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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 494 Bewertungen
Bewertung vom 22.10.2024
Die Winterschwestern
Bertrand, Jolan C.

Die Winterschwestern


gut

Das wunderschön gestaltete Cover versprach eine nordisch-märchenhafte Wintergeschichte, die uns in der Zeit der Wikinger entführt. Auch die Gestaltung des Buchinneren ist sehr ansprechend, die stilistisch außergewöhnlichen Illustrationen sind durchgehend farbig, und eine Landkarte zu Beginn hilft bei der Orientierung.

Mein Sohn (10) und ich haben das Buch gemeinsam gelesen. Der Prolog um die beiden Winterschwestern beginnt märchenhaft und macht neugierig auf mehr. Danach beginnt die Geschichte um den zehnjährigen Wikingerjungen Alfred, der gerne Streiche spielt und in Gott Loki einen Bruder im Geiste hat. Als in Alfreds Dorf immer mehr Dinge verschwinden und die Bewohner die Trolle als Diebe in Verdacht haben, macht sich Ragnar, Alfreds Onkel (und eine Trans-Person), auf den Weg, um die Trolle zu finden und ihre Raubzüge zu beenden. Alfred folgt ihm heimlich nach…

Ab hier wird der Plot zunehmend mystisch, und die Erzählung ist insbesondere für die jungen Leser/innen teilweise recht verworren. So ist es in Kapitel 4 schwer zu unterscheiden, ob Alfred eine Vision hat, träumt oder Teile wirklich erlebt. Die Handlung wird in den folgenden Kapitel sehr fantastisch, Menschen verwandeln sich in Tiere, Himmelskörper werden von Tieren verschlungen usw. Mein Sohn verlor ab diesem Zeitpunkt die Lust und wollte nicht mehr weiterlesen, und ich kann ihn verstehen. Wir schätzen Bücher mit magischen und phantasievollen Elementen, aber die Handlung selbst muss für uns logisch nachvollziehbar und einigermaßen glaubhaft sein. Das war hier leider nicht der Fall. Auch die Geschichte an sich wirkte eher oberflächlich und zuweilen holprig, ein echter Lesefluss, der uns ein vollständiges Eintauchen ermöglichte, kam nicht zustande. Sprachlich ist das Buch eher einfach gehalten und die Charaktere haben wenig Tiefe.

Fazit: Wer sehr gerne in mystische Winterwelten abtaucht, ein Faible für Übersinnliches hat und gerne die Grenzen der Logik überschreitet, wird sicherlich Gefallen an diesem Buch finden. Wir gehören leider nicht dazu.

Bewertung vom 18.10.2024
Wohnverwandtschaften
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


sehr gut

Die Zahnärztin Constanze trennt sich von ihrem Freund und zieht aufgrund des schwierigen Hamburger Wohnungsmarktes in eine WG mit Murat, Jörg und Anke. Erst mal, vorübergehend. Denn eigentlich möchte sie eine klassische Zweierbeziehung, keine Erwachsenen-WG.

Isabel Bogdans Schreibstil ist ungewöhnlich. Jedes Kapitel wird aus der Perspektive eines WG-Mitglieds erzählt, folgt in dessen Sprachduktus seinem Gedankenstrom, seinen Gefühlen und Erinnerungen. Hierdurch erfährt man als Leser sukzessive mehr über das Leben der Person, erhält kleine Einblicke in seine Vergangenheit, während gleichzeitig vieles im Ungewissen bleibt. Im Gegensatz hierzu sind immer wieder einzelne Kapitel in Dialogform geschrieben und geben Gespräche der WG-Bewohner aus ihrem Alltag wieder.

Ich muss gestehen, dass ich anhand der Kurzbeschreibung nicht erwartet hatte, dass das Buch das Thema „Demenz“ als Schwerpunkt hat, und immer wieder habe ich mich gefragt, ob die Kapitel aus Sicht des demenzkranken Protagonisten tatsächlich der Realität entsprechen könnten. Was geht im Kopf Demenzkranker vor? Merken sie in lichten Momenten, dass ihr Gedächtnis schwindet, wie es das Buch suggeriert? Die Frage ist wohl schwer zu beantworten.
Es ist schön zu lesen, wie harmonisch und fürsorglich sich alle um den Erkrankten kümmern, doch habe ich leise Zweifel, dass dies im realen Leben auch so wäre. Ich nehme an, dass die WG viel eher auseinanderbrechen und jeder seiner Wege gehen würde.

Auch wenn sich das Buch in eine für mich unerwartete Richtung entwickelte, hat es auf mich einen regelrechten Sog entwickelt. Ich habe es tatsächlich an einem halben Tag ausgelesen und war ganz erstaunt, als ich die letzte Seite erreicht hatte.

„Wohnverwandtschaften“ ist ein warmherziges, einfühlsames Buch über eine alternative Wohnform auch jenseits der Studentenjahre, die im besten Fall zu einem verantwortungs- und rücksichtsvollen Miteinander führt und vor Vereinsamung bewahren kann.

Bewertung vom 17.10.2024
Mami braucht 'nen Drink - erst recht an Weihnachten / Tagebuch einer gestressten Mutter Bd.5
Sims, Gill

Mami braucht 'nen Drink - erst recht an Weihnachten / Tagebuch einer gestressten Mutter Bd.5


sehr gut

Weihnachten - kein anderes Fest ist so sehr mit Erwartungen aufgeladen und bietet dementsprechend so viel Potential für Enttäuschungen. Auch Ellen hat jedes Jahr wieder ihre idealisierte Vision eines Weihnachtsfestes mit der Familie vor Augen – rotwangige Kinder, die mit freudestrahlenden Augen vor dem festlich geschmückten und hell erleuchteten Weihnachtsbaum stehen, glockenhell Weihnachtslieder singend, dazu ein opulentes, perfekt gelungenes Festmahl an der festlich gedeckten Tafel, während draußen der zarte Pulverschnee vom Himmel fällt und alles in ein märchenhaftes Weiß taucht. Doch Jahr für Jahr kommt alles anders, und dieses Jahr kommen nicht mal die inzwischen erwachsenen Kinder.

Gill Sims nimmt mit viel Sinn für Humor den alljährlichen Weihnachtsstress aufs Korn. Ellens skurrile Mischpoke, die die ganze Bandbreite abdeckt von der durchgeknallten Hippie-Schwägerin, die gerne spärlich bekleidet Naturgottheiten huldigt, bis zur hysterisch-perfektionistischen Schwester, sorgt zuverlässig für Chaos. Auf übersteigerte Erwartungen folgt die Ernüchterung, die alljährlich mit Baileys, Gin Tonic und Whiskey kompensiert wird. Die Figuren und Situationen sind hierbei stark überspitzt gezeichnet. An der einen oder anderen Stelle wäre mir ein etwas subtilerer Humor lieber gewesen, da sich die Übertreibungen mit der Zeit etwas abnutzen, aber das ist sicherlich Geschmackssache.

Der Roman bietet aber nicht nur leichte, kurzweilige Unterhaltung, sondern wartet auch mit ernsteren Untertönen auf. Vermutlich wird sich jede Leserin auf die ein oder andere Weise in Ellen wiederfinden und sich an Weihnachtsfeste erinnern, bei denen die hoffnungsvolle Vorfreude mit der harten Realität kollidierte und es statt weihnachtlicher Eintracht vor allem Streit, Tränen, ein misslungenes Essen und enttäuschte Beschenkte gab. Gill Sims zeigt, dass die idealisierte und romantisierte Vorstellung von Weihnachten ein Konstrukt der Konsumindustrie ist, das vor allem gegenüber Müttern einen hohen Druck aufbaut und unerfüllbare Erwartungen stellt, die letztlich nur enttäuscht werden können und schlimmstenfalls zu großen Selbstzweifeln führen. Dabei würde ein bisschen mehr Gelassenheit zu deutlich entspannteren und damit für alle harmonischeren Festtagen führen.

In diesem Sinne ist „Mami braucht ‘nen Drink – erst recht an Weihnachten“ eine wunderbare Lektüre zur Vorweihnachtszeit, die uns humorvoll daran erinnert, das Weihnachtsfest lockerer anzugehen und uns von äußeren Zwängen freizumachen. Dann stehen die Chancen für ein vielleicht etwas chaotisches, aber heiteres Weihnachtsfest im Kreise der Familie gut – und für alle Fälle gibt es Glühwein!

Bewertung vom 17.10.2024
Die Schule der Mitternachtswelt 1
Desard, Maëlle

Die Schule der Mitternachtswelt 1


ausgezeichnet

Simeon ist ein Halbvampir mit Sonnenallergie, der in der Mitternachtsschule eingeschult wird. Dort trifft er auf allerlei andere magische Wesen, unter anderem die Werwölfin Eir. Da Vampire und Werwölfe traditionell verfeindet sind, ist Simeon ihr gegenüber zunächst skeptisch, zumal sich an der Schule merkwürdige Vorkommnisse häufen und immer mehr Schüler verschwinden.

Simeon beginnt, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Mit der Zeit gelingt es ihm, seine Vorurteile gegenüber Eir zu überwinden und sich mit ihr anzufreunden. Überhaupt haben Freundschaft, Zusammenhalt und Unvoreingenommenheit einen hohen Stellenwert im Buch, und die Autorin zeigt sehr schön, wie wichtig und bereichernd es ist, Vorurteile abzubauen und vermeintlich Trennendes zu überwinden.

Von der ersten Seite an war meinem Sohn (10) und mir Simeon richtig sympathisch, und seine oft ironischen und lakonischen Bemerkungen sorgen für gute Unterhaltung. Der Schreibstil ist flott, lebendig und humorvoll, und das Abenteuer ist geschickt aufgebaut, mit zahlreichen überraschenden Wendungen, so dass es bis zum Schluss spannend bleibt. Mein Sohn war zudem ganz besonders angetan vom Cover, bei dem bestimmte Elemente mit spezieller Farbe gedruckt sind, so dass diese im Dunkeln leuchten.

Maëlle Desard ist ein abwechslungsreicher Auftakt zu einer neuen Fantasy-Reihe gelungen, der nicht nur für Spannung sorgt, sondern auch wichtige Werte wie Toleranz, Offenheit und Freundschaft vermittelt. Wir freuen uns schon sehr auf den zweiten Teil!

Bewertung vom 15.10.2024
Ein tugendhafter Mann
Brookner, Anita

Ein tugendhafter Mann


gut

Anita Brookers „Ein tugendhafter Mann“ erschien erstmals im Jahr 1989 unter dem Titel „Lewis Percy“. Lewis ist zu Beginn des Romans, 1959, Anfang zwanzig und lebt nach einem kurzen Forschungsaufenthalt in Paris wieder mit seiner Mutter zusammen. Für seine Promotion beschäftigt er sich mit dem Helden in der Literatur des 19. Jahrhunderts, in der Realität ist er ein verzagter, unsicherer Mann. Seine Kenntnisse über Frauen bezieht er aus Romanen.

Es fiel mir sehr schwer, in den Roman hineinzufinden, da dieser selbst für sein Erscheinungsdatum recht antiquiert wirkt. Auch Lewis selbst scheint nicht in die 60er und 70er zu passen und hängt Idealbildern aus dem vorangehenden Jahrhundert nach. Die Rollenauffassungen sind äußerst konservativ, und ich muss gestehen, dass es mir stellenweise schwerfiel weiterzulesen, weil ich zu keiner Figur einen Zugang gefunden habe und weder mit Lewis noch seiner Frau Tissy oder seiner Angebeteten Emmy mitfühlen konnte. Insbesondere Lewis‘ Art, allein aus kleinsten Äußerlichkeiten auf die Lebensgeschichte und den Charakter von Menschen zu schließen, ohne sich mit diesen jemals ernsthaft auf ein Gespräch einzulassen und echte tiefgreifende Beziehungen einzugehen, verärgerte mich zunehmend.
Fraglos ist „Ein tugendhafter Mann“ von hoher literarischer Qualität, doch Lesevergnügen kam bei mir leider nicht auf. Zu weit weg waren hierfür für mich die Thematik und Figuren des Romans und zu langatmig die Erzählweise.

Bewertung vom 15.10.2024
Die Formel des Widerstands
Viciano, Astrid

Die Formel des Widerstands


sehr gut

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in der Physik durch bahnbrechende Entdeckungen im Bereich der Kernphysik geprägt, und maßgeblich beteiligt waren Marie und Pierre Curie sowie Irène und Frédéric Joliot-Curie. Kurz nachdem Otto Hahn und Fritz Straßmann 1938 erstmals eine Kernspaltung gelang, brach der Zweite Weltkrieg aus, und rasch wurde klar, dass diese Entdeckung militärisch bedeutsam war, da eine Atombombe den Kriegesverlauf entscheidend beeinflussen würde. Das Nazi-Regime setzte alles daran, diese zu entwickeln, und nach der Besetzung Frankreichs wurde auch das Labor von Frédéric Joliot-Curie unter deutsche Kontrolle gestellt. Es verfügte, im Gegensatz zu deutschen Forschungseinrichtungen, bereits über ein Zyklotron, das fortan deutsche Wissenschaftler für ihre kernphysikalischen Experimente nutzen wollten. Für die Überwachung der französischen Kollegen wurde Wolfgang Gentner entsandt, der bereits zuvor mit Joliot-Curie zusammengearbeitet hatte und mit ihm befreundet war. Für Gentner beginnt nun ein riskantes Spiel: Nach außen hin muss er im Sinne des deutschen Uranprojektes arbeiten, verdeckt schützt er seinen Freund Joliot-Curie, der eine wichtige Rolle in der Resistance innehat, und weitere französische Wissenschaftler im Widerstand.

Astrid Viciano beschreibt eindrücklich die Atmosphäre im besetzten Paris und die Situation in den Forschungsinstituten. Viele Wissenschaftler hatten sich dem Widerstand angeschlossen, waren Teil antifaschistischer, kommunistischer oder links-intellektueller Bewegungen, u.a. Frédéric Joliot-Curie, Jacques Solomon und Paul Langevin. Unter Lebensgefahr widersetzten sie sich den Besatzern und sabotierten das Atomprojekt. Gentner hält seine Hand über sie und setzt sich für die Freilassung von verhafteten Wissenschaftlern ein.

Der Fokus des Buches liegt klar auf den historischen Aspekten, die kernphysikalische Forschung wird nur sehr rudimentär angerissen. Es lässt sich daher auch für naturwissenschaftliche Laien problemlos lesen. Da die Autorin den Fokus auf mehrere Personen legt, springt das Buch sowohl zeitlich als auch räumlich immer wieder hin- und her, teilweise gibt es kleinere Redundanzen. Hier hätte ich mir vor allem zeitlich eine etwas stringentere Umsetzung gewünscht, zumal Viciano offenbar selbst etwas durcheinanderkommt. So schreibt sie, nachdem Frédéric Joliot-Curies Freund Jacques Solomon im Mai 1942 von den deutschen Besatzer ermordet wurde am Ende des fünften Kapitels: „Frédéric Joliot-Curie ist von der Ermordung Solomons so erschüttert, dass er beschließt, Mitglied der kommunistischen Partei zu werden. […] Er wählt dafür einen denkbar ungünstigen Moment. Werden die Deutschen doch einen Monat später, im Juni 1942, den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion brechen, indem sie gen Osten marschieren.“. Der Nichtangriffspakt wurde jedoch bereits ein Jahr zuvor, am 22. Juni 1941, also deutlich vor der Ermordung Solomons, aufgekündigt. Im sechsten Kapitel geht es dann verwirrenderweise auch am 29. Juni 1941 mit der Verhaftung Frédéric Joliot-Curies weiter.

Abgesehen davon bietet das Buch jedoch sehr interessante Einblicke und verdeutlich die Brisanz der physikalischen Forschung zur damaligen Zeit sowie die Rolle der französischen Forscher in der Resistance. Sehr lesenwert!

Bewertung vom 15.10.2024
Ameisen
Sorger, Magdalena

Ameisen


ausgezeichnet

Ameisen - jeder kennt sie, doch die wenigsten schenken ihnen Beachtung, sofern man sich mit der Picknickdecke nicht versehentlich in der Nähe eines ihrer Nester niederlässt. Das wird sich nach Magdalena Sorgers Buch auf jeden Fall ändern. Ursprünglich studierte Wirtschaftswissenschaftlerin, verlor Sorger ihr Herz eher zufällig an Ameisen, und forschte daraufhin jahrelang als Myrmekologin.
Äußerst unterhaltsam schildert sie ihre Erlebnisse mit den unterschiedlichsten Ameisenarten auf ihren weltweiten Exkursionen, und ihre ehrliche Begeisterung für die kleinen Insekten ist in jedem Satz spürbar. Diese Faszination überträgt sich beim Lesen, und ich sehe diese Insekten nun mit ganz anderen Augen. Mir war zuvor nicht ansatzweise bewusst, wie groß der Artenreichtum der Ameisen ist und wie hochspezialisiert und sozial diese zusammenleben. Und wer hätte gedacht, dass Ameisen nicht nur gigantische Nester mit mehreren Metern Durchmesser und Tiefe bauen, Pilze züchten und Nutztiere halten, sondern etwa die Schnappkieferameise ihre Mandibeln mit 230 km/h schließen kann und sich so bei Gefahr durch den Rückstoß rückwärts durch die Luft katapultiert? Magdalena Sorger schreibt so eingängig und kurzweilig, dass ich stellenweise das Gefühl hatte, sie würde neben mir sitzen und mir von den Ameisen erzählen. Abgerundet wird das Buch durch interessante Fotos, die einen Eindruck von der Vielfalt der Ameisen geben. Ich kann dieses großartige Sachbuch nur jedem empfehlen, der sich für die Natur interessiert!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.10.2024
Skogland brennt / Skogland Bd.3
Boie, Kirsten

Skogland brennt / Skogland Bd.3


gut

Das Königreich Skogland ist ein fiktives Land, das aus dem reichen Süden mit überwiegend hellhäutigen, blonden Menschen und einem armen Norden mit dunkelhäutigeren und dunkelhaarigen Bewohnern besteht. Nach turbulenten Jahren, Rebellenkämpfen und einem Putschversuch ist Skogland demokratisch und bemüht sich um Chancengleichheit und Gleichberechtigung für alle Skogen, doch Wohlstand und Aufstiegsmöglichkeiten sind noch immer ungleich verteilt. Nordische Rebellen auf der einen und rechtsextreme Kräfte auf der anderen Seite gefährden die junge Demokratie.
Prinzessin Jarven, die eine südskogische Mutter und einen nordskogischen Vater hat, besucht zusammen mit ihrer besten Freundin Ylva und ihrem Freund Joas ein Eliteinternat. Sie setzen sich für die Verständigung zwischen Nord- und Südskogen ein und planen ein gemeinsames Sommercamp. Hjalmar, ebenfalls Schüler dieses Internats, ist ein rechtsextremer Außenseiter und radikalisiert sich unbemerkt immer stärker.
Ich kannte die beiden Vorgängerbände der Skoglandreihe nicht, doch laut Verlag soll sich der dritte Teil auch separat lesen lassen. Dem stimme ich nur bedingt zu. Die Handlung an sich ist tatsächlich auch ohne Vorkenntnisse nachvollziehbar, und das Personenregister hilft, um in die Geschichte hineinzukommen. Dennoch nimmt die Autorin immer wieder Bezug auf Geschehnisse aus den Bänden 1 und 2, und es ist unbefriedigend, diese nicht zu kennen.
Kirsten Boie verarbeitete in diesem Buch im Teilen das Attentat von Anders Behring Breivik in Norwegen vom 22. Juli 2011, bei dem in Oslo und auf der Insel Utoya insgesamt 69 Menschen ermordet wurden, darunter viele Jugendliche, die an einem Sommercamp auf der Insel teilgenommen hatten.
Angesichts des erschreckenden Zulaufs rechter Parteien, gerade auch unter der jungen Generation, halte ich es für äußerst wichtig, dass sich auch Jugendliteratur mit dieser Thematik auseinandersetzt und sich für Vielfalt und demokratische Werte einsetzt. Da Kirsten Boie eine der renommiertesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen ist, waren meine Erwartungen dementsprechend hoch.
Der Schreibstil ist gewohnt ansprechend, die Kapitel, die jeweils aus der Sicht eines der Protagonisten erzählt sind, sehr kurz, so dass ein gewisses Tempo erzeugt wird. Bereits im Prolog wird deutlich, dass sich das Buch an eine Altersgruppe ab ca. 15 Jahren richtet, da die Details des Attentates für jüngere schockierend sein könnten. Boie bezieht über Jarven, Ylva und Joas klar Stellung für Toleranz und Vielfalt. Auch die Schwierigkeiten einer jungen Demokratie, deren Prozesse Zeit brauchen, werden deutlich, ebenso wie die Unzufriedenheit der Nordskogen, die sich schnellere Fortschritte bei der Gleichberechtigung erhofft hatten.
Leider hat das Buch für mich jedoch deutliche Schwächen. Erstens ist die Figurenzeichnung wenig komplex und sehr schwarz-weiß. Dies gilt für alle Charaktere, wird aber besonders deutlich bei Bolström und Hjalmar. Sie werden als abgrundtief böse dargestellt, und gerade bei Hjalmar fehlt mir hierzu der Unterbau der Figur: Warum wurde er so? Welche Rolle spielt sein Elternhaus, welche Erfahrungen hat er gemacht? Stattdessen wird er als von Kindheit an boshaft und unberechenbar dargestellt, geradezu überzeichnet. Das ist mir zu einfach, und auch die Realität ist komplexer. Die Geschichte lehrt uns, dass im Dritten Reich die schlimmsten und grausamsten Nazis häufig vom Umfeld als unauffällig, nett und hilfsbereit geschildert wurden. Gerade diejenigen, die ihren Charme einzusetzen wissen, sind als politische Verführer besonders gefährlich. Hier hätte ich mir angesichts der Altersklasse ab 15 gewünscht, dass Boie ihren Lesern und Leserinnen mehr zutraut und ein differenzierteres Bild zeichnet.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Boie mit Body Positivity, Liebeskummer und Influencertum auf Social Media viele Themen einbaut, jedoch die Kernhandlung selbst an Tiefe vermissen lässt. Vieles wird nur angerissen und ist unrealistisch, gerade bei den Thrillerelementen (etwa die Abläufe des Sicherheitsapparates bei verdeckten Operationen und die gesamte Handlung um Joas). Hier spürt man, dass dieses Genre einfach nicht Boies Metier ist. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es besser gewesen wäre, ein komplett neues Buch zu schreiben, anstatt die Skoglandreihe zu erweitern, da die bestehenden Figuren nicht so recht passen zu scheinen. Norlin und Nahira etwa werden als reine Tippgeber ohne echte Handlung nur knapp eingebaut.
Nun kann man einwenden, dass es sich um ein Jugendbuch handelt und hier eine gewisse Reduktion der Komplexität vertretbar ist. Da sehe ich nur bedingt so, da die Altersgruppe ab 15 in der Schule bereits Hochliteratur analysiert, und auch andere Autoren zeigen, dass komplexe Welten und ambivalente Charaktere durchaus auch bei Jugendbüchern möglich sind, etwa in der Tintenwelt bei Cornelia Funke.
Insgesamt bleibt Skogland 3 leider deutlich hinter meinen Erwartungen zurück.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.10.2024
Herzenssache
Becker, Michael

Herzenssache


ausgezeichnet

Prof. Michael Becker widmet sich in „Herzenssache“ einem lebenswichtigen, längst überfälligen Thema: Der Herzgesundheit von Patientinnen unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten. Er zeigt anhand der Kardiologie auf, dass bis heute Medizin im Regelfall eine an den männlichen Patienten ausgerichtete Medizin ist, ein Fakt, der dazu führt, dass Genderaspekte bei Anamnese, Diagnostik, Behandlung und Medikation vielfach nicht angemessen berücksichtigt werden. Der Gründer des Zentrums für Frauenherzen in Würselen zeigt anhand von Fallbeispielen auf, dass dies häufig zu hohem Leidensdruck und jahrelangen Ärzteodysseen führt. Nicht selten werden die Beschwerden als Hysterie oder psychisch bedingt abgetan. Dies kann im schlimmsten Fall tödlich enden.

In elf Kapiteln erläutert Prof. Michael Becker ausführlich und für medizinische Laien verständlich die Unterschiede zwischen Männerherzen und Frauenherzen und die Konsequenzen, die sich hieraus in der Behandlung ergeben müssen. Dabei geht er auch auf geschlechterspezifische Medikation und Beurteilung von Laborparametern ein.

Prof. Michael Becker gibt sich sehr viel Mühe, allgemeinverständlich zu schreiben und anschauliche Beispiele und Vergleiche anzuführen. Auch wenn ich selbst keine medizinischen Hintergrund habe, vereinfacht er mir hier manchmal fast etwas zu stark, doch ich verstehe seine Intention, wirklich jede Patientin unabhängig vom Bildungsniveau abholen zu wollen.

Sehr eindrücklich beschreibt der Autor, gegen welche Widerstände er und seine Kollegen auch unter Medizinern hierbei ankämpfen müssen, da geschlechtssensible Medizin leider noch immer von vielen abgelehnt wird. Seinem Einsatz gebührt daher großer Dank.

Ich habe in diesem Buch sehr viel Interessantes erfahren, und mir ist die Bedeutung gendersensibler medizinischer Forschung und Behandlung noch klarer geworden. Zudem fühle ich mich besser vorbereitet, sollten bei mir eines Tages Herzbeschwerden auftreten, und ich würde mit größerem Selbstbewusstsein auf eine entsprechende Diagnostik drängen.

Bewertung vom 08.10.2024
Zwei Leben
Arenz, Ewald

Zwei Leben


ausgezeichnet

1971, in einem Dorf in Süddeutschland. Roberta ist froh, nach ihrer Schneiderlehre wieder auf den heimischen Hof zurückzukehren. Sie hat die körperliche Arbeit an der frischen Luft vermisst. Und doch ist da eine Sehnsucht nach etwas Neuem in ihr, nach fremden Ländern und dem was möglich wäre, gäbe es die Verpflichtungen auf dem Hof nicht. Ihre Leidenschaft sind Stoffe, sie entwirft eigene Schnitte und träumt sich in die weite Welt. Und dann verliebt sie sich in den Pfarrerssohn Wilhelm, den alten Freund aus Kindertagen. Doch welche Zukunft ist für sie beide möglich? Robertas Arbeitskraft ist auf dem Hof ganz selbstverständlich einkalkuliert, Wilhelm wird in wenigen Monaten das Dorf verlassen und studieren. Auch Wilhelms Mutter Gertrud, die Pfarrersfrau, ist an einem Wendepunkt angelangt. Aus Hamburg stammend, ist sie in dem kleinen Dorf eine Außenseiterin geblieben und in dem rückständigen, alten Pfarrhof nie heimisch geworden. Sie möchte nun endlich ihre Träume umsetzen und dem Dorf den Rücken kehren - wenn da Wilhelm nicht wäre…

So, wie Roberta beim Schneidern scheinbar unvereinbare Materialien miteinander kombiniert, feine Seide und grobes Leinen, spüren die Figuren die Gegensätze des Lebens in sich. Hier die Wurzeln und das Vertraute, das man um sich haben möchte, und dort die Sehnsucht nach dem anderen Leben, das möglich wäre. Jede Entscheidung für einen Weg ist eine Entscheidung gegen alle anderen Optionen. Und sind die Einschränkungen, die wir wahrnehmen, echte Hindernisse, oder müssten wir nur beherzter nach Wegen suchen, sie zu umgehen? Geschickt verwebt Ewald Arenz die Lebenswege von Wilhelm, Roberta und Gertrud miteinander, und nachdem die erste Hälfte der Geschichte noch etwas beschaulich wirkt, hat sie mich in der zweiten Hälfte richtig gefesselt. Ich habe mitgehofft und mitgelitten und wollte das Buch gar nicht mehr weglegen. Ich hätte am liebsten die Figuren noch über weitere 100 Seiten begleitet. Mein heimlicher Lieblingscharakter, der mit seiner leisen, aber lebensklugen Art die Dinge durchschaut, ist Robertas Opa.

Wenn man sehr genau liest, fallen einem leider ein paar zeitliche Ungereimtheiten insbesondere bezüglich der Geschichte des Großvaters auf, wo die Angaben nicht immer genau passen und sich immer mal um 1-2 Jahre verändern. Zudem wird mehrfach erwähnt, dass die Gefangenschaft aus dem Zweiten Weltkrieg bereits 40 Jahre zurückliegt, was mit 1971 nicht vereinbar ist. Auch die Aussage von Wilhelms Kumpel Wolfgang, dass der Zivildienst dreimal so lang dauere, wie der Wehrdienst, ist merkwürdig. 1971 dauerten beide Dienste genau 18 Monate. An einer weiteren Stelle passt eine Aussage Robertas nicht zu einem einige Kapitel davor geschilderten Geschehen. Das sind allerdings Kleinigkeiten.

„Zwei Leben“ ist ein sehr bewegendes, teils trauriges, aber gleichzeitig Hoffnung schenkendes Buch, lebendig und klug erzählt. Es erinnert daran, was wirklich zählt, auch wenn es oft so schwer umzusetzen ist: „…Dass nichts wichtiger ist, als richtig zu leben. Nicht halb oder versteckt oder einfach falsch.“

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.