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wosoe
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Ulm

Bewertungen

Insgesamt 6 Bewertungen
Bewertung vom 07.03.2023
Matthias Erzberger (eBook, PDF)
Dowe, Christopher

Matthias Erzberger (eBook, PDF)


ausgezeichnet

Dieser Mann verdient nicht nur unseren Respekt, sondern unsere ganze Hochachtung für das, was er für die Weimarer Demokratie und damit für unser Land geleistet hat. Mir war zwar Erzberger durchaus schon ein Begriff, aber nach der Lektüre des Buches ist meine Anerkennung für seine Leistung und seine Person gewaltig gewachsen! Seine Leistung ist leider viel zu wenig bekannt, und er ist deshalb auch heute noch – wie der Verfasser mit Recht betont – „erinnerungswürdig“. Man sollte sein Andenken mehr in Ehren halten! Immerhin hat er mutig sein Leben für die Demokratie riskiert und schließlich auch geopfert, denn er kannte ganz genau die Gefahren, denen er sich mit seiner politischen Tätigkeit aussetzte. Im Grunde ist er ein „Vorfahre“ der späteren Widerstandskämpfer gegen Hitler, die heute viel mehr Aufmerksamkeit erfahren als er, denn seine Motive waren dieselben.
Auch diejenigen, die heute in der Bundesrepublik Politik machen, sollten sich ihn zum Vorbild und Maßstab nehmen.
Er hat sich der hasserfüllten Clique der alten vernagelten, reaktionären Anhänger des Kaiserreichs und der brutal gewalttätigen, vom Kriege her immer noch im Freund-Feind-Denken stecken gebliebenen rechtsradikalen „Meute“, aus der dann später Hitler wesentlich seine Anhänger und seine Gefolgschaft bezog, nicht gebeugt, sondern unbeirrt seinen Weg verfolgt und am Aufbau der neuen Demokratie entscheidend und tatkräftig mitgewirkt: während des Krieges schon durch Stärkung der Rolle des Parlaments, das gegen die kriegstreibenden Militärs eine Friedensresolution durchsetzte, dann für die Beendigung des Krieges, den ebendiese Hetzer gegen ihn verschuldeten und verloren, indem er die unpopuläre und undankbare Aufgabe übernahm, den Waffenstillstand zu unterzeichnen und schließlich tatkräftig am Aufbau der neuen Demokratie selbst u. a. durch eine wegweisende, mehr soziale Gerechtigkeit schaffende Steuerreform, um nur die wichtigsten seiner Leistungen zu nennen.
Diese und seine Person werden in diesem Buch nüchtern, sachlich und genau dargestellt; der Leser fühlt sich umfassend und kompetent informiert. Erzbergers politisches Handeln wird auch immer wieder in den historischen Kontext eingeordnet und nicht nach heutigen, sondern den damaligen politischen Maßstäben und Handlungsbedingungen beurteilt.
Wer sich für die Weimarer Republik interessiert und wer eine ermutigende Persönlichkeit kennenlernen will, nehme dieses Buch zur Hand!

Bewertung vom 07.02.2023
Dunkle Tage
Kunz, Gunnar

Dunkle Tage


weniger gut

Ich bekam das Buch geschenkt, sonst hätte ich es nicht gelesen. Ich musste mich regelrecht hindurchquälen. Es hat mich überhaupt nicht überzeugt, im Gegenteil. Es war anstrengend und langweilig zu lesen.
Abgesehen einmal von der Tatsache, dass ich historischen Romanen im Allgemeinen sehr skeptisch gegenüberstehe, da durch die fiktionale „Verarbeitung“ historische Fakten meist verfälscht und manchmal auch zurechtgebogen werden.
Auch als historischer Roman ist das Buch misslungen, wenn die Handlung sich auch vor dem Hintergrund des Kapp-Putsches abspielt. Dieser ist aber nicht mehr als bloßer Hintergrund. Das Einzige, was man über ihn erfährt, ist, dass er natürlich von Rechtsnationalen u Radikalen initiiert war und dass es dabei auch zu Ansätzen von Gewalt kommt und dass das öffentliche Leben während des Putsches nicht mehr funktioniert: dass die Strom- u Wasserversorgung zum Erliegen kommt, die öffentlichen Verkehrsmittel ausfallen usw. Aber kein Wort darüber, dass der Grund dafür, der von der SPD und den Gewerkschaften ausgerufene landesweite Streik war, mit dem diese den Putsch zum Scheitern bringen wollten, der dann auch sehr erfolgreich war und die Putschisten zum Aufgeben zwang…
Die im Roman geschilderten Wohnverhältnisse der Arbeiter scheinen mir ebenfalls kaum glaubhaft und zutreffend, und ihr Wohnelend doch erheblich übertrieben zu sein; sie mögen vielleicht für die Zeit Frühindustrialisierung und Teile des 19. Jahrhunderts noch zutreffen, aber nicht mehr für die Arbeiter der Weimarer Republik, die seit mindestens 50 Jahren mit der SPD für ihre Rechte kämpften. Sie wohnten sicherlich nicht so wie heute, aber doch auch nicht mehr in solch heruntergekommenen und verwahrlosten Wohnungen, die nur aus einem Zimmer bestehen, wie sie im Roman geschildert werden!
Professor Lilienthal, der Bruder des Polizeikommissars, ist natürlich mit seiner demokratischen, ja fast linken Überzeugung und mit seinem „Gutmenschentum“ (er kümmert und sorgt sich geradezu „rührend“ (!) um den begabten Sohn Anton des ebenfalls der Tat verdächtigten Arbeiterehepaars Broschek) die Positivfigur des Romans. Es sind allerdings Zweifel angebracht, ob dies glaubhaft ist, denn insgesamt war die Professorenschaft in der Weimarer Republik – und nicht nur die Studenten, die im Roman auftauchen -, ganz anders, nämlich sehr konservativ, antirepublikanisch und weit rechts eingestellt.
Insgesamt erscheinen mir die Darstellung der Personen überhaupt ziemlich klischeehaft und die Handlung zu sehr konstruiert. Hie die Unternehmerfamilie Unger, kaum einer menschlichen Regung fähig, sondern skrupellos und nur auf Profit aus (aber um nicht zu klischeehaft zu wirken, gibt es natürlich auch eine Ausnahme), dort die rechtschaffene Arbeiterfamilie Broscheck, die obwohl brutal ausgebeutet, nie zu einem Mord fähig wäre. In der Szene, als Gregor Broschek erfährt, dass seine Frau nicht – wie er glaubte - der Mörder war, wird der Roman dann auch noch sentimental.
Was soll übrigens die akribische, bis ins letzte Detail jeden Messerstich samt schrecklichen Folgen beschreibende und deshalb abstoßende Beschreibung der Mordtat im Prolog?

Bewertung vom 30.06.2022
Jeder stirbt für sich allein
Fallada, Hans

Jeder stirbt für sich allein


sehr gut

Das Buch ist kein „einzigartiges Panorama des Berliner Lebens in der Nazizeit“, wie es auf dem Buchrücken behauptet wird. Es konzentriert sich nämlich nur auf eine Seite der Nazizeit bzw. Naziherrschaft, nämlich die terroristische, brutale und grausame Gewalt, mit der die Nazis ihre Gegner verfolgten und die skrupellosen Methoden, die sie dabei anwandten. Diese wird allerdings mit unüberbietbarer Realistik in all ihrer abstoßenden und menschenverachtenden Grausamkeit schonungslos beschrieben und ist für den Leser eine schwere Lesekost.
Diese Seite ist für das Verständnis der Naziherrschaft sicherlich enorm wichtig und unverzichtbar und macht einen wesentlichen Aspekt ihres Herrschaftssystems aus. Es gab aber auch noch eine andere Seite, die vielleicht genauso wichtig ist. Von ihr ist in dem Roman nichts zu finden: nämlich, wie es den Nazis es gelang, die breite Masse der Bevölkerung mit Propaganda und Verführung für sich zu gewinnen, so dass sie ihr „normales“ Leben, so als habe sich nichts geändert, weiterlebten.

Bewertung vom 20.04.2017
Vergeltung
Ledig, Gert

Vergeltung


sehr gut

Den Roman stand lange bei mir im Regal, ohne dass er mich zum Lesen reizte. Der Grund war, dass ich einmal einen kurzen Blick hineingeworfen und ihn angelesen hatte, aber dieser erste Eindruck ließ mich vor ihm zurückschrecken. Die Schreibweise erschien mir zu direkt, zu brutal, die Handlung ohne Hinführung und Einleitung zu unvermittelt und abrupt einsetzend; es fehlte mir der Zusammenhang.

Ich habe ihn nun doch hervorgeholt und gelesen, habe mich in seine Darstellungsweise allmählich hineingefunden und erkannt, dass sie dem Inhalt völlig angemessen ist und …bin von ihm sehr beeindruckt.
Es gelingt Ledig, das Grauen eines etwa siebzig Minuten dauernden Bombenangriffs (natürlich im Zweiten Weltkrieg) auf eine ungenannte deutsche Großstadt und damit den Wahnsinn des Krieges mit ungeheurer sprachlicher Intensität, Wucht und mit erbarmungslosen Realismus dem Leser zu vermitteln, dass es diesem pausenlos eiskalt den Rücken hinunterläuft. Jeder der eine leichte, angenehme Lektüre erwartet, sei gewarnt! Er muss sich vielmehr darauf gefasst machen, dass die ganze Brutalität, Grausamkeit und sinnlose Menschenschlächterei des Krieges ihm – völlig schonungslos und ungeschminkt – 200 Seiten lang unentwegt „um die Ohren“ gehauen wird! Nach einem Schlupfloch oder nach Trost wird er vergeblich suchen!
Aber nicht nur der Inhalt ist harte Kost, auch die Darstellungsweise verlangt dem Leser einiges ab. Er darf keine – ich habe es schon angedeutet – zusammenhängend und fortlaufend erzählte Handlung erwarten. Das Geschehen wird in kurze Bruchstücke, meist kaum länger als eine oder eineinhalb Seiten, zerhackt, die eine bestimmte Situation der Bombardierung und deren Auswirkung auf einzelne oder mehrere Personen beschreiben. Dann schwenkt der Verfasser unvermittelt – und sozusagen mit hartem Schnitt – um auf eine andere Situation mit anderen Personen. Die jeweiligen Personen werden aber dann im Verlaufe des Romans immer wieder aufgegriffen und in späteren Situationen (wiederum in kurzen Erzählepisoden und –splittern) gezeigt. Es herrscht somit keineswegs – wie man vielleicht zu Beginn der Lektüre glaubt – absolute Willkür und Regellosigkeit, sondern es kommt durchaus eine Kontinuität und Abfolge der Handlung zumindest für diese einzelnen Personen und Personengruppen zustande, so dass man ihr hartes Schicksal während des Bombenangriffs verfolgen kann. Dennoch stellt diese Form der Darstellung an den Leser beträchtliche Anforderungen.
Die dreizehn Kapitel des Buches bestehen aus lauter solchen Einzelepisoden mit einer Ausnahme: Am Beginn jedes Kapitels wird von jeweils einer wichtigen Person, die in mehreren Episoden auftaucht, eine Art knapper Lebensabriss entworfen.
.
Ein absolut lesenswertes Buch, wenn man sich darauf einlassen will!

Bewertung vom 07.04.2017
Das Café der Existenzialisten
Bakewell, Sarah

Das Café der Existenzialisten


sehr gut

Das Buch ist ganz und gar keine abstrakt-philosophische Abhandlung, sondern es macht den Leser auf höchst lebendige Weise mit den Philosophen des Existenzialismus und ihren Auffassungen bekannt, indem es von ihrem Leben erzählt, ihren Begegnungen, ihren Auseinandersetzungen, aber auch ihre wesentlichen philosophischen Auffassungen - allerdings in einfacher und jedermann verständlicher Weise - darlegt.
Es lässt sich leicht – ohne geistige Verrenkungen – lesen. Man erfährt dadurch auch sehr viel über die einzelnen Philosophen, eben nicht nur als Philosophen, sondern auch als Menschen, zum Beispiel, dass Heidegger menschlich ein ziemliches Ekel und charakterlos war, Sartre dagegen „ein guter Mensch“, seinen vielen Freunden gegenüber großzügig und freigebig und von einer wahren Schreibwut besessen.
Die Vorgehensweise ist chronologisch-historisch. Es zeigt also auf, welche Entwicklung der Existenzialismus genommen hat, wie die einzelnen Denker und Philosophen sich gegenseitig beeinflusst haben und wie ihre Philosophie von der historisch-politisch Entwicklung jeweils geprägt wurde und sich auch verändert hat.
Der Begriff Existenzialismus wird sehr weit gefasst: Er reicht von Husserl über Heidegger, Sartre, Camus, Merleau-Ponty, Jaspers und und und … Es werden auch eine Reihe weniger bekannter Namen genannt, die sich mit dieser Philosophie in irgendeiner Weise befasst haben oder von ihr tangiert wurden..
Außerdem ist es ein sehr persönliches Buch: Die Verfasserin macht deutlich, warum sie sich mit dem Thema beschäftigt hat und wie sie von dieser Philosophie beeinflusst wurde.
Mir selbst gab es auch einen neuen Zugang zum Existenzialismus. Vieles wurde mir durch seine Lektüre klarer. Für mich entscheidend ist, dass er die freie Entscheidung des Einzelnen und damit auch seine Verantwortung für sein Tun und Handeln so stark betont und in den Vordergrund rückt und sich damit Tendenzen, die den Menschen nur als Produkt der sozialen Umstände sehen und ihn damit im Grunde entmündigen, entgegenstellt.
Allerdings glaube ich auch, dass manches am Existenzialismus zeitbedingt ist und sich die Welt seitdem nicht unbedingt zum Besten (wie es zum Beispiel Sartre erhoffte) weiterentwickelt hat und die gegenwärtigen Probleme leider solche sind, bei denen uns der Existenzialismus nicht sehr viel weiterhelfen kann.

Bewertung vom 28.05.2016
Terror
Schirach, Ferdinand von

Terror


weniger gut

Das Drama kommt als fiktive Gerichtsverhandlung etwas bieder daher. Es erinnert stark an die früheren Pro-und-Contra-Sendungen im Deutschen Fernsehen.
Letztlich geht es darum, wie wir mit der Bedrohung des Terrorismus umgehen und uns gegen ihn schützen können. Verhilft uns dieses Theaterstück zu größerer Einsicht darüber? Nein. Dazu erscheint mir der dort dargestellte Fall viel zu konstruiert und zu platt. Die Realität ist leider wesentlich komplexer. Es will uns glauben machen, dass der Umgang mit Terrorismus letztlich auf zwei sich völlig konträr gegenüberstehende und sich gegenseitig ausschließende Alternativen hinausläuft. Festhalten an der Rechtsstaatlichkeit oder Bekämpfung des Terrors mit allen, wenn notwendig auch nicht rechtsstaatlichen Mitteln.
Natürlich dürfen wir im Kampf gegen den Terrorismus Rechtsstaat und Menschenwürde nicht aufgeben. Aber es wäre naiv und eine Illusion zu glauben, wir könnten die Terroristen allein durch unser freiheitliches und rechtstaatliches System beeindrucken oder gar besiegen. Um ihn zu besiegen, sind leider auch – wie ja jeder sofort einsieht, wenn er z. B. an den IS denkt – „knallharte“, natürlich auch militärische Mittel notwendig. Über den Einsatz dieser Mittel ist von Fall zu Fall und unter Abwägung aller Umstände zu entscheiden. Man kann den arabischen Terrorismus durchaus mit dem Nationalsozialismus vergleichen. Ohne militärischen Kampf der westlichen Demokratien (zusammen mit der Sowjetunion) bis zum Äußersten mit dem erklärten Ziel, ihn völlig niederzuwerfen, wäre er nie besiegt worden!