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Frau M. aus M.
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Magdeburg

Bewertungen

Insgesamt 118 Bewertungen
Bewertung vom 02.02.2022
Brown, Natasha

Zusammenkunft


ausgezeichnet

Öffne deine Augen
Das Buch "Zusammenkunft" von Natasha Brown will nicht unbedingt gefallen. Es will auch nicht unbedingt unterhalten. Vielmehr möchte es etwas mitteilen. Der Roman gibt ein Spotlight auf den jetzigen Stand der britischen Gesellschaft viele Jahre nach dem Ende der Kolonialgeschichte des Landes. Die Protagonistin, deren Namen wir nicht erfahren, hat jamaikanische Wurzeln. Trotz aller HIndernisse und Anfeindungen wegen ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe/Abstammung ist sie sehr erfolgreich in der Finanzbranche. Aber glücklich kann sie damit nicht sein. "Ich bin alles, was man mir befohlen hat zu werden. Es reicht nicht." Um sich zu schützen, spaltet sie sich ab und betrachtet die Dinge, als würden sie jemand anderem passieren. Mit diesem Blickwinkel ist der ganze Roman verfasst. Mit ihrem Freund, den sie nur, den "Sohn" nennt, verbindet sie eine "Intimität auf Distanz". Die Geschichte macht deutlich, dass die alten kolonialistischen Strukturen so mächtig sind, dass sie immernoch und bis auf weiteres Bestand haben. Die (ehemaligen) Sklaven können zwar gern mitmachen, jedoch stets zu den Bedingungen des Empires. Es bleibt eine Zusammenkunft ohne Integration. So bleibt der Heldin nur übrig, sich zu verbiegen. "Ich tauschte mein Leben ein gegen ein Scheibchen Mittelklassekomfort." Da es schon seit Generationen so geht, ist die alte Kultur, die alte Heimat verloren, die neue Heimat und Kultur lässt jedoch keinen Raum. Durch die Geschichte zieht sich die Krebserkrankung der Heldin, die sie sehr beschäftigt. Sie wird als möglicher Fluchtweg aus dem Zwang zur Mittäterschaft in Erwägung gezogen.
"Zusammenkunft" ist ein sehr bitteres Buch. Ich finde es so wichtig, den Menschen mit kolonialistischem Migrationshintergrund in GB eine Stimme zu verleihen. Ich bin begeistert von der direkten und sehr bildhaften Sprache.

Bewertung vom 30.01.2022
Tung, Debbie

Quiet Girl (deutsche Hardcover-Ausgabe)


ausgezeichnet

Debbie - ein Mädchen wie du und ich
"Quiet Girl" von Debbie Tung ist ein besonderes Buch. Dies gilt sowohl für den Inhalt als auch für das Äußere. Ein Buch in Schwarz-weiß-Optik fällt einem zwischen all den bunten Büchern sofort auf. Es handelt sich um eine in Form eines Comics erzählte Geschichte über ein stilles Mädchen, das am liebsten mit sich und seinen Büchern allein ist. Soziale Kontakte kosten Debbie sehr viel Energie. Sie steht am Ende ihres Studiums an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Während ihrer KIndheit wurde sie von ihrem Umfeld häufig aufgefordert, sich so zu verhalten wie die Masse der anderen Kinder. Das hat sie sehr verunsichert und sie fühlt sich oft minderwertig und einfach unwohl. Als jetzt erwachsener Mensch im Berufsleben muss sie nicht mehr auf andere Leute hören und kann ihr eigenes Leben selbst bestimmen. Glücklicherweise findet sie einen starken Helfer, ihren Freund und späteren Ehemann Jason. Es ist nicht von der Hand zu weisen, das der Mensch als Herdentier gedacht ist und Debbie ihr Leben nicht völlig abseits verbringen kann. Jason, der sie liebt wie sie ist, bildet eine wichtige Brücke.

Die Geschichte ist mit sehr viel Verständnis für Debbie aber auch für die anderen Menschen erzählt. Die Zeichnungen sind ruhig, einfach und schön.

Bewertung vom 24.01.2022
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


ausgezeichnet

Balkon über dem Tal
Leo Gazzara lässt die Welt seiner Kindheit hinter sich, als er sich in Rom niederlässt. Er hat keine Intentionen, keinen großen Ehrgeiz und nimmt die Dinge, wie sie kommen. Das ist deshalb so interessant, weil eben auch in den tragischen Begegnungen und den traurigen Ereignissen sehr viel Energie steckt. Alles ist irgendwie richtig. Die Dinge fügen sich für dann zunächst auch für ihn, ohne dass er sich groß anstrengt. Man könnte auch sagen, er lässt sich einfach ein, auf das, was ihm begegnet. Was Leo nicht gelingt, ist tatsächlich anzukommen in Rom und in seinem Leben. Er wohnt in der Wohnung von Freunden, die für längere Zeit im Ausland sind. Er jobbt gelegentlich und nur so viel, dass es für die Miete reicht.
Er lernt Arianna kennen, die eine Seelenverwandte ist. Sie kommen jedoch nicht wirklich zueinander, die Angst vor Nähe ist bei beiden zu groß.
So irren sie als verletzte Seelen herum, die ihren Platz nicht finden können und sich schließlich verbiegen müssen, um irgendwie ins Räderwerk zu passen. Sie werden damit jedoch nicht glücklich und zerbrechen schließlich.

In diesem Roman steht sehr viel zwischen den Zeilen. Die Geschichte ist sehr viel größer als der Text. So wie bei einem Gong, bei dem sich der Ton nach dem Anschlag entwickelt und ausbreitet. Es entstehen sicherlich in den Lesern jeweils unterschiedliche Geschichten, je nachdem, was jeder selbst schon erlebt hat. Ich verstehe, dass dieses Buch Kult ist. Schon die wunderbare sehr poetische Sprache ist ein Hochgenuss.

Bewertung vom 24.11.2021
Pliester, Petra;Bräscher, Jürgen

Bewusstseinssprung ins neue Leben


ausgezeichnet

Geschäftskräfte vs. Gefühlskräfte
Dieses Buch betrachtet die gesellschaftlichen Umstände, in denen wir uns gerade befinden. Die Geschichte rankt sich um Tom und Lotta, ein Paar in den Dreißigern, die nicht sehr froh mit ihrem Leben sind. In fortwährenden Gesprächen setzen sie sich mit ihren Themen auseinander. Sie stellen fest, dass sie als besonders sensible Menschen eine andere Herangehensweise an die Welt haben als mental eher grob gestrickte Menschen. Diese Menschen haben eine starke Durchsetzungskraft, befinden sich sehr gern in Machtpositionen und bestimmen ohne Rücksicht auf Verluste, wie die Dinge zu laufen haben. Insbesondere feinfühlige Menschen werden nicht gesehen und sehr schnell untergebuttert. Tom und Lotta erkennen, dass es dringend eines Kurswechsels bedarf, weil die Methoden der grob gestrickten Menschen jetzt nicht mehr passen, die anstehenden Probleme der Welt zu lösen. Tom und Lotta legen den Finger in alle möglichen Wunden unserer Gesellschaft. Sie beschäftigen sich auch damit, wie sie selbst überleben können und wie sie selbst sich in die Gestaltung der Zukunft einbringen können. Ein wesentlicher Schritt dabei ist, dass sie sich selbst mit ihren Fähigkeiten und Gaben erkennen. Das ist sicher auch interessant für den einen oder anderen Leser, der ebenfalls sehr feinfühlig ist und noch nicht erkannt hat, warum er Schwierigkeiten hat, mit der Außenwelt zurecht zu kommen.
Es ist ein Buch, das nachdenklich macht, wenn man Zugang zu den Überlegungen von Tom und Lotta hat.

Bewertung vom 19.11.2021
Izquierdo, Andreas

Revolution der Träume / Wege der Zeit Bd.2


sehr gut

Eine vom Krieg durchgeschüttelte Gesellschaft
Die Kulisse für den Roman "Revolution der Träume" ist Berlin in den Jahren kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs. Die Ereignisse dieser Zeit und die Lebensumstände der Menschen sind sehr gut erläutert. Man bekommt einen deutlichen Eindruck von dieser dramatischen, hektischen und unsicheren Zeit. Die Geschichte der drei fiktiven Figuren Carl, Artur und Isi, die schon seit ihrer Kindheit in Ostpreußen miteinander verbunden sind, ist dahinein implantiert. Die drei verkörpern sehr unterschiedliche Charaktere, die sicher beispielhaft für Schicksale dieser Zeit sein können. Artur ist ein zäher Bursche, der im Krieg schwer verwundet wurde und seine ganze Famile verlor. Luise, genannt Isi, ist eine Revolutionären und sehr selbstbewusste unabhängige junge Frau. Carl ist ein sensibler braver Mensch, der als Kameramann bei der Ufa eine Karriere beginnt.
Der Sprachstil ist stellenweise etwas eigenwillig. Im Bereich der Erörterung der geschichtlichen Hintergründe geht es glatt und detaillreich. Wenn es in die Erzählung der Abenteuer der Protagonisten geht, wird es flacher und es gibt auch abgehackte Sätze. Darauf kann sich der Leser aber durchaus einlassen. Das Buch ist spannend, informativ und absolut lesenswert.

Bewertung vom 11.11.2021
Libaire, Jardine;Ward, Amanda Eyre

Berauscht vom Leben


ausgezeichnet

Vormittag ohne Kater
Das Buch "Berauscht vom Leben" ist prall gefüllt mit Lebensfreude. Grundthema ist der Ausstieg aus der Alkoholsucht der beiden Autorinnen Jardine Libaire und Amanda Eure Ward. In über 100 sehr unterhaltsamen kleinen Texten reden die beiden abwechselnd darüber, wie sie es schaffen, dem Alkohol aus dem Weg und somit neue Wege zu gehen. Sie beschreiben mit viel Optimismus, Kreativität und Verständnis für sich selbst, welche neuen Entdeckungen, Gewohnheiten und Bekanntschaften sie in ihrem jetzt alkoholfreien Leben finden. Die beiden beschönigen dabei nichts und es kommt immer wieder auch der Schmerz zum Ausdruck, den die Spuren der Sucht hinterlassen haben. Es wird deutlich, dass der Ausstieg nur zu schaffen ist, wenn man sich immer und immer wieder dafür entscheidet. Es ist ein sehr ermutigendes Buch für alle, die auch auf diesem Weg sind. Dabei muss es nicht unbedingt der Alkohol sein, dem man entsagen möchte. Das Buch hilft bestimmt auch bei anderen Drogen.

Bewertung vom 01.11.2021
Sandgren, Lydia

Gesammelte Werke


ausgezeichnet

"Gesammelte Werke" von Lydia Sandgren ist mit 874 Seiten ein ziemlich dicker Schmöker. Die Geschichte spielt in Schweden, hauptsächlich in Göteborg. Sie rankt sich um den fünfzigjährigen Verleger Martin Berg, der sich in einer Lebenskrise befindet, und dessen Familie, zu der auch sein langjähriger Jugendfreund der Maler Gustav Becker zu zählen ist. Cecilia, Martins Frau hat die Familie vor vielen Jahren von einen Tag auf den anderen verlassen und ist seitdem unauffindbar. Diese Tatsache hält viele Seiten über die Spannung in der Geschichte. Wie kam es dazu? Warum ging sie? Wohin ging sie? Wo ist sie jetzt? Was bedeutet das für die Kinder Rakel und Elis?

Mit leichtfüßiger und vielseitiger Sprache werden Stimmungen, Gefühle, Situationen, Figuren und auch Orte sehr genau und ausführlich beschrieben. Das war sicher auch für die Übersetzer eine besondere Anforderung. Die Autorin nimmt sich die Zeit, sehr genau hinzusehen und die Dinge auch wirken zu lassen. Sie schwelgt im Spiel mit sprachlichen Bildern. Die Figuren beschäftigen sich mit Psychologie, Philosophie, Kunst, Literatur und Geschichte. Das alles fließt direkt in den Roman ein. Er beschäftigt sich sozusagen auch mit seiner eigenen Entstehung. Die Ereignisse werden von den verschiedenen Positionen der Familienmitglieder aus betrachtet. Dadurch ergeben sich sehr detaillierte und sehr schöne Bilder. Zwischen all dem Text gibt es außerdem auch viel Unausgesprochenes.

Dies ist kein schneller Roman. Man kann sich Zeit nehmen, sich darauf einzulassen und ihn zu genießen. Für mich ist der Roman ein sprachliches Gemälde, "eine Dichtung, der es um die seelische Tiefe des Menschen geht" (S.130).

Bewertung vom 30.09.2021
Weber, Tanja

Betongold


ausgezeichnet

Der Schani, der Moni und der Smokey
Die Geschichte ist in München im Corona-Jahr 2020 angesiedelt. Sie dreht sich um drei alte Freunde in den Sechzigern. Einer von ihnen, der Schani, wird tot in einer Baugrube aufgefunden. Der Smokey ist ein schon seit einigen Jahren pensionierter Mordermittler, der in dieser Sache eigene Ermittlungen dazu anstellt, weil er natürlich persönlich daran interessiert ist, herauszufinden, was mit seinem Freund passiert ist. Der Moni mit seiner Eck-Kneipe ist immer wieder ein Anlaufpunkt, um zur Ruhe zu kommen.
Toll finde ich, wie die Rückblenden zu anderen wichtigen Zeitpunkten eingestrickt sind. So wird erkennbar, wie die einstigen Jungs zu erwachsenen Männern wurden und wie sie durch Ereignisse in ihren Leben geformt, verbogen, verletzt und letztendlich zu dem wurden, was sie jetzt sind.
Der Sprachstil und damit auch die Denke ist durch und durch bayrisch. Das hat mir beim Lesen großen Spaß gemacht.
Die eindringliche Bezeichnung auf der Titelseite, dass es sich um einen Kriminalroman handelt, erschien mir zunächst etwas übertrieben, auch wenn es um einen Todesfall geht, der genauerer Untersuchung bedarf. Im Verlaufe der Handlung wird jedoch klar, dass ganz andere kriminelle Umstände gemeint sind. Vor dem Hintergrund der angespannten Immobiliensituatiion in München geht es um Bestechung, Intrigen und andere Macht- und Geldspielchen, bei denen die Täter unerkannt bzw. unbehelligt bleiben, weil das System diese Art von Handlungen begünstigt. Diejenigen, die sich nicht hundertprozentig darin einfügen und skrupellos genug sein können, können daran zerbrechen.
Es ist ein tolles Buch, ein klares Zeitdokument und ein spannender Krimi.