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Yernaya
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Linz

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2025
Pesch, Arnold

Auf dem Gräftenhof


sehr gut

Die Geschichte einer Familie zwischen Tradition und Wandel

Arnold Pesch hat in seinem Roman "Auf dem Gräften-Hof - das Vermächtnis" Geschichte lebendig werden lassen. Selbst 1939 geboren wuchs er im Münsterland auf. Er ist somit Zeitzeuge der Ereignisse, die er beschreibt. Auch wenn es sich um eine fiktive Geschichte handelt, wirkt sie sehr authentisch. Das liegt an dem kundigen Wissen des Autors über die Heimatgeschichte der Region ebenso wie an den immer wieder eingeflochtenen Dialogen im Münsterländer Platt (der Inhalt wird dabei immer übersetzt oder erläutert). Im Mittelpunkt steht die Familie Große-Bawinkel nebst ihrer nächsten Nachbarn, den Schulze-Westhoffs. Und natürlich der Gräftenhof, ein von einem Wassergraben (Gräfte) umgebener Großbauernhof. Pesch nimmt und mit auf eine Zeitreise in die 50er- und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, beschreibt die tiefe Verwurzelung der Menschen in ihre Heimat, die Traditionen, die Bodenständigkeit und das Gottvertrauen der bäuerlichen Gesellschaft. Doch es ist eine Zeit der Umbrüche. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges, Flucht und Vertreibung, der Mauerbau und vieles mehr sind auch im Münsterland spürbar. Die Landwirtschaft erfährt bedeutende Veränderungen durch die Mechanisierung, während zugleich noch gesellschaftliche Schranken zwischen den Schichten bestehen. Trotz aller Schicksalsschläge, die das leben schreibt, bleibt der Grundton des Buches optimistisch. Mir war es an mancher Stelle etwas zu sehr "Heile Welt" und die Dialoge wirkten etwas hölzern und pathetisch. Die heimatkundlichen Kenntnisse des Autors machen das aber allemal wett.

Bewertung vom 02.10.2025
Meyrick, Denzil

Der Tote im Kamin


ausgezeichnet

Vintage Crime in der Nachkriegszeit des Vereinigten Königreiches

Wir schreiben das Jahr 1952. Der ehemalige Cricket-Spieler und Kriegsveteran Francis "Frank" Grasby fristet sein Dasein als tollpatschiger Polizeiinspektor. Sein eigener Vater, ein pensionierter Pfarrer, hält ihn für einen Versager und sein cholerischer Vorgesetzter sieht sich nach einem weiteren von unzähligen Mißgeschicken dazu veranlasst, unseren "Helden" ins fiktive Örtchen Elderby in die North Yorkshire Moors zu verbannen. Dort soll er einfache Farmdiebstähle aufklären und es vor allem nicht wieder vermasseln.

Denzil Meyricks 1. Band aus dieser Reihe erschien im britischen Original 2023 unter dem Titel Murder at Holly House. Nun hat der Dumont-Verlag den ersten Fall für Inspector Frank Grasby unter dem Titel "Der Tote im Kamin " herausgebracht, als schmuckes Hardcover -Buch mit Lesebändchen und einem Retro-Cover, welches die Leserinnen und Leser bereits auf den Vintage -Krimi einstimmt.

Die vermeintlichen Memoiren des Frank Grasby sind durchdrungen von einem feinen britischen Humor. Wir begegnen wunderbar gezeichneten skurrilen Figuren und erleben mit Frank groteske Szenen. Statt dem idyllischen Dorfleben zu frönen, stolpert der Pechvogel in der verschneiten Winteratmosphäre in verwirrende Intrigen. Kein Cozy Crime, wie man anhand des Klappentextes vermuten könnte, sondern ein humorvoller historischer Kriminalroman. Genau das richtige Buch für lange Winterabende mit Tee und Inselwetter. Ich vergebe gerne fünf Sterne 🌟 🌟 🌟 🌟 🌟 für exzentrische Lesestunden .

Bewertung vom 24.09.2025
Berenz, Björn

Knäckeblut / Mörderisches Småland Bd.3


weniger gut

Plüschiger Cosy Crime, doch Fehler und Ungereimtheiten stören den hyggeligen Lesefluss

Wenn deutsche Autoren sich für ihre Kriminalromane ein ausländisches Setting wählen, dann kann das Urlaubssehnsüchte wecken und ein charmantes Spiel mit gängigen Klischees sein. Insbesondere, wenn die Urlaubslandschaft so hyggelig verschneit dargestellt wird, wie in Björn Berenz "Knäckeblut". Besonders gut gefallen haben mir die kleinen Einschübe, in denen schwedische Begriffe und Redewendungen erläutert werden. Das lies mich auf ein schönes Leseerlebnis hoffen. Für mich war es die erste Begegnung mit der mittlerweile dreibändigen Serie um die deutsche Buchhändlerin Ina und den schwedischen Polizisten Lars. Ich kam schnell ins Geschehen und das trotz der relativ großen Anzahl an Protagonist*innen. Aber warm wurde ich mit keiner dieser Personen. Ina wurde mir von Seite zu Seite unsympathischer, sie wirkte oft arrogant und betrieb ihre Nachforschungen ohne Rücksicht auf Verluste. Lars kam mir manchmal fast schon vor wie ein trotteliger Dorfpolizist. Weitere Personen möchte ich in dieser Rezension nicht benennen, um nicht zu spoilern.

Der Handlungsablauf stellte sich aber als das größere Problem dar. Leider häuften sich inhaltliche und logische Fehler. Der Plot hätte Potential gehabt, wurde jedoch unglaubwürdig aufgelöst. Mordsspaß in Schweden kam bei mir deshalb nicht auf. Es reicht eben nicht aus, eine Amateurermittlerin in eine Wohlfühlatmosphäre zu setzen. Hier standen die privaten Beziehungen der Protagonisten oft so sehr im Fokus, dass das Ermitteln zur Nebensache wurde. Vielleicht fehlten mir beim Lesen aber auch nur eine gehörige Portion Moltebeerenschnaps und Glückstee, von dem im Buch reichlich getrunken wurde.

Bewertung vom 19.08.2025
Völler, Eva

Der Sommer am Ende der Welt


weniger gut

Nicht nur das Thema verfehlt

Die Journalistin Hanna reist nach Borkum, um dort weiter für ihre aktuelle Story zu recherchieren, bei der es um die Geschichte des ehemaligen Kindererholungsheimes Villa Aurelia gehen soll. Einst verbrachten hier sogenannte Verschickungskinder mehrere Wochen, die ihrem Wohlergehen und ihrer Gesundheit dienen sollten. Stattdessen erlebten viele traumatische Erfahrungen, denn meist herrschte noch die schwarze Pädagogik des Nationalsozialismus vor. Ich selbst gehöre zu diesen Verschickungskindern und war 1972 im Alter von fünf Jahren sechs Wochen lang auf Norderney. Hanna wird von ihrer 15jährigen Tochter Kathie begleitet, denn neben der Recherche möchte sie noch etwas Urlaub auf der Insel verbringen.
Während Buchcover und Klappentext also eine literarische Auseinandersetzung mit dem Thema Verschickungskinder versprechen, und die Autorin sich sogar mit einer persönlichen Aussage zu dem Thema zitiert wird, erfüllt der Roman dieses Ansinnen leider nur ansatzweise. Schnell verliert sich dieser Handlungsstrang in einem Wust weiterer Themen, teils aus der Vergangenheit, teils aus der Gegenwart. Das Thema rückt zunehmend in den Hintergrund, vor allem zugunsten der Rahmenhandlung. Und diese hat mir gar nicht gefallen.
Hauptprotagonistin des Buches ist Hanna, bei der es sich um eine renommierte und preisgekrönte Journalistin handeln soll. Doch sie recherchiert nicht, sondern führt lediglich Skype-Gespräche mit Sabine, einem ehemaligen Verschickungskind, das zeitgleich mit Hannas Mutter in der Villa Aurelia war. Selbst als ihr weitere Quellen im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße fallen, führt das nicht zu journalistischem Handeln, welches auch nur ansatzweise den Namen verdient hätte. Stattdessen verliebt sie sich in den Inselarzt Ole. Ob es sinnvoll ist, ein sehr ernstes Thema wie die schwarze Pädagogik und deren Ursprünge mit einer Liebesgeschichte zu verknüpfen, sei dahingestellt. Was mich insbesondere stört, sind die dabei vorgetragenen Rollenklischees, die sich durch den ganzen Roman ziehen. Der edle Rotter Ole rettet Hanna aus höchster Not, beginnend damit, dass er ihren Koffer zum Hotel zieht. Hannas Tochter Katie verliebt sich in einen Surfer-Boy, da eine Liebesgeschichte der Autorin nicht gereicht hat. Und es werden noch mehr! Die weiteren Frauenfiguren sind entweder böse Drachen oder beschützende Übermütter, Flittchen oder treue Seelen, und das alles vor der malerischen Kulisse Borkums.
Man fragt sich zudem, was für einen Roman Eva Völler eigentlich schreiben wollte: einen Sommerroman? Einen historischen Roman? Einen Liebesroman? Einen Krimi? Feststellen lässt sich das leider nicht? So bleibt das Beste an diesem Buch leider das schöne Cover. Der Erzählstil ist gefällig, die Handlung versandet im Themenwust und die Charaktere sind leider kaum auszuhalten. Schade, denn zum eigentlichen Thema der Verschickungskinder und der Schwarzen Pädagogik gab es wirklich gute Ansätze im Buch. Am Ende möchte man der Autorin ein Zitat aus ihrem eigenen Buch vorhalten: Man konnte nicht alles gleichzeitig thematisieren, wenn man eine Geschichte erzählen wollte. (S. 316)
So kann ich am Ende leider nicht mehr als 2 Sterne vergeben. Wirklich weiterempfehlen würde ich es nicht.

Bewertung vom 19.08.2025
Simon, Teresa

Die Holunderschwestern


sehr gut

Der Start in das Buch macht neugierig: ein Abschiedsbrief aus dem Jahre 1936 leitet in den Roman ein, geschrieben von einer F. Doch wer ist F. und was ist passiert?

Mit „Die Holunderschwerstern“ hat die promovierte Historikerin Brigitte Riebe alias Teresa Simon einen historischen Roman verfasst, der dieser Frage nachgeht. Es gibt zwei Handlungsstränge, die sich gut auseinanderhalten lassen. Der eine spielt im Jahr 2015 und dreht sich um die Restauratorin Katharina, die zusammen mit einer Kollegin eine eigene Werkstatt unterhält und liebevoll Möbel restauriert. Mit viel Detailwissen hat die Autorin ihr dabei über die Schulter geschaut. Und das ist typisch für den Schreibstil von Teresa Simon. Sie recherchiert sehr genau und lässt ihre Erkenntnisse dann in das Buch einfließen. Katharina hat ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter und kennt ihre weiblichen Vorfahrinnen aus vielen Erzählungen. Doch manches blieb dabei unausgesprochen. Es gibt Tabuthemen, die sich über Generationen weiterverbreitet haben. Doch erst als ein mysteriöser Kunsthändler aus London auf der Bildfläche erscheint, und der überraschten Katharina die Tagebücher ihrer Urgroßmutter Fanny übergibt, setzt sie sich intensiver mit der Geschichte ihrer Familie auseinander. Und das ist weitestgehend eine Geschichte der Frauen.

Anhand der Tagebücher reisen wir mit Katharina zurück in die Jahre zwischen 1918 und 1936, eine Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche und politischen Unruhen. Beginnend mit den Entbehrungen des Ersten Weltkrieges begleiten wir Urgroßmutter Fanny auf ihrem Weg aus der bayrischen Provinz nach München und erfahren viel über die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der damaligen Zeit. Auch hier überzeugt Simon mit dem Detailreichtum und ihren historischen Kenntnissen. Ausgestorbene Berufe tauchen auf, aber auch Persönlichkeiten aus der damaligen politischen und kulturellen Welt. Das beinhaltet dann natürlich auch die faschistischen Umtriebe. Und so ist manches Erlebnis eine schwere Kost. Auch wenn die Geschichte eine wichtige Rolle spielt, im Mittelpunkt steht immer die Protagonistin Fanny, der ihre Zwillingsschwester Fritzi nach München folgt. Das Verhältnis der Schwestern ist problematisch. Während die eine in einem jüdischen Haushalt in Stellung geht und auch viele Künstler wie etwa Paul Klee kennenlernt, wird die andere vom aufstrebenden Nationalsozialismus geblendet. Warum das Buch „Die Holunderschwestern“ heißt, möchte ich hier nicht verraten.

Teresa Simon hat in dieses Buch auch die Geschichte ihrer eigenen Familie und eigene Erlebnisse mit einfließen lassen. Das macht das ganze sehr lebendig. Allerdings bleiben am Ende doch auch einige Fragen offen. Das ist mutig von der Autorin und logisch nachvollziehbar, da sich die Geschichte nun einmal aus Tagebucheinträgen speist, für mich als Leserin aber dennoch leicht unbefriedigend. Zudem überzeugt mich der Handlungsstrang in der Gegenwart nicht ganz so wie der in der Vergangenheit.

Dennoch spreche ich eine eindeutige Leseempfehlung aus. So wie Simon schreibt, wird Geschichte lebendig.

Ach ja, abgerundet wird das Buch durch eine kleine Sammlung alter bayrischer Rezepte. Sehr verführerisch!

Bewertung vom 12.07.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Zwischen Kinshasa und London - zwei Frauenleben, miteinander verwoben wie "cornbraids"

- Großartiger Debütroman über Frauenleben und Identität vor dem Hintergrund kultureller Identität und patriarchaler Strukturen -

Unglaublich, welche Themenvielfalt Christina Fonthes in ihr Erstlingswerk gepackt hat! Wo soll ich da beginnen?

Zunächst einmal geht es um zwei kongolesisch-stämmige Frauen, die miteinander verwandt sind und gemeinsam in einer kleinen schäbigen Wohnung in London leben. Bijoux ist jung und hat ein lesbisches Coming out, ihre Tante Mira ist Mitglied einer protestantischen Sekte und richtet ihr Leben an der dort verkündeten patriarchalen Interpretation der Bibel aus. Homosexualität ist für sie aber nicht nur des Teufels , sondern zudem unafrikanisch.

Erst nach und nach erfahren wir, warum Bijoux überhaupt bei Tante Mira wohnt. Dazu verwebt Fonthes sehr eindrücklich die Lebensgeschichte von Mira, beginnend 1974 mit der von Bijoux. Die zahlreichen Rückblenden erfordern die volle Aufmerksamkeit der Lesenden. Und durch sie erfahren wir sehr viel über die kongolesische Geschichte. Immerhin ist die Demokratische Republik Kongo das zweitgrößte Land Afrikas, gemessen das der Bevölkerung das viergrößte. Allein in der Hauptstadt Kinshasa leben mehr als 16 Millionen Menschen.

Doch auch wenn die Geschichte des Landes und die politische Situation im Laufe der Jahrzehnte immer wieder eine Rolle spielt, geht es in „Wohin du auch gehst“ vor allem um Indentität. Wir begleiten Mira, einst ein wilder und aufmüpfiger Teenager auf ihrem oft schmerzvollen Weg von Kinshasa über Brüssel und Paris nach London. Und wir erleben, wie Bijoux sich erste eine eigene Identität erkämpfen muss. Obwohl das Buch viele schmerzhafte Themen berührt, und eindrücklich beschreibt, wie Ausgrenzung und patriarchale Strukturen, familiäre und politische Machtinteressen, Religion und Moralvorstellungen ineinandergreifen, ist es eine wahnsinnig spannende Lektüre.

Fonthes beweist eindrücklich, dass sie komplexe Geschichten erzählen kann, geschickt ineinander verwoben wie die einzelnen Strähnen der cornrows afrikanischer Frauen. Die deutsche Übersetzung stammt von Michaela Grabinger, die u.a. Elif Shafak übersetzt. Bereichert wird das Buch zudem durch die Verwendung eines Glossars, in dem die auftauchenden Begriffe aus der kongolesischen Sprache Lingala erläutert werden.

Ich vergebe eine eindeutige Leseempfehlung und fünf Sterne.

Bewertung vom 15.06.2025
Keweritsch, Katja

Alice und das Blau des Wassers


ausgezeichnet

Ein Wechseljahr auf Guernsey

Katja Keweritsch schreibt wundervolle Bücher über Frauen in Umbruchsituationen. In ihrem dritten Roman geht es um Alice, die ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag damit konfrontiert wird, dass ihr Mann eine neue - jüngere - Frau hat, und die ist auch noch schwanger. Alice ist 49, die Kinder sind erwachsen und sie selbst kämpft mit den körperlichen Veränderungen der Wechseljahre. Bislang hat sie im Betrieb des Ehemannes mitgearbeitet, hat die Care-Arbeit übernommen und steht nun gefühlt vor dem Nichts.

Die Autorin lässt ihrer Heldin Zeit, diesen Umbruch zu verarbeiten. Sie beschreibt eindrücklich die Leere, die nach solch einem Schock zunächst entsteht. Doch dann beginnt eine zaghafte, sanfte Entwicklung. Alice Tochter arrangiert einen Haustausch, und wir tauchen mit Alice ein in die wundervolle Welt der Kanalinsel Guernsey. Geradezu wohltuend sind die Landschaftsbeschreibungen, die nun die Handlung ergänzen.

Keweritsch erzählt von Frauen auf dem Weg zu sich selbst. Was mir an diesem Buch besonders gefallen hat, ist dass Alice dabei viele Unterstützerinnen findet. Während oft die Konkurrenz zwischen Frauen thematisiert wird, steht hier die Solidarität von Frauen im Mittelpunkt. Sie unterstützen Alice auf vielfältige Weise dabei, sich mit ihrer Situation, ihrem sich verändernden Körper, aber auch mit der gesellschaftlichen Rolle von Frauen in den Wechseljahren auseinanderzusetzen. Das ist für mich ein deutlicher Unterschied zu "Agnes geht", denn Agnes hatte zwar auch Begegnungen, ging ihren Weg aber alleine. Auch Alice hat aber eine aktive Form der Reflektion: sie schwimmt, und auf Guernsey tut sie das im Meer.

Besonders gefallen hat mir wieder die schöne Sprache, das einfühlsame Erzählen, welches so typisch ist für die Bücher von Katja Keweritsch.

Fazit: ein Buch für alle, die keine Superfrau erwarten, die von jetzt auf gleich ihr Leben umkrempelt, sondern die sich auf einen Veränderungsprozess einlassen. Ich vergebe fünf von fünf Sternen ⭐⭐⭐⭐⭐

Bewertung vom 15.06.2025
Kemp, Kate

Lauter kleine Lügen


ausgezeichnet

Ein Blick hinter die Fassaden einer Vorstadt

Kate Kemps Debütroman „Lauter kleine Lügen“ beginnt mit einem spektakulären Mordfall. Ein Krimi also? Keineswegs, oder eben nicht ausschließlich. Die reine Krimihandlung ist eher unspektakulär und die Aufklärung des Falles steht nur scheinbar im Mittelpunkt des Buches. Vielmehr blicken wir hinter die Hecken der Vorgärten und die Fassaden der Einfamilienhäuser in einer beschaulichen Vorstadt Canberras. Wir schreiben das Jahr 1979 und über der kleinen Siedlung, die in einer Sackgasse liegt, drückt die Hitze des australischen Sommers. Hier leben ganz gewöhnliche Menschen – doch was bedeutete das in der damaligen Zeit? Es gilt das weiße, christlich geprägte, patriarchale, heterosexuelle Normativ. Ungeachtet der Tatsache, dass die Menschen diesem auch damals schon nicht entsprochen haben. Kemp spricht viele Themen an, Rassismus, Sexismus, Ausgrenzung und Mobbing, Vorurteile und Lügen. Und trotzdem ist „Lauter kleine Lügen“ keine schwere Lektüre. Im Gegenteil, ich habe mich durch den lebendigen Schreibstil und die gelungene Darstellung der Atmosphäre der kleinen Straße großartig unterhalten gefühlt. Kemp beschreibt, ohne den Zeigefinger zu erheben. Und so tauchen wir ein in diese Welt mit all ihren Gerüchten und Geheimnissen, lernen die Bewohner kennen und erleben hautnah, wie es sich damals angefühlt hat. Wir betrachten vieles durch die Augen der 12jährigen Tammy, erleben die unterschiedlichen Frauenbilder, machen uns Gedanken über hetero- und homosexuelle Geschlechterrollen, erleben Multiethnizität, Unzufriedenheit und unerfüllte Wünsche, erlittene Traumata und befreiende Entwicklungen. Man merkt dem Buch an, dass Kate Kemp systemische Psychotherapeutin ist. Und das ist alles andere als ein Manko. Denn meine Antwort auf die Frage, worum es in diesem Roman geht, lautet: Es geht um Identität. „Lauter kleine Lügen“ ist ein großartiges feministisches Buch, ein Sittengemälde der Endsiebzigerjahre des 20.Jahrhunderts, ein Spannungsroman und ja, irgendwie auch ein Krimi. Ich spreche voller Überzeugung meine uneingeschränkte Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 04.05.2025
Archan, Isabella

Die Schlange von Sirmione


sehr gut

Mördersuche im Sabatical

Zunächst einmal ist da das Cover. Ich mag das Design mit dem schönen einladenden Titelbild und den abgerundeten Ecken. Ein richtig schönes Taschenbuch, perfekt für den Urlaub.

Eine Hauptrolle in dem Büchlein spielt der Gardasee. Gerade die wunderbaren Landschaftsbeschreibungen sind es, die die Lektüre zu einem zauberhaften Genuss machen. Also Achtung: „Die Schlange von Sirmione“ verführt zum Koffer packen und hinfahren.

Edwina Teufel, eine österreichische Kriminalinspektorin, die sich am Gardasee zur Genesung befindet, ist eine nicht ganz einfache Heldin. Sie ist keine, der die Herzen zufliegen. Im Cosy Crime ermittelt gemeinhin eine Privatperson. Eigentlich ein Stilmerkmal des Genres. In Edwinas Fall wird es dadurch verkompliziert, dass sie zwar vor Ort eine Privatperson ist, selbst aber immer wieder in einen Fall einmischt und dabei ihre berufliche Rolle betont. Das macht es aus meiner Sicht so schwierig, sich mit ihr anzufreunden. Sie wirkt oft besserwisserisch, arrogant und selbstsüchtig. Doch im Laufe des Buches erklärt sich dieses Verhalten. Man muss nur dranbleiben.

Der Stil ist typisch für Isabella Archan, voller Temperament und Humor. Wie bei der Autorin üblich bestechen auch hier ihre bunte Erzählweise, die Bildhaftigkeit ihrer Sprache und der erkennbare Background als Schauspielerin. Mit Sprache kann Isabella Archan umgehen! Der Kriminalfall wird schlüssig aufgelöst.

Fazit: Ein netter Cosy Crime für den Urlaub, mit viel italienischem Flair, frech und typisch Isabella Archan.

Bewertung vom 08.04.2025
Frank, Rebekka

Stromlinien


ausgezeichnet

Faszinierender Mehrgenerationenroman aus der Elbmarsch

Die Elbe ist en vogue. Waren mir zunächst vor allem die Krimis von Romy Fölck bekannt, die in der Elbmarsch angesiedelt sind, lies mich Katja Kewerisch in ihrem Roman „Agens geht“ einen anderen Blick auf die Elbe gewinnen. Jüngst begeisterte mich die Flusslinien von Katharina Hagena und nun also sind es die Stromlinien von Rebekka Frank. Was ist da los an der Elbe? Wieso animiert sie nun endlich dazu, in der Literatur wahrgenommen zu werden? Vielleicht liegt es daran, dass dieser unspektakuläre Fluss bedroht ist. Frank beschreibt, wie übrigens auch Hagena, die dramatischen Auswirkungen der Elbvertiefung auf Flora und Fauna. Das ist übrigens nicht die einzige Parallele zwischen diesen beiden großartigen Romanen, die sich sogar im Titel ähneln. Die Elbe ist dort in der Elbmarsch kein romantischer Flusslauf; sie ist eine gefährliche Autobahn für vollkommen überdimensionierte Containerschiffe. Und doch, sie ist ein berührend verletzlicher Fluss, Lebensraum bedrohter Arten und offenbar zunehmend Inspiration für Autorinnen.

Ich komme nicht umhin, Hagenas Flusslinien und Franks Stromlinien immer wieder zu vergleichen. Beide Romane sind generationsübergreifend. Es geht um Familienbindungen, um Frauenleben, um Feminismus. Sehr gut gefällt mir, dass in beiden Romanen auch junge Frauen eine Rolle spielen. Beide Bücher sind gesellschaftskritisch, politisch, feministisch, ohne dabei die große Moralkeule zu schwingen. Gerade Frank zeigt auf, dass auch Irrungen und Wirrungen zum Leben gehören. Eine ihrer Protagonistinnen war 38 Jahre lang in Haft. Alea, die Mutter der Zwillinge Enna und Jule. Wir erfahren lange nicht, wie es dazu gekommen ist. Flusslinien ist eben kein Kriminalroman, auch wenn das Motiv der Schuld, moralisch und juristisch, eine große Rolle spielt. Frank gelingt der große Wurf, eine komplexe Geschichte über mehrere Generationen zu spinnen, beginnend 1923 und endend im hier und jetzt. Sie weckt Emotionen, rührt ihre Leserschaft zutiefst an, und lässt doch genug Freiraum für eine eigene Bewertung.

Ich möchte direkt sagen, dass ich durch Stromlinien großartig unterhalten wurde. Die Protagonistinnen wurden stimmig beschrieben, die Handlungsstränge genial verbunden und aufgelöst. Der Schreibstil hat mir gut gefallen, auch wenn Frank dabei aus meiner Sicht hinter Hagena minimal zurückbleibt. Dafür ist das Cover für mich jetzt schon ein Highlight des Jahres. Optisch und haptisch passt dieses Cover so wunderbar zum Buch, dass es mich richtig glücklich macht.

Voller Überzeugung vergebe ich auch hier fünf Sterne und spreche eine unbedingte Leseempfehlung aus!