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Benutzername: 
SusanK
Wohnort: 
Osnabrück

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Insgesamt 232 Bewertungen
Bewertung vom 31.05.2022
Die Sammlerin der verlorenen Wörter
Williams, Pip

Die Sammlerin der verlorenen Wörter


ausgezeichnet

34 Jahre arbeitete der schottische Gelehrte James Murray im 19. und frühen 20. Jahrhundert an einem Wörterbuch, das auch heute noch alle Welt kennt: am Oxford English Dictionary. Bei ihm angestellt ist Esmes Vater, der seine kleine Tochter ohne Mutter aufziehen muss und sie deshalb stets mit in die Gartenlaube nimmt, wo er als Lexikograph Zitate überprüft. Während es zunächst die heruntergefallenen Belegzettel sind, die ihr Interesse wecken, sammelt Esme bald Wörter in einem großen Koffer, die von den gebildeten Männern nicht aufgenommen werden und stellt fest, dass es insbesondere "Frauen-Wörter" sind. Viele Wörter sammelt sie auch auf dem Markt, den sie immer öfter mit dem Dienstmädchen Lizzie zusammen besucht - und hier trifft sie auch auf Frauen, die sich Emmeline Pankhurst angeschlossen haben, um für das Wahlrecht der Frauen zu kämpfen, die Suffragetten.....

Ihre Recherchen in den Archiven des Oxford English Dictionarys inspirierten die australische Sozialwissenschaftlerin Pip Williams zu ihrem ersten Roman - und ihr ist damit ein außergewöhnliches Buch gelungen über die Liebe zu Wörtern, ihren Bedeutungen und den Umgang mit Sprache im allgemeinen und Auswirkungen auf ganze Bevölkerungsschichten im besonderen.

Dabei hat die Autorin sorgfältig recherchiert und viele Details fließen in dieses Werk mit ein, in dem sie - neben der fiktiven Figur der Esme - auch zahlreichen historischen Persönlichkeiten ein Denkmal setzt. Informationen über diese (einschließlich von Bildern von James Murray und seinem Umfeld) sowie eine Zeittafel grenzen Fiktion von Realität ab.

Doch Pip Williams beschränkt sich nicht auf das Thema der "Wörter" und des berühmten Wörterbuches, sondernthematisiert auch die Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Ansichten der Suffragetten, die teils mit Worten und teils mit Gewalt für die Einführung des Wahlrechts kämpften, werden anschaulich geschildert. Dazu kommt der Einfluss des Ersten Weltkrieges auf das Wörterbuch, aber vor allem auch auf die Menschen sehr plastisch zum Ausdruck.
Neben guter Unterhaltung habe ich auch viel Wissen mit dem Lesen dieses Buches erhalten!

Die Erzählweise ist sehr ruhig, detailliert und wortgewaltig und es braucht anfangs ein wenig Zeit, sich auf diesen ungewöhnlichen Schreibstil einzulassen., der sehr atmosphärisch bleibt. Dies geht zu Lasten von Spannung, die erst gegen Ende ein wenig aufkommt; so ist dieser Roman nicht geeignet für Leser, die einen Thrill in ihrer Lektüre erwarten.

Die Figuren sind mit großer Liebe gezeichnet, und mir sind neben Esme und ihrem - oft mit ihrer Erziehung überfordertem Vater - auch das Dienstmädchen oder auch "bondmaid" Lizzie und vor allem Tante Ditte mit ihrer liebevollen Fürsorge, aber auch ihrem ungewöhnlichen Lebensstil, sehr ans Herz gewachsen. Ich liebe einfach Geschichten über starke Frauen!

Ein Kompliment geht auch an die Übersetzerin Christiane Burkhardt, die Esmes gesammelte Wörter und die zugehörigen Zitate in Englisch beibehalten hat (zusätzlich ins Deutsche übersetzt, so dass es keine Sprachbarriere gibt), so dass der besondere Zauber von Esmes Wörterbuch für Frauen bestehen bleibt.

Alles in allem ein wirklich herausragendes Buch nicht nur für starke Frauen, für das ich fünf Sterne vergebe - mit einem kleinen Abzug aufgrund des nicht ganz einfachen Einstiegs.

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Bewertung vom 08.05.2022
Verhängnisvolle Lügen an der Côte d'Azur / Kommissar Duval Bd.9
Cazon, Christine

Verhängnisvolle Lügen an der Côte d'Azur / Kommissar Duval Bd.9


gut

Richter Dussolier wird auf den Stufen des Amtsgerichts in Grasse erschossen und zunächst sieht alles nach einer Racheaktion wegen der Inhaftierung des Gangsterkönigs Cosenzas aus bzw. einem eskalierenden Bandenkrieg um die Vorherrschaft in der Unterwelt. Doch schnell stößt Kommissar Léon Duval auf ein interessantes Detail: Dussolier recherchierte über eine der schlimmsten Katastrophen des 20. Jahrhunderts, als die Talsperre von Malpasset am 2. Dezember 1959, fünf Jahre nach ihrer Fertigstellung, unter einer Flutwelle einstürzte und 423 Menschen den Tod fanden. Duval stößt auf ein Netz von Lügen und Geheimnissen und gerät bald selbst mit seiner Familie in Gefahr ....

Christine Cazon legt mit "Verhängnisvolle Lügen an der Cote d´Azu"r ihren neunten Fall aus der Reihe um die Ermittlungen des smarten Kommissars Duval an der französischen Mittelmeerküste vor. Und da ich bereits einige der Bände gelesen hatte, freute ich mich auf die Fortsetzung.

Leider enttäuschten mich - nicht nur - die Figuren in diesem Band. Der sympathische Kommissar erscheint recht eindimensional und aus seiner toughen Partnerin, der erfolgreichen Journalistin Annie, wird eine ewig unzufriedene, quengelnde und nervende überforderte Mutter.

Und auch das Setting tritt in diesem Band leider in den Hintergrund und wir erfahren kaum etwas über den Flair der Cote d`Azur.

Normalerweise schätze ich es überaus, wenn ich aus Büchern etwas lernen kann und so habe ich gerne über den Staudammbruch von Malpasset aus dem Jahre 1959 gelesen, von der ich zuvor nichts wusste. Bedauerlicherweise sind diese Ereignisse jedoch nicht harmonisch in den Krimi eingebunden und die schon fast sterilen Informationen stehen isoliert, genau wie die Zusammenhänge in der französischen Vergangenheit mit Algerien, die Pieds-Noirs usw.

Während der Fall sehr spannend beginnt und man sofort in das Geschehen hineingezogen wird, tritt die Aufklärung des Falles hinter viele Fakten zurück und der rote Faden franst aus. Auch das Ende bleibt unbefriedigend und lässt mich ratlos zurück.

Da ich weiß, dass Christine Cazon es besser kann, hoffe ich natürlich, dass dieser Fall eine Ausnahme bleibt. DIeser Band lässt mich allerdings enttäuscht zurück und ich bleibe bei 2,5 Sternen.

Bewertung vom 02.05.2022
Der Weg der Teehändlerin / Die Ronnefeldt-Saga Bd.2
Popp, Susanne

Der Weg der Teehändlerin / Die Ronnefeldt-Saga Bd.2


sehr gut

Wir schreiben das Jahr 1853 und die Kinder von Friederike und dem inzwischen verstorbenen Tobias Ronnefeldt, Gründer des Teehandels, sind erwachsen. Friederike als Inhaberin schlägt sich mit ihrem konservativen Geschäftsführer herum, der ihre Ideen ablehnt und sehnt sich danach, das Unternehmen in die Hände ihrer KInder zu legen und ihre Töchter gut zu verheiraten. Doch diese haben ihren eigenen Kopf: Carl genießt das Leben in Hamburg, wo er seine Ausbildung fortsetzt, Elise möchte lieber Lehrerin werden anstatt zu heiraten, Wilhelm entdeckt sein künstlerisches Talent und Minchen verlobt sich heimlich mit einem Schauspieler....

Mit "Der Weg der Teehändlerin" legt die Biografin und Autorin Susanne Popp den zweiten Band ihrer Saga um das bekannte Teehaus Ronnefeldt vor, zu dem sie wieder hervorragend recherchiert hat. Nach Auswertung vieler Briefe aus dem Besitz der Familie Ronnefeldt und weiteren zeitgeschichtlichen Dokumenten ergänzt sie die Geschichte mit fiktiven Personen und spinnt einen fesselnden Roman. Dabei lässt das Personenverzeichnis zu Anfang des Buches erkennen, welche der Charaktere tatsächlich existiert haben und welche der Fantasie der Autorin entspringen.

Alle Figuren sind liebevoll gezeichnet, authentisch und lassen durch ihr Handeln ein Sittengemälde des ausklingenden 19. Jahrhunderts vor den Augen der Leser entstehen. Insbesondere die Rolle der Frau ist der Autorin dabei wichtig - und so sind die starke Friederike Ronnefeldt, die weiterhin ihren Mann stehen muss und die ich im ersten Teil bereits ins Herz geschlossen habe, und ihre Tochter Elise, die lieber einen Beruf ergreifen möchte denn einen für sie ausgesuchten Mann heiraten, die Kernfiguren, die sich vor rund 170 Jahren den gar nicht emanzipierten Ansichten der Männerwelt unterwerfen mussten. Damit konnte ich beim Lesen so manches Mal ein Stoßgebet zum HImmel schicken, als Frau in der heutigen Zeit leben zu dürfen!

Ein jedes der vier Ronnefeldt-Kinder hat seine eigenen Wünsche und Ziele, und so vermag Susanne Popp uns Leser*Innen ein buntes Geschichtsbild zu vorzuführen. In vielen Details ist lebendiges Geschichtswissen verborgen; so erfahren wir etwas über die Lehrerinnen-Ausbildung der damaligen Zeit, die Panoramen-Malerei von Enslen, den Höhepunkt der Auswanderungswelle nach Amerika, die Badische Revolution und vieles mehr.

Nicht zuletzt ist natürlich der Tee ein Thema, über das es eine Menge zu erfahren gibt, sowie die Schwierigkeiten bei Import und Handel mit ihm, was mir als passionierter Teetrinkerin selbstredend besonders gefällt.

Das Setting liegt in Frankfurt am Main, dem Stammsitz des Hauses Ronnefeldt und wir erfahren einiges über diese Stadt; aber auch das quirlige und gefährliche Hamburg mit seinem Überseehafen und buntem Volk spielt eine größere Rolle.

Die Schreibweise ist leicht und flüssig, die Handlung fesselnd und die kleinen und größeren Dramen passen perfekt in die Zeit, so dass das Buch ein echter Pageturner ist. Am Ende finden alle losen Fäden eine Verbindung und das letzte Kapitel gibt bereits einen kurzen Ausblick auf den im Frühjahr 2023 erwarteten abschließenden Band der Trilogie.

Ich vergebe 4,5 Sterne (da mir der erste Band - den man definitv kennen sollte, da die Geschicke der Familie Ronnefeldt nun weitergeführt werden und es einige Entwicklungen und Anspielungen auf Vergangenes gibt, aber nicht gelesen haben muss - eine kleine Spur besser gefallen hat) und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 16.04.2022
Stille Befreiung
Hammesfahr, Petra

Stille Befreiung


sehr gut

Als die behütet aufgewachsene Sandra 18jährig Ronnie kennenlernt, verliebt sie sich Hals über Kopf in den Gedanken, mit ihm eine Beziehung aufzubauen. Als sie schon bald schwanger wird, schlägt sie alle Warnungen in den Wind und das Paar heiratet und zieht in das Haus von Ronnies Mutter. Akute Geldnot, eine übergriffige bis verrückte Schwiegermutter und ein mit seiner Arbeit verheirateter Ehemann setzen Sandra zu, bis sie die Stelle einer Pflegerin für die schwerst behinderte Rebekka annimmt. Wird sich nun das Blatt für Sandra und ihre Tochter Josie zum Besseren wenden?

Petra Hammesfahr lässt in "Stille Befreiung" die albtraumhafte Geschichte von dem Opfer Sandra in der Ich-Perspektive erzählen; eine Erzählperspektive, mit der ich mich insgesamt ein wenig schwer tue.
Unterteilt ist die Handlung nicht nur in die beiden Teile "Ronnie" und "Rebecca", den Figuren, die Sandras Leben bestimmen, sondern der eigentliche Erzählfluss wird immer wieder unterbrochen von Einschüben aus dem (späteren) "Sommernachtsalbtraum", der zwar die Klimax vorwegnimmt, aber damit die Frage, wie es dazu kommen konnte und wer der Schuldige ist, schon früh verdeutlicht.

Die Spannung baut sich nur langsam auf, bevor sie im letzten Teil exponentiell ansteigt und in einem überraschenden Schluss endet. Trotzdem haben mich die fein ausgearbeiteten psychologisch komplexen Figuren und eine Handlung, die mich zwar immer wieder den Kopf schütteln ließ, jedoch absolut authentisch erzählt wurde, von Beginn an in ihren Bann gezogen., so dass mich dieser Thriller absolut fesselte.

Die von der Autorin erdachten Figuren waren allesamt recht extrem in ihrem Verhalten und in der Mehrheit dadurch nicht gerade sympathisch, so dass manches Mal gerne eingegriffen und Sandra oder auch Ronnie, Carina und ihrer Schwiegermutter den Kopf zurecht gerückt hätte; allerdings habe ich ihnen ihr Benehmen durchaus abgekauft, erschien es doch jederzeit authentisch und entwickelte sich im Laufe der Handlung fort.

Begeistert hat mich, wie scheinbar bedeutungslose Hinweise Fragen aufwarfen oder dern Leser zum Miträtseln animierten, bis sich am Ende alles zu einem schlüssigen Ganzen verband und dennoch weitere Überraschungen bereithielt.

Die verarbeiteten Themen verdienen meiner Meinung eine Triggerwarnung (Missbrauch, Übergriffigkeiten, Abhängigkeit, Schwerbehinderung, Pflege, Armut, Unselbständigkeit....) und haben mich emotional sehr berührt, so dass ich einige Male selbst Albträume nach der Lektüre hatte.

Für mich ein sehr guter Thriller, also vier Sterne.

Bewertung vom 10.04.2022
Noctis / Oxen Bd.5
Jensen, Jens Henrik

Noctis / Oxen Bd.5


gut

Als aus dem Hinterhalt von einem Sniper erschossene Veteranen aufgefunden werden, übernimmt der Dänische Inlandsgeheimdienst (PET) die Ermittlungen in Person von Margrethe Franck. Und auch Niels Oxen wird von Ex-PET-Chef Mossmann um Unterstützung gebeten. Als Oxen sich die Informationen der Polizistin Sally Finnsen, die merkwürdigerweise an verschiedenen Tatorten auftaucht, anschaut, erkennt er plötzlich eine Spur, die ihn in die Abgründe menschlicher Grausamkeit zieht ....

"Oxen. Noctis" ist bereits der fünfte Band des dänischen Erfolgsautors Jens Henrik Jensen um den Kriegsveteranen und ehemaligen Soldaten der dänischen Spezialeinheit Jægerkorpset Niels Oxen, der an Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und wiederkehrenden Albträumen leidet. Dieser fünfte Band ist in sich abgeschlossen und kann ohne Vorkenntnisse gelesen werden; allerdings gibt es allerhand Anspielungen auf die vorhergehenden Ereignisse, deren Kenntnis sicher hilfreich sein könnte.

Während sich der erste Teil des Thrillers - passend zu den nicht vorankommenden Ermittlungen - ein wenig zieht, nimmt die Handlung immer weiter an Fahrt auf und führt zu atemloser Spannung bis hin zu einem dramatischen Finale, das alle offenen Fragen schlüssig aufklärt.

Und diese Handlung hat es in sich und ist sicher nichts für schwache Nerven, denn zu lesen ist von menschenverachtender Grausamkeit, bizzarem Sex und Organisationen, deren Macht und Reichtum schier unermesslich sind. Und wenn Jensen den Ex-PET-Chef Axel Mossman am Ende des Buches sagen lässt: "Die Wirklichkeit übertrifft jegliche Fiktion" möchte ich mir das dann wirklich nicht mehr vorstellen, da hier sämtliche Grenzen überschritten wurden. (Und ich bin sicher nicht zartbesaitet!)

Dass in einem Mordfall nicht nur die Kriminalpolizei ermittelt, sondern auch der Politiets Efterretningstjeneste (PET), der dänische Inlandsnachrichten- und Sicherheitsdienst, ist nachvollziehbar und die Unterstützung Externer (Oxen) und der Fahndungsbehörde (Sally) wird schlüssig erklärt. Was für eine Anzahl weiterer internationaler Geheimdienste und (östlicher) Länder dann schließlich mit involviert sind und welche Grausamkeiten beschrieben wurden, war mir dann aber doch ein wenig "too much" und ich musste mich anstrengen, den Überblick zu behalten. Und dabei war jede einzelne Kleinigkeit auch wichtig und notwendig für die Handlung, so dass Aufmerksamkeit erforderlich ist!

Die Figuren sind allesamt gut entwickelt, mehrdimensional und nachvollziehbar in ihren Handlungen und auch negative Eigenschaften fügten sich harmonisch ins Bild ein, so dass ich mit ihnen mitfieberte und mir vor allem Niels Oxen, seine kongeniale Partnerin Margrethe Franck, die junge Überfliegerin Sally Finnsen und der so gut vernetzte Axel Mossman schnell ans Herz wuchsen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass der Text etliche Fehler aufweist, die möglicherweise nicht dem Autor, sondern der Übersetzerin Friederike Buchinger anzulasten sind. (Beispiele: Im letzten Teil tragen die Männer heimlich "Handfeuerwaffen" - wobei es sich per Definition um Gewehre handelt, gemeint sind aber sicherlich "Faustfeuerwaffen" = Pistolen/Revolver. Oder es findet sich "die Olympiade 1972", was richtigerweise "die Olympischen Spiele von 1972" und nicht der Verjahreszeitraum zwischen den Spielen ist. Auch das Personalpronomen "sie" ist groß geschrieben, wenn es sich ausdrücklich nicht um eine Höflichkeitsanrede handelt.) Meiner Meinung nach darf so etwas bei einem Paperback zum Preis von 16,95€ im dtv-Verlag nicht passieren.

Insgesamt hat mich das Buch gut unterhalten, ich folge jedoch nicht den Begeisterungsstürmen und vergebe ein "gut", also drei Sterne.

Bewertung vom 03.04.2022
Engel des Todes / Paul Stainer Bd.3
Ziebula, Thomas

Engel des Todes / Paul Stainer Bd.3


ausgezeichnet

1920. Ein schwer traumatisierter Ex-Soldat verübt Rache an seinen vermeintlichen Peinigern, die er gnadenlos jagt und brutal erwürgt. Kriminalinspektor Stainer ermittelt unter erschwerten Bedingungen, denn die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Leipzig nehmen seine Kollegen und ihn in Beschlag ....

Mit "Engel des Todes" legt Thomas Ziebula seinen dritten historischen Krimi um den charismatischen Kriegsveteran Paul Stainer vor, der nach seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg einen Neuanfang in der "Wächterburg" Leipzigs als Kriminalinspektor wagt.

Nicht nur, weil ich die beiden vorhergehenden Bände nicht kannte, hatte ich anfangs ein wenig Mühe, in die Handlung hineinzufinden und die Anspielungen auf Vorhergehendes einzuordnen. Doch es hat sich auf jeden Fall gelohnt, dranzubleiben und sich auf diese überaus lebendig erzählte Deutsche Geschichte einzulassen.

Überaus ergreifend schildert Thomas Ziebula die Stimmung in der frisch entstandenen Weimarer Republik, in der der Spartakusbund den proletarisch-internationalen Klassenkampf vorantrieb, während Angehörige der Reichswehr und ihr nahestehende Organisationen durch den Kapp-Putsch die junge Republik angriffen. MIsstrauen zwischen den Bürgern, Proteste und Aufmärsche bis hin zu scharfen Schüssen auf Demonstrierende und nicht selten Verletzte und Tote bestimmten das Straßenbild - und ich bin beeindruckt, wie es dem Autor gelingt, die komplizierten Verhältnisse nachvollziehbar zu schildern, die Düsternis und sogar Melancholie der Zeit zu transportieren und den Leser tief hineinzuziehen in das Geschehen. So manches Mal musste ich bestürzt nach Luft schnappen, zum Beispiel als die unschuldige Tochter eines Kollegen auf offener Straße angeschossen wird oder MIlitärs ohne Befehl auf Arbeiter schossen. Selten habe ich die Deutsche Geschichte so intensiv nacherleben können.

Ein wenig erinnerten mich die Geschehnisse an die so populäre Verfilmung Kutschers "Babylon Berlin", nur dass es hier um das ebenso betroffene Leipzig zu Republikzeiten geht; und ich muss sagen, dass Ziebulas Stainer seinem durch die Verfilmung populären Vorläufer in keinster Weise nachsteht.

Der eigentliche Kriminalfall, die Mordserie an Militärs, tritt hinter das Zeitgeschehen ein wenig zurück; nicht zuletzt, weil dem Leser der traumatisierte Mörder und seine Gedanken von Anfang an vertraut sind und es teilweise schon nicht mehr so wichtig scheint, ob und wie Stainer diesem auf die Schliche kommt.

Nach dem - wie gesagt - etwas schwierigen Einstieg entwickelte die Geschichte einen starken Sog und wies ihre ganz eigene Spannung auf, die sich in einer schönen Kurve von Anfang bis Ende durchzog und einen befriedigenden Abschluss fand.

Die Figuren sind authentisch und mehrdimensional entwickelt und man nimmt jeder einzelnen seine Facetten ab. MIr gefiel dabei auch sehr, wie deutlich die Kriegserlebnisse, Traumata und das Erlebte Einfluss auf die Protagonisten haben, ihre Seele beschädigten und ihre Handlungen bestimmten, so dass der Krieg auch noch mal zu einem anderen Bewusstsein beim Leser kommt sowie die Ecken und Kanten der Handelnden gut nachvollziehbar sind.

Der gute, flüssige Schreibstil rundete das Leseerlebnis ab.

Wer sich auf das zugegebenermaßen nicht ganz leichte Thema und die Anfangshürde einlässt, findet in "Engel des Todes" ein hervorragendes Buch über ein wichtiges Stück Deutsche Geschichte, unterhaltsam aufbereitet als Kriminalfall von einem Autor, dessen Name man sich merken sollte!
Ich vergebe 4,5 Sterne.

Bewertung vom 22.03.2022
Gezeitenmord / Teit und Lehmann ermitteln Bd.1
Jürgensen, Dennis

Gezeitenmord / Teit und Lehmann ermitteln Bd.1


ausgezeichnet

Direkt im Dänisch-Deutschen Grenzgebiet im Wattenmeer wird die Leiche des Kriminellen Bjarke Laumann gefunden; gleichzeitig wird der elfjährige Villard vermisst. Während die lokale Polizei die Entführung aufklären soll, wird die Kriminalassistentin Lykke Teits zur Aufklärung ihres ersten Mordes nach Melum geschickt, ihr zur Seite steht der erfahrene Ermittler Rudi Lehmann aus Flensburg. Schnell stoßen die Kriminalisten auf weitere Rätsel im gar nicht so beschaulichen Melum und es stellt sich die Frage, ob und wie die Vermisstenfälle und Morde zusammenhängen ...

Dennis Jürgensen, einer der beliebtesten dänischen Autoren, legt mit "Gezeitenmord" den Beginn einer neuen Reihe um das dänisch-deutsche Ermittlerteam Lykke Teits und Rudi Lehmann vor und endlich sein erstes Buch, das im deutschen Sprachraum veröffentlicht wird.

Hierbei liegt neben dem eigentlichen Kriminalfall ein weiterer Schwerpunkt auf der Einführung der Hauptprotagonisten Lykke und Rudi, die authentisch und mehrdimensional auch mit ihren persönlichen Abgründen, Ecken und Kanten beschrieben werden. Zu Beiden konnte ich schnell eine Beziehung aufbauen und mich gut in ihre Gedankengänge hineinversetzen. Positiv empfand ich auch, dass sie nicht dem Klischee des rauchenden, trinkenden Einzelgängers entsprachen, das so oft in skandinavischen Kriminalromanen zu finden ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich nicht zuletzt dem Übersetzer Ulrich Sonnenberg ein Lob aussprechen, dem es gelungen ist, den feinen Wortwitz in der deutschen Übersetzung zu erhalten. Oftmals musste ich vor allem bei Rudis Einwürfen zumindest schmunzeln und so entstand ein angenehmer Kontrast zu den sehr brutalen Mordfällen.

Der Krimi ist von der ersten Seite an spannend und spitzt sich durch zahlreiche neue Informationen und überraschende Wendungen immer weiter zu bis zu einem großen Showdown am Ende, in dem sich alle losen Fäden verbanden und es nachvollziehbare, schlüssige Aufklärungen gab.

Und auch Jürgensens Schreibstil gefällt mir gut; flüssig führt er uns durch die Ermittlungen und ich wurde perfekt unterhalten.

Mein einziger Kritikpunkt gilt der Tatsache, dass wieder einmal mehr eine Nazi-Vergangenheit beschrieben wird, was im Ausland ja immer wieder mit Deutschland in Verbindung gebracht wird und das auch nicht einmal mit der eigentlichen Geschichte zu tun hat, doch glücklicherweise ist dieses Thema auf ein Kapitel beschränkt.

Insgesamt hat mich dieser Krimi begeistert und ich vergebe 4,5 Sterne - und freue mich schon auf neue Fälle dieses harmonischen ErmittlerDuos.

Allerdings möchte ich abschließend noch eine Triggerwarnung aussprechen, da die Themen "Pädophilie" und "Kindesentführungen" sowie die brutal ausgeführten Morde den ein oder anderen Leser negativ berühren könnte.

Bewertung vom 16.03.2022
Die Schokoladenfabrik - Das Geheimnis der Erfinderin / Die Stollwerck-Saga Bd.2
Eder, Rebekka

Die Schokoladenfabrik - Das Geheimnis der Erfinderin / Die Stollwerck-Saga Bd.2


sehr gut

Dies ist der zweite Teil der Stollwerck-Saga, jedoch kann er auch unabhängig vom ersten Teil gelesen werden. Vorwissen kann jedoch nicht schaden

Bewertung vom 16.03.2022
Der dreizehnte Mann / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.2 (eBook, ePUB)
Schwiecker, Florian; Tsokos, Michael

Der dreizehnte Mann / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

Im Rahmen eines Experimentes eines Sozialpädagogen wurden über 30 Jahre lang Jugendliche und Pflegekinder aus zerrütteten Familien von Berliner Jugendämtern in die Obhut von pädophilen Männern gegeben. Dazu gehörten auch Timo Krampe und Jörg Grünwald, die nach mehreren erfolglosen Versuchen, ihre Geschichte öffentlich zu machen und Wiedergutmachung zu erlangen, sich an die Journalistin Anja Liebig wenden. Doch Jörg Grünwald verschwindet spurlos - und taucht nach einigen Tagen als Wasserleiche wieder auf. Liebig und Krampe wenden sich an den Rechtsanwalt Rocco Eberhardt, der zusammen mit seinen Freunden, dem Rechtsmediziner Justus Jarmer und dem Privatermittler Tobias Baumann schon bald zahlreiche Hinweise finden, dass der hochrangige Politiker Markus Palme dieses Experiemt gefördert hatte und es stellt sich die Frage, ob er auch bei dem Mord an Grünwald seine Hände im Spiel hatte .... Eine aufsehenerregende Gerichtsverhandlung bringt Überraschendes zu Tage.

Mit "Der dreizehnte Mann" legen der Berliner Strafverteidiger Florian Schwieker und der Professor für Rechtsmedizin Michael Tsokos bereits ihren zweiten Titel um - Achtung: Duplizität! - den Rechtsanwalt Rocco Eberhardt und den Rechtsmediziner Justus Jarmer vor. Es ist für das Verständnis dieses Falles nicht zwingend nötig, den ersten Band zu kennen; da es jedoch zahlreiche Anspielungen und Verweise gibt, könnte es hilfreich sein.

Die Schreibweise ist geprägt von der Sachkenntnis und dem juristischen Stil der Autoren. Die Kapitel sind allesamt sehr kurz und jeweils überschrieben mit Ort und Zeit der Handlung, was meiner Meinung nach insgesamt etwas zu genau ist. Und auch die Schreibweise ist kurz und knapp und auf das Wesentliche beschränkt, was gut zum Thema passt, manche Fragen für mich jedoch offen ließ.

Anfangs hatte ich ein wenig Mühe, mich in den Stil hineinzufinden, wurde aber mehr und mehr von der Geschichte gepackt und diese wurde doch noch spannend. Obwohl von Anfang an eigentlich kein Geheimnis um den wahren Schuldigen an den widerlichen Experimenten gemacht wurde, gab es dennoch eine einigermaßen überraschende Wendung im Prozess am Ende.

Mit dem Wissen, dass es dieses unfassbare Experiement tatsächlich gegeben hat und so vielen Kindern von Jugendämtern dadurch schwerstes Leid zugefügt wurde, ging mir dieser Krimi besonders unter die Haut und ich denke, dass mich diese Geschichte noch lange beschäftigen wird, auch wenn die (fiktiven) Figuren dieses True-Crime Buches ein wenig blass blieben hinter dem Fall.

Und wer sich nun fragt, was der Titel zu bedeuten hat:
Dies ist der Fall des dreizehnten Mannes - denn nach einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation ist jeder 13. Junge und jedes 5. Mädchen weltweit von Missbrauch betroffen!

Trotz einiger Kritikpunkte vergebe ich 4 Sterne und eine klare Leseempfehlung. Das unerträgliche Handeln der Jugendämter verdient, in die Öffentlichkeit getragen und Kinder geschützt zu werden.