchweg stylisch, übersichtlich und edel. Die Infografiken, Übungen und Sonderseiten sind im schlichten und edlem blau, weiß und schwarz gehalten. Schon beim ersten Aufblättern dachte ich mir: „Wow, was für ein schönes Buch!“ Öko kann eben wunderschön sein.

Komplex mit viel Stoff zum Nachdenken
„Faironomics“ lässt sich nicht an einem Nachmittag lesen und ich habe mehrere Wochen dafür gebraucht, weil es mich wirklich gefordert hat. Erst recht, weil die eigentliche Arbeit in den Übungen liegt, für die man Stunden bis Tage braucht, was im Projektmanagement ja auch nicht ungewöhnlich ist. Und das schafft man nicht beim Lesen nebenbei. Eine dieser Übungen heißt „Verstehen lernen“ (S. 104): „Was steckt hinter den Dingen? Mach dir bewusst, was dein Büro für dich und die Welt bedeutet.“ Als Dauer sind dafür 30 Minuten angegeben, die man pro Objekt im Büro aufwenden musst. Und wenn man das richtig machen will, braucht es das auch, finde ich. Ich muss aber gestehen, dass ich das noch nicht durchgezogen habe. Aber eigentlich sollte man sich die Zeit nehmen, weil manchmal muss man erstmal viel Zeit aufwenden, um Ressourcen zu sparen.

Fazit
Mit den Übungen ist „Faironomics“ ist in doppelter Hinsicht ein Katalysator: Das Buch gibt einem Rüstzeug in die Hand, um die eigenen Ideen schneller umzusetzen – und dazu noch nachhaltig. „Faironomics“ ist erhellend und motivierend.
Ich empfinde das Buch daher als tolle Erinnerungshilfe, wofür und wie ich arbeiten möchte, und daher werde ich sicherlich immer mal wieder darin nachblättern und -lesen. Ich werde das Buch zudem auch Kolleg*innen verleihen, ganz nach dem Prinzip, dass Teilen besser ist als besitzen. Und ich werde bald auch die anderen beiden Bücher von Ilona Koglin und Marke Rohde lesen.
Mit der Einschränkung an den Leserkreis, den ich zum Anfang gemacht habe, kann ich „Faironomics“ wirklich von ganzem Herzen empfehlen und gebe 5 ökologische und faire Sterne.

Bewertung vom 05.08.2019
Pfeiffer, Marikka

Einmal Hollywood und zurück / Das springende Haus Bd.1


ausgezeichnet

Hüpft ein Haus um die Welt - und wir hüpfen für verrückte Abenteuer mit!

Wie genial wäre es, wenn man ganz einfach an fremde Orte hüpfen könnte. Noch dazu fast CO2 frei! (Je nachdem, wie viel der Akku braucht) „Das springende Haus: Einmal Hollywood und zurück“ ermöglicht das der Familie Wendelin und der 10jährigen Lonni, die frisch in die Nachbarschaft gezogen ist. Allerdings ist das Springsteuerung gerade unvorhersehbar und die Großeltern Wendelin sind verschwunden. Also freut sich Nick Wendelin sehr, in der gleichaltrigen Lonni eine Mitstreiterin gefunden zu haben. In dieses witzig-fröhliche Grundgerüst fügen sich ein Marmelade-verrücktes Zwerghuhn, eine fiese Nachbarin (Gerüchte sagen sogar mit Nachtsichtgerät) und lustige Reiseziele großartig ein.

Erfindergeist
War mir besonders gut gefällt: Das Haus ist nicht „einfach“ magisch, wie solche Ideen in Kinderbüchern sonst oft erklärt werden, sondern die Sprungfunktion wurde ganz MINT-mäßig von Großvater Widu gebaut. Also hat es einen Akku, der geladen, und eine Steuerung, die gewartet werden muss. Irgendwie rückt für mich so ein „Traumhaus“ eher in den Bereich des „Möglichen“ als wenn es magischen Ursprungs wäre – und ich glaube, das kitzelt den inneren Erfindergeist mehr. Lonni und Nick müssen gegen Schluss ein Rätsel lösen, das mein mathebegeistertes Kind geknackt hat. Ansonsten liefert das Buch für alle anderen die nachvollziehbare Lösung.

Gleichberechtigung nebenbei
Ich achte ja gerade bei Kinderbüchern auf Gender-Bilder und „Das springende Haus: Einmal Hollywood und zurück“ erzählt diese mühelos, geschickt und nebenbei gleichberechtigt. Vater Henri trägt das Baby im Tragetuch, kümmert sich um den Garten (vor allem seine Tomurken, was Teil seines Berufs ist) und ist im Haushalt eingebunden. Von den Wendelins hat die Mutter anscheinend mehr Zeit damit sie sich um ihren Beruf (die Schriftstellerei) widmen kann. Lonnis Eltern arbeiten ebenfalls beide, gleichberechtigt als Kostümschneider, von zuhause aus. Und auch schon in der Generation zuvor waren Nicks Großeltern beide berufstätig als Forscher. Diese Gleichberechtigung bezieht sich aber nicht nur auf die Berufstätigkeit. Wir folgen zwar der Sichtweise von Hauptfigur Lonni, Nick ist aber ebenfalls sehr präsent. Die Ängstlichkeit der Großmutter hat sich geschlechtsunabhängig an Enkel Nick weitervererbt, der geniale Erfindergeist des Großvaters ging am Enkelin Leo genauso vorbei wie an Enkel Theo.

Beschwingt-hüpfende Lektüre
Beim Vorlesen hatten mein 7,5-jähriger Sohn und ich total viel Spaß. Es gibt so viele tolle kleinere und größere Ideen, wie dass das Haus immer Tiere mit zurückbringt, eine gesprengte Party der Nachbarn und dem Ausflug des Hauses in ein Hollywood-Studio. Und die liebevollen Illustrationen ergänzen die eigene Vorstellungskraft hervorragen. Als Bonus empfand ich die Vignetten mit Blumen oder Gartenzaun – so was mag ich einfach. Die Kapitel sind übrigens angenehm kurz, so dass Leser*innen ab der 2. Klasse sicherlich „Das springende Haus“ sicherlich gut selbst lesen können.
Ganz in die Tiefe geht zwar die Geschichte nicht: Die Wendelin-Eltern sind so in ihren eigenen Gedanken gefangen, dass sie das Verschwinden der Großeltern nicht beunruhigt. Die Zwillinge Theo und Leo fand ich noch recht funktional geschrieben. Das tat unserem Lesevergnügen aber keinen Abbruch.
Wir möchten noch alle weiteren Bände lesen, insgesamt umfasst die Reihe vier Bände. Der Band „Einmal Hollywood und zurück“ ist in sich genügend abgeschlossen, um ihn auch einzeln lesen zu können. Vom zweiten Band „Unter der Ritterburg“ gibt es am Buchende eine doppelseitige Leseprobe.

Wir sprechen eine klare Leseempfehlung aus und vergeben 5 volle Sterne.

Bewertung vom 04.08.2019
O'Leary, Beth

Love to share - Liebe ist die halbe Miete


sehr gut

Ernste Themen in einer herzerwärmenden Geschichte. Bitte CN beachten!

CN / CONTENT NOTE
Bei „Love to share“ hat mir besonders gefallen, wie die Autorin Beth O’Leary in einen vermeintlich leichten Liebesroman ernste Themen einflicht. Aber gerade, weil das so unvorbereitet kommt - und weder Cover noch Klappentext einen Hinweis darauf geben – habe ich mich entschlossen eine CN / Content Note vorne anzustellen.
Ich weiß, dass das manche Leser*innen diese als Spoiler empfinden. Die sollten dann einfach erst bei der nächsten Zwischenüberschrift weiterlesen.
Die CN / Content Note bezieht sich auf: Emotionale Missbrauch / Gaslightning, Der Umgang damit ist durchaus stimmig, wie ich finde. Aber ohne Vorwarnung könnte es das unvorbereitete Leser*innen kalt erwischen.

WUNDERSCHÖNE GESCHICHTE
Tiffy sucht dringend eine neue Wohnung, weil sie bei ihrem Ex ausziehen muss, und das Geld ist knapp. (Und jeder weiß, dass der Londoner Wohnungsmarkt der Horror ist. Eine Bekannte hat 600 Pfund für ein Zimmer bezahlt mit Toilette und Dusche in Gemeinschaftsnutzung und sie hatte einen Münzautomaten, den sie füttern musste, bevor der Strom lief.) Also geht Tiffy ein ungewöhnliches Arrangement mit dem Palliativpfleger Leon ein und teilt Wohnung und Bett mit ihm: Sie bekommt Nachmittags und Nachts, er die Vormittags- und Nachmittagsstunden. Und ihre Kommunikation läuft Anfangs fast ausschließlich über Post-its. Das ergibt eine einerseits sehr moderne, ungewöhnliche Form des „Briefromans“, andererseits sind Post-its schon fast wieder anachronistisch, auf alle Fälle sehr analog und liebenswert. Die Geschichte wechselt dann die Sichtweisen der beiden ab.

STÄRKEN UND SCHWÄCHEN DES BUCHES
Zu Beginn wollte ich eigentlich nur eine paar Seiten zum Einschlafen lesen, bin aber wirklich sehr gut in „Love to share“ reingekommen. Mir gefällt die Mischung aus Leichtigkeit und ernsten Themen, ohne, dass es pathetisch werden würde, obwohl mich „Gefühlvolles" sonst oft schnell langweilt. Und die Informationsvermittlung baut echt Spannung auf! Mir gefallen die vielen Nebenfiguren und -handlungen, gerade die ernste Geschichte mit Leons Bruder (ich will nicht zu viel spoilern). Und die Hauptfiguren sind mir total schnell ans Herz gewachsen. Besonders Tiffys Faible für DIY und ungewöhnliche Klamotten lässt sie charmant und liebenswert werden.
Nur ist mir Tiffy an zwei, drei Stellen etwas zu naiv. Wer weiß denn nicht, was eine Strafverteidigerin macht? Das ist besonders schade, weil ein unbedarfter Leser, der sich mit emotionalen Missbrauch noch nie beschäftigt hat, vielleicht meinen könnte, das eine hinge mit dem anderen zusammen. Einige Stellen sind mir zu ausladend beschrieben, gerade ab der Hälfte. Manche der Hindernisse zwischen Tiffy und Leon sind total stimmig gebaut und beschrieben, aber nachdem beim Lesen absolut klar ist, dass die beiden sich mögen, geht es schon sehr langsam voran. Und da bremsen dann auch die vielen Figuren.
Was mich aber besonders gefreut hat: Leon und Tiffys Freunde helfen Tiffy zwar, mit ihrem Trauma umzugehen, aber sie ist eben keine „Damsell in Distress“, die vom Kerl gerettet wird, sondern schafft das selbst. Hier geht es um das Wiedererlangen von Selbstermächtigung. Das wird auch einige Male thematisiert.

FAZIT
Für die ernsten Themen in einer herzerwärmenden Geschichte vergebe ich gerne vier von fünf Sternen. Bitte CN beachten! Ein schönes Debüt zum #frauenlesen, auch, wenn die eine oder andere Kürzung noch gut getan hätte, aber ansonsten, angenehme Lesestunden.

Bewertung vom 04.08.2019
Zevin, Gabrielle

Das Verhältnis


ausgezeichnet

Klug, geschickt und packend erzählt: Kampfansage in den Zwischentönen!

„Das Verhältnis“ schreibt Autorin Gabriele Zevin unglaublich klug und gekonnt und packt vieles geschickt zwischen die Zeilen und in die Zwischentöne. Auf den ersten Blick ist „Das Verhältnis“ daher keine feministische Kampfschrift, anders als der Hinweis auf #metoo beim Klappentext vielleicht vermuten lässt. Und vielleicht finden manche das Buch daher fast etwas zahm, aber aufmerksam gelesen ist es bissig und deckt Doppelmoral und alltäglichen Sexismus ebenso auf wie strukturellen. Das ist die große Kunst von Autorin Gabrielle Zevin. „Eine smarte, feministische Meisterleistung“, hat die Washington Times über „Das Verhältnis“ geschrieben und da möchte ich mich anschließen.

Anfang der 2000er hat die junge Praktikantin Aviva ein Verhältnis mit dem Kongressabgeordneten Levin. Natürlich findet Aviva nach diesem Verhältnis nie wieder einen Job, ihr Boss, der Kongressabgeordnete behält hingegen sein Amt allerdings – auch, wenn er noch höhere Weihen danach abschreiben kann. „Das Verhältnis“ schildert Avivas Geschichte, deren Auswirkungen und die Doppelmoral im Rückblick aus der Sicht von fünf Charakteren.

Das Buch hat mich bereits mit diesen beiden grandiosen Sätzen auf der ersten Seite gepackt: „Ich möchte gar nicht unbedingt einen Ehemann. Sie machen viel Arbeit, aber ich will auch nicht den Rest meines Lebens allein verbringen, und es wäre schön mit jemandem gemeinsam Kurse zu besuchen.“
Diese lakonisch, treffenden, klugen Aussagen der fünf Charaktere machen dieses Buch für mich so besonders. Die Autorin erzählt auch den jüdischen Background der Figuren toll. Gabrielle Zevin hat das Buch in fünf Abschnitte gegliedert, die jeweils komplett aus Sicht der jeweiligen Erzählerin geschrieben sind. Mir haben auch die unterschiedlichen Erzählformen ausnehmend gut gefallen: Das Mädchen Ruby schreibt Emails an ihre pakistanische Brieffreundin. Avivas Teil wird in Form eines Entscheidungsbuchs geschrieben. Ich hatte kurz die Befürchtung, dass ich selbst diese Entscheidungen treffen muss (ich mochte solche Bücher noch nie), aber die Autorin nutzt nur sehr gekonnt die Form.

Zevins Frauen sind sehr reflektiert und ehrlich. Besonders treffend, aber auch schmerzlich, wird die Autorin, wenn diese Frauen nebenbei etwas schildern, weil sie es verdrängen oder selbst (noch) nicht erkennen können. Egal, wie reflektiert du sein magst, du kannst nicht hinter jede Misogynie blicken. Erst recht nicht, wenn du selbst sie denkst. Das macht so schmerzlich bewusst, wie sehr Frauen anderen Frauen im Weg stehen können, wenn Frauensolidarität ausbleibt.

Den Klappentext, erst recht den Spruch: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten“ finde ich deutlich zu flapsig. Ich denke, das könnte den*die eine oder andere Leser*in auf eine falsche Fährte Richtung leichten Frauenroman und damit zu Enttäuschung führen. Zwar liest sich „Das Verhältnis“ für mich sehr leicht und beschwingt, aber das ambivalente Verhältnis aller Figuren zu Selbstbestimmung verschließt sich einer einfachen Deutung und muss andauernd dechiffriert werden. Außerdem stimmt der Satz ja genau nicht: Aviva kann nicht einfach nur die Krone richten, das verweigert die Gesellschaft ihr. Und das „Prinzessinnen“-Bild hat eh feministisch seine Tücken und das Marketing tappt damit in die selbe Falle wie Avivias Mutter, wenn sie es benutzt: „Ich finde den Begriff jüdisch-amerikanische Prinzessin beleidigend, aber wenn die Tiara passt…“ Und beim Hinweis auf #metoo könnte der*die Leser*in eben auch eine offensichtliche Kampfansage erwarten. Für mich ist „Das Verhältnis“ eine Kampfansage in den Zwischentönen.

Ein gewichtiges Buch, das sich für mich aber völlig leicht, ja stellenweise sogar beschwingt liest. Daher wird „Das Verhältnis“ sicherlich nicht das letzte Buch sein, dass ich von der Autorin Gabrielle Zevin lesen werde. Ich spreche eine absolute Leseempfehlung aus und vergebe volle 5 Sterne.

Bewertung vom 04.08.2019
Amell, Carolina

Surf Like a Girl (dt.)


ausgezeichnet

Von Meer, Schönheit, Engagement und Surfragetten

Ich bin noch nie in meinem Leben auf einem Surfbrett gestanden, aber mich hat das Surfen schon immer fasziniert: Es braucht großen Mut, sich der Naturgewalt Wasser auszusetzen, die so sanft scheint und so unerbittlich ist. Und Frauen können sich dieser Naturgewalt genauso stellen. Mit „like a girl“ werden Tätigkeiten von Frauen noch zu häufig abgetan und als minderwertig angesehen. Der Bildband „Surf like a girl“ beweist auf eindrucksvolle Weise, dass dies eine Ehrenbezeichnung ist.

Carolina Amell vereint in dem Bildband die Fotografien und Biografien von Surferinnen, die oftmals ihre Arbeit selbst mit der Kamera festhalten. Mit wunderschönen Bildern zeigt der Bildband zeigt nicht nur die Frauen – und er zeigt das Meer in vielen Facetten, in seinen Blautönen, in seiner Struktur (manchmal auch auf Schwarz-Weiß-Bildern), seine Ruhe, die Gischt, die sanften Wellen und die gigantischen.
Ich wusste bislang noch nicht, dass es Big-Wave-Fotografie gibt, aber nun liebe ich sie. In dem Bild von Maria Fernanda bricht das Licht durch einen Teil der Welle, so dass ich das Wasser in all seinen Schichten sehen kann. Wunderschön!
Neben den doppelseitigen Fotografien ist auch die Zusammenstellung von mehreren Fotos auf einer Doppelseite wundervoll gelungen. Immer wieder werden einzelne Zitate in die Bilder integriert pointiert. Der Prestel-Verlag veröffentlicht einfach tolle Bildbände.

Aber in „Surf like a girl“ geht es nicht nur um Optik. Die engagierten Frauen setzen sich für eine nachhaltige Lebensweise ein, kämpfen für Umwelt- und Klimaschutz sowie für die Gleichberechtigung und Solidarität. Die irische Surferin Easkey Britton schildert bspw., dass die Mondphasen den Lauf des Meeres genauso beeinflussen wie ihre Menstruation. Die Frauen werden in in engen Wetsuits oder Bikini gezeigt, aber den Bildern geht Voyeurismus völlig ab. Meine Lieblings-Textpassage (der Kommentar von „Surfragette“ Marta Tomasini ist auch der längste Textbeitrag des Buchs) räumt auch gleich mit den Klischees von den sexy Surferinnen auf. Mit viel Selbstironie und Pragmatismus schreibt Tomasini von Bräunungsstreifen, kaputter Frisur oder davon, dass sie den Bikini gerne gegen einen Wetsuit tauscht, um nach einem Wipeout nicht nackt aufzutauchen, weil sich gerne mal die Bikini-Teile verabschiedet haben. Frau kann mit 61 noch surfen (Anne Taravet) oder schwanger (Stéphanie Goldie) und Frauen wie Meryem El Gardoum aus Marokko haben auf mit dem Short- oder Longboards Klischee durchbrochen.
Am allerspannendsten fand ich auch die Bios der BIWoC, wie der beiden Schwestern Ikit und Aping Agudo von den Philippinen. Ihr selbstbewusstes Zitat: „We embrace our Filipino identity and skin color“ feiert Diversity.

Einige kleinere Kritikpunkte hatte ich dann doch: In den Texten fielen mir in der Übersetzung an ein paar Stellen kleine Redundanzen auf. Nach welchem Muster die wundervollen Zitate übersetzt wurden – und wann nicht, habe ich nicht ganz verstanden. Bei dem Arugam Bay Girls Surf Club hätte ich es noch schöner gefunden, wenn nicht nur die drei Gründerinnen sondern zusätzlich auch die Frauen aus Sri Lanka selbst zu Wort gekommen wären. Und wenn es im Buch schon so viel um Nachhaltigkeit geht, könnte der Verlag doch bitte, bitte mal die Folieneinschweißung weglassen. Das mindert aber meine Begeisterung nicht.

Ich hatte erst überlegt, das Buch einer Freundin zu schenken. Nun bin ich aber in „Surf like a Girl“ so verliebt, dass ich es einfach nicht mehr hergeben kann. Ich kann ihn allen empfehlen, die das Meer lieben oder das Surfen oder Frauen jenseits der üblichen Rollen sehen und die (Gender-)Diversity wichtig finden. Mit 38 Euro ist der Bildband aber kein Schnäppchen, so dass ich schlecht schreiben kann, holt ihn euch alle. Aber es ist vermutlich nicht verwunderlich, dass ich 5 begeisterte Sterne vergebe.

Nach dem Motto eines meiner Lieblingszitate im Buch:
„Catch waves, not Pokémon.“

Bewertung vom 04.08.2019
Walder, Vanessa

Das Leben ist ein Rechenfehler / Die Unausstehlichen & ich Bd.1 (3 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Wunderschönes, einfühlsames, freches Hörbuch, das mitten ins ve-PIIIIIIEEEEPPP-te Herz geht.

Dieses grandiose Kinderbuch ab 10 ist frech und witzig, trotz der wichtigen und traurigen Themen, die es miterzählt. „Die Unausstehlichen und ich: Das Leben ist ein Rechenfehler“ gelingt Autorin Vanessa Walder sprachlich wunderschön und flüssig, wie ein einfühlsames Gespräch unter Freunden. Die verpiepten Flüchen ergänzen die Form genial und die Geschichte wurde von Maximiliane "Maxi" Häcke großartig eingelesen.
Ich hatte zum Glück eine recht normale Kindheit, aber im Trotz von Hauptfigur Enni auf die Ungerechtigkeit dieser Welt habe ich mich trotzdem wiedererkannt – und mit ihr gelitten. Die meiste Zeit musste ich allerdings nicht mit ihr leiden, denn sie beißt sich durch, ist klug und kämpft voller Ideen um einen Platz in dieser Welt. Ich habe mich in diese Figur verliebt und war vom Hörbuch hin und weg.

Grandiose Form
Und wenn es dann Piiiiiieeeepp, oder Piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeppppppp macht – je nachdem, was, wie lang und wie viel Enni geflucht hat – lässt sich vor jedem Piepen der Hauch eines Anlaut erahnen. Und jede*r kann sich überlegen, ob Enni jetzt "v-PIIIIIIIIIEEEEEP" oder "k-PPPPIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEPPPP" gesagt haben könnte. Denn dieses Mädchen könnte nicht mit niedlichen Flüchen aufwarten, dazu hat sie schon zu viel erlebt: Seit sie 8 ist, wird sie zwischen diversen Heimen und „Pflegis“ hin- und hergeschoben. Bei Pflegebruder Noah scheint sie angekommen zu sein, doch dann ziehen die Eltern in die Schweiz und sie soll - wie ein Hamster - nicht mit. Noah und sie bauen Mist und dann geht die Geschichte richtig los. Enni landet in einem geheimnisvollen Internat. Dort trifft sie auf die Unausstehlichen.

Divers und großartig
Die sind divers und großartig und ich habe sie sofort ins Herz geschlossen. Der sanftmütige Riese mit dem türkischen Vornamen Karan, bei dem der Background zwar keine Rolle spielt, aber spürbar ist. Der kleine Lucky, der an Diabetes erkrankt ist. Und dann der wunderschöne Dante, den alle Mädchen anhimmeln, sein Rollstuhl wird in einem Halbsatz erwähnt. Und Enni und die grandiose Autorin Vanessa Walder lassen uns dieses Detail immer wieder vergessen. Dantes Behinderung wird immer miterzählt, aber sie steht nicht im Vordergrund und wird schon gar nicht zum „Problem“. So sollte Inklusion im Kinderbuch (und auch in den Schulen) laufen. Erst recht, weil Lilith trotz ihrer Blindheit ein echtes Biest sein darf.
Diesen Kindern blieb die Sonnenseite des Lebens oft verwehrt, aber selbst die skeptische, fast schon misanthrop Enni zeigt Witz und Optimismus. Ich hatte immer wieder zwei Zeilen aus einem wunderschönen Aimee Mann-Song im Kopf: "From the ranks of the freaks who suspect they could never love anyone.“ Obwohl diese Welt der Unausstehlichen also wahrlich nicht perfekt ist, baut sie Vanessa Walder so einfühlsam, dass ich am liebsten weit über die 3 Stunden und 33 Minuten dieses Hörbuches hinaus eintauchen möchte.

Die Rechenfehler
Der Untertitel des Buches „Das Leben ist ein Rechenfehler“ ist übrigens auch Konzept. Die Mathematik ist das Konstrukt, das Enni Halt gibt. Da ich Mathe schon immer geliebt habe, finde ich es in Büchern immer doof, wenn etwas vermeintlich schweres aber nur im Buch schwer ist. Ennis Mathe-Konstrukte sind komplex genug, um glaubhaft zu sein, gleichzeitig so gut erklärt, dass auch Leser*innen etwas damit anfangen können, die ihre Mathe-Liebe (noch?) nicht entdeckt haben.

Fazit
Zum Glück soll es von „Die Unausstehlichen und ich“ weitere Bände geben und in der Geschichte sind noch einige Geheimnisse offen, obwohl man sie sicherlich auch so abgeschlossen stehen lassen könnte. Aber wer sollte das wollen??? Ich warte auf alle Fälle sehnsüchtig auf den kommenden Band!

Einstweilen vergebe ich eine absolute Leseempfehlung und warum gibt es auf der K-PIIIIIIIIIIEEEEEEEPPPPPP-Skala eigentlich nur 5 ver-PIIIIIIEEEPPPPPP-te Sterne?