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Magda
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Köln

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Insgesamt 320 Bewertungen
Bewertung vom 23.11.2025
Huhs, Antje

Zuhause ist vorübergehend geschlossen


ausgezeichnet

Aufgrund von Personalmangel und Streik der Pflegefachkräfte werden im Landkreis Parchenau die Heime geschlossen, die betagten und teils pflegebedürftigen Bewohner müssen von ihren Angehörigen abgeholt werden oder werden an Privathaushalte verteilt. Margrit ist für die Verteilung der Heimbewohner zuständig. Die Empörung in der Bevölkerung ist groß, kaum jemand ist bereit, eine fremde Person auf unbestimmte Zeit bei sich zu beherbergen.
Als Milosz möchte seinen Vater abholen möchte, muss er feststellen, dass dieser bereits abgeholt wurde. Er bittet seine frühere Schulkameradin Margrit, ihm bei der Suche nach seinem Vater zu helfen.
Herr Jankowski wurde dem Haushalt von Annett und Stefan zugeteilt. Kurzerhand beschließt Annett, den 93jährigen im Zimmer ihres 15jährigen Sohnes Bela unterzubringen. Bela ist nicht begeistert, während seine 8jährige Schwester Levke gern Zeit mit dem neuen Mitbewohner verbringt „Stell dir mal vor, du bist alt und niemand will dich haben.“
Nachdem Herr Jankowski sich bei Levke als Peter vorstellt, er aber laut der Akten Ivo heißt, überlegt Annett, ob der alte Herr dement ist oder nicht der, der er vorgibt zu sein.
Lennart, 25, ist Pflegefachkraft. Er lebt in einer WG und ist in seine Mitbewohnerin Nuca verliebt. Das Fernsehen lädt ihn zu einer Talkshow ein, in der er mit einigen Experten, darunter der Gesundheitsministerin, über die Situation in der Pflege sprechen soll. Nach der Talkshow steigen seine Followerzahlen auf Instagram in astronomische Höhen.
Ich habe das Buch sehr gern gelesen, das Thema Pflegenotstand ist brandaktuell. Als wir vor einiger Zeit der Stadt die Wohnfläche unserer Immobilie angeben mussten, haben wir überlegt, was der Sinn dieser Befragung ist, ob wir Geflüchtete zugeteilt bekommen, wenn wir genug Platz haben? Insofern kommt mir das Szenario in dem Buch nicht ganz abwegig vor. Der Schreibstil ist bildhaft und dialogreich, mit interessanten Einblicken in das Leben einer deutschen Durchschnittsfamilie, einer WG und einer alleinstehenden Verwaltungsangestellten. Das Buch endet an Weihnachten und ist auch deswegen bestens als Lektüre für den Advent geeignet.

Bewertung vom 23.11.2025
Stern, Anne

Der Preis der Freiheit / Fräulein Gold Bd.8


ausgezeichnet

Anne Stern zählt zu meinen Lieblingsautorinnen, ihre historischen Romane versetzen mich in vergangene Zeiten und erinnern stets daran, dass sich die Geschichte wiederholt und die Menschen nicht aus der Vergangenheit lernen…
Das Buch habe ich größtenteils gehört, wunderbar eingelesen von Anna Thalbach - ich liebe es besonders, wie sie die Männerstimmen spricht.

1932: Hulda wird Hebamme im Gefängnis Barnimstraße. Die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte hochschwangere Anna Marwitz ist ihr sehr sympathisch. Als eine Gefangene ermordet wird, fällt der Verdacht auf Anna und Kommissarin Irma Siegel ermittelt. Dabei rollt sie auch Annas Fall neu auf.

Die Stimmung im Land ist schlecht, hohe Arbeitslosenzahlen, hohe Inflation, wachsender Antisemitismus, mit dem auch Hulda und ihre Familie konfrontiert werden. Die NSDAP triumphiert bei den Reichstagswahlen, während die anderen Parteien zerstritten sind.

Huldas Mann bekommt ein Stellenangebot an der Universität Göteborg, ihr Vater denkt über eine Ausreise nach Palästina nach. Doch Hulda hängt an Schöneberg und ihrer Arbeit als Hebamme und vor allem will sie ihre Tochter Meta, die gerade erst eingeschult wurde, nicht entwurzeln.

Jedes Jahr im November fiebere ich dem neuen Fräulein Gold-Band und dem Wiedersehen mit Hulda und ihrer Familie und Freunden entgegen. Ich habe sie alle ins Herz geschlossen: Huldas beste Freundin Jette, den Kioskverkäufer Bert und seinen Freund Arnold, Huldas ehemalige Vermieterin Margret Wunderlich und natürlich die kleine Meta und ihren Großvater Benjamin.

Ich bin froh, dass die Reihe weiter geht und Band 9 im November 2026 erscheint, was ich aus der am Ende angehängten Leseprobe schließe.

Sehr gerne empfehle ich die Reihe weiter, lasst euch nicht davon abschrecken, dass es schon acht Bände gibt, ich bin erst in Band 4 eingestiegen und habe mich sehr schnell in Schöneberg am Winterfeldtplatz zurechtgefunden.

Bewertung vom 20.11.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


ausgezeichnet

Ein großartiger Familien- und Frauenroman! Die Handlung spielt auf mehreren Zeitebenen und erzählt die Geschichte von Annemie, Mona, Freya und Janne im Zeitraum zwischen 1965 und 2024.
Annemie ist Monas Großmutter und Jannes Schwiegermutter. Mit ihrem Mann Karl hat sie drei Kinder großgezogen: Sabine, Stefan und Sven. Sabine ist elf Jahre älter als ihre Brüder. Direkt nach dem Abitur hat sie ihr Elternhaus in der Marsch verlassen, um ins Ausland zu gehen. Ihre Tochter Mona lebt in Hamburg, Sabine war ihre Karriere immer wichtiger als ihr Kind, weswegen die beiden ein kühles und distanziertes Verhältnis haben.
Sven ist erfolgreicher Geschäftsmann mit wechselnden Freundinnen, während Stefan mit Janne verheiratet und Vater von zwei kleinen Kindern ist, das dritte ist unterwegs. Janne schmeißt den Haushalt und kümmert sich um die Kinder, während sich Stefan tagsüber auf seinen Beruf und abends auf seine Tätigkeit bei der freiwilligen Feuerwehr konzentriert.
Als Mona ihre Großeltern in ihrem Haus in der Marsch besucht, findet sie nur ihren Großvater Karl vor, ihre Großmutter Annemie ist verschwunden. Nachdem sie nach einer großangelegten Suche nicht gefunden wird, scheinen sich alle damit abzufinden, Karls demnächst anstehender 80. Geburtstag soll wie geplant gefeiert werden.
Mona findet in Annemies Handtasche ein Babyfoto, das weder Sabine noch einen ihrer Brüder zeigt. Als sie Karl auf das Foto anspricht, wimmelt dieser sie ab.
Dann gibt es da noch Freya, die ich lange nicht einordnen konnte. Sie hat zwar einen Bezug zur Marsch, aber scheinbar keinen zu Karls und Annemies Familie.
Annemies Erlebnis in ihrer frühen Jugend hat mich sehr berührt. Sie wurde mit Karl, dem reichen Bauern und künftigen Bürgermeister verheiratet, die beiden haben drei Kinder großgezogen, doch ihr Herz war gebrochen, sie konnte ihren Kindern keine Liebe schenken. Sie hat sechzig Jahre lang gewartet, um ein Geheimnis aus ihrer Jugend aufzudecken – nur um zeitgleich zu der Erkenntnis zu gelangen, dass auch Karl sein Leben lang ein schwerwiegendes Geheimnis vor ihr verborgen hatte.
Es hat mich erschüttert zu lesen, wie Karl und Annemie das Schweigen und ihre unverarbeiteten Traumata an ihre Kinder und Enkel vererbt haben.
Interessant fand ich Jannes Leben als Tradwife, ein Trend, der seit einiger Zeit durch die Sozialen Medien geht. Sie geht einerseits in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter auf und versucht sich als Mom-Influencerin, steht andererseits aber am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Ich habe Das Flüstern der Marsch sehr gern gelesen, das Buch bietet viel Diskussionspotential. Nicht unerwähnt lassen möchte ich noch die poetischen Beschreibungen der Marsch, die für die Protagonistinnen über Jahrzehnte hinweg eine Zuflucht dargestellt hatte, die sie mit ihren Problemen und Geheimnissen wie eine liebevolle Mutter aufgenommen hat.
Sehr gerne vergebe ich fünf Sterne und spreche eine Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 17.11.2025
Kaiser, Vea

Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels


ausgezeichnet

Das Buch habe ich vor meiner Reise nach Wien angefangen. Ich muss zugeben, dass sich die ersten hundert Seiten gezogen haben, doch ich bin froh, dass ich durchgehalten habe, denn nach dem holprigen Anfang wurde ich bestens unterhalten.
Vea Kaiser erzählt die Geschichte der Angelika Moser, die als Buchhalterin des Grand Hotel Frohner 3,3 Millionen Euro unterschlagen hat.
Angelika stammt aus einfachen Verhältnissen, ihre Mutter ist Hausmeisterin in einem Gemeindebau. Jedes Jahr schauen sich Mutter und Tochter die Eröffnung des Opernballs im Fernsehen an, niemals wäre Erna Moser auf die Idee gekommen, dass ihr Enkel eines Tages zu den Debütanten gehören wird, die den Opernball eröffnen.
Angelika tritt ihre erste Stelle als Buchhalterin im Hotel Frohner an. Nach einem delikaten Vorfall hat sie beim Direktor einen Stein im Brett, er schließt sie ins Herz und beauftragt sie damit, seine privaten Ausgaben über die Hotelbuchhaltung abzurechnen, dabei darf sie auch für sich etwas abzweigen.
Angelika wird Mutter eines Sohnes, ihr Freund Freddy ist ein „Filou“, wie der Wiener sagen würde. Er will sich nicht binden, und kümmert sich nur, wenn ihm gerade danach ist, um seinen Sohn Basti.
Angelikas Mutter Erna leidet an fortschreitender Demenz und kann auch nicht bei der Kinderbetreuung aushelfen. Angelika muss für die Betreuung ihrer Mutter und ihres Sohnes sorgen, und fängt an, fingierte Rechnungen zu erstellen, die der Direktor unterschreibt.
Als Basti in die Pubertät kommt, muss sie ihm finanziell mit zwanzig Tausend Euro aus der Patsche helfen.
Ich denke, dass jede Mutter für Angelika Verständnis hat, mir war sie sehr sympathisch. Ursprünglich wollte sie sich das Geld nur ausleihen, sie ist nur nicht dazu gekommen, es zurückzugeben. Ich konnte nachvollziehen, dass es für sie verlockend war, sich aus der Hotelkasse zu bedienen, zumal sie den Überblick über die persönlichen Ausgaben der Hotelierfamilie hatte. Allein für die Loge beim Opernball wurden mal eben sechzehn Tausend Euro ausgegeben und eine der zweiundzwanzig von den Frohners dort bestellten Flaschen Champagner kostete so viel wie Bastis Kinderbetreuung für einen Monat.
Beim Lesen habe ich mich oft köstlich amüsiert, am meisten über die Sprüche des alten Direktors, aber auch über seine Schwiegertochter Lizzy und Bastis Freundin Jenny, und last but not least über Angelikas Lebensabschnittsgefährten. Sehr unterhaltsam fand ich die Eskapaden der Gäste, Angestellten und der Hotelierfamilie.
Das Buch enthält viel Wien-Lokalkolorit, am Ende gibt es sogar ein kleines Wienerisch-Wörterbuch. Der Junior bewohnt eine Suite mit Blick auf den Stephansdom, in New York vermisst er das Kunsthistorische Museum und die Peterskirche. Erna Moser zündet in der Karlskirche eine Kerze an, Basti jobbt im Billa und einer von Angelikas Lebensgefährten ist Zuckerbäcker. Von mir eine große Leseempfehlung für diesen Wiener Leckerbissen, den ich mit viel Vergnügen verschlungen habe.

Bewertung vom 17.11.2025
Jeglitsch, Lisa

Dunkles Wien - Die Morde von Lainz


sehr gut

Der Debütroman und Auftakt der Reihe Dunkles Wien hat mir sehr gut gefallen, ich bin schon auf den zweiten Fall für Laura und Karl gespannt, der auf den letzten Seiten bereits angekündigt wird.
Im Lainzer Tiergarten wird die Leiche eines jungen Mannes gefunden, er wurde mit acht Messerstichen ermordet. Der Tathergang und der Tatort erinnern an den Mord an einer Hebamme Elisabeth einige Jahre zuvor. Den damaligen Mord hat Elisabeths Nachbar gestanden, er sitzt eine langjährige Gefängnisstrafe ab.
Kommissarin Laura Sturm lebt alleine mit ihrem Hund Bo, regelmäßig besucht sie ihren Vater, der seit seinem Schlaganfall in einem Pflegeheim lebt. Der Vater hat den Tod seiner Frau nie verkraftet, die bei einem Unfall mit Fahrerflucht umgekommen ist.
Karl Suchanek verehrt und bewundert Laura, sie ist viel mehr als eine Kollegin für ihn. Er liebt ihren Hund, kann sich aber nicht für ihre beste Freundin Anna begeistern, mit der Laura seit ihrer Kindheit eng befreundet ist.
Der Ermordete war der einzige Sohn eines Unternehmers und seiner Frau Viktoria, er lebte allein in einer mondänen Villa. Das Verhältnis zu den Eltern war eher kühl und distanziert, ihre Trauer nach dem Tod des einzigen Sohnes wirkt nicht echt.
Dann gibt es da noch den drogen- und alkoholkranken Lukas, der in einer heruntergekommenen Gemeindewohnung haust. Auch er hatte eine lieblose Kindheit und Eltern, die sich nicht für ihn interessiert haben.
Die Aufklärung der beiden Mordfälle mündet in einem spannenden Finale, bei dem die beiden Ermittler in Lebensgefahr geraten.
Ich habe den Wien-Krimi gern gelesen, mein einziger Kritikpunkt ist der fehlende Wien-Bezug. Der Krimi hätte in jeder Stadt spielen können, außer dem Lainzer Tiergarten wurden keine weiteren Wiener Orte erwähnt, und es wurde leider auch nicht Wienerisch gesprochen.
Das Ermittlerpaar fand ich sehr sympathisch, ich bin gespannt, ob aus den beiden ein Liebespaar wird und freue mich auf weitere Fälle für Sturm und Suchanek.

Bewertung vom 14.11.2025
Sotto Yambao, Samantha

Water Moon


ausgezeichnet

Mit diesem Buch habe ich einen Ausflug in das für mich fremde Genre Fantasy gemacht. Bei dem Cover und dem Umschlag, aus dem man ein Schiff basteln kann, konnte ich nicht widerstehen. Die Geschichte hat mir gut gefallen, auch wenn Fantasy weiterhin eine Ausnahme in meinem Leseverhalten bleiben wird.
Hana, 21, soll von ihrem Vater die Leitung eines besonderen Pfandhauses übernommen. In dem Pfandhaus werden unverwirklichte Träume gegen Seelenfrieden eingetauscht.
Der junge Wissenschaftler Keishin taucht versehentlich im Pfandhaus auf, das sich hinter der Tür eines Ramen-Restaurants verbirgt. Vom ersten Moment an fühlt er sich zu Hana hingezogen und bietet ihr an, sie bei der Suche nach ihrem Vater zu begleiten. Dafür verlassen die beiden Keishins Welt und tauchen in Hanas Welt ein.
Hanas Leben ist vorherbestimmt, es steht schon bei ihrer Geburt fest, wie es verlaufen wird, und mit wem sie es verbringen wird, der Origamikünstler Haruto soll ihr Ehemann werden. Hana ist ohne Mutter aufgewachsen, ihre Mutter hat eine Straftat begangen und wurde ins Exil verbannt.
Auch Keishins Mutter hat ihre Familie verlassen. Mit acht Jahren ist er mit seinem Vater nach Amerika ausgewandert. Er hofft, in Japan seine Mutter zu finden.
Die beiden gehen auf eine magische Reise, auf der Kei Hanas Welt kennenlernt. Er ist besonders von dem Museum fasziniert, in dem winzige Zeitfragmente ausgestellt sind, die den Lauf der Geschichte verändert haben. Diese sollen zeigen, was in einer Welt passieren kann, in der jeder seinen eigenen Weg wählen darf. „Wir sollen daran erinnert werden, was das Schlimmste an freien Entscheidungen ist. Und das wäre? Später damit leben zu müssen.“ (S. 179)
Hier zwei Beispiele für Zeitfragmente aus dem Museum, die die Geschichte verändert haben: Georg Elser hat ein tödliches Attentat auf Hitler geplant und eine Bombe in einer Brauerei platziert, in der Hitler eine Rede halten sollte. Dieser war früher mit der Rede fertig und hat das Gebäude verlassen. Als die Bombe dreizehn Minuten später explodiert ist, hat sie acht Menschen getötet und zweiundsechzig verletzt.
Im August 1945 sollte eine Bombe über Kokura abgeworfen werden. Wegen der dichten Wolkendecke über der Stadt beschloss die Flugzeugbesatzung, die Bombe stattdessen über Nagasaki abzuwerfen.

Sehr gut gefallen hat mir die Liebesgeschichte zwischen Hana und Keishin, die Suche nach Hanas Vater war spannend, die Shikuin angsteinflößend. Es werden philosophische Gespräche über die Zeit und unsere Entscheidungen geführt, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Die magischen Kreaturen, die Hana und Kei auf ihrer Reise begegnet sind, haben mich an Die unendliche Geschichte erinnert, auch Water Moon bietet bestes Filmmaterial. Lest dieses Buch und begleitet Hana und Kei auf ihrer magischen Reise!

Bewertung vom 12.11.2025
Borrmann, Mechtild

Lebensbande


ausgezeichnet

Mechthild Borrmann zählt zu meinen Lieblingsautorinnen, ich habe mich schon sehr auf ihr neues Buch gefreut, und sie hat es wieder geschafft, mich zu begeistern.
Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen: 1993 und 1931-1953.
1993 in einem Ort bei Rostock: Eine ältere Frau, die ein kleines Häuschen an der Ostsee in der ehemaligen DDR bewohnt, bekommt ein Schreiben von der Rentenversicherung, in dem sie aufgefordert wird, ihre Versicherungszeiten bis 1953 nachzuweisen. Kurze Zeit später erhält sie einen Brief aus Hamburg, in dem ein Mann behauptet, ihr Neffe zu sein. Beide Schreiben wühlen sie auf, sie wird von Erinnerungen an den Krieg und die Zeit danach überwältigt und beschließt, diese aufzuschreiben.
1931 am Niederrhein: Lene, 17, lernt bei einer Tanzveranstaltung den Holländer Joop kennen. Lenes Eltern betreiben einen Bauernhof und wollen ihre Tochter mit einem Bauern verheiraten. Joop arbeitet in einer Fabrik, wo er mehr als in seinem Beruf als Schreiner verdient. Die beiden treffen sich heimlich. Als Lenes Eltern von den Stelldicheins erfahren, schicken sie Lene nach Ratingen, wo sie eine Stelle als Dienstmädchen antritt.
Als Lene nichts mehr von Joop hört, geht sie auf die Avancen von Franz ein und wird schwanger. Lene und Franz heiraten und werden Eltern des kleinen Leo. Irgendwann fällt auf, dass sich ihr Sohn nicht altersgemäß entwickelt, er stottert und ist feinmotorisch ungeschickt. Lene wird aufgefordert, Leo in ein Heim zu bringen.
Nora ist Krankenschwester in dem Heim, in dem Leo untergebracht ist. Sie kümmert sich um den kleinen Jungen an, der ihr bald ans Herz wächst. Als sie merkt, was mit den entwicklungsverzögerten Kindern geschieht, wendet sie sich an den Heimleiter. Daraufhin wird sie ins Militärkrankenhaus nach Danzig versetzt. Doch bevor sie geht, will sie Leo retten.
Lotte lernt Nora im Zug nach Danzig kennen. Sie hat sich freiwillig gemeldet, um als Schreibkraft an der Kommandantur in Danzig zu arbeiten. Die beiden freunden sich an und flüchten 1945 vor der Roten Armee. Sie werden gefangen genommen, gequält, missbraucht und in ein Arbeitslager nach Russland verschleppt, nur eine von ihnen überlebt die Torturen.
Es werden sehr viele Themen behandelt: Die Ausrottung „lebensunwerten Lebens“ im Nationalsozialismus, die Vertreibung aus Pommern, die Massenvergewaltigungen und vor allem die „lebenden Reparationen“ –GULag-Lager, in denen deutsche Kriegsgefangene und Zivilisten in der russischen Tundra noch Jahre nach Kriegsende unter unmenschlichen Bedingungen schuften mussten. Neben Noras und Lottes Schicksal hat mich Lenes und Joops Liebesgeschichte sehr berührt.

Mechthild Borrmann schreibt emotional und bewegend, ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und habe es an zwei Tagen verschlungen. Ich vergebe fünf Sterne und spreche eine große Leseempfehlung aus, vor allem für Leser*innen von historischen Romanen.

Bewertung vom 10.11.2025
Faulkner, Jennifer;Faulkner, Rosemary

Glücksorte in Wien


ausgezeichnet

Laut Umfragen ist Wien die lebenswerteste Stadt der Welt, es wurde also höchste Zeit, nach über zwanzig Jahren wieder hinzureisen.
Die beiden Faulkner-Schwestern haben 80 Glücksorte ausgewählt, die sie uns vorstellen.
Mein Highlight Nr. 1 war das Kunsthistorische Museum. Es zählt zu den bedeutendsten Museen der Welt und wurde 1891 eröffnet. Kostbare Materialien und die besten Künstler der damaligen Zeit prägten die Gestaltung, Bilder von Gustav Klimt hängen im Treppenhaus, das zum Herzstück des Museums, der imposanten Kuppelhalle führt.
Die Kunstkammer enthält über 2.000 Kunstwerke: Goldschmiedearbeiten, Steingefäße, Skulpturen, Elfenbeinarbeiten, Bronzestatuetten und andere.
Ein Highlight für jede*n Bookie ist das Café Phil – Buchhandlung mit Café. In den voll beladenen Bücherregalen findet sich eine große Auswahl an Büchern, die meisten stammen von Independent-Verlagen. Dort haben wir gefrühstückt und natürlich was gekauft.
Ein weiteres Highlight war für mich das Schloss Schönbrunn mit seinen prachtvollen Räumen, den Schlossgärten mit Irrgarten und Zoo und der Fahrt mit der Panoramabahn auf die Gloriette mit einem einzigartigen Blick über Wien.
Sehr gut gefallen hat mir der Volksgarten mit seinen Rosenpatenschaften. Er umfasst 3000 Rosensträucher. Um Rosenpate zu werden, entrichtet man einen Kostenbeitrag für die Pflege eines Rosestocks, der mit einem Schild mit persönlicher Widmung versehen wird.
Von den vielen Kaffeehäusern, in denen wir Apfelstrudel, Kaiserschmarrn oder Sachertorte gegessen haben, hat es mir im Café Demel, Am Kohlmarkt 14, am besten gefallen. Dort hätte ich den ganzen Tag verbringen können.
Von den Kirchen hat mich die Karlskirche am Karlsplatz sehr beeindruckt, eine der bedeutendsten barocken Kirchen nördlich der Alpen.
Wien ist eine Reise wert, fahrt hin und genießt!

Bewertung vom 05.11.2025
Tidhar, Lavie

Adama


sehr gut

Adama bedeutet auf Hebräisch Land, kein Adama ohne dam, und dam bedeutet Blut.
Die Geschichte von Ruth und ihrer Familie beginnt im Jahr 1945. Ruth hat als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt, die ungarische Zionistin möchte sich im Kibbuz Trashim in Palästina ein neues Leben aufbauen. Sie ist knallhart und geht über Leichen, um ihre Ziele zu erreichen. „Sie hatte etwas Kaltes, Grausames in sich. Einmal hatte sie einen Jungen verprügelt, weil er Shosh geärgert hatte. Sie hatte ihn so lange mit einem Stein geschlagen, bis er fast gestorben wäre. Aug um Aug, Zahn um Zahn, hatte sie immer gesagt. Das stand im zweiten Buch Mose.“
Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern springt von einem Jahrzehnt ins nächste. Zu Beginn lernen wir Ruths Enkel Lior kennen, der in Tel Aviv lebt. Er kehrt ins Kibbuz zurück, um an der Beerdigung seines besten Freundes Danny teilzunehmen. Danny soll sich das Leben genommen haben, doch Lior ist davon überzeugt, dass er ermordet wurde. Er erinnert sich wehmütig an die gemeinsame Kindheit im Kinderhaus des Kibbuz. Viel lieber als im Kinderhaus hätte er mit seinen Eltern zusammengelebt, er hat die Nähe zu ihnen schmerzlich vermisst.
Ruths Schwester Shosh war nach dem Krieg eine Displaced Person „eine Vertriebene ohne Zuhause, in das sie zurückkehren, und auch ohne einen anderen Ort, an den sie gehen konnte.“
Aufgrund der vielen Charaktere und der Zeitsprünge war es nicht leicht, den Überblick zu behalten, wer mit wem verwandt und wer in wen verliebt ist. Ein Personenverzeichnis oder ein Stammbaum der beiden Schwestern wäre sehr hilfreich gewesen.
Wir erhalten einen Einblick in die Geschichte des Staates Israels von der Gründung im Jahr 1948 bis heute und das Leben in der Gemeinschaft in einem Kibbuz. Der Titel, der das Wort Blut enthält, passt sehr gut, da in dem Thriller viel Blut fließt, für meinen Geschmack sogar zu viel. Shoshs Kinder und Enkel, die nach Amerika ausgewandert sind, waren mir sympathischer als Ruths Nachkommen, die genau wie sie für Adama über Leichen gegangen sind.
Ich hätte mir mehr Empathie und Liebe für Ruth und ihre Familie gewünscht. Die Handlung war spannend, doch die Charaktere blieben mir fern. Für mich war es viel mehr ein Thriller als ein Familienroman.

Bewertung vom 04.11.2025
Sandmann, Elisabeth

Wir dachten, das Leben kommt noch


sehr gut

Das Buch wollte ich unbedingt lesen, nachdem ich „Porträt auf grüner Wandfarbe“ sehr gemocht habe. Darin begibt sich die Journalistin Gwen Farleigh im Jahr 1992 auf die Spuren ihrer Großeltern nach Polen. Jakob von Stein, ihr jüdisch stämmiger Großvater, besaß ein Gut in Pommern. Er ist kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Palästina ausgewandert, während seine zweite Frau Ilsabé von Isolani in England geblieben ist.
Auch in Elisabeth Sandmanns neuem Buch stehen Gwen und Ilsabé im Mittelpunkt der Handlung, die sich auf zwei Zeitebenen abspielt: 1998 und während des Zweiten Weltkriegs.
Gwen ist alleinerziehende Mutter der sechsjährigen Ruth. Sie arbeitet in London für die BBC, für die sie die Sendung Woman’s Hour moderiert, in der vergessene und/oder unbekannte Frauen vorgestellt werden, die Ungewöhnliches geleistet haben. Für ihr nächstes Projekt möchte Gwen Engländerinnen vorstellen, die im Zweiten Weltkrieg als Agentinnen für die Special Operations Executive in Frankreich tätig waren.
Die 39 Frauen und 431 Männer mussten akzentfrei und fließend Französisch sprechen. Die Ausbildung beinhaltete Fallschirmspringen, Nahkampf, Techniken der deutschen Spionageabwehr, Grundlagen des Morsecodes und die Bedienung eines Funkgeräts. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Funkers bzw. einer Funkerin auf feindlichem Gebiet betrug sechs Wochen.
Die Kapitel spielen abwechselnd in Paris im Jahre 1998 und 1941/42, als Pat Conway als SOE-Agentin unter dem Decknamen Emma Fleury im besetzten Paris lebt und arbeitet.
„In Frankreich war alles aufregend gewesen, ich fühlte mich wichtig und gebraucht, aber nach dem Krieg wollte niemand mehr etwas über uns wissen, und erzählen durften wir auch nichts. Dabei dachten wir, das Leben kommt noch.“ (S. 262)
Meine Freude war groß, als ich im Buch direkt am Anfang auf Gwen und Ilsabé gestoßen bin, die ich aus „Porträt auf grüner Wandfarbe“ kannte und ins Herz geschlossen habe. Doch leider reicht dieser Band nicht an den ersten heran. Pats bzw. Emmas Erlebnisse als Funkerin fand ich nicht so interessant wie Ilsabés Lebensgeschichte. Es gab einige Wiederholungen, so wurde zum Beispiel häufig darauf hingewiesen, wie schwer der Koffer mit dem Funkgerät war (15 kg), den Emma durch Paris schleppen musste. Ich hätte mich über genauere Beschreibungen der Schauplätze gefreut, die - bis auf die Nationalbibliothek, in der die Funkerinnen Nachrichten hinterlassen haben – nur beiläufig erwähnt werden. Eine Liebesgeschichte hätte die Handlung aufgelockert, Pat blieb jedoch bis ins hohe Alter allein und kinderlos. Der Schreibstil ist flüssig und dialogreich, für den Inhalt vergebe ich 3,5 Sterne.