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Insgesamt 166 Bewertungen
Bewertung vom 14.04.2020
El-Bahay, Akram

Anouks Spiel


ausgezeichnet

Was bedeutet Held:innen sein?

Wir haben so mitgefiebert, haben gelacht, gezittert und waren tief berührt. Schon jetzt ein Jahreshighlight für uns!

Wie oft hast du dir schon etwas gewünscht, das du später bereut hast? So in tiefster Frustration? Bei Anouk wird jener dunkler Herzenswunsch wahr und sie muss in ein Brettspiel eintauchen, um diesen Wunsch rückgängig zu machen.

Ein kleiner Hinweis zur Altersempfehlung: Mein Sohn hat zwar mit 8 Jahren schon mitgelesen, aber bei Fantasy-Büchern kann es ihm (fast) nicht spannend genug sein. Kindern, denen das genauso geht, kann man das Buch sicherlich schon in diesem Alter vorlesen. Ängstliche Kinder könnten sich schon noch an einigen Stellen gruseln und so empfehle ich es eher erst ab 10 Jahren.

Mein 8jähriger Sohn meint:

„‚Ich bin keine Auskunft‘, erwiderte die Figur eingeschnappt. Dann schüttelte sie sich. ‚Aber ich will mal nicht so sein.‘ Sie senkte verschwörerisch die Stimme. ‚Unterschätze niemals die Kamele.‘ Für einen Moment sagte keiner etwas. Nur der Wind pfiff über die Dünen. ‚Das ist alles?‘ Pan klang, als beschwerte er sich bei einem Kellner über das schlechte Essen.“

Das ist nur eine von vielen Stellen, an denen ich viel gelacht habe. Und dann war alles so spannend, dass ich mich immer gefragt habe: Was passiert als nächstes? Die Welten, die gezeigt wurden, fand ich ganz toll gemacht. Im Wald hat mir gefallen, dass Anouk und ihr Begleiter da so klein sind.

Meine Erwachsenen-Sicht:

Es gibt eine Blaupause, was es bedeutet ein Held zu sein. Joseph Campbell hat die in „Der Heros in tausend Gestalten“ nachgezeichnet, den ewigen Kampf Gut gegen Böse, aber in den letzten Jahren kommt immer wieder die Frage auf, ob das HeldINNEN-Sein nicht ganz andere Anforderungen stellt. Und ich persönlich finde, dass Akram El-Bahay das mit „Anouks Spiel“ in einer sehr spannenden, kindgerechten Variante präsentiert, die die klassische Helden-Reise mit etwas Neuem verbindet. So können Held:innen-Reisen entstehen! Es geht im Leben nämlich nicht um Sieg oder Niederlage, El-Bahays Moral ist eine andere: Sei mit Dir selbst im Reinen!

Für ein Kinderbuch finde ich das wundervoll: Geh deinen eigenen Weg.

Das hört sich sehr philosophisch an – und das ist es auch. Die Geschichte ist zwar auf den ersten Blick geradlinig (Mädchen muss eine gefährliche Aufgabe bestehen), auf den zweiten Blick eröffnen sich eigene Welten mit eigenen Regeln, die viel mehr bieten als eine reine Schnitzeljagd.

Dazu ist „Anouks Spiel“ spannend und sehr witzig. Ein Page-Turner im besten Sinne. Und dann gab es immer wieder so richtig anrührende Stellen.

Wünsche und Geschichten haben eine große Macht. Ein Kind taucht in eine Phantasiewelt ein. Diese bekannten Motive erzählt Akram El-Bahay in einer ganz tollen Variante. Denn erstmal muss sich Anouk auf die Suche nach vier Gegenständen machen, die ihr im Kampf gegen den dunklen Ritter helfen sollen. Der kämpft allerdings nicht fair, egal, wie sehr Anouks neue Freund:innen ihr helfen. Wundervoll ist der Schimpanse Pan, grummelig, etwas misanthrop, hat er so wundervolle Dialoge:

„‚Alles klar soweit?‘ Anouk schüttelte den Kopf. ‚Bestens‘, meinte Pan. ‚Dann sollten wir uns mal auf den Weg machen.‘“

Auch das hat mir sehr gut gefallen: Anouk hat keine übermächtigen Kräfte, und ihre Erfolge sind immer eine Teamleistung. Keine einsame Heldin oder Auserwählte. Sie ist zwar DIE Spielerin, aber es ist ja auch ihr Spiel.

Es war unser und auch mein erstes Buch von Akram El-Bahay. Der Autor stand aber schon länger auf meiner Wunschliste und nach diesem tollen Buch werden sowohl ich (für die größeren) als auch wir (für die kleineren) sicherlich noch mehr Bücher lesen.

„Anouks Spiel“ bietet viel mehr an Stoff für Gedanken und auch für Analysen und ich hatte auch einiges mehr geschrieben. Aber ich habe es wieder gelöscht. Ich möchte dieses wunderbare Buch nicht im Vorfeld zerreden. Bitte lest es einfach selbst! Begeisterte 5 von 5 Sternen!

Bewertung vom 13.04.2020
Stegemann, Patrick;Musyal, Sören

Die rechte Mobilmachung


ausgezeichnet

Die türkische Autorin Ece Temelkuran hat in einem Interview so eindringlich gesagt: „Sowohl in Europa als auch in den USA glauben Menschen, dass ihre Demokratie stabiler sei als die in der Türkei. Es gibt aber keine Demokratie in der Welt, die immun ist gegen Rechtspopulismus.“ Patrick Stegemann und Sören Musyal zeigen in „Die rechte Mobilmachung“, wie real diese Bedrohung für uns in Deutschland und Österreich ist.

Die beiden haben jahrelang zu diesem Thema recherchiert, schon allein dafür verdienen sie Respekt, dass sie sich so lange mit diesem rechtsradikalen Dreck abgegeben haben.

Der Aufbau des Buches ist sehr klug: Mit dem „Gamergate“ zeigen sie idealtypisch auf, wie rechtsradikale Kräfte Subkulturen wie die Gamer und ihre Frauenfeindlichkeit nutzen, um dort zu rekrutieren. Von den rechten Influencern, die sich als nette Jungs von nebenan u.a. mit Kochtipps inszenieren, gehen die Autoren weiter zu den institutionellen Hetzern der AfD hin zu den Strukturen von Facebook, Instagram und Youtube, deren Betriebslogik diese Hetze begünstigt.

Christchurch oder der Anschlag von Halle sind Resultate davon. Das Buch ist erst Ende Januar erschienen: Seitdem passierte der Dammbruch in Thüringen, als sich ein FDP-Ministerpräsident von der AfD wählen ließ; es gab Festnahmen wegen antimuslimischer Anschlagsplänen auf Moscheen und in Hanau stürmte ein Rechtsradikaler zwei Shisha-Bars und erschoss dort 9 Menschen und danach seine Mutter. Und meine Aufzählung ist noch nicht einmal vollständig. „Die rechte Mobilmachung“ zeigt auf, wie im Internet der Weg für solche Gewalttaten und andere staatszersetzende Aktionen geebnet wird. Die beiden Autoren zeigen sehr eindringlich, wie nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland gezielt private Emails lanciert wurden, um die die Wahlen zu beeinflussen.

„»Für uns ist Provokation keine Verkaufsstrategie«, schreibt Kubitschek, »unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.« Schluss mit den Diskussionen, Schluss mit den auf Verständigung und Einigung zielenden Debatten, Schluss mit der deliberativen Öffentlichkeit. Kubitschek und die Neue Rechte, sie wollen ihre eigene Party – was letztlich heißt: ein autoritäres politisches System.“

Der Stil des Buches ist klar, leicht verständlich und sehr deutlich. Schon die Überschriften sind programmatisch: Die netten Jungs aus dem Internet; Auf Empfehlung radikalisiert; Wahlkampf als Game, Hass als Botschaft; Die Facebook-Partei. Stegemann und Musyal erklären, wie die Rechten den Diskurs vergiften wollen, wie De-Platforming wirkt (also die Entfernung der rechten Akteure von den großen Plattformen) oder wie günstig Likes auf Facebook zu haben sind. Und das alles immer absolut verständlich.

„In Strategiepapieren sprechen die Identitären ganz freimütig davon, dass sie die Öffentlichkeit kapern wollen, durch Emotionen und Polarisierung. Es ist die Einheit von »Theorie und Propaganda« – so nennen sie es selbst. Wie diese Propaganda funktioniert, zeigen sie jeden Tag in den sozialen Medien.“

Trotzdem muss ich gestehen, ich konnte diese Buch nur sehr langsam lesen. Die Inhalte des Buches haben mich immer wieder geängstigt, auch, wenn ich vieles aus diesem Buch schon wusste. Besonders das Gruselkabinett der rechten Szene finde ich jedes Mal aufs Neue erschreckend, wie die Selbstinszenierungen wie vom „Posterboy“ der Identitäten Bewegung Martin Sellner. Ja, es wäre leichter, einfach wegzusehen, aber genau weil diese Gefahr so beängstigend ist: Wir dürfen nicht die Augen verschließen!

Dass dieses Buch 50 Prozent ein Stern-Bewertungen im großen Online-Versand hat, gibt den Autoren nur überdeutlich recht: Rechte Trollkultur zielt ganz klar auf ihre Kritiker:innen und wir müssen diesen zur Seite stehen, um unserer Demokratie zu schützen.

Fazit
Ein wichtiges Buch, wir dürfen nicht die Augen verschl

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Bewertung vom 11.03.2020
Bertram, Rüdiger

Plötzlich Millionär! / Plötzlich Bd.1


ausgezeichnet

Wer wäre nicht gerne Millionär? Aber das hat auch seine Schattenseiten – lernt man in diesem witzigen Kinderbuch mit Comic-Elementen.

Mein 8jähriger Sohn meint:

Leo ist ein Türreisender. Ganz oft, wenn er eine Tür öffnet, reist er an andere Orte oder in eine andere Zeit, weil er in Parallelwelten springt. Einmal wollte er unbedingt noch eine Zeitlang in so einer Welt beiben, aber dann denkt er „Oh, nein!“, weil er eine Tür geöffnet hat. Manchmal landet er dann nochmal ganz woanders, aber wenn er wieder in seine eigene Welt zurückkommt, ist da keine Zeit vergangen.

„Plötzlich Millionär“, schon der Titel hat bei mir eine innerliche Aufregung ausgelöst, was das Buch nochmal spannender gemacht hat. Das Buch war genauso schön und spannend, wie ich bei dem Titel erwartet habe. Darum vergebe ich 5 Sterne.

Meine Erwachsenen-Meinung:

„Echt cool“, hat mein Sohn schon nach wenigen Seiten gesagt und bei dieser Meinung sind wir beide auch geblieben. Autor Rüdiger Bertram und Illustrator Heribert Schulmeyer kennen wir schon von „Voll super, Helden“. Und wieder konnten wir hier ein witziges Kinderbuch mit tollen Comic-Elementen lesen. Bertram sucht sich immer wieder popkulturelle Themen und Motive – hier die Parallelweltreisen – und bringt sie in eine kindgerechte Form, die uns Eltern ebenso gut unterhält wie unseren Sohn. Wir sind regelrecht durch die Seiten geflogen und mussten sehr viel kichern.

Schon die ersten Seiten führen uns als Lesende grandios in Leos Türreisen-Phänomen und die daraus entstehenden Probleme ein. Dann folgte eine recht rasche Abfolge von verschiedenen Welten, einige kurze, zwei längere. Danach ist klar: Die Millionärsvilla, in der Leo landet, stellt dagegen den absoluten Hauptgewinn aller Parallelwelten dar. Oder vielleicht doch nicht?

Da kommt durchaus Kapitalismuskritik durch und auch Kritik am Mäzenatentum, dass durch die Oligarchen immer mehr voranschreitet. Denn selbst als Leo erkennt, dass Geld nicht glücklich macht, kann er es nicht einfach verschenken, so stellt er fest:

„‚Ich wusste nicht, dass es so schwierig ist, Gutes zu tun‘, sage ich. ‚Das ist überhaupt das Allerschwierigste‘, erwiderte Ludwig.“

Die obercoolen Pseudobeschimpungen zwischen den beiden besten Freunden fand ich etwas viel. Bei den Mädchen-Figuren könnte es einfach noch mehr geben, dafür ist Eva sehr souverän und sozial engagiert. Und Bertram punktet dafür bei einem anderen Diversity-Aspekt richtig gut: Leos bester Freund Masud (Tarek in der Parallelwelt) genauso arm bzw. reich sein darf wie Leo. Und er erkennt einen falschen Genitiv-Apostroph, das freut das Literaten-Herz.

Fazit:

Witzig und sogar noch mit Tiefgang. 4,5 von 5 Sternen, die wir gerne aufrunden, während wir uns auf den zweiten Band freuen, der im Herbst erscheinen soll.

Bewertung vom 11.03.2020
Hammond, Joe

Eine kurze Geschichte vom Fallen


sehr gut

Im Verfall findet Hammond tiefe Einsichten ebenso wie Poesie.

Dieses Buch ging mir an die Nieren, denn Joe Hammond erzählt von seinem eigenen Sterben. Aber sein Buch ist nicht nur düster, denn wie der Untertitel nahelegt, berichtet er auch ganz viel vom Leben.

Ich kann verstehen, wem das zu heftig ist. Hammond ist dazu auch noch erst kürzlich, wie vorherzusehen, an der Motoneuron-Krankheit gestorben. Vermutlich muss jeder Lesende den richtigen Zeitpunkt für diese Lektüre finden. Hammonds Schilderung ist am stärksten – und am erschütterndsten – wenn wer von seinen Kindern schreibt, im Verlauf des Buches circa 2 und 6. Eltern möchten ihre Kinder nicht so zurücklassen müssen. Gleichzeitig musste ich aber viel an meinen verstorbenen Vater denken, sein Tod ist nun 8 Jahre her, ein schwerer Unfall 26. Das Buch half mir bei der Reflexion, auch bei der Trauer darüber, dass ich mich vor seinem plötzlichen Herzinfarkt nicht verabschieden konnte. Das Lebensbejahende habe ich immer wieder in Hammonds Buch gefunden und einen feinen, teilweise makaberen Humor, den er sich sicherlich nicht nur ein Bisschen erkämpfen musste.

Ich muss gestehen, dass ich für dieses Buch ein anderes beiseite gelegt habe, weil ich etwas Abstand davon brauchte: „Die rechte Mobilmachung“ von Patrick Stegemann und Sören Musyal und diese das Netz als Radikalisierungsplattform benutzen. Zum Abstand von der einen harten Realität wählte ich eine andere harte Realität: Wir müssen sterben! Aber so ist das Leben, während das andere die Boshaftigkeit des Menschen ist. Wenn wir einen Unterschied machen wollen in dieser Welt, dann müssen wir über beides wohl Bescheid wissen.

Hammond ist schonungslos offen – in Bezug auf seinen körperlichen Verfall und seine Körperfunktionen. Der Zauber des Buches liegt für mich auch daran, dass er alles so klar und deutlich beschreibt, Scham und Ekel aber immer draußen bleiben. Menschliches, allzu menschliches, kam mir in den Sinn:

„Gill wollte mir aufhelfen, aber ich sagte, das wäre erst mal nicht nötig, und schlug vor, während ich auf den Teppich sabberte, sie sollte die Fischstäbchen fertig braten. Tom stieg auf seinem Weg zur Treppe über mich hinweg. Ich konnte hören, wie das Abendessen auf Teller verteilt wurde, und ich wollte bleiben, wo ich war – vielleicht für immer. Ich zog die Möglichkeit ernsthaft in Erwägung. Und nichts an dem Gedanken kam mir irgendwie sonderbar vor.“

Hammond bezieht auch seine Vergangenheit und seine zum Großteil schwierige Kindheit mit in diesem Buch heran. An diesen Passagen fehlte mir stellenweise der Fokus, vielleicht, weil er dort aus einem Restrespekt seinem Vater gegenüber einiges verklausuliert schreibt. Da hätte ich das Buch schon fast zur Seite gelegt. Später fügen sich allerdings auch diese Passagen mit dem Rest zusammen: Er muss von diesen Erlebnissen schildern, um seinen eigenen Weg jenseits einer toxischen Männlichkeit zu schildern. (So kümmerte er sich vor seiner Erkrankung als Hausmann um seine beiden Söhne.)

Dennoch fielen diese Passagen gegenüber dem Rest ab. Weswegen ich das Buch nicht mit voller Sternen-Zahl bewerte. Obwohl sich die Bewertung generell merkwürdig anfühlt, denn immerhin hat hier ein Mensch einen Abschiedsbrief an seine Kinder formuliert.

Im Verfall findet Hammond tiefe Einsichten ebenso wie Poesie. Am Ende des Buches schreibt er auch darüber, wie unterschiedlich sich die Menschen ihm gegenüber seit seiner Diagnose verhalten. Ich denke, mit seinem Buch kann er nun auch Empathie vermitteln, wie Mitmenschen es besser machen können.

Am Ende nehme ich mein Kind in den Arm. Und hoffe, dass ihm dieses Erleben noch lange erspart sein werde. 

Bewertung vom 11.03.2020
Güntner, Verena

Power


sehr gut

Die Sprache hat Sogwirkung. Verena Güntner baut ein faszinierendes Figurengeflecht auf. Dennoch ließ mich „Power“ etwas ratlos zurück.

Vieles von dem, was ich an „Power“ mochte, lag an den kleinen überraschenden Wendungen in der Geschichte, die in vieler Hinsicht immer radikaler wurde. Daher möchte ich nicht so konkret auf den Inhalt eingehen. Aber Power ist der Hund, der verschwindet, und vom Mädchen Kerze und den anderen Kindern des Dorfes gesucht wird.

Sehr gut gefallen hat mir die Betrachtung, dass Kinder viel mehr Macht haben, als wir ihnen gemeinhin zugestehen. Das ist gerade in Hinblick auf die „Fridays for Future“-Bewegung ein hoffnungsfroher Gedanken. Die Kinder in „Power“ schwanken daher zwischen zwei Phänomenen: Zum einen sind die Kinder mit dem Phänomen des Adultismus konfrontiert, der Diskriminierung aufgrund ihres jungen Lebensalters. Dass sie nicht ernst genommen werden, allein aufgrund der Tatsache, dass sie Kinder sind. Und dadurch, dass sie nicht ernst genommen werden, kommt eine Dynamik in Gange, die sich später nicht mehr stoppen lässt. Zum anderen geht es um die sogenannte Parentifizierung, da werden die Rollen von Kindern und Erwachsenen umgekehrt, was für die Kinder eine individuelle wie strukturelle Überforderung bedeutet.Adultisms und Parentifizierung, wird bei Güntner klar, sind Antithesen, die vollends parallel existieren können. Und beide lasten den Kindern und Jugendlichen etwas auf, was ihre freie Entfaltung behindert.

Wenn es um die Kinder im Wald geht, liegt die Geschichte irgendwo zwischen „Herr der Fliegen“ und der Rattenfänger von Hameln, und der Name des Hundes ist hier durchaus programmatisch zu sehen, es geht eben auch um Macht: Wer bestimmt, wann Ende ist? Wer ist der Leitwolf? Dass es mit Kerze eine HerrIN ist, eine RattenfängerIN, eine LeitwölfIN, dieser Gender Twist hat mir sehr gut gefallen. Von der feinen Beobachtung der Sozialstruktur hat mich „Power“ an „Unter Leuten“ von Juli Zeh erinnert.

Die Ursachen der ganzen Misere haben viel mit toxischer Männlichkeit und Gewalt (gegen Kinder, Erwachsene und Tiere) zu tun. Die Missetaten der Väter (oder Nicht-Väter) suchen letztendlich die Kinder heim. Das zu lesen ist zermürbend und schmerzhaft, und ich möchte dies explizit auch als Content Note / CN benennen. Gerade, weil sich diese Themen im Verlauf des Buches einschleichen und nicht von Anfang an klar ersichtlich sind, auch, wenn es absehbar ist.

„Power“ bildet diese Kausalitäten nach und auch, wenn ich beim Lesen einige erahnen konnte, so gefiel mir doch Güntners Spurensuche. Der Verlauf von Hitschkes Geschichte hat mir nicht nur einmal die Atemluft abgeschnürt.

Gestolpert bin ich, immer wieder über die Grundkonstruktion. Warum wehren sich die Eltern nicht „normal“ und holen die Behörden zu Hilfe? Wie können sie in dieser quasi feudalen Blase leben? Manches ist mir zu simplifiziert, wie die Geschichte von dem Jungen Henni, dem einzigen Nazi im Dorf.

Wenn ich das weiterdenke, liegt darin eine noch größere Unentschlossenheit: Ist Kerzes Kindergruppe im Wald nun ein Dystopie oder eine Utopie? Diktatur oder Befreiung? Zwang oder Freiheit? Schon das Bild des Rudels lässt in mir immer ein faschistoides Bild entstehen. Ja, ich weiß, ich soll mich all dieses Fragen, aber wenn ich dann das Ende betrachte, bleibt mir das Fragezeichen zu unentschlossen. Aber vielleicht fehlt mir einfach auch nur der Code, dass ich diesen Roman dechiffrieren könnte.

Fazit

„Powers“ Nominierung beim Preis der Leipziger Buchmesse finde ich gerechtfertigt, denn die Autorin traut sich etwas. Meine Ratlosigkeit ist aber auch eine Woche nach meinem Lektüreende noch vorhanden, das ist zwar sicherlich gewollt, hinterlässt aber ein unbefriedigendes Gefühl. Daher vergebe ich 4 von 5 Sternen und eine Empfehlung für alle, die sich auf ein ungewöhnliches Buch einlassen möchten. Aber bitte beachtet, dass es keine leichte Lektüre ist, die durchaus Menschen mit Gewalterfahrung triggern kann.

Bewertung vom 17.02.2020
Pfeiffer, Marikka

Unter der Ritterburg / Das springende Haus Bd.2


sehr gut

Das Haus springt weiterhin unkontrollierbar an neue Orte. Witziger Zwischenband einer charmanten Kinderbuch-Reihe.

Mein 8jähriger Sohn meint

Ich vergebe 5 von 5 Sternen und empfehle dieses Buch gern weiter.
Ich habe volle Punktzahl gegeben, weil ich die Orte toll fand, an die das Haus in diesem Buch springt. Das mit der Ritterburg war eine gute Idee und ich fand es lustig, dass Lonni und Nick mit dem Haus unter einem Wasserfall gelandet sind. Im Buch gab es auch einige spannende Momente, richtig spannend wurde es, als das Springometer dunkelrot gezeigt hat und sie das springende Haus fast verpasst hätten. Und ich konnte das Buch gut selbst lesen in der 2. Klasse.

Meine Erwachsenen-Sicht

Der erste Band der Reihe hat uns sehr gut gefallen und nun haben wir endlich auch Teil 2 gelesen. Gleich mit dem Prolog war klar, dass die Suche nach den verschwundenen Großeltern für Lonni und Nick weitergehen wird. Im Vordergrund standen allerdings diesmal noch mehr die Sprünge, die Lonni und Nick mit dem Haus unternehmen. Die Suche nach den Oktogonen, die die Koordinaten der Großeltern ergeben, rückte in den Hintergrund.

Autorin Marikka Pfeiffer flicht in die Geschichte wieder viele witzigen Einfälle ein, nur ein paar Beispiele: Als neue Obstzüchtung gibt es die Birpfel, die ganz sonderbare Eigenschaften hat, und neue tierische blinde Passagiere gibt es auch. Besonders gefallen hat mir erneut das recht ausgeglichene Genderbild, in dem insbesondere die beiden Hauptfiguren sehr gleichberechtigt agieren und Nicks Vater als Hausmann glücklich ist. Für mich ist das Buch aber ein klassischer Zwischenband, der die Geschichte um das springende Haus schön fortführt ohne große Neuerungen. Dennoch haben wir das Buch in drei Generationen (Oma, Mama und Kind) sehr gerne gelesen. Und wir freuen uns schon auf die Bände 3 und 4, danach ist die Reihe abgeschlossen.

Wortschatz und Grammatik lesen sich schön und flüssig, sind aber so gebaut, dass auch erfahrende Erstlesende mit dem Buch gut zurecht kommen und mein Sohn (2. Klasse) konnte die Kapitel schön selber lesen. Da passt auch die Länge mit rund 120 Seiten ganz gut.

Fazit
Witziges und charmantes Kinderbuch. Der erste Band hat uns aber nochmal deutlich besser gefallen. Daher vergeben wir 4 von 5 Sternen und freuen uns auf die nächsten Bände.

Bewertung vom 17.02.2020
Pfeiffer, Marikka

Vorsicht, Vulkan! / Das springende Haus Bd.3


ausgezeichnet

Diesmal springt das Haus in den Zirkus und nach Island, wir waren wieder total gerne dabei!

Mein 8jähriger Sohn meint:

Wir fiebern schon seit Band 1 beim Springenden Haus mit und haben auch hier wieder viel gelacht. Daher war ich ganz froh, dass ich gleich nach Ende von Band 2 mit „Vorsicht, Vulkan!“ weiterlesen konnte. Ich empfehle die Bände nach und nach zu lesen, damit man den Zusammenhang versteht. Ganz spannend ist, dass die gemeine Nachbarin hier alles daran setzt, die Hecke um das Haus zu zerstören, damit sie endlich sehen kann, was sich dahinter befindet. Ich habe mir beim Lesen überlegt, was so als nächstes kommt, und dann hat mich das Buch immer wieder überrascht. Und ich konnte den Text als 2.-Klässler gut lesen. Von mir gibt es 5 von 5 Sternen.

Meine Erwachsenen-Meinung:

Von der Idee des springenden Hauses sind wir seit dem 1. Band begeistert und in „Vorsicht, Vulkan!“ geht die Geschichte toll weiter. Band 2 fand ich zuvor zwar etwas schwächer, Nummer 3 ist Marikka Pfeiffer, wie ich finde, wieder richtig rund gelungen: Hier waren die Suche nach den verschwundenen Großeltern, die aktuellen Sprünge, die mitreisenden Tiere und die Geschehnisse im Blumenviertel wieder geschickt verwoben.

Die Zirkus-Welt und erst recht die Vulkane in Island mochte ich total gerne und beides ist sehr anschaulich und witzig beschrieben. Besonders schön finde ich, dass die Autorin sprachlich zwar so simpel bleibt, dass die jungen Lesenden nicht überfordert werden, dabei bleibt sie aber immer spielerisch und elegant mit den Sätzen. Dazu erweitert sie den Worthorizont immer wieder, z.B. mit so Worten wie Schildvulkan, Feueropal, Geysir.

Da ich schon immer mal nach Island reisen wollte, war dieser Band für mich natürlich erst recht passend. Nebenbei werden so auch ein paar Eigenheiten des Landes vermittelt. Besonders hat mir an der Episode gefallen, dass sie eine witzige Auflösung am Schluss erfährt, bei der auch Elfen eine Rolle spielen. Diese hat sogar Auswirkung auf Band 4, wie der Epilog anreißt. Die gemeine Nachbarin Frau Kiesewetter hat in diesem Band richtig fiese Geschütze gegen die Wendelin-Familie mit ihrem springenden Haus aufgefahren. So kam einiges an Spannung für die Geschichte auf.

Auch das Gender-Bild ist wie in den übrigen Bänden sehr ausgeglichen und Papa Henri ist als Hausmann sehr für die Gleichberechtigung unterwegs. Und die Illustrationen von Cathy Ionescu sind einfach wundervoll.

Fazit:

Witziges Kinderbuch mit Abenteuer, das wir sehr gerne weiterempfehlen. Wir werden bald weiter in Band 4 springen und vergeben 4,5 von 5 Sternen, die wir gerne aufrunden.

Bewertung vom 17.02.2020
Köller, Kathrin

Stark


ausgezeichnet

Mädchen und junge Frauen wie Du und ich – und sie leisten Großes. 13 bewegende Porträts, die Mut machen.

Frauen und als Frauen gesehene werden in geschichtlichen Darstellung häufig ignoriert, noch immer seltener in Talkshows eingeladen, seltener zitiert und auch seltener als Autorinnen veröffentlicht. Weil ja immer im Raum stand, haben Berit Glanz und Nicole Seifert kürzlich daie aktuelle Frühjahrsprogramme ausgewertet, nur um sich dann vom Schweizer Tagesanzeiger anzuhören: „Wer zählt, muss nicht denken.“ Wenigstens sind im Buchmarkt in den letzten Jahren kleine Fortschritte zu erkennen, dass mehr Frauen porträtiert werden, sei es in Sammelbänden wie „Good Night Stories for Rebell Girls“ oder Monografien.

„stark: Rebellinnen von heute“ fügt diesen Porträts nun eine spannende Facette hinzu, weil jungen Frauen von heute vorgestellt werden. Mit ihrem Buchbeginn stellen Autorin Kathrin Köller und Illustratorin Anusch Thielbeer fest:

„Nur, damit das schon mal klar ist: Franca und Nadjeschda und all die anderen Mädchen und Frauen in diesem Buch haben nicht schon mit 13 ein neues Medikament gegen eine schwere Krankheit oder einen bislang verborgenen Planeten entdeckt.“

Und doch machen sie die Welt zu einem besseren Ort, indem sie sich gegen Rassismus engagieren, für den Umweltschutz, gegen Mobbing und so weiter und so fort. Normal ist ja eh ein merkwürdiges Konstrukt, für mich sind diese Mädchen und Frauen allerdings so „normal“ wie es nur eben geht, denn sie sind wie Du und ich. Und diese jungen Frauen heißen eben nicht nur Lotta und Marie, die sich ihrer Privilegien als Weiße auch deutlich bewusst sind, sondern es gibt WoC und Migrationshintergrund, eine Jüdin, eine junge trans Frau, ein Mädchen mit Behinderung.

Die Porträts werden eingeleitet mit einem Porträtbild der Illustratorin Anusch Thielbeer. Mir gefällt ihr Stil, den man schon am Cover entdecken kann sehr gut. Für mich machen diese einerseits sehr schlichten und andererseits doch sehr stilisierten Bilder die 13 jungen Frauen zu Heldinnen des Alltags. Im Anschluss an die Textporträts von Kathrin Köller kommen die Frauen und Mädchen in unterschiedlichen Textformen selbst zu Wort: Gedichte, Songtexte, Auszüge von Tagebüchern, Manifeste, eigene Gesprächsnotizen. Besonders gefiel mir Suzans Beschreibung, wie sie ein Shoppingcenter als Architektin verbessern würde. So kommt man noch näher an diese Frauen und Mädchen heran und das eröffnet gerade für die junge Zielgruppe viel Platz für Identifikation.

„Das kann ich auch!“, dieses Gefühl von Repräsentanz und Empowerment vermittelt dieses Buch richtig gut.

Chapeau an die jungen Frauen! Ich kann mich Köller und Thielbeer nur anschließen:

„Ihr seid wunderbar und ihr macht uns Mut!“

Zwei Kritikpunkte habe ich aber:

Diese Lebensgeschichten spielen sich vor allem in und um Berlin ab. Ich komme ursprünglich aus einer bayerischen Kleinstadt und hätte ich das Buch als Teenagern gelesen, ich hätte die Offenheit der porträtieren jungen Frauen vermutlich in erster Linie der Großstadt zugeschrieben. Daher hätte ich es für junge Menschen, die eher ländlich wohnen schön gefunden, wenn auch von dort Positivbeispiele zur Inspiration dargestellt worden wären.

Und dann mag ich persönlich das Framing von „starken“ Frauen überhaupt nicht, die hier mit dem Titel perpetuiert wird. Das Buch selbst fällt auf die Falle gar nicht mal herein, aber der Titel ist halt leider der Titel. Dieses Framing beinhaltet, dass Frauen das Konzept der Stärke der Männer übernehmen müssen und – voilá – Daseinsberechtigung erfüllt. Natürlich können auch Frauen stark sein, aber dieses Framing, diese Trope, tut so, als wäre das eine Besonderheit. Natürlich zeigen die porträtierten Frauen eine innere Stärke und Haltung, die aber nichts mit Rambo oder anderen Männlichkeitsidealen zu tun hat, denn sie wollen ja gerade solche Konzepte überwinden.

Fazit:
Bewegende Porträts von wundervollen jungen Frauen und Mädchen, die Mut machen! 5 von 5 St