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angie99
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Insgesamt 58 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2025
Kang, Minyoung

Plant Lady


weniger gut

Catchy Klappentext, enttäuschende Ausführung

Wer bitte lässt sich schon ein Buch entgehen, das mit feministischem Grundton, kriminalistischer Spannung und einem Pflanzen-Shop als Handlungsort aufwartet? Eben. Dacht ichs mir doch.

Doch leider habe ich von dem angekündigten „raffinierten Katz- und Mausspiel“ zwischen einer mordenden Gärtnerin und dem Detective nur ein paar herumschleichende graue Katzen wahrgenommen. Wo bitte war dieses Buch spannend? Wo gab es überraschende Wendungen? Wo bitte war die Raffinesse? Wahrscheinlich alle in der Erde im Hof des Pflanzen-Shops vergraben. Zusammen mit den Charakteren, die ihren Namen verdienen, nachvollziehbaren Handlungen und einer des Themas würdigen Hintersinn.

Ja, okay, das Cover und die Aufmachung des Buches ist toll. Ja, okay, die Idee wäre wirklich gut gewesen. Ja, okay, die Mensch-Pflanzen-Symbiose macht was her. Ja, okay, ein paar äußerst morbide Beschreibungen bleiben im Gedächtnis, in meinem Fall jedoch eher negativ.

Ansonsten springt die Handlung trotz der äußerlich gut strukturierten, jeweils einer Pflanze gewidmeten Kapitel, auf unlogische Weise zwischen verschiedenen Perspektiven und Zeiten hin und her und hinterlässt zusammen mit den für europäische Augen ungewöhnlichen Namen ein hohes Maß an Verwirrung. Alles wirkt grobschlächtig, der Aufbau, die Figuren, die Themen. Oder aber, ich konnte die Feinheiten und Spitzfindigkeiten nicht herauslesen – auch eine mögliche Variante.

„Plant Lady“ hinterlässt bei mir einen schalen Geschmack. Ein Roman, bei dem für mich irgendwie nichts zusammengepasst hat und der – eventuell auch aufgrund von Mängeln in der Übersetzung – deutlich hinter seinem Potenzial zurückbleibt.

Bewertung vom 04.09.2025
Keßler, Verena

Gym


sehr gut

Auf, auf, Mädels, keine Ausreden mehr, schlüpft in was Bequemes, etwas, das bei den Squats nicht kneift, oh, du hast nichts Passendes, hier, bestell was Nettes, Buntes, Glänzendes - benutz Promocode GYM25! Danke! - oh, hier sogar vereinzelt Herren der Schöpfung, seid ihr etwa Feministen?!, ha, nein, okay, kommt ruhig näher, alle, KLATSCH KLATSCH, es gibt was Neues von Verena, das wird sicher gut, auf, lasst euch vom Cover nicht abschrecken, wobei, immerhin erinnern die Schriftfarben an diverse Körperausscheidungen, da wird man ja schon mal aufs Kommende eingestimmt, harhar, es beginnt aber eher gemütlich und unverfänglich, ja, lass es ruhig angehen, hast du nicht vor Kurzem erst entbunden, na, also, dann sind die paar Speckröllchen okay, wichtig ist nur, dass du dran bleibst, und das tust du doch gerne, Verena führt dich durchs Programm, die hat das drauf, ja, es zwickt schon mal hier und da, also, diese Lüge, da ahnt man irgendwie, dass es nicht lange gutgehen kann, und schon sind wir im zweiten Abschnitt, aber hallo, und wenn du dich jetzt so im Spiegel betrachtest, ohooo, merkst du, wie sich da was ändert?, ja, genau, hoch, runter, uuuund nochmal!, hoch, runter, hoch runter, ja, der Schweiß, der läuft, auf, auf, sweat, sweat, Sweat-lana, haha, das gehört dazu, aber auch die bewundernden Blicke, die auf deine wohlgeformten Schenkel -…, los, los, nicht aufgeben, das sieht doch schon super aus… ja, zeigt es mir, hopp, hopp, was, noch mehr, da geht noch mehr, schon, aber wieviel mehr, was meinst du?, mehr von allem, mehr Muskeln, mehr Aufmerksamkeit, mehr Ehrgeiz…- mehr, du willst mehr und mehr und kannst irgendwie gar nicht aufhören, bis zu – hey, HEY, Stop!, da gruselt es mich jetzt doch ein wenig, puh, das war mal ne groteske Steigerung, komm mal runter, ja, so ists recht, atmen… tief einatmen durch die Nase… ja, doch, ich versteh das irgendwie schon, mit dieser Vergangenheit, das ist nicht ohne, und wenn dann noch die Ansprüche…, die Gesellschaft, die Erwartungen und so…, hm, so gesehen, gibt es einiges, worüber man vielleicht mal nachdenken - , habt ihr auch an den Beckenboden gedacht? Weil, ihr wisst schon… - aber hey, erst mal atmen, puh, Mädels, die 190 Seiten gingen ja viel fixer rum als gedacht, da hat Verena diesmal ganz schön was rausgehauen, oder?!, wobei, schön ist wohl der falsche Ausdruck, das war zwischendurch eher … hm, etwas hinüber, gell, aber ok, ihr wisst schon, ein bisschen weh muss es tun, no pain no gain, so, dann gönnt euch euren Shake am Tresen, Pina-Cool-Downa ist im Angebot, denkt an die Proteine, Geschmack steht an zweiter Stelle, schließlich gehört auch Ekel überwinden zum Programm, wenn ihr es wirklich ernst meint… und tschüss, ihr Lieben, oho, das Top steht dir, vor allem, wenn du denn Reißverschluss noch ein bisschen - … also, cheers und tschüss, bis zum nächsten Mal mit Verena, ich bin wieder dabei!

Bewertung vom 31.08.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan


gut

Toni wacht eines Tages plötzlich als Antonia auf. „Im Leben nebenan“ ist sie nicht mehr die, die in der Stadt mit Jakob zusammenlebt und sich mit ihm ein Kind wünscht, sondern eine frischgebackene Mama auf dem Land, eine, die ihren Ursprungsort nie verlassen und sogar ihre Jugendliebe geheiratet hat. Abwechselnd wird nun erzählt, wie sich ihr Leben mit Kinderwunsch beziehungsweise mit Baby entwickelt: ein höchst raffinierter Aufbau, denn so ziemlich jede Frau wird sich die Frage schon gestellt haben: Wie würde mein Leben aussehen, wenn ich (Mutter) keine Kinder hätte? Wenn ich (kinderlos), doch Kinder hätte? Bekommen würde?
Ein Gedankenspiel, dass Anna Sauer in ihrem Debütroman konsequent verfolgt, jedoch in beiden Fällen deprimierende Szenarien ausbreitet. Von dem im Klappentext erwähnten Humor habe ich jedenfalls nichts gespürt, im Gegenteil, sowohl Toni als auch Antonia waten durch ihren trüben Alltag wie durch nebliges Sumpfgebiet. Die Beschreibungen sind definitiv alltagsnah, und ja, Alltag ist halt oft Grau in Grau, doch diese Lektüre hatte für mich einen so negativen Grundton, dass ich mich durch einige Kapitel regelrecht durchkämpfen musste.
Bei der Stange gehalten hat mich Anne Sauers Schreibstil: frisch, modern, eigen, gerade die unfertigen Sätze, deren Ende man sich ersparen kann, weil darum halt, haben mir gut gefallen. Außerdem versprach die Erzählstruktur eine gewisse Spannung mit der im Klappentext erwähnten „entscheidenden Abzweigung“; dumm nur, dass diese Abzweigung, welche wiederum die weiteren Entwicklungen der unterschiedlichen Leben erklärt, nie auftaucht. Die Chance war gegeben, denn Antonia landet in ihrem neuen Leben mit dem Wissen, einmal ein Leben als Toni gehabt zu haben, aber ohne Wissen über ihr Leben als Antonia, so wie auch die Lesenden, und die Autorin hätte Antonia nun Stück für Stück die verpasste Story rekonstruieren lassen können. Tut sie nicht, die Dinge sind einfach, wie sie sind, und Antonia keine Privatdetektivin, sondern im Wochenbett. Das vielversprechende Parallelwelt-Konstrukt ist also wirklich nur dazu da, zwei Lebensversionen zu vergleichen.
Leider hat mich aber auch diese Gegenüberstellung nicht gänzlich überzeugt. Erfreulicherweise ist sie sehr wertungsfrei gestaltet und schreibt niemandem vor, ob ein Leben mit oder ohne Kind erstrebenswerter ist. Leider geht hierbei aber einiges an Tiefenschärfe und Komplexität verloren, was vor allem daran liegt, dass weder Toni noch Antonia ihr Schicksal großartig hinterfragen und reflektieren. Am Ende gibt es zwar in beiden Leben diese Silberstreifen am Horizont, die ich mir schon für die vorhergehenden Kapitel gewünscht hätte, aber kaum eine Charakterentwicklung und nur wenig neue Erkenntnisse.

Fazit: Das Potenzial dieses großartigen Parallelleben-Pitches mit Kinderwunsch- und Wochenbett-Version wurde nicht ausgeschöpft. Der Schreibstil ist ansprechend, kann dem Roman aber nicht über die Mankos in Leichtigkeit, Entwicklung und Reflektion hinweghelfen.

Bewertung vom 17.08.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


ausgezeichnet

Wie die 20‘000 Elefanten nach Berlin gekommen sind, bleibt ein Geheimnis des botswanischen Präsidenten („Magic, my dear friend!“ S. 35) – oder der Autorin. Doch aus der fantastisch-magischen Grundlage des Romanes „Das Geschenk“ strickt sie eine Parabel, die sich ganz faktentreu entwickelt und durchwegs authentisch anfühlt.
Der kurze Roman beschränkt sich nicht nur darauf, unserer westlichen „Wir wissen, wie es funktioniert“-Arroganz einen Spiegel vorzuhalten, sondern auch, die Konsequenzen dieses Handelns durchzubuchstabieren. Vielleicht nicht ganz so schockierend brutal, wie es die flämische Autorin in ihrem Debüt „Trophäe“ getan hat, aber immer noch genug eindrücklich, um die vorherrschenden (v.a. politischen) Muster zu hinterfragen.
Ich war skeptisch, wie weit ein gerade mal 120seitiges Büchlein in der Lage ist, dem Thema die nötige Substanz einzuhauchen, aber sie war unbegründet. In der Kürze liegt die Würze: Gaea Schoeters schreibt direkt und schnörkellos, erreicht damit natürlich nicht die atmosphärische Dichte von „Trophäe“, muss aber auch gar nicht, weil hier die Politik im Mittelpunkt steht und nicht die sensorischen Erlebnisse eines Abenteurers.
Auf jeden Fall stecken in dieser Parabel unheimlich viele Themen und Fakten, von Elefantenbiologie über Düngemittelverordnung bis zur Glass-Cliff-Theorie. Trotzdem wirkt der Text keinesfalls überladen, sondern liest sich angenehm flüssig. Diese Schreibkunst wirkt direkt auch etwas „magic“. Magie à la Gaea Schoeters halt.

„Das Geschenk“ ist ein Buch, dem ich möglichst viele diskussionsfreudige Leser und Leserinnen egal welchen Hintergrunds wünsche! Klare Empfehlung!

Bewertung vom 02.08.2025
Frattini, Stéphane;Manceau, Édouard

183 Pinguine. Das große Tier-Such-Buch


ausgezeichnet

2818 verschiedene Lebewesen wimmeln in diesem Buch: von 13 Blauwalen bis zu 1197 Kleinstlebewesen auf jeweils 1 Doppelseite. Pro Art gibt es acht bestimmte, namentlich genannte Tiere zu identifizieren, z.B. „Popeye, den Fisch, der Grünzeug liebt“ über „Kuhwazy, die verrückte Kuh“ bis „Zyklopa, die Spinne, die nur ein Auge hat“. Alleine schon diese Formulierungen machen Spaß, geschweige denn das Durchforsten dieser liebevoll aufgebauten und gezeichneten Seiten!
Mir und meiner 7jährigen Tochter ist es jedenfalls so schnell nicht langweilig geworden! Wir haben uns gemeinsam auf die Suche gemacht und nicht nur eifrig gekniffelt, sondern uns auch über viele Details unterhalten und amüsiert. Die Aufgaben sind abwechslungsreich und so schwierig, dass man auch mal länger über den Seiten brütet und gleichzeitig so einfach, dass der Erfolg nicht ausbleibt, also einfach perfekt für Wimmeldetektive ab 6 Jahren.
Es gibt in meinen Augen nur zwei kleine Mankos: Die Erklärtexte zu den jeweiligen Tierarten. Anscheinend war das reine Bildersuchen nicht pädagogisch wertvoll genug und so hat man noch ein paar halblustige Infos dazugepackt, die nicht zum Rest des Buches passen. Da hätte ich lieber noch ein paar Tierchen mehr gesucht! Ja, und da sind wir direkt beim zweiten Problem: Die 10 Doppelseiten sind allzu schnell weggerätselt. Natürlich kann man sich unabhängig der vorgegebenen Aufgaben weitere „Ich sehe was, was du nicht siehst“-Fragen stellen, doch ein paar Seiten mehr wären trotzdem schön gewesen. Denn ja: dieses Buch macht definitiv Spaß!!!

Bewertung vom 01.08.2025
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


ausgezeichnet

Der amerikanische Albtraum: Ausgrenzung, Armut, Depression und Sucht. Sehr eindrücklich umgesetzt mit glaubwürdigen, einzigartig gezeichneten Charakteren und menschlichem Zusammenhalt mitten in der Misere. Manchmal etwas schwurbelig, aber der dichte und langsame Schreibstil schafft eine unmittelbare Nähe, die mich schwer beeindruckt hat.

Bewertung vom 24.06.2025
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen


ausgezeichnet

„Das Haus der Türen“ ist großes Kino. Mit atmosphärischen Bildern und gewählter Sprache tauchen wir ein in die tropische Hitze von Penang, anfangs des 20. Jahrhunderts: Meeresrauschen, Vogelgekecker, Gläsergeklirre und das leise Rascheln von Baumblättern begleiten das höfliche Geplänkel, derer man sich auf der Veranda des Cassowary-Hauses hingibt. Es gehört Leslie und Robert Hamlyn, die ihre beiden Gäste, den berühmten Schriftsteller Willie Somerset Maugham und seinen Sekretär Gerald empfangen. Distinguiert und distanziert werden Nettigkeiten ausgetauscht – aber auch schon die ersten Andeutungen, dass das nicht so bleiben wird. Und tatsächlich, in einer schlaflosen Nacht bietet Leslie dem in einer Schreibblockade steckenden Willie eine bisher geheim gehaltene Geschichte an: ihre eigene.
Dass Tan Twan Eng mit diesem Werk für den Booker Prize nominiert war, verwundert nicht. Spielend leicht wechseln die Zeitebenen, ohne dass Knoten im Hirn entstehen. Und je tiefer man in Leslies – und auch Willies – Geschichte(n) eintaucht, in desto mehr Abgründe blickt man hinter der Fassade der britischen Kolonialherren und -damen. Es wird politisch, es wird gesellschaftskritisch, vor allem die undankbaren Geschlechterrollen bekommen so viel Fett ab, dass man fast darüber staunen muss, dass dieses Buch von einem Mann geschrieben wurde.
Trotz der vielfältigen Themen verliert der Autor nie den Faden, und alles fügt sich organisch ineinander. Vor allem die geschliffenen Dialoge haben mich begeistert, da sind wir wieder beim Thema Film: schwerelos entstehen die Szenen vor dem inneren Auge, man hat Willies leichtes Stammeln im Ohr, Leslies in Erinnerungen kramendes Zögern. Ich konnte mir immer bestens vorstellen, dass es genauso gewesen sein könnte…
… Und ja, ein Teil dieser filmreifen Story ist nicht nur einfach Fiktion. Tan Twan Eng schafft es, die historischen Eckpunkte zu einem nicht nur glaubwürdigen, sondern auch sehr emotionalen und bildreichen Lesevergnügen zu schustern, und das bis zum Abspann… Großes Kino eben!

Bewertung vom 24.06.2025
Dave, Raksha

Auf den Spuren unserer Vorfahren


gut

Schön gestaltet mit einem tollen Konzept, das leider inhaltlich nicht aufgeht
In diesem Buch reisen wir zu 14 alten Kulturen rund um den Globus, von der Steinzeit bis ins Mittelalter. Jedem Aufenthalt sind zwei Doppelseiten gewidmet: auf der ersten erhalten wir einen Überblick über Begebenheiten, Lebensgewohnheiten und Eigenheiten der vorgestellten Zivilisation, auf der zweiten dann konkrete archäologische Fundstücke (50 insgesamt), aus der sich diese Rückschlüsse ziehen lassen.
Das Konzept des Buches hat mich sofort gecatcht, soll doch Geschichte „neu erzählt“ werden, weshalb ich mir frische Erkenntnisse erhoffte auf einem Wissenszweig, der auf mich immer verstaubt und langweilig wirkte.
Außerdem ist Haptik und Optik des großformatigen Druckwerkes außen wie innen sehr ansprechend, vor allem die Farbwahl begeistert mich: bunt, aber nicht zu knallig, und immer wieder – den unterschiedlichen Kulturen entsprechend – anders. Auf den Bildern gibt es viele liebevolle Details zu entdecken, farbliche Abgrenzungen schaffen Übersicht.
Doch obwohl ich und mein 7jähriges „Testkind“ gerne bei den Illustrationen verweilten, hat es uns textlich nicht überzeugen können. Beim Vorlesen fiel mir schnell auf, dass sowohl Titel als auch Untertitel den Großteil des knappen Begleittextes zusammenfassen und somit wirken wie „wiedergekäut“ (In Çatalhöyük herrschte Gleichberechtigung / In der jungsteinzeitlichen Stadt Çatalhöyük waren Männer und Frauen gleich / Vielleicht denkst du, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein modernes Konzept ist, dabei gab es bereits vor etwa 9000 Jahren Jäger- und Sammlergruppen ihr Nomadenleben auf und schufen in Çatalhöyük eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen den gleichen Platz einnahmen. S. 14) Sogar meine sonst nicht so sprachsensible Tochter beschwerte sich irgendwann über die Wiederholungen („Das weiß ich doch schon, Mama!“) Erschwerend kommt aber dazu, dass diese redundanten Behauptungen nicht mit beweisstarken Argumenten unterfüttert werden. Die Fundstücke sollen zwar Erklärungen liefern, tun dies aber oft nur sehr oberflächlich. In Çatalhöyük z.B. war bei Frauen und Männern Ernährung, Bestattung, bildliche Darstellung und Aufenthalt in geschlossenen Räumen gleich – das sind prinzipiell interessante Fakten, aber genügt es schon aus, die komplette Gesellschaft als „gleichberechtigt“ zu kennzeichnen? Noch schwächer wirken die Argumente bei den Thule, die hier ebenfalls als gleichberechtigt bezeichnet werden, doch die Objekte erzählen rein gar nichts davon: da werden Harpunen genannt und dass Thule-Familien als Team zusammengearbeitet haben müssen, doch das können, ganz pragmatisch betrachtet, ja auch Männer-Teams gewesen sein (?!) Also mir zumindest erschließt sich der Zusammenhang zwischen Harpunen und Geschlechtergleichstellung nicht wirklich.
Des Weiteren werden mehrere Kulturen als nachhaltig und naturnah bezeichnet, was ich direkt schon als Werbe-Gag empfinde, denn was hätten sie damals – in einer Zeit vor der Industrialisierung, ohne Plastik, ohne Autos, ohne Elektrizität – auch Anderes sein sollen?! Da wäre es meiner Meinung schlauer gewesen, sich zu fragen: warum ist es heute nicht mehr so? Wollen wir wieder Plumpsklos, Ochsenkarren, Tauschhandel? Und wenn nicht: wie könnten wir gleichzeitig vorwärtsgerichtet und nachhaltig leben?
Dieses Buch liefert eine Fülle an prinzipiell spannenden Informationen, deren Interpretation jedoch ganz ähnlich kurz greift wie die frühere Geschichtsschreibung (als die Helden immer männlich waren), welche hier kritisiert wird. Es will dazu anregen, unsere patriarchal geprägte Sicht auf antike Zivilisationen zu hinterfragen, doch das geschieht in erster Linie, indem inflationär mit Begriffen wie Gleichstellung, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Toleranz um sich geworfen wird, es mangelt jedoch an harten Fakten und nachvollziehbaren Argumentationsketten.
So bleibt „Auf den Spuren unserer Vorfahren“ inhaltlich leider deutlich hinter meinen (elterlichen) Erwartungen zurück. Außerdem hätte ich mir eine Weltkarte gewünscht, in der die genannten Ortschaften und Gebiete (die heute oft anders heißen) gekennzeichnet sind, sowie Hinweise zur Aussprache der Namen – ja, lacht nur, aber ich mag es nicht, beim Vorlesen ständig über Zungenbrecher wie Ngiyampaa und Kwih-dich-chuh-ahtx zu stolpern. Es fallen auch viele andere komplizierte Wörter und Fachbegriffe (Osteoarchälogen, Luftzirkulation, Kolonialregierung, Röntgenfluoreszenanalyse,…), die ein flüssiges Lesen erschweren (man bedenke auch die angegebene Altersempfehlung ab 7 Jahren, sprich: Leseanfänger!) wobei das Fachgedöns glücklicherweise in einem Glossar erklärt wird.
Meine Tochter war von einigen Beschreibungen und Bildern durchaus beeindruckt, allerdings war auch sie von dem Buch nicht so nachhaltig gefesselt und begeistert wie erhofft.

Bewertung vom 30.05.2025
Ben Saoud, Amira

Schweben


sehr gut

„Begegnungen“ heißt der Dienst, der Emma anbietet – doch eigentlich heißt sie gar nicht Emma, Emma ist nur die Person, zu der sie sich gerade verwandelt. Vorher war sie Ona und noch vorher… Sie weiß selbst nicht mehr, wer sie eigentlich einmal war, wer sie ist, wer sie sein möchte.
Onaemmairgendwer lebt in einer dystopischen Zukunft nach der Hitze und den Kriegen, indem die Menschen in verstreuten Siedlungen leben, deren äußere Grenze sie nicht überschreiten dürfen. Genauso, wie auch jegliche Ausübung von Gewalt strikte verboten ist, die sich aber trotzdem illegal ihren Weg bahnt, wie wir gleich auf den ersten Seiten erfahren.
Und ich war von der ersten Seite an gefesselt an dieses Buch mit dem eigentümlichen Setting, in das man ohne jegliche Erklärung geworfen wird. Die Siedlung ist seltsam, die Protagonistin ist seltsam, und doch fließen tröpfchenweise mehr Informationen, die einen unheimlichen Sog entwickeln. Die Siedlung scheint zu bröckeln, aber mit ihrem neuen Auftrag zerfallen sogar „Emmas“ Sicherheiten, in denen sie sich bis anhin gewähnt hat. Unheimlich klug also der Aufbau der Story, der einem als Leser*in immer mehr Einblick in Verhältnisse bietet, welche gleichzeitig für die Hauptprotagonistin immer fremder werden.
Nach ungefähr zwei Drittel des Buches gibt es einen (für mich schwerwiegenden) Bruch in der sonst so spannenden Handlung, in dem Emma nur noch als Marionette auf der Bühne bewegt wird. Mir ist bewusst, dass es hier um die Unfähigkeit und Hilflosigkeit geht, sich aus einer toxischen Beziehung zu befreien. Trotzdem hat das für mich auf diese Weise überhaupt nicht funktioniert, weshalb ich einen Stern abziehe für einen ansonsten außerordentlich guten Roman, der Fragen nach Identität und Zukunft stellt, ohne zu belehren, und den ich sehr gerne gelesen habe.

Bewertung vom 11.04.2025
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


sehr gut

Eigentlich müsste dieses Buch „Der Gestank des Walkadavers“ heißen – dass man sich stattdessen für „Der Duft des Wals“ entschieden hat, ist nicht einfach nur leserfreundlicher. Der Titel ist ein Euphemismus und führt somit elegant vor, um was es in diesem Roman eigentlich geht: um das menschliche Widerstreben, sich unschönen Wahrheiten zu stellen.
Erzählt wird die Story aus der Sicht von Hugo und Judith, die ihre Ehe mit einem Cluburlaub zu retten versuchen, ihrer Tochter Ava (die als einzige die vielen Schönredereien durchschaut), den Hotelangestellten Waldemar und Belén sowie der Flugbegleiterin Céleste, die in Mexiko die Seiten wechselt und sich selber Urlaub gönnt. So entsteht ein wohlkonstruiertes Panorama der Dinge, die da vor und hinter den Kulissen des Hotels passieren.
Und passieren tut da einiges; Autor Paul Ruben greift ziemlich tief rein in die Kiste filmreifer Szenen, von sich klischeeartig entwickelnden Begegnungen bis zu übernatürlichen Erscheinungen. Auch in der Charakterisierung spart der Autor nicht mit Absonderlichkeiten: Céleste hat eine (für die Leser*innen nur schwer erträgliche) Neigung zur Selbstkasteiung, Belén Narkolepsie, Hugo irgendwann eine olympische Bronzemedaille errungen. Zum Glück wird diesen Dingen, die nach „boah, das ist jetzt aber sowas von hinüber“ schreien, nicht allzu große Bedeutung beigemessen, so dass dieser Roman zwar oftmals ganz gefährlich am Rande des Klamauks balanciert, aber sich doch noch irgendwie fangen kann.
Ganz stark – neben den witzigen Dialogen – ist die Bildsprache Rubens, die einige Fragen aufwirft und Interpretationsmöglichkeiten zulässt: welche Bedeutungen haben die Nasenbären und der Uhu? Oder das Etch-a-Sketch, das nur waagrechte und senkrechte Linien zulässt? Wieso verschwindet der tote Wal, aber der Gestank nicht?
Leider bleibt der Schreibstil arg oberflächlich, was zwar für eine gute Lesbarkeit sorgt, aber die nötige Tiefe der angesprochenen Themen vermissen lässt. Die gesellschaftskritischen, satirischen und psychologischen Momente sind vorhanden, können aber nur wenig Wirkung entfalten.

Fazit: Eine unterhaltsame Lektüre, die sich leider nicht so richtig entscheiden kann, ob sie jetzt eigentlich böse und bissig sein will, oder doch lieber nur witzig und abstrus. Trotz der oberflächlichen Ausführung haben einige bildhafte Szenen das Potenzial, Nachhall zu erzeugen.