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SusanK
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Osnabrück

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Insgesamt 237 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2023
Leonard, Susanna

Die Radfahrerin


ausgezeichnet

In einem Bostoner Herrenclub gehen im Jahr 1894 zwei Geschäftsmänner eine waghalsige Wette ein: Niemals würde eine Frau es schaffen, auf einem Fahrrad, mit nichts als Wechselunterwäsche und einem Revolver im Gepäck und ohne Geld, Geschenke und Spenden die Welt zu umrunden. Durch Zufall hört die 24jährige Anna Kopchovsky von dem ausgeschriebenen Preisgeld, und enttäuscht von ihrem gläubigen Ehemann Max, der mehr Zeit in der Synagoge als mit Geldverdienen verbringt um die drei KInder zu ernähren, der beengten Wohnsituation mit der Familie ihres Bruders und ihren Träumen von einem besseren Leben, beschließt sie, die Reise ins Ungewisse anzutreten. Gesponsort von einem Mineralwasserunternehmen, ändert sie ihren Namen in Annie Londonderry und erlebt viele Abenteuer, Lebensgefahren und die Liebe ....

Anhand der wahren Geschichte um die historisch belegte Anna Kopchovsky hat die Autorin Susanna Leonhard einen spannenden Abenteuerroman mit einigen fiktiven Elementen über eine starke Frau geschrieben: Annie, die von ihrem ärmlichen Leben erdrückt und von großen Träumen getrieben wird und trotz aller bestehenden Zweifel ein schier unvorstellbares Wagnis eingeht. Dabei versteht Susanne Leonhard, die Zerrissenheit der Hauptfigur, ihre Motive und ihren bemerkenswerten Mut zum Ausdruck zu bringen. Ihre Hauptfigur besticht durch Komplexität, Mehrdimensionaltität und Authentizität sowie durch ihre große Entwicklung im Laufe der Zeit. Aber auch die Nebenfiguren sind anschaulich und nachvollziehbar geschildert. Gefallen hat mir auch, dass Annies Schwächen schonungslos aufgezeigt werden; insbesondere ihre Neigung, in eigener Sache zu lügen und wilde Geschichten zu erfinden.
Ob man Annies Handeln immer nachvollziehen kann? Ich finde, auch ohne es gutzuheißen: ja - auch, wenn es sicher eine harte Entscheidung war, ihre Kinder vorübergehend zu verlassen, was gerade ihre älteste Tochter Molly ihr niemals verzeihen konnte. Dieser Konflikt nimmt ebenfalls einen wichtigen Raum ein.

Interessanterweise ist die eigentliche Reise Annies nicht der alles überstrahlende Teil dieses Buches; gerade die Hintergründe und die Motive treten stark hervor, was ich zu schätzen wusste um mir ein umfassendes Bild dieser Person zu machen, auch, wenn ich durchaus gerne noch mehr von Annies Heldentaten gelesen hätte, so spannend fand ich die Geschichte von Anfang an - und doch kaum vorstellbar, wie eine junge Frau gerade auch in Asien dieses Experiment überstehen konnte!

Die Autorin schreibt so bildhaft, flüssig und spannend, dass ich das Buch in einem Rutsch gelesen habe.

Susanna Leonhard ist ein großartiger Roman über eine starke Frau gelungen, die trotz aller Widerstände ihren Weg geht und dabei die Rolle der Frau im endenden 19. Jahrhundert völlig neu schreibt. Wie sie - aus praktischen Erwägungen - Hosen trägt, sich einen Liebhaber gestattet, alleine reist, all dies ist zu der Zeit eigentlich undenkbar und dennoch tatsächlich geschehen.
Eher nebenbei zeichnet Leonhard ein Stück Zeitgeschichte und lässt ihre Leser einiges lernen.

Abgerundet wird der Roman durch ein Personenverzeichnis am Anfang und ein NAchwort, in dem die Autorin Fiktion und Wirklichkeit voneinander abgrenzt.

Mich hat dieses Buch in jeder Hinsicht begeistert (fünf Sterne) und ich wünsche mir mehr solcher Bücher über starke Frauen, die leider - oftmals zu Unrecht - in Vergessenheit geraten sind!

Bewertung vom 29.03.2023
Johannsen, Anna

Enna Andersen und die verlorene Zeit


gut

Enna, leitende Beamtin in der Abteilung für Cold Cases, nimmt Urlaub, um den 20 Jahre zurückliegenden Mord an ihren Eltern aufzuklären, insbesondere, da der verurteilte Mörder noch immer seine Unschuld beteuert.Die Spuren führen sie zurück in die Anwaltskanzlei, in der ihr Vater damals arbeitete und noch weiter in die DEutsche Geschichte .....

"Enna Andersen und die verlorene ZEit" ist bereits der fünfte Fall um die Hauptkommissarin Enna Andersen und ihr Oldenburger Team. Obwohl der Band grundsätzlich einen abgeschlossenen Fall enthält und Vorkenntnisse nicht zwingend erforderlich sind, bin ich sicher, dass das Buch angenehmer zu lesen ist, wenn man die Figuren bereits kennt. INsbesondere die Vielzahl an Namen und die Verflechtungen haben mir einiges an Mühe bereitet und Fragen aufgeworfen.

So konnte ich auch nicht wirklich Zugang zu der toughen Hauptkommissarin finden; sie blieb mir seltsam fremd. Und auch in die Beziehungen - nicht nur innerhalb ihres Teams - musste ich erst lange einarbeiten.

Dass es kein Lokalkolorit gab, empfand ich durchaus als angenehm.

Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen.
Trotz einiger Spannung hat das Buch auch immer wieder seine Längen, wobei ich es durchaus realistisch fand, wie lange Anna völlig im Dunkeln tappte und erst spät ein roter Faden erkennbar wurde. Der Fall an sich gefiel m ir gut und führte zu einem runden Ende.

INsgesamt ein schöner Krimi, der LUst auf weitere Bücher der Autorin macht. Ich vergebe 3,5 Sterne.

Bewertung vom 26.03.2023
Fuchs, Katharina

Der Traum vom Leben


ausgezeichnet

Die 17jährige Luise ist auf einem armen Bauernhof in Ostfriesland aufgewachsen, wo harte Arbeit und Verzicht selbstverständlich sind. Eher zufällig lernt sie den Beruf einer Friseurin, wo sie einfühlsam auf ihre Kundinnen eingeht und sehr beliebt ist. Als sie einen regionalen Frisurenwettbewerb gewinnt, wird der alternde Starfriseur Hammer auf sie aufmerksam; und wegen einer unglücklichen LIebe folgt sie ihm auf die große Herbstmodenschau nach Paris. Durch Zufall springt sie für ein ausgefallenes Model ein - und wird bald selbst zum aufsteigenden Star in der Welt der Supermodels .....

Katharina Fuchs schreibt in ihren Romanen (Unser kostbares Leben, Lebens Sekunden, Neuleben, Zwei Handvoll Leben)

von starken Frauen, die ihren eigenen Weg gehen und beschreibt dabei auch detailliert die jüngere Vergangenheit.

In ihrem Roman "Der Traum vom Leben" nimmt sich die Autorin die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vor und führt ihre Leser*Innen in die Welt der Supermodels, der großen Modenschauen und in ein schillerndes Paris. Dabei werden viele Details genau geschildert ud zahlreiche Erinnerungen geweckt.

Ein großes Augenmerk setzt Katharina Fuchs darauf, die diametralen Unterschiede zwischen dem arbeits- und entbehrenungsreichen Leben inauf einem kleinen ostfriesischen Hof und dem schillernden Schein der Pariser Modewelt aufzuzeigen. Beide Teile haben mir gleichermaßen gut gefallen.

Insbesondere Luise macht eine wahre Heldenreise durch. Als naives Mädchen vom Lande kann sie sich, trotz ihres jungen Alters, alleine in der Fremde immer besser zurechtfinden und ihren eigenen Weg finden und gehen. Aber auch die weiteren Figuren sind bildhaft und genau gezeichnet, so dass ich schnell meinte, alle selbst zu kennen und Sympathien und Antipathien geweckt wurden. Besonders ans Herz gewachsen ist mir dabei der nordafrikanische Koch Aydin, der in Paris kein einfaches Leben hat und Luise treu zur Seite steht.

Fast nebenbei ist zu lesen von den großen Mode-Labels, den hippen Designern und großen Stars wie Naomi, Claudia, Linda usw., bei dem beim Lesen sofort Bilder vor dem geistigen Auge erscheinen.

Natürlich spielt auch das Thema "LIebe" eine Rolle; allerdings nimmt sie keinen allzu großen Raum ein.

Auch, wenn im Klappentext vermerkt ist, dass diese Geschichte auf dem Leben echter Personen basiert, darf man nicht vergessen, dass es eine fiktive Geschichte ist und manchmal wie ein modernes Märchen anmutet. Trotz mancher Rückschläge gelingt es der unerfahrenen "Landpomeranze" Luise, Fuß zu fassen in dieser Scheinwelt der Mode und trotz aller Widrigkeiten - wie nicht zuletzt ihrer großen Narbe, die ihr eine Kuh mit ihrem Horn zugefügt hat - zu einem umjubelten Star zu werden. Eher nebenbei verbalisiert Katharina Fuchs die Schnelllebigkeit des Business, den Konkurrenzkampf, Lügen und Intrigen, Hunger, Bulimie, Magersucht, Knebelvertäge, Alkohol und Drogen sowie Verschuldung und Elend.

Die flüssige Schreibweise und vielen Bilder, die die Autorin zeichnet, machen das Buch zu einem Lesegenuss und echten Pageturner, den ich mit Vergnügen gelesen habe. Ich freue mich schon auf das nächste Buch dieser Autorin über starke Frauen ihrer Zeit,

Bewertung vom 05.03.2023
Eldering, Frank

GENESIS (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Als im Mai 1291 die Hafenstadt Akkon, letzte Bastion der Kreuzfahrer im Nahen Osten, nach sechswöchiger Belagerung und erbitterten Kämpfen von dem ägyptische Mamluken-Sultan al-Aschraf Chalil eingenommen wird und ein entsetzliches Gemetzel alle verbleibenden christlichen Einwohner tötet, kann sich der Ritten des Deutschen Ordens, Wilhelm von Bolanden, auf die letze Galeere flüchten. Seine Mission: geheime, als häretisch eingestufte Papyrusrollen nach Konstanz dem Abt Manfred von Gerbrand zu bringen und einen geheimen Bund wieder auferstehen zu lassen. Verfolgt wird er dabei nicht nur von einem muslimischen Meuchelmörder, der seinem Sultan die geheimen Schriften bringen soll, sondern auch von Kadinal de Lucca, der durch die Offenlegung der Schriften das Christentum bedroht sieht. In Venedig nimmt der fanatische Inquisitor de Lucca von Bolanden gefangen und bringt ihn nach Rom, wo ihm der Tod droht, doch der Benediktiner Ordensschwester Ariana gelingt es, ihn aus dem Kerker zu befreien, und gemeinsam bestehen sie viele Abenteuer auf ihrer wilden Flucht durch Italien, über die Alpen nach Basel und weiter nach Koblenz zur Erfüllung der Mission.

"Genesis" ist der Auftakt der historischen Confluentes-Trilogie des niederländischen Autors Frank Eldering, der ausgezeichnet und umfassend recherchiert hat und die bekannten historischen Fakten in eine mitreißende Abenteuer-Geschichte einbindet, in der schließlich auch LIebe entsteht. Die historischen Personen und wichtige dokumentierte Details werden vom Autor im Anhang erklärt und runden die erdachte Geschichte ab.

Der flüssige Schreibstil und die hochspannende Verfolgungsjagd sowie das Rätsel um die geheimen Papiere machen das Buch zu einem wahren Page-Turner, den ich nicht mehr aus der Hand legen mochte. Der Spannungsbogen zieht sich auf hohem Niveau durch das komplette Buch bis zu einem befriedigendem Ende. Ein besonderes I-Tüpfelchen war dabei die dem Roman zugrunde liegende theologische Idee, die erst im Laufe der Geschichte immer deutlicher wird, den Streit der monotheistischen Religionen beizulegen: Das "Confluentes" im Namen der Trilogie bezieht sich nämlich nicht nur auf den historischen Namen der Stadt Koblenz ("Castellum apud Confluentes" oder deutsch „Kastell bei den Zusammenfließenden“ Flüssen Rhein und Mosel), sondern auch auf ein Zusammenfließen von Christentum, Judentum und Islam, das sicherlich kaum im Sinne der katholischen Kirche sein kann.

Treue und Pflichtbewusstsein, auch unter Lebensgefahr, Liebe und Hass, Fanatismus und religiöser Übereifer finden sich in den Figuren wieder.
Diese sind bildhaft und mehrdimensional gezeichnet und Wilhelm von Bolanden und Ariana von Hane wuchsen mir schnell ans Herz, während der fanatische und schlaue Inquisitor schlichtweg die Kritik an der Kirche verkörpert. Spannend ist auch der Assassine Raschid, der interessanterweise zwischen seinem Auftrag und seinem Herz agiert und nicht ausschließlich der eiskalte Meuchelmörder ist. Die aufkommende LIebe zwischen den Flüchtenden Arina und Wilhelm habe ich auch als keineswegs störend in dieser abenteuerlichen Geschichte empfunden, sondern passte harmonisch in den Kontext.
Ergänzt werden könnte durchaus ein Personenverzeichnis mit einer Kennzeichnung der fiktiven und der historischen Personen, um leichter den Überblick zu erhalten.

"Genesis" ist eine gelungene Kombination aus historischem Roman, Abenteuerroman und Thriller (und ein wenig Liebensgeschichte) und hat mir großes Lesevergnügen bereitet. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung in dem zweiten Teil "Vermächtnis" der Confluentes-Trilogie.

Bewertung vom 10.02.2023
Melley, Tom

Der dunkle Erbe


ausgezeichnet

Als Richard Löwenherz, König von England und Herrscher über das angevinische Reich im April 1199 überraschend stirbt, streiten zwei mögliche Thronfolger um sein Erbe: sein 12jähriger Neffe Arthur I., Herzog der Bretagne, unter dem Einfluss seiner Mutter Constanze, und sein Bruder John Lackland (zu deutsch Johann Ohneland). Während sich Arthur mit Philipp II., König von Frankreich, verbündet, wird John von William Marshall, dem wohl besten Ritter seiner Zeit, unterstützt, der durch seinen großen Einfluss John zu seinem großen Erbe verhilft. Doch Williams Hoffnung auf Frieden wird bitter enttäuscht, denn der unberechenbare John stürzt England in einen desperaten Krieg gegen Arthur und vor allem gegen den mächtigen Philipp. Dabei verlässt er sich auf William Marshall, dessen schier unerschütterliche Treue zu den fünf Königen der Plantagenets, denen er diente, durch Johns Verhalten ernsthaft in Frage gestellt wird ....

Tom Melley hat sich in seinem literarischen Werk auf die Zeit des Hochmittelalters konzentriert und legt mit seinem inzwischen bereits vierten historischen Roman um den dunklen Erben John Lackland seinen wohl herausragensten aus einer Serie von außergewöhnlichen Romanen vor. Melley hat umfassend und akribisch recherchiert und es gelingt ihm, die schier unzähligen historischen Fakten und Verwicklungen so aufzuarbeiten und mit fiktiven Elementen zu verbinden, dass eine spannende Erzählung entstanden ist, die einem roten Faden folgt und den Leser trotz einer großen Zahl an Personen, Daten und Fakten gut folgen lässt. Hilfreich sind hierbei aber auch die Landkarten und das Personenverzeichnis zu Beginn des Buches und abschließend ein klärendes Nachwort des Autors.

Tom Melley pflegt einen flüssigen Schreibstil, der durch den stellenweise einfließenden Wortwitz und Sarkasmus gewürzt wird.
Die Erzählperspektive wechselt zwischen John und William - und kurzen Einschüben weiterer Protagonisten - was zu Beginn eines jeden Kapitels angegeben ist jeweils mit Ort und Zeit des Geschehens, so dass der Leser gut durch das Epos geleitet wird und ein umfassendes Bild erhält. Und obschon der Werdegang ja bereits feststand, gelingt es Tom Melley durch seine fesselnden Beschreibungen der Intrigen und Alliancen und der Auseinandersetzungen die Spannung hoch zu halten.

Wenn der Name "Richard Löwenherz" wohl noch jedem bekannt sein dürfte - nicht zuletzt durch seine Rolle in den Geschichten um Robin Hood - so sind seine designierten Nachfolger und auch der Ritter und Earl of Pembroke I., William Marshall doch den meisten von uns wenig vertraut. Melley gelingt ist, alle prägnant in all ihren Charaktereigenschaften zu beschreiben und vor den Augen seiner Leser zum Leben zu erwecken. Bereits bei Richard I. wird deutlich, dass dieser nicht der König war, als der er in der Kunst oft legendenhaft verklärt worden ist, sondern ein verantwortungsloser und egoistischer König. Als sein jüngster Bruder, ein Muttersöhnchen, der stets im Schatten seiner Brüder stand, ohne Geld und Titel, überraschend sein großes Erbe antritt, wird schnell deutlich, dass er den Erwartungen nicht gerecht werden kann; wir lernen ihn kennen als machthungrigen, in politischen Dingen unerfahrenen und glücklosen, sexbesessenen Säufer, der lediglich William Marshall und seiner Mutter Eleonore von Aquitanien vertraut. Gerade seine innere Zerrissenheit und sein unüberlegtes Handeln stellt der Autor gnadenlos zur Schau und fand damit die Erklärungen für viele Handlungen, die auf den ersten Blick wenig nachvollziehbar erscheinen.

Neben dem titelgebenden "dunklen Erben" stellt William Marshall jedoch die eigentliche Hauptfigur dieses Romans dar. Er ist der erste und beste aller Ritter, mit einer unerschütterlichen Treue zu seinem - jeweiligen - König, seinen Verbündeten ein guter Freund, seiner Ehefrau in Liebe verbunden, im Kampf nahezu unschlagbar, - und dennoch ein Mensch mit Fehlern, von dem man unbedingt mehr lesen möchte.

Tom Melley bietet mit diesem durchaus politischen historischen Roman auf unterhaltsamste Weise einen bildgewaltigen Geschichts"Unterricht", der die Streitigkeiten der Herrscher nachvollziehbar werden lässt, die Verflechtungen und Entwicklungen kohärent erklärt und nicht so schnell in Vergessenheit geraten wird. Leider ist nach knapp 500 Seiten und nur fünf Jahren von Johns Regentschaft dann schon Schluss; da birgt die HIstorie doch noch einiges an Potential. Bitte noch ganz viel mehr davon!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.02.2023
Seidl, Bettina

Zwischen Stille und Sturm / Die Dorflehrerin Bd.2


ausgezeichnet

1918. Antonie Weber ist seit sieben Jahren die Lehrerin im kleinen Bergdorf Tannau. Bei allen Kindern und Bewohnern des Ortes hochgeschätzt wegen ihrer liebevollen und anpackenden Art, gibt es doch immer wieder Differenzen mit dem neuen Pfarrer Porz, denen eine weibliche Lehrkraft ein Dorn im Auge ist, der aber leider auch die Schulaufsicht innehat. Auch am eigenen Leib, aber vor allem wegen des Schicksals der befreundeten Männer, die zum Kriegsdienst eigenzogen sind, erlebt sie die Auswirkungen und den Schrecken des Ersten Weltkrieges Als sie vorübergehend bei ihrer alten Freundin Elvira in München unterschlüpft, bricht die Novemberrevolution aus. Antonie wird gezwungen, ihren Lebensentwurf noch einmal in Frage zu stellen und muss sich zwischen LIebe und Passion entscheiden .....

Mit "Die Dorflehrerin - zwischen Stille und Sturm" ist nun der zweite Band um die passionierte Lehrerin Antonie Weber erschienen, der sich allerdings problemlos ohne Kenntnis des ersten lesen lässt.

Die Autorin Bettina Seidl beschreibt auf angenehmste Art flüssig und dennoch eindringlich die Erlebnisse und Gedanken der jungen Lehrerin, die nichts anderes will, als ihre Schüler zu fordern und zu fördern, was sie auf vorbildliche Weise tut. Allerdings ist das Lehrerinnen-Zölibat, das Lehrerinnen eine Heirat verbot und erst in den 50er Jahren aufgehoben wurde, ein Thema; im Gegensatz zu Antonie - die "ihren" Sebastian Berger zwar immer noch liebt, sich aber zugunsten ihres Berufes gegen ihn entschieden hatte - hat ihre Freundin Elvira sich für die Liebe und eine Heirat mit Thomas Hafner in München entschieden. Sie ist trotz der engen Freundschaft zu Antonie auch ihr gegensätzlicher Pol. Und auch das Problem, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer noch die Kirche die Aufsicht über das Schulwesen hat, kommt mit den vorsintflutlich scheinenden Ansichten des Pastors Porz immer wieder zum Ausdruck.

Gerade durch die sehr ruhige und unaufgeregte Erzählweise kommen die Schrecken der Zeit besonders deutlich zum Ausdruck. Wenn Bettina Seidl von den winzigen, wenig abwechslungsreichen Portionen, dem Hunger, aber auch den verheerenden Verletzungen der Soldaten und ihre psychischen Probleme schreibt, geht das schnell unter die Haut - ebenso wie die geschilderte medizinische Behandlung eines Kindes, die mich sehr berührt hat.

Bemerkenswert and ich darüber hinaus die Handlung im letzten Teil des Buches, in der Elvira und Antonie mitten in das aufgebrachte Volk und die Novemberrevolution hineingeraten. Meiner Meinung nach viel besser als der nüchterne Geschichtsunterricht!

Die Figuren sind sehr einfühlsam und mit Herz geschildert und ich habe Antonie, Elvira und Monika schnell ins Herz geschlossen. Die männlichen Figuren kommen gerade mit Pastor Porz und dem wenig durchsetzungsstarken Bürgermeister weniger gut davon, doch kennen wir ja leider auch genug solche Personen im wahren Leben.

Auch dieser Band ist wieder in sich abgeschlossen; dennoch freue ich mich auf einen weiteren Teil der Dorflehrerin-Reihe!

Für mich ist "Zwischen Stille und Sturm" gelebter Geschichtsunterricht, anschauliche Wissensvermittlung und dabei trotzdem leichte Unterhaltung; Bettina Seidl ist dieser Spagat perfekt gelungen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.02.2023
Goga, Susanne

Glasgow Girls


ausgezeichnet

Glasgow 1892. Die Mutter der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Olivia sieht deren Zukunft in einer gut bezahlten Arbeit in einer Fabrik und an der Seite des Nachbarjungen Allie, doch Olivia, die gerne zeichnet und stickt, träumt von einem Leben als Künstlerin. So bewirbt sie sich entgegen den Wünschen ihrer Mutter um eine Arbeit in dem berühmten Teesalon von Miss Cranston, die ihre fleißige und zielstrebige Angestellte schätzt und als einflussreiche Mäzenin ihr Talent fördert. So kann Olivia ein Studium an der berühmten Glasgow School of Arts beginnen, wo sie Freundinnen findet und erfolgreiche Künstler kennenlernt. Doch das Leben hält auch negative Überraschungen für Olivia bereit....

Susanne Goga ist mit "Glasgow Girls" ein wundervoller Roman über die größte schottische Stadt Glasgow und die renommierte Glasgow School of Arts gelungen, in der sich Ende des 19. Jahrhunderts ein Kreis von bedeutenden modernen Künstlern und Designern bildete. Dazu hat Susanne Goga hervorragend recherchiert und verwirbt viel (Kunst-) Geschichte mit einer mitreißenden fiktiven Erzählung. (Eine Literaturliste im Anhang gibt Tipps für weitere Informationen.)

Der flüssige, lebendige und mitreißende Schreibstil der Autorin ließ das Buch zu einem wahren Pageturner werden, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Durch ihn gelingt es der Autorin, viele Sachinformationen harmonisch durch das Leben und Wirken der Hauptfigur Olivia einzubringen und ich habe viel über die berühmte "Glasgow School" gelernt, zu der wichtige Künstler wie der bekannte Architekt Charles Rennie Mackintosh und die echten Glasgow-Girls Frances MacDonald McNair und Margaret MacDonald Mackintosh zählen, die sich allesamt im Roman wiederfinden. Und auch das Leben kurz vor der Jahrhundertwende in der schottischen Arbeiterstadt wird bildhaft beschrieben.

Hauptfigur dieses historischen Romans ist die begabte Olivia, die mit großem Einsatz ihre Ziele verfolgt. Sie mag nicht immer sympathisch sein, begeisterte mich aber durch ihren Einsatz und ihr Herz; sie wird beschrieben als eine mehrdimensionale Figur, die sich im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt zu einer starken Persönlichkeit. Ihr zu Seite stehen abwechslungsreiche und vielschichtige Figuren, die wunderbar beschrieben sind und das Lesevergnügen hoch halten. Bemerkenswert finde ich auch, dass gerade so viele starke Frauen, die entgegen zahlreicher Widerstände ihren Weg gegangen sind, thematisiert werden - sind dies neben den echten "Glasgow Girls" und der fiktiven Olivia auch die Unternehmerin Miss Cranston und die Frau des Schulleiters, Jessie Newbery, die auch selbst Dozentin ist.

Vervollständigt wird der Roman durch eine Liebesgeschichte, die man allerdings getrost als eher ungewöhnlich bezeichnen kann.

Persönlich hat mich dieses Buch besonders berührt, da ich die wundervolle Stadt Glasgow liebe und in den Beschreibungen der Autorin stets wiedererkennen konnte und auch den besonderen Teesalon von Miss Cranston, der noch immer besteht und viele Verbindungen zu Charles Rennie Mackintosh aufzeigt, besucht habe (Willow's Tea Rooms).
Ich bin jedoch überzeugt davon, dass nicht nur Schottland-Liebhaber und Kunstinteressierte großen Gefallen an den "Glasgow Gilrs" finden werden. Ein Lese-Highlight ganz nach meinem Geschmack, so dass ich darauf hoffe, dass Susanne Goga und ihr Verlag sich zu einer Fortsetzung entschließen werden.

Bewertung vom 19.01.2023
Stehn, Malin

Happy New Year - Zwei Familien, ein Albtraum


gut

Silvester 2018. Wie in jedem Jahr feiern die alten Schulfreundinnen Nina und Malena mit ihren Familien und weiteren Freunden bei Lollo, der dritten im Bunde, eine große Silvesterparty, obwohl schon lange klar ist, dass die Drei sich auseinandergelebt und eigentlich nichts mehr zu sagen haben. Nina und Lollo haben sich darüber hinaus überreden lassen, dass ihre 17jährigen Töchter Smilla und Jennifer ebenfalls eine Party in Ninas Zuhause ausrichten dürfen, obwohl gerade die vorsichtige Nina große Bedenken hatte. Und das Schlimmste passiert: Jennifer verschwindet nach einem Streit spurlos. Die Suche nach ihr bringt jede Menge dunkler Geheimnisse aller ans Licht ....

Die Schreibweise der vielfach ausgezeichneten Autorin ist flüssig und angenehm zu lesen; die Ereignisse werden abwechselnd erzählt in der Ich-Perspektive von Nina, Lollo und Fredrik, Ninas Mann, wodurch auch immer ein differenzierter Blick auf einzelnen Aspekten liegt.

Während in der Beschreibung der Ereignisse anfangs eine große Spannung aufgebaut wurde, flachte diese für mich jedoch bald wieder ab und erst die letzten ca. 50 Seiten konnten mich noch einmal richtig in ihren Bann ziehen und brachten eine unerwartete Wendung, die zu einer doch leider etwas lieblosen Auflösung führte. Denn während bei einem Thriller die Figuren in eine ausweglose Lage geraten oder bei einem Krimi die Ermittlungen im Vordergrund stehen, findet sich hier doch mehr oder weniger ein Roman, in dem die MItglieder der beteiligten Familien von Ängsten und Unsicherheiten heimgesucht werden und sich immer größerer Ärger zur vorherrschenden Trauer einschleicht. Insbesondere Fredrik fühlt sich schuldig und sieht sein Leben als beendet an, wenn die Wahrheit herauskommen sollte - und ich konnte lange Zeit nicht umhin mir zu wünschen, dass ich endlich erfahre, was wirklich passiert ist, damit dieses unerträgliche Gejammer schließlich aufhört und die eigentliche Handlung wieder Fahrt aufnimmt.

Dazu kommt, dass mir keine der Figuren wirklich sympathisch war oder mir im Laufe der Zeit ans Herz wuchs; im Freundeskreis wird heftig übereinander hergezogen, doch wenig MITeinander geredet, jeder einzelne Elternteil zeigt völlig unterschiedliche Erziehungsmethoden, die von den anderen kritisiert werden und die Kinder sind in schwierigen Entwicklungsphasen. Warum Fredrik sich tatsächlich dermaßen gehen lässt und ein schwerst depressives Verhalten zeigt, will sich mir überhaupt nicht erschließen und lässt ein großes Fragezeichen in meinem Kopf zurück.

Schade; "Happy new year" hat in meinem Augen das Potential für einen ganz großen Wurf; die Umsetzung konnte mich jedoch leider - mit Ausnahme von Anfang und Ende des Romans - nicht überzeugen.