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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 542 Bewertungen
Bewertung vom 25.02.2025
Cañadas, Jesús

Die Bibliothek der Wahren Lügen


schlecht

Mein Sohn (11) und ich lesen gerne gemeinsam fantasievolle Romane voller Magie und Abenteuer, und so waren wir sehr neugierig auf die „Bibliothek der Wahren Lügen“.
Oskar, 14 Jahre alt, lebt nach dem Tod seines Vaters zusammen mit seiner Schwester Bibi, seiner im Rollstuhl sitzenden Mutter und deren neuem Freund. In der Schule wird er gemobbt, und am liebsten zieht er sich zuhause mit einem Buch von Simon Bruma zurück, der bereits der Lieblingsautor seines Vaters war, und schreibt Fanfiction. Als er den Schreibwettbewerb von Simon Bruma gewinnt, und zu ihm nach Hause eingeladen wird, um vom Bruma im Schreiben unterrichtet zu werden, ist er überglücklich. Doch im Hause des Autors passieren seltsame Dinge. Seine Tochter November ist schwer krank und kann nur durch Oskar gerettet werden…
Uns ist bereits der Einstieg in das Buch sehr schwer gefallen, da von Anfang an nicht klar ist, was real ist und was Phantasie. So bezeichnet Oskar seine kleine Schwester als Maus, sieht ihre Schnurrhaare, und auch Simon Bruma bezeichnet sie so, streicht ihr über die Schnurrhaare und gibt ihr Käse. Seine Mutter sieht Oskar als Eiskönigin, den Stiefvater als Echse. Im Verlauf der Geschichte vermischen sich Fiktion und Realität immer mehr. Die Handlung wird zunehmend verworrener bis hanebüchen, und es ist weder ein roter Faden noch ein schlüssiges Gesamtkonzept erkennbar, von Logik ganz zu schweigen. Mein Sohn hat bereits nach zwei Kapitel aufgegeben, ich habe das Buch beendet, muss aber sagen, dass es letztendlich ein Durchquälen war. Im Nachhinein bin ich froh, dass mein Sohn abgebrochen hat, da im Verlauf des Buches viele Kamphandlungen und Gemetzel stattfinden, hinzu kommen ekelhafte, gruselige Szenen, die Kinder verstören könnten. Das ständige Gezanke zwischen November und Oskar nervt zusätzlich.
Ich halte dem Autor zugute, dass es sich um ein sehr fantasievolles, sprachlich gewandtes Buch handelt, doch leider schießt er übers Ziel hinaus und verliert sich in einem wirren Wust verschiedener Handlungs- und Metaebenen. Leider konnten mich weder die Handlung noch die Charaktere überzeugen, und die Altersempfehlung ist mit 11 Jahren meines Erachtens zu niedrig angesetzt. Ich sehe die Zielgruppe bei 13 Jahren aufwärts.
Meinen Sohn und mich hat dieses Buch leider komplett enttäuscht.

Bewertung vom 18.02.2025
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


ausgezeichnet

In „Russische Spezialitäten“ schildert Dmitrij Kapitelman eindrucksvoll seine innere Zerrissenheit angesichts des Ukraine-Krieges. Der Autor selbst ist in Kyjiw geboren und dort russischsprachig aufgewachsen, bevor er im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland kam. Dort führte die Familie in Leipzig über 25 Jahre ein Geschäft für russische Spezialitäten.

Seit Beginn des Krieges geht eine Spaltung durch die Familie, engste Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Während sich der Autor westlich positioniert, verfolgt seine Mutter russisches Staatsfernsehen und glaubt der russischen Propaganda. Kapitelman spürt, wie sich auch sein Leben durch den Krieg verändert und er nach seiner eigenen Identität sucht, da er seit Kriegsbeginn „weder vollständig lachen noch weinen kann“ (Kapitel „Tate ist noch auf dem Spielplatz“). So fasst er schließlich den Entschluss, trotz der Gefahr nach Kyjiw zu reisen.

Kapitelman erzählt sehr persönlich, pointiert, mit großem Sprachgefühl und einem messerscharfen schwarzen Humor. Trotz des schweren Themas enthält sein Buch auch viele komische Momente.

Mich hat das Buch sehr bewegt und mir noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie komplex nicht nur die politischen, sondern auch die zwischenmenschlichen und innerfamiliären Auswirkungen des Ukraine-Krieges sind. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 18.02.2025
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


sehr gut

Ich muss gestehen, dass ich an diesem Roman zunächst vorbeiging und erst durch eine Empfehlung darauf aufmerksam wurde.

Von Anfang an hat mich die Hauptfigur, Wanda, ganz besonders herausgefordert. Sie war mir nicht unbedingt sympathisch, sondern ist eine Person, an der ich mich als Leserin immer wieder reiben konnte. Manchmal – gerade, wenn es um ihre Tochter Karlie ging – war ich beim Lesen ziemlich aufgewühlt und hätte ihr am liebsten die Meinung gesagt. Und dann gab es wieder Stellen, an denen ich mich Wanda sehr nahe fühlte und mich genau in sie hineinversetzen konnte. Ich liebe Bücher, deren Charaktere nicht glatt sind, sondern ambivalent mit Ecken und Kanten, und Wanda ist so ein Charakter.

Die Autorin Sara Gmuer schreibt eindringlich und lebendig, so dass ich mir das Hochhaus und seine Atmosphäre, die Bewohner und Bewohnerinnen, aber auch die Szenen am Film-Set und im Schickimicki-Restaurant in allen Details vorstellen konnte. Inwieweit die beschriebene Situation in der Filmbranche der Realität entspricht, kann ich nicht beurteilen, Ich vermute jedoch, dass hier deutlich überzeichnet wurde, und hätte mir ein bisschen weniger Klischee gewünscht, da an diesen Stellen die Geschichte etwas vorhersehbar und schablonenhaft wirkt.

Der Roman zeigt, wie sehr uns das Milieu unserer Herkunft prägt und wie schwer es ist, die gläserne Decke zwischen den sozialen Schichten zu durchbrechen, auch in unserem Verhalten und Denken. Wanda ist dies bewusst, und sie kämpft immer wieder dagegen an.

Ein unerwartet tiefgründiger, bewegender Roman, dessen Ende mich mit gemischten Gefühlen zurücklässt, auch wenn es sehr passend ist. Für Wanda und die Handlung rund um das Hochhaus würde ich 5 Sterne vergeben, einen Stern ziehe ich ab für die Geschichte rund um die Schauspielerei, da sie mir zu stereotyp war.

Bewertung vom 18.02.2025
Maisel, Lukas

Wie ein Mann nichts tat und so die Welt rettete


ausgezeichnet

Ich hatte bereits vor Jahren von Stanislaw Petrow gehört, der durch sein besonnenes Handeln den dritten Weltkrieg verhindert hatte, und war nun neugierig, Näheres über die damaligen Ereignisse und Petrows Leben zu erfahren.

Lukas Meisel zeichnet die Tage im September 1983 nach, in denen das Schicksal der Menschheit in den Händen von Stanislaw Petrow lag. Hierbei ist er sehr um ein wahrheitsgemäßes Bild von Petrow bemüht. Er sprach unter anderem mit Petrows Sohn und Kurt Schuhmacher, einem Bestatter aus Oberhausen, der Petrow zum Dank in Russland besucht und ihn auch nach Deutschland eingeladen hatte. Petrow selbst ist 2017 verstorben, und der Vorfall unterlag viele Jahre strengster Geheimhaltung.

Der Verlauf der Ereignisse zeigt, wie knapp damals die Welt einem Atomkrieg entging und auch, wie riskant es ist, sich blind auf technische Systeme zu verlassen. Hätte an diesem Tag nicht Petrow, der kurzfristig für einen erkrankten Kollegen einsprang, Dienst gehabt, würde möglicherweise keiner von uns heute existieren. Computersysteme, smarte Technologien und KI sind heute nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Petrows Geschichte sollte uns eine Mahnung sein, wie wichtig ist, diesen nicht die alleinige Kontrolle zu überlassen. Ein wacher, die einzelnen Faktoren besonnen abwägender menschlicher Verstand kann einen lebenswichtigen Unterschied machen.

Sehr lesenswert!

Bewertung vom 18.02.2025
Boo, Sigrid

Dienstmädchen für ein Jahr


ausgezeichnet

Da ich im letzten Jahr eine Vorliebe für skandinavische Literatur entwickelt habe, hat mich die Wiederentdeckung von Sigrid Boos „Dienstmädchen für ein Jahr“ von 1930 sehr neugierig gemacht.

Der Schreibstil hat mich gleich von Beginn an begeistert. Auch wenn das Buch fast 100 Jahre alt ist, liest es sich so frisch und lebendig, dass die Seiten nur so dahin fliegen. Die Ich-Erzählerin Helga hat gerade das Abitur in der Tasche. Als Tochter eines Fabrikdirektors gehört sie in ihrer Kleinstadt zur gehobenen Gesellschaft, den Haushalt versorgen Dienstmädchen, und sie ist durchaus verwöhnt, obgleich sich die Wirtschaftskrise auch bei ihrer Familie bemerkbar macht. Mehr oder weniger zufällig lässt sie sich im Freundeskreis während einer Diskussion darüber, ob „moderne junge Mädchen etwas taugten“, zu einer Wette hinreißen, und sie erklärt sich bereit, für ein Jahr inkognito als Hausmädchen in Dienst zu gehen.

Ihre Erlebnisse und Eindrücke schildert sie in 19 Briefen an ihre Freundin Grete. Diese lesen sich äußerst unterhaltsam, da Helga eine treffsichere Beobachterin ist, intelligent, eloquent und humorvoll, und auch über eine gute Portion Selbstironie verfügt. Auch wenn sie anfangs wenig Ahnung von Hauswirtschaft hat, arbeitet sie sich eifrig und schnell ein, und durch den Perspektivwechsel gewinnt sie Achtung vor dem, was die Hausangestellten täglich zu leisten haben. Das Jahr tut ihrer Persönlichkeitsentwicklung in jedem Falle gut, und sie sieht ihr altes Leben nun mit anderen Augen.

Trotz des überwiegend heiteren Grundtons werden im Roman auch die Probleme, mit denen die Dienstmädchen im Alltag konfrontiert sind, sichtbar. So wird in ihrer Gegenwart ungeniert über sie gesprochen, und man begegnet ihnen mit Misstrauen und Unterstellungen. Die Standesgrenzen sind zwar nicht mehr so scharf gezogen wie in den Jahrhunderten zuvor, jedoch noch immer vorhanden, und werden auch in diesem Roman nicht wirklich überwunden.
Ich habe dieses Buch in einem Rutsch gelesen und war beinahe traurig, als ich am Ende angekommen war – zu gerne hätte ich noch mehr über Helga, die mir im Laufe der Geschichte richtig ans Herz wuchs, erfahren.

Sehr interessant auch hinsichtlich der literarischen Einordnung ist das ausführliche Nachwort der Herausgeberin Nicole Seufert. Ich freue mich sehr, dass dieser wunderbare Roman wieder neu entdeckt wurde, und empfehle ihn allen, die Lust auf einen heitere, sprachgewandt verfasste Geschichte haben, die gleichzeitig einen interessanten Einblick in die norwegische Gesellschaft in den 1930er Jahren bietet. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 18.02.2025
Rademacher, Cay

Nacht der Ruinen


ausgezeichnet

Köln, im März 1945. Bei einem der letzten Bombenangriffe auf Köln muss sich der amerikanische Pilot Richard Rohrer per Fallschirm retten und wird nach seiner Landung von Deutschen gelyncht. Der junge amerikanische Soldat Joe Salmon wird nach Köln beordert, um den Mörder zu finden. Salmon ist Jude und als Joseph Salomon selbst in Köln aufgewachsen, bevor er 1939 gerade noch fliehen konnte. In Köln begibt er sich nicht nur auf die Spuren des Lynchmörders, sondern sucht auch privat nach zwei Menschen, die ihm sehr am Herzen liegen: Hilda und Jakub.

Als Joe nach Köln zurückkehrt, erkennt er die zerstörte Stadt kaum wieder. Sehr eindrücklich werden die zerstörten Fassaden und die Ruinen beschrieben, der allgegenwärtige Brand- und Verwesungsgeruch, die fetten Ratten, die überall durch die Stadt huschen. Cay Rademacher nimmt sich viel Zeit, um die Atmosphäre in Köln gegen Kriegsende zu beschreiben. Der Krieg ist noch nicht vorüber, die Wehrmacht sitzt am anderen Rheinufer, vereinzelt kommt es noch zu Kämpfen. Die Menschen „organisieren“ sich, was sie benötigen, es gibt weder Strom, noch Gas oder Wasser, das Benzin aus Brandbomben, die als Blindgänger in den Ruinen liegen, wird zum Betanken genutzt, kleinere Erschütterungen bringen Häuserfassaden zerbombter Gebäude zum Einsturz. Die Kölner sind vorsichtig, misstrauisch und taktieren gegenüber den Besatzern, versuchen, ihre Rolle während der Kriegsjahre gegenüber in einem möglichst harmlosen Licht darzustellen. Diese sehr detaillierten Schilderungen gehen etwas zu Lasten der Spannung, so dass „Nacht der Ruinen“ für mich eher ein tiefgründiger historischer Roman als ein Krimi ist.

Sehr gut gefallen hat mir, dass der Autor reale Personen wie George Orwell, Konrad Adenauer und Irmgard Keun, die sich zu dieser Zeit in Köln aufgehalten haben, in die Geschichte mit einflicht und Fiktion mit Realität verquickt. Im Nachwort geht Cay Rademacher dann näher auf seine Recherchen ein und erläutert, wo es sich um historische Fakten handelt und wo um Fiktion.

Durch den sehr lebendigen Schreibstil konnte ich mich von Beginn an sehr gut in Joe hineinversetzen, und vor allem seine Suche nach Hilda und Jakub hat mich sehr berührt.

Fazit: Ein sehr lesenswerter historischer Roman mit Krimianteil, der akribisch recherchiert ist und ein eindrückliches Bild von Köln kurz vor Kriegsende zeichnet.

Bewertung vom 18.02.2025
Henríquez, Cristina

Der große Riss


gut

Auch angesichts der aktuellen politischen Situation interessiert mich die Geschichte des Panama-Kanals und seines langwierigen und komplizierten Baus, der insgesamt über 28000 Todesopfer forderte. „Der große Riss“ spielt im Jahr 1906 in der Stadt Empire nahe des Culebra Cuts und zeigt aus verschiedenen Perspektiven, welche Auswirkungen der Bau des Kanals auf die Bevölkerung und die Arbeiter aus den unterschiedlichsten Ländern hatte und welche Hoffnungen, Ängste und Träume mit dem Kanal verbunden waren. Da ist die sechzehnjährige Ada aus Barbados, die auf der Suche nach Arbeit nach Panama kommt, um ihre Familie finanziell zu unterstützen, ebenso wie unzählige Männer, die in der Hoffnung auf guten Lohn und ein besseres Leben unter härtesten Bedingungen beim Kanalbau schuften. Da ist der Fischer Francisco, der mit Argwohn verfolgt, wie die Vereinigten Staaten die Herrschaft über die Kanalzone übernehmen und die massiven Einschnitte in die Landschaft seine Heimat verändern, während sich sein Sohn Omar als Arbeiter am Kanalbau beteiligt. Auch Valencia muss erleben, wie ihr Heimatdorf umgesiedelt werden soll, um einem Damm Platz zu machen. Der Wissenschaftler John Oswald reist mit seiner Frau Marian aus Tennessee an, um die Malaria auszurotten, die jedes Jahr hunderte Todesopfer fordert.

Das Buch hat mich dazu gebracht, mich näher mit dem Panama-Kanal zu befassen, und ich habe hierbei einiges über seine bewegte Geschichte und auch die politischen Konflikte, die diese Schifffahrtsstraße bis heute begleiten und durch Trump jüngst neu angefacht wurden, gelernt. Leider enthält „Der große Riss“ selbst keine ausführlichen historischen Informationen. Historische Fakten dienen eher als spärliche Kulisse oder Lokalkolorit für einen stark emotionsbetonten Roman mit starken Frauenfiguren, während die Männer oft zögerlich und unsicher wirken. Auch der Kampf gegen Malaria, eine der Haupttodesursachen unter den Arbeitern, wird nicht näher beleuchtet. Das ist sehr schade, da der Roman hierdurch viel Potential verschenkt. Auch die Figuren bleiben insgesamt blass. Man spürt am Schreibstil der nordamerikanischen Autorin Cristina Henriquez deutlich, dass das Buch ursprünglich für den US-Markt geschrieben wurde.

Positiv hervorzuheben ist die Karte zum Panama-Kanal am Anfang des Buches. Gewünscht hätte ich mir hingegen noch ein Nachwort mit ergänzenden Daten zur geschichtlichen Einordnung und zur Recherche der Autorin.

Fazit: Wer einen Roman mit fundierten, detaillierten historischen Fakten sucht, wird hier nicht fündig. Ich würde „Der große Riss“ eher Leserinnen und Lesern empfehlen, die sich dem Thema von der emotionalen Seite nähern möchten.

Bewertung vom 18.02.2025
Goodall, Anna

Das Portal zur Düsterwelt / Maggie Blue Bd.1


sehr gut

„Maggie Blue – Das Portal zur Düsterwelt“ ist der Auftakt einer neuen Fantasy-Reihe für Kinder ab 10 Jahren. Maggie Blue lebt nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrer Tante in West Minchen, einem fiktiven Ort im Norden Londons. In der Schule ist sie eine Außenseiterin, und auch sonst kümmert sich niemand wirklich um sie. Ihre Tante hat ihr eigenes Leben, und Maggie ist weitgehend auf sich allein gestellt. Ihre Mitschülerin Ida und deren zwei Freundinnen ärgern Maggie ständig, und dennoch fühlt sich Maggie zu Ida hingezogen, und möchte unbedingt mit ihr befreundet sein. Eines Tages verschwindet Ida unter mysteriösen Umständen im Everfall Wood, dem düsteren Wald neben der Schule. Maggie wird zufällig Zeugin merkwürdiger und mystischer Begebenheiten, und sie setzt alles daran, Ida zu finden und zurückzuholen. Begleitet wird sie dabei vom einäugigen Straßenkater Hoagy.

Ich habe die Geschichte gemeinsam mit meinem knapp 11 Jahre alten Sohn gelesen, und wir haben sie unterschiedlich aufgenommen. Meinem Sohn hat das Buch richtig gut gefallen, und er hat Maggies Reise durch das Portal in die Düsterwelt mit Spannung verfolgt. Ich habe das Buch mit teilweise gemischten Gefühlen gelesen, was sicher daran liegt, dass ich als Mutter und als Erwachsene einen anderen Blickwinkel einnehme. So ist es für mich unverständlich, warum Maggie ausgerechnet an dem Mädchen, das sie ständig mobbt, so viel liegt, sie diese unbedingt zur Freundin haben will und für sie ihr Leben riskiert. Seltsam fand ich, dass Maggie von ihren Eltern nach der Trennung einfach zur Tante abgeschoben wird. Der Vater hat eine neue Freundin (offenbar der Trennungsgrund) und die Mutter ist aufgrund schwerer Depressionen in der Psychiatrie. Der Vater meldet sich überhaupt nicht mehr, und mit der Mutter gibt es einmal pro Woche ein eher angespanntes und gereiztes Pflichttelefonat. Diese Konstellation stört mich etwas, da sich in den allermeisten Fällen die Eltern auch nach einer Trennung liebevoll um ihr Kind kümmern, und auch ein Elternteil, der aufgrund psychischer Probleme behandelt wird, dennoch weiterhin sein Kind liebt und Anteil an dessen Leben nehmen möchte. Hier frage ich mich, wie Kinder auf das Buch reagieren, die sich möglichweise selbst in einer schwierigen Familienphase befinden.

Auch der Aufbau der Düsterwelt mit der Sonnenstadt, dem Anführer der Insulaner, Eldrow, den Mondhexen und den rattenähnlichen Maenchen bildete für mich noch kein in sich schlüssiges Gesamtkonzept. Möglicherweise ändert sich das jedoch noch in den Folgebänden.

Es dauert zunächst etwas, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt, doch in der zweiten Hälfte entwickelt sie sich zu einem temporeichen und spannenden Abenteuer. Richtig gut gefielen mir die Szenen mit dem verwegenen, teils egoistischen Straßenkater Hoagy, der immer für humorvoll-ironische Kommentare gut ist, und in dem düsteren Setting für Auflockerung sorgt.

Auch wenn sich am Ende des Buches einiges auflöst und der Kern der Geschichte abgeschlossen ist, bleiben noch viele Fragen offen. Mein Sohn ist schon sehr gespannt, wie es im Herbst mit Band 2 weitergeht, und bewertet das Buch mit 4 Sternen. Ich würde die Reihe selbst wohl eher nicht weiter verfolgen.

Bewertung vom 18.02.2025
Dick, Morgan

Mickey und Arlo


sehr gut

Mickeys Vater verließ seine Familie, als Mickey acht Jahre alt war, und ließ sie und ihre Mutter auf einem Berg Schulden sitzen. Er heiratete erneut und gründete eine neue Familie. Mit 33 Jahren erfährt Mickey vom Tod ihres Vaters und einer unverhofften Erbschaft. Einzige Bedingung: Sie muss in einer bestimmten Praxis sieben Stunden Psychotherapie absolvieren, erst dann wird das Geld ausbezahlt. Mickey ahnt nicht, dass es sich bei der Therapeutin um ihre Schwester Charlotte, genannt „Arlo“, aus zweiter Ehe handelt, und auch Arlo hat keine Ahnung….

Das Buch ist immer abwechselnd aus der Perspektive von Mickey und Arlo geschrieben, so dass man beim Lesen einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt und das Leben beider Personen bekommt. Während Mickey bereits von Anfang an schwer traumatisiert scheint, da sie als Kind vom Vater verlassen wurde, wirkt Arlo wie die erfolgreiche und gefestigte Vorzeigetochter, die sich aufopferungsvoll um ihren sterbenskranken Vater gekümmert hat. Beide Frauen könnten unterschiedlicher kaum sein. Im Laufe des Buches wird das Bild der beiden immer differenzierter, und man lernt beide besser kennen, mit ihren Ängsten und Nöten, ihrer Hilflosigkeit, ihrer Wut. Es wird deutlich, wie stark der Vater beide Schwestern geprägt hat, auf positive wie negative Weise, was sie trennt und was sie eint, trotz vordergründig verschiedener Kindheit. Das fand ich sehr beeindruckend zu lesen. Das Buch zeigt, wie stark sich im Umfeld von Suchtkranken eine Co-Abhängigkeit entwickeln kann und welche Macht manipulative Personen auf andere haben können.

Mit der Figurenzeichnung hatte ich an einigen Stellen so meine Probleme. Beim Lesen konnte ich mich vor allem im Mickey besonders gut einfühlen, Arlos äußerst aufopferungsvolle Rolle gegenüber ihrem Vater und ihre extremes Buhlen um seine Liebe war für mich schwerer nachvollziehbar. An einigen Stellen wirkte Arlos Rolle als Psychotherapeutin für mich etwas aufgesetzt und nicht ganz stimmig, etwa wenn es heißt: „…diese Eigenschaft hatte ihr in ihrer Therapeutinnenlaufbahn immer gute Dienste geleistet.“ Diese dürfte bei einer 25-Jährigen sehr überschaubar sein. Auch wird nicht klar, warum einen Therapeuten-Koryphäe wie ihre Chefin Punam eine so junge und unerfahrene Kollegin in ihre Praxis holt. Ebenso bleibt unklar, wie der Vater der beiden Mädchen zu diesem enormen Vermögen kam, nachdem er in jungen Jahren nur Schulden aufhäufte. Arlos Mutter wirkt auf mich auch erstaunlich kühl, auch was die Erbrechtsregelung bezüglich ihrer Tochter angeht. Am wenigsten anfangen konnte ich mit dem Anwalt Tom, der mit seiner selbstmitleidigen, weinerlichen Art und seinem ständigen Bedürfnis, alle über seine charakterlichen Mängel in Kenntnis zu setzen, sehr unglaubwürdig wirkte.

Fazit: Insgesamt ein lesenswerter, tiefgründiger und nachdenklich stimmender Roman, der zeigt, wie prägend die Kindheit für das gesamte Leben ist, welche Folgen die Suchterkrankung eines Elternteils für die Kinder haben kann, und wie schwer es ist, sich davon zu befreien.

Bewertung vom 16.02.2025
Frank, Arno

Ginsterburg


gut

Nachdem „Seemann vom Siebener“ von Arno Frank eines meiner Lieblingsbücher 2023 war, war ich nun sehr gespannt auf „Ginsterburg“.
Der Roman zeigt das Leben in der fiktiven Kleinstadt Ginsterburg in den Jahren 1935, 1940 und 1945. Hierbei begleitet er die unterschiedlichsten Personen, etwa die Buchhändlerin Merle und deren Sohn Lothar, den Redakteur der Lokalzeitung Eugen, seine Frau Ursel und die Tochter Gesine, den Blumengroßhändler und Bürgermeister Otto, dessen Söhne Bruno und Knut, die Architektin Uta, die mit einem jüdischen Mann verheiratet ist, und einige andere. Reale Personen wie Lothar Sieber und Erich Bachem werden mit rein fiktiven Charakteren vermischt.

Über die Jahre wird deutlich, wie sich jeder auf seine Weise mit dem Regime arrangiert: Die einen suchen sich ihre private Nische, um möglichst unbehelligt durch die Kriegsjahre zu kommen, schaden niemandem aktiv, setzen sich aber auch nicht für andere ein und verschließen die Augen, wollen nichts sehen. Andere machen sich opportunistisch die neue Ordnung zunutze, bereichern sich und steigen auf. Wieder andere werden glühende Anhänger der Nazis und ihrer Ideologie, machen sich schuldig, indem sie etwa das Euthanasieprogramm mit vorantreiben. Hitlerjugend und BDM indoktrinieren die Jugend, die willig in den Krieg zieht.

Die Thematik ist angesichts der momentanen politischen Situation und des Rechtsrucks in der Gesellschaft leider sehr aktuell, und es ist wichtig, darüber zu schreiben. Dennoch konnte mich dieses Buch nicht überzeugen. Zu den Figuren konnte ich nur schwer einen Bezug entwickeln, teilweise wirkten sie sehr künstlich auf mich, und mit dem oft etwas weitschweifigen Schreibstil wurde ich nicht warm. Hinzu kamen kulturhistorische Beschreibungen des fiktiven Ortes Ginsterburg, die mich in ihrer Ausführlichkeit langweilten. Ich hätte stattdessen gerne noch mehr über einige Personen erfahren, die nur ab und an wie kurze Schlaglichter auftauchten, um dann nicht mehr erwähnt zu werden, etwa die Wahrsagerin Zola Vovoni. Auch hadere ich mit dem Schluss, der mir zu vieles offen lässt.

Positiv fand ich, dass Arno Frank sehr anschaulich beschreibt, wie sich jede Figur auf ihre Weise mit dem System arrangiert, und ich konnte mir schon beim Lesen lebhaft vorstellen, wie jede nach dem Krieg versuchen würde, sich nur als Mitläufer darzustellen. Man habe ja nichts gemacht, es waren doch die Umstände, und eigentlich habe man ja auch von nichts gewusst.

Etwas ärgerlich fand ich, dass der Autor in den Details immer wieder offensichtlich ungenau ist. So wird die mehrfach vorkommende römische Ziffer MDCXVII als 1497 gedeutet, obwohl sie das Jahr 1597 bezeichnet. Hitlers Berghof am Obersalzberg wird gar fälschlicherweise bei Garmisch verortet anstatt bei Berchtesgaden. Zudem lässt Arno Frank die aus Augsburg stammende Helga oberbayerisch sprechen, obwohl in Augsburg ein völlig anderer, schwäbischer Dialekt gesprochen wird (ich komme von dort). Das U-Boot U-51 wurde nicht, wie im Roman behauptet, am 23. August 1940 durch ein britisches Flugboot versenkt, sondern am 20. August 1940 durch die Torpedos eines britischen U-Bootes. Der Flugboot-Angriff einige Tage zuvor hatte das U-Boot lediglich stark beschädigt. Das sind natürlich Kleinigkeiten, die mich dennoch misstrauisch machen gegenüber der Sorgfalt des Autors insgesamt.

Da Arno Frank reale Personen wie Lothar Sieber und Erich Bachem in seine fiktive Geschichte einbettet, hätte ich mir zudem ein Nachwort gewünscht, in dem der Autor auf seine Recherchen hierzu eingeht und erläutert, welche Teile der Erzählung auf wahren Begebenheiten beruhen.

Fazit: Ich hatte nach dem „Seemann vom Siebener“ stilistisch und sprachlich etwas anderes erwartet, und konnte mich vor allem mit der Erzählweise in diesem Roman nicht recht anfreunden. Da dies Geschmackssache ist, kann ich mir allerdings sehr gut vorstellen, dass andere „Ginsterburg“ begeistern wird.