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Lena
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Köln

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Insgesamt 140 Bewertungen
Bewertung vom 11.08.2025
White, Loreth Anne

Die Frau in den Fluten


sehr gut

Chloe Cooper arbeitet als Barkeeperin, kümmert sich um ihre todkranke Mutter und führt in ihrem Wohnviertel in einem Küstenort in der Nähe von Vancouver Hunde aus. Sie ist unscheinbar und hat wenig soziale Kontakte, beobachtet ihre Mitmenschen dafür umso genauer. Als in das neu gebaute Haus gegenüber neue Nachbarn einziehen, freut sich Chloe auf ihre persönliche Theaterbühne. Sie ist fasziniert von der glamourösen Arztfrau Jemma, die als Influencerin aktiv ist und jeden morgen Schwimmen geht, aber beunruhigt über ihren Ehemann Dr. Adam Spengler, einem renommierten onkologischen Chirurg, der ein ungutes Gefühl in ihr auslöst.
Ungewollt erfährt Chloe mehr über das Paar, als ihr lieb ist, und versucht, Jemma klammheimlich beizustehen. Als sie eines nebligen Septembermorgens ihre übliche Runde mit dem Hund ihrer Mutter dreht, sieht sie, wie eine Schwimmerin von einem Jetski absichtlich überfahren wird und ist sich sicher, dass Adam seine Frau getötet hat.

Der Roman ist aus verschiedenen Perspektiven der allesamt etwas undurchdringlichen Charaktere geschrieben. Neben der überwiegend chronologischen Erzählung, die zeitlich mit dem Einzug der Spenglers beginnt und nur drei Wochen umfasst, erfolgt sechs Jahre später ein Rückblick auf den Kriminalfall durch eine True Crime-Sendung "Die Chloe-Cooper-Story". Die Berichterstattung und Interviews sorgen für Abwechslung und geben eine neutrale Sicht auf die vergangenen Ereignisse und warten mit ungeahnten Enthüllungen auf.

Der Psychothriller ist spannend und wendungsreich, beinhaltet allerdings eine klischeehafte Charakterdarstellung, Wiederholungen und eine an mancher Stelle konstruierte Handlung, die von einigen Zufällen geprägt ist. Die Hauptfiguren sind wenig sympathisch, haben Dinge zu verbergen und agieren zumal wirklichkeitsfremd. Auch die Ermittlungen der Polizei erscheinen bei der Tätersuche nicht immer authentisch.

Die Hintergründe sind traumatisch und liefern damit eine Erklärung für Manipulation, Besessenheit, Einsamkeit und den Wunsch nach Zugehörigkeit. Daneben geht es um Betrug, Verletzungen, Erpressung und Rachegelüste, die die niedrigsten Instinkte im Menschen wecken.

"Die Frau in den Fluten" ist ein unterhaltsamer Thriller mit erschütternden Offenbarungen, in der eine Kette von Ereignissen ausgelöst wird, die zu mehreren Morden führen. Kritisch anzumerken ist, dass den handelnden Personen beachtliche Lasten aufgebürdet worden sind und dass die stümperhaften Ermittlungen zu keinem ganz befriedigenden Ende führen, woran auch der True Crime-Report Jahre später nichts ändert.

Bewertung vom 09.08.2025
Hankin, Laura

Daydreams


sehr gut

Anfang der 2000er-Jahre wurden die Teenager Summer, Noah, Kat und Liana mit der Serie "The Daydreams" berühmt. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, mit der Livesendung zum Finale der zweiten Staffel, erfolgte das spektakuläre Aus, das bis heute Fragen aufwirft.
Während sich Kat anschließend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte und als Anwältin in Washington, D.C., arbeitet, ist Noah der Film- und Fernsehbranche treu geblieben und hat es sogar bis zu einer Oscarnominierung gebracht. Liana ist mit einem Spitzensportler verheiratet und als Influencerin aktiv. Summer hat mehrere Aufenthalte in Entzugskliniken hinter sich und ist gerade clean.
Auf Wunsch der Fans kommt es 13 Jahre nach dem Eklat vor laufenden Kameras zu einer Reunion für ein Special zu "The Daydreams". Jeder der vier ehemaligen Freunde hat ein eigenes Interesse an dem Wiedersehen und der Neuauflage. Während sie sich zaghaft annähern und allmählich die Magie der Serie wie zu Teenagerzeiten verspüren, drohen alte Geheimnisse ans Licht zu kommen, die ihre Freundschaft für immer zerstören könnten und in jedem Fall wieder zu Schlagzeilen führen werden.

Der Roman wird aus der Perspektive von Kat geschildert, die neben Summer und Noah, die das Pärchen mimten, eine Nebenrolle in der Serie hatte und die "Zicke" darstellte. Sie hatte sich am meisten gegen eine Reunion gewehrt, sich aber letztlich überreden lassen, um einen Fehler wiedergutzumachen. Über die Motive ihrer Schauspielerkollegen kann zunächst nur spekuliert werden.

Neben den gegenwärtigen Ereignissen erfolgen Rückblenden in die Jahre 2004/ 2005, als der Erfolg der Serie die Teenager übermannte und sie einerseits mit heftigen Gefühlen von Zuneigung und Eifersucht und andererseits mit dem Druck der Medien und zudringlichen Paparazzi umzugehen lernen mussten.

Zeitungsausschnitte, Interviews, Tweets und Blogbeiträge ergänzen Kats Erzählweise. Sie sind stimmig zu dem Medieninteresse, das "The Daydreams" auslöste, sorgen für Abwechslung und Authentizität, indem sie den Einfluss der Medien und die Überforderung der Teenie-Stars noch deutlicher machen. Darüber hinaus gibt es Einträge aus Summers Tagebuch, die nicht zum Image der braven Jungschauspielerin passen möchten.

Die Charaktere sind facettenreich, haben über die Jahre eine nachvollziehbare Entwicklung durchgemacht und warten schlussendlich mit überraschenden Geständnissen auf. "Daydreams" vermittelt einen authentischen Blick hinter die Kulissen einer Fernsehproduktion. Der Roman handelt von großen Träumen, von Reue, Wiedergutmachung und Versöhnung, aber auch von Manipulation, persönlichen Zusammenbrüchen, Eifersucht und Rachegelüsten.

Spannend, dramatisch und unerwartet wendungsreich wird wie in einer guten Seifenoper inszeniert, was damals mit ihrer Freundschaft passiert ist und welche Auswirkungen der Skandal, der sie trennte, auf ihre weitere Entwicklung hatte. Noch spannender ist, ob die Erwachsenen aus ihren Fehlern von damals gelernt haben und ob tatsächlich ein neues Serienende der alleinige Zweck der Reunion ist.

Bewertung vom 09.08.2025
Georg, Miriam

Die Verlorene (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Als Lauras Großmutter Änne stürzt und anschließend bewusstlos im Krankenhaus liegt, findet Laura in deren Wohnung eine Kiste mit Erinnerungen aus der Zeit in Schlesien, wo Änne aufgewachsen ist. Ein altes Foto wirft dabei Fragen auf, die auch Lauras Mutter Ellen nicht beantworten kann. Zeit ihres Lebens hatte Änne über die Flucht aus Schlesien geschwiegen und keine Erklärung dafür, warum sie die einzige ist, die von ihrer Familie übriggeblieben war.
Laura, die gerade vor einem neuen Lebensabschnitt steht, beschließt, nach Schlesien zu dem Gutshof zu fahren, wo ihre Mutter geboren ist. Sie hofft dort noch jemanden zu finden, der die Familie kannte und ihre Fragen beantworten kann, die sie nun Änne nicht mehr stellen kann. Sie begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit in die 1940er-Jahre, als Deutschland an allen Fronten Kämpfte, Schlesien von direkten Kampfhandlungen jedoch verschont blieb. Auch wenn Familien dennoch Verluste zu beklagen hatten, wurden die Auswirkungen des Krieges besonders spürbar, als die Front der Russen immer näher rückte und sich auch die Kräfteverhältnisse auf dem Gutshof umkehrten.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und wird überwiegend aus einer weiblichen Perspektive geschildert. Die Vergangenheit handelt im Zeitraum von 1941 bis 1947 auf dem Pappelhof in Schlesien, wo Änne geboren und aufgewachsen ist. Änne galt als Problemkind, aber es war die Ankunft eines russischen Zwangsarbeiters im Jahr 1943, die alles veränderte.
In der Gegenwart macht sich Laura auf eine Spurensuche, nähert sich dabei ihrer Mutter an und versucht zudem eine Versöhnung zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter herbeizuführen. Ungeahnt wird ihre Reise zu einer Suche nach den Wurzeln und der eigenen Identität.

Durch den unregelmäßigen Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit wird sukzessive eine unglaubliche Familiengeschichte aufgedeckt, die für anhaltende Spannung sorgt, was 1943 passieren und was Laura über 70 Jahre später herausfinden wird. Erst allmählich wird klar, was sich in den Kriegsjahren auf dem Gutshof in Schlesien ereignet hat, das so traumatisch war, dass Änne nie mit ihren Angehörigen darüber sprechen konnte und wollte.

Die detailgetreuen Schilderungen sind erschütternd und bewegend und trotz ihrer Dramatik authentisch. Durch die lebendige Erzählweise hat man nicht nur den Gutshof in den Kriegsjahren und im Jahr 2019 in umgebauter Form klar vor Augen, sondern kann sich auch sehr gut in die handelnden Personen und ihre Gefühle hineinversetzen und ihre innere Zerrissenheit nachvollziehen.

Es ist eine Geschichte über das Schweigen der Kriegsgeneration, über schwierige Mutter-Tochter-Verhältnisse, über Eifersucht und die mangelnde Fähigkeit, Loslassen zu können. Teil des Romans ist zudem eine tragische Liebesgeschichte, die jedoch von dem Auseinanderfallen einer ganzen Familie überlagert wird.
Auf einfühlsame Weise erzählt Miriam Georg eine spannende und hochdramatische Geschichte vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, die von ihrer eigenen Familiengeschichte inspiriert ist und auch deshalb nachdrücklich bewegt, zumal die Aspekte von Flucht, Vertreibung und Heimatverlust in einer unruhigen Welt zeitlos sind.

Bewertung vom 06.08.2025
Chambers, Clare

Scheue Wesen


sehr gut

Helen Hansford arbeitet 1964 als Kunsttherapeutin an einer psychiatrischen Klinik. Seit drei Jahren hat sie eine Affäre mit einem der leitenden Ärzte, der sich fortschrittlich für neue Therapiemethoden einsetzt. Helen steht für ihn auf Abruf bereit, solange sie noch an sein Versprechen glaubt, seine Ehefrau, die ausgerechnet eine entfernte Cousine Helens ist, zu verlassen, wenn ihre Kinder aus dem Gröbsten heraus sind.
Als ein neuer Patient eingeliefert wird, der isoliert mit seiner Tante zusammenlebte, verwahrlost und mindestens zehn Jahre nicht mehr das Haus verlassen hatte, ist Helen von seinem Schicksal berührt. Sie erkennt sein künstlerisches Talent und versucht mehr über ihren stummen Patienten herauszufinden.

Die Geschichte handelt im Jahr 1964 und gibt dabei Einblicke in den Alltag in einer "Irrenanstalt" und entwirft ein anschauliches Porträt der Gesellschaft der damaligen Zeit. Durch Szenen aus dem Familienleben werden die patriarchalen Strukturen und die Stellung der Frau erkennbar.

Mit dem Auffinden von William Tapper ergänzt eine weitere Perspektive die Handlung. In Rückblenden, die sich mit der Gegenwart 1964 abwechseln, wird Williams Lebensgeschichte chronologisch rückwärts erzählt und deckt auf, was ihm ab dem Jahr 1938 widerfahren ist und zu der prekären Situation der Abschottung in einem Haus mit einer zunehmend verwirrten Tante geführt hat.

Die Geschichte ist warmherzig und einfühlsam geschildert. Helen widmet sich liebevoll ihrer Arbeit mit den Patienten in der psychiatrischen Klinik. Auch für Dr. Gil Rudden steht das Wohl seiner Patienten an erster Stelle, weshalb er neue Ansätze vertritt und die Gesprächstherapie statt einer alleinigen medikamentösen Behandlung vorzieht. Gleichzeitig sind sie moralisch wenig integer, indem sie ihre heimliche Affäre bereits seit drei Jahren praktizieren.
Während Helen versucht, das Geheimnis hinter Williams Isolierung zu entschlüsseln und sich um ihre Nichte sorgt, die ebenfalls als Patientin in Westbury Park aufgenommen wird, stellt sie zunehmend sie ihre Beziehung zu Gil in Frage, die auf unterschiedlichen Erwartungen beruht.

"Scheue Wesen" ist dramatisch und spannend, wird jedoch sehr sanft und einfühlsam erzählt und spiegelt auf diese Art auch den Titel wider. Das Schicksal Williams geht zu Herzen und fesselt durch die Art der Erzählweise, die erst allmählich seinen Hintergrund aufdeckt.
Es ist ein zartfühlender Roman über Trauma, Verlust und Selbstfindung sowie ein Plädoyer für Freundlichkeit und Mitgefühl im Umgang mit einander.

Bewertung vom 04.08.2025
Berman, Ella

Das Comeback


gut

Grace Turner wurde als 13-Jährige entdeckt und für einen Film gecastet. Mehrere Jahre war sie der Star der Filmbranche Hollywoods, bis sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ohne eine Erklärung zurückzog.
Ein Jahr später ist sie zurück in Los Angeles, wo sich die Presse gierig auf die junge Frau stürzt, die verwirrt erscheint und ungepflegt auf die Straße tritt.
Die Öffentlichkeit weiß nicht, dass Grace einen Suizidversuch hinter sich hat und was die Gründe dafür sind. Traumatisiert kämpft Grace sich allmählich ins Leben zurück und beschließt Rache an ihrem Peiniger, Hollywood-Produzent Able zu nehmen, der sie groß hat werden lassen, aber gleichzeitig erniedrigt hat. Ausgerechnet seine Ehefrau hilft ihr dabei, wieder auf die Beine zu kommen und schlägt sie für die Laudatio für das Lebenswerk Ables vor.

Der Roman beginnt mit einer psychisch gebrochenen Frau, die wieder bei ihren Eltern eingezogen ist, sich über die Jahre jedoch von ihnen entfremdet hat und weder Halt noch Verständnis dort findet. Grace ist innerlich leer und spürt die Folgen ihrer jungen Karriere. Geblieben sind Geld und Ruhm, aber keine Freunde und eine zerrüttete Ehe.

Im Rückblenden erfährt man das Offensichtliche, was Grace kaputt gemacht hat und was ihr Mentor ihr angetan hat. Grace war viel zu jung und unerfahren, konnte am Filmset nicht für sich einstehen und sich schon gar nicht gegen einen manipulativen, übergriffigen Filmemacher zur Wehr setzen, von dem sie abhängig war. Sie flüchtete sich in den Konsum von Alkohol, Opiaten und Drogen, um sich zu betäuben.

Die Darstellung aus Graces Sicht ist eindringlich und authentisch. Durch die öffentliche Berichterstattung über Machtmissbrauch in Hollywood und #metoo-Debatten ist auch ohne dass zu sehr ins Detail gegangen wird nachvollziehbar, was Grace erlebt haben muss. Der Roman erscheint deshalb als ein beispielhaftes Schicksal, das sich tatsächlich so zugetragen haben könnte.
Gerade deshalb fehlt es aber auch an Spannung und vor allem in der ersten Hälfte ist das Buch langatmig, bis Grace auf ihre Art die Nähe zu ihrem Peiniger sucht und sich abzeichnet, dass sie ihr Schweigen brechen wird. Am Ende fällt ihr Befreiungsschlag allerdings besonnener und weniger leidenschaftlich aus, als erhofft.

Bewertung vom 30.07.2025
Williams, Hattie

Bittersüß


ausgezeichnet

Vor sieben Jahren ist Charlies Mutter an einem Schlaganfall verstorben bis heute leidet sie unter dem Verlust. Ihre Mutter war es auch, die ihr die Romane des Autors Richard Aveling nahegebracht hat.
Charlie ist inzwischen 23 Jahre alt und arbeitet als Presseassistentin in einem renommierten Londoner Verlag. Dort wird das neue Buch von Richard Aveling verlegt. Charlie lernt ihn persönlich kennen und geht eine Affäre mit dem verheirateten Mann ein. Er trifft sich mit ihr, wenn er Zeit hat, verspricht ihr nichts und verlangt im Gegenzug von ihr absolutes Stillschweigen - auch in ihrem eigenen Interesse.
Mit ihren beiden besten Freunden Ophelia und Eddy, die gleichzeitig Kollegen und Mitbewohner sind, kann sie nicht über ihre Gefühle sprechen. Doch je länger die Liebesgeschichte andauert, desto schwieriger wird die Verheimlichung und die Last der ungleichen, aber alles verzehrenden Beziehung.

Der Roman gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt. Charlie verliebt sich unsterblich in den über 30 Jahre älteren Schriftsteller, der für sie seit ihrer Jugend ein literarisches Idol ist. Gleichzeitig sind er und sein Werk eine Verbindung zu ihrer verstorbenen Mutter, die sie schmerzhaft vermisst. Der weltgewandte und charmante Bestsellerautor zieht sie magisch an und schon bald kann sich Charlie ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Aus Angst vor Ablehnung oder verlassen zu werden, tut sie alles, um ihm zu gefallen und ist auf Abruf für ihn bereit. Sie nimmt sogar in Kauf, dass ihre Freundschaft zu Ophelia und Eddy leidet, die die ungleiche Beziehung nicht gutheißen.

Die Auswirkungen der heimlichen Affäre auf ihr Leben sind massiv, was Charlie so gut es geht, ignoriert. Sie sehnt sich nach Liebe, ist in der Beziehung jedoch einsam. Ihre Freunde, bei denen sie erstmals nach dem Tod ihrer Mutter ein Zuhause und einen Familienersatz gefunden hatte, stößt sie vor den Kopf und manövriert sich selbst in die Isolation.

Charlie ist eine unsichere, verletzliche Frau, die keine hohe Meinung von sich hat. Es berührt und macht wütend, wie sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellt und sich dominieren lässt. Es ist völlig unklar, wo die Beziehung zu Richard hinführt, denn eine gemeinsame Zukunft scheint unmöglich. Ihre trübsinnigen Gedanken nehmen stetig zu und erfüllen mit Sorge. Keimt kurzfristig Hoffnung auf, dass sich Charlie aufgrund erneuter Verletzungen endlich von Richard lösen kann, schafft er es, ihre Verletzlichkeit auszunutzen und sie wieder fester an sich zu binden.

"Bittersüß" schildert empathisch und realistisch das Machtgefälle innerhalb einer Beziehung und die Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte über die Suche nach einem Platz im Leben, in der Unsicherheit, mangelnder Selbstwert, Trauer und psychische Gesundheit einen wesentlichen Teil ausmachen, in der es jedoch durch die verlässliche Freundschaft auch hoffnungsvolle Momente gibt.

Bewertung vom 30.07.2025
Axat, Federico

Eine vorbildliche Tochter


ausgezeichnet

Die aus dem Fernsehen bekannte Investigativjournalistin Camila Jones hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und versucht sich gerade mit ihrem Vorruhestand anzufreunden, als der Lokaljournalist Tim Doherty sie bittet, sich einem in seinen Augen ungeklärten Kriminalfall zu widmen. Vor zehn Monaten soll sich die 14-jährige Schülerin Sophia von einer Brücke gestürzt haben. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus, wohingegen ihre Eltern und Freunde sich einen Suizid der hochintelligenten Schülerin nicht vorstellen können.
Tim und Camila vermuten einen Zusammenhang ihres Verschwindens mit einem Video, das ihre Freundin Janice in einer beschämenden Situation zeigt und in der Schule viral gegangen ist. Der Junge, der das Video aufgenommen hat, wurde zwei Monate nach ihrem Verschwinden tot aufgefunden und Janices Bruder als Tatverdächtiger verhaftet.

Erst verschwindet die Tochter spurlos oder soll Suizid begangen haben und Monate später stürzt ihre Mutter vom Balkon und liegt im Koma. Für die beiden Journalisten kann dies kein Zufall sein und der Arbeitseifer der bekannten Fernsehjournalistin ist wieder geweckt.

Der Thriller handelt auf mehreren Zeitebenen, wobei der Fokus in der Gegenwart auf den Recherchen von Camila Jones liegt, die den Ermittlungen der Polizei nicht traut und die Wahrheit hinter den Ereignissen der letzten Monate in Hawkmoon herausfinden möchte.
Die Vergangenheit geht mehrere Monate zurück und erzählt, was sich vor Sophias Verschwinden in einer Clique von Jugendlichen ereignet hatte, ohne zu offenbaren, was tatsächlich ursächlich für Sophias Verschwinden ist und die Frage zu klären, ob sie noch am Leben ist. Es geht um die erste Liebe und die Dynamik, die sich unter den Freunden entwickelt.
Beide Erzählebenen ergänzen sich und geben mehr Details über eine Kette von Handlungen preis, die bis zu einem Mord geführt haben.
Ab der Hälfte des Romans wird die Geschichte um eine weitere Perspektive ergänzt, die neue Fragen aufwirft.

Als Leser(in) hat man gegenüber den Journalisten einen Wissensvorsprung, was die Spannung jedoch nicht mindert. Geht man anfangs noch von der Eskalation von Streitigkeiten unter Jugendlichen aus, wird das Ausmaß der Machenschaften in der Kleinstadt, wer die Strippen dort zieht und welche Verbrechen sich dort ereignen, erst allmählich offensichtlich.

Der Psychothriller ist originell aufgebaut und sorgt durch den Wechsel aus gegenwärtigen und vergangenen Ereignissen für zahlreiche Mini-Cliffhanger, die "Eine vorbildliche Tochter" zu einem Pageturner machen.
Die Journalisten stehen in eine Wespennest unvorstellbaren Ausmaßes. Camila lässt sich weder leichtfertig mit Aussagen abspeisen noch sich von den Strippenziehern im Ort einschüchtern.
Die Geschichte ist durch immer neue Enthüllungen wendungsreich und spannend, wobei es immer komplexer wird, am Ende alle Puzzleteile zusammenzufügen. Es geht um die Herstellung von Gerechtigkeit, wobei die Helden zumal unkonventionelle Wege gehen.

Bewertung vom 28.07.2025
Evans, Virginia

Die Briefeschreiberin


sehr gut

Sybil van Antwerp ist pensionierte Juristin, Mutter und Großmutter und lebt im Alter von 73 Jahren allein in Annapolis. Schon mit jungen Jahren hat sie eine Leidenschaft fürs Briefeschreiben entwickelt und geht ihrem Hobby trotz schwindenden Augenlichts unermüdlich nach. Sie schreibt nicht nur Freunden, Familienmitgliedern und Bekannten, sondern auch bekannten AutorInnen, Kundendienstmitarbeitern oder sonstigen Personen, von denen etwas erwartet oder das Bedürfnis hat, ihnen etwas mitzuteilen.
Sybil reflektiert dabei ihr Leben, gesteht Fehler ein und versucht sich zu versöhnen, ist auch im hohen Alter noch durchsetzungsstark und setzt sich vehement für ihre Anliegen und die der Menschen ein, die ihr wichtig sind.

Der Roman besteht einzig aus der Korrespondenz von Sybil, den Briefen und E-Mails, die sie innerhalb einer Dekade ab Juni 2012 schreibt und die sie in dieser Zeit erreichen. Auf diese Weise lernt man Sybil als kompetente Frau kennen, die sich beruflich in einer Männerdomäne durchsetzen musste, die privat einen schlimmen Schicksalsschlag hinnehmen musste und die Recherchen in Bezug auf ihre Wurzeln tätigt.
Sybil ist eine Mutter, die kein einfaches Verhältnis zu ihren erwachsenen Kindern hat und die durch einen anonymen Briefeschreiber erkennt, dass sie als rechte Hand eines Richters in einem Fall zu hartherzig agiert hat.

"Sie lebt in ihren Briefen". Es ist interessant zu sehen, dass man allein durch Briefe mit Freunden und Fremden einen umfangreichen Blick auf ein ganzes Leben erhält und dass die Hauptfigur auf diese Weise nahbar wird. Trotz der in der Regel nur kurzen Briefe von und an verschiedene Personen und der dadurch nicht linearen Erzählweise lässt sich die Geschichte flüssig lesen. Jeder Briefwechsel hat seinen eigenen Stil, jeder Absender erhält eine eigene Stimme und auch Sybil drückt sich jeweils passend herzlich und persönlich oder förmlich und distanziert aus.
Die Fülle an Briefen offenbart immer mehr Details aus Sybils Leben und charakterisiert sie als pedantische, starrköpfige, gerechtigkeitsliebende und empathische, großherzige Frau, die im Leben viel mitgemacht hat und nicht ohne Fehler ist.

Der Roman handelt von allen Facetten des Lebens, von Liebe und Freundschaft, von persönlichen Kämpfen und Kraftanstrengungen, von Glück und Niederlagen, Familiengeheimnissen und späten Geständnissen sowie auch von Krankheit und Tod.
Es ist mutig, einen Roman in der Form zu verfassen und auch - oder gerade weil - ich Sybil als sehr interessante, kluge und reizbare Persönlichkeit wahrgenommen habe, hätte mir ein Roman über ihr Leben als chronologische Erzählung oder fiktive Biografie noch besser gefallen.

Bewertung vom 28.07.2025
Holbe, Julia

Man müsste versuchen, glücklich zu sein


weniger gut

Nachdem beide Elternteile kurz hintereinander verstorben sind, kehrt Flora ein Jahr später in ihr Elternhaus zurück, um es auszuräumen und zu verkaufen. Zeitgleich kommt ihre jüngere Schwester Millie dort an, die sie seit Jahren nicht gesehen hat und die sich auch nicht um die alternden Eltern gekümmert hatte.
Zuhause kommen Erinnerungen an die Eltern, die Großeltern und eine Kindheit auf, die wenig kindgerecht war.

Der Roman wird ausschließlich aus der Perspektive von Flora geschildert, die zeitgleich mit ihrer "blöden Schwester" Millie in ihrem Elternhaus in Luxemburg ankommt und dort entrümpeln möchte.
Die Erinnerungen Floras an ihre Kindheit sind sprunghaft und lassen keinen Zusammenhang erkennen. Willkürlich werden kindliche Erinnerungen episodenhaft aneinandergereiht, während sich in der gegenwärtigen Situation wenig ereignet. Es wird lamentiert, ohne sich auszutauschen, wobei es in den Betrachtungen auch zu Wiederholungen und Widersprüchen kommt.
Auf eine Aussprache der beiden Schwestern und eine Erklärung, was zu der Entzweiung geführt hat, wartet man vergeblich. Die Dialoge sind von Nebensächlichkeiten und kindischen Geschwisterzwistigkeiten geprägt und teilweise muss man sich zusammenreimen, wer von beiden gerade spricht.

Millie gibt häufig vor, sich nicht erinnern zu können, während Flora die Verantwortungslosigkeit der Eltern als belastend empfunden hat. Als Kinder hatten sie viele Freiheiten, aber dafür keinen Halt und Verlässlichkeit. Zudem war das Verhältnis der Eltern untereinander von Lügen und Geheimnissen geprägt.

Die Charaktere bleiben trotz der übersichtlichen Anzahl blass und kaum vorstellbar. Die Schwestern sind Mitte 50, wirken aber in ihrem Verhalten deutlich jünger, Sympathien wecken beide nicht. Noch schlimmer ist Floras Tochter Lucie mit ihren altklugen Ratschlägen und Plattitüden.

Von der "Reise zurück in eine verrückte Kindheit" hatte ich mir mehr versprochen. Witz und Melancholie habe ich in der Geschichte nicht gefunden. Durch die sprunghafte und lückenhafte Erzählweise ist die Geschichte über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in einer Familie mit unkonventionellen, gleichgültigen Eltern wenig einnehmend und berührend. Es fehlt nicht nur der versprochene Witz, sondern auch jegliche Dramatik, Spannung und Sentimentalität. Die Charaktere bleiben unzugänglich, die Geschichte belanglos, langweilig und ohne roten Faden.

Bewertung vom 27.07.2025
Jackson, Holly

Not Quite Dead Yet


ausgezeichnet

Jet Mason wird an Halloween im Haus ihrer Eltern brutal überfallen und so schwer verletzt, dass ihr die Ärzte aufgrund eines entstehenden Aneurysmas nur noch eine Woche Lebenszeit geben. Eine winzige Überlebenschance liegt in einer gefährlichen Operation, die Jet jedoch ausschlägt. Sie möchte in ihrem Leben endlich etwas erreichen und ihren "Mörder" finden. Während die Polizei Jets Exfreund JJ als Hauptverdächtigen im Visier hat, beginnt Jet zusammen mit ihrem Freund aus Kindheitstagen Billy in ihrem Umfeld zu recherchieren und sieht sich schon bald mit zahlreichen Ungereimtheiten konfrontiert, die vor allem ihr nahe stehende Personen verdächtig erscheinen lassen.

Holly Jackson ist bisher aus dem Jugendbuchgenre bekannt und "Not quite dead yet" vermittelt anfangs das Gefühl, einen Jugendthriller zu lesen. Die Hauptfigur Jet wirkt deutlich jünger als ihre 27 Jahre, verhält sie sich doch wie ein trotziges Kind. Aber als Todgeweihte hat sie auch nichts mehr zu verlieren, weshalb ihr Verhalten nicht gänzlich unrealistisch erscheint. Angesichts der Tatsache, dass sie einen Schädelbruch erlitten hat, ist jedoch erstaunlich stark und widerstandsfähig.

Der Plot seinen eigenen Mörder zu finden, ist originell und der Thriller spannend geschildert. Nach Aufdeckung so mancher Lüge und Manipulation kann Jet nicht einmal mehr ihren eigenen Familienmitgliedern vertrauen und hat nur noch ihren Freund Billy, der ihr treu ergeben ist. Sie muss das Motiv ihres Angreifers herausfinden, um den oder die Täterin zu stellen. Hat Jet sich selbst Feinde gemacht und hängt der Angriff mit dem Bauunternehmen ihres Vaters zusammen, das sich durch den Aufkauf von Grundstücken unbeliebt gemacht hat?

Durch viele geschickt platzierte falsche Fährten, ist der Thriller unheimlich wendungsreich und rückt immer wieder andere Personen aus Jets Umfeld in den Fokus ihrer Recherchen. Dabei scheinen gerade aus ihrer Familie einige etwas zu verbergen und Schuld auf sich geladen haben. Das erklärt jedoch noch lange nicht den Angriff auf Jet.
Im Zuge der Tätersuche kommt es zu dramatischen und gefährlichen Szenen, die die Spannung hoch halten. Zudem werden im Laufe der Tages Jets Symptome schlimmer, was den Druck auf sie weiter erhöht und gleichzeitig schmerzhaft daran erinnert, dass ihre Tage gezählt sind.
Welche einzelnen Faktoren letztlich zum Tatentschluss geführt haben, ist am Ende komplex, die Zusammenhänge werden jedoch schlüssig dargelegt.