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luisa_loves_literature
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NRW

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Insgesamt 124 Bewertungen
Bewertung vom 04.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


sehr gut

Der Satz „Wohin du auch gehst“ zieht sich wie ein Motto durch das Debut von Christina Fonthes, einen Roman, der sich auf mitreißende und bewegende Weise zwischen den großen Themen Diaspora, Religiosität, Patriarchat und Queerness bewegt. Auf zwei Zeitebenen werden die eng miteinander verbundenen Schicksale von Mira und Bijoux geschildert. Beide stammen aus dem ehemaligen Zaire und müssen nun in Europa ihren Weg finden. In Miras Fall führt dieser nach einer Zeit der Rebellion zu einer übersteigerten Religiosität, die ihr Denken und Handeln umfassend beeinflusst und verheerende Auswirkungen auf den Lebensweg der bei ihr aufwachsende Bijoux hat.

Christina Fonthes ist ein eindrückliches, überzeugendes und nachhallendes Porträt der afrikanischen Diaspora gelungen. Tief verwurzelt in dem Wunsch, die afrikanischen Traditionen und Ansichten auch in Europa zu erhalten, erscheint die (Glaubens)-Gemeinschaft wie ein enges, fast dörfliches Geflecht, aus dem es für Bijoux kaum einen Ausweg gibt – obwohl sie in Großbritannien lebt. Die überkommenen patriarchalischen Perspektiven bilden einen engen Käfig, der die Erwartungen und das Verhalten prägt. Erst allmählich und durch fortgesetzte Versuche des Aufbegehrens können diese bewusst gemacht und aufgeweicht werden.

Die Schilderung dieses Prozesses gelingt Fonthes hervorragend. Durch zahlreiche Rückblicke auf Miras Leben wird die Hinwendung zu einer konservativen Lebenshaltung nachvollziehbar geschildert. Ebenso allmählich und überzeugend erscheint Bijoux‘ Abkehr von diesen Normen. Dabei muss man der Autorin unbedingt zugutehalten, dass sie zu keiner Zeit ihre Themen plakativ nach vorne treibt. Im Gegenteil – die großen Anliegen des Romans schwingen im Hintergrund mit, sind präsent und spürbar, werden aber nie als Message didaktisch aufbereitet. Dafür gebührt Fonthes ein ganz großes Lob, denn allzu leicht hätte der Text zum demonstrativen feministischen Traktat werden können, das die Schicksale seiner Frauenfiguren vergisst.

Stattdessen fiebert und leidet man mit den Protagonistinnen mit, wobei die Identifikation mit Bijoux aufgrund der Ich-Perspektive deutlich leichter fällt. Mira kommt man nicht so recht nah, doch die Distanz, die in ihren Teilen durch die Erzählperspektive begründet wird, ist erwünscht und überaus sinnvoll, denn sie reflektiert auch die Tatsache, dass Mira nicht in sich selbst ruht, sich selbst fremd ist.

Auch wenn ich mir dann und wann ein bisschen mehr literarische Tiefe gewünscht hätte, ist „Wohin du auch gehst“ ein überaus lesenswerter und empfehlenswerter Roman, der trotz einiger vorhersehbarer Sequenzen immer wieder überrascht und bis zum Ende überzeugt.

Bewertung vom 03.08.2025
Espach, Alison

Wedding People (deutsche Ausgabe) (eBook, ePUB)


sehr gut

Phoebes Mann hat sie verlassen, ihr Kater ist tot, ihr Uni-Job im akademischen Universum zweitklassig und mit fast vierzig sieht sie keine rechte Zukunftsperspektive. Also beschließt Phoebe einen Schlussstrich zu ziehen und reist dazu in ihr Sehnsuchtshotel: das traumhafte schöne Cornwall Inn in Newport, Rhode Island. Dort angekommen wird sie in den absurd übertriebenen Hochzeitstrubel der reichen Erbin Lila hineingezogen und das, was ein Ende sein sollte, wird zum Neuanfang.

„Wedding People“ ist ein großartig unterhaltendes, dabei aber erstaunlich tiefsinniges und tiefgründiges Buch über neue Chancen und das Unerwartete im Leben, das entstehen kann, wenn man sich einfach darauf einlässt. Die Protagonistin Phoebe macht im Laufe des Romans eine faszinierende Entwicklung durch: von der verunsicherten und mit Selbstzweifeln behafteten Unidozentin wird sie zur gefragten und selbstsicheren Beraterin und Freundin, die so einige weise Ratschläge auf Lager hat. Phoebe ist dabei eine ausgezeichnet konzipierte Figur, deren beruflicher Hintergrund absolut authentisch dargestellt wird: der akademische Elfenbeinturm, die Art und Weise, wie Literatur ihr Leben bestimmt und durchdringt, das Gefühl sich mit schönen Nebensächlichkeiten zu befassen, die keinen interessieren und gleichzeitig die Wertschätzung, die ihr aufgrund ihres Status von unifernen Personen entgegengebracht wird – all das ist auf den Punkt geschildert und vollkommen stimmig. Phoebe ist liebenswert und ihre Auseinandersetzung mit sich selbst und in dem für sie völlig neuen Personengeflecht zu verfolgen, ist überaus abwechslungsreich und amüsant. Alison Espach gelingt es mühelos, den Leser zum Mitleiden, Mitfiebern und Mithoffen zu verleiten, was vor allem auch daran liegt, dass auch die anderen Figuren überaus sympathisch sind und der Roman selbst den untreuen Ehemann mit einem gewissen Maß an Empathie betrachtet.

Dazu spielt sich das ganze Hochzeitstheater vor der wunderschönen Küstenkulisse Neuenglands ab und macht so den Roman zu einem geeigneten Sommerbegleiter. Segeln, Cabrio fahren, Cocktailempfang – alles im schicken Setting eines mondänen Hotels bietet ausreichendes Glamourfeeling, das aber auf absurd-witzige Weise mit den alltäglichen Nichtigkeiten und großen und kleinen Problemen der Figuren kontrastiert und mit der Idee aufräumt, dass auch wenn alles sehr schick aussieht, längst nicht alles perfekt ist.

An dem Roman gibt es hinsichtlich Konzeption, Figuren und Aussagekraft nicht viel zu kritisieren, befremdlich fand ich von Zeit zu Zeit lediglich den Erzählstil. Denn oftmals wirkt es so, als verliere die Autorin die Lust an ihren eigentlich immer gut getimten und lebensechten Dialogen. Dann kommt es vor, dass diese einfach abgebrochen werden und der Rest des Gesprächs in einem Satz indirekter Rede zusammengefasst wird. Das habe ich so bisher noch nie gelesen und fand es unschön und recht störend. Ich hätte mir einfach gewünscht, dass die Dialoge zu Ende geführt würden.

Insgesamt bietet „Wedding People“ aber tiefgründige und hoffnungsfrohe Lesestunden mit hohem Unterhaltungswert. Eine Lektüre im sommerleichten Gewand, die gehaltvoller, witziger und trauriger ist, als man im ersten Moment vermutet.

Bewertung vom 17.06.2025
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


gut

Ich liebe Figuren mit außergewöhnlichen und eingängigen Erzählstimmen und Arkadia Fink, die Protagonistin von Christopher Kloebles „Durch das Raue zu den Sternen“ gehört unbestritten dazu. Es ist 1992, Arkadia ist 13 Jahre alt und lebt seit dem Tag, an dem ihre Mutter fortging, mit ihrem Vater allein. Arkadia, die von ihrer Mutter (in Zusammenarbeit mit einem Neo-Bechstein-Flügel) höchst musikalisch erzogen wurde, hat es sich in den Kopf gesetzt, in einen renommierten Knabenchor aufgenommen zu werden, denn sie hofft, dass ihre Mutter zurückkehren wird, wenn sie sie erst einmal im Fernsehen sieht und hört.

Mit ihrer Unangepasstheit, ihrer präzisen Beobachtungsgabe und ihrem steten Ringen um die eigene Exzellenz und Sichtbarkeit ist dem Autor hier eine begeisternde und nachhallende Figurenkonzeption gelungen. Arkadia ist wild, stürmisch, wütend, mutig, unerschrocken und selbstbewusst, gleichzeitig aber auch überaus empfindsam und verletzlich. In jeder Hinsicht ist sie aber eine Figur, die man gerne auf ihrem Weg begleitet, mit der man mitfühlt und mitgrübelt.

So wunderbar die Figuren des Romans gelungen sind (das trifft nicht nur auf Arkadia zu, sondern auch auf ihre Gesangslehrer, ihren Vater und ihre beste Freundin im Altersheim), so wenig einfangen konnte mich leider die Geschichte. Vieles am Handlungsstrang bleibt vage und undurchsichtig, was angesichts zahlreicher Wiederholungen und Redundanzen umso merkwürdiger ist. Dass es sich letztlich bei Arkadias Geschichte auch darum dreht, Verlust, Schmerz und Verdrängung zu bewältigen und zu einer Erwachsenen zu reifen, konnte mich schlussendlich nicht überzeugen. So nachvollziehbar und authentisch ich Arkadias Verhalten und Entwicklung insgesamt fand, auf die einzelnen Szenen und vor allen den zu Grunde liegenden Auslöser bezogen, erschien mir die Story zu konstruiert und bot vor allem viel zu wenig Abwechslung. Trotz der Kürze des Romans scheint sich die Story in unzähligen Spiralen und Kreisen zu drehen und nicht so recht vom Fleck zu kommen.

So bleibt für mich als Fazit, dass „Durch das Raue zu den Sternen“ über eine wunderbare Erzählfigur und einzigartige Protagonistin verfügt, deren eigentliche Geschichte mich aber leider nicht recht abholen konnte. Genossen habe ich die Lektüre wegen Arkadia allemal, hätte mir aber eine durchdachtere und kurzweiligere Story gewünscht.

Bewertung vom 03.05.2025
Kang, Han

Unmöglicher Abschied


gut

Obwohl „Unmöglicher Abschied“ von einem dunklen und brutalen Kapitel der koreanischen Geschichte handelt, obwohl unsagbarer Schmerz, Kummer, Wut, Furcht und Verlust das Erzählte prägen und obwohl man tief in die Psyche und Verlorenheit der Erzählerin eintaucht, hält dieser Roman den Leser auf Distanz. Trotz aller Versuche und der Tatsache, dass mich der Text zumindest zeitweise gefesselt hat, hat er mich emotional nie wirklich berühren können.
Das mag daran liegen, dass die Handlung sich zu einem großen Teil in surrealen Traumsequenzen verliert, die sich nur allmählich und sehr schwierig erschließen lassen. Träume in der Literatur stoßen bei mir grundsätzlich auf wenig Gegenliebe, da ich es häufig als Ausweg empfinde, um weitere Bedeutungsebenen in einen Text zu integrieren, die man auch auf andere Weise hätte einfügen können – der Roman hatte es von daher schon etwas schwer bei mir.
Neben diesen Sequenzen, quasi als Gegengewicht, bringt der Text einige Passagen mit Fakten ein: Ausschnitte aus Berichten und Dokumenten. Dies dient sicherlich der emotionalen Distanzierung, da diese aber insgesamt schon durch die Erzählweise gegeben ist, wird der Abstand zum Geschehen noch vergrößert. So fand ich die Abschnitte, die sich mit historisch verbrieften Ereignissen befassten, zwar höchst informativ und bereichernd, das literarische Erlebnis hingegen wurde für mich dadurch deutlich geschmälert.
Dabei hätte der Roman mit seinen gut gewählten, fein platzierten Metaphern so viel Potenzial für einen Nachhall und ein Weiterdenken mit Aha-Effekt gehabt. Leider führte die verwirrende Handlung, die dazu noch recht langatmig und mit einigen Wiederholungen aufwartet, dazu, dass ich mich mit Han Kangs Roman doch sehr schwergetan habe. Es handelt sich sicherlich um einen Text, der eine eingehende Betrachtung verdient, er ist aber so spröde und wenig einladend, dass man doch einige Überwindung braucht, um ihn überhaupt zu Ende zu lesen, geschweige denn sich mit Begeisterung auf ihn einzulassen.

Bewertung vom 14.04.2025
Godfrey, Rebecca;Jamison, Leslie

Peggy


sehr gut

Peggy Guggenheim, Sprößling des berühmten reichen New Yorker Guggenheim-Clans, Galeristin, Muse, Kunst- und Literarturmäzenin erzählt in dieser fiktionalen Autobiographie von ihrem außergewöhnlichen Leben, wobei sie sich auf die ersten vierzig Jahre konzentriert, auch wenn der Epilog ganz am Ende noch einen Sprung ins Jahr 1958 wagt. Rebecca Godfrey, die bis zu ihrem frühen Tod, mit viel Eifer und Recherche an dem Roman arbeitete, gelingt es, Peggy eine überaus authentische Stimme zu verleihen. Der Text ist detailliert und mitunter üppig, gleitet aber nie ins Kitschige ab und lässt den Leser an Peggys Seite viele private Herausforderungen erleben und berühmte Persönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennenlernen. Peggy Guggenheim verfügte über einen äußerst illustren Bekanntenkreis, das Who is Who der Pariser Bohème gibt sich bei ihr die Klinke in die Hand und ihre Liebhaber sind begabte und bekannte Männer.

Die ersten Dreiviertel des Romans haben mir sehr viel Freude bereitet, ich habe den Roman bis dahin überaus gern gelesen, weil er Peggys Privatleben gekonnt mit dem, was sonst so in der Welt passiert und auch mit den Ambitionen ihrer Mutter, ihrer Schwestern und des restlichen Guggenheim-Clans verbindet. Eingebettet wird dies in die antijüdischen Strömungen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA sehr stark sind, und in die Feindseligkeiten gegenüber der besitzenden Klasse. Peggy wird immer wieder auch als Geldgeberin ausgenutzt, von Kolleginnen bedroht – einfach, weil sie reich ist. Das mag wie Jammern auf sehr hohem Niveau klingen, da aber die Peggy, die man in diesem Roman kennenlernt, durchaus selbst finanzielle Engpässe erlebt hat und als Figur äußerst bodenständig ist, geht die Sympathielenkung zu ihren Gunsten vollkommen auf.

So inspirierend, mitreißend, lehrreich und informativ die ersten 75% des Romans auch sind, so stark fällt das letzte Viertel des Romans ab. Hat sich der Text bis hierhin trotz seines Augenmerks auf besondere Schlaglichter in Peggys Lebenslauf sehr gründlich und umfassend mit den einzelnen Phasen befasst, erscheint der Rest nun im Zeitraffer und etwas unzusammenhängend erzählt. Hinzu kommt, dass der Fokus nun mehr und mehr auf den Liebschaften und der Sexualität liegt – mag sein, dass es so war – das Lesevergnügen jedoch kommt auf den letzten Seiten zunehmend abhanden. Es wirkt so, als ob der Roman nun nur noch irgendwie und möglichst rasch über die Ziellinie bugsiert werden soll, was angesichts Peggys einnehmendem Wesen doch überaus schade ist. Vielleicht ist dies der Tatsache geschuldet, dass Godfrey den Roman nicht mehr beenden konnte und er von ihrer Schriftstellerkollegin Leslie Jamison zu Ende geschrieben wurde. Was in diesem Zusammenhang jedoch unbedingt positiv erwähnt werden sollte ist, dass der Roman zumindest sprachlich keinen spürbaren Wechsel durchmacht.

„Peggy“ bleibt dennoch zumindest größtenteils eine Leseempfehlung. Eine wunderbare und begeisternde Romanautobiographie, die sich wohltuend von den sehr seichten gängigen Lebensbeschreibungen abhebt und einen faszinierenden Einblick in das Denken und Fühlen einer beeindruckenden Frau gewährt.

Bewertung vom 05.04.2025
Krien, Daniela

Mein drittes Leben


ausgezeichnet

Das hätte ich nicht gedacht. Wirklich nicht. Dass mich ein Roman mit so einem schweren Thema, welches mich zu Beginn überaus deprimiert hat und die Lektüre zu einer wahren Herausforderung machte, so beeindrucken und begeistern könnte. Daniela Krien ist hier ein kleines Meisterwerk gelungen, denn ihr Roman ist nicht nur authentisch, bis ins Detail nachvollziehbar, schmerzhaft, bedrückend, traurig, niederschmetternd und die Geschichte eines unvorstellbaren Leidens, er ist auch hoffnungsfroh, heilsam, schön und der Zukunft zugewandt.

Ich bin eigentlich kein allzu großer Krien-Fan, aber dieser Roman ist eine bewundernswerte Leistung, denn der Autorin gelingt es, sich mit jeder Faser in ihre Protagonistin Linda hineinzuversetzen, eine Frau, die in ihrem Leben kaum noch einen Sinn erkennen kann, die das Interesse an der Welt verloren hat und einfach nur versucht, Tage, Wochen, Monate zu absolvieren. „Mein drittes Leben“ fasst einen Verlust in Worte, für den es eigentlich keine Sprache gibt. Der Roman taucht ganz tief in die Gefühle bzw. die Abwesenheit von Emotionen ein, die das Denken und Dasein beherrschen, wenn etwas passiert, dass das Leben, wie man es kannte, auf brutalste Weise beendet. Der Text beschreibt empathisch, aber ohne Sentimentalitäten, wie die Hauptfigur mit ihrem Schicksal umgeht. Zahlreiche Rückblenden ergänzen dabei das Charakterbild der Protagonistin und erläutern ihre Sichtweise. Nach dieser schonungslosen und schmerzlichen Auseinandersetzung mit dem, was ist und war, wendet der Roman aber nach einiger Zeit auf fast unmerkliche Weise seine Ausrichtung und wird zu einer eindrucksvollen Darstellung eines Heilungsprozesses im Rahmen der nach so einem Verlust noch bestehenden Möglichkeiten. Quasi in Zeitlupe findet Linda ins Leben zurück, hierzu tragen äußere Gegebenheiten maßgeblich bei, aber auch die Verschiebung in ihrer Innensicht. Selten wurde so überzeugend solch eine Entwicklung nachgezeichnet.

„Mein drittes Leben“ hat mich bei aller Traurigkeit komplett eingefangen und begeistert. Sprachlich auf den Punkt, in überaus gelungenen Sätzen, begleitet Krien eine Figur in einer Extremsituation, die so individuell ist, dass die Umwelt nur begrenzt verstehen kann und schon gar nicht raten kann, wie man mit so einer Erschütterung umgehen kann. Ein außergewöhnliches und außerordentlich gelungenes Lesererlebnis, das zart, schroff und herzzerreißend ist und das man nur uneingeschränkt empfehlen kann.

Bewertung vom 14.03.2025
Flint, Emma

Ein Geheimnis und ein perfektes Desaster / Glimmer Gossip Bd.1


sehr gut

Internatsgeschichten gehen immer – und auch wenn ich schon lange der Zielgruppe von „Glimmer Gossip“ entwachsen bin, hatte ich sehr viel Freude an „Ein Geheimnis und ein perfektes Desaster“, dem ersten Teil der Reihe von Autorin Emma Flint.
Lexi Glimmer, leicht verpeilte Diplomatentochter mit einer „Äh“-Schwäche, besucht ein nobles und traditionsreiches Internat, in dem sich eine recht amüsante Bandbreite an Figuren tummelt: von der armen Stipendiatin bis zur superreichen Reederstochter, vom coolen Jungredakteur bis zum einzelgängerischen Grafensohn wird hier alles geboten. Auch wenn in der Figurenzeichnung sehr viele erwartbare Rollen und auch das ein oder andere Klischee zu Comedy-Zwecken bedient werden, färbt der sprudelnde Ideenreichtum der Autorin auf das Lesevergnügen ab. Es gibt einfach sehr viele lustige und abwechslungsreiche Szenen, die bei aller Übertreibung ausgezeichnet unterhalten.
Der Roman ist in seiner Handlungsstruktur überaus abwechslungsreich, da er sich nicht nur auf den typischen Freundschafts-/Feindschaftsplot eines Internatsromans konzentriert, sondern darüber hinaus sehr charmant von der ersten Liebe erzählt und dies wiederum mit einem mysteriös anmutenden Rätsel kombiniert, sodass für Herzklopfen und Aufregung gleichermaßen gesorgt wird.
Sprachlich erscheint „Glimmer Gossip“ überaus erfrischend und nah an der Welt der Jugend (wobei ich sicherlich nicht die Expertin dafür bin), was eine sehr reizvolle Verbindung mit dem traditionsreichen Setting des alteingesessenen Internats ergibt. Frische und Modernität verleiht dem Text auch die Erzählstruktur, die zwischen zwei verschiedenen Perspektiven wechselt oder auch Einblicke in Lexi Glimmers Tagebuch und ihre Listenleidenschaft gewährt. Als Auflockerung gibt es zahlreiche kleine Illustrationen, die sich leider manchmal wiederholen, aber meist sehr passend eingesetzt werden.
Würde ich weitere Teile lesen? Auf jeden Fall, denn „Glimmer Gossip“ ist kurzweilig, humorvoll und witzig, besitzt ein gutes Erzähltempo und sympathische Protagonisten. Mit dem vielfältigen Gattungsmix, ist der Roman mit Sicherheit ein guter Lesetipp für junge Leser.

Bewertung vom 26.01.2025
Brady, Fern

Strong Female Character


sehr gut

Fern Brady – ein Name, der hierzulande wohl kaum jemandem etwas sagt. Fern Brady – eine Frau, deren bisheriger Lebensweg lesenswert und ungemein lesbar ist. Warum? Weil, die aus Schottland stammende Stand-up Comedian mittlerweile genau das ist, was der Titel ihrer Autobiographie und Auseinandersetzung mit Autismus und Sexismus besagt: ein „Strong Female Character“ – der Weg dorthin war allerdings alles andere als leicht.
Mit scharfsinnigem Humor und schmerzhafter Selbstironie durchleuchtet Brady ihre Kindheit, Jugend, Studienzeit und beginnende Berufstätigkeit. Erst sehr spät wird die Diagnose „Autismus“ gestellt, Brady hat zu dem Zeitpunkt schon jahrelang unter unerklärlichen „meltdowns“ gelitten, viel Zeit in der Psychatrie verbracht, ihre überforderten Angehörigen hatten ihr mehrfach den Rücken gekehrt und sie hinausgeworfen. Weitestgehend auf sich selbst gestellt, durchlebte sie (toxische) Zweckbeziehungen, geriet in abstruse und bedrohlich anmutende Situationen und arbeitete in schlecht bezahlten und wenig angesehenen Jobs.
Mit entwaffnender Offenheit, bewundernswerter, fast schon abgeklärt anmutender Distanz und ohne jeden Anflug von Selbstmitleid leistet Fern Brady wichtige Aufklärungsarbeit, indem sie ihre Entwicklungsschritte und ihr Verhalten betrachtet, analysiert und ab und an in den Kontext zu vorhandener Literatur über Autismus stellt. Dabei wird klar: Autismus stellt die betroffene Person schon vor eine schier unendliche Fülle von Herausforderungen, handelt es sich bei der Person aber um eine Frau, potenzieren sich diese noch einmal deutlich. Wie auf vielen Gebieten der Medizin ist auch die bei Autismus die weibliche Seite kaum erforscht, er äußert sich bei Frauen anders als bei Männern und führt bei Fern Brady zu teilweise selbstschädigendem Masking und zu Verhaltensinterpretationen, die sie vielleicht noch leichter als andere Frauen zum Opfer von Sexismus werden lassen, obwohl letzterer auch so schon in Bradys Umfeld, ihrer Vergangenheit und vor allem auch in ihrem heutigen Beruf als Comedian sehr weit verbreitet ist. Schonungslos, aber erstaunlicherweise überwiegend urteilsfrei, rückt Brady das mangelnde Wissen zu weiblichem Autismus und das sexistische Verhalten von Männern, die Objektifizierung von Frauen sowie die Reduzierung auf das Äußerliche in den Mittelpunkt. Dadurch, dass sie sich mit angebrachter und beißender Kritik zurückhält und eher Sachverhalte und Fakten fast nüchtern schildert, haben solche Szenen und Erlebnisse noch sehr viel mehr Wucht. Dazwischen gibt es aber immer wieder auch komische Szenen und trockene Kommentare. Trotz des sehr ernsten Themas gelingt es Brady, die Leser auch immer wieder gut zu unterhalten.
Fern Brady ist ein faszinierender, lehrreicher und sensibilisierender Einblick in das Spannungsfeld zwischen Autismus und Sexismus gelungen, der gleichzeitig den Umgang unserer Gesellschaft mit Menschen seziert, die nicht den Anforderungen an „normgerechtes“ Verhalten entsprechen.

Bewertung vom 27.12.2024
Baur, Eva Gesine

Maria Callas


gut

Eva Gesine Baurs große Biographie über Maria Callas ist zweifelsohne ausgezeichnet und gründlich recherchiert. Bei der Lektüre bekommt man als Leser den Eindruck, dass die Autorin wirklich jeden Stein umgedreht, jeder Spur nachgegangen, jede verfügbare Tonaufnahme gehört und jedes Foto betrachtet hat. Das allein ist eine sehr beachtliche Leistung, denn so bekannt Maria Callas war, so ist ihr Leben dennoch auch von zahlreichen Geheimnissen und Mythen, Unwahrheiten und Gerüchten umgeben. Auch diese versucht Eva Gesine Baur so gut wie möglich aufzulösen, ohne sich jemals in Spekulationen oder weiteren Theorien zu verstricken. So weit, so gut.

Leider ist die Biographie nicht so schillernd und begeisternd geschrieben, wie Maria Callas es mit ihrem Glamour und ihrer Strahlkraft vielleicht erwarten liesse. So ist der Text im typisch trockenen deutschen Sachbuchstil geschrieben (es bleibt zu hoffen, dass auch deutsche non-fiction Autoren endlich einmal den englischen Schreibstil für sich entdecken, der Fakten spannend zu präsentieren vermag) und so wird die Callas-Biographie trotz all der Arbeit, die in dieses Werk offenkundig hineingeflossen ist für den Leser zu einer mehr als zähen Lektüre. Fakt folgt auf Fakt, Opernaufführung auf Opernaufführung, Datum auf Datum - das Weiterlesen wird so leider mitunter zur Herausforderung, zumal der Text nicht sonderlich abwechslungsreich geschrieben ist und das Grundkonzept der Biographie auch etwas hölzern ist. So liegt der Charakterisierung von Callas eine Ringvorlesung zur antiken Tragödie zugrunde, die vielleicht passen mag, aber nicht sonderlich überzeugend eingebunden wird. Diese im Verbund zu der immer wieder erwähnten Spaltung der Operndiva in die private Maria und die öffentliche Callas wirkt schon sehr schwerfällig, als ob es zu Callas nicht noch etwas mehr zu sagen gegeben hätte. Ebenso holprig und völlig unpassend sind die ebenfalls oftmals an Kapitelanfängen vorgenommenen historischen Kontextualisierungen, in denen die Autorin weltpolitische Ereignisse referiert. Das wäre sinnvoll, wenn diese einschneidenden Vorkommnisse in irgendeiner Form etwas mit Maria Callas zu tun gehabt hätten. Meist enden diese Passagen jedoch mit Sätzen à la "davon bemerkte Callas nichts" - da frage ich mich dann schon, warum ich etwas zu diesen Themen lesen muss.

Insgesamt eignet sich die Biographie sicherlich für passionierte Opern- und Maria-Callas-Fans, für alle anderen, die einfach nur einmal einen Einblick in das Leben eines Jahrhundertphänomens werfen möchten, bietet das Buch zu wenig Privates und zu wenig angenehme Lesbarkeit.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.11.2024
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


gut

„Wohnverwandtschaften“ gehen manchmal sehr viel tiefer als echte Verwandtschaft – das zeigt Isabel Bogdahn in ihrem liebevollen und warmherzigen Roman, der mir im Hinblick auf seine innovative Erzählidee gut gefallen hat.

Über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren folgt der Leser dem Leben in der WG von Jörg, Constanze, Anke und Murat – Einblicke erhält man unmittelbar über die unterschiedlichen Ich-Perspektiven. Unterbrochen werden die einzelnen Reflexionen und Berichte der Figuren über ihr Leben in und außerhalb der WG, über ihre Gemeinschaft, Sorgen, Ängste und ihre Vergangenheit durch Gemeinschaftsszenen, die als dramatischer Text verfasst sind. Diese Erzählstruktur ist sehr gelungen und abwechslungsreich, allerdings hat mir bei der Umsetzung ein bisschen die ureigene Stimme der Figuren gefehlt. So unterschieden sich die Kapitel in ihrer inhaltlichen Ausrichtung natürlich, aber bis zu dem Zeitpunkt, an dem Jörgs Kapitel von der fortschreitenden Demenz gekennzeichnet werden, fehlte mir der klar identifizierbare Ton der jeweiligen Figur – so wie man es z.B. aus Nick Hornbys A Long Way Down kennt, wo man eigentlich gar keine Überschrift braucht, da die Erzählstimme so klar erkennbar dem entsprechenden Charakter zuzuordnen ist.

Inhaltlich haben mich sowohl die Darstellung tiefer erwachsener Freundschaft als auch die des sich entwickelnden Gemeinschaftsgefühls überzeugt, der schmerzhafte allmähliche Verlust eines Freundes an die Demenz wird von Isabel Bogdahn ebenfalls sehr eindrücklich dargestellt, zumal sie das Abgleiten in das Vergessen nicht nur aus der Perspektive der Umgebung, sondern auch aus dem Blickwinkel des Betroffenen selbst schildert.

Dennoch hat mich der Roman insgesamt nicht wirklich mitreißen und begeistern können. Mir war insgesamt alles ein wenig zu niedlich, oftmals auch hinsichtlich der Figurenkonzeption zu verspielt und kindlich, die Figuren denken und fühlen häufig nicht unbedingt erwachsen, auch wiederholt sich so einiges – das mag authentisch und unterhaltsam sein, aber es verleiht diesem in Thema und Erzählstruktur durchaus ambitioniertem Roman eine zu oberflächliche Note. So habe ich den Roman durchaus mit einigem Interesse und auch Vergnügen gelesen, aber er wird in mein Lesetagebuch als „nettes Buch“ eingehen – unterhaltsam und voller Wärme, aber ohne nachhaltigen Effekt.