Benutzer
Benutzername: 
cosmea
Wohnort: 
Witten

Bewertungen

Insgesamt 39 Bewertungen
Bewertung vom 18.07.2025
Hausmann, Romy

Himmelerdenblau


sehr gut

Zerstörte Leben
Im September 2003 verschwand die damals 16jährige Julie Novak spurlos. Als sich ihr Verschwinden zum zwanzigsten Mal jährt, nehmen die Podcaster Liv Keller und Philip Hendricks Kontakt zu ihrem Vater Theo auf, um den ungeklärten Fall vielleicht endlich zu lösen. Theo war einst ein angesehener Chefarzt der Charité und kämpft mit seiner zunehmenden Demenz. Auch er will das Schicksal seiner geliebten Julie aufklären, ehe seine Erinnerungen völlig verschwinden.
Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. Neben Liz und Theo sind das u.a. Daniel, ihr Ex-Freund, der eine Zeit lang Hauptverdächtiger war, Julies Schwester Sophia, und eine mysteriöse Lara, die von dem „Teufel“ gefangen gehalten und mit Medikamenten ruhiggestellt wird. Es entsteht zeitweise der Eindruck, dass Lara Julie sein könnte und diese also noch lebt, zumal Theo einige E-Mails erhält, die anscheinend von Julie stammen. Der Leser folgt mit den Podcastern zahlreichen falschen Spuren und sieht, was ein solcher Verlust vor allem mit den Angehörigen macht, aber in diesem Fall auch mit Ex-Freund Daniel, dessen Leben zerstört wird, weil er für immer mit Julies Verschwinden in Verbindung gebracht wird.
Der Roman ist nicht frei von Längen, beeindruckt aber durch das auch sprachlich gelungene Porträt von Demenz. Bei Theo wechseln nicht nur klare Momente mit großer Verwirrung, er hat auch ausgeprägte Wortfindungsschwierigkeiten, hilft sich häufig ersatzweise mit „Dings“ oder erfindet Wörter, die entfernte Ähnlichkeit mit dem Begriff haben, den er eigentlich sucht. Dadurch entstehen inmitten einer traurigen Geschichte gelegentlich komische Effekte.
Mir hat “Himmelerdenblau“ gut gefallen, auch weil die Autorin bewusst auf blutrünstige Gewaltorgien verzichtet. Für mich ist der Roman kein gnadenloser Thriller, aber dennoch eine hinreichend spannende und interessante Lektüre. Es gibt viele Handlungsumschwünge und immer wieder bisher unbekannte Details, so dass ich die Auflösung nicht erraten konnte.

Bewertung vom 11.07.2025
Wagner, Jan Costin

Eden


ausgezeichnet

Ein Augenblick trennt das Schönste vom Schlimmsten
Markus und Kerstin Stenger sind sehr glücklich mit ihrer 12jährigen Tochter Sofie. Eines Tages überrascht Markus seine Tochter mit Tickets für das Konzert ihrer geliebten Sängerin Ariana la Vega in Stuttgart. Sofies Tante Isabel und ihre Kusine Lotte sind ebenfalls eingeladen. Markus ist beim Konzert nicht dabei, will die drei aber am Ende der Veranstaltung abholen. Dann passiert das Unvorstellbare. Ein Selbstmordattentäter löst eine Explosion aus, und Markus sieht seine Tochter tot am Boden liegen, während seine Schwester und seine Nichte überleben. Danach ist nichts mehr, wie es war. Die Eltern gehen unterschiedlich mit dem Verlust ihrer Tochter um und entfernen sich in ihrer Trauer weit voneinander. Während Kerstin die schreckliche Tatsache ausspricht, will Markus nicht wahrhaben, dass seine Tochter tot ist. Mit den Stengers trauert auch Sofies Schulfreund Tobias, der in schwierigen Verhältnissen lebt, weil die Eltern sich nicht mehr verstehen und der Vater zum rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker geworden ist. Ohne seine Angehörigen zu informieren, sucht Markus die Familie des Attentäters Ayoub Issa auf. Er will begreifen, wie es zu dieser Bluttat kommen konnte und ob seine beiden Brüder von Ayoubs Radikalisierung und seinem Vorhaben wussten.
Der Autor stellt die Trauer der Hinterbliebenen sehr empathisch dar, zeigt aber auch anschaulich die gesellschaftliche Situation. Das Land ist durch das Erstarken der Rechtsextremen gespalten. Verschwörungstheoretiker verbreiten ihre Parolen im Internet. Da darf man nicht aufgeben, sondern muss kämpfen und mutig weiterleben.
Ich habe den neuen Roman von Jan Costin Wagner schnell gelesen und bin sehr davon angetan. Ich kannte bisher nur eine Reihe seiner Krimis, aber diese völlig andere Geschichte gefällt mir auch in der sprachlichen Umsetzung gut.

Bewertung vom 11.07.2025
Wood, Benjamin

Der Krabbenfischer


ausgezeichnet

Ein anderes Leben ist möglich
In den 60er Jahren lebt der 20jährige Thomas Flett mit seiner Mutter in Longferry an der englischen Küste. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Seine Mutter wurde als 15jährige von ihrem Lehrer geschwängert, und er wurde von Pop, seinem Großvater aufgezogen. Von ihm hat er gelernt, was ein Krabbenfischer wissen muss. Er musste die Schule abbrechen, um für ihren kargen Lebensunterhalt zu arbeiten. Täglich fährt er mit dem Pferd und der Kutsche los und nutzt die wenigen Stunden Niedrigwasser für den Krabbenfang. Es ist eine sehr harte und wegen der Senklöcher auch gefährliche Arbeit, die schon viele Fischer das Leben gekostet hat. Im Nachbarort arbeiten die Fischer schon mit Motorbooten und riesigen Schleppnetzen und erwirtschaften einen wesentlich höheren Ertrag, aber diese Ausrüstung können sich Thomas und seine Mutter nicht leisten. Eines Tages kommt Edgar Acheson, ein amerikanischer Regisseur, zu ihnen und engagiert Thomas, weil er an genau diesem Strand seinen nächsten Film drehen will. Ihre Begegnung dauert nur einen Tag, aber sie freunden sich an, und Thomas begreift, dass es auch für ihn ein anderes Leben geben könnte, zum Beispiel als Musiker. Doch ist nichts so, wie es scheint, und aus den Plänen wird zunächst nichts. Dennoch hat sich für Thomas alles verändert. Er sieht wieder eine Perspektive für sein Leben und unmittelbar auch die Möglichkeit, der von ihm verehrten Joan, der Schwester seines Freundes Harry, seine Gefühle zu gestehen.
In einer wunderbar poetischen Sprache bringt uns der Autor das Meer und die Gezeiten nahe, und wir erleben, wie ein junger Mann wieder hoffen darf, seiner tristen Existenz zu entkommen und seinem Leben einen Sinn zu geben. Ein sehr empfehlenswerter Roman eines mir bislang unbekannten Autors.

Bewertung vom 08.07.2025
Reid, Taylor Jenkins

Atmosphere


sehr gut

Unterwegs zu den Sternen
Im Mittelpunkt von Taylor Jenkins Reids neuem Roman “Atmosphere“ steht Jane Goodwin. Schon von klein auf ist sie von den Sternen fasziniert und interessiert sich für alles, was mit dem Weltall zusammenhängt. Sie arbeitet als Professorin für Astrophysik an der Rice University. Als sich 1980 Wissenschaftlerinnen für das Space-Shuttle-Programm der NASA bewerben können, versucht sie ihr Glück und wird im zweiten Anlauf angenommen. Von da an ist sie Teil eines Teams von sehr unterschiedlichen Kollegen und nur zwei weiteren Kolleginnen. Sie werden intensiv auf den Start der Raumkapsel vorbereitet, der Ende 1984 stattfindet. Schon gleich zu Beginn weiß der Leser, dass es zu einer Katastrophe kommen wird. Im Übrigen wird die Geschichte chronologisch erzählt, wobei der Leser nicht nur viele Details zur Schulung des Teams, sondern auch über ihr Privatleben und die Beziehungen untereinander erfährt. Es gibt Freundschaften, aber auch viel Rivalität, denn nur fünf Personen werden tatsächlich an Bord der Raumkapsel sein. Von zentraler Bedeutung ist, dass Joan Goodwin der Liebe ihres Lebens begegnet. Ihre Liebesgeschichte muss jedoch geheim bleiben, weil sie sonst das Ende ihrer beruflichen Karriere riskieren.
Ich habe den interessanten und spannenden Roman gern gelesen, obwohl ich es schon schwierig fand, die technischen und wissenschaftlichen Aspekte in allen Einzelheiten zu verstehen. Nach “Die sieben Männer…“ ist auch dies wieder ein sehr lohnendes Buch von Reid.

Bewertung vom 26.06.2025
Hayes, Samantha

Eine von uns


gut

Jede Menge Lügen
Ein Brand zerstört Ginas Haus. Die Familie steht vor dem Nichts. Da nehmen sie gern das Angebot von Ginas alter Freundin Annie an, die für ein paar Monate auf Reisen ist. Gina, ihr Mann Matt und die beiden kleinen Kinder können in ihrem schönen alten Haus wohnen, bis ihr eigenes renoviert ist. Schon wenig später taucht eine junge Frau namens Mary an der Haustür auf, die behauptet, seit einem Jahr als Haushälterin bei Annie zu arbeiten und von nun an jeden Tag zur Arbeit kommen will. Sie zieht letztlich mit ihrem „Sohn“ Tyler bei ihnen ein. Gina ist das überhaupt nicht recht. Sie ist misstrauisch und hat das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Schon bald entdeckt sie auch Ungereimtheiten und Lügen, die den Leser nicht überraschen, denn erzählt wird nicht nur aus Ginas, sondern auch aus Marys Perspektive. Eingeschobene Kapitel mit der Überschrift „Damals“ zeigen, dass alles mit Ereignissen in der Vergangenheit zu tun hat, als ein junges Mädchen namens Sara spurlos verschwand. Gina, Annie, Laura und Sara – die GALS – waren eng befreundet und hatten sich gemäß ihrem Mantra Big love, true friends, no secrets geschworen, niemals Geheimnisse vor einander zu haben. Es kam anders, vor allem, weil sie zu Rivalinnen in ihrem Werben um den attraktiven jungen Matt werden, Ginas Ehemann und Vater ihrer Kinder.
Der nicht durchweg spannende Roman erzählt mit zahllosen Handlungsumschwüngen, was damals geschah und wie sich die Ereignisse in der Gegenwart entwickeln. Vieles kann man erraten oder frühzeitig Marys Hinweisen entnehmen. Die vollständige Auflösung zum Schluss birgt dann doch noch einige Überraschungen. Insgesamt wirkt der Plot auf mich ziemlich unrealistisch und sehr konstruiert. Für mich ist das bestimmt kein Thriller der Spitzenklasse.

Bewertung vom 25.06.2025
Williams , Niall

Das ist Glück


sehr gut

Am Ende gehen wir alle zurück zum Anfang
Der 77jährige Noel Crowe lässt sein Leben Revue passieren und erinnert sich vor allem an die Zeit als 17jähriger. Damals verließ er das Priesterseminar in Dublin, weil er den Glauben verloren hatte. Er zieht bei seinen Großeltern Doady und Ganga in Faha, einer kleinen Gemeinde im Südwesten Irlands in der Grafschaft Kerry ein. Das Besondere an Faha, das niemand mehr beachtete, war, dass es dort immer regnete. Kurz vor Ostern im Jahr 1958 hört der Regen auf, und die Sonne scheint tagelang. In Faha stehen jedoch noch weitere Veränderungen an. Mit Jahrzehnten Verspätung soll die Gemeinde endlich an das Stromnetz angeschlossen werden. Damit sind einschneidende Veränderungen verbunden, die nicht jeder im Ort begrüßt. Christy McMahon arbeitet für die Elektrizitätsgesellschaft und hält Kontakt zu den Bewohnern, bei denen er die Zustimmung einholen muss, wenn auf ihren Feldern Strommasten errichtet werden. Christy wird Untermieter bei Noels Großeltern und teilt sich mit ihm ein Zimmer. Die Beiden werden Freunde. Noel spürt schon bald, dass Christy einen anderen Grund hat, in genau dieses Dorf zu kommen. Christy erzählt ihm, dass er fünfzig Jahre zuvor eine Frau unter besonders demütigenden Umständen verlassen hat. Annie Mooney heißt inzwischen Mrs Gaffney und lebt in Faha, und Christy will sich bei ihr entschuldigen und Wiedergutmachung leisten. Zugleich verliebt sich Noel zum ersten Mal in seinem Leben, zunächst in Sophie, die jüngste Tochter von Doctor Troy, dem Arzt des Ortes. Der Leser verfolgt seine Entwicklung vom tiefen Schmerz eines Jungen zum jungen Erwachsenen, der tiefe, romantische Gefühle entwickelt.
Williams beschreibt detailverliebt das Dorf mit einer Vielzahl von Bewohnern, Landschaft und Wetter und typische Aspekte des Dorflebens wie die Rolle der Kirche, irische Musik, Alkoholkonsum, Fußball. Insgesamt ist die Geschichte eher handlungsarm, stellt aber humorvoll und voller Sympathie ein gelungenes Porträt des ländlichen Irland in einer anderen Epoche dar - ohne Sentimentalität oder übertriebene Romantisierung. Eine lohnende, aber nicht ganz leichte Lektüre.

Bewertung vom 22.06.2025
Webb, Liz

Die Bucht


ausgezeichnet

Die Geretteten
Nancy Ryan zieht mit ihrem Lebensgefährten Calder Campbell von London auf die fiktive Insel Langer vor der schottischen Westküste. Die Insel ist durch ihre reichlichen Schiefervorkommen bekannt. Dort ist er aufgewachsen, und nun hat er nach dem Tod der Mutter das Haus geerbt. Beide freuen sich auf einen Neuanfang, doch schon bald kommt alles anders. Nancy hat Schwierigkeiten, sich in dem Dorf einzuleben, dessen Bewohner ihr fremd bleiben. Eine besondere Rolle spielt hier der Pfarrer, der eine wichtige Position im Ort einnimmt und die Geheimnisse vieler Bewohner kennt. In einem speziellen Ritual lässt er die Bewohner ihre Sünden auf Schiefertafeln schreiben, die dann abgewischt werden. Durch diese symbolische Handlung sind diese Gläubigen dann von ihren Sünden befreit. Sie sind gerettet - von daher der Originaltitel "The Saved".
Eines Tages unternimmt Calder eine unangekündigte Bootsfahrt. Nancy sieht später das gekenterte Boot, und Calder treibt leblos im Wasser. Wider Erwarten überlebt er den Bootsunfall. Damit sind die Probleme jedoch nicht gelöst, denn Calder kommt völlig verändert aus dem Krankenhaus zurück. Nancy begreift, dass sie nicht viel über ihren Partner weiß. Damit haben beide Geheimnisse voreinander, denn Nancy hat Calder mit seinem besten Freund betrogen, der zugleich der Ehemann ihrer engsten Freundin ist. Dann wird eine Leiche angespült, und ungeklärte Ereignisse aus der Vergangenheit spielen plötzlich eine große Rolle. Es gibt immer neue Verdächtige, und Nancy misstraut Calder und flüchtet vor ihm.
Der Roman ist spannend zu lesen mit zahlreichen Wendungen und einer Auflösung, die man nicht unbedingt erwartet. Mir haben die sorgfältig charakterisierten Figuren und die Landschaftsbeschreibungen der schottischen Küste gut gefallen. Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 22.06.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


ausgezeichnet

Es gibt doch eine Zukunft
Earlon “Bucky“ Bronco ist in den 70ern und lebt in Chicago. Er hat seit dem Tod seiner über alles geliebten Frau Maybell fast ein Jahr zuvor seinen Lebenswillen verloren und wartet nur noch auf den Tod, zumal er ständig unter sehr starken Schmerzen leidet. Er nimmt Schmerzmittel und ist inzwischen abhängig von Opioiden, die nur vorübergehend Erleichterung verschaffen. Für eine Operation hat er kein Geld. Sei ganzes Leben hat er in prekären Verhältnissen mit einer Vielzahl von unterbezahlten Jobs verbracht, ein typischer Underdog ohne Chancen. Eines Tages erhält er eine Einladung zu einem Festival in Scarborough in Yorkshire. Als sehr junger Mann hatte er Erfolg mit wenigen Soultiteln, die in seiner Heimat längst in Vergessenheit geraten sind. Er nimmt die Einladung an, weil er noch nie gereist ist und das Meer in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen hat. Leider vergisst er seine Opioide im Flugzeug, was ihm einen sehr unangenehmen kalten Entzug beschert. In England betreut ihn Dinah, eine sympathische Frau in den 50ern, die seine Musik kennt und liebt. Auch sie ist nicht glücklich in ihrem Leben als Supermarktangestellte mit einem Alkoholiker als Mann, der immer wieder durch Diebstähle auffällt, und einem drogenabhängigen Sohn, der keine Anstalten macht, am realen Leben teilzunehmen. Bucky und Dinah kommen ins Gespräch und erleben, dass man nicht aufgeben darf, dass menschliche Kontakte und Hilfe dem Leben eine neue Richtung geben können. Auch für Bucky hat die Zukunft Potenzial, enthält wieder Möglichkeiten. Mit Dinahs Hilfe kann er Zweifel, Ängste, Einsamkeit, schmerzlichen Verlust und körperlichen Niedergang hinter sich lassen.
Der Autor erzählt die Geschichte sehr empathisch in einer poetischen Sprache und beschreibt die Schönheit der Landschaft und des Meeres sehr überzeugend. Mir hat nach “Offene See“ und “Der perfekte Kreis“ auch Myers neuer Roman wieder gut gefallen.

Bewertung vom 30.05.2025
Groys, Mihail

Meine deutsche Geschichte


sehr gut

Keine Zukunft ohne die Vergangenheit
Mihail Groys war sieben Jahre alt, als er 1998 mit seiner Familie aus dem Donbass nach Deutschland kam. 25 Jahre später beschreibt er, wie es ist, als Fremder in einem anderen Land anzukommen, wie lang es dauert, bis Zugewanderte wirklich integriert sind und das neue Land als ihre Heimat sehen. Für ihn spielt nicht nur seine ukrainische Herkunft eine besondere Rolle, sondern auch die Tatsache, dass er zu einer jüdischen Familie gehört, für die Deutschland als Heimat ihrer Wahl keine Selbstverständlichkeit gewesen sein kann. Der Autor beschäftigt sich u.a. mit Bereichen wie der deutschen Ess- und Trinkkultur, dem Verhältnis der Deutschen zu Autos und dem Umgang mit Tieren. An dem selbstverständlichen Gebrauch des Pronomens „wir“ wird deutlich, dass er inzwischen ein Deutscher in seiner deutschen Heimat ist.
Der Autor geht ausführlich auf die Geschichte und die gegenwärtige Situation der Ukraine ein. Besonders interessant ist seine am Ende formulierte Botschaft. Er betont, wie wichtig Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Kompromissbereitschaft sind. Diese Werte sollten uns stets im Umgang miteinander leiten. Von besonderer Bedeutung für die Deutschen sind seine Ausführungen zur Schoah. Die Deutschen dürfen den Holocaust nicht leugnen, sondern müssen Verantwortung für die Verbrechen der Vorfahren übernehmen.
Ich habe “Meine deutsche Geschichte“ von Mihail Groys gern und mit großem Interesse gelesen, zeigt er doch einen Blick von außen auf unser Land und regt damit zum Nachdenken und Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten an.

Bewertung vom 29.05.2025
Berkel, Christian

Sputnik


gut

Auf der Suche nach der eigenen Identität
Mit “Sputnik“ legt Christian Berkel seinen dritten Roman vor. Wie zuvor “Der Apfelbaum“ und “Ada“ ist auch der neue Roman autofiktional, d.h. dem Leser muss bewusst sein, dass es sich trotz allem um Fiktion handelt, dass sich die Dinge in der Realität nicht 1:1 so abgespielt haben. Das fängt schon damit an, dass der Autor keine Schwester namens Ada hat. Die Geschichte beginnt vor seiner Geburt im Mutterleib und endet, als Berkel etwa 21 Jahre alt ist. Ein Ich-Erzähler namens Sputnik übernimmt Berkels Rolle als Erzähler. Berkel wurde 1957 kurz nach dem Start des ersten Satelliten in der Erdumlaufbahn geboren, von daher der Name Sputnik. Wir lesen, wie schwierig das Verhältnis zu seinen Eltern war, die beide schwer traumatisiert den zweiten Weltkrieg überlebt hatten. Die aus einer jüdischen Familie stammende Mutter Sala war zeitweise im Lager Gurs in den Pyrenäen eingesperrt, der Vater Otto verbrachte Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Wir lesen über Sputniks Schulzeit in Berlin, danach über die Jahre in Frankreich, bevor er auf der Suche nach einem Engagement an einem Theater nach Deutschland zurückkehrt, nachdem seine Bewerbungen in Frankreich, zum Beispiel an der Comédie Francaise, trotz seiner hervorragenden Französischkenntnisse erfolglos waren. In Deutschland wurde er dann von einer Reihe von Theatern in verschiedenen Städten engagiert. Schon früh interessiert er sich für Kunst und Literatur und entscheidet sich bereits als sehr junger Mann für den Beruf des Schauspielers. Er hat enge französische Freunde, und lernt immer wieder Mädchen kennen, zu denen er sich hingezogen fühlt. Einige dieser Beziehungen werden ausführlicher beschrieben. Interessant sind auch die Ausführungen über den Schauspielunterricht und die Beschreibung von Theaterproben. So erleben wir das Theater als eigene, ganz besondere Welt.
Berkels neuer Roman über seine Kindheit und Jugend liest sich nicht schlecht, ist aber insgesamt etwas handlungsarm mit einigen Längen. Für mich ist immer noch „Der Apfelbaum“ sein bestes Buch.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.