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Insgesamt 166 Bewertungen
Bewertung vom 17.02.2020
Trueit, Trudi

Das Geheimnis um Nebula / Explorer Academy Bd.1


sehr gut

Spannendes Abenteuer mit großer Faszination für die Wissenschaften

Mein 8jähriger Sohn meint:

„Explorer Academy“ ist sehr spannendes Buch über den Jungen Cruz, der auf eine Schule kommt, die Kinder aus der ganzen Welt aufnimmt, die dort zu großen Entdecker ausgebildet werden.
Schon die Schule ist total spannend, denn die Kinder werden mit einem riesigen Schiff auf eine große Expedition gehen. In der Schule gibt es eine CAVE, eine animierte Computerwelt, bei der man sich fühlt, als wäre man wirklich bei einer Expedition. So können die Kinder üben. Richtig spannend wird es durch Nebula, das sind Leute, die Cruz töten wollen, aber es bleibt noch ein Geheimnis warum. Dass es dadurch immer wieder ziemlich gefährlich wurde, fand ich aber nicht zu gruselig für mich.
Ich sehe aber ein paar Schwächen, weil manche Sachen nicht ganz zusammenpassen.
Die „Explorer Academy“ war so gut und es sind noch so viele Fragen offen, dass ich mich schon auf den nächsten Band freue und 4,5 von 5 Sternen vergebe.

Meine Erwachsenen-Sicht:

In diesem spannenden Kinderbuch spricht die Begeisterung für Natur- und Geisteswissenschaften aus jeder Zeile. Und das hat meinen Sohn und mich richtig angefixt.

Besonders hat mir gefallen, wie Autorin Trudi Trueit ihre Welt baut. Eigentlich ist das unsere Welt, aber in der „Explorer Academy“ gibt es eine Vielzahl an kleinen und großen technischen Besonderheiten, die es jetzt und heute eben noch nicht gibt. Auch, wenn auf den letzten Seiten des Buches einige Forschungen vorgestellt werden, die zeigen, dass manches davon keine weit entfernte Zukunftsmusik ist, sondern manchmal schon in etwas anderer Form bereits existiert, wie der 4-D-Druck, der eine Zeitkomponente einfließen lässt. Das regt schon meinen Entdeckungsgeist an und ich denke, dass es Kindern erst recht so geht.

Und so gab es in dem Buch auch einiges zum Miträtseln, wovon wir einiges auch entschlüsseln konnten.

Von der Genderperspektive sind die Mädels und Jungs gleichberechtigte Entdecker:innen. Dazu fand ich es sehr erfrischend, dass Cruz bei einer großen Enttäuschung einfach mal weinen darf, ohne, dass es groß thematisiert und so völlig „normal“ wird. Die Geschichte wird mit einem diversen Cast erzählt, die die ganze Welt und die unterschiedlichen Hautfarben abdeckt. Das ist auch bei den realen Wissenschaftler:innen so, die am Buchende vorgestellt werden. Mit Cruz ist ein Latino und damit eine PoC die Hauptfigur. Manchmal ging mit das Elite-Getue ein wenig auf die Nerven, aber da es immer wieder gebrochen wird, fand ich es in Ordnung.

Leider hatte die Geschichte ein paar Logiklücken, ein Beispiel: Die Kinder geraten bei einer Mission in der CAVE in Lebensgefahr, aber irgendwie scheint das niemand der Erwachsenen zu jucken, obwohl einer das sogar mitbekommt. Soweit könnte das vielleicht noch Teil der Geschichte sein, aber warum wundern sich die Kinder nicht darüber? Das hat mich leider manchmal etwas rausgehauen, daher ziehe ich ein leider einen Stern ab.

Ich habe übrigens auch in das Hörbuch reingehört (gelesen von Stefan Kaminski), das allerdings etwas gekürzt ist. Das hat mich beim ersten Anhören nicht gestört, als ich jedoch Buch und Lesung verglichen habe, fiel mir auf, dass insbesondere die emotionaleren Teile weggestrichen wurden. Wir haben daher nur noch das Buch gelesen. Denn gerade die emotionalen Teil mit ihrer Beschreibung von Freundschaft und Verbundenheit sind der Autorin sehr gut gelungen – und das in einem sehr Plot- und Actionlastigem Buch. Das hat das Buch nochmal extra abgerundet. Und die Illustrationen fand ich in ihrer Mischung aus Realismus und Futurismus ganz toll.

Fazit:
Wissenschaft macht Spaß und ist spannend! Bei der „Explorer Academy“ haben wir total mitgefiebert, einen Stern Abzug gibt es für die gelegentlichen Schwächen im Plot. Wir freuen uns schon auf den nächsten Band und vergeben 4 von 5 Sternen (Durchschnitt 4,25 von Kinder- und Erwachsenenbewertung).

Bewertung vom 17.02.2020
Zähringer, Norbert

Zorro Vela


ausgezeichnet

Kinderbuch-Highlight, so abgedreht wie es klingt: 1989 müssen vier Kinder aus DDR und BRD gemeinsam die Welt vor Außerirdischen retten.

Außerirdische an der deutsch-deutschen Grenze

Hier wird 1989 an der deutsch-deutschen Grenze mal ganz anders erzählt. Autor Norbert Zähringer gelingt eine ganz abgedrehte SciFi-Geschichte kurz vor dem Fall des eisernen Vorhangs. Mein 8jähriger Sohn und ich hatten beim Lesen sehr, sehr viel Spaß!

Vier Kinder, je ein Junge und ein Mädchen aus jeweils DDR und BRD, müssen die Welt retten. Das alles erzählt ihnen Zorro Vela, ein Gestaltwandler vom Planeten Oneiros, der aber für die Kinder meist die Gestalt der Comic-Figur Zorro annimmt. Die Geschichte wird über weite Strecken aus Zorns Sicht als Ich-Erzähler geschildert (die übrigen Passagen eigentlich auch, weil er dies alles beobachtet haben könnte). Und durch Zorro erfahren wir wundervoll viel absurdes Hintergrundwissen:

"Es ist nicht so, dass das All grenzenlos wäre. Wer sich zum Beispiel einmal mit seinem Raumschiff in das System der Reticulaner im Sternbild Netz verflogen hat, kann ein Lied davon singen. Sobald man die äußere Grenze ihres Sonnensystems passiert hat, eine Zone voller Müll und Weltraumschrott, taucht mit Sicherheit wie aus dem Nichts eine Grenzpatrouille auf.“

Zähringer baut dieses Kinderbuch unglaublich klug. Er setzt das Science-Fiction-Genre gekonnt um und spielt mit dessen Versatzstücken. Dass die Außerirdischen die Erde zerstören wollen, kann man einfach nur vollumfänglich verstehen: Die Menschheit ist immer kurz davor, sich selbst oder ihren Planenten zu zerstören. Und das historische Setting, das Zähringer wählt, ist die idealtypische Entsprechung dafür. All dies schildert der Autor mit einem solch liebevollen, ironischen Blick, so dass wir oft herzlich lachen mussten.

„Die vier Erdlinge wussten natürlich nicht, was Schakkalack ist. Es ist schon ein wenig nervig, eine noch nicht interstellare Spezies vor dem Untergang zu retten, wenn man beinahe alles und jedes erklären muss.“

Das Worldbuilding gefiel mir ausnehmend gut und da wird echt in die Vollen gegriffen: Eigentlich könnte man meinen, jetzt sei es genug, aber jede neue Idee fügt sich wieder passgenau in die Geschichte ein. Quasi nebenbei erzählt Zähringer vom DDR-Alltag und lässt auch die düsteren Aspekte wie den Schießbefehl an der Mauer und Stasi-Bespitzelung nicht aus. Und die 80er im Westen werden zudem miterzählt. Ich fand es wundervoll, so mit meinem Sohn in meine eigene Kindheit (West) und die seines Vaters (Ost) ein kleines Stück weit eintauchen zu können.

Sprachlich ist das Buch schön geschrieben, aber auch recht anspruchsvoll, mit ziemlich langen Sätzen. Manche 10jährige könnte das noch zu kompliziert finden. Und selbst beim Vorlesen musste ich mich konzentrieren, um nicht zu stolpern. Dann aber konnte ich die Geschichte mit ganz viel pointierter Komik vorlesen, so dass es eine echte Freude war. Mein Sohn und ich haben viel gelacht und mitgefiebert.

„Der Anblick des ersten Aliens im Leben kann einen ganz schön aus den Socken hauen. Aber – irgendwann ist halt immer das erste Mal. Also mein Tipp: gewöhnt euch dran! Gewöhnt euch dran, dass ihr nicht allein im Universum seid!“

Die Genderrollen sind recht ausgeglichen und, dass Zorro eine nonbinäre Identität hat und zwischen den Gendern wechseln kann, war für mich ein zusätzliches Schmankerl.

Fazit
So absurd und witzig kann die deutsch-deutsche Geschichte erzählt werden. Tolles Kinderbuch und eines unserer Highlights von 2019/20, das wir von Herzen weiterempfehlen. 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 08.01.2020
Hüging, Andreas;Niestrath, Angelika

Kuddelmuddel im Klassenzimmer / ROKI Bd.2


sehr gut

Witzig, wenn künstliche Intelligenz zur Schule geht. Lustiges Kinderbuch mit tollen Illustrationen.

Bot! ROKI ist wieder da

Mein 7,5jähriger Sohn und ich haben bereits den ersten Band um Roboterkind ROKI sehr gerne als Hörbuch gehört. In „ROKI – Kuddelmuddel im Klassenzimmer“ ist es Roki bei seinem „Papa“, dem Wissenschaftler Adam, im Werkstattschuppen zu langweilig und er reißt immer wieder aus. Denn er will endlich seinen besten Freund Paul in der Schule besuchen.

Angelika Niestrath und Andreas Hüging erzählen erneut eine witzige Geschichte, sprachlich leicht und angenehm zu lesen und mit viel Humor. Nebenbei geben sie den jungen Leser*innen gleich noch ein paar Anhaltspunkte, wie so ein Computerhirn denkt und was eine künstliche Intelligenz ausmacht. Dazu kann man auch gleich noch nachdenken, was Anderssein bedeutet und dass jeder einen anderen Blickwinkel hat: Denn so ein Computerkind bezieht ganz anderes Dinge in seine Überlegungen mit ein als du und ich. Er befindet sich irgendwie an der Grenze zwischen menschlichen Gefühlen und künstlicher Intelligenz. Und bei Paul gibt es die schöne Lernkurve, dass Freundschaften eben nicht exklusiv sein müssen.
Die Gefahr durch den „Bösewicht“ fand ich zwar wie im ersten Band schon etwas banal und nicht so spannend. Nervenaufreibend sieht für mich anders aus, aber die Bedrohung soll auch eher ein Nebenschauplatz sein. Denn das Autor*innen-Duo will zuallererst eine witzige Geschichte erzählen, bei der wir auch häufig laut lachen mussten. Unsere Highlights waren der Roboter-Hund Huwi, Hausmeister Palko und die Hunde mit Glitzer (ich glaube, so viel kann ich verraten, ohne zu spoilern). Sehr gut gefallen hat mir wieder das urbane Umfeld, das man auch ganz konkret als Berlin verorten kann, und dass ein recht cooles Bild von Wissenschaftler*innen gezeichnet wird.
Die Illustrationen stammen von Nikolai Renger, die uns generell sehr gut gefallen. Durch den Comic-haften Stil und die tollen Farben wirkt die recht peppig und zielen eher auf Schulkinder ab. Die Geschichte lässt sich für geübte Leseanfänger ab ca. 2./3. Klasse problemlos lesen. Die Textmenge war für meinen Sohn (Anfang 2. Klasse) allerdings noch zu groß.

Fazit
Mein Sohn freut sich schon auf den nächsten Band, der allerdings erst im Frühjahr 2021 erscheinen wird. Wir vermuten, dass Roki da… aber lest selbst. Wir vergeben 4 von 5 Sternen für dieses witzige Roboter-Abenteuer und empfehlen es gerne weiter.

Bewertung vom 08.01.2020
Stanisic, Sasa

HERKUNFT


ausgezeichnet

Die Drachen der Erinnerung

Wow! Obwohl es um die ganz großen Themen geht, wie Identität, Demenz und Krieg, liest sich „Herkunft“ mit einer unglaublichen Leichtigkeit. Ich bin durch die Seiten geflogen. Saša Stanišić erzählt die Geschichte in Erinnerungshäppchen, die sich schnell weglesen, sein Sprachwitz und die pointierten Anekdoten machten das Buch für mich zu einem Vergnügen. Stanišić spielt mit der Sprache wie auf einer ausgefeilten Klaviatur. Und die Herkunft? Es ist weder seine Mutter-, noch seine Vatersprache, es ist SEINE Sprache.

„Heimat, sage ich, ist das, worüber ich gerade schreibe. Großmütter. Als meine Großmutter Kristina Erinnerungen zu verlieren begann, begann ich, Erinnerungen zu sammeln.“

Es ist eine Liebeserklärung an die Großmutter und ein sprachliches Fest. In dieser Schönheit stockte mir wieder der Atem, weil da war wieder der Krieg (im früheren Jugoslawien), der sich aus dem Leben derer, die ihn erleben mussten, nie heraus subtrahieren lässt. Es gibt Erinnerungen meiner Mutter, die hat sie mir so erzählt, dass sie sich für mich wie meine eigene anfühlen, wie sie als knapp 3jährige an der Treppe zum Luftschutzkeller steht. Ein merkwürdiges Gefühl, ich weiß, dass war nicht ich, aber so fühlt es sich an, als hätte ich das erlebt.

Nun das absolut Verblüffende: Saša Stanišić erzählt seine „Herkunft“ so intensiv, so nahbar, so authentisch, dass sich seine Erinnerungen wie meine anfühlen. Ich war in Višegrad und ich bin mit seiner Großmutter auf einen Berg gestiegen. Ich habe Drachen gesehen. Wenn Stanišić beschreibt, wie sein Sohn etwas sagt, dann schiebt sich darüber das Bild meines Sohnes, fast im gleichen Alter ist, diese Sätze sagen. Stanišić Geschichte ist Teil der Herkunft dieses Landes hier, der Bundesrepublik Deutschland, weil er Teil dieses Landes ist, weil Migration Teil dieses Landes

„Wie schön ist das denn? Alle Menschen der Welt wertschätzen! Wie einfach es klingt.“

Beim Lesen folgt man Stanišić und nie weiß man, was „stimmt“ von diesen Erinnerungen. Aber der Autor würde nie behaupten, dass er es selbst ganz genau wüsste:

„Eine Geschichte gibt es dazu. Was an ihr wahr ist und was nicht, kann ich nicht sagen.“

Das Buch ist sicherlich nichts für Menschen, die eine Fakten ganz „ordentlich“ erzählt bekommen möchten. Nichts für Menschen, die glauben, es gäbe keinen Zweifel in Bezug auf die Erinnerung, die denken, Authentizität würde bedeuten, dass man etwas Eins zu Eins abbilden könnte. „Herkunft“ ist Literatur, keine persönlichen Annalen des Autors. Dass Stanišić dies so transparent offen legt, erzählt so viel über Literatur und auch die Herkunft an sich. Wer sind wir als Menschen, wie können wir überhaupt so etwas wie Herkunft konstruieren?

Dies ist nicht zuletzt eine politische Frage und „Herkunft“ ist nicht zuletzt ein politisches Buch, wenn es die Parallelen aufzeigt von den aufkommenden nationalistischen „Bewegungen“ in Jugoslawien damals und den Wahlsiegen von „rechtspopulistischen“ Parteien heute.

„Heute ist der 29. August 2018. In den letzten Tagen haben tausende in Chemnitz gegen die offene Gesellschaft in Deutschland demonstriert. Migranten wurden angefeindet, der Hitler-Gruß hing über der Gegenwart.“

Herkunft lässt sich nie verstehen ohne die Gegenwart und so nimmt er immer wieder auch Bezug auf das Heute. So habe ich Stanišić kennengelernt, als Autor, der sich klar gegen rechts positioniert, später auch gegen die Relativierung von Handke. Trennung von Werk und Autor? „Herkunft“ beweist, dass dies eh nie möglich ist. Ich hatte etwas Angst sein Buch zu lesen, weil ich den Autor so schätze. Es gibt keinen Grund dafür. „Herkunft“ hat mich restlos begeistert, wehmütig und wunderschön:

„Ich glaube, dass es wenig Schlimmeres gibt, als zu wissen, wo man hingehört, aber dort nicht sein zu können.“

Fazit
Ich könnte noch so viel mehr Stellen zitieren, die mich bis ins Mark berührt haben. Aber lest bitte selbst! Begeisterte 5 von 5 Sternen.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.01.2020
Schwab, V. E.

Vicious - Das Böse in uns / Vicious & Vengeful Bd.1


sehr gut

Sehr spannend und mit ambivalenten Held:innen zeigt V. E. Schwab die Schattenseiten von Superkräften.

Die Schattenseiten von Superkräften

„Von EOs zu hören oder an sie zu glauben waren zwei verschiedene Dinge, und an Elis Tonfall konnte er nicht ablesen, zu welchem Lager sein Freund gehörte. Und auch nicht, zu welchem Lager Victor Elis Meinung nach gehören sollte, was die Antwort um einiges schwerer machte.“

EOs, in „Vicious“ von V. E. Schwab sind das ExtraOrdinäre Menschen. In anderen Geschichten würde man sie Superheld:innen nennen, aber Schwab zeigt in erster Linie die düsteren Seiten solcher Kräfte und gerade deswegen hat mir der Roman sehr viel Spaß gemacht.

Toll gelungen ist für mich der Aufbau der Geschichte. Schwab springt dafür ziemlich in der Zeit hin und her, dabei immer total natürlich und nachvollziehbar. Manche Entwicklungen habe ich zwar geahnt, durch den Aufbau blieb ich beim Lesen weiterhin total gespannt. 

Die Protagonist:innen fand ich alle sehr interessant, ja, mochte ich sogar fast alle. Wie aber schon der Klappentext nahelegt, sind alle nicht per se sympathisch. Das zeigt sich schon ganz zu Anfang:

„Eli brauchte nur zu lächeln. Und Victor nur zu lügen. Beides erwies sich stets als erschreckend wirkungsvoll.“

Das muss man mögen, ich persönlich finde das sogar hin und wieder richtig klasse, weil ich gerne in den Kopf von ambivalenten und bösen Figuren schlüpfe. Und die Autorin gestaltet sie geschickt, so dass sie immer noch Identifikationspotential bietet – und nicht nur, weil ein Hund gerettet wird (frei nach dem Motto „Save the cat“ des Drehbuchratgebers von Blake Snyder).

Die Männer-Figuren stehen etwas mehr im Vordergrund als die Frauen- und es gibt auch mehr Männer. Gleichzeitig haben die zwei Frauen die interessanteren extraordinären Fähigkeiten und Selina stellt zudem die Machtstrukturen auf den Kopf. Und die Frauen haben definitiv mehr Durchblick:

„„Hast du ein Cape?« »Machst du dich über mich lustig?« »Du stehst wohl eher auf Masken.« »Worauf willst du hinaus?«, fragte er, als sie vor ihrem Gebäude standen. »Jedenfalls bist du der Held«, sie suchte seinen Blick, »deiner eigenen Geschichte.«“

„Vicious“ erzählt außerdem schon mit der Grundidee der Rivalität von Victor und Eli, wie toxisch eine Männerfreundschaft sein kann. Und wenn die Backstory der Figuren angerissen wird, erzählt die Autorin abwesende Eltern und nicht nur abwesende Mütter. 

Ich hatte aber halt etwas mehr Fantasy-Elemente erwartet, stellenweise kam stand mir der Crime-Anteil mit den Polizeiaspekten zu sehr im Vordergrund. Dazu hatte ich am Anfang ein paar kleinere Probleme, vor allem, u.a. weil mir die Faktenlage viel zu dünn erschien, warum die beiden Wissenschaftler sich überhaupt erstmal auf das Experiment einlassen. Und da hätte es für mich auch etwas schneller zur Sache kommen können. Aber auch da hat mich die Geschichte gut mitgenommen, das ist aber der Grund, warum ich 4 Sterne vergebe und keine 5. „Vicious“ habe ich dennoch mit Begeisterung gelesen, den Triel dahinter mochte ich sehr.

„Vicious“ hat viel für ein wundervolles Lesevergnügen: Victors Eigenheit, wie er mit den Selbsthilferatgebern seiner Eltern umgeht, ist eine ironische Selbstbetrachtung auf Literatur im Allgemeinen. Und viele Abschnitte sind toll formuliert:

„Noch war Victor mit ihrer Ausdrucksweise nicht ganz vertraut. Aber vermutlich handelte es sich um widerwillige Zustimmung, eine vorpubertäre Version von »okay!« oder »meinetwegen«. Die Wanduhr zeigte kurz vor neun.“

Fazit

Sehr spannend, so konnte ich „Vicious“ zum Ende hin nicht gar mehr aus der Hand legen. Für mich ist der Roman in erster Linie ein Thriller, die übersinnliche Note ist die Wucht, hätte noch mehr im Vordergrund stehen können. Ich empfehle „Vicious“ gerne weiter, freue mich schon auf Band 2 „Vengeful“, der am 29. April 2020 erscheinen soll, und vergebe sehr gute 4 von 5 Sternen. 

Bewertung vom 06.01.2020
Riley, Andy

King Eddi und der fiese Imperator


ausgezeichnet

Schokolade fürs Volk: Klischees von Gut und Böse auf die Spitze getrieben und ein toller Comic-Stil brachten uns ganz viel zum Lachen.

Humorvoll und auf den Punkt

„Die Burg eines guten Königs ist aus Steinen in warmen Farben errichtet. (...) Die Burg eines bösen Imperators sieht völlig anders aus. Sie ist immer höher als breit. Sie ist aus schartigen schwarzen Steinen errichtet und steht auf einem hohen, eckigen Felsen.“

„King Edddi und der fiese Imperator“ spielt ausgezeichnet mit diversen Klischees aus Geschichten und wir haben dabei so viel gelacht. Vieles funktioniert super als Metapher für Gesellschaft und Politik, ein großes Lesevergnügen für Jung und Alt. Und die vielen Comic-Illustrationen bringen das zusätzlich mit viel Humor auf den Punkt.

Mein Sohn (fast 8) ist ein großer Star Wars-Fan, daher war Imperator im Titel schon mal ein gutes Argument. Mit dem Imperator aus Star Wars hat Nurbison hier nicht so viel zu tun, oder auch wieder alles, weil er in vieler Hinsicht eine Persiflage auf alle Bösewichte ist, die wir durch Literatur und Film so kennen. Ich sage nur die hohe Burg, das fiese Lachen, der universelle Machtanspruch. In Eddi-Land ist aber zunächst mal alles gut, der kindliche König investiert sein Taschengeld in Schokolade fürs Volk, dazu hat er sogar eine ziemlich coole Maschine bauen lassen. Aber dann geht Eddi das Geld aus und Imperator Nurbison, der über das Nachbarland herrscht, sieht seine Chance gekommen. Besonders hat mir gefallen, dass seine Unterdrückung fies und gemein ist, aber kindgerecht bleibt. Wenn er über den Menschenhügel läuft, der für seine Rede gebildet werden musste, zieht er sich erstmal seine spitzen Schuhe aus, um sich NOCH spitzere Schuhe anzuziehen.

King Eddi hat neben Komik und Ironie durchaus auch Satire-Anteile und viele tiefe Wahrheiten sind darin versteckt. Leider, leider auch die, dass man mit aufblasbaren Spielzeugwaffen, um niemand zu verletzen, leider nicht gegen den Volkssturm ankommt (mein Pazifisten-Herz blutet). Dann gibt es da das Mädchen, dass alle Eddi-Land-Bewohner vor dem Imperator warnt, aber niemand nimmst sie ernst. Und am Ende will dann niemand zugeben, dass das Mädchen die ganze Zeit Recht hatte. Mein Kind war beim Einschlafen richtig fix und fertig, warum die anderen Bewohner das nicht erkennen:

„Warum sehen die nicht, dass das nur eine verkleidete Kuh ist und kein Drache?“

Die Frage ist berechtigt. Bedenkt man den Brexit, die Trump-Wahl oder den Aufstieg der Rechtspopulisten und Co. anderenorts ist das nicht mehr so abwegig. Das Buch erzählt aber auch, dass man die, die einem am Herzen liegen, nicht im Stich lässt, denn King Eddi möchte für seine Untertanen kämpfen und in kein anderes Land fliehen. Obwohl, so berauschend ist deren Auswahl auch nicht:

„‚Das Dreimal-täglich-Gemüseland. Das würde dir bestimmt gefallen.‘ King Eddi war sich da nicht so sicher. ‚Das Hausaufgabenland? Das Land des ewigen Nieselregens?’“

Eine tiefere Analyse für Kinder über Diktator ist mit „Fitz Fups muss weg“ möglich.

Alterseinschätzung

Toll gefallen hat mir auch das diverse Figuren-Personal. Einzig, dass sich über die Rundlichkeit der Hofnärrin lustig gemacht wird, fand ich schade.

Die Schrift ist groß gesetzt und mit vielen Comic-haften Illustrationen ergänzt, so dass man schon von einem Comic-Roman sprechen kann, und erfahrene Erstlesende das Buch super schon eigenständig lesen können (circa ab 2. Klasse). In dem Alter lässt es sich aber auch auch gut vorlesen. Noch jünger werden vermutlich sonst manche Jokes noch nicht verstanden.

Fazit
„King Eddi und der fiese Imperator“ ist eine witzig-ironische Geschichte, die Klischees von Gut und Böse auf die Spitze treibt. Wir hatten total viel Spaß beim Lesen und vergeben 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 04.01.2020
Langen, Annette;Tolman, Marije

Unsere eigene Weihnachtsgeschichte


ausgezeichnet

Zauberhaft: Zwei Geschwister erfinden ihre eigenes Krippenspiel.

„Ich bin doch die Maria!“

Das Krippenspiel fasziniert Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Eine Geschichte, die wir eigentlich alle kennen, wird uns in immer neuen Varianten vorgeführt. Annette Langen fügt mit „Unsere eigene Geschichte“ nun eine weitere, zauberhafte Variante in Buchform hinzu.

Die Geschwister Mia und Jona spielen gemeinsam die Weihnachtsgeschichte nach. Sehr niedlich ist, wenn der jüngere Jona immer wieder die Abläufe vergisst oder die „Maria“ im Spiel als Mia anspricht.
„Da wispert die Maria: ‚Klopf, klopf.‘ ‚Ach ja!‘, ruft der kleine Josef und macht schnell: ‚Klopf, klopf!‘“
Ganz toll finde ich da vom Gender-Bild auch, dass Mia die Führung übernimmt. Das ist bei Mädchen-Figuren ja leider immer noch nicht selbstverständlich.

Das Zauberhafte an dem Bilderbuch ist, dass es die kindliche Sicht mit den überlieferten Bibel-Schilderungen mischt. So wird die Geschichte etwas vereinfacht und gleichzeitig auf den Kinderblick fokussiert. Der Weg nach Bethlehem ist beschwerlich, die Felsen, vor denen die beiden Kinder laufen, sind daher in Schwarz-Weiß gestaltet. Die Flut an Schafen, die Einsamkeit des Stalls, das Jesuskind ist ein Hase, der im Stall gesessen hat.

Die Bilder von Illustratorin Marije Tolman sind künstlerisch mit einer kindlichen Note (ohne kitschig zu sein, was mir da immer ganz wichtig ist). Obwohl die Bilder auf den ersten Blick recht schlicht wirken, bieten sie ganz viel Raum für Entdeckungen und Interpretationen.

Was mir sehr gut gefallen hat: Unter den drei Königen findet sich eine Frau, was ich großartig finde. Das könnten die Eltern und der Großvater sein, die die Kinder hier wieder abholen. Das ist aber auch leider die einzige Stelle, wo ich Bedauern empfinde: Denn unter den Königen findet sich dafür keine einziger mit dunklerer Hautfarbe, das finde ich schade.

Zauberhafte Weihnachtsinterpretation, die das Weihnachtsfest aus kindlicher Sicht interpretiert. 4,5 von 5 Sternen, die ich gerne aufrunden.

Bewertung vom 04.01.2020
Attadio, Nicola

Nellie Bly


sehr gut

Spannende Biografie über eine faszinierende Frau. Erzählt toll von Blys Chuzpe, aber weniger von den patriarchalen Strukturen dahinter.

Von Chuzpe und weniger von Strukturen

Von Nellie Bly hatte ich irgendwann kurz im Studium gehört, als Vorreiterin im investigativen Journalismus.Und dann habe ich kürzlich in der wundervollen „Bitch Doktrin“ von Laurie Penny von ihr gelesen. Daher wollte ich diese Biografie unbedingt lesen.

Autor Nicola Attadio gelingt es wirklich mir das faszinierende Leben dieser Frau sehr lebhaft zu schildern. Attadio zeigt die verschiedenen Stadien von „Blys“ Leben. Bly ist übrigens ein Pseudonym, sie wurde 1864 als Elizabeth Jane Cochran geboren. Alle Stationen ihres Lebens werden in die gesellschaftspolitischen Vorgänge der Zeit eingebunden. Der Autor leitet ziemlich geschickt durch die verschiedenen Aspekte der (amerikanischen) Geschichte, die für Blys Leben eine Rolle spielten. (Nur seine Namensflut in unterschiedlichen Varianten sorgte bei mir manchmal für Verwirrung.)

Bly ging in ihren Rollen auf und so kämpfte sie nicht nur in ihren Texten für die unterdrückten Frauen und die Arbeiterschicht. Bei ihren Recherchen hat sie Härten in Kauf genommen, die ich heute noch nicht durchstehen möchte, wie sich in einer „Irrenanstalt“ für Frauen, wie das damals leider noch hieß, auf der New Yorker Blackwell’s Island einliefern zu lassen oder alleine um die Welt zu reisen. Hut ab vor Mary Bly und ihrer Chuzpe! Und diesen Respekt vermittelt der Attadio auch sehr toll.

Aber gerade bei den Brüchen in ihrer Biografie hätte mir eine noch tiefere Analyse gefallen. Attadio schildert die zwar auch und auch gut. Aber irgendwie fehlte mir dann doch etwas. In Attadios Biografie geht Bly letztendlich fast immer wieder als diejenige hervor, die sich wieder aufrappelt und (fast immer) wieder obsiegt. Ja, das soll Mut machen, und ist auch wichtig kämpferische Frauen zu zeigen, weil Frauen in der Geschichte (wie auch Personen anderer marginalisierter Gruppen) noch zu wenig dargestellt wurden. Aber vielleicht wünsche ich mir weniger das Narrativ der „starken Frau“ und bedient Attadio unabsichtlich mit der Struktur des Buches.
Da verstehe ich dann nicht, warum Bly, als sie die Firma ihres verstorbenen Mannes leitet, ihren Geschäftsführer und Geliebten so milde behandelt, nachdem er sie im große Geldsummen betrogen hat. Auch hier bleibt mit die Erklärung im Buch zu oberflächlich. Eine andere Leerstelle ist das Schicksal der Frauen, die Bly auf Blackwell’s Island getroffen hat. Natürlich gibt das die Faktenlage nicht her, aber Attadio nimmt sich halt auch an anderer Stelle die Freiheit, ein wenig zu fabulieren.

Alle Kapitel werden nämlich mit einer Introspektive eingeleitet, in der ein imaginäres Du die geheimsten Gedanken von Nellie Bly ausspricht. Ich mag solche Forme in Sachbüchern durchaus, hier gefiel mir der Stil allerdings nicht so gut, der irgendwie zu manieriert auf mich wirkte. Und die Passagen machten für mich Bly etwas kleiner, weil hier so ihre kindliche, emotionale Seite betont wurde, aber nicht in Form eines selbstreflektierten Ichs. Stattdessen wurde es hier zur Fremdzuschreibung, und die Deutungshoheit hätte ihr besser selber zugestanden, selbst, wenn es ein literarisches Ich gewesen wäre.

Vielleicht ist mir in der Konsequenz nicht genügend mitgedacht, was Feminismus bedeutet. Oder wie Laurie Penny es sagt:
„Eine Frau durfte die Ausnahme zur Regel sein, solange die Regel unangetastet blieb. Nellie Bly durfte nicht zu der epochalen Autor aufsteigen, die sie gut hätte sein können.“

Fazit
Attadios Biografie über diese faszinierende Frau habe ich sehr gerne gelesen, auch, wenn es für mich ein paar Abstriche gab. 4 von 5 Sternen.