Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
LitSolo
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Bewertung vom 29.12.2011
Wenn wir Tiere wären
Genazino, Wilhelm

Wenn wir Tiere wären


ausgezeichnet

Vom Stil zur Masche
Rezension der Erzählung „Wenn wir Tiere wären“ von Wilhelm Genazino
Wer keine hohen Ansprüche an eine Erzählung stellt, keinen erkennbaren Handlungsfaden, gar eine Struktur, keine Hauptperson, in die sich ein Leser gern nach und nach hineindenkt, und keinen durchweg stimmigen Erzählton erwartet, der mag mit Wilhelm Genazinos „Wenn wir Menschen wären“ zufrieden sein. Der einigermaßen hohe Ansprüche an einen Roman stellende Rezensent gesteht jedoch: dass er einigen Gefallen an der Figur des Ich-Erzählers gefunden hat, der wie immer schon bei Genazino ein ziellos durch die Straßen und durchs Leben bummelnder Zeitgenosse ist, „der übliche Soldat der Wirklichkeit, der aufnimmt, was sich ereignet“ ; dass ihn die verwickelten Reflexionsfäden dieses Soldaten der Wirklichkeit über einen stringenten Plot hinwegtrösten konnten; dass er an einigen gelungenen Stellen auch mit einem Auflachen zu salutieren hatte.
Im Vergleich zu einem anderen fiktiven Soldaten der Wirklichkeit jedoch, der Figur des Frank Lehmann in Sven Regeners Roman „Herr Lehmann“ nämlich, fehlt es Genazinos Erzählung an Komik, an stilistischer Lockerheit und vor allem an Authentizität. Wenn der Rezensent sich auch nicht an Textstellen bei Regener erinnert, über die er lauthals gelacht hat, so ist ihm doch der Eindruck geblieben, dort einen Autor kennen gelernt zu haben, der Situations- und Charakterkomik konnte. Das frische, ungekünstelte Geschnodder der Lehmann-Figur unterscheidet sich auch – so meint zumindest der Rezensent – deutlich von dem zuweilen recht angestrengt im Alltagsmüll herumsuchenden und endlich fündig werdenden Balkongegucke und Mal-links-mal-rechts-rum-Nachgedenke in „Wenn wir Tiere wären“. Dass der Rezensent dem Ich-Erzähler Genazinos sein soldatisches Lebensprotokoll irgendwann nicht mehr glaubte, lag zum einen an ein paar erzählerischen Nachlässigkeiten, z.B. das Alter des Protagonisten, die Kontinuität einiger Charakterisierungen und die absichtliche oder unabsichtliche Wiederholung von Einzelbeobachtungen betreffend, zum anderen an der dem Rezensenten immer offensichtlicher sich zeigende Routine, mit der hier ein Büchner-Preisträger seinen Stil zur Masche verkommen ließ.
Bewertung: 2½ von 5 Punkten