Benutzer
Benutzername: 
Sophie

Bewertungen

Insgesamt 169 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2022
Thorogood, Robert

Mrs Potts' Mordclub und der tote Nachbar / Mord ist Potts' Hobby Bd.1


ausgezeichnet

Wohlfühl-Krimi mit Augenzwinkern – Agatha Christie im 21. Jahrhundert

Robert Thorogood, der geniale Schöpfer der Cosy-Crime-Serie „Death in Paradise“, ist zurück – und im Gepäck hat er einen herrlich schrulligen neuen Roman. „Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar“ brilliert mit einer kauzigen Ermittlerin und einer spektakulären Mordserie, die das beschauliche englische Landleben aufwirbelt.

Judith Potts, Kreuzworträtselautorin, Whisky-Connaisseuse und Nacktbade-Enthusiastin, wird beinahe Zeugin eines Mordes an ihrem kunstaffinen Nachbarn. Zumindest hört sie einen Schuss. Leider will der rüstigen über 70-Jährigen zunächst niemand Glauben schenken, und so macht sie sich auf eigene Faust ans Ermitteln, bald tatkräftig unterstützt von Hundesitterin Suzie und der perfektionistischen Pfarrersfrau Becks. Neben einer Reihe unsympathischer Gestalten im örtlichen Kunstbusiness wird der Mordclub zunächst nicht fündig, als jedoch eine weitere Leiche auftaucht, muss die Polizei einsehen, dass Judiths Riecher nicht ganz daneben lag …

„Mrs Potts’ Mordclub und der tote Nachbar“ ist ein durch und durch britischer Roman voll schwarzem Humor, exzentrischen Charakteren und schier unlösbaren Rätseln. Robert Thorogood führt uns Lesende meisterhaft an der Nase herum und wirft uns immer gerade genügend Informationshäppchen zu, um eine Theorie zu bilden – die zwei Seiten später unweigerlich über den Haufen geworfen wird. Seine Figuren sind auf eine sympathische Art verschroben, aber keine Heldinnen. Sie alle haben ihre Schwächen und ihre Geheimnisse, und was schiefgehen kann, geht schief. Beinahe jede Seite entlockt mir als Leserin ein Schmunzeln, und die Spannung ist dauerhaft hoch, obwohl die Umgebung so beschaulich und der Action-Faktor eher niedrig ist. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Bände um Judith und den Mordclub in der Mache sind!

Ein großartig schwarzhumoriges Lesevergnügen für Fans von britischen Krimis, die gerne mit den Füßen unter einer Wolldecke und einer schönen Tasse Tee einen spannenden Kriminalfall lösen möchten. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.04.2022
Schwarz, Gunnar

Braves Kind (Thriller)


gut

Spannend konstruierter Roman mit Sexismusproblem

„Braves Kind“ ist ein blutiger Thriller, der sich mit dem überaus ernsten Thema Kindesmissbrauch auseinandersetzt. Bei einem so sensiblen Feld ist Feingefühl gefragt – was leider nicht immer gelingt. Trotzdem kann das Buch durch eine solide Thriller-Handlung ein Stück weit überzeugen.

Kommissarin Sina Claasen ermittelt in einem besonders brutalen Mord: Ein bekannter Hamburger Politiker wurde grausam zu Tode gefoltert. Als gleichzeitig ein Video im Netz auftaucht, das ein kleines Mädchen mit einer Puppe zeigt und mit Rache droht, drängt sich schnell der Verdacht eines Kinderpornorings auf. Die Ermittlungen werden für Sina und ihren Kollegen Eric jedoch durch unflexible Vorgesetzte und das öffentliche Aufsehen, das der Fall erregt, erschwert. Und dann muss Sina sich auch noch um ihre außer Kontrolle geratene Schwester kümmern, die sich mit einem Drogenboss eingelassen hat …

„Braves Kind“ ist vor allem etwas für Fans blutiger Thriller: Gewaltdarstellungen kommen nicht zu kurz, und das Erzähltempo ist rasant. Das sorgt für meist hohe Spannung und einen gewissen Sog-Faktor. Der Stil holpert allerdings bisweilen etwas (da verschanzen sich Leute beispielsweise in ihren Armbeugen), und leider kommen manche Entwicklungen ein wenig plump daher, wodurch vermeintlich überraschende Wendungen später im Buch ungewollt angekündigt werden.

Mit dem Thema sexualisierte Gewalt wird im Roman durchweg sehr leichthin umgegangen. Das schlägt sich ganz besonders in der Figur Maya, Sinas Schwester, nieder, deren Leben von Sex und Drogen bestimmt wird. Viele sexuelle Übergriffe an ihr werden nebenher abgehandelt und scheinen sie nicht weiter zu tangieren. Zugleich lässt sich auch eine starke Sexualisierung sämtlicher auftretender Frauen beobachten. Sina, die Romanheldin (und der Inbegriff des Klischees der toughen Polizistin), ist davon ausgenommen, bewertet aber nonstop die Frauen um sich herum. Man kommt nicht umhin, hinter solchen Schilderungen den männlichen Blick des Autors zu vermuten, der leider nicht gerade durch Fingerspitzengefühl bei der Schilderung von Emotionen glänzt. Bei einem so sensiblen Thema wie Missbrauch wäre das aber essenziell.

Fans von blutigen Thrillern kommen in „Braves Kind“ sicher auf ihre Kosten. Wer sich etwas mehr Tiefe und Fingerspitzengefühl im Umgang mit sensiblen Themen erhofft, ist aber wohl tendenziell weniger gut beraten mit diesem Buch.

Bewertung vom 02.04.2022
Olderdissen, Christine

Genderleicht


ausgezeichnet

Hilfreicher Ratgeber in lockerem Tonfall

Mit dem neuen Ratgeber „Genderleicht. Wie Sprache für alle elegant gelingt“ kommt endlich ein sinnvoller Leitfaden aus dem DUDEN-Verlag zum Thema Gendern. Christine Olderdissen macht auf humorvoll-sympathische Art die Notwendigkeit des Genderns und seine vielen Möglichkeiten deutlich und weist auf Fallstricke hin. Nicht nur für Text-/Buchmenschen ein absolut hilfreicher Ratgeber!

„Genderleicht“ wartet mit einer guten Kombination aus linguistischem Hintergrundwissen, gesellschaftlichen Beobachtungen und praktischen Tipps zum Gendern auf. In kurzen, knappen Artikeln, versehen mit aussagekräftigen Beispielen und optisch hervorgehobenen besonders wichtigen Punkten, vermittelt die Autorin Wissen, gibt aber häufig auch Anregungen zum Nachdenken oder Futter für Argumentation. Wie viel Kompromiss muss man wirklich eingehen? Was kann das Gendern in den Köpfen wirklich verändern? Warum wehrt sich so manche*r vehement dagegen? Dabei betrachtet Christine Olderdissen bei Weitem nicht nur die Sprache selbst, sondern auch die Gesellschaft, die sie abbildet – mit allen Implikationen, die das mit sich bringt.

Der kompakte Ratgeber versteht sich nicht als Maß aller Dinge, sondern als Hilfswerkzeug und Anregung zum Experimentieren und Ausprobieren. Es ist erstaunlich, wie viele Möglichkeiten zur Geschlechtergerechtigkeit Platz auf diesen 200 Seiten finden: von Genderstern und Gendergap bis zu Synonymen, geschlechtsneutralen Formulierungen und Partizipialkonstruktionen ist alles vertreten. Besonders interessant für Menschen, die schon vertrauter mit dem Thema sind: das Kapitel zu Zweifelsfällen und zum Einschluss nichtbinärer Personen. Hier lässt sich viel lernen, denn jeder Text ist mit aussagekräftigen und vielfältigen Beispielen gespickt, die so manchen Aha-Moment produzieren.

„Genderleicht“ ist ein absolutes Muss für alle, die mehr Geschlechtergerechtigkeit in ihre Sprache integrieren und sich einfach mal etwas trauen wollen. Denn, wie die Autorin selbst sagt: „Gendern bedeutet ausprobieren und mit Worten spielen.“

Bewertung vom 02.04.2022
Mengeler, Thea

connect


sehr gut

Eine bewegende Geschichte, nüchtern erzählt

„Connect“ von Thea Mengeler fällt sicher zuallererst durch seine wundervoll bibliophile Gestaltung auf: Mit farbigem Buchschnitt, bedrucktem Buchrücken und einem traumhaften Cover-Design hat der leykam-Verlag offenbar keine Kosten und Mühen gescheut, um ein rundum ästhetisches Buch herzustellen. Der Inhalt wird dieser aufwendigen Aufmachung zum Glück auch weitgehend gerecht.

Ava, eine 28-jährige Designerin, ist quasi mit ihrer Arbeit verheiratet. Als sie eine zunehmende Leere in ihrem Leben verspürt, gerät sie zufällig in Kontakt mit einer Sekte, Connect – nur, dass Ava sie nicht als solche wahrnimmt. Mehr und mehr Zeit verbringt sie bei den gemeinsamen Treffen und isoliert sich zunehmend von ihrem sozialen Umfeld. Gefährliche Strukturen nimmt sie als besondere Aufmerksamkeit wahr und verweigert sich möglichen kritischen Deutungen. Die Situation eskaliert, als Ava ihren Job hinwirft und ihr komplettes Leben Connect widmet.

Das Spannende an Thea Mengelers Debütroman ist seine Perspektive: Die Erzählerin Ava ist, ohne es zu merken, ein Opfer von Gehirnwäsche und vermittelt uns Lesenden entsprechend ihre verzerrte Wahrnehmung der Realität. Aus diesen unzuverlässigen Schilderungen müssen wir uns die „Wahrheit“ selbst zusammenpuzzeln und sehen uns so mit der Frage konfrontiert, wie wir an ihrer Stelle handeln, wie wir das Geschehen interpretieren würden. Denn die Beurteilung von außen fällt immer leicht („es ist ja völlig offensichtlich, dass das Betrug ist“), die Sicht einer Betroffenen verändert jedoch die Sicht.

Nicht ganz passend zu dieser vielschichtigen und hochemotionalen Thematik scheint der leider sehr nüchterne Sprachstil. Echte Empathie mit der Hauptfigur will sich aufgrund der sachlichen Schilderungen nicht so ganz einstellen, sodass eine deutliche Distanz zwischen mir als Leserin und Ava als Protagonistin bestehen bleibt. Ihr Schicksal berührt weniger auf einer emotionalen Ebene, sondern lässt sich eher auf einer rationalen Ebene begreifen und analysieren. Dadurch geht dem vielversprechenden Roman ein längerer Nachhall verloren, den er sonst zweifellos hätte hervorrufen können.

„Connect“ ist ein gelungener Roman mit einer hochinteressanten Thematik und einer überzeugenden Entwicklung, dem es leider ein wenig an Emotionalität mangelt. Alles in allem ein vielversprechender Start von Thea Mengelers Autorinnenkarriere.

Bewertung vom 28.02.2022

Selber backen statt kaufen


sehr gut

Ein praktisches Backbuch, das die Basics abdeckt

Mit „Selber backen statt kaufen“ präsentiert uns Smarticular ein hübsch gestaltetes Backbuch mit 77 Rezepten für gängige Backwaren, die man ganz einfach zu Hause herstellen kann. Zugegebenermaßen: Das Rad wird hier nicht neu erfunden, aber das Backbuch ist eine tolle Einstiegshilfe für Backanfänger und ein praktisches Handbuch für den Alltag, in dem viele sinnvolle Grundrezepte gesammelt sind.

Die Aufmachung ist wie gewohnt ansprechend, allerdings bleibt mein Kritikpunkt eines anderen Buchs aus dem Hause Smarticular bestehen: Für ein Backbuch wäre eine andere Bindung sinnvoll, sodass das Buch offen liegen bleibt. Mit dieser Taschenbuchbindung muss ich die Seite immer neu aufschlagen, wenn ich etwas nachschauen will.

Die Auswahl der Rezepte reicht von Sauerteigbrot und -brötchen über einfache Kuchenrezepte, süßes und herzhaftes Gebäck. Zwischendurch wird es auch mal etwas anspruchsvoller, z. B. bei den Croissants, aber insgesamt setzt das Buch vor allem auf einfache Rezepte, die man auch im Alltag mal eben machen kann. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man eben tatsächlich selber macht und nicht kauft! Die Rezepte, die ich bisher ausprobiert habe, haben gut funktioniert und bestätigen das Konzept von Smarticular, das stark Feedback aus der Online-Community einbezieht. Hier und da sind auch hilfreiche Tipps eingestreut, von denen sogar für mich als langjährige Bäckerin der ein oder andere neu war.

Alles in allem kann ich auch dieses Backbuch von Smarticular empfehlen. Sehr fortgeschrittene Bäcker finden hier vermutlich nichts Neues, aber ich persönlich finde es praktisch, eine Sammlung der wichtigsten Grundrezepte so praktisch zur Hand zu haben.

Bewertung vom 28.02.2022
Herzig, Anna

Die dritte Hälfte eines Lebens


gut

Interessanter Ansatz mit zu wenig Ausarbeitung

„Die dritte Hälfte eines Lebens“ ist mit seinen rund 130 kurzen Seiten eher eine Novelle als ein Roman, beschäftigt sich aber in ungewöhnlicher, fragmentarischer Erzählweise mit einem spannenden Thema: der Bedeutung von Gerüchten in einer sehr kleinen, eng verwobenen Gemeinschaft. Ein vielversprechender Ansatz, der leider in seiner Ausführung etwas zu wenig Fleisch auf den Rippen hat.

Im kleinen Dorf Krimmwing spielt sich das Leben ab, wie auch überall sonst: Es gibt Menschen, die von der Norm abweichen, deren Verhaltensweisen nicht ins streng moralische Korsett der kleinen Dorfgemeinschaft passen und die dafür an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Da sind Rosa, die ein Kind mit einem Schwarzen Mann gezeugt hat, der den Druck aus dem verbohrten Dorf nicht aushält und sich davonmacht, Lorenz, der sich in seinem männlichen Körper nicht wohlfühlt, und Liesl, die von den Frauen des Dorfes misstrauisch beäugt wird. Sie alle wollen ein selbstbestimmtes Leben führen, aber die engen Grenzen von Krimmwing lassen das nicht zu. Gerüchte über sie verbreiten sich wie ein Lauffeuer, und Gerüchte sind auch das zentrale Thema des Romans.

Eine Stärke von „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ist der freie Umgang mit Fakt und Gerücht, der uns Lesende in einer ständigen Spannung zwischen „So ist es“ und „Das sagen die Leute“ hält. So interessant dieses Konzept ist, so banal erscheint es aber leider in der Umsetzung. Zu fragmentarisch stehen die einzelnen Episoden nebeneinander, zu wenig Tiefe bekommt das Geschehen. Für einen so kurzen Text ist das Figureninventar ganz beachtlich, was dafür sorgt, dass jede und jeder nur episodenhaft zur Sprache kommt. Eine Identifizierung mit den Figuren und ihren Schicksalen wird dadurch nahezu unmöglich gemacht, die Charaktere bleiben zeichenhaft, der Ablauf der Dinge verwirrend. Im Grunde scheint der Roman zeigen zu wollen, was eine Gerüchteküche alles in einem Menschen anrichten kann, aber es gelingt ihm nicht so recht, da die Figuren so blass bleiben wie die Gerüchte, die über sie im Umlauf sind.

Stilistisch und inhaltlich ist „Die dritte Hälfte eines Lebens“ ein vielversprechendes Werk, in seiner Umsetzung jedoch leider nicht ausgereift. Die Autorin hat sicher einiges zu bieten, und die Chancen stehen gut, dass sie ihre Stimme noch finden wird. Das Potenzial ist auf jeden Fall da, erfordert aber noch ein wenig Schliff.

Bewertung vom 28.02.2022
Crimp, Imogen

Unser wirkliches Leben


sehr gut

Psychologisch interessant und emotional bewegend

„Unser wirkliches Leben“ von Imogen Crimp ist nur auf den ersten Blick eine klassische Liebesgeschichte: junge, mittellose Sängerin mit großen Träumen trifft, älteren, gut betuchten Mann und sie beginnen eine Affäre. Trotz dieses eher klischeehaften Set-ups ist der Autorin hier jedoch ein etwas anderer Roman gelungen, einer, der seine Protagonistin nicht als Liebeskranke mit einem Mann als einzigem Lebensinhalt darstellt, sondern ihr komplettes Leben ausleuchtet und ihr somit echte Tiefe verleiht.

Anna ist vom Land nach London gezogen, um am Konservatorium Operngesang zu studieren. Sie hält sich mit Singen im Jazzclub über Wasser und lebt kontinuierlich am Existenzminimum, um ihren großen Traum von der Opernkarriere zu verwirklichen. Von der überbehütenden und kontrollierenden Mutter und dem schweigsamen Vater zu Hause kann sie sich nicht viel Unterstützung erhoffen, denn diesen Lebensweg halten sie für viel zu unsicher. Als sie eines Abends Max kennenlernt, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen, obwohl er sie von Anfang an auf Abstand hält. Ihre Beziehung entwickelt sich nach und nach in eine ungesunde Richtung, und Anna droht den Bezug zu sich selbst und ihren eigenen Wünschen zu verlieren, entfremdet sich von ihrem Umfeld und macht sich mehr und mehr abhängig von Max. Was anfängt wie ein seichtes Liebesdrama, entwickelt sich bald zu einem ernsthaften Psychogramm einer unsicheren jungen Frau, der es an Halt im Leben mangelt.

Trotz dieser erfreulichen Tiefe wartet „Unser wirkliches Leben“ auch mit einer ganzen Reihe von Klischees auf, und zwar nicht nur im Bereich der Liebesgeschichte, sondern vor allem auch, wenn es um das Leben von Künstler*innen geht. Die Geschichte suhlt sich häufiger recht stark in der Idee der mittellosen Künste und des freien Lebens. Zudem ist das Erzähltempo extrem gemächlich, wovon die Charakterentwicklung zwar enorm profitiert, was aber insgesamt dafür sorgt, dass sich einige Längen ergeben. So mancher Dialog wiederholt sich dabei, und dieselben Themen werden immer und immer wieder angesprochen. Prinzipiell unterstützt diese Erzählweise das Porträt von Anna und ihrer Gefühlswelt, ihr Sich-im-Kreis-Drehen und Nicht-von-der-Stelle-Kommen, der Grat zwischen Raffinesse und Ermüdung ist jedoch schmal und wird hin und wieder überschritten.

Trotz dieser leichten Schwächen ist „Unser wirkliches Roman“ ein Buch, das berührt und nachdenklich macht, mit einer Protagonistin, die mir als Leserin wirklich und wahrhaftig nahe kommt. Eine lohnenswerte Lektüre!

Bewertung vom 19.02.2022
Drvenkar, Zoran

Wir


ausgezeichnet

Poetisch, vulgär, rasant – ein Buch wie das echte Leben

Zoran Drvenkar ist dafür bekannt, dass er in seinen Romanen kein Blatt vor den Mund nimmt. Seine Figuren sind nicht brav und angepasst, sondern wild und voller Leben, und das tritt in seinem neuesten Roman „Wir – die süßen Schlampen“ ganz deutlich zutage. In gewohnter erzählerischer Brillanz setzt er nach und nach aus verschiedenen Puzzleteilen eine wilde Geschichte über Freundschaft, Verbrechen, Drogen, Gewalt und das echte Berlin zusammen.

Schnappi, Stinke, Nessi, Rute und Taja sind beste Freundinnen. Echt und unverfälscht, mit allem, was dazugehört. Gerade sind sie von der Realschule abgegangen, und die Welt liegt ihnen zu Füßen. Sie wollen ein wildes, freies Leben, sie fühlen sich unbesiegbar. Eines Tages verschwindet Taja spurlos. Die Suche nach ihrer Freundin führt die Clique in einen tiefen Abgrund aus Drogen und Gewalt, durch den sich die zähe Truppe stets mit einem flotten Spruch auf den Lippen und mit einer guten Portion rauem Charme durchbeißt.

Dabei gelingt es Drvenkar, all seine toughen Mädels zugleich auch verwundbar wirken zu lassen. Sie alle haben Träume und Ängste, sie alle sehnen sich nach etwas und bereuen Dinge. Sie sind keine schablonenartigen „starken jungen Frauen“, sondern echte Persönlichkeiten. Ebenso wie unter der Oberfläche seiner Figuren Verwundbarkeit schlummert, lauert unter der rauen, teils derben Sprache, der sich der Autor bedient, immer auch etwas Zartes, Poetisches, was seinen ganz besonderen Erzählstil ausmacht. Die Spannung entsteht nicht nur aus der Handlung, sondern auch aus der fragmentarischen Erzählweise: Nach und nach erst entsteht ein vollständiges Bild der Geschehnisse, das sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zusammensetzt.

Mit „Wir“ ist Zoran Drvenkar wieder einmal ein Roman wie ein Rauschzustand gelungen: heftig, wild, bunt, teils vulgär, oft poetisch und immer mit einem Blick für das Menschliche, Echte, Unverfälschte. Ein Jugendbuch, das ganz sicher nicht nur ein Jugendbuch ist, sondern Lesende aller Altersgruppen in seinen Bann ziehen kann.

Bewertung vom 13.02.2022
Kliesch, Vincent

Im Auge des Zebras / Olivia Holzmann Bd.1


weniger gut

Ein wenig nachvollziehbarer Krimi voll unmotivierter Action

„Im Auge des Zebras“ von Vincent Kliesch entstammt der Reihe um den Ermittler Severin Boesherz, dessen Schülerin Olivia Holzmann hier in seine Fußstapfen tritt. Vorweg sei gesagt: Ich habe die anderen Bände um diese Charaktere nicht gelesen, sodass es mir möglicherweise an Hintergrundwissen mangelt. Für sich genommen, konnte mich der Roman aber leider gar nicht überzeugen.

Aufhänger der Geschichte sind gleich zwei Verbrechen, die auf recht konstruierte Weise miteinander verknüpft werden: Die Eltern von sieben Jungen werden zum gleichen Zeitpunkt bestialisch ermordet, die Kinder entführt, und der Drogenboss Sokolov scheint irgendetwas damit zu tun zu haben. Olivia Holzmann, eine toughe Ermittlerin im Liebesrausch, deren neuer Freund ihr jeden Wunsch von den Augen abliest, versucht, Informationen aus Sokolov zu pressen, kommt damit aber nicht besonders viel weiter und wendet sich stattdessen an ihren Mentor Boesherz. Der möchte seiner Protegée eine Lehre erteilen und verweigert ihr die Unterstützung, obwohl es um Menschenleben geht. Pech gehabt!

So „motiviert“, ermittelt Olivia auf eigene Faust und muss bald feststellen, dass der aktuelle Fall eng mit einer Jahre alten ähnlichen Entführung zusammenhängt, bei der ein Zwillingspaar erst in letzter Sekunde gerettet werden konnte. Die Spur ist heiß, aber die Uhr tickt und das Leben der Kinder steht auf dem Spiel.

Abgesehen von Boesherz’ völlig fehlgeleiteten Erziehungsmaßnahmen schafft es auch keine andere der Figuren, mir als Leserin so recht ans Herz zu wachsen. Dafür sind die Szenenwechsel zu rapide, die Handlungsstränge zu wirr, und in die Länge gezogene Action-Szenen rauben möglicher Charakterentwicklung den Platz. Der Stil ist hier und da etwas holprig, mit einer Mischung aus wenig bildhafter Sprache und teils umständlichen Schachtelsätzen, die den Lesefluss zusätzlich mindern. Spannung will sich (trotz des an sich sehr interessanten Rätsels, das im Vordergrund stehen sollte) nicht so recht einstellen, und eine Reihe teils irrelevanter Handlungsstränge sorgt für Verwirrung.

Leider kann Vincent Kliesch mit „Im Auge des Zebras“ nicht überzeugen, obwohl der eigentliche Fall und seine Lösung eine durchaus interessante Grundidee bieten. Dieses Potenzial wird jedoch überlagert von Schwächen in puncto Struktur, Handlungsablauf und Sprache, sodass das Leseerlebnis schnell in Vergessenheit geraten wird. Schade!