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Insgesamt 93 Bewertungen
Bewertung vom 29.11.2025
Biedermann, Nelio

Lázár


ausgezeichnet

*Im Strudel der Zeiten – Eine mitreißende Familiensaga*
Der erst 22jährige Shootingstar der Schweizer Literaturszene Nelio Biedermann hat mit „Lázár“ einen neuen beeindruckenden historischen Roman vorgelegt.
Eindrucksvoll erzählt er die bewegte, weit verzweigte Familiensaga der ungarischen Adelsfamilie Lázár, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt und unweigerlich mit den umfassenden historischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts verwoben ist.
Beginnend mit der Geburt von Lajos von Lázár in den letzten Jahren der Habsburger Monarchie im südlichen Ungarn begleiten wir die verschiedenen Familienmitglieder durch ein bewegtes Jahrhundert voller Umbrüche bis hinein in die Nachkriegszeit. So durchleben wir an ihrer Seite den Zerfall der Monarchie, die Wirren des Zweiten Weltkriegs, die stalinistische Gewaltherrschaft und die Erfahrungen von Flucht, Enteignung und Exil. Dabei gelingt es Biedermann eindrucksvoll, die äußeren historischen Ereignisse mit dem Schicksal der Lázárs zu verknüpfen. Die politischen Umbrüche dienen nicht als historische Kulisse oder trockene Chronik, sondern werden als prägende Kraft erlebbar, die als individuelle Erlebnisse und Traumata das Innenleben der Figuren tief durchdringen und ihr Beziehungsgefüge nachhaltig verändern.
Die facettenreiche Geschichte der Lázárs und ihr Leidensweg sind untrennbar mit den politischen und seelischen Erschütterungen der europäischen Geschichte verwoben, wobei sich die persönlichen und historischen Konflikte gleichsam ergänzen und wechselseitig verstärken.
Biedermanns Schreibstil überzeugt mit einer faszinierenden Mischung aus nüchternen, fast dokumentarisch anmutenden Passagen und bildgewaltigem, atmosphärischen Szenen, die bisweilen traumartige, mystisch surreale Züge annehmen. Durch die episodische, vielfach gebrochene Erzählstruktur mit vielfältigen Zeitsprüngen, Perspektivwechseln und fragmentarischen Szenen folgt die Geschichte nicht einer linearen Chronologie, sondern präsentiert sich als Geflecht aus Erinnerungssplittern und bewusst offen gelassenen Leerstellen, in dem sich stets die Machtverhältnisse und unausgesprochenen Konflikte spiegeln. Dies reflektiert auf beeindruckende Weise das unzuverlässige, selektive Gedächtnis der Familie und die oft brüchige kollektive Erinnerung, schafft Interpretationsspielräume und fordert uns jedoch auch ein hohes Konzentrationsniveau ab. Statt einer im Mittelpunkt stehenden Hauptfigur begegnen wir einer Vielzahl von Figuren, deren Lebenswege sich kreuzen, überlagern und manchmal auch abrupt enden. Insbesondere die vielen Unschärfen untermalen gekonnt das Bild einer komplexen Welt, in der und die Figuren durch gesellschaftliche und historische Zwänge oft aus den ihnen aufgezwungenen Rollen nicht ausbrechen können und nicht jede Biografie aufgrund der Schnelllebigkeit der Geschichte zu Ende erzählt werden kann.
Die Figuren sind lebendig und vielschichtig gezeichnet und mit ihren Ängsten, Schwächen, inneren Dämonen und Träumen tiefgründig angelegt.
Besonders faszinierend ist die Gestaltung der Frauenfiguren wie Mária, Ilona oder Matilda als widersprüchliche, eigenwillige Charaktere, die keine bloßen Nebenfiguren sind, sondern mit ihren Sehnsüchten und Ängsten die emotionale Last vieler Frauen in sich vereinen. Ihre Biografien spiegeln zentrale Fragen nach überkommenen Geschlechterrollen, Selbstbestimmung innerhalb rigider gesellschaftlicher Normen und der intergenerationellen Weitergabe von unausgesprochener Schuld, Scham und Schweigen.
Bewegend und anschaulich schildert Biedermann insbesondere den prägenden Einfluss auf die jüngeren Generationen, die sich in einer durch Krieg, Revolution und Entwurzelung rasch wandelnden Welt zurechtzufinden und mit Loyalitätskonflikten und innerer Zerrissenheit fertig werden müssen.
Um die emotionale Befindlichkeiten seiner Figuren zu veranschaulichen, verwendet Biedermann nicht nur Symbole und wiederkehrenden Motive, sondern auch eine sehr metaphorische Bildsprache. Diese habe ich gelegentlich zwar als überfrachtet empfunden, doch unterstreicht sie insgesamt eindrucksvoll die emotionale und historische Komplexität des Romans.
FAZIT
Ein sprachlich kraftvoller, atmosphärisch intensiver und vielschichtig erzählter Roman, der ein poetisches Panorama europäischer Geschichte entfaltet. Gleichzeitig ist er eine eindringliche Hommage an Widerstandskraft und Humanität in Zeiten tiefgreifender Umbrüche und schleichenden Vergessens.

Bewertung vom 17.11.2025
Illies, Florian

Wenn die Sonne untergeht


ausgezeichnet

*Von Licht und Schatten - Ein lebendiges Porträt einer zerrissenen Familie im Exil*
In „Wenn die Sonne untergeht“ ist es Florian Illies auf beeindruckende Weise gelungen, ein bemerkenswert vielschichtiges Panorama der ersten Monate des Exils der Familie Mann im Jahr 1933 zu zeichnen, die zugleich eine der herausfordernsten Phasen ihres Lebens darstellten.
Beginnend mit 28. Hochzeitstag von Katia und Thomas Mann in München und ihrer geplanten Vortragsreise zu Richard Wagners 50. Todestag, begleiten wir die Familie auf ihrer unfreiwilligen Flucht ins Exil über einen Zeitraum von knapp drei Monaten. Nach Etappen in Amsterdam, Paris und der Schweiz finden sie über die Sommermonate in Sanary-sur-Mer an der französischen Côte d’Azur schließlich eine vorübergehende neue Heimat finden. Vor dem Hintergrund des sich durch die Nazis rasant radikalisierenden Deutschlands verwebt Illies eindrucksvoll nicht nur die persönlichen Schicksale und familiären Konflikte der Manns, sondern auch lebendige Alltagsskizzen und Begegnungen mit weiteren bekannten Künstlern im Exil wie Lion Feuchtwanger oder Stefan Zweig.

Basierend auf einer enormen Fülle an historischen Quellen, die Briefe, Tagebücher, Interviews und literarischen Werke der Familie Mann umfassen, gelingt es Illies mit seinem Collage-artigen Stil, diese in eine kunstvoll arrangierte, atmosphärisch dichte Chronik zu verwandeln. Die daraus entstandene, beeindruckend lebendige, fast filmisch anmutende Momentaufnahme erlaubt intime und sehr berührende Einblicke in die komplexen Familienverhältnisse. Aus unterschiedlichen Perspektiven erleben wir neben persönlichen Befindlichkeiten der so unterschiedlichen Familienmitglieder einen höchst labilen Familienverbund mit all den Enttäuschungen, Ängsten, Eitelkeiten und Hoffnungen.

Besonders eindrücklich ist die einfühlsame Auseinandersetzung mit den vielfältigen Auswirkungen, die das unfreiwillige Exil für die Manns mit sich bringt. Illies zeichnet Thomas Manns innere Zerrissenheit mit groem Feingefühl und in all ihren Facetten nach -seine schmerzhafte Trennung von der geliebten Heimat, sein beständiges Schwanken zwischen Entwurzelung, innerem Rückzug und einer vorsichtigen politischen und künstlerischen Haltung sowie dem Ringen um Zuversicht trotz ungewisser Zukunftsaussichten.

Der zarte, poetische und atmosphärisch dichte Schreibstil Illies’ steht in spannungsvollem Kontrast zur bedrückenden politischen Realität, die durch die aufkommende Naziherrschaft geprägt ist und die der Familie Mann zunehmend an zusetzt. Mit feiner Ironie und lakonischer Humor versteht es Illies zudem, gelungene Gegengewichte zur oft ernsten Grundstimmung zu setzen und immer wieder durch Momente verhaltener Lebensfreude und liebevoller Begebenheiten aufzulockern. Besonders überzeugend ist sein ausgeprägtes Gespür für atmosphärische Details und emotionale Zwischentöne.

So ist ihm eine faszinierende Verbindung aus sorgsam recherchierter historischer Betrachtung und berührender literarisch starker Erzählung gelungen, die stets eine ausgewogene Mischung aus persönlicher Nähe und historischer Distanz zu wahren versteht, und die vielschichtige Realität des Exils lebendig werden lässt.

Obwohl die Fülle an Details und der ständige Perspektivwechsel bisweilen herausfordernd sein knnen, bietet das Buch insgesamt aber eine fesselnde und sehr facettenreiche Darstellung von Thomas Manns Zeit im südfranzösischem Exil, und lädt zu weiterführenden Studien ein.



ZUM HÖRBUCH

Der Schauspieler Stephan Schad erweist sich als ideale Besetzung für die ungekürzte Hörbuchversion. Mit seiner angenehmen, einfühlsamen und markanten Stimme gelingt es ihm, die Hörer tief in die fesselnde Geschichte der Familie Mann zu ziehen und unterschiedlichste Schauplätze lebendig werden zu lassen. Durch feine Variationen in Tempo, Lautstärke und Dynamik fängt er die unterschiedlichen Stimmungen und emotionalen Nuancen gekonnt ein. Gekonnt macht er die melancholische, oft ironisch-humorvolle Grundstimmung spürbar ohne dabei die historische Dramatik zu schmälern. Schads souveräne Interpretation verleiht den Figuren individuelle Facetten, macht emotionale Zwischentöne hörbar und schafft so ein besonders intensives und bewegendes Hörerlebnis, das uns tief in die jene Zeit des Exils eintauchen lässt.

FAZIT

Eine hervorragend recherchierte und zugleich atmosphärisch dichte Erzählung über einen der schwierigsten Lebensabschnitte der Familie Mann – eindrucksvoll lebendig, facettenreich und authentisch dargestellt!
Eine fesselnde und bereichernde Lektüre zum Abschluss Thomas Mann-Gedenkjahres.

Bewertung vom 16.11.2025
Perego, Carlotta

Carlottas vegane Küche


ausgezeichnet

*Vegane Vielfalt für jeden Tag - Das perfekte Kochbuch für Einsteiger*
„Carlottas vegane Küche“ ist das erste deutschsprachige Kochbuch der Bestsellerautorin Carlotta Perego, das kürzlich im Raetia Verlag erschienen ist. Es eröffnet einen vielseitigen Einblick in die bunte Welt der rein pflanzlichen Alltagsküche und bietet mit seiner Auswahl an unkomplizierten wie raffinierten Gerichten einen inspirierenden und kreativen Einstieg für alle, die sich für die vegane Lebensweise begeistern.
Als engagierte Botschafterin einer nachhaltigen, pflanzlichen Ernährung zählt Carlotta Perego zu den bekanntesten veganen Influencerinnen Italiens, die mit ihrer Plattform „Cucina Botanica“ auf Social Media über 1,5 Millionen Menschen erreicht. Ihre Begeisterung für die vegane Küche vermittelt sie mit viel Enthusiasmus, praktischen Ansätzen und alltagstauglichen Ideen.
Die etwa 80 Rezepte aus Peregos persönlichem Repertoire orientieren sich konsequent an ihrem „Easy und schnell“-Konzept und richten sich besonders an Veganista-Einsteiger, Berufstätige und alle, die unkomplizierte, „tierfreie“ Alternativen für eine gesunde, vollwertige Ernährung suchen. Neben einer Vielzahl an Anregungen für schmackhafte, frisch zubereitete vegane Gerichte enthält das Buch zahlreiche praktische Tipps, Tricks und fundiertes Know-how rund um die vegane Küche, Meal-Prep und Decluttering, also die optimale Ordnung in der Küche. Die sympathische Autorin zeigt ihrer bewährten Meal-Prep-Methode, wie viel Freude und Effizienz im Alltag möglich sind, ganz ohne stundenlanges Vorbereiten und zeitintensives Kochen.
Die Rezeptvielfalt reicht von verschiedenen Frühstücksideen und kleinen Snacks für zwischendurch über vollwertige Hauptgerichte bis hin zu verführerischen Süßspeisen. Dabei zeichnen sich die Gerichte durch eine schnelle, unkomplizierte Zubereitung aus und beweisen eindrucksvoll, dass vegane Küche keineswegs langweilig, fad oder aufwendig sein muss.
Mit ihren kreativen Rezepten, die vorwiegend auf natürlichen Zutaten wie Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchten, Obst, Samen und Nüssen basieren, bringt Carlotta neue Impulse und genussvolle Momente auf den Teller.
Beim Durchblättern fällt die Entscheidung schwer, welches der zahlreichen köstlichen Rezepte man zuerst ausprobieren möchte. Ob Schoko-Haselnuss-Kränzchen, Kichererbsen-Schnitzel oder bunte Gemüsegerichte, vegane Eiscreme oder verführerische Desserts – hier ist garantiert für jeden Geschmack und Anlass etwas dabei.
Nach dem Einleitungsteil geht es dann direkt mit dem eigentlichen Rezeptteil los, der in neun Abschnitte gegliedert ist: Frühstück – Vorspeisen - Nudeln, Risotto Co – Hauptspeisen – Gemüse und Beilagen - Snacks – Desserts – Dressings, Soßen & Co – Getränke.
Jedes Rezept wird auf einer Doppelseite präsentiert, mit übersichtlicher Zutatenliste und ausführlicher, leicht verständlicher Beschreibung der einzelnen Zubereitungsschritte. Außerdem gibt es noch ergänzende Hinweise zu Warenkunde, Tipps zur Zubereitung und Aufbewahrung, Vorschläge für Beilagen oder interessante Rezept-Variationen. Alle Rezepte sind für 4 Personen ausgelegt und mit Angaben zur Zubereitungs- und Kochzeit sowie Hinweisen wie Gluten- bzw Nuss-Freiheit versehen, die als Symbole in der oberen linken Ecke dargestellt werden.
Die von mir ausprobierten Gerichte waren tatsächlich schnell und einfach in der Zubereitung und ausgesprochen schmackhaft. Auch wenn manche Rezeptideen wenig originell erscheinen, mindert dies nicht den ansonsten positiven Gesamteindruck. Die vorgestellten Rezepte regen auf jeden Fall dazu an, kreativ zu werden und selbst Neues auszuprobieren.
Gut gefallen hat mir auch die hochwertige und ansprechende Gestaltung des gesamten Kochbuchs mit stimmungsvollen Fotos , liebevolle Illustrationen und praktischem Lesebändchen. Insbesondere die natürlichen, appetitanregenden Fotografien zu jedem Rezept sind sehr gelungen und laden zum Schmökern ein. So nimmt man das Buch nicht nur zum Kochen, sondern auch gerne einfach nur zum Sich-Inspirierenlassen in die Hand.
Abgerundet wird das Buch schließlich durch ein alphabetisches Verzeichnis der Rezepte und ein kurzes Portrait der Autorin.
FAZIT
Ein empfehlenswerter, kreativer und praxisnaher Einstieg in die vegane Alltagsküche - mit abwechslungsreichen Rezepten und vielen wertvollen Tipps besonders für Vegan-Einsteiger und alle, bei denen es schnell gehen soll!

Bewertung vom 14.11.2025
Bertram, Felix;Weber, Nina

Hacking Age


sehr gut

*Der persönliche Leitfaden für ein bewussteres und längeres Leben*
In seinem Buch „Hacking Age - Die radikale Verjüngungsreise eines Arztes, der sich 25 Jahre zurückholen will“ nimmt uns Dr. Felix Bertram mit auf eine außergewöhnliche und lehrreiche Reise zurück zu seinem jüngeren, fitteren und gesünderen Ich.
Der Auslöser seinen bisherigen Lebensstil grundlegend umzukrempeln war für den 49-jährigen Dermatologen, erfolgreichen Unternehmer und Investor das erschütternde Ergebnis eines umfangreichen Tests, der sein biologisches Alter auf 74 Jahre schätzte. Für den „Selfmade Man“ war es ein Weckruf, mehr auf seinen rebellierenden Körper zu hören, die vielfältigen Anzeichen von Erschöpfung und Stress ernst zu nehmen, Seither setzt er alles daran, gegen den Alterungsprozess anzukämpfen, um verlorene Lebensjahre zurückzugewinnen.
Nach Auffassung von Dr. Bertram gründet ein gesundes, glückliches und erfülltes Leben auf den drei wesentlichen Säulen Gesundheit, persönliche Entwicklung und Beziehungen. Diese sollten in einem ausgewogenen Zusammenspiel stehen, da sie sich gegenseitig beeinflussen. Das Buch ist entsprechend seinem Konzept der drei Säulen übersichtlich in drei Abschnitte gegliedert, die sich jeweils einem Themenbereich widmen.
In den vergangenen Jahren hat sich das Thema Longevity (Langlebigkeit) zu einem der großen Trendthemen entwickelt, so dass sich Dr. Bertram sehr intensiv mit den wissenschaftlichen Grundlagen und neuesten Erkenntnissen aus der Altersforschung auseinandergesetzt hat. Sehr authentisch und eindrucksvoll schildert er seinen faszinierenden Selbstversuch und lässt uns Schritt für Schritt an seinem detailliert dokumentierten Weg teilhaben, wie er durch konsequentes Ablegen alter Gewohnheiten zurück zu mehr Vitalität und Lebensfreude findet. Dabei beleuchtet er wichtige Einflussfaktoren für den Alterungsprozess wie ein individuell abgestimmtes Bewegungsprogramm, ausgewogener Ernährung, erholsamem Schlaf und effektives Stressmanagement.
Gemeinsam mit Biochemikerin und Medizinjournalistin Nina Weber ist es Dr. Bertram gelungen, persönliche Erfahrungen, praktische Alltagstippsund fundiertes medizinisches Fachwissen verständlich, anschaulich und motivierend zu verbinden. Der lebendige Schreibstil macht die Lektüre angenehm und mitreißend. Besonders gefallen haben mir die ehrlichen, reflektierten Schilderungen sowie die fachlich fundierten Einschätzungen und kritischen Anmerkungen des Autors, die dem Buch viel Authentizität und Glaubwürdigkeit verleihen.
„Hacking Age“ überzeugt durch eine einfühlsame und motivierende Herangehensweise an die Thematik Bewegung und Ernährung. Besonders sympathisch ist die offene Ermutigung, verschiedene Sportarten auszuprobieren und die Freude an Bewegung individuell zu entdecken, ohne sich dabei unter Druck zu setzen. Praktische Tipps und Selbstreflexionsfragen helfen dabei, Gewohnheiten zu hinterfragen, realistische Ziele zu setzen und umsetzbare Routinen zu entwickeln.
Auch der Abschnitt zur Ernährung besticht durch Alltagstauglichkeit und betont, dass Genuss und gesunde Ernährung keineswegs im Widerspruch stehen. Besonders angesprochen hat mich die „Jokerregel“, die kleine Pausen oder Ausnahmen in der Alltagsroutine erlaubt, und so einen entspannten Umgang mit den selbst gesteckten Zielen fördert.
Ein weiterer spannender Aspekt ist Bertrams Vorschlag eines regelmäßigen „Meeting mit sich selbst“, das ein bewusstes Innehalten anregt und Selbstreflexion ermöglicht. Dr Bertram versteht es, auch Rückschläge als natürliche Bestandteile des Veränderungsprozesses offen anzusprechen. Dabei betont er, dass auch kleine Veränderungen bedeutende Fortschritte bewirken können. Seine praxisnahen Strategien zum Umgang mit Stress, wie etwa bewusste Pausen und ein kritisches Hinterfragen stressiger Situationen, runden sein ganzheitliches Konzept ab.
Im Anhang findet sich ein kleines Test-ABC mit Begriffen rund um das biologische Alter und die Gesundheit sowie ein ausführliches Quellenverzeichnis.
Insgesamt ist „Hacking Age“ kein klassischer Selbsthilfe- oder Gesundheitsratgeber, sondern eine persönliche, fesselnde Erfahrungsreise, die wissenschaftliche Grundlagen aus der neueren Longevity-Forschung mit vielen praktischen Tipps verbindet. Das inspirierende Buch lädt dazu ein, das eigene Leben zu reflektieren, alte Gewohnheiten zu überprüfen und einen Neustart zu wagen – für mehr Vitalität, Gesundheit und Lebensfreude.

Es motiviert, ohne zu überfordern, und bietet als gelungener Leitfaden zahlreiche wertvolle Impulse für einen bewussteren und gesünderen Lebensstil.

FAZIT
Wer einen inspirierenden Impuls für ein gesünderes, achtsameres Leben sucht, findet hier einen motivierenden Begleiter, der zu nachhaltigen Veränderungen ermutigt – ganz ohne Druck, aber mit viel Herz und wissenschaftlichem Tiefgang.

Bewertung vom 14.11.2025
Sartor, Henning;Schütz, Burkhard;Zeiss, Katharina

Der Darm der 100-Jährigen


sehr gut

*Darmgesundheit als Schlüssel zur Langlebigkeit – Ein wissenschaftlich fundierter Leitfaden*
Der Darm der 100-Jährigen – Wie wir Stoffwechselgifte stoppen und damit die Zellen verjüngen von Katharina Zeiss, Dr. med. Henning Sartor und Prof. Dr. med. Burkhard Schütz ist ein informatives und praxisorientiertes Sachbuch, das den Einfluss des Darmmikrobioms auf gesundes Altern umfassend beleuchtet. Katharina Zeiss und ihre Co-Autoren laden zu einer spannenden Spurensuche ein, die die zentrale Bedeutung des Mikrobioms für unsere Gesundheit und für vielfältige biologische Alterungsprozesse anschaulich macht.
Anhand zahlreicher Studien und eines persönlichen Fallbeispiels erläutert sie in ihrer Einleitung auf lebendige und verständliche Weise, welche Faktoren für ein langes, gesundes Leben entscheidend sind und warum die Vielfalt der Darmflora dabei eine zentrale Rolle spielt. Internationale Langzeitstudien über 100-Jährigen zeigten, dass eine spezielle, widerstandsfähige Darmflora offenbar maßgeblich zu einem zuverlässigen Schutz vor Zivilisationskrankheiten und Altersleiden beiträgt. Diese einzigartige mikrobielle Zusammensetzung wird als wichtiger Faktor gewertet, der die Basis für ein hohes Alter in guter Gesundheit sein könnte.
Auch für Leser ohne medizinischen Hintergrund werden die anspruchsvollen wissenschaftlichen Inhalte lebendig und anhand konkreter Fallbeispiele verständlich und in überschaubaren Abschnitten präsentiert, wobei verwendete Fachbegriffe stets sinnvoll erklärt werden.
Das nahezu völlige Fehlen von Illustrationen lenkt den Fokus auf die komplexen Inhalte, wenngleich ergänzende Visualisierungen beispielsweise durch Tabellen oder Grafiken bei detaillierten Darstellungen von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Zusammenhänge die Verständlichkeit hätten erhöhen können.
Inhaltlich finden sich sehr anschauliche Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Darmgesundheit, Immunsystem, psychischem Wohlbefinden und chronischen Erkrankungen. Sehr verständlich und detailliert wird erläutert, wie das Mikrobiom durch Ernährung, Lebensstil und Umweltfaktoren beeinflusst wird. Die praktische Bedeutung von ballaststoffreicher Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung und Medikamentenverzicht wie Antibiotika wird nachvollziehbar herausgestellt. Die Autoren geben hierbei zahlreiche praxisnahe Anregungen und leicht umsetzbare Empfehlungen, wie sich die Darmflora im Gleichgewicht halten lässt – und damit das Altern nachhaltig positiv beeinflusst.
Ein Schwerpunkt liegt auf der Problematik stiller Entzündungen und ihrer Rolle bei vielen chronischen und altersassoziierten Krankheiten, wobei die Autoren eindrucksvoll darlegen, dass ein gestörtes Mikrobiom durch stille Vergiftungen langfristig das Immunsystem schwächt und entzündliche Prozesse fördert. Hier wäre allerdings eine differenziertere Betrachtung wünschenswert gewesen, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden.
Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit Darmcoaching, praktischen Detox-Strategien und dem Aufbau einer neuen Balance. Die nachvollziehbar dargestellten vier Säulen der Entgiftung liefern leicht umsetzbare Impulse. Besonders hervorzuheben ist schließlich der strukturierte 21-Tage-Plan, der konkrete Ernährungs-, Detox- und Mikronährstoffempfehlungen enthält. Auf Basis des fundierten theoretischen Grundlagenwissens zu Zellerneuerung, Darmgesundheit und Langlebigkeit wird eine praktikable Anleitung zur Ernährungsumstellung vorgestellt. Leider blieben die Details zu diesem zentralen Detox-Plan jedoch hinter meinen Erwartungen zurück. Die weiterführenden Informationen und Rezepte sind nicht im Buch enthalten, sondern Teil eines kostenpflichtigen Zusatzprogramms, was die eigenständige Umsetzung deutlich erschwert und einschränkt.
Zudem fehlt eine kritische Auseinandersetzung über mögliche Limitationen oder Nebenwirkungen solcher Interventionsprogramme, was bei dieser Thematik eine wichtige Ergänzung gewesen wäre.
So bietet der Abschnitt zwar wertvolle Ansätze und eine hilfreiche Grundlagen, um den eigenen Darm mit gezielten Maßnahmen zu unterstützen, doch für Interessierte, die sich umfassend informieren und sicher begleiten lassen möchten, ist diese Kurzdarstellung unzureichend.
Insgesamt überzeugt das Buch jedoch durch eine beeindruckende und höchst informative Verbindung von fundiertem Wissen und praxisnahen Empfehlungen. Es motiviert dazu, den eigenen Lebensstil zu reflektieren und gezielt die Darmgesundheit und Vielfalt des Mikrobioms zu fördern, um das Altern bewusster und gesünder zu gestalten.
FAZIT
Ein wertvoller und inspirierender Leitfaden für alle, die die Bedeutung ihres Mikrobioms für die Gesundheit entdecken möchten. Trotz kleinerer Schwächen präsentiert das Buch einen erkenntnisreichen Beitrag, der den Weg zu mehr Diversität im Darm und gesteigerter Vitalität im Alter überzeugend aufzeigt.

Bewertung vom 10.11.2025
Izquierdo, Andreas

Über die Toten nur Gutes / Ein Trauerredner ermittelt Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

*Ein erfrischender Krimi mit Herz und Humor*

In seinem neuen Roman „Über die Toten nur Gutes“ präsentiert der deutsche Schriftsteller und Drehbuch-Autor Andreas Izquierdo eine originelle und erfrischende Neuinterpretation des Krimigenres. Mit dem unterhaltsamen Auftakt seiner etwas ungewöhnlichen Krimireihe um den charmanten Trauerredner Mads Madsen verleiht er dem Genre neue Impulse und verbindet sehr eindrucksvoll, Humor, Spannung und Tiefgang.
Dieser mitreißende Krimi erzählt die abwechslungsreiche und leicht skurrile Geschichte vom jungen Mads aus Glücksburg an der Ostsee, der unfreiwillig in einen gefährlichen Kriminalfall hineingerät.
Beim Versuch, Licht in den rätselhaften Tod seines früheren Jugendfreundes Patrick zu bringen und mehr über seinen Lebensweg zu erfahren, gerät Mads bald ins Visier von eher suspekten Leuten, die mit Patrick noch eine Rechnung offen haben. Was als scheinbar harmlose Recherche für eine Trauerrede beginnt, entwickelt sich rasch zu einem nervenaufreibenden, turbulenten Abenteuer, bei dem Mads nicht nur sich selbst, sondern auch seinen exzentrischen Vater Fridtjof und seinen Freundeskreis in Gefahr bringt.
Mit seinem lebendigen, warmherzigen Erzählstil versteht es Izquierdo hervorragend, eine breite Palette an Emotionen in uns zu wecken, die von Schmunzeln bis tiefem Nachdenken reichen. Geschickt Izquierdo verbindet feinem Humor und Situationskomik mit ernsten Themen wie Freundschaft, Schuld, Verlust, Trauer und Tod
Nach einem originellen Einstieg voll spritzigem Humor und skurriler Ideen wechselt die Handlung immer mehr zu tiefgründigen sowie teils mystisch-rätselhaften anmutenden Episoden, in denen der gutmütige Mads zu einem Ermittler wider Willen wird und sich auf seiner unbeirrten Suche nach der Wahrheit einem undurchsichtiges Netz aus Geheimnissen, Lügen und dunklen Machenschaften gegenüber sieht.
Izquierdo hat einfach ein Händchen dafür, neben bemerkenswert facettenreichen Figuren auch echt schräge Charakterköpfe zu schaffen, die man nicht so schnell vergisst. Seine Hauptfigur Mads hat er als einen faszinierenden, charismatischen Charakter mit Ecken und Kanten ausgearbeitet, den man mit seiner großen Empathie und seiner herzensguten, etwas verschrobenen Art bald in sein Herz zu schließen beginnt.
Mads ist kein klassischer Ermittler, sondern ein liebenswerter, herrlich unkonventioneller Antiheld, der mit entwaffnender Menschlichkeit von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert und dabei genau jene Schwächen und Zweifel zeigt, die ihn so sympathisch und einzigartig machen.
Die Geschichte erhält durch Mads’ traurige persönliche Hintergrundgeschichte, geprägt vom frühen Verlust der Mutter und seinem jahrzehntelang in Trauer gefangenen Vater, eine emotional berührende Tiefe.
Auch die Nebenfiguren sind facettenreich und lebendig gestaltet. Ob nun Mads eigenwilliger Vater mit seinen skurrilen Eigenheiten, seine Geschwistern nebst Anhang sowie sein Freundeskreis sie alle sorgen für viele humorvolle und lebendige Momente. Zudem ist seine quirlig-liebenswerte Malteserhündin Bobby immer mittendrin und verleiht der Geschichte zusätzlichen Schwung.
Es erfordert eine gehörige Portion Einfallsreichtum und einige unerwartete Wendungen, damit Mads dem drohenden Unglück entkommt.
Zwar wirken einige Verwicklungen der Geschichte gelegentlich etwas unglaubwürdig und überzogen, doch die amüsante und lebendig erzählte Handlung gleicht dies mehr als aus. Das packende Finale mit einem dramatischen Showdown und einer überraschenden Schlusspointe sorgt für einen stimmigen und befriedigenden Abschluss und weckt zugleich die Vorfreude auf weitere Abenteuer mit Mads Madsen.
FAZIT
Ein ungewöhnlicher, sehr unterhaltsamer Krimi mit viel Herz, Humor und Spannung und einer gelungenen Mischung aus skurrilen Charakteren und tiefgründiger Handlung!
Ein wundervoller Krimi, der mit der philosophischen und humorvollen Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Lebens, unterhaltsam und nachdenklich stimmend zugleich ist.

Bewertung vom 09.11.2025
Maschik, Anna

Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten


ausgezeichnet

*Eindrucksvoller Generationenroman*
Mit ihrem Debüt „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ legt Anna Maschik einen äußerst eindrucksvollen und herausfordernden Roman vor, der die über ein ganzes Jahrhundert reichende Geschichte einer Familie erzählt, deren Wurzeln tief in der bäuerlichen Welt Norddeutschlands verankert sind.
Die Handlung spannt sich vom entbehrungsreichen Alltag Henrikes auf einem norddeutschen Bauernhof um 1900 über die Nachkriegszeit, bis in die Gegenwart zur Urenkelin Alma. Fasziniert von der Fremdheit dieser bäuerlichen Welt und der Magie, die den Erinnerungen innewohnt, versucht sie in den Überlieferungen und lückenhaften Geschichten die Spuren ihrer eigenen Herkunft zu finden und setzt so ihre Familiengeschichte Stück für Stück zusammen. Dabei entführt sie uns mit auf eine stimmungsvolle und zugleich verstörende Entdeckungsreise durch die Generationen ihrer Familie.

Anstelle einer konventionellen, chronologisch erzählten Familiengeschichte mit einer fortlaufenden Handlung setzt Maschik auf eine stark fragmentierte Erzählweise. Verschiedene nicht-lineare Episoden und collagenartig arrangierte Momentaufnahmen aus Erinnerungsfragmenten, pointierten Beobachtungen von Alltagsszenen und existenziellen Erfahrungen sowie kurzen Aufzählungen verdichten sich allmählich zu einem faszinierenden Geflecht mehrerer Generationen. Geschickt lässt sie in ihrer eindringlich erzählten, mysthisch angehauchten Familiengeschichte Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen und verwebt Alltägliches mit beinahe magischen Momenten.
Die zahlreichen Leerstellen fordern uns dazu heraus, eigenständig Verbindungen zwischen den einzelnen Fragmenten zu ziehen und dabei neben dem Offensichtlichen auch dem Schweigen und Ungesagten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Autorin verdeutlicht dabei gekonnt, dass sich unser Verständnis von Familiengeschichte und Herkunft nicht als einfache, durchgehende Erzählung begreifen lässt, sondern vielmehr als vielschichtiges, oft widersprüchliches Geflecht, das sich immer aus persönlich eingefärbten, fragmentarischen Erinnerungsstücken zusammensetzt. Nach und nach offenbaren sich eindrucksvoll die verborgenen Geheimnisse und komplexen inneren Strukturen der Familie.
Zudem zeigt sie auf, wie die Erlebnisse aus der Vergangenheit Spuren in einer Familie hinterlassen und bis in die Gegenwart weiterwirken. Einfühlsam thematisiert sie zugleich den Einfluss von Erinnerungen, Ritualen, Verlusten, Traumata und Prägungen auf die Lebenswege der einzelnen Familienmitglieder.
Besonders faszinierend sind Maschiks eigenwilliger, nüchterner und dennoch poetischer Schreibstil sowie ihre beeindruckenden Sprachbilder, die auch in der beklemmenden Trostlosigkeit immer wieder bemerkenswerte Akzente setzen.
Maschik zeichnet das Innenleben und die Konflikte ihrer facettenreichen weiblichen Hauptfiguren sehr eindringlich. So zeigt sie ihre Unsicherheiten, Ängste und Zweifel ebenso wie auch ihren tiefen Wunsch nach Selbstbestimmung und Wandel. Gleichzeitig bleibt aber eine gewisse Distanz zu ihnen, die sie leider schwer greifbar macht. Ihre Schicksale sind von Brüchen geprägt und doch werden sie immer wieder unweigerlich von der sich wiederholenden Familiengeschichte eingeholt.
Maschik zeigt in ihrem vielschichtigen Roman eindrucksvoll, wie die Schatten der Vergangenheit die Gegenwart formen! Am Ende bleibt das Bild eines fragilen Netzwerkes aus Stimmen, Schweigen und Erinnerungen, das uns mit tief empfundener Nähe und Fremdheit zugleich zurücklässt.
Dieser faszinierende Roman lädt ein, die eigene Herkunft nicht als eindimensionale Erzählung, sondern als vielschichtiges Mysterium zu begreifen, dessen Rätsel nie ganz aufzulösen sind.

FAZIT
Maschiks literarisches Debüt ist ein atmosphärisch dichtes, formal herausforderndes Familienepos, das zum Nachdenken anregt und lange nachwirkt!

Bewertung vom 09.11.2025
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


sehr gut

*Ein leiser Roman*
Der französische Bestsellerautor und Prix-Renaudot-Preisträger David Foenkinos lädt in seinem neuen Roman „Das glückliche Leben“ dazu ein, auf überraschend leichte und zugleich tiefgründige Weise dem Wesen des Glücks und dem Sinn des Lebens nachzuspüren. Inspiriert von einer ungewöhnlichen südkoreanischen Praxis, bei der Menschen ihr eigenes Begräbnis inszenieren und als therapeutisches Ritual erleben, entwirft Foenkinos eine originelle und zugleich nachdenklich stimmende Geschichte über die Suche nach Erfüllung, Selbstverwirklichung und innerem Frieden.
Beinahe beiläufig entfaltet sich die leicht skurrile Geschichte um den etwas eigentümlichen, aber liebenswerten Antihelden Éric Kherson. Eine gescheiterte Ehe, die Entfremdung vom Sohn, das monotone Einerlei aus emotionaler Abstumpfung und die banale Routine seiner Arbeit lassen das Leben des ausgebrannten Vierzigjährigen in lähmender Leere erstarren. Erst die unerwartete Kontaktaufnahme der alten Schulfreundin Amélie über Facebook – verbunden mit dem Angebot eines Wechsels ins Außenhandelsministerium – eröffnet ihm einen Ausweg aus dieser Starre und eine neue Perspektive. Auf einer Geschäftsreise nach Seoul erfährt Éric in einer Filiale der ‚Happy Life‘-Franchise schließlich eine irritierende und zugleich erhellende Zäsur. Was anfangs wie ein befremdliches Ritual anmutet, erweist sich für ihn als eine Art mystisches Erwachen und markiert den Auftakt zu einem mutigen Neuanfang. Die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit während seiner Fake-Beerdigung erschüttert ihn zutiefst und öffnet den Blick auf neue, wesentliche Horizonte in seinem Leben.
Mit einem warmherzigen Schreibstil, durchzogen von feinem Humor und leiser Ironie, entführt uns der Autor in eine ruhige Erzählung voller leiser Töne. So begleiten wir Éric auf seinem weiteren Lebensweg, der ihn seinem persönlichen Glück allmählich näherführt.
Mit seiner entschleunigten, beinahe filmischen Erzählweise und einer feinsinnigen Beobachtungsgabe gelingt es Foenkinos, eine beeindruckende Bandbreite an Stimmungen und Emotionen einzufangen. Gekonnt erweckt er den liebevoll gezeichneten Protagonisten zum Leben, macht dessen innere Erschöpfung, Leere, Zweifel, Enttäuschungen und Sehnsüchte atmosphärisch greifbar. Doch so eindrücklich die Zeichnung der Charaktere und ihr Innenleben auch gelingt, so oberflächlich bleibt der Autor im Umgang mit den tieferen Schichten seiner Themen. So werden Fragen nach Sinnsuche, Depression und existenziellen Ängsten nur gestreift, existenzielle Krisen den Figuren erspart und gesellschaftliche Brüche und Probleme allenfalls am Rande angedeutet.
Anstelle plakativer Lebensweisheiten entfaltet der Roman eine Fülle nachdenklicher Passagen über die Endlichkeit des Lebens und den Mut, Routinen hinter sich zu lassen, um einen Neubeginn zu wagen. Foenkinos regt uns dazu an, innezuhalten, das eigene Dasein zu hinterfragen und sich den eigenen Vorstellungen von Glück und Sinn zuzuwenden. Mit feinem Gespür für Zwischentöne zeigt er, dass sich das wahre Glück selten im spektakulären Augenblick offenbart, sondern weit häufiger in den kleinen Momenten und leisen Gesten des Alltags.

FAZIT
Ein charmanter, behutsam erzählter Roman über die lebensnahe Suche nach Glück und Sinn, der mit seiner warmherzigen Stimme, seinem Humor und seiner zarten Ironie zu unterhalten weiß.
Eine stille Hymne auf das persönliche Glück und eine inspirierende Einladung zum Innehalten für alle, die sich auf die Suche nach einem erfüllten Leben begeben möchten.

Bewertung vom 09.11.2025
Flitner, Bettina

Meine Mutter


ausgezeichnet

*Berührender Erinnerungsroman*
Nach dem vielbeachteten Roman „Meine Schwester“, in dem die Fotografin und Autorin Bettina Flitner einfühlsam die tragische Geschichte des Suizids ihrer Schwester Susanne sowie ihren eigenen Weg durch die schmerzliche Trauer schilderte, legt sie nun mit „Meine Mutter“ einen weiteren eindrucksvollen Erinnerungsroman vor. Dieser setzt ihre intensive literarische Spurensuche zu den verborgenen Schatten ihrer Familiengeschichte fort und ermöglicht zugleich auch Neu-Lesenden ohne Vorkenntnisse einen unmittelbaren, berührenden Zugang.

Mit großem Feingefühl zeichnet Flitner ein vielschichtiges und eindringliches Familienporträt, das uns tief in die historischen und persönlichen Abgründe des 20. Jahrhunderts eintauchen lässt. Die prägenden Schicksalslinien eines Jahrhunderts spiegeln sich in zahllosen tragischen Ereignissen, familiären Konflikten und stillen Leiden wider, die das Leben ihrer Familie nachhaltig geprägt haben. Besonders beeindruckend gelingt ihr das harmonische Wechselspiel aus erzählerischer Dichte und reflektierenden Einblicken, das sich in feinen Momentaufnahmen und dokumentarischen Einschüben auf verschiedenen Zeitebenen kunstvoll zusammenfügt.
Im Rahmen einer Lesung 2023 in Celle begibt sich Flitner nicht nur zum Grab ihrer Mutter, sondern besucht auch das frühere Wohnhaus ihrer Großeltern – beides Orte, die lebendige Zeugnisse ihrer Herkunft darstellen. Diese Begegnung mit den eigenen Wurzeln entfacht eine Flut längst zurückgedrängter Erinnerungen und bringt quälende Fragen zu den Suiziden von Mutter und Schwester mit ungeahnter Intensität an die Oberfläche.
Getrieben von dem Wunsch, die Hintergründe der familiären Tragödien zu besser verstehen, taucht die Autorin tief in die Vergangenheit ein und folgt den Spuren zu den Ursprüngen ihrer Familiengeschichte. So führt ihre Reise in den malerischen Kurort Wölfelsgrund in Niederschlesien im heutigen Polen, wo ihre Vorfahren einst bis 1949 ein Sanatorium leiteten und ihre Mutter 1936 geboren wurde. Flitners bildgewaltiger und zugleich klarer Erzählstil bringt die Kindheit in der Nazizeit, die Schrecken der Kriegstage sowie das unfassbare Leid von Flucht und Vertreibung eindrucksvoll zum Leben. Diese traumatischen Erfahrungen haben unauslöschliche, unsichtbare Narben hinterlassen und eine allgegenwärtige Atmosphäre von Bedrohung geschaffen, die das Familienleben prägte. Insbesondere die Nachkriegszeit war von innerer Zerrissenheit und dem Gefühl von Entwurzelung geprägt, die die weitere psychologische Entwicklung der Mutter maßgeblich beeinflussten.

Äußerst einfühlsam beleuchtet Flitner die komplexe und schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die von beklemmender Distanz, zahllosen Leerstellen und einem anhaltenden Schweigen überschattet wird, das jedoch immer wieder von Momenten zarter, emotionaler Nähe durchbrochen wird. In behutsam komponierten Episoden fügt die Autorin eigene fragmentarische Erinnerungen zu einem eindringlichen Porträt der gemeinsamen Familiengeschichte zusammen, das eine nuancierte und warmherzige Annäherung an die vielschichtige Persönlichkeit ihrer Mutter ermöglicht. Nach und nach entsteht das Bild einer eigenwilligen, faszinierenden und verletzlichen Frau, die mit ihrer Rätselhaftigkeit, Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit bis zuletzt eine zutiefst unverstandene und tragische Figur bleibt.

Vorbelastet durch eine familiäre Veranlagung zu Depressionen, gefangen zwischen zerplatzten Träumen, unausgesprochenen Erwartungen, eingeschränkten Perspektiven und dem Scheitern ihrer Ehe und spätere Beziehungen, zerbrach sie an den inneren Dämonen und wählte letztlich mit 47 Jahren den Freitod.

Flitner verdeutlicht anschaulich, wie die fortwährenden Schatten von Traumata, familiären Geheimnissen sowie den tiefgreifenden kollektiven Erfahrungen von Flucht und Verlust nicht nur ihre Familie, sondern auch nachfolgende Generationen prägen. Offen und ohne Anklage bemüht sie sich mit großer Empathie darum, ihr eigenes Trauma zu verarbeiten, ihre komplexe Beziehungsdynamik auszuloten und durch tiefgründige Einblicke in die komplizierte Biografie ihrer Mutter ein spätes Verstehen und Versöhnen zu ermöglichen. Auf berührende Weise ist es ihr gelungen, aus diesem schmerzhaften Erinnerungsprozess eine befreiende und heilende Kraft zu schöpfen und so inneren Frieden zu finden.

FAZIT
Ein tief berührender, einfühlsam erzählter Erinnerungsroman, der tief in die Abgründe persönlicher und historischer Traumata eintaucht und intime Einblicke in die persönliche Familiengeschichte von Bettina Flitner gewährt.

Bewertung vom 09.11.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


sehr gut

*Eine vielschichtige Familiengeschichte voller Geheimnisse*
In ihrem neuen Roman „Das Flüstern der Marsch“ erzählt Katja Keweritsch die vielschichtige und bewegende Familiengeschichte der Hanssens in der norddeutschen Marsch, die sich über mehrere Generationen erstreckt.
Die kunstvoll auf wechselnden, verschachtelten Zeitebenen angelegte Handlung entfaltet ein spannungsvolles Wechselspiel aus sorgsam gehüteten Geheimnissen und erstaunlichen Enthüllungen. Der lebendige und einfühlsame Schreibstil der Autorin fesselt und lädt zum mühelosen Eintauchen in die fein gesponnene Familiengeschichte ein, die mit wachsender Dynamik und zunehmender Dramatik an Intensität gewinnt.
Eindrucksvoll und lebensnah schildert die Autorin Episoden aus dem Leben der Frauen rund um die Familie Hanssen, deren Schicksale von verborgenen Verletzungen, tiefen Traumata und folgenreichen Entscheidungen nachhaltig geprägt sind. Ob nun Enkelin Mona, Onkel Stefans Frau Janne, Großmutter Annemie oder Freya, deren Rolle in der Geschichte erst allmählich aufgedeckt wird- sie alle sind in den Zwängen familiärer Erwartungen, moralischer Normen, gesellschaftlicher Konventionen und zeitgenössischer Frauenbilder gefangen und kämpfen auf jeweils eigene Weise um ein selbstbestimmtes Leben als Frau und Mutter. Geschickt verwebt die Autorin in Rückblenden und Perspektivwechseln die unterschiedlichen Generationen der Familie und ihre Lebenswege zu einer fesselnden Erzählung, in der Vergangenheit und Gegenwart eindrucksvoll ineinanderfließen und sich miteinander verbinden.
Die Handlung beginnt mit dem rätselhaften Verschwinden von Annemie, der Großmutter der Protagonistin und Ich-Erzählerin Mona, kurz vor dem 80. Geburtstag ihres Großvaters Karl. Während Karl die mehrtägige Abwesenheit seiner Frau gelassen hinnimmt, wächst in Mona die Sorge, und sie beschließt, den Hintergründen für das Verschwinden nachzugehen. Je intensiver Mona sich mit den Schatten der Vergangenheit auseinandersetzt, desto deutlicher wird die Fragilität der scheinbaren Familienidylle. Bei ihrer Spurensuche deckt sie nicht nur zahlreiche verborgene Ereignisse auf, sondern enthüllt schließlich ein jahrzehntelang gehütetes Geheimnis, das Annemie mit aller Macht und fatalen Folgen über die Jahre vor allen verborgen hielt.
Äußerst anschaulich und stimmungsvoll gelingt es Keweritsch, die einzigartige Landschaft der norddeutschen Marsch sowie das vielfältige Flair der verschiedenen Handlungsorte darzustellen. Der Zauber der beeindruckenden Natur und die Härten des Lebens in der Marsch werden nahezu spürbar. Atmosphärisch dicht zeichnet die Autorin das dörfliche Gemeinschaftsleben und soziale Gefüge in der Marsch nach, das sich als ein komplexes Geflecht aus Zusammenhalt und Schweigen erweist. Eindrucksvoll fängt sie einen faszinierenden Mikrokosmos aus engen sozialen Banden, versteckten Spannungen und unausgesprochenen Geheimnissen ein. Die Verknüpfung der unverwechselbaren Atmosphäre der norddeutschen Landschaft mit der spannungsvollen Handlung um das Verschwinden der Großmutter und den vielfältigen Dramen der Familie ist der Autorin hervorragend gelungen.
Die einfühlsame und vielschichtige Figurenzeichnung macht die Protagonistinnen lebendig und glaubhaft. Facettenreich arbeitet Keweritsch deren innere Dämonen, Verletzlichkeiten sowie ihre Stärken und Sehnsüchte heraus, sodass man sich gut in ihre Motive und Handlungen hineinversetzen kann. Besonders eindringlich veranschaulicht sie die Zerrissenheit zwischen Verbundenheit und Distanz, dem Wunsch nach Nähe und dem fatalen Drang zu Schweigen und Vertuschen. Behutsam zeigt sie auf, wie der Druck zur Anpassung in der dörflichen Enge sowie Sprachlosigkeit, Unverständnis und Verbitterung die Figuren verzweifeln lassen und die familiären Bindungen bis in die nächsten Generationen schwer belasten. Besonders gelungen ist das berührende Porträt von Annemies weiblicher Lebensrealität zwischen gesellschaftlichen Zwängen und individuellem Freiheitswillen.
Fesselnd ist es mitzuerleben, wie die Autorin einfühlsam die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen den Generationen offenlegt und Schritt für Schritt lange verborgene Familiengeheimnisse enthüllt. Jede neue Erkenntnis fügt sich als kleines, aber entscheidendes Fragment in das vielschichtige Familienmosaik ein und macht die tiefreichenden, oft erschütternden Konsequenzen eindrucksvoll sichtbar. 
Trotz ihrer emotionalen Intensität wirkt die Auflösung leider an einigen Stellen vorhersehbar und verliert dadurch einen Teil des psychologischen Tiefgangs, der den Rest der Geschichte so lebendig und facettenreich erscheinen lässt.

FAZIT
Eine bewegende und fesselnde Familiengeschichte, die durch seinen einfühlsamen Erzählstil, vielschichtige Figuren und ein spannendes Geflecht aus Geheimnissen und Enthüllungen überzeugt.