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darkola77

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Insgesamt 104 Bewertungen
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Bewertung vom 05.02.2022
Deen, Mathijs

Der Holländer / Liewe Cupido ermittelt Bd.1


sehr gut

Atmosphärisch dicht in der schier grenzenlosen Weite des Wattenmeers – Mathijs Deen hat mit „Der Holländer“ einen Kriminalroman geschaffen, dem es gelingt, die Ruhe und kraftvolle Natur dieser einzigartigen Landschaft mit der Spannung und Raffinesse eines tödlichen Verbrechens zu verbinden. Was dabei herauskommt: ein Kriminalroman in ruhigem Ton und intelligent konstruiert, der mich gefesselt und wie der weiche Schlick mit sich in die Tiefe gezogen hat.
Dass das Wattenmeer trügerisch sein kann, ist wohl den meisten von uns bekannt. Das, was gerade noch trocken, fest und gehbar erscheint, ist nur wenige Zeit später Meeresboden, von Wasser umschlossen, mit Wasser geflutet. Weite erscheint nah, Reflektionen gaukeln uns Trugbilder vor, Schönheit verwandelt sich in einen Albtraum. Und genau so verhält es sich auch mit dem Tod des Wattwanderers Klaus Smyrna, der als Unfall erscheint und nach und nach Tragik, Rache und Grausamkeit erkennen lässt.
Der Ermittler Liewe Cupido, genannt „Der Holländer“, ist dabei ebenso ein Produkt wie auch ein Abbild dieser Landschaft mit ihren besonderen Bedingungen und Erfordernissen. Nach außen ruhig und verschlossen lässt auch er eine Raffinesse und Tiefe in Wesen und Denken erkennen, die es ihm erlaubt, dieses Verbrechen als ein solches auszumachen und die verschiedenen Stränge und Hinweise zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen. Ergänzt und unterstützt wird er dabei von dem jungen Polizisten Xander Rimbach, der mit seinem Eifer und seinem jugendlichen Übermut die Ermittlungen ebenso vorantreibt wie den passenden Gegenpart für ein Ermittlerduo bildet, das sympathisch, liebenswert und von einer kriminalistischen Brillanz ist.
„Der Holländer“ hat alles, um mir die Zeit bis zu meinem nächsten Urlaub im Nachbarland zu verkürzen und mich zugleich neugierig auf die Kriminalliteratur niederländischer Autorinnen und Autoren zu machen: die Liebe zu der einzigartigen Natur, den Menschen und ihren Traditionen sowie eine Sprache, die klar und direkt ist, und einen Aufbau, der es vermag, Atmosphäre und Spannung zu transportieren. Und ganz zum Schluss noch ein Wunsch: Mit Liewe und Xander, so wunderbar sie zusammen sind, würde ich gerne noch das eine oder andere Verbrechen gemeinsam enthüllen.

Bewertung vom 05.02.2022
Mandel, Emily St. John

Das Glashotel


sehr gut

Emily St. John Mandel erzählt in „Das Licht der letzten Tage“ eine Geschichte des Weltuntergangs, und auch in „Das Glashotel“ bricht eine Welt zusammen – wenn auch ganz anders.
Vincent und Paul haben denkbar schlechte Startbedingungen in das Erwachsenenwerden: das Verschwinden der Mutter, das zu einer Entwurzelung von der Familie führt, Drogensucht, Tristesse, finanzielle Nöte. Den Wendepunkt bringt für Vincent die Arbeit in dem „Glashotel“ in ihrem Heimatort Caiette, welches zum Ausgangspunkt ihres rasanten sozialen Aufstiegs an der Seite von Jonathan Alkaitis wird.
Das, was dann folgt, könnte der Traum von Cinderella sein, das Leben in der Märchenwelt. Doch Geld täuscht nicht über fehlende Gefühle, die verlorene Freiheit eines Verharrens im goldenen Käfig hinweg. Und, wann war das Sprichwort jemals treffender: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ – hier im wahrsten Wortsinne.
Bis zu diesem Zeitpunkt könnte der Leserin und dem Leser die Geschichte nur allzu bekannt vorkommen, doch wartet Emily St. John Mandel mit einem Bruch auf, der sich auch in der Erzählung durch einen Sprung in Figurenperspektive und Zeitebene widerspiegelt. Denn hier kommt er nun: der besagte Weltuntergang, eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes, die zahlreiche Existenzen vernichtet und auch Vincent aus dem „Königreich des Geldes“ vertreibt.
Doch damit nicht genug, die wohl größte Überraschung erwartet uns im letzten Drittel der Erzählung: Eine metaphysische Ebene erhält Einzug in das Geschehen. Was für ein Kunstgriff, ich bin begeistert! Der Roman sperrt sich so gegen die Einordnung in gängige Kategorien und eröffnet zugleich eine Bedeutungsebene und eine verborgene „Gegenwelt“, die weit über das Offensichtliche und Sichtbare hinausgeht – und mich als Leserin sehr berührt hat.
Damit ist „Das Glashotel“ für mich vor allem eines und zugleich so viel: ungewöhnlich in Aufbau und Inhalt, vielschichtig in Bedeutung und Aussage – und ein Leseerlebnis so kostbar, wertvoll und unerwartet wie ein Luxushotel in den Einsamkeiten der kanadischen Westküste.

Bewertung vom 05.02.2022
Brown, Natasha

Zusammenkunft


ausgezeichnet

Dicht, pointiert und grenzenlos klug – Natasha Brown hat mit „Zusammenkunft“ ein Kleinod und einen ganz besonderen Schatz erschaffen, der seinen Glanz und seine Einzigartigkeit von Seite zu Seite, von Gedankensplitter zu Absatz immer weiter enthüllt und leuchten lässt.
Das Leben im Londoner Finanzdistrikt fordert seinen Mitspieler*innen so einiges ab, insbesondere, da die Zugangsvoraussetzungen und Spielregeln nicht für alle gleich sind. Die Ich-Erzählerin, eine schwarze Frau, geboren und aufgewachsen in England, wird getrieben und zerrissen: zum einen von dem als Zwang zu bezeichnenden Druck zum sozialen Ausstieg – mit all seinen Entbehrungen, Aufopferungen und in ihrer Rolle auch Erniedrigungen – und zum anderen von den Erwartungshaltungen der Gesellschaft und deren Sicht auf sie als eine, die nicht „dazugehöre“, die nicht erwünscht sei. „GO HOME“, wie es an mehreren Stellen der Erzählung heißt.
Die Bürde, Last und familiäre Festsetzung lassen keinen Raum für ein selbstbestimmtes Leben, für ein Verschnaufen im Aufstieg, ein Innehalten, möglicherweise auch eine Unterbrechung oder gar einen Stopp. „Arbeite doppelt so hart. Sei doppelt so gut. Und immer, pass dich an“ – Individualität, ein Andersseins, auch ein kulturelles Unterscheiden sind nicht nur hinderlich, sondern können Türen für immer verschließen. Das Erklimmen der beruflichen und gesellschaftlichen Karriereleiter kostet alle Kraft.
Die unerwartete Möglichkeit einer Alternative zu „überlebbar“ – dem bisher nie infrage gestellten Mantra, als Leitsatz des eigenen Lebens tief in ihr Fleisch eingeschrieben – bringt die Ich-Erzählerin zu einer Reflexion und kritischen Betrachtung des komplexen gesellschaftlichen Gefüges, in welchem sie agiert und gefangen ist, und zeichnet einen Ausweg aus der nie enden wollenden Mühsal, dem Kampf und dem Fremd- und Nicht-Erwünschtsein.
Wie Pfeile, die auf die Herzen der Leser*innen zielen, haben die unendlich klugen Gedanken, scharfen Beobachtungen und zugespitzten Ableitungen dieser Erzählung mich getroffen und mich blutend und auch schuldbewusst zurückgelassen. Veränderung durch Erkennen, Verstehen – „Zusammenkunft“ gehört in die Hände und Herzen so vieler Menschen!

Bewertung vom 05.02.2022
Yanagihara, Hanya

Zum Paradies


ausgezeichnet

Reich an Worten, weit an Geschichten und voll von Lust und Qual – Hanya Yanagiharas neuer, lang ersehnter Roman ist so viel, so ungewöhnlich und so überwältigend, das er sich einer eindeutigen, klar abgrenzbaren Kategorisierung und Beschreibung entzieht. Was jedoch nach den knapp 900 Seiten außer Frage steht: Es ist ein Meisterwerk! Das in seiner Virtuosität sogar „Ein wenig Leben“ zu übertreffen vermag – soweit dies denn überhaupt machbar erscheint.
Drei Jahrhunderte mit ihren ganz eigenen und doch so verwandten Leben und Schicksalen geeint von dem Gefühl der grenzenlosen, alles verschlingenden und alles ermöglichenden Liebe und den Fragen: Was sind wir bereit, für eben diese Menschen auf uns zu nehmen? Welche Gefahren, welches Leid erdulden wir, um unsere Liebe, um unser gemeinsames Leben zu schützen?
Die Antworten, die Hanya Yanagihara den Leser*innen hierauf präsentiert, werden uns nicht immer gefallen – und nicht nur das: Auch wir müssen Leid erdulden, auch wir müssen den Pfad der Katharsis gehen, um einen Ausweg aus der Enge, Beklemmung und auch Bedrohung der einzelnen Lebensentwürfe zu erfahren, uns einer Lösung des schier Unlösbaren anzunähern.
Am Ende der fulminanten Erzählung steht bei mir vor allem Erschöpfung. Und ein Überborden an Gefühlen, Gedanken und Ideen, die zum Teil noch nicht gedacht, noch in der Entwicklung, im Prozess des Reifens sind. In welchem Punkte ich mir aber schon heute sicher bin: Mit Hanya Yanagihara spricht eine der bedeutendsten Erzähler*innen unserer Zeit zu uns, eine Stimme, die unverwechselbar ist und nicht nur in der zeitgenössischen Literatur ihresgleichen sucht.

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