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Insgesamt 212 Bewertungen
Bewertung vom 19.07.2021
Nähle, Kirsten

Zwölf Sünden


ausgezeichnet

Inhalt: Würzburg. Ein Familienvater springt während des Stadtlaufs „Würzburg läuft“ von der Alten Mainbrücke. Auf den ersten Blick deutet alles auf einen Selbstmord hin, doch mit der Zeit kommen Oberkommissarin Victoria Stahl und ihrem Partner Daniel Freund Zweifel. Kurze Zeit später ereignet sich ein neuer Todesfall: Ein Pharmavertreter wird vergiftet aufgefunden – in der Nähe der Alten Mainbrücke. Gleichzeitig bekommt Susanne Riehl, Journalistin und Freundin von Daniel, seltsame Nachrichten einer Gruppe, die sich selbst „Die Wächter“ nennt. Haben Victoria und Daniel es mit Serienmördern zu tun?

Persönliche Meinung: „Zwölf Sünden“ ist der Auftakt einer neuen Krimi-Reihe von Kirsten Nähle. Erzählt wird der Roman wechselweise aus den Perspektiven von Victoria, Daniel und Susanne. Zwischendurch werden immer wieder kürzere Szenen eingestreut, die aus der Sichtweise der „Wächter“ geschrieben sind und deren Vergangenheit erzählen. Was mir in Bezug auf Victoria, Daniel und Susanne besonders gefallen hat, ist, dass sie nahbar sind: Neben ihrer Arbeit werden sie auch von privaten Problemen und Alltagssorgen eingenommen wie bspw. die Alzheimererkrankung der Mutter oder das Eingewöhnen in eine neue Arbeitsstelle. Dadurch besitzen die drei Figuren eine schöne Tiefe und Dreidimensionalität, was sie authentischer, menschlicher und letztlich auch sympathisch macht. Darüber hinaus trumpft „Zwölf Sünden“ mit einer durchweg spannenden Handlung und einem durchdacht konstruierten Fall auf, der zudem ein überraschendes Ende besitzt. Durch die häufigen Perspektivwechsel und die kurzen Kapitel ist das Erzähltempo vergleichsweise hoch, sodass im Roman keine Passagen zu finden sind, in denen die Luft raus ist. Außerdem ist Würzburg, der Handlungsort des Krimis, nicht nur bloße Kulisse, vor der die Figuren agieren, sondern entscheidend für die Fallkonstruktion: Aus einem bestimmten Grund, der im Handlungsverlauf offenbart wird, ist ein Würzburger Bauwerk immens wichtig für die Taten der „Wächter“. Mir hat daran besonders gefallen, wie durchdacht und eng dieses Bauwerk in die Handlung eingeflochten ist (mehr kann ich ohne Spoiler nicht verraten). Daneben wird die Stadt am Main lebendig beschrieben, sodass man dem Roman auch ohne Ortskenntnis sehr gut folgen kann. Der Schreibstil von Kirsten Nähle lässt sich sehr angenehm und flüssig lesen. Insgesamt ist „Zwölf Sünden“ ein spannender Kriminalroman mit schön ausgestalteten, sympathischen Figuren, der auch Leser*innen fesseln wird, die noch nie in Würzburg waren.

Bewertung vom 14.07.2021
Bank, Jan von der

Die Farbe der See


sehr gut

Inhalt: Kiel 1939. Unverhofft darf der 19-jährige Segelmacher Ole Storm an der Starboot-WM teilnehmen. Sein Steuermann, Konteradmiral Paul von Wellersdorf, gilt als einer der besten Segler, doch es ist Oles besondere Fähigkeit, die den beiden Siege einfährt: Anhand des Farbwechsels des Meeres erkennt Ole Strömungs- und Tiefenunterschiede, die man sich beim Segeln zunutze machen kann. Einige Monate später treffen sich der Konteradmiral und Ole unter anderen Vorzeichen wieder. Der Krieg hat begonnen. Wieder segelt Ole unverhofft unter dem Konteradmiral – diesmal auf der „Skagerrak“, eine Segelyacht, die eigentlich zur Ausbildung der Offiziersanwärter dient. Doch von Wellersdorf hat ganz eigene Pläne mit der Yacht, wofür er Oles besondere Fähigkeit braucht…

Persönliche Meinung: „Die Farbe der See“ ist ein Roman von Jan von der Bank, der zeitlich vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges spielt. Erzählt wird die Handlung von einem personalen Erzähler aus der Perspektive Oles. Eine Besonderheit des Romans ist sein maritimes Setting: Die Handlungsorte sind hauptsächlich das Kattegat, das Meeresgebiet zwischen Schweden und Jütland, und die Meerengen der schwedischen Küste. Die Protagonisten durchsegeln diese Meerengen in zum Teil waghalsigen und abenteuerlichen Manövern, was besonders für segelaffine Leser*innen interessant ist. Aber auch, wenn man mit Segeln nichts am Hut hat, kann man sich sehr gut in die Manöver hineinversetzen, da sie anschaulich und ausführlich beschrieben werden. Daneben wird eine spannende Handlung geboten. Anfangs noch eher Abenteuerroman entwickelt sich „Die Farbe der See“ immer mehr zu einem spannenden Spionageroman. KLEINER SPOILER Die „Skagerrak“ transportiert nämlich eine den Kriegsverlauf entscheidend verändernde Fracht, die aus Deutschland herausgeschmuggelt werden soll, damit sie nicht in die Hände der Nationalsozialisten fällt. Diese wollen die „Skagerrak“ aber nicht einfach ziehen lassen, sodass ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel quer durch das Kattegat beginnt. SPOILER ENDE Die genaue Route von Ole Storm lässt sich auf drei Seekarten, die im Buch abgedruckt sind, sehr gut nachvollziehen. Zu diesem Haupthandlungsstrang gesellt sich in einer Nebenhandlung noch eine Liebesgeschichte. Die Handlung ist insgesamt äußerst wendungsreich und dramatisch: Nicht jeder wird die Fahrt überleben, Nationalsozialisten fahren unerkannt auf der „Skagerrak“ mit und als sicher geltende Allianzen sind brüchig. Dadurch ist die Handlung spannend und sehr unvorhersehbar. Insgesamt ist „Die Farbe der See“ ein spannender, wendungsreicher Spionageroman vor einem maritimen Hintergrund.

Bewertung vom 01.07.2021
Beck, Jan

Das Spiel - Es geht um Dein Leben / Björk und Brand Bd.1


sehr gut

Inhalt: Ein brutales Spiel hat begonnen. Jede*r - mit dem nötigen Kleingeld - kann sich beteiligen. Die Opfer, normale, unbescholtene Menschen, die noch nichts von ihrer Beteiligung am Spiel wissen, sind bereits von langer Hand ausgewählt und markiert worden. Das Ziel? Möglichst viele Opfer ausschalten, um Punkte für den großen Jackpot zu sammeln. Eher zufällig gerät der Ermittler Christian Brand in das Fahrwasser des Spiels und ist, ehe er es ahnt, bereits mittendrin…

Persönliche Meinung: „Das Spiel“ ist ein Thriller von Jan Beck. Das Besondere an diesem Thriller ist, dass er aus unterschiedlichsten Perspektiven erzählt wird (keine Angst: Man kann der Handlung trotzdem sehr gut folgen, da zu Beginn der einzelnen Kapitel angegeben wird, wann das jeweilige Kapitel spielt und welche Hauptfigur agiert). Nicht nur die Perspektiven der beiden Hauptermittler und der Täterfigur werden eingenommen, sondern auch die der Opfer und eines Journalisten, der auf eigene Faust in Sachen "Spiel" ermittelt. So entsteht für die Leser*innen ein Mosaikbild des Falles, das Stückchen für Stückchen, von Perspektive zu Perspektive vervollständigt wird, bis es in einem großen Finale gipfelt. Die eher kurzen Kapitel enden häufig mit einem Cliffhanger und ihr Wechsel ist rasant, wodurch ein schöner Spannungsbogen erzeugt wird. Trotz aller Informationen, die man bereits sammeln konnte, ist das Ende überraschend. Einzelne Fragen werden hier eher kurz beantwortet und bleiben daher teilweise offen. Das fällt für mich allerdings nicht so sehr ins Gewicht, da das Ende insgesamt stimmig ist. Originell ist die Art, wie die Opfer markiert worden sind: Sie tragen alle unwissentlich ein UV-Tattoo eines Skorpions, allerdings unterscheidet sich jedes Tattoo in einem bestimmten Aspekt, der einen entscheidenden Hinweis darauf gibt, auf welche "Art" man bei dem jeweiligen Opfer Punkte sammeln kann (mehr kann ich nicht verraten). Besonders hat mir der Handlungsstrang von Mavie gefallen. Mavie, ebenfalls unfreiwillig mit einem UV-Tattoo versehen und dadurch auf der Liste des „Spiels“, ist eine Jugendliche, die es aus verschiedenen Gründen nicht leicht hat. In ihrem Handlungsstrang vermischen sich die Flucht und Angst vor dem Mörder mit Elementen des Coming of Age bzw. der Selbstfindung, wodurch Mavie eine größere Tiefe erhält. Der Thriller lässt sich sehr flüssig lesen, sodass man nur so durch die Seiten fliegt. Insgesamt ist „Das Spiel“ ein temporeicher, spannender Thriller, der einige originelle Ideen und einen sehr schönen Erzählstil besitzt.

Bewertung vom 13.06.2021
Bank, Jan von der

In den Sturm


sehr gut

Inhalt: Gerade haben die Kadetten der Gorch Fock überraschenderweise die alljährliche Kutterregatta der „Kieler Woche“ gewonnen. Das wollen die Kuttersegler um den Offiziersanwärter Thies Hansen nun gebührend feiern. Mit dabei ist auch Pia, die Steuerfrau eines Kutters, den die Gorch Fock-Kadetten knapp ausstechen konnten. Doch so fröhlich die Feier am Abend war, so erschreckend ist das Erwachen. Die Leiche von Pia wird, treibend im Wasser, aufgefunden. Dringend tatverdächtig: Die Kuttersegler der Gorch Fock. Zwar darf das Segelschulschiff dennoch auslaufen, doch auf hoher See beginnt das Morden. Schnell wird klar: Der Mörder hat es auf die Gewinner der Regatta abgesehen…

Persönliche Meinung: „In den Sturm“ ist ein maritimer Krimi von Jan von der Bank. Erzählt wird der Krimi aus der Perspektive des Offiziersanwärters Thies Hansen (dritte Person), der hochsensibel ist, was für ihn den Alltag auf der Gorch Fock nicht leicht macht. Der Krimi beginnt gemächlich, wobei ausführlich auf das Leben auf der Gorch Fock und den Ablauf der Kutterregatta eingegangen wird. Danach steigert der Krimi sein Tempo stetig und gewinnt permanent an Spannung. Die Mannschaft der Gorch Fock hat es mit zwei Bedrohungen zu tun. Im Inneren, auf dem Schiff, treibt ein Mörder sein Unwesen, gleichzeitig droht auch von außen Gefahr: Ein unberechenbarer Sturm umringt das Schiff. Strukturell interessant ist dabei, dass beide Gefahren parallel zueinander an Bedrohlichkeit gewinnen. Während die Taktung des Mordens zunimmt, gewinnt auch der Sturm immer mehr an Stärke. Dementsprechend wird – neben der Fallermittlung – auch thematisiert, wie die Mannschaft gegen den Sturm kämpft. Dabei sind die Beschreibungen realitätsnah (der Autor war selbst Mitglied der Gorch Fock), fachmännisch und gespickt mit nautischem Fachvokabular (am Ende es Krimis befindet sich ein Glossar, das viele Begriffe erklärt). Die wahre Identität der Täterfigur ist bis zuletzt offen und wird mit einem überraschenden Twist offenbart. Insgesamt ist „In den Sturm“ ein spannender Krimi, der durch ein realitätsnah beschriebenes maritimes Setting besticht.

Bewertung vom 07.06.2021
Baron, Adam

Auftauchen / Cyms Geschichte Bd.2


ausgezeichnet

Inhalt: Nanai Chang, Veroniques Großmutter, möchte nicht mehr essen, will aber niemandem verraten, was der Grund dafür ist. Das belastet Veronique sehr und ihr bester Freund Cymbeline, genannt Cym, sorgt sich nicht minder um Nanai. Cym weiß nämlich aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, wenn Erwachsene die wirklich wichtigen Dinge verschweigen. Schnell steht für ihn fest: Er möchte Veronique helfen und herausfinden, warum Nanai nichts mehr isst. Doch während die beiden in Nanais Vergangenheit abtauchen, passiert an ihrer Schule etwas Schlimmes: Irgendjemand spielt Mrs Martin, der beliebtesten und nettesten Lehrerin der Schule, Streiche, die sie sehr treffen.

Persönliche Meinung: Nach „Freischwimmen“ ist „Auftauchen“ das zweite Kinder- und Jugendbuch von Adam Baron, das sich um den 9-jährigen Cymbeline Iglu und seine Freunde dreht. Die Handlungen beider Romane sind in sich abgeschlossen, allerdings würde ich zunächst mit „Freischwimmen“ beginnen. Dort macht Cym entscheidende Ent- und Aufdeckungen über sich und seine Familie, sodass man ihn in „Auftauchen“ besser versteht, wenn man „Freischwimmen“ bereits kennt. Erzählt wird „Auftauchen“ aus der Ich-Perspektive Cyms. Er besitzt eine treuherzige Unbefangenheit und sieht bestimmte Dinge eher mit einem unkritischen, kindlichen Blick, was einerseits erfrischend und authentisch ist, andererseits zu einigen urkomischen Szenen führt, weshalb man beim Lesen immer mal wieder schmunzeln und auflachen muss. „Auftauchen“ ist allerdings kein einfaches Ulkbuch: Denn trotz aller Komik beinhaltet es auch ernste Themen, die nachdenklich machen. So spielen im Roman Verlust, Trennung und das Fällen von schwerwiegenden Entscheidungen eine Rolle. Dabei halten sich Komik und Tragik – wie schon in „Freischwimmen“ – perfekt die Waage, beide sind schön dosiert, wirken ungezwungen und nicht deplatziert. Der Handlungsbogen des Buches erinnert an Detektivromane, wobei unser kleiner Detektiv Cym gleich zwei „Fälle“ zu lösen hat. Während der eine ihn tiefer in die Familiengeschichte der Changs führt, dreht sich der andere stärker um rätselhafte Dinge, die in Cyms Schule vorgehen. Beide Handlungsstränge sind spannend und besitzen eine überraschende Auflösung. Der Erzählstil ist – passend zum Protagonisten Cym – umgangssprachlich, sodass sich „Auftauchen“ sehr flüssig lesen lässt. Insgesamt ist „Auftauchen“ ein spannendes Kinder- und Jugendbuch, das ernste und komische Situationen schön miteinander verknüpft und dadurch zu einem besonderen Lesevergnügen wird.

Bewertung vom 28.05.2021
Suchanka, Stefan

Unser letzter Tag


ausgezeichnet

Inhalt: Köln. Heute, um 20:12 Uhr, wird ein Asteroid auf die Erde fallen und vermutlich alles Leben auslöschen. Ludwig möchte diesen letzten Tag noch einmal nutzen, um seine alten Freunde aus Schultagen zu besuchen. Sind sie noch so, wie er sie kennt? Frönen sie immer noch ihren Lastern? Der letzte Tag beginnt.

Persönliche Meinung: „Unser letzter Tag“ ist ein satirischer Roman von Stefan Suchanka. Die Handlung dreht sich um Ludwig, der am letzten Tag der Menschheit seine sieben Schulfreunde nochmal besucht. Ludwigs Besuche sind aber keine Freundschaftsdienste. Im Gegenteil: Er stürzt die sieben Menschen, die er besucht, in Sinnkrisen, mit denen sie sich am letzten Tag – mehr oder weniger – erfolgreich auseinandersetzen (müssen). Die Sinnkrisen hängen dabei jeweils mit den sieben Todsünden zusammen, wodurch „Unser letzter Tag“ parabelhafte Züge erhält. Handlungsort ist hauptsächlich Köln-Ehrenfeld, genauer: die Venloer Straße. Leser*innen, die sich dort auskennen, werden einiges Bekanntes entdecken – aber nicht immer so, wie man es eigentlich kennt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine große Supermarktkette, die in Köln von einem Franchisepartner betrieben wird, kommt auch im Roman vor. Im Roman erhält die Kette aber augenzwinkernd einen anderen Namen, der lautlich noch an sein Original erinnert, aber doch ganz anders ist, wodurch ein schöner (Insider)Witz entsteht. An dem Beispiel sieht man schon, dass Stefan Suchanka die Romanhandlung bis ins Kleinste durchdacht und komponiert hat. So auch in den Kapiteln selbst. Auf den ersten Blick erscheinen sie losgelöst voneinander. Einziges Bindungsglied: Ludwig. Doch je mehr Kapitel man liest, desto mehr Querverweise werden bewusst. Orte, die eine Figur im vorherigen Kapitel besucht hat, werden erneut aufgesucht; Nebenfiguren, die bereits cameoartig aufgeblitzt sind, spielen in einem anderen Kapitel eine größere Rolle. Der Erzählstil ist dabei ironisch bis bissig; die Wortwahl pointiert, wodurch sich „Unser letzter Tag“ flüssig lesen lässt. Außerdem werden immer wieder gesellschaftlich wichtige Themen angesprochen, häufig in ironischer Brechung, sodass es zu einigen urkomischen Szenen kommt. Interessant ist ebenfalls, dass der Roman einen Interpretationsspielraum lässt. Was passierte da tatsächlich am letzten Tag? Nur so viel: Ohne tieferen Sinn ist in „Unser letzter Tag“ nichts. Insgesamt ist „Unser letzter Tag“ ein schön komponierter, humorvoller Roman, der zugleich ernste Themen anspricht und aufmerksame Leser*innen mit Easter Eggs belohnt.

Bewertung vom 28.05.2021
Dieckerhoff, Christiane

Verfehlt / Ermittlungen im Spreewald Bd.2


ausgezeichnet

Inhalt: Spreewaldfest in Lübbenau. Die Menschen sind ausgelassen, der Musikexpress dreht seine Runden und Kommissarin Klaudia Wagner hat alles im Griff. Doch dann endet das Fest mit einem Fanal: Während des Schützenumzugs auf der Spree fällt der Schützenkönig plötzlich in den Fluss – tödlich verwundet mit einem Wurfmesser. Kurze Zeit später entgeht Schiebschick, ein alter Kahnstaker, der Klaudia unter seine Fittiche genommen hat, nur knapp einem ähnlichen Messerangriff – nur um Minuten später doch mit einem Messer im Rücken aufgefunden zu werden. Wer hat es auf die beiden abgesehen? Was haben sie sich zu Schulden kommen lassen?

Persönliche Meinung: „Verfehlt“ ist der sechste Spreewald-Krimi mit der Ermittlerin Klaudia Wagner aus der Feder von Christiane Dieckerhoff. Nach „Vermisst“ ist er der zweite Band, der im Aufbau Verlag erschienen ist. Die Handlung ist durchweg spannend und schön durchdacht: Wie schon in „Vermisst“ finden sich immer wieder geschickt gestreute Hinweise, die zur Klärung des Falls beitragen können und zum Miträtseln und -denken einladen. Einzelne Hinweise entpuppen sich dabei als falsche Fährten, andere führen näher an die Lösung des Rätsels heran. Trotz aller Hinweise hält das Ende allerdings noch die ein oder andere Überraschung bereit, die man nicht unbedingt erahnen konnte. Der Handlungsort, der Spreewald, ist mit seinen Spreearmen und Kanälen authentisch ausgestaltet. Neben dem Fall spielt auch das Privatleben der Figuren eine größere Rolle (ohne, dass die Fallermittlungen aus dem Fokus geraten). Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Beziehungen der Figuren (Freundschaften, Liebesbeziehungen, kollegiale Streitigkeiten und Kompetenzgerangel) gelegt. Diese entwickeln sich von Band zu Band weiter und bilden so einen roten Faden durch die Krimireihe. Der Fall ist in sich abgeschlossen und man kann „Verfehlt“ auch ohne Kenntnis der vorherigen Bände lesen. Allerdings versteht man die Beziehungen der Figuren leichter und tiefergehend, wenn man die Vorgängerbände kennt. Neueinsteiger*innen, die mit „Verfehlt“ in die Reihe starten, wird es aber nicht schwer gemacht: Wenn es für das Verständnis nötig ist, werden zur (gemeinsamen) Vergangenheit der Figuren Andeutungen gemacht, die allerdings nicht die Handlung der Vorgängerbände spoilern. Der Schreibstil von Christiane Dieckerhoff lässt sich flüssig lesen und ist anschaulich. Besonders die lebendigen Dialoge haben mir gefallen. Insgesamt ist „Verfehlt“ ein spannender Krimi mit viel Lokalkolorit, der zum Mitraten einlädt und ein überraschendes Ende besitzt.

Bewertung vom 13.05.2021
Siemer, Nicole

Vanille und Verwesung


ausgezeichnet

„Vanille und Verwesung“ beinhaltet die drei Horrornovellen „Kind des Waldes“, „Gib ihn zurück!“ und „Der weiße Raum“. Die ersten beiden Novellen sind bereits als E-Book veröffentlicht worden. „Der weiße Raum“ ist in „Vanille und Verwesung“ erstveröffentlicht.



„Kind des Waldes“

Inhalt: Eine fünfköpfige Freundesgruppe reist spaßeshalber auf der Suche nach Geistern und Gespenstern quer durch Deutschland. Noch haben sie keine gefunden und rechnen eigentlich auch gar nicht damit. Doch ihr nächster Stopp ist der Grubinger Forst…

Persönliche Meinung: „Kind des Waldes“ ist eine Horrornovelle von Nicole Siemer. Erzählt wird sie retrospektiv aus der Ich-Perspektive von Farian, einem der fünf Freunde. Die Handlung beginnt zunächst ruhig, wobei die Interaktion der fünf Freunde untereinander dynamisch und witzig ist. Schrittweise treten allerdings gekonnt gesetzte Horrorelemente hinzu, die sich zu einem (blutigen) Finale steigern, dessen Verlauf überraschend ist. Das Monster, das im Grubinger Forst haust, agiert dabei – auf den ersten Blick – etwas irrational und wahllos, was mich zunächst irritiert hat. Allerdings wird die spezifische Logik, nach der es handelt, am Ende der Handlung offenbart, sodass es insgesamt stimmig ist.



„Gib ihn zurück!“

Inhalt: In Grubingen häufen sich mysteriöse Todesfälle. Die Opfer sind immer Erwachsene. Gleichzeitig verschwinden Kinder spurlos. Als Lara seltsame Gerüche und Geräusche wahrnimmt und sich plötzlich auch noch ihr Sohn Mikel seltsam verhält, scheint die mysteriöse Bedrohung ihre Familie als nächstes Opfer ausgewählt zu haben...

Persönliche Meinung: „Gib ihn zurück!“ ist eine Horrornovelle mit Thrillerlementen von Nicole Siemer. Erzählt wird die Handlung aus der Perspektive Laras. Lara und ihre Sorgen sind lebensnah und – trotz der Kürze des Textes – ausführlich ausgestaltet, sodass man sich sehr gut mit ihr identifizieren kann und mit ihr bangt. Spannung wird durch unterschiedliche Thrillerelemente erzeugt: Lara fühlt sich beobachtet, hört Geräusche im Haus, die keinen Ursprung zu haben scheinen, und nimmt mehrfach wechselnde Gerüche wahr, deren Herkunft ebenfalls rätselhaft ist. Dadurch entsteht eine schöne Spannungskurve mit unerwarteten Wendungen, sodass die Handlung durchweg packend ist.



„Der weiße Raum“

Inhalt: Für Maylea könnte es gerade nicht besser laufen: Ihr Ehemann, Theo, hatte einen Unfall und – stirbt wahrscheinlich. Endlich kann sie das Leben führen, das sie schon immer wollte. Doch während Maylea ihre Zukunft plant, erwacht Theo in einem weißen Raum und ist kurze Zeit später auf wundersame Weise völlig genesen…

Persönliche Meinung: „Der weiße Raum“ ist mit ca. 170 Seiten die längste der drei Novellen und tendiert damit schon in Richtung Roman. Die Protagonisten der Erzählung sind zwei Antihelden: Sowohl Maylea, die ein Doppelleben führt, als auch Theo, der immens eifersüchtig ist und Mordfantasien in sich trägt, sind eher unsympathisch gezeichnet. Während der Handlung entwickeln sich die beiden allerdings, sodass sie teilweise und bedingt sympathischer werden. Die Geschichte besitzt eine schöne Spannungskurve mit einigen unerwarteten Wendungen. So zeigen einzelne Figuren erst im Verlauf der Handlung ihr wahres Gesicht. Außerdem weiß man bis zur Auflösung am Schluss nicht genau, was mit Theo im weißen Raum passiert ist. Zuletzt trumpft das Ende mit einem tollen Twist auf. Auch finden sich, wie schon in den anderen beiden Novellen, schön gesetzte Horrorakzente.



Fazit:

Die Klammer, die die drei Novellen verbindet, ist ihr Handlungsort: Alle drei spielen in Grubingen, einem Epizentrum des Horrors. Der Schreibstil von Nicole Siemer ist novellenübergeifend flüssig zu lesen und anschaulich. Insgesamt hat mir „Gib ihn zurück!“ am besten gefallen, dicht gefolgt von „Der weiße Raum“, weil sie eher zum Horrorthriller-Genre tendieren (Das ist aber eine ganz subjektive Meinung. Ich lese meist Thriller und habe mich in diesen beiden Novellen „he

Bewertung vom 02.05.2021
Roth, Angelina

Die Closerie


ausgezeichnet

Ein sprachlich schöner Roman über Freundschaft, Kunst und das Leben

Inhalt: Damian, ein angehender Schriftsteller, der gerade sein Studium beendet hat, möchte die Tradition des Pariser Cafés „Closerie des Lilas“ aufleben lassen. Dort trafen sich in den 1920er Jahren regelmäßig namhafte Künstler_innen und Schriftsteller_innen wie Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald, Gertrude Stein und Pablo Picasso um über ihre Werke/Ideen zu diskutieren und sie zu präsentieren. Damian geht 100 Jahre später einen anderen Weg, um Gleichgesinnte zu treffen: Er stellt einen Aufruf online, auf den Johannes, ein menschenscheuer Informatiker/Lyriker und Natascha, eine ehemalige Unternehmerin, die Malerin werden möchte, reagieren. Künftig tauschen sich die drei über ihre Webcams aus. Die virtuelle Closerie ist geboren.

Persönliche Meinung: „Die Closerie“ ist ein Künstlerroman von Angelina Roth, der sich um eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen drei (angehenden) Künstler_innen dreht. Die drei Hauptfiguren Damian, Johannes und Natascha sind – im positiven Sinne – verschroben. Während der eine Menschen scheut und der andere seltsame Gespräche mit seiner Katze führt, hat die nächste ihren Hasen ausstopfen lassen – weil sie ein schlechtes Gewissen hat (der Hase ist wahrscheinlich verhungert, weil sie nur arbeiten war). Jede Figur besitzt außerdem eine tragische Hintergrundgeschichte, wodurch sie eine größere Tiefe erhält. Langsam entwickelt sich zwischen den dreien eine besondere Freundschaft. Sie tauschen sich über ihr künstlerisches Schaffen aus, muntern sich auf, geben sich Tipps und lernen einander so immer besser kennen. Gleichzeitig läuft aber nicht alles reibungslos. Sie erleben neben den Höhen auch Tiefen, die sie aber letztlich stärker zusammenschweißen. Daneben spielen auch das Künstlerdasein und die Kunst im Allgemeinen in der Handlung eine große Rolle. Die drei diskutieren Möglichkeiten und Grenzen ihrer jeweiligen Kunst, besuchen eine Messe, reden über den Literaturmarkt und tauschen sich darüber aus, was überhaupt das Künstlerdasein ausmacht bzw. von welchem Schlag „Mensch“ ein Künstler ist. Zusätzlich ist die Handlung gewürzt mit einer Prise Humor. Erzählt wird der Roman hauptsächlich von einer auktorialen Erzählinstanz; einzelne Kapitel sind allerdings aus der Ich-Perspektive Damians geschrieben. Der Schreibstil von Angelina Roth hat mir sehr gut gefallen. Er ist stilistisch ausgesprochen schön; die Wortwahl überlegt und klar. Zudem sind die Dialoge zwischen den dreien sowohl witzig als auch authentisch und lebendig. Insgesamt ist „Die Closerie“ ein thematisch außergewöhnlicher und sprachlich schöner Roman mit starken Figuren und einer Handlung, die ein wohliges Gefühl beim Lesen auslöst.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.03.2021
Wells, Benedict

Hard Land


ausgezeichnet

Die Entdeckung der Euphancholie

Inhalt: Grady (Missouri) 1985. Der fünfzehnjährige Sam ist ein Außenseiter. Sein einziger Freund ist weggezogen, sein Vater arbeitslos, seine Mutter an Krebs erkrankt. Nun soll er auch noch den Sommer bei seiner Tante in Kansas verbringen, wo auch seine zwei Cousins wohnen, die ihn schon des Öfteren verprügelt haben. Um den „Urlaub“ in Kansas zu umgehen, nimmt er einen Ferienjob im ortsansässigen Kino an. Dort freundet er sich mit anderen Jugendlichen an, verliebt sich und erlebt den Sommer seines Lebens – bis sich die Krankheit seiner Mutter zurückmeldet.

Persönliche Meinung: „Hard Land“ ist ein Coming-of-Age-Roman von Benedict Wells. Erzählt wird die Handlung retrospektiv aus der Ich-Perspektive von Sam, dessen Gedanken und Gefühle authentisch und emphatisch beschrieben werden. Die Krebserkrankung seiner Mutter ist in seiner Gefühlswelt omnipräsent: Er sehnt sich nach Normalität und Unbeschwertheit, sucht sie auch, allerdings holt der Gedanke an den möglichen Tod seiner Mutter ihn immer wieder ein, sodass potentiell jede schöne Situation kippen kann. Kurzzeitig schleicht sich auch der Gedanke ein, dass die ganze Last, die die Krankheit seiner Mutter auf die Familie ausübt, mit dem Tod der Mutter endlich vorbei wäre. Gleichzeitig plagen ihn Gewissensbisse: Darf er auf seine Mutter wütend sein? Generell sind die Figuren schön ausgestaltet. Sie besitzen durch ihre Hintergrundgeschichten und die Darstellung ihrer Gedanken- und Gefühlswelt eine große Tiefe. Durchströmt ist die Handlung mit euphancholischen Momenten. Der Begriff „Euphancholie“ ist ein Neologismus, dessen Definition Wells einer Protagonistin in den Mund legt: Es handelt sich um eine Kreuzung aus „Euphorie“ und „Melancholie“ und bezeichnet das Gefühl höchster Glückseligkeit, wobei aber gleichzeitig bewusst ist, dass der Moment des Glücks endlich ist. Solche „euphancholischen“ Momente, die in lauen Sommernächten spielen, ziehen sich wie eine Perlenkette durch „Hard Land“. Laue Sommernächte mit Freunden, Partys, Gespräche im Kino, kleinere und größere Mutproben. Diese Szenen sind detailliert und glaubwürdig beschrieben, sodass man beim Lesen teilweise selbst von Euphancholie überschwemmt wird. Daneben finden sich viele Referenzen an die 1980er Jahre. Songs von Billy Idol, Bruce Springsteen oder Journey werden abgespielt; Filme wie „Zurück in die Zukunft“ oder „Breakfast Club“ in die Handlung eingebaut und diskutiert. Interessant ist zudem der Titel „Hard Land“. „Hard Land“ heißt nämlich auch der Gedichtzyklus des (fiktiven) Autors William J. Morris, der einzige Literat, den Grady hervorgebracht hat (dementsprechend ist sein Werk auch Schulstoff). Spannend ist in diesem Kontext, dass zum Ende der Handlung Morris‘ „Hard Land“ gedeutet wird, wobei im Kleinen der literarische Interpretationsprozess durchgespielt wird (Interpretation der Oberflächenstruktur/Suche nach Metaphern/alternative Interpretationsmöglichkeiten/Offenheit der Interpretation). Insgesamt ist Benedict Wells‘ „Hard Land“ ein schöner Coming of Age-Roman mit viel Tiefgang, Empathie und Euphancholie, der Eighties-Vibes ausstrahlt.