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Insgesamt 215 Bewertungen
Bewertung vom 03.04.2022
Huber, Christian

Man vergisst nicht, wie man schwimmt


ausgezeichnet

Die perfekte Sommerlektüre

Inhalt: Der 31. August 1999. In Bodenstein knallt die Sonne; die Hitze steht und die Luft flirrt. Der 15-jährige Pascal, von allen nur Krüger genannt, versucht den Tag in seinem Zimmer zu überstehen. Doch da hat er nicht mit seinem besten Freund Viktor gerechnet: Dieser überredet Krüger, zum Müller-Markt zu gehen, um gemeinsam „Tony Hawk’s Pro Skater“ zu spielen. Dort begegnen die beiden zufällig Jacky, einem Mädchen aus dem Zirkus, der gerade in Bodenstein gastiert. Ein Treffen, das Krügers Leben für immer verändern wird.

Persönliche Meinung: „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ ist ein Coming of Age-Roman von Christian Huber. Erzählt wird der Roman aus der Ich-Perspektive Pascals (aka Krügers). Die Handlung ist durchzogen von 90er Vibes. So finden sich einerseits viele Referenzen auf die Popkultur der (späten) 90er: Krüger und Viktor spielen „Tony Hawk’s“, der (befürchtete) Millennium-Bug wird thematisiert, typische Produkte (wie das Tamagotchi oder die Super Soaker) werden genannt und das Nokia 3210 spielt eine nicht geringe Rolle im Roman. Auch tönt der Sound der 90er durch „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“: Goldfinger und Oasis werden ebenso abgespielt wie Eminem, Massive Töne oder die Red Hot Chili Peppers. Zur Handlung selbst möchte ich gar nicht so viel verraten. Nur: Es geht um Freundschaft, das Erwachsenwerden, das Verarbeiten traumatischer Erlebnisse und die erste Liebe. Eingeflochten in die Handlung sind außerdem kurze Geschichten Krügers: Dieser möchte Schriftsteller werden und schreibt in sein Notizbuch einzelne Kurzgeschichten, die aber keiner außer ihm sehen soll. Für Spannung innerhalb des Romans sorgt ein besonderes Geheimnis, das Krüger in sich birgt und das zum Ende der Handlung offenbart wird. Sehr gut hat mir auch gefallen, wie Christian Huber zwischen Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit changiert. So heiter, fast unbekümmert der Roman beginnt, so bedeutungsvoll und ernst ist er zum Ende hin. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auch bei den drei Protagonisten Krüger, Viktor und Jacky. Auf den ersten Blick erscheinen sie als „normale“ Jugendliche (die übrigens lebendig gezeichnet sind). Je weiter die Handlung fortschreitet, desto stärker offenbart sich aber ihre Tiefgründigkeit. Das Ende ist bittersüß und könnte nicht perfekter sein. Der Roman lässt sich sehr flüssig lesen, benutzt Umgangs- und Jugendsprache, was sehr gut zu den Protagonisten passt. Insgesamt ist „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ ein spannender Coming of Age-Roman, den 90er Vibes durchziehen und der eine feine Liebesgeschichte besitzt. Er spielt in einer ähnlichen Liga wie Benedict Wells „Hard Land“, wobei mir persönlich „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ aufgrund der räumlichen und zeitlichen Nähe der Handlung (nicht Grady in den 80ern, sondern ein deutsches Kaff in den 90ern) noch einen Tacken besser gefallen hat. Schnipsinger!

Bewertung vom 31.03.2022
Solà, Irene

Singe ich, tanzen die Berge


ausgezeichnet

Inhalt: Prall gefüllt und unheilschwanger ziehen dunkle Wolken über die Pyrenäen. Erste Blitze brechen sich Bahn. Einer trifft Domènec, einen dichtenden Bauern, der gerade vor dem Gewitter flüchtet. Zurück bleiben seine Frau Sió und die beiden Kinder Mia und Hilari. Doch der Tod Domènecs wird nicht das einzige Unglück bleiben, das die Familie ereilt.

Persönliche Meinung: „Singe ich, tanzen die Berge“ ist ein Roman der katalanischen Schriftstellerin Irene Solà. Erzählt wird der Roman episodenartig aus einer Vielzahl von Ich-Perspektiven. Hierbei kommen nicht nur menschliche Figuren (wie Sió oder Mia) zu Wort, sondern auch ein Rehbock, ein Geist, Pilze und die Pyrenäen selbst. Das Besondere ist, dass jede Perspektive eine unverwechselbare Erzählstimme und Sichtweise besitzt, die sich von den anderen Perspektiven unterscheiden. Die Episoden erscheinen auf den ersten Blick als eher unzusammenhängende Sequenzen. Allerdings ergeben sie, je weiter man liest, – einem Mosaik gleich – ein Gesamtbild. Die Lektüre von „Singe ich, tanzen die Berge“ ist insgesamt sehr intensiv. Dies hängt einerseits mit der sprachlichen Seite des Romans zusammen: Solà schreibt sehr bildhaft, metaphorisch und lyrisch; Wortwahl und Satzbau sind ungezähmt, stellenweise urwüchsig (Petra Zickmanns Übersetzung aus dem Katalanischen fängt dies großartig ein). Die beeindruckende Sprachgewandtheit und Bildgewalt spürt man auf jeder Seite: Während der Lektüre wird man auf eine angenehme Art mit Worten und Bildern gesättigt, sodass man nach jedem der 18 Kapitel – ähnlich wie die Wolken zu Beginn des Romans, aber in einem positiven Sinne – prall gefüllt ist. Durch diese sprachliche Intensität ist „Singe ich, tanzen die Berge“ umfassender, als seine etwas mehr als 200 Seiten annehmen lassen. Der zweite Aspekt, der die Lektüre so intensiv macht, ist die Handlung des Romans: Auf der einen Seite fängt Solà Einzelschicksale wie in einem Brennglas ein: Diese sind selten bruchlos, oft tragisch, teilweise aber auch ungemein lebensbejahend. Auf der anderen Seite werden diese Einzelschicksale durch die Perspektiven der mystischen Wesen oder der Pyrenäen – quasi im Weitwinkel – relativiert. So tragisch oder erfüllend sie auch sind: Im Fluss der Zeit verlieren sie ein Stück weit an Bedeutung. Insgesamt ist „Singe ich, tanzen die Berge“ ein vielstimmiger, sprachgewaltiger, ja stellenweise ungestümer Roman, dessen Lektüre intensiv ist.

Bewertung vom 27.03.2022
Nähle, Kirsten

Vertraute Qualen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Inhalt: Würzburg. Nach einer Partynacht verschwindet Leon, ein Schüler einer örtlichen Realschule, spurlos. Handelt es sich um eine Straftat oder ist er von sich aus weggelaufen? Um den Fall zu klären, kehrt die Oberkommissarin Victoria Stahl frühzeitig in den Dienst zurück. Denn: Leon ist der Freund ihrer Tochter Marie. Als ein weiterer Schüler aus Leons Klasse verschwindet, beginnt ein Rennen gegen die Zeit.

Persönliche Meinung: „Vertraute Qualen“ ist ein Krimi mit Thrillerelementen von Kirsten Nähle. Nach „Zwölf Sünden“ ist es der zweite Krimi, der sich um das Ermittlerduo Victoria Stahl und Daniel Freund dreht. Der Fall von „Vertraute Qualen“ ist in sich abgeschlossen, sodass man nicht zwangsläufig den Vorgänger gelesen haben muss. Um die Figuren und ihre Beziehungen besser verstehen zu können, ist es aber sinnvoll, zunächst mit „Zwölf Sünden“ zu starten. Erzählt wird „Vertraute Qualen“ aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven, sodass die Handlung ein schönes Tempo gewinnt. So werden neben den Perspektiven von Victoria Stahl und Daniel Freund auch die Sichtweisen von Marie und eines weiteren Schülers eingenommen (den Namen nenne ich zur Spoilervermeidung bewusst nicht). Zum Inhalt des Krimis möchte ich gar nicht zu viel vorwegnehmen. Nur: Kern des Plots ist Mobbing an der Schule. Die Handlung selbst besitzt eine schöne Spannungskurve und ist stimmig. Auch werden mehrere falsche Fährten gelegt, sodass die Täteridentität überraschend ist. Die Handlungen des Täters werden teilweise detailliert und explizit beschrieben, sodass man stellenweise „hartgesottene*r“ Thrillerleser*in sein muss. Der Schreibstil von Kirsten Nähle lässt sich sehr flüssig und angenehm lesen, sodass „Vertraute Qualen“ insgesamt ein richtiger Pageturner ist. Sehr gut an dem Krimi hat mir auch gefallen, wie die emotionale Seite des Falles thematisiert wird. Dadurch, dass der Verschwundene der Freund von Marie ist, sind Victoria und Marie direkt in den Fall involviert, was Folgen für die Handlung hat: Der Fall wird nicht „einfach“ nach einem bestimmten Schema geklärt, sondern die Protagonisten leiden während der Aufklärung mit und reiben sich emotional auf. Insgesamt ist „Vertraute Qualen“ ein flüssig zu lesender Krimi mit einer spannenden Handlung und schön ausgearbeiteten Figuren.

Bewertung vom 21.03.2022
Hieber, Jochen

Martin Walser


ausgezeichnet

„Martin Walser. Der Romantiker vom Bodensee“ ist eine Biografie von Jochen Hieber, die sich mit dem Leben und Werk des Schriftstellers Martin Walser beschäftigt. Jochen Hieber setzt in seiner Biografie zwei Schwerpunkte: Zwar gibt Hieber einen kursorischen Überblick über das Gesamtwerk Walsers, doch legt er den Fokus auf Walsers Veröffentlichungen ab 1998. Wie Hieber ausführlich begründet, versteht er Martin Walser als partiellen Romantiker, der die Maximen der Aufklärung für realisiert erachte und daher für die Gegenwart neue Antworten jenseits der Aufklärung suche. Walser befinde sich außerdem – den Romantikern nicht unähnlich – in einem permanenten Schreib- und Reflexionsprozess, weshalb er nicht das eine Hauptwerk geschaffen habe. Zugleich – und das ist der zweite Schwerpunkt – behandelt Hieber Walser in seiner Biografie weniger als ein Individuum, sondern stärker als Schriftsteller in einem spezifischen Literatursystem, wobei auch Wechselwirkungen zwischen Individuum und System dargestellt werden. Hieber schreibt also keine bloße Biografie, sondern auch eine Abhandlung über die deutsche Gegenwartsliteratur, in deren Mittelpunkt die Perspektive Martin Walsers gesetzt wird. Denn: Obwohl, so Hieber, Martin Walsers Relevanz für die Gegenwartsliteratur nicht ausreichend genug betont werden könne, falle er – gerade im angelsächsischen Raum – häufig hintüber und bekomme nicht die Aufmerksamkeit, die ihm eigentlich zustehe. Um Walsers Relevanz für die Gegenwartsliteratur herauszustellen, geht Hieber einen besonderen, nicht-chronologischen Weg. So wird Walsers Leben und Werk in Bezug zum Literatursystem (bestehend aus Schriftsteller*innen, Leser*innen, Rezensent*innen und dem Literaturmarkt) beschrieben. Daher spielen neben Martin Walser auch Größen der Gegenwartsliteratur wie Hans Magnus Enzensberger und Günter Grass in der Biografie eine Rolle (gerade zu Beginn wird das aus Enzensberger, Grass und Walser bestehende Triumvirat der deutschen Gegenwartliteratur häufig thematisiert). Ein besonderes Augenmerk wird auch auf die österreichisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger gelegt, die eine langjährige Freundin Walsers war (bis sie die Freundschaft nach der Veröffentlichung von Walsers „Tod eines Kritikers“ beendete). Hierbei beschäftigt sich Hieber ausführlich mit Klügers „weiter leben“, welches er parallelisierend zu Walsers „Ein springender Brunnen“ analysiert. Den größten Raum in Hiebers Biografie nehmen aber Walsers Paulskirchenrede 1998 und sein Buch „Tod eines Kritikers“ (2002) ein. Beide führten dazu, dass Walser (u.a. von Marcel Reich-Ranicki und Frank Schirrmacher) vorgeworfen wurde, ein Antisemit zu sein. Hieber beschreibt in diesem Kontext ausführlich die Genese des Antisemitismus-Vorwurfes und diskutiert gleichzeitig, inwiefern dieser gerechtfertigt ist. Wie bereits angeführt, schreibt Hieber Walsers Biografie vor dem Hintergrund des Literatursystems. Interessant an dieser Perspektivierung ist, dass Jochen Hieber – als langjähriger FAZ-Feuilleton-Redakteur und Literaturkritiker – ebenfalls Teil dieses Systems ist. Er kennt Martin Walser persönlich, hat mit Reich-Ranicki und Schirrmacher zusammengearbeitet, wodurch die Biografie insgesamt eine persönliche Note besitzt. Gleichzeitig geht Hieber allerdings mit einer kritischen Sorgfalt vor und begründet seine Ansichten transparent, sodass keine undifferenzierten Parteinahmen geäußert werden. Insgesamt ist „Martin Walser. Der Romantiker vom Bodensee“ eine informative und verständlich geschriebene Biografie über Walser, die nicht nur dessen Leben, sondern auch das zeitgenössische Literatursystem behandelt.

Bewertung vom 17.03.2022
Onda, Riku

Die Aosawa-Morde


ausgezeichnet

Inhalt: Die einflussreiche Familie Aosawa feiert ein großes Fest. Es wird gelacht, getrunken und auch die Nachbarskinder dürfen mitfeiern. Doch das Fest endet tragisch. Bei Sonnenuntergang sind fast alle Familienmitglieder tot. Schnell stellt sich heraus, dass sie vergiftet worden sind: Ihr letztes Getränk war mit Zyanid versetzt. Nur Hisako, die blinde Tochter der Aosawas, überlebt das Unglück. Die Ermittlungen nach dem Ursprung des Giftes laufen auf Hochtouren, doch als der Mann, der die Getränke geliefert hat, Suizid begeht, scheint seine Schuld festzustehen. Unstimmigkeiten bleiben allerdings. Daher begibt sich Jahrzehnte später eine Frau auf Spurensuche und versucht, ein Netz aus „Wahrheiten“ zu entwirren.

Persönliche Meinung: „Die Aosawa-Morde“ ist ein Spannungs-/Kriminalroman der japanischen Autorin Riku Onda. Erzählt wird er aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei in jedem Kapitel eine andere Perspektive eingenommen wird. Häufig wird dabei in Dialog-/Interviewform erzählt, allerdings ohne, dass ein Interviewer eingeführt wird: Man liest nur die Gesprächsanteile der Person, die interviewt wird. So ist jedes Kapitel ein kleines Rätsel in sich: Wer redet da überhaupt? Wie ist sein/ihr Bezug zu der im vorherigen Kapitel befragten Figur? Und: Wer ist die interviewende Figur? Genutzt wird im Roman außerdem die Technik der literarischen Montage, was für zusätzliche Spannung sorgt: Die auf den ersten Blick voneinander losgelösten „Dialoge“ werden um Dokumente und einen Auszug aus einem Roman ergänzt, wobei man auch hier zunächst nicht sicher weiß, wie der genaue Zusammenhang ist. Dabei wird nicht immer chronologisch erzählt. Je weiter man allerdings liest, desto deutlicher wird, dass jedes Kapitel ein Puzzlestück ist, sodass sich schrittweise eine Handlung bildet: Nach und nach erhält man Informationen, mit denen man vorherige Kapitel besser (zeitlich und inhaltlich) einordnen kann. Sukzessiv kommt man dem Rätsel um die Aosawa-Morde näher – so scheint es. Doch: Gleichzeitig widersprechen sich die Figuren immer wieder, sodass man nie wirklich sicher sein kann, welche Figur jetzt die „Wahrheit“ erzählt. Insgesamt bricht „Die Aosawa-Morde“ auf diese Weise mit Lesegewohnheiten. Es existiert keine durch die Handlung führende Erzählinstanz; die Lesenden sind auf sich allein gestellt und müssen selbst einen Weg durch den Irrgarten der Perspektiven finden, selbst Sinn erzeugen, wodurch die Lektüre ungemein spannend und reizvoll ist. Nichts wird hier auf dem Silbertablett serviert und man muss während des Leseprozesses mitdenken. Ob man am Ende tatsächlich den „richtigen“ Weg gefunden hat, gibt der Roman nicht vor: Die Handlung ist stellenweise fluid und lässt sich nicht wirklich greifen. Einige Dinge bleiben bewusst vage bis ambig. Auch das Ende ist eher offen, lässt einen Interpretationsspielraum und hallt deshalb nach: Nach der Lektüre habe ich mich immer wieder dabei ertappt, die Handlung nochmal im Kopf zu durchzuspielen, um zu überprüfen, ob meine Theorie nicht doch Schwachstellen hat. Insgesamt ist „Die Aosawa-Morde“ ein literarisch anspruchsvoller Spannungsroman, auf den man sich einlassen muss. Springt man aber ins kalte Wasser, erwartet einen eine fesselnde, außergewöhnliche, ja einzigartige Lektüre mit einer ausgesprochenen Sogwirkung.

Bewertung vom 17.02.2022
Bekeschus, Mario

Gaußberg


ausgezeichnet

Ein spannender Krimi mit authentischen Figuren und einer schönen Portion Lokalkolorit

Inhalt: Der Hannoveraner Kommissar Wim Schneider befindet sich beruflich gerade auf dem Abstellgleis: Von der Mordkommission ist er abgezogen worden, um – sehr zu seinem Leidwesen – im Einbruchsdezernat auszuhelfen. Doch als die Leiche einer Frau im Mittellandkanal gefunden wird, ändert sich das schlagartig: Bei der Leiche handelt es sich um eine vermisste Braunschweigerin, sodass Schneider, als gebürtiger Braunschweiger, wieder zur Mordkommission zurückbeordert wird – gewissermaßen zur „Völkerverständigung“ zwischen den beiden rivalisierten Städten. Die Ermittlungen führen das Team um Schneider zu einer alten Villa am Gaußberg, in der ein seit Jahrzehnten gehütetes Geheimnis schlummert…

Persönliche Meinung: „Gaußberg“ ist ein Regionalkrimi von Mario Bekeschus, der in Hannover und Braunschweig spielt. Erzählt wird der Krimi aus unterschiedlichen Perspektiven jeweils von einer personalen Erzählinstanz. So werden neben der Hauptperspektive von Wim Schneider u.a. die Perspektiven einzelner Braunschweiger Kolleg*innen eingenommen. Auch der Blickwinkel eines Immobilienmaklers, der die geheimnisumwitterte Gaußberg-Villa veräußern soll, spielt eine größere Rolle. Durch die häufigen Perspektivwechsel wird der Krimi vergleichsweise temporeich erzählt. Die Handlung setzt sich außerdem aus mehreren Strängen zusammen, sodass ein schöner und vielfältiger Spannungsbogen entsteht. Wie die einzelnen Handlungsstränge zusammenhängen, bleibt bis zum Ende offen; die Auflösung erfolgt dabei mit einem stimmigen und überraschenden Twist. Abgerundet wird „Gaußberg“ zudem durch eine gehörige Portion Lokalkolorit: Hannover und Braunschweig werden bildhaft beschrieben und auch die Rivalität zwischen beiden Städten wird oftmals von den Figuren in einem frotzelnden Ton thematisiert. Die Figuren, die in „Gaußberg“ auftreten, sind lebensnah gestaltet: Jede Figur wirkt menschlich, hat – neben dem Beruf – kleinere oder größere Privatprobleme, wodurch sie an Tiefe gewinnt. Hierbei sticht besonders Wim Schneider heraus. Scheider ist eine spezielle, sehr individuell gestaltete Figur, die Züge eines Antihelden besitzt. Er zeichnet sich durch einen trockenen Humor aus, ist oftmals ruppig und steht mit technisch-digitalen Neuerungen auf Kriegsfuß. Seine Vergangenheit war nicht gerade rosig. Außerdem wird er während der Handlung von „Gaußberg“ von einer Krankheit geplagt, die ihm viel abverlangt. Der Schreibstil von Mario Bekeschus ist eingängig, abwechslungsreich und lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Gaußberg“ ein spannender Regionalkrimi mit lebensnahen Figuren und einer schönen Portion Lokalkolorit.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.02.2022
Leuchtenberger, Michael

Das Archiv (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

"Das Archiv" ist eine Kurzgeschichte von Michael Leuchtenberger, die ca. 15 Seiten umfasst. Erzählt wird die Geschichte in Briefform von Johannes Meerbusch, der, als Mitarbeiter eines hochschulischen Zentralen Prüfungsamtes, die Aufgabe hat, die Dokumente eines lang verschlossenen Kellerraumes zu sortieren. Schnell erkennt er, dass der Kellerraum nicht umsonst abgeschlossen war. „Das Archiv“ ist eine sehr atmosphärische Gruselgeschichte mit einem unheimlichen Setting. Der Grusel breitet sich innerhalb der Handlung schön sanft aus, wodurch die Erzählung einen besonderen Sog auswirkt.

Bewertung vom 07.02.2022
Leuchtenberger, Michael

Derrière La Porte


ausgezeichnet

„Derrière La Porte“ ist ein Kurzgeschichtenband von Michael Leuchtenberger. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf Horror-/Gruselgeschichten; es finden sich allerdings auch Erzählungen anderer Genres. Jeder Geschichte ist außerdem ein kleiner Text vorangestellt, in dem Michael Leuchtenberger Einblicke in den Entstehungsprozess der jeweiligen Erzählungen gibt. Insgesamt bestechen die Kurzgeschichten durch eine hohe atmosphärische Dichte: Die jeweiligen Handlungen entfalten sich meist behutsam, sodass sich oft eine latente Spannung/ein subtiler Grusel durch die Geschichten zieht. Zudem lassen sich die Kurzgeschichten sehr flüssig lesen. Damit man sich ein besseres Bild von dem Sammelband machen kann, stelle ich im Folgenden jede Geschichte kurz und spoilerfrei vor.

1. Den Beginn von „Derrière La Porte“ macht „Das Archiv“. Erzählt wird die Geschichte in Briefform von Johannes Meerbusch, der, als Mitarbeiter eines hochschulischen Zentralen Prüfungsamtes, die Aufgabe hat, die Dokumente eines lang verschlossenen Kellerraumes zu sortieren. Schnell erkennt er, dass der Kellerraum nicht umsonst abgeschlossen war. „Das Archiv“ ist eine sehr atmosphärische Gruselgeschichte mit einem unheimlichen Setting. Der Grusel breitet sich innerhalb der Handlung schön sanft aus, wodurch die Erzählung einen besonderen Sog auswirkt.

2. „Lampionfest“, eine Geschichte über die Mitglieder eines Campingvereins, ist keine paranormale Erzählung. Im Gegenteil: Sie könnte sich genauso in unserer Welt abspielen, da sie sich mit einem gesellschaftlich relevanten Problem auseinandersetzt. Auch „Lampionfest“ besticht durch einen behutsamen Aufbau, wodurch das Ende umso eindrücklicher wird.

3. „Die schwarzen Augen“ ist eine Horrorgeschichte, die im 18. Jahrhundert in Frankreich spielt. Der Plot dreht sich um zwei junge Liebende, deren Glück jäh unterbrochen wird.

4. „Zwei Inseln“ ist die kürzeste Geschichte des Bandes. Sie spielt in einer dystopischen Zukunft, in der das Klima vollends gekippt und die Klimakatastrophe Realität geworden ist.

5. „Marie Marais“ handelt von einem Reisenden und seiner schaurigen Tante. Auch diese Geschichte ist wieder dem Horrorgenre zuzuordnen. Besonders gut hat mir die eindrückliche Beschreibung des Verhaltens der Tante gefallen.

6. „Dein Name an der Tür“, in deren Mittelpunkt ein ruinöses Haus steht, zeichnet sich durch eine große Vagheit aus, die in eine träumerische Richtung geht. Durchzogen ist die Erzählung von einem melancholischen Ton.

7. In „Das schwarze Bild“ spielen erneut paranormale Elemente eine große Rolle. Sie handelt von einer Freundschaft, die in Hass umschlägt. Die Geschichte hat eher einen prologartigen Charakter, sodass am Ende nicht alle Fragen geklärt werden.

8. „Radegundes Kamm oder Die unverhoffte Flucht“ ist eine interessante Mischung aus Märchenmotiven und Science-Fiction-Elementen. Zu Beginn erinnert die Geschichte an „Rapunzel“, allerdings wendet sie sich schnell in Richtung Sci-Fi: Radegundes Kamm ist nämlich ein Smart Device, das mit der Zeit gelernt hat, Mitleid zu empfinden. „Radegundes Kamm“ ist aufgrund dieser Ausgangslage für mich die außergewöhnlichste Geschichte der Kurzgeschichtensammlung und – neben „Das Archiv“ – eine meiner Lieblingsgeschichten.

9. „Geisternetz“ ist eine Horrorgeschichte, die von einer Gruppe Umweltschützer handelt, die Geisternetze aus dem Ozean beseitigen. Eines dieser Geisternetze besitzt aber ein Eigenleben, sodass die Gruppe selbst in eine unvorhersehbar gefährliche Situation gerät. „Geisternetz“ hat eine schöne Spannungskurve, die sich schrittweise steigert.

10. „Der Despot“ ist wieder in unserer Welt angesiedelt. Die Erzählung handelt von einer Figur, die ihr despotisches Verhalten immer weiter steigert - bis zu einem fulminanten Ende, das fassungslos zurücklässt.

11. „Derrière La Porte“ schließt mit „Blauglas“, einer Fantasygeschichte, in der ein besonderes Artefakt gesucht wird. Die Handlungswelt besitzt leicht dystopische Züge; auch sub

Bewertung vom 06.02.2022
Kliesch, Vincent

Bis in den Tod hinein / Kommissar Boesherz Bd.1


ausgezeichnet

Ein spannender Thriller mit interessanten Figuren

Inhalt: Eine Mordserie erschüttert Berlin: Innerhalb kürzester Zeit wird das LKA-Team um Kommissar Severin Boesherz zu drei verschiedenen Tatorten gerufen. Dabei gleicht keine Tat der anderen: Jeder Mord ist auf das jeweilige Opfer zugeschnitten. Einziges Bindeglied: Eine bestimmte Zahl, die bei jeder Leiche gefunden wird und deren genaue Bedeutung Rätsel aufgibt. Zeitgleich zu den Morden verschwindet zudem ein Topmodel, das eigentlich in der nahen Zukunft für eine Casting-Show vor der Kamera stehen sollte. Ist sie ebenfalls ein Opfer des Serienkillers? Oder hat ihr Verschwinden eine ganz andere Bedeutung?

Persönliche Meinung: „Bis in den Tod hinein“ ist ein Thriller von Vincent Kliesch. Der Thriller erschien bereits 2013 im Blanvalet Verlag und ist jetzt von Droemer Knaur neu aufgelegt worden. Es handelt sich um den ersten Band der Bösherz-Dilogie. Erzählt wird der Thriller hauptsächlich aus den personalen Erzählperspektiven Boesherz‘ und des Täters. Beide sind auf ihre Art interessante Figuren. Boesherz ist ein Ermittler, der seinen eigenen Kopf hat und zwischendurch auch unkonventionelle Wege geht, um sein Ziel zu erreichen. Er tritt eher forsch auf – mal charmant, mal arrogant – und ist in „Bis in den Tod hinein“ noch nicht so eine nachdenkliche, zurückgezogen lebende und gebrochene Figur wie später in „Im Auge des Zebras“. Auch die Täterfigur, in deren Psyche man tiefe Einblicke erhält, wird eindrücklich gezeichnet: Der Täter ist stark neurotisch, penibel und zwanghaft; zugleich besitzt er eine gesteigerte Liebe zur deutschen Sprache. Dementsprechend individuell und speziell ist auch sein Motiv für die Morde (Um Spoiler zu vermeiden, gehe ich auf das Motiv nicht näher ein. Ich fand es aber sehr originell und stimmig). Die Identität des Täters wird im Vergleich zu anderen Thrillern/Krimis bereits recht früh offenbart, aber das nimmt der Handlung nicht die Spannung. Denn: Der Fall ist komplexer und hintergründiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Außerdem fährt die Handlung zweigleisig, indem sie – zusätzlich zu den Mordfällen – einen weiteren Fall behandelt: Das Verschwinden des Topmodels, bei dem nicht Boesherz, sondern Dennis Baum, ein Kollege Boesherz‘, ermittelt. Zur Handlung selbst möchte ich nicht zu viel verraten. Nur: Sie ist insgesamt sehr gut durchdacht, schön aufgebaut und besitzt mehrere überraschende Wendungen. Durch die kurzen Kapitel wird sie außerdem temporeich erzählt. Insgesamt ist „Bis in den Tod hinein“ ein fesselnder Thriller mit einer wendungsreichen Handlung und interessanten Figuren.