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Insgesamt 212 Bewertungen
Bewertung vom 02.11.2021
Esch, Hendrik

Giftrausch / Colossa Bd.2


ausgezeichnet

Inhalt: Paul Colossa steht vor einem neuen Fall: Ein Schüler des Kollegs Ida Rubinstein (kurz: KIR), einem renommierten Musikgymnasium, liegt im Koma. Grund dafür sollen Medikamente sein, die die Schüler des Kollegs angeblich verabreicht bekommen, um Höchstleistungen zu erbringen. Colossa soll überprüfen, inwiefern dies der Wahrheit entspricht. Doch schnell wird klar, dass sein Auftraggeber, das KIR, nur ihre „Wahrheit“ zulässt. Mehr und mehr verrennt Colossa sich in eine Sackgasse, aus der ein unbeschadetes Herauskommen nahezu unmöglich wird.

Persönliche Meinung: „Giftrausch“ ist ein Kriminalroman von Hendrik Esch. Es handelt sich um den zweiten Band der Reihe um den bayerischen Rechtsanwalt Paul Colossa. „Giftrausch“ kann man auch ohne Kenntnis des Vorgängers „Jagdtrieb“ lesen, da man in „Giftrausch“ mit allen nötigen Hintergrundinformationen versorgt wird (gleichzeitig machen diese Informationen aber auch neugierig auf den ersten Band). Erzählt wird „Giftrausch“ aus der personalen Erzählperspektive von Paul Colossa. Neben dem eigentlichen Fall am KIR spielt auch Colossas Privat- und Arbeitsleben eine große Rolle. Colossa ist ein junger Anwalt, der die Provinz-Kanzlei seines verstorbenen „Onkels“ geerbt hat, der allerlei seltsame Fälle annahm. Daher tritt Colossa ein schweres Erbe an: Es werden einige Erwartungen an ihn herangetragen, obwohl er sich noch in der Einfindungsphase befindet. Aus Unwissenheit tritt er deshalb das ein oder andere Mal ins Fettnäpfchen. Durch die Thematisierung von Colossas Privat- und Arbeitsleben rückt der Fall am KIR stellenweise in den Hintergrund. Das ist aber nicht weiter schlimm ist, da die Handlung so mit einer gehörigen Portion Humor gewürzt wird: Colossas Fettnäpfchen führen zu den skurrilsten Szenen. Zusätzliche Komik kommt durch eine Vielzahl schräger Figuren in die Handlung, wobei jede Figur ein besonderes Merkmal besitzt, wodurch sie ein Stück weit „drüber“ und dadurch witzig ist. Zudem führen die Figuren ein sehr kurioses Beziehungsgeflecht, an dem Colossas „Onkel“ nicht ganz unschuldig ist. Der Kern des Krimis, die Untersuchungen am KIR, sind gespickt mit Irrungen und (Ver-)Wirrungen. Interessant und spannend an Colossas Untersuchungen ist besonders, wie sich schrittweise das Blatt für ihn wendet: Eigentlich als unbeteiligter Gutachter engagiert, gerät er – teils unverschuldet, teils selbstverantwortlich – immer mehr (persönlich) in den Fall hinein, wodurch auch seine Existenz als Anwalt bedroht wird. Der Schreibstil von Hendrik Esch, der mit Wortwitz auftrumpft, lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Giftrausch“ ein ungewöhnlicher Kriminalroman mit satirischen Zügen, der nicht nach altbekannten Mustern verläuft und dadurch eine erfrischend andere Krimi-Lektüre ist.

Bewertung vom 29.10.2021
Wolff, Christina

Die Geister der Pandora Pickwick


ausgezeichnet

Ein spannendes Kinderbuch mit einer tollen Atmosphäre

Inhalt: Da Fannys Eltern eine Geschäftsreise nach Amerika unternehmen müssen (ihre Eltern sind im Schnürsenkelbusiness), darf Fanny die Sommerferien bei ihrer Tante Harriet in London verbringen. Das Beste daran: Tante Harriet führt den kleinen, aber feinen Antiquitätenladen Pandora’s Antiques, in dem es viel zu entdecken gibt. Dazu zählen nicht nur antike Rückenkratzer, Vasen und Möbel aller Art. Nachts hört Fanny nämlich seltsame, polternde Geräusche, die aus dem Verkaufsraum stammen und deren Ursprung sie unbedingt klären möchte…

Persönliche Meinung: „Die Geister der Pandora Pickwick“ ist ein Kinder- und Jugendbuch von Christina Wolff. Erzählt wird es aus der Perspektive von Fanny, einem Mädchen, mit einer besonderen Fähigkeit. „Die Geister der Pandora Pickwick“ ist sowohl ein spannendes als auch lustiges Buch und strotzt vor kreativen Ideen. So zeichnet sich die Handlung durch einen schönen Spannungsbogen aus, weshalb man das Buch gar nicht aus der Hand legen will. Immer wieder werden neue Rätsel und Geheimnisse aufgeworfen, die geklärt werden wollen: Im Verkaufsraum poltert es nachts, eine Truhe verstaubt sich scheinbar von selbst, seltsame Charaktere, die man nicht sofort einordnen kann, treten auf und niemand möchte Fanny etwas über ihre leiblichen Eltern (Fanny ist adoptiert) erzählen. Komplettiert wird die Spannungskurve außerdem durch einen rätselhaften Prolog, dessen wahre Bedeutung erst zum Ende der Handlung offenbart wird. Mehrmals führt Christina Wolff die Leser*innen durch falsche Fährten hinters Licht, wodurch die Aufdeckung der Geheimnisse überraschend ist. Die Handlung ist dabei sehr gut durchdacht und stimmig. Zudem ist „Die Geister der Pandora Pickwick“ durchzogen von einem leichten, an die Zielgruppe angepassten Grusel, der besonders durch die atmosphärisch dichte Beschreibung einzelner Handlungsorte (insbesondere eines bestimmten Schlosses) zustande kommt. Zudem erhält man originelle Einblicke in die Geisterwelt: So schweben Geister unterschiedlichster Art umher, es gibt kreative Geisterspeisen und – mehr kann ich, ohne zu spoilern, nicht verraten :D Auch die Figuren sind schön ausgearbeitet und erhalten alle eine eigene Hintergrundgeschichte. Besonders Alastair, ein frecher Geisterjunge, sorgt mit seiner Art für eine lustige Momente. Eine zusätzliche Portion Humor kommt dadurch in die Handlung, dass die Figuren teilweise in die lustigsten Situationen navigiert werden. Der Schreibstil von Christina Wolff ist bildhaft und in der Wortwahl erfrischend, sodass er sich sehr flüssig lesen lässt. Insgesamt ist „Die Geister der Pandora Pickwick“ ein spannendes und atmosphärisches Kinder- und Jugendbuch mit vielen kreativen Ideen, das nicht nur zu Halloween seine Wirkung entfaltet.

Bewertung vom 18.10.2021
Drachenfels, Hendrik von

Irgendwas in mir


ausgezeichnet

Inhalt: Auf den ersten Blick führt der 13-jährige Hugo ein normales Leben. Er ist gut an der weiterführenden Schule angekommen, hat Freunde gefunden, hört gerne Rap-Musik und spielt Lacrosse. Doch eines Tages macht sich im Unterricht ein Übelkeitsgefühl in ihm breit, das fortan immer wieder auftaucht, wenn er nur an Schule denkt. Der Schulbesuch wird ihm plötzlich unmöglich: Je länger er nicht zur Schule geht, umso mehr nehmen ihn seine Gedanken gefangen, wodurch er immer tiefer zu versinken droht.

Persönliche Meinung: „Irgendwas in mir“ ist ein Coming of Age-Roman von Hendrik von Drachenfels, bei dem besonders das mentale Coming of Age beleuchtet wird. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive Hugos, einem eigentlich lebensfrohen Jungen, der aber mit familiären Problemen belastet wird. Die Handlung spielt (zu Beginn) im Jahr 2005 und es finden sich viele Referenzen auf die Popkultur der frühen 2000er Jahre, mit der Hugo aufwächst. Durch diese Referenzen sind Hugos Lebenswelt und sein Alltag sehr realistisch und authentisch dargestellt. Leser*innen, die zu dieser Zeit aufgewachsen sind, werden dabei einiges Bekanntes (wieder)entdecken und wahrscheinlich einen kleinen Nostalgietrip erleben. Hugo hört z.B. den typischen Sound dieser Jahre, schaut K11 mit Michael Naseband und spielt mit Beyblades. Inhaltlich dreht sich der Roman um das Leben von Hugo, wobei die Schulangst, unter der Hugo leidet, eine große Rolle spielt. Mit diesem komplexen Thema geht Hendrik von Drachenfels sehr sensibel um. So wird ausführlich darauf eingegangen, wie Hugo sich fühlt und welche Auswirkungen die Schulangst auf das familiäre Umfeld bzw. den Freundeskreis besitzt. Die Schulangst, dieses „Irgendwas“ in ihm, das ihn einerseits innerlich zermürbt, das er andererseits aber sprachlich nicht wirklich greifen kann, wird dabei metaphorisch schön ausgearbeitet (wie genau, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten). Der Erzählstil von „Irgendwas in mir“ ist angenehm, sodass sich der Roman flüssig lesen lässt. Insgesamt ist „Irgendwas in mir“ ein schöner Coming of Age-Roman, der sich sensibel mit dem wichtigen Thema „Schulangst“ auseinandersetzt. Gleichzeitig ist er eine kleine Zeitreise in die frühen 2000er Jahre und – was noch viel wichtiger ist – ein Appell an erwachsene Leser*innen, mentale Probleme von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen und empathisch mit ihnen umzugehen.

Bewertung vom 18.10.2021
Krauze, Gabriel

Beide Leben


ausgezeichnet

Inhalt: South Kilburn, London. Das Leben, das Gabriel (genannt Snoopz) zwischen brutalistischen Betontürmen führt, ist alles andere als normal. Es ist geprägt von Gewalt, Raubzügen und Drogenkonsum, wobei Snoopz keineswegs das Opfer ist: Wenn es was zu holen gibt, ist er immer vorne dabei. Doch darin geht Snoopz‘ Leben nicht auf. Zwischen Gefängnisaufenthalt, Dealen und Uhrenraub besucht Snoopz die Universität, studiert Englische Literatur und schreibt erstklassige Noten. „Beide Leben“ gibt einen Einblick in dieses (scheinbar) widersprüchliche Leben.

Persönliche Meinung: „Beide Leben“ ist ein autobiografischer Roman von Gabriel Krauze. Erzählt wird er aus der Ich-Perspektive der Figur Gabriel/Snoopz. Wann der Autor Krauze und die Erzählfigur Gabriel deckungsgleich sind bzw. an welchen Stellen der Autor sich erzählerische Freiheiten nimmt, ist dabei schwer zu beurteilen. So oder so gilt aber: „Beide Leben“ ist schonungslos und ehrlich – sprachlich sowie inhaltlich. Inhaltlich dreht sich der Roman um Gewalt, Liebe und das Durchbeißen auf der Straße. Freunde können dabei zu Feinden werden; kaum etwas ist gewiss. Bei allen Verbrechen, die Snoopz begeht, beschönigt er nichts. Auch Rechtfertigungen findet man nicht. Geschrieben ist das Buch wie im Drogen-/Adrenalinrausch, denen Snoopz in weiten Teilen des Romans ausgesetzt ist. Snoopz erzählt assoziativ, nur bedingt chronologisch und driftet immer mal wieder in einen Bewusstseinsstrom ab. Die Rauschhaftigkeit spiegelt sich auch in der Wortwahl (und der Übersetzung) wider. Ein Slang, der stellenweise vulgär ist und wenig mit der (schriftlichen) Standardsprache gemein hat, ist hier vorherrschend. Wörter werden geschleift, Vokale fallen oft heraus und manchmal fehlen Wortendungen, sodass die Wörter zackig, hart und roh klingen. Auch die Orthografie ist besonders: In Snoopz‘ rauschartigem Zustand sind starre Satzgrenzen nicht wichtig; sie stören den Fluss. So verschmelzen Sätze ohne Punkt – aber mit Komma – miteinander. Anführungszeichen, die wörtliche Rede markieren, fehlen ganz: Sie würden den Bewusstseinsstrom nur behindern. All diese syntaktischen und morphologischen Verschmelzungen, Kürzungen und Schleifungen verleihen dem Schreibstil einen melodischen Fluss. Dieser plätschert allerdings nicht sanft und sacht dahin, sondern ist unruhig und folgt wild einem nicht-begradigten Flussbett, wodurch eine – brachiale – Poesie entsteht. Alles das macht „Beide Leben“ zu einer außergewöhnlichen Lektüre, die unweigerlich – inhaltlich und sprachlich – anstößt und einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Gleichzeitig ist „Beide Leben“ dadurch kein Roman, den man mal eben zwischendurch durchliest, sondern eine anspruchsvolle Lektüre, auf die man sich einlassen muss. Insgesamt ist „Beide Leben“ eine realistische und schonungslose Erzählung mit einem besonderen Erzählstil, der Slang zur Poesie erhebt.

Bewertung vom 14.10.2021
Leuchtenberger, Michael

Pfad ins Dunkel


sehr gut

Ein atmosphärischer Thriller mit einem interessanten Handlungsort

Vorab: „Pfad ins Dunkel“ ist die Fortsetzung von „Caspars Schatten“. Daher finden sich in der Rezension leichte Spoiler zu der Handlung von „Caspars Schatten“.

Inhalt: Nach den Ereignissen von „Caspars Schatten“ fühlt sich Caspar geschwächt, seine Begabung scheint verkümmert und seine Verbündeten sind größtenteils in die USA ausgewandert. Um seine Kräfte erneut zu aktivieren, zieht Caspar ihnen nach: Er begibt sich auf den 3.500 km langen Appalachian Trail.

Persönliche Meinung: „Pfad ins Dunkel“ ist ein Thriller von Michael Leuchtenberger. Da die Handlung in sich abgeschlossen ist, kann man den Thriller auch ohne Kenntnis des Vorgängers „Caspars Schatten“ lesen und quer in die Reihe einsteigen. Auch das Figurenpersonal ist weitgehend ein anderes, sodass es zu keinen Verständnisschwierigkeiten bzgl. der Beziehungen der Figuren kommen kann. Der Beginn von „Pfad ins Dunkel“ nimmt allerdings Bezug auf das Ende von „Caspars Schatten“. Wer sich nicht spoilern möchte, sollte daher zunächst mit „Caspars Schatten“ beginnen. Erzählt wird „Pfad ins Dunkel“ aus vier verschiedenen Perspektiven (Elisabeth, Mona, Ove und Caspar), wodurch das Tempo des Thrillers recht hoch ist. Elisabeth, Mona und Ove sind drei Wander*innen, die – aus unterschiedlichsten Gründen – den Appalachian Trail bezwingen möchten. Unabhängig voneinander gestartet, treffen sie auf dem Trail aufeinander und freunden sie sich immer mehr an. In diese Konstellation tritt Caspar, was nicht ohne Folgen für die Freundschaft der drei sein wird. Spannend daran ist besonders, dass man – durch „Caspars Schatten“ – um den wahren Charakter Caspars weiß, sodass man umso mehr mit Elisabeth, Mona und Ove fiebert. Für zusätzliche Spannung sorgen die mystisch-übersinnlichen Elemente, die besonders ab Mitte des Thrillers verstärkt auftreten und atmosphärisch dicht beschrieben werden. Durch diese Elemente kommt es außerdem zu einigen unerwarteten Wendungen. Interessant fand ich auch den Handlungsort des Thrillers: den Appalachian Trail, der mit seinen verschiedenen Wander*innen lebhaft beschrieben wird. Hier erzeugt Michael Leuchtenberger – wie schon bei „Caspars Schatten“ – Szenen mit einer gruseligen Atmosphäre, bei der man nie genau weiß, was jetzt tatsächlich übernatürlich-bedrohlich und was nur eine harmlose Merkwürdigkeit ist (das gilt besonders für eine bestimmte Herberge). Insgesamt ist „Pfad ins Dunkel“ ein temporeicher Thriller mit einem interessanten Handlungsort und atmosphärisch dichten Szenen.

Bewertung vom 29.09.2021
Steinbauer, Stephan

Mörderische Literaturwerkstatt


ausgezeichnet

Ein satirischer Kriminalroman, der den Literaturbetrieb persifliert



Inhalt: Bei Pauspertls steht Besuch an! Eine alte Schulfreundin von Frau Pauspertl möchte das Wochenende mit ihr verbringen. Herr Pauspertl störe da nur, so die feste Überzeugung seiner Frau. Außerdem ist sie der Meinung, er brauche dringend mal ein Hobby. Kriminalromane schreiben zum Beispiel. Kurzerhand meldet sie ihn bei der „Literaturwerkstatt“ an, die in der Wilhelmspfalz, einem lokalen Literaturzentrum, stattfindet. Ehe er es sich versieht, wird er umringt von einem fast 100-jährigen Gärtner, einem selbsternannten Kulturpapst, dubiosen Verlegern und einem Lokalreporter, der zu lyrischen Höhenflügen ansetzt. Doch damit nicht genug. Während der Literaturwerkstatt kommt es zu einem Fanal. Ein Mord geschieht, den es aufzuklären gilt.

Persönliche Meinung: „Mörderische Literaturwerkstatt“ ist ein satirischer Kriminalroman von Stephan Steinbauer. Erzählt wird er aus der Ich-Perspektive des Bankangestellten und unfreiwilligen „Literaturwerkstatt“-Teilnehmers August Pauspertl. August ist ein unscheinbarer Typ und hat mit Literatur wenig bis gar nichts am Hut. Auf der Wilhelmspfalz trifft er auf allerlei seltsame Gestalten. Einige sind liebenswürdig, andere berechnend und bösartig, immer sind sie skurril bis grotesk. Dabei ist jede Figur hyperbolisch-humoristisch gezeichnet. Sei es nun der Gärtner, der fast hundertjährig fröhlich im Baum klettert, der Hipster, der nur mit einem Jugendslang redet, den keiner außer ihm versteht („Trill! Gucci!“), oder ein vergesslicher, kurz vor der Rente stehender Kommissar, der nach seinem Dienstaustritt beim lokalen Radiosender (dessen Funkwellen leider nicht die ganze Region abdecken) durchstarten will. Die Figuren sind immer etwas „drüber“, was allerdings nicht nervig ist, sondern ungemein witzig. Auch der Literatur-/Kulturbetrieb selbst wird aufs Korn genommen. Einzelne Literaturtheorien werden diskutiert und ins Absurde gesteigert, Prediger (scheinbar) hochgeistiger Kunst werden als Scharlatane entlarvt und Funktionsweisen des literarischen Marktes augenzwinkernd aufgedeckt. Die Handlung selbst dreht sich hauptsächlich um die Arbeit in der „Literaturwerkstatt“, wobei u.a. Ideen für Romane besprochen werden, eine Lesung stattfindet und eine Podiumsdiskussion abgehalten wird. Daneben deckt der unscheinbare August Pauspertl so manches Geheimnis in der Wilhelmspfalz auf. Ihm offenbart sich ein Klima, das von Intrigen, Lügen und Neid geprägt ist. Der Mord, der den satirischen Roman auch zu einem Kriminalroman macht, findet vergleichsweise spät statt. Erst das letzte Kapitel widmet sich der Aufklärung des Falles. Es ist also kein typischer Kriminalroman nach dem Schema „Fall – Ermittlungsschleifen – Aufklärung“. Das fand ich aber nicht weiter schlimm, weil die Arbeit der „Literaturwerkstatt“, die Figuren und die satirische Betrachtung des Literaturbetriebs sehr gut unterhalten haben. Der Schreibstil ist eher anspruchsvoll und die Wortwahl gehoben, allerdings lässt sich „Mörderische Literaturwerkstatt“ trotzdem flüssig lesen. Insgesamt ist „Mörderische Literaturwerkstatt“ ein humorvoller Satireroman voller skurriler Figuren, der die Schattenseiten des Themenkomplexes „Literatur/Kultur“ humorvoll persifliert.

Bewertung vom 27.09.2021
Harel, Maike

Eine monstermäßig nette Familie


ausgezeichnet

Ein lustiges und spannendes Abenteuer

Inhalt: Bei den Löckerlings überschlagen sich momentan die Ereignisse: Jonna und Luis bekommen ein neues Geschwisterchen. Zeitgleich ziehen neue Nachbarn in das Haus neben den Löckerlings ein. Die neuen Nachbarn sind ganz schön merkwürdig: Sie baden in Schlamm, sind nachtaktiv und manchmal flimmern sie irgendwie. Aber damit nicht genug. Ida, das Geschwisterchen von Jonna und Luis, hat plötzlich Wachstumsschübe, ihr wachsen kleine, spitze Zähne und für ein Neugeborenes ist sie sehr stark. Jonna und Luis ahnen, dass da etwas nicht stimmen kann…

Persönliche Meinung: „Eine monstermäßig nette Familie“ ist ein Kinderbuch von Maike Harel. Die Handlung dreht sich um die merkwürdigen Ereignisse, die Jonna, aus deren Perspektive die Handlung erzählt wird, und ihr kleiner Bruder Luis mit den neuen Nachbarn und mit ihrer Schwester Ida erleben. Dabei ist die Handlung sowohl lustig als auch spannend. Immer wieder kommt es zu witzigen Szenen, in denen auch Situationskomik eine große Rolle spielt, sodass man mehrmals schmunzeln und lachen muss. Besonders Luis, der noch einen eher kindlich-naiven Blick auf die Welt besitzt, sorgt mit seinen ulkigen Kommentaren für komische Szenen. Aber auch Baby Ida hat einige Slapstick-Einlagen auf Lager. Spannung wird besonders durch das Geheimnis erzeugt, dass die Familie Unfug, die neuen Nachbarn, umgibt. Zusätzliche Spannung kommt durch das plötzliche Auftreten eines dubiosen Journalisten, der die Löckerlings nicht in Ruhe lässt, und durch das seltsame Verhalten von Baby Ida, das sich keiner so wirklich erklären kann, in die Handlung. Dadurch zieht sich insgesamt ein schöner Spannungsbogen durch „Eine monstermäßig nette Familie“, sodass man das Buch schwer beiseitelegen kann. Die Auflösung dieser rätselhaften Ereignisse ist dabei überraschend und stimmig. Außerdem beinhaltet die Auflösung eine schöne Botschaft, die ich aber hier nicht verraten möchte. Der flüssige Erzählstil ist genauso wie Wortwahl und Satzbau super an die Zielgruppe (ab 9 Jahre) angepasst. Abgerundet wird das Kinderbuch durch mehrere Schwarz-weiß-Illustrationen von Betina Gotzen-Beek. Insgesamt ist „Eine monstermäßig nette Familie“ ein lustiges und spannendes Abenteuer für kleine und große Kinder.

Bewertung vom 19.09.2021
Randau, Tessa

Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich


ausgezeichnet

Ratgeberroman für einen sensibleren Umgang in Beziehungen

Inhalt: Seit Ewigkeiten haben die Ich-Erzählerin und Chris, ihr Ehemann, keinen Urlaub mehr ganz ohne Kinder, nur für sich, gemacht. Das soll sich nun ändern. Die beiden fahren für ein paar Tage in eine einsame Berghütte. Für die Ich-Erzählerin ist es ein wichtiger Urlaub: Sie hat das Gefühl, die Luft sei aus der Beziehung raus, man lebe im Alltagstrott nur noch aneinander vorbei. Der Urlaub soll dahingehend ein Neuanfang werden. Doch gleich zu Beginn kommt es zu einem Streit zwischen der Ich-Erzählerin und ihrem Mann. Wütend und enttäuscht verlässt sie die Hütte und begibt sich auf eine Wanderung. Dabei trifft sie einen alten Mann, der ihr hilft, die Beziehung zu ihrem Ehemann besser verstehen zu können.

Persönliche Meinung: „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ ist ein Ratgeberroman von Tessa Randau. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive der namenlosen Frau. Der Roman rekurriert auf verschiedene psychologische Modelle, die in die Handlung eingebettet sind und lebensnah – an konkreten Situationen geknüpft – veranschaulicht werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Zu Beginn des Romans spielt besonders das „Vier-Ohren“-Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun eine Rolle. Dieses wird in dem Streit des Ehepaars sehr greifbar, der sich um die Planung des Urlaubs dreht (sie möchte wandern, er mountainbiken). Für die Ich-Erzählerin ist der Urlaub nicht einfach nur ein Urlaub, sondern immens wichtig für das Fortbestehen der Beziehung – was sie Chris, ihrem Mann, aber nicht deutlich artikuliert. Dieser erkennt den Umstand nicht von selbst, fragt aber auch nicht genauer nach, warum seine Frau so aufgebracht ist, sodass beide in festgefahrene Kommunikationsmuster fallen, aneinander vorbeireden und der Streit eskaliert. Letztlich hören beiden mit unterschiedlichen Ohren, was die Lage verkompliziert. Den Part des Ratgebers in Sachen „Beziehung“ übernimmt der alte Mann, den die Ich-Erzählerin trifft. Seine Ehe kriselte auch einmal, er konnte sie aber retten und gibt der Ich-Erzählerin nun Denkanstöße, wie sie eine größere Sensibilität für ihre Beziehung aufbauen kann. Diese Ratschläge bzw. Denkanstöße richten sich zugleich an die Leser*innen. Dabei werden sie nicht mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen, sondern anschaulich auf Augenhöhe diskutiert, wodurch man die Ratschläge beim Lesen besser durchdenken bzw. reflektieren kann. Auch übt das Buch keinerlei Druck bzw. Umsetzungszwang der Ratschläge aus: Was die Leser*innen mit den Ratschlägen machen – ob sie sie nutzen oder nicht –, bleibt ihnen überlassen. Somit fühlt man sich während der Lektüre weder belehrt noch genötigt. Jede*r Leser*in ist frei, sich die passenden Ratschläge für die jeweilige, individuelle Beziehungssituation herauszusuchen. Außerdem ist wichtig festzuhalten, dass „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ – auch wenn er aus der Perspektive einer weiblichen Figur erzählt wird – nicht ausschließlich ein Ratgeber für Frauen ist. Die Ratschläge, die der Roman beherbergt, sind universell und geschlechterübergreifend relevant. Insgesamt ist „Die Berge, der Nebel, die Liebe und ich“ ein schön geschriebener Ratgeber-Roman, der Überlegungen zu Beziehung und Liebe anschaulich thematisiert und dadurch Denkanstöße für die eigene Beziehung geben kann.

Bewertung vom 12.09.2021
Graßhoff, Marie

Der dunkle Schwarm Bd.1


sehr gut

Inhalt: Das Jahr 2100. Die Menschen sind in der Lage, ihr Bewusstsein zu „Hive-Minds“ zu verknüpfen. Anders als die normalen Hive-Nutzer besitzt Atlas eine besondere Fähigkeit, die sie sich selbst nicht erklären kann: Sie kann ungehindert in das Bewusstsein anderer Menschen hineinschauen und deren Erinnerungen extrahieren, woraus sie ein lukratives Unterwelt-Geschäft entwickelt hat. Doch ein neuer Auftrag bringt Atlas an ihre Grenzen: Noah, ein Kunde, möchte, dass sie den plötzlichen Tod seiner Schwester aufklärt, der zwei Anomalien aufweist. Einerseits ist der Tod von Noahs Schwester kein Einzelfall: Zeitgleich mit ihr starben andere Menschen, die mit ihr in einem Hive organisiert waren, der somit in einem Sekundenbruchteil völlig ausgelöscht wurde. Andererseits besitzen die Angehörigen kaum Erinnerungen zu den Verstorbenen, sodass Atlas mit ihrer besonderen Fähigkeit nicht wirklich weiterkommt. Ehe Atlas es sich versieht, ist sie mitten in einer Verschwörung, deren wahre Ausmaße im Dunkeln liegen.

Persönliche Meinung: „Der dunkle Schwarm“ ist ein Sci-Fi-Roman von Marie Grasshoff, der auf dem gleichnamigen Audible-Hörspiel basiert. Erzählt wird er aus der Ich-Perspektive der 28-jährigen Atlas, einer toughen Protagonistin, die auch mal kaltblütig handelt, wodurch sie auf den ersten Blick unnahbar wirkt (das ändert sich im Laufe der Handlung aber). Zudem trägt sie ein Geheimnis in sich: Sie weiß kaum etwas über ihre Vergangenheit, wodurch zusätzliche Spannung in die Handlung kommt. Noah, der Auftraggeber, ist anders gestrickt. Er tritt menschlicher auf als Atlas, zeigt auch Schwächen, wodurch er insgesamt eine stärkere Identifikationsfigur für die Leser*innen ist. Der Roman spielt in einer dystopischen Zukunft. Das Klima ist in dieser Zukunft vollends gekippt, Tierarten sind ausgestorben und die Gesellschaft ist in Level unterteilt, die sich nach dem Wohlstand bemessen. Je ärmer man ist, desto näher lebt man an der Erdoberfläche, wobei in diese Sublevels kaum Sonnenlicht kommt. Außerdem ist die Welt gespalten. Auf der einen Seite stehen die technologischen Konzerne, die – auf Kosten der Erde – einen möglichst großen Profit erwirtschaften wollen; auf der anderen Seite „The Cell“, eine Organisation, die sich für den Klimaschutz einsetzt und versucht, das zu retten, was noch rettbar ist, dabei aber auch zu Gewalt greift. Diese dystopische Zukunft fand ich insgesamt sehr interessant, allerdings werden einige Aspekte dieser Welt nur angedeutet und nicht erklärt, wodurch die Welt an Dreidimensionalität verliert - was umso betrüblicher ist, da hier ziemlich viel Potenzial schlummert. Ähnliches gilt für die technischen Geräte (vor allem der „Hive“-Technologie). In diesem Kontext kann es aber auch sein, dass in „Der dunkle Schwarm“ noch bewusst einige Dinge zurückgehalten worden sind, um im zweiten Band stärker in den Fokus gerückt zu werden. Wie gesagt: Das Potenzial ist definitiv vorhanden. Besonders spannend an „Der dunkle Schwarm“ ist, dass der Roman Sci-Fi mit Krimi-Elementen vermischt. Atlas versucht gemeinsam mit Noah und ihrem Androiden Julien, einen – eigentlich technisch nicht möglichen – Mord aufzuklären. Klassische Krimi-Ermittlerarbeit trifft hier auf technologisch andersartige Methoden und futuristisch-dystopische Schauplätze. Die Handlung ist dabei insgesamt rund und schlüssig; das Ende in zweifacher Hinsicht überraschend. Der Schreibstil von Marie Grasshoff lässt sich flüssig lesen, sodass man zügig in die Handlung einsteigen kann. Insgesamt ist „Der dunkle Schwarm“ ein (auch handlungstechnisch) spannender Sci-Fi-Dystopie-Krimi-Mix mit einer interessanten Welt, bei deren Ausgestaltung aber noch nicht das volle Potenzial ausgeschöpft worden ist.

Bewertung vom 09.09.2021
Merchant, Judith

SCHWEIG!


ausgezeichnet

Ein packender Thriller über eine toxische Beziehung

Inhalt: Der Tag vor Heiligabend. Esther ist auf dem Weg zu ihrer Schwester Sue, die einsam in einer Villa im Wald lebt. Eigentlich will Esther diesen Besuch gar nicht machen. Weil, so Esthers Überzeugung, ihre Schwester nicht ganz normal ist. Aber es ist Weihnachten, und deshalb führt kein Weg an dem Besuch vorbei. Und als hätte Esthers es nicht schon geahnt, beginnt der Besuch wenig vielversprechend: Eine verwirrt dreinblickende Sue öffnet ihr die Tür – bewaffnet mit einem Küchenmesser…

Persönliche Meinung: „SCHWEIG!“ ist ein Psychothriller von Judith Merchant. Die Ausgangslage des Thrillers ist vergleichsweise simpel: Zwei Schwestern, die Probleme miteinander haben, treffen aufeinander, sodass sich ein schneidendes Gespräch zwischen den beiden entspinnt. Doch was Judith Merchant aus dieser an ein Kammerspiel erinnernden Ausgangslage macht, ist wirklich grandios. Über die Handlung (und das Gespräch) hinweg entfaltet sich eine hochgradig toxische Schwesternbeziehung, die von Manipulation, Missgunst und Übergriffigkeit geprägt ist. Das Gespräch der beiden wird wechselweise aus den Perspektiven der Schwestern erzählt, wobei ihre unterschiedlichen Gefühle schön deutlich werden. Interessant ist dabei, wie verschieden die Schwestern einzelne Dinge wahrnehmen. Was die eine Schwester als Fürsorge versteht, sieht die andere als übergriffigen Akt. Ein Besuch wird zu einer feindlichen Übernahme; ein zurückgezogenes, ruhiges Leben zu einem Anzeichen tiefster Depression. Dabei – und dadurch entsteht eine große Spannung – weiß man als Leser*in gar nicht so genau, welche Schwester im Recht steht (und welche im Unrecht). Dies hängt vor allem damit zusammen, dass eine übergeordnete, ordnende und damit zuverlässige Erzählinstanz bewusst weggelassen wird. Denn der Thriller wird aus den Ich-Perspektiven der beiden Schwestern erzählt (im Laufe der Handlung kommt noch eine dritte Perspektive hinzu, deren Identität ich aber nicht spoilern möchte) und beide sind – bewusst oder unbewusst – unzuverlässig. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahn verschwimmt dadurch: Man kann nicht wirklich festhalten, welche Schwester sie mit welcher Äußerung übertritt. Erst durch Rückblicke, die immer wieder in die Handlung eingestreut werden, offenbart sich, welche Schwester die zuverlässigere ist. Außerdem finden sich in diesen Rückblicken, die besonders die Kindheit und das Weihnachtsfest des vergangenen Jahres behandeln, immer wieder Mosaiksteinchen, die nach und nach ein vollständiges Bild der Schwesternbeziehung ergeben. Das Ende des Thrillers ist schlüssig und stimmig, insgesamt wirklichkeitsnaher als andere Thriller aber gerade dadurch auch erschreckender und nachhallender. Wie schon die früheren Krimis und Thriller von Judith Merchant besitzt auch „SCHWEIG!“ lebendige Dialoge, sodass es sich flüssig lesen lässt und zu einem Pageturner wird. Insgesamt ist „SCHWEIG!“ ein spannender, gut durchdachter Thriller über eine hochgradig toxische Beziehung mit zwei Erzählerinnen, die kaum unzuverlässiger sein könnten.