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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 527 Bewertungen
Bewertung vom 20.08.2025
Keßler, Verena

Gym


ausgezeichnet

Die Protagonistin bewirbt sich auf einen Job als Tresenkraft im MEGA GYM. Im Vorstellungsgespräch gibt ihr der Chef zu verstehen, dass ihr Körper nicht den Anschein erweckt, als trainiere sie selbst regelmäßig. Spontan greift sie zu einer Notlüge: Sie habe erst kürzlich entbunden. Der Chef gefällt sich als Feminist und gibt ihr die Stelle. Um glaubhaft als frischgebackene Mama durchzugehen, warten allerdings einige Fallstricke auf sie, und schnell wird klar, dass sie noch deutlich mehr zu verbergen hat…

Verena Keßler gelingt es, mit relativ wenigen, präzise gesetzten Worten auf 192 Seiten eine intensive, lebendige und teils groteske Geschichte zu erzählen, die einen so starken Sog entwickelt, dass ich sie an einem Tag komplett verschlungen habe. Der Schreibstil ist herrlich bissig, pointiert und humorvoll, so dass ich insbesondere im ersten Drittel ein Dauergrinsen im Gesicht hatte. Doch der Roman bietet weit mehr als nur eine unterhaltsame Geschichte, die die Welt der Fitnessstudios aufs Korn nimmt. Je weiter die Handlung fortschreitet und je mehr man über die Vergangenheit der Protagonistin erfährt, desto mehr Tiefgang entwickelt der Roman, und zeigt, in welche Abgründe Leistungsdruck, Selbstoptimierung, Egoismus und rücksichtloses Aufwärtsstreben führen können.

Ein absolut großartiges Buch, das ich unbedingt weiterempfehlen möchte!

Bewertung vom 14.08.2025
Shusterman, Neal

All Better Now.


sehr gut

Mit „All better now“ veröffentlicht Neal Shusterman den ersten Teil einer Dilogie, in dem eine neue Corona-Variante namens „Crown Royale“ die Welt in Atem hält. Vier Prozent aller Infizierten sterben, doch die Genesen sind von einer einem tiefen Glückgefühl beseelt. Die Aussicht auf immerwährendes Glück ist verlockend – ist sie das Risiko einer Ansteckung wert? Diese Frage stellen sich auch Mariel und Rón, die verschiedener kaum sein könnten: Mariel lebt mit ihrer Mutter in einem kleinen Auto, beide kommen kaum über die Runden. Rón ist der Sohn des Milliardärs Blas Escobedo und fühlt eine große Leere in sich. Ein Zufall führt beide zusammen und schon bald müssen sie sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen, denn Genesene und Bekämpfer des Virus verfolgen unterschiedliche Missionen.

Die Idee des Romans hat mich sofort neugierig gemacht, weil ich das Gedankenspiel eines Glücks-Virus ethisch, soziologisch, ökologisch und ökonomisch hochinteressant finde. Welche Auswirkungen hätte ein solches Virus auf unsere Welt? Würden Not, Gewalt, Kriege und Umweltzerstörung ein Ende finden? Andererseits: Gäbe es ohne Konkurrenzdenken, dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und dem Streben nach Erfolg überhaupt noch bahnbrechende Innovationen? Ich hatte mir von „All better now“ eine tiefergehende Auseinandersetzung mit derartigen Fragestellungen erhofft, wurde jedoch weitestgehend enttäuscht. Shusterman geht zwar auf ethische Konflikte ein, etwa, ob zum Wohle der Menschheit als Ganzes eine absichtliche Ansteckung Nicht-Infizierter durch Super-Spreader gerechtfertigt ist, und falls ja, unter welchen Voraussetzungen, doch weitere Überlegungen bleiben an der Oberfläche. Die Auswirkungen der Krankheit werden zudem nicht genauer spezifiziert. Sie die Genesenen wirklich glücklich (und was ist Glück überhaupt?), ist das Glück von Dauer? Auf mich wirken sie eher stumpfsinnig, als stünden sie unter dem Einfluss psychedelischer Drogen.

Die nicht klar umrissenen Veränderungen bei den Genesenen sind für mich das größte Manko des Buches, da es hierdurch inkonsistent und wenig glaubhaft wirkt. So suggeriert Shusterman, die Genesenen würden einen nachhaltigeren, weniger konsumorientierten Lebensstil führen. Gleichzeitig essen sie weiterhin Junk-Food und reisen vermehrt mit Autos und Flugzeugen durchs Land, der CO2-Abdruck interessiert sie schon mal nicht. Ein echtes Umdenken zum Wohl des Planeten sehe ich also nicht. Plötzlich bio-vegan lebende Menschen sind einer amerikanischen Leserschaft vielleicht auch nicht vermittelbar. Auf mich wirkt der ganze Roman diesbezüglich ein bisschen wie eine oberflächliche Behauptung ohne komplexeres Gesamtkonzept.

Auf die unvermeidliche Lovestory hätte ich gut verzichten können, sie ist aber vermutlich ein Zugeständnis an die jugendliche Zielgruppe. Der Schreibstil ist eher einfach gehalten, und streckenweise erinnert mich das Buch an einen Hollywood-Blockbuster, der eine durchaus spannende Handlung, aber wenig Tiefgang bietet.

Am interessantesten finde als Charaktere den Milliardär Blas Escobedo, der erfrischenderweise nicht den gängigen Klischees entspricht, und eine ältere Dame namens Glynis Havilland, deren gewitzte Aktionen für Überraschungen sorgen.

Ich habe lange überlegt, wie ich „All better now“ bewerten soll. Auch wenn ich mir mehr Tiefe und komplexere Charaktere gewünscht hätte, möchte ich hier bei einem Jugendbuch, das auch unterhalten und eine breite Leserschaft erreichen soll, nicht zu strenge Maßstäbe anlegen. Zudem bietet das Buch viel Stoff für interessante Diskussionen und regt zum Nachdenken an, und die Grundidee ist wirklich gut. Ich vergebe daher knappe 4 Sterne.

Bewertung vom 14.08.2025
George, Nina

Die Passantin


gut

Die französische Schauspielerin Jeanne Patou befindet sich gerade in Barcelona, als sie aus dem Fernsehen erfährt, dass das Flugzeug abgestürzt ist, in dem sie eigentlich hätte sitzen sollen. Aus einem inneren Impuls heraus hatte sie den Flieger in letzter Minute doch nicht bestiegen, doch das weiß niemand außer ihr, und so geht ihr Tod durch die Nachrichten. Für Jeanne bietet sich die einmalige Gelegenheit, alles hinter sich zu lassen und ein ganz neues Leben zu beginnen. Doch ist das überhaupt möglich, noch einmal völlig neu anzufangen?
Sie taucht in einem Haus unter, in dem nur Frauen leben, die alle Gewalt durch Männer erfahren haben und sich gegenseitig unterstützen. Viereinhalb Jahre später läuft Jeanne auf der La Rambla zufällig ihrem Mann über dem Weg…
Nina George hat ein zutiefst feministisches, wütendes Buch geschrieben, das sich mit den Folgen der patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft auseinandersetzt: Mit der psychischen und physischen Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind, den strukturellen Benachteiligungen, aber auch dem typisch männlichen Blick durch Kameras: reduziert auf ihren Körper und ihre Sexualität.
Dem stellt sie den Zusammenhalt der Frauen, die gemeinsam in einem Haus wohnen, gegenüber. Diese unterstützen sich gegenseitig, passen aufeinander auf, geben sich Halt.
Trotz des wichtigen Themas konnte mich der Roman allerdings nicht gänzlich für sich einnehmen. Generell stört es mich, wenn vor feministischem Hintergrund das Genus verändert wird: So ist zB immer von „der Mondin“ anstatt von „dem Mond“ die Rede, was bei mir ein Augenrollen hervorruft. Das Schicksal der Mitbewohnerinnen von Jeanne hat mich zudem mehr berührt als das der eigentlichen Hauptfigur, bei der ich mich des Gedankens nicht erwehren konnte, dass sie in der Beziehungskonstellation mit ihrem Mann an ihrer Situation nicht ganz unschuldig ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die aus privaten, wirtschaftlichen, rechtlichen oder gesellschaftlichen Gründen ihrem Ehemann nicht entkommen können, hätte Jeanne alle Möglichkeiten dazu gehabt. Der Macht ihres Mannes gab Jeanne durch ihre Passivität erst recht Raum. Mir fiel es daher schwer, wirklich Mitgefühl mit Jeanne zu entwickeln.
Der Schluss wirkt angesichts des ausführlichen Erzählstils davor etwas überhastet und unglaubwürdig. Insgesamt bleibe ich mit gemischten Gefühlen zurück.

Bewertung vom 14.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


sehr gut

Bijoux ist zwölf Jahre alt, als sie 1993 zu Beginn des Studentenaufstandes aus Kinshasa zu ihrer Tante Mira nach London geschickt wird. Mira ist schweigsam, unnahbar, und auch zwölf Jahre später haben die beiden noch keinen Draht zueinander gefunden. Als sich Bijoux in eine Frau verliebt, muss sie ihre Liebe geheim halten, denn Homosexualität gilt in der evangelikalen Kirchengemeinde, die den Mittelpunkt des Lebens der strengreligiösen Tante bildet, als „unafrikanisch“ und widernatürlich.

Christina Fonthes erzählt abwechselnd und auf verschiedenen Zeitebenen aus der Perspektive von Mira und Bijoux. Bijoux‘ Kapitel zeigen eindrücklich ihre Zerrissenheit zwischen Familie und Tradition einerseits und ihrem Wunsch, als lesbische Frau frei und selbstbestimmt leben zu können. Miras Geschichte, die im Jahr 1974 beginnt, offenbart Schritt für Schritt, wie aus dem einst fröhlichen und ausgelassenen Mädchen eine vermeintlich unerbittliche, strenge und gefühlskalte Frau wurde.

Ich liebe Romane mit Zeitsprüngen und Perspektivwechseln, und erzählerisch hat mir „Wohin Du gehst“ sehr gut gefallen. Bijoux und Mira sind glaubwürdige und vielschichtige Charaktere, in die ich mich gut hineinversetzen konnte und deren Handeln aus dem Kontext heraus für mich nachvollziehbar war, obwohl ich einen völlig anderen kulturellen Hintergrund habe.

Inhaltlich waren einige Entwicklungen für mich jedoch vorhersehbar, und der Schluss war mir ein bisschen zu dick aufgetragen. Sprachlich hat mich „Wohin Du gehst“ nicht ganz überzeugt, da sich einige Satzmuster recht oft wiederholten. So wird ein bestimmtes Parfum ganze siebenmal als „Mischung aus Vetiver, Lavendel und Moschus“ beschrieben, die honigfarbenen Augen zwei Personen werden neunmal hervorgehoben, Bijoux`“Zerfallen“ beim Liebesspiel achtmal. Auch die häufige Beschreibung diverser Kleidungsstücke, Frisuren und Gerüche hätte ich nicht gebraucht. Zum Ende hat sich noch ein kleiner Fehler eingeschlichen, da ein bestimmter medizinischer Test im Jahr 1982 erwähnt wird, der erst 1984 entwickelt wurde.

Fazit: Abgesehen von kleineren Kritikpunkten ein sehr lesenswertes Debüt!

Bewertung vom 08.08.2025
Eschbach, Andreas

Die Auferstehung


gut

In meiner Jugend habe ich die Folgen der Drei ??? rauf und runter gehört, und so war die Aussicht auf eine Erwachsenenversion der drei Detektive sehr verlockend.

Justus, Peter und Bob sind mittlerweile in ihren 50ern und haben sich, auch aufgrund eines tragischen Vorfalls, aus den Augen verloren. Eines Tages taucht plötzlich eine Frau wieder auf, die vor sieben Jahren im brasilianischen Dschungel bei einem Unwetter verschollen ist und für tot erklärt wurde. Da es sich hierbei um Tracy Hitfield, die Enkelin des legendären Albert Hitfield, handelt, dauert es nicht lange, bis jeder der drei auf die eine oder andere Weise mit dem aufsehenerregenden Ereignis zu tun bekommt, denn es gibt jemanden, der Zweifel daran hat, dass die Vermisste tatsächliche diejenige ist, für die sie sich ausgibt…

Der Werdegang von Justus, Peter und Bob in den letzten 30 Jahren ist glaubwürdig dargestellt, und auch, dass sich ihre Wege getrennt hatten, war für mich nachvollziehbar. Dass Freundschaften zerbrechen oder einschlafen, passiert oft genug. Die Erzählweise erinnert sehr an die Originalwerke, was vermutlich beabsichtigt ist, mich aber doch etwas gestört hat. Bei einem Roman für Erwachsene hatte ich einen etwas anspruchsvolleren Stil erwartet. Auch der Handlungsverlauf erinnert mich eher an ein Jugendbuch, da die Geschichte und die Charaktere sehr oberflächlich bleiben, die Wendungen vorhersehbar sind und insgesamt viel zu viele Zufälle eintreten, um plausibel zu sein. Echte Spannung kam beim Lesen leider nicht auf. In manchen Situationen fühlte ich mich auch ein bisschen an „Die Drei ??? und das leere Grab“ erinnert.

Arg breitgetreten wurden die Anfälle von Nostalgie und die Vergleiche zwischen der Technik von damals und heute, wenn sich die drei immer wieder wundern, was heute im Gegensatz zu früher alles möglich ist. Da hatte ich eher den Eindruck, diese wären Mitte 70 und nicht Mitte 50. Kurios klingt in einem Dialog auch der Satz „Das ist ein riesiges Gebiet, größer als Österreich“ angesichts eines amerikanischen Settings. Ich bezweifle, dass in den USA irgendjemand Österreich als Vergleichsmaßstab heranziehen würde. Er würde wohl eher South Carolina wählen.

So charmant ich die Idee finde, die Geschichte der Drei ??? als Erwachsene weiterzuführen, die Umsetzung in „Die Auferstehung“ konnte mich leider nicht überzeugen.

Bewertung vom 07.08.2025
Adler, Warren

Die Rosenschlacht


ausgezeichnet

Jonathan und Barbara Rose sind eine echte Vorzeigefamilie: Sie leben in einem großen Haus, das mit sorgfältig ausgewählten Antiquitäten eingerichteten ist, haben zwei liebenswerte Kinder und führen eine Bilderbuchehe. Geld ist im Überfluss vorhanden, Jonathan ist ein erfolgreicher Anwalt und Barbara gerade dabei, sich einen exklusiven Catering-Service aufzubauen. Beide zelebrieren ihr Glück auch nach außen. Als Jonathan eines Tages mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Klinik kommt, eilt Barbara jedoch nicht zu ihm, sondern eröffnet ihm nach seiner Entlassung, dass sie die Scheidung will. Und das Haus. Doch Jonathan ist nicht bereit, das Haus aufzugeben, koste es, was es wolle. Und so beginnt ein nervenaufreibender Krieg, in dem mit immer härteren Bandagen gekämpft wird…

Das Buch „The War of the Roses“ von Warren Adler ist erstmals 1981 erschienen und wurde als „Der Rosenkrieg“ mit Michael Douglas, Kathleen Turner und Danny de Vito verfilmt. Der Film besitzt inzwischen Kultstatus. Anlässlich der Neuverfilmung mit Olivia Colman und Benedict Cumberbatch erscheint mit „Die Rosenschlacht“ eine Neuauflage des Romans.

Von Anfang hat mich die Handlung in ihren Bann gezogen und einen regelrechten Sog entwickelt, so dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollte. Jonathan und Barbara überbieten sich mit bösartigen Einfällen gegenüber dem jeweils anderen. Es zählt nicht mehr, selbst eine bestimmte Sache zu bekommen, sondern nur noch, dass der andere sie nicht erhält. Die Anwälte der beiden beobachten das Treiben aus der Distanz, untätig-amüsiert. Solange die Rechnungen bezahlt werden, ist ihnen das alles ziemlich gleichgültig.

Warren Adler schreibt herrlich überspitzt – sowohl, was den immer aberwitzigeren Krieg der Eheleute angeht, als auch in Bezug auf die beiden Anwälte. Während des Lesens ertappte ich mich dabei, dass ich eher auf Jonathans Seite war. Hier spürt man ein bisschen, dass das Buch von einem männlichen Autor verfasst wurde und ein Kind seiner Zeit ist. Heute würde die Schuldfrage wohl etwas differenzierter betrachtet werden, während bei Adler anklingt, dass Barbara aufgrund einer fixen Idee alles aufgibt, um sich selbst zu verwirklichen. Sie wirkt egoistisch, undankbar und streckenweise auch etwas naiv, was ihr Geschäft anbelangt.

Abgesehen davon hat mir der Roman sehr gut gefallen, und gerade die Zuspitzungen machen den besonderen Reiz aus. Auch wenn diese auf den ersten Blick überzogen wirken, treffen sie doch den Kern vieler oft jahrzehntelanger Streitigkeiten, ob unter Geschwistern, Eheleuten oder Nachbarn. Man kämpft verbittert gegeneinander, weiß oft schon gar mehr, was der ursprüngliche Grund war, und sinnt nur noch darüber nach, dem anderen das Leben schwer zu machen. Und die einzigen, die davon profitieren, sind höchstens die Anwälte. Insofern hält „Die Rosenschlacht“ auch der Gesellschaft den Spiegel vor und regt zu Nachdenken darüber an, wie wir miteinander umgehen und welchen Preis wir letztendlich dafür bezahlen.

Eine ganz klare Leseempfehlung und volle 5 Sterne!

Bewertung vom 03.08.2025
Middeke, Martin

Die Altersformel


sehr gut

In „Die Altersformel“ erläutert Prof. Martin Middeke kompakt und allgemeinverständlich die wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zeigt auf, wie wir durch unsere Lebensweise aktiv unsere Durchblutung beeinflussen können. Bücher zu dieser Thematik gibt es einige, aber hier gefällt mir besonders gut, dass Prof. Middeke kurz und präzise auf den Punkt kommt und fundiert die für Laien wesentlichen Informationen vermittelt. Sehr positiv finde ich, dass der Autor hierbei auch immer wieder auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eingeht. Einziger Kritikpunkt ist die etwas altbacken wirkende optische Aufmachung von Textsatz und Diagrammen.

Bewertung vom 03.08.2025
Hermanson, Marie

Im Finsterwald


ausgezeichnet

„Finsterwald“ ist der dritte Band der Krimireihe um Hauptwachtmeister Nils Gunnarsson und Ellen Grönblad. Ich kannte die ersten beiden Bände vorher nicht und konnte dem in sich abgeschlossenen Fall ohne Probleme folgen. Dennoch empfehle ich allen, mit Band 1 zu starten, da das Buch immer wieder auf alte Fälle und die frühere Beziehung der beiden Bezug nimmt. Die Gefühle und Gedanken von Nils und Ellen spielen im Buch eine große Rolle, und das perfekte Leseerlebnis hat man sicher erst, wenn man die zwei von Anfang an kennt.

Göteborg, im Winter 1926. Die neunjährige Alice Guldin ist mit ihrem Kindermädchen Maj und ihren vier Geschwistern im Naturkundlichen Museum. Als das Museum schließt, rennt Alice ins Gebäudeinnere davon. Maj und die Museumswärter suchen nach ihr, jedoch ohne Erfolg. Auch die Polizei um Nils Gunnarsson tappt im Dunkeln. Was ist mit Alice passiert? Ist sie unbemerkt ins Freie entwischt oder befindet sie sich noch irgendwo in den verwinkelten Gängen des Museums, zwischen tausenden Exponaten, mystischen Dioramen und unzähligen Vitrinen? Was verbirgt die Familie Guldin? Wissen die Angestellten des Museums mehr als sie sagen? Nils Gunnarsson geht allen Spuren nach und bekommt tatkräftige Unterstützung von Ellen.

„Finsterwald“ ist ein sehr atmosphärischer Historienkrimi, der vor allem durch eine ruhige, unaufgeregte Erzählweise, interessante Charaktere und detaillierte Beschreibungen besticht. Der Fall wartet mit manch überraschender Wendung auf, entwickelt sich aber dennoch eher gemächlich. Wer einen handlungsgetriebenen, spannungsgeladenen Krimi sucht, wird hier nicht fündig. Nils und Ellen sind mir immer vertrauter und sympathischer geworden, und ich werde auf jeden Fall noch die beiden Vorgängerbände „Der Sommer, in dem Einstein verschwand“ und „Die Pestinsel“ lesen. Sehr interessant fand ich die Beschreibung der Dioramen in Naturhistorischen Museum, die tatsächlich existieren und 1923 von Olof Gylling entworfen und gestaltet wurden.

Fazit: Der perfekte Krimi für alle, die einen etwas düsteren, aber dennoch gemütlichen Krimi mit historischem Charme und sympathischen Hauptfiguren schätzen.

Bewertung vom 29.07.2025
Engelmann, Julia

Himmel ohne Ende


ausgezeichnet

Charlie ist fünfzehn und auf der Suche – nach ihrem Platz im Leben, nach den richtigen Worten, nach Zugehörigkeit und vor allem nach sich selbst. Irgendwie fühlt sich alles falsch an: Die Schule nervt, ihre beste Freundin hat sich von ihr abgewandt, der Junge, in den sie verliebt ist, beachtet sie nicht, ihr Vater ist schon lange weg, und ihre Mutter und sie reden vor allem aneinander vorbei. Zu Beginn des neuen Schuljahres kommt Kornelius, genannt Pommes, in ihre Klasse. Er erscheint ihr so gelassen, frei und ganz anders als sie selbst, und dennoch versteht er sie auf eine Weise wie niemand sonst, denn auch Pommes trägt etwas mit sich, das ihm schwer zu schaffen macht.

Die Autorin Julia Engelmann hat die Unsicherheiten der Teenagerjahre und die Suche nach der eigenen Identität so treffend beschrieben, dass ich mich wieder in meine eigene Jugend zurückversetzt fühlte. Schwebend leicht, klar und poetisch zugleich, schreibt sie übers Aufbrechen und Ankommen, Davonlaufen und Hierbleiben, über Verlust, Sehnsucht und Freundschaft. Ihre Sprachbilder sind so wunderschön und treffend, dass ich mir am liebsten jeden zweiten Satz markiert hätte.

Besonders gut gefällt mir, dass Julia Engelmann keine einfachen, linearen Lösungen aufzeigt, sondern Charlies Entwicklung mäandert und damit umso glaubhafter wirkt. Mich hat dieses Buch sehr berührt, und trotz vieler melancholischer Momente brachte mich Charlie auch immer wieder zum Lachen mit ihren teilweise lustigen Beobachtungen und Vergleichen.

„Himmel ohne Ende“ ist für mich jetzt schon eines der Highlights in diesem Jahr, und ich empfehle es allen, die „Paradise Garden“ von Elena Fischer mochten.

Bewertung vom 28.07.2025
Reifenberg, Frank Maria

Aristide Ledoux - Meisterdieb wider Willen


sehr gut

Der Waisenjunge Aristide Ledoux lebt Anfang des 19. Jahrhunderts in Paris. Tagsüber ein unscheinbarer Junge, verwandelt er sich nachts in einen wahren Meisterdieb, der im Auftrag eines mysteriösen Unbekannten die wertvollsten Juwelen entwendet. Eines Nachts gerät er in eine Falle, und die Kutsche, die ihn normalerweise zu den Tatorten bringt, wird in die Seine geworfen. Aristide wird von dem Taschendieb Julien gerettet, doch er leidet an Amnesie und erinnert sich an nichts mehr. Zusammen mit Julien und dessen Freundin Leontine, der Tochter des berüchtigten Chefs des Geheimdienstes Sûreté, macht sich Aristide auf die Suche nach seiner Identität und den Leuten, die hinter seinem Leben her sind…

Die Geschichte ist als eine Mischung aus Roman und Comic konzipiert, bei dem sich Text und Graphic Novel-Elemente abwechseln. Dieser Mix ist hervorragend gelungen und hält auch kleine Lesemuffel bei der Stange. Eine tolle Idee sind auch die immer wieder eingefügten Zeitungsseiten, die über die Diebstähle bzw. den Fortgang der Ermittlungen berichten, sowie die Kapitelnummerierung mittels der Uhrzeit auf einer Taschenuhr. Der Illustrator Maleek hat hierbei ein kleines Schmuckstück geschaffen, und die in kräftigen Blautönen und gelbgold gehaltenen Zeichnungen sind eine echte Augenweide. Mit präzisen Strichen entwirft er ausdrucksstarke Bilder, die mit liebevollen Details aufwarten, und auch die Mimik der Gesichter ist toll getroffen. Vor- und Nachsatzpapier zeigen eine Ansicht von Paris bei Nacht bzw. Tag. Das kräftige weiße Papier, die Fadenheftung und das liebevoll illustrierte Cover mit Spotlackelementen vervollständigen den hochwertigen Eindruck.

Die Geschichte entwickelt sich spannend und mit viel Tempo, und gerade gegen Ende hätte ich sie mir ausführlicher gewünscht. Hier überschlagen sich die Ereignisse, und die Logik bleibt leider etwas auf der Strecke. Das Ende ist sehr abrupt und recht verwirrend, und ich kann mir gut vorstellen, dass junge Leser:innen hier etwas überfordert oder ratlos sein könnten. Mir ist nicht ganz klar, warum der Autor Frank Maria Reifenberg hier nicht einige Seiten mehr spendiert hat und wesentliche Stellen des Abenteuers offen lässt. Insgesamt hätten der Handlung und der Figurenzeichnung 50 Seiten mehr gutgetan. Das Ende des Buches lässt ein Türchen offen für eine mögliche Fortsetzung.

Insgesamt bin ich hinsichtlich der Bewertung etwas zwiegespalten. Die grafische Gestaltung durch Maleek ist ein echtes Highlight und erhält volle 5 Sterne. Die Geschichte schöpft ihr Potential hingegen leider nicht voll aus und konnte mich nicht wirklich überzeugen, so dass ich hier leider nur 3 Sterne vergeben kann, was zu einer Gesamtbewertung von 4 Sternen führt.