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Insgesamt 88 Bewertungen
Bewertung vom 10.11.2025
Izquierdo, Andreas

Über die Toten nur Gutes / Ein Trauerredner ermittelt Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

*Ein erfrischender Krimi mit Herz und Humor*

In seinem neuen Roman „Über die Toten nur Gutes“ präsentiert der deutsche Schriftsteller und Drehbuch-Autor Andreas Izquierdo eine originelle und erfrischende Neuinterpretation des Krimigenres. Mit dem unterhaltsamen Auftakt seiner etwas ungewöhnlichen Krimireihe um den charmanten Trauerredner Mads Madsen verleiht er dem Genre neue Impulse und verbindet sehr eindrucksvoll, Humor, Spannung und Tiefgang.
Dieser mitreißende Krimi erzählt die abwechslungsreiche und leicht skurrile Geschichte vom jungen Mads aus Glücksburg an der Ostsee, der unfreiwillig in einen gefährlichen Kriminalfall hineingerät.
Beim Versuch, Licht in den rätselhaften Tod seines früheren Jugendfreundes Patrick zu bringen und mehr über seinen Lebensweg zu erfahren, gerät Mads bald ins Visier von eher suspekten Leuten, die mit Patrick noch eine Rechnung offen haben. Was als scheinbar harmlose Recherche für eine Trauerrede beginnt, entwickelt sich rasch zu einem nervenaufreibenden, turbulenten Abenteuer, bei dem Mads nicht nur sich selbst, sondern auch seinen exzentrischen Vater Fridtjof und seinen Freundeskreis in Gefahr bringt.
Mit seinem lebendigen, warmherzigen Erzählstil versteht es Izquierdo hervorragend, eine breite Palette an Emotionen in uns zu wecken, die von Schmunzeln bis tiefem Nachdenken reichen. Geschickt Izquierdo verbindet feinem Humor und Situationskomik mit ernsten Themen wie Freundschaft, Schuld, Verlust, Trauer und Tod
Nach einem originellen Einstieg voll spritzigem Humor und skurriler Ideen wechselt die Handlung immer mehr zu tiefgründigen sowie teils mystisch-rätselhaften anmutenden Episoden, in denen der gutmütige Mads zu einem Ermittler wider Willen wird und sich auf seiner unbeirrten Suche nach der Wahrheit einem undurchsichtiges Netz aus Geheimnissen, Lügen und dunklen Machenschaften gegenüber sieht.
Izquierdo hat einfach ein Händchen dafür, neben bemerkenswert facettenreichen Figuren auch echt schräge Charakterköpfe zu schaffen, die man nicht so schnell vergisst. Seine Hauptfigur Mads hat er als einen faszinierenden, charismatischen Charakter mit Ecken und Kanten ausgearbeitet, den man mit seiner großen Empathie und seiner herzensguten, etwas verschrobenen Art bald in sein Herz zu schließen beginnt.
Mads ist kein klassischer Ermittler, sondern ein liebenswerter, herrlich unkonventioneller Antiheld, der mit entwaffnender Menschlichkeit von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert und dabei genau jene Schwächen und Zweifel zeigt, die ihn so sympathisch und einzigartig machen.
Die Geschichte erhält durch Mads’ traurige persönliche Hintergrundgeschichte, geprägt vom frühen Verlust der Mutter und seinem jahrzehntelang in Trauer gefangenen Vater, eine emotional berührende Tiefe.
Auch die Nebenfiguren sind facettenreich und lebendig gestaltet. Ob nun Mads eigenwilliger Vater mit seinen skurrilen Eigenheiten, seine Geschwistern nebst Anhang sowie sein Freundeskreis sie alle sorgen für viele humorvolle und lebendige Momente. Zudem ist seine quirlig-liebenswerte Malteserhündin Bobby immer mittendrin und verleiht der Geschichte zusätzlichen Schwung.
Es erfordert eine gehörige Portion Einfallsreichtum und einige unerwartete Wendungen, damit Mads dem drohenden Unglück entkommt.
Zwar wirken einige Verwicklungen der Geschichte gelegentlich etwas unglaubwürdig und überzogen, doch die amüsante und lebendig erzählte Handlung gleicht dies mehr als aus. Das packende Finale mit einem dramatischen Showdown und einer überraschenden Schlusspointe sorgt für einen stimmigen und befriedigenden Abschluss und weckt zugleich die Vorfreude auf weitere Abenteuer mit Mads Madsen.
FAZIT
Ein ungewöhnlicher, sehr unterhaltsamer Krimi mit viel Herz, Humor und Spannung und einer gelungenen Mischung aus skurrilen Charakteren und tiefgründiger Handlung!
Ein wundervoller Krimi, der mit der philosophischen und humorvollen Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Lebens, unterhaltsam und nachdenklich stimmend zugleich ist.

Bewertung vom 09.11.2025
Maschik, Anna

Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten


ausgezeichnet

*Eindrucksvoller Generationenroman*
Mit ihrem Debüt „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ legt Anna Maschik einen äußerst eindrucksvollen und herausfordernden Roman vor, der die über ein ganzes Jahrhundert reichende Geschichte einer Familie erzählt, deren Wurzeln tief in der bäuerlichen Welt Norddeutschlands verankert sind.
Die Handlung spannt sich vom entbehrungsreichen Alltag Henrikes auf einem norddeutschen Bauernhof um 1900 über die Nachkriegszeit, bis in die Gegenwart zur Urenkelin Alma. Fasziniert von der Fremdheit dieser bäuerlichen Welt und der Magie, die den Erinnerungen innewohnt, versucht sie in den Überlieferungen und lückenhaften Geschichten die Spuren ihrer eigenen Herkunft zu finden und setzt so ihre Familiengeschichte Stück für Stück zusammen. Dabei entführt sie uns mit auf eine stimmungsvolle und zugleich verstörende Entdeckungsreise durch die Generationen ihrer Familie.

Anstelle einer konventionellen, chronologisch erzählten Familiengeschichte mit einer fortlaufenden Handlung setzt Maschik auf eine stark fragmentierte Erzählweise. Verschiedene nicht-lineare Episoden und collagenartig arrangierte Momentaufnahmen aus Erinnerungsfragmenten, pointierten Beobachtungen von Alltagsszenen und existenziellen Erfahrungen sowie kurzen Aufzählungen verdichten sich allmählich zu einem faszinierenden Geflecht mehrerer Generationen. Geschickt lässt sie in ihrer eindringlich erzählten, mysthisch angehauchten Familiengeschichte Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen und verwebt Alltägliches mit beinahe magischen Momenten.
Die zahlreichen Leerstellen fordern uns dazu heraus, eigenständig Verbindungen zwischen den einzelnen Fragmenten zu ziehen und dabei neben dem Offensichtlichen auch dem Schweigen und Ungesagten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Autorin verdeutlicht dabei gekonnt, dass sich unser Verständnis von Familiengeschichte und Herkunft nicht als einfache, durchgehende Erzählung begreifen lässt, sondern vielmehr als vielschichtiges, oft widersprüchliches Geflecht, das sich immer aus persönlich eingefärbten, fragmentarischen Erinnerungsstücken zusammensetzt. Nach und nach offenbaren sich eindrucksvoll die verborgenen Geheimnisse und komplexen inneren Strukturen der Familie.
Zudem zeigt sie auf, wie die Erlebnisse aus der Vergangenheit Spuren in einer Familie hinterlassen und bis in die Gegenwart weiterwirken. Einfühlsam thematisiert sie zugleich den Einfluss von Erinnerungen, Ritualen, Verlusten, Traumata und Prägungen auf die Lebenswege der einzelnen Familienmitglieder.
Besonders faszinierend sind Maschiks eigenwilliger, nüchterner und dennoch poetischer Schreibstil sowie ihre beeindruckenden Sprachbilder, die auch in der beklemmenden Trostlosigkeit immer wieder bemerkenswerte Akzente setzen.
Maschik zeichnet das Innenleben und die Konflikte ihrer facettenreichen weiblichen Hauptfiguren sehr eindringlich. So zeigt sie ihre Unsicherheiten, Ängste und Zweifel ebenso wie auch ihren tiefen Wunsch nach Selbstbestimmung und Wandel. Gleichzeitig bleibt aber eine gewisse Distanz zu ihnen, die sie leider schwer greifbar macht. Ihre Schicksale sind von Brüchen geprägt und doch werden sie immer wieder unweigerlich von der sich wiederholenden Familiengeschichte eingeholt.
Maschik zeigt in ihrem vielschichtigen Roman eindrucksvoll, wie die Schatten der Vergangenheit die Gegenwart formen! Am Ende bleibt das Bild eines fragilen Netzwerkes aus Stimmen, Schweigen und Erinnerungen, das uns mit tief empfundener Nähe und Fremdheit zugleich zurücklässt.
Dieser faszinierende Roman lädt ein, die eigene Herkunft nicht als eindimensionale Erzählung, sondern als vielschichtiges Mysterium zu begreifen, dessen Rätsel nie ganz aufzulösen sind.

FAZIT
Maschiks literarisches Debüt ist ein atmosphärisch dichtes, formal herausforderndes Familienepos, das zum Nachdenken anregt und lange nachwirkt!

Bewertung vom 09.11.2025
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


sehr gut

*Ein leiser Roman*
Der französische Bestsellerautor und Prix-Renaudot-Preisträger David Foenkinos lädt in seinem neuen Roman „Das glückliche Leben“ dazu ein, auf überraschend leichte und zugleich tiefgründige Weise dem Wesen des Glücks und dem Sinn des Lebens nachzuspüren. Inspiriert von einer ungewöhnlichen südkoreanischen Praxis, bei der Menschen ihr eigenes Begräbnis inszenieren und als therapeutisches Ritual erleben, entwirft Foenkinos eine originelle und zugleich nachdenklich stimmende Geschichte über die Suche nach Erfüllung, Selbstverwirklichung und innerem Frieden.
Beinahe beiläufig entfaltet sich die leicht skurrile Geschichte um den etwas eigentümlichen, aber liebenswerten Antihelden Éric Kherson. Eine gescheiterte Ehe, die Entfremdung vom Sohn, das monotone Einerlei aus emotionaler Abstumpfung und die banale Routine seiner Arbeit lassen das Leben des ausgebrannten Vierzigjährigen in lähmender Leere erstarren. Erst die unerwartete Kontaktaufnahme der alten Schulfreundin Amélie über Facebook – verbunden mit dem Angebot eines Wechsels ins Außenhandelsministerium – eröffnet ihm einen Ausweg aus dieser Starre und eine neue Perspektive. Auf einer Geschäftsreise nach Seoul erfährt Éric in einer Filiale der ‚Happy Life‘-Franchise schließlich eine irritierende und zugleich erhellende Zäsur. Was anfangs wie ein befremdliches Ritual anmutet, erweist sich für ihn als eine Art mystisches Erwachen und markiert den Auftakt zu einem mutigen Neuanfang. Die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit während seiner Fake-Beerdigung erschüttert ihn zutiefst und öffnet den Blick auf neue, wesentliche Horizonte in seinem Leben.
Mit einem warmherzigen Schreibstil, durchzogen von feinem Humor und leiser Ironie, entführt uns der Autor in eine ruhige Erzählung voller leiser Töne. So begleiten wir Éric auf seinem weiteren Lebensweg, der ihn seinem persönlichen Glück allmählich näherführt.
Mit seiner entschleunigten, beinahe filmischen Erzählweise und einer feinsinnigen Beobachtungsgabe gelingt es Foenkinos, eine beeindruckende Bandbreite an Stimmungen und Emotionen einzufangen. Gekonnt erweckt er den liebevoll gezeichneten Protagonisten zum Leben, macht dessen innere Erschöpfung, Leere, Zweifel, Enttäuschungen und Sehnsüchte atmosphärisch greifbar. Doch so eindrücklich die Zeichnung der Charaktere und ihr Innenleben auch gelingt, so oberflächlich bleibt der Autor im Umgang mit den tieferen Schichten seiner Themen. So werden Fragen nach Sinnsuche, Depression und existenziellen Ängsten nur gestreift, existenzielle Krisen den Figuren erspart und gesellschaftliche Brüche und Probleme allenfalls am Rande angedeutet.
Anstelle plakativer Lebensweisheiten entfaltet der Roman eine Fülle nachdenklicher Passagen über die Endlichkeit des Lebens und den Mut, Routinen hinter sich zu lassen, um einen Neubeginn zu wagen. Foenkinos regt uns dazu an, innezuhalten, das eigene Dasein zu hinterfragen und sich den eigenen Vorstellungen von Glück und Sinn zuzuwenden. Mit feinem Gespür für Zwischentöne zeigt er, dass sich das wahre Glück selten im spektakulären Augenblick offenbart, sondern weit häufiger in den kleinen Momenten und leisen Gesten des Alltags.

FAZIT
Ein charmanter, behutsam erzählter Roman über die lebensnahe Suche nach Glück und Sinn, der mit seiner warmherzigen Stimme, seinem Humor und seiner zarten Ironie zu unterhalten weiß.
Eine stille Hymne auf das persönliche Glück und eine inspirierende Einladung zum Innehalten für alle, die sich auf die Suche nach einem erfüllten Leben begeben möchten.

Bewertung vom 09.11.2025
Flitner, Bettina

Meine Mutter


ausgezeichnet

*Berührender Erinnerungsroman*
Nach dem vielbeachteten Roman „Meine Schwester“, in dem die Fotografin und Autorin Bettina Flitner einfühlsam die tragische Geschichte des Suizids ihrer Schwester Susanne sowie ihren eigenen Weg durch die schmerzliche Trauer schilderte, legt sie nun mit „Meine Mutter“ einen weiteren eindrucksvollen Erinnerungsroman vor. Dieser setzt ihre intensive literarische Spurensuche zu den verborgenen Schatten ihrer Familiengeschichte fort und ermöglicht zugleich auch Neu-Lesenden ohne Vorkenntnisse einen unmittelbaren, berührenden Zugang.

Mit großem Feingefühl zeichnet Flitner ein vielschichtiges und eindringliches Familienporträt, das uns tief in die historischen und persönlichen Abgründe des 20. Jahrhunderts eintauchen lässt. Die prägenden Schicksalslinien eines Jahrhunderts spiegeln sich in zahllosen tragischen Ereignissen, familiären Konflikten und stillen Leiden wider, die das Leben ihrer Familie nachhaltig geprägt haben. Besonders beeindruckend gelingt ihr das harmonische Wechselspiel aus erzählerischer Dichte und reflektierenden Einblicken, das sich in feinen Momentaufnahmen und dokumentarischen Einschüben auf verschiedenen Zeitebenen kunstvoll zusammenfügt.
Im Rahmen einer Lesung 2023 in Celle begibt sich Flitner nicht nur zum Grab ihrer Mutter, sondern besucht auch das frühere Wohnhaus ihrer Großeltern – beides Orte, die lebendige Zeugnisse ihrer Herkunft darstellen. Diese Begegnung mit den eigenen Wurzeln entfacht eine Flut längst zurückgedrängter Erinnerungen und bringt quälende Fragen zu den Suiziden von Mutter und Schwester mit ungeahnter Intensität an die Oberfläche.
Getrieben von dem Wunsch, die Hintergründe der familiären Tragödien zu besser verstehen, taucht die Autorin tief in die Vergangenheit ein und folgt den Spuren zu den Ursprüngen ihrer Familiengeschichte. So führt ihre Reise in den malerischen Kurort Wölfelsgrund in Niederschlesien im heutigen Polen, wo ihre Vorfahren einst bis 1949 ein Sanatorium leiteten und ihre Mutter 1936 geboren wurde. Flitners bildgewaltiger und zugleich klarer Erzählstil bringt die Kindheit in der Nazizeit, die Schrecken der Kriegstage sowie das unfassbare Leid von Flucht und Vertreibung eindrucksvoll zum Leben. Diese traumatischen Erfahrungen haben unauslöschliche, unsichtbare Narben hinterlassen und eine allgegenwärtige Atmosphäre von Bedrohung geschaffen, die das Familienleben prägte. Insbesondere die Nachkriegszeit war von innerer Zerrissenheit und dem Gefühl von Entwurzelung geprägt, die die weitere psychologische Entwicklung der Mutter maßgeblich beeinflussten.

Äußerst einfühlsam beleuchtet Flitner die komplexe und schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die von beklemmender Distanz, zahllosen Leerstellen und einem anhaltenden Schweigen überschattet wird, das jedoch immer wieder von Momenten zarter, emotionaler Nähe durchbrochen wird. In behutsam komponierten Episoden fügt die Autorin eigene fragmentarische Erinnerungen zu einem eindringlichen Porträt der gemeinsamen Familiengeschichte zusammen, das eine nuancierte und warmherzige Annäherung an die vielschichtige Persönlichkeit ihrer Mutter ermöglicht. Nach und nach entsteht das Bild einer eigenwilligen, faszinierenden und verletzlichen Frau, die mit ihrer Rätselhaftigkeit, Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit bis zuletzt eine zutiefst unverstandene und tragische Figur bleibt.

Vorbelastet durch eine familiäre Veranlagung zu Depressionen, gefangen zwischen zerplatzten Träumen, unausgesprochenen Erwartungen, eingeschränkten Perspektiven und dem Scheitern ihrer Ehe und spätere Beziehungen, zerbrach sie an den inneren Dämonen und wählte letztlich mit 47 Jahren den Freitod.

Flitner verdeutlicht anschaulich, wie die fortwährenden Schatten von Traumata, familiären Geheimnissen sowie den tiefgreifenden kollektiven Erfahrungen von Flucht und Verlust nicht nur ihre Familie, sondern auch nachfolgende Generationen prägen. Offen und ohne Anklage bemüht sie sich mit großer Empathie darum, ihr eigenes Trauma zu verarbeiten, ihre komplexe Beziehungsdynamik auszuloten und durch tiefgründige Einblicke in die komplizierte Biografie ihrer Mutter ein spätes Verstehen und Versöhnen zu ermöglichen. Auf berührende Weise ist es ihr gelungen, aus diesem schmerzhaften Erinnerungsprozess eine befreiende und heilende Kraft zu schöpfen und so inneren Frieden zu finden.

FAZIT
Ein tief berührender, einfühlsam erzählter Erinnerungsroman, der tief in die Abgründe persönlicher und historischer Traumata eintaucht und intime Einblicke in die persönliche Familiengeschichte von Bettina Flitner gewährt.

Bewertung vom 09.11.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


sehr gut

*Eine vielschichtige Familiengeschichte voller Geheimnisse*
In ihrem neuen Roman „Das Flüstern der Marsch“ erzählt Katja Keweritsch die vielschichtige und bewegende Familiengeschichte der Hanssens in der norddeutschen Marsch, die sich über mehrere Generationen erstreckt.
Die kunstvoll auf wechselnden, verschachtelten Zeitebenen angelegte Handlung entfaltet ein spannungsvolles Wechselspiel aus sorgsam gehüteten Geheimnissen und erstaunlichen Enthüllungen. Der lebendige und einfühlsame Schreibstil der Autorin fesselt und lädt zum mühelosen Eintauchen in die fein gesponnene Familiengeschichte ein, die mit wachsender Dynamik und zunehmender Dramatik an Intensität gewinnt.
Eindrucksvoll und lebensnah schildert die Autorin Episoden aus dem Leben der Frauen rund um die Familie Hanssen, deren Schicksale von verborgenen Verletzungen, tiefen Traumata und folgenreichen Entscheidungen nachhaltig geprägt sind. Ob nun Enkelin Mona, Onkel Stefans Frau Janne, Großmutter Annemie oder Freya, deren Rolle in der Geschichte erst allmählich aufgedeckt wird- sie alle sind in den Zwängen familiärer Erwartungen, moralischer Normen, gesellschaftlicher Konventionen und zeitgenössischer Frauenbilder gefangen und kämpfen auf jeweils eigene Weise um ein selbstbestimmtes Leben als Frau und Mutter. Geschickt verwebt die Autorin in Rückblenden und Perspektivwechseln die unterschiedlichen Generationen der Familie und ihre Lebenswege zu einer fesselnden Erzählung, in der Vergangenheit und Gegenwart eindrucksvoll ineinanderfließen und sich miteinander verbinden.
Die Handlung beginnt mit dem rätselhaften Verschwinden von Annemie, der Großmutter der Protagonistin und Ich-Erzählerin Mona, kurz vor dem 80. Geburtstag ihres Großvaters Karl. Während Karl die mehrtägige Abwesenheit seiner Frau gelassen hinnimmt, wächst in Mona die Sorge, und sie beschließt, den Hintergründen für das Verschwinden nachzugehen. Je intensiver Mona sich mit den Schatten der Vergangenheit auseinandersetzt, desto deutlicher wird die Fragilität der scheinbaren Familienidylle. Bei ihrer Spurensuche deckt sie nicht nur zahlreiche verborgene Ereignisse auf, sondern enthüllt schließlich ein jahrzehntelang gehütetes Geheimnis, das Annemie mit aller Macht und fatalen Folgen über die Jahre vor allen verborgen hielt.
Äußerst anschaulich und stimmungsvoll gelingt es Keweritsch, die einzigartige Landschaft der norddeutschen Marsch sowie das vielfältige Flair der verschiedenen Handlungsorte darzustellen. Der Zauber der beeindruckenden Natur und die Härten des Lebens in der Marsch werden nahezu spürbar. Atmosphärisch dicht zeichnet die Autorin das dörfliche Gemeinschaftsleben und soziale Gefüge in der Marsch nach, das sich als ein komplexes Geflecht aus Zusammenhalt und Schweigen erweist. Eindrucksvoll fängt sie einen faszinierenden Mikrokosmos aus engen sozialen Banden, versteckten Spannungen und unausgesprochenen Geheimnissen ein. Die Verknüpfung der unverwechselbaren Atmosphäre der norddeutschen Landschaft mit der spannungsvollen Handlung um das Verschwinden der Großmutter und den vielfältigen Dramen der Familie ist der Autorin hervorragend gelungen.
Die einfühlsame und vielschichtige Figurenzeichnung macht die Protagonistinnen lebendig und glaubhaft. Facettenreich arbeitet Keweritsch deren innere Dämonen, Verletzlichkeiten sowie ihre Stärken und Sehnsüchte heraus, sodass man sich gut in ihre Motive und Handlungen hineinversetzen kann. Besonders eindringlich veranschaulicht sie die Zerrissenheit zwischen Verbundenheit und Distanz, dem Wunsch nach Nähe und dem fatalen Drang zu Schweigen und Vertuschen. Behutsam zeigt sie auf, wie der Druck zur Anpassung in der dörflichen Enge sowie Sprachlosigkeit, Unverständnis und Verbitterung die Figuren verzweifeln lassen und die familiären Bindungen bis in die nächsten Generationen schwer belasten. Besonders gelungen ist das berührende Porträt von Annemies weiblicher Lebensrealität zwischen gesellschaftlichen Zwängen und individuellem Freiheitswillen.
Fesselnd ist es mitzuerleben, wie die Autorin einfühlsam die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen den Generationen offenlegt und Schritt für Schritt lange verborgene Familiengeheimnisse enthüllt. Jede neue Erkenntnis fügt sich als kleines, aber entscheidendes Fragment in das vielschichtige Familienmosaik ein und macht die tiefreichenden, oft erschütternden Konsequenzen eindrucksvoll sichtbar. 
Trotz ihrer emotionalen Intensität wirkt die Auflösung leider an einigen Stellen vorhersehbar und verliert dadurch einen Teil des psychologischen Tiefgangs, der den Rest der Geschichte so lebendig und facettenreich erscheinen lässt.

FAZIT
Eine bewegende und fesselnde Familiengeschichte, die durch seinen einfühlsamen Erzählstil, vielschichtige Figuren und ein spannendes Geflecht aus Geheimnissen und Enthüllungen überzeugt.

Bewertung vom 08.11.2025
Maly, Beate

Aurelia und die Jagd nach dem Glück / Ein Fall für Aurelia von Kolowitz Bd.3


ausgezeichnet

*Fesselnde Fortsetzung der tollen historischen Wien-Krimi-Reihe*
Mit „Aurelia und die Jagd nach dem Glück“ setzt Beate Maly ihre unterhaltsame historische Krimireihe um die eigensinnige junge Gräfin und leidenschaftliche Hobbyermittlerin Aurelia von Kolowitz fort. Gekonnt nimmt sie uns mit auf eine fesselnde Zeitreise in die österreichische Donaumonarchie und entführt uns ins Wien des Jahres 1872 - mitten hinein in die prunkvolle Ballsaison und eine Welt voller sozialer Spannungen, dunkler Geheimnisse und hoffnungsvoller Glücksversprechen.
Auch der dritte Band der Reihe überzeugt mit einer abwechslungsreichen Mischung aus vielschichtigem Gesellschaftsporträt, zarter Liebesgeschichte und spannendem Kriminalfall, gewürzt mit authentischem Zeitkolorit.
Als der zwielichtige Freiherr von Sothen, ein skrupelloser Lotteriemagnat und unsympathischer Emporkömmling, erschossen im Hof seines luxuriösen Schlösschen am Cobenzl gefunden wird, übernimmt der charismatische Oberinspektor Janek Pokorny die Ermittlungen.
Obwohl Aurelia neben zahlreichen Widerständen und gesellschaftlichen Zwängen auch noch die hartnäckigen Verheiratungspläne ihres Vaters abzuwehren hat, lässt sie es sich mit ihrem kriminalistischen Spürsinn nicht nehmen, eigene Nachforschungen anzustellen. Als sich weitere erschütternde Verbrechen ereignen, ermitteln Aurelia und Janek gemeinsam in dem verzwickten Fall, der sie hautnah mit ungeahnten gesellschaftlichen Abgründen ihrer Zeit konfrontiert. Die Geschichte wird wechselweise aus den Perspektiven von Aurelia und Janek erzählt und eröffnet neben der eigentlichen Krimihandlung auch kurzweilige Einblicke in Aurelias privates Leben sowie in gesellschaftliche Missstände.
Unerwartete Verwicklungen und spannende Wendungen bieten viel Raum zum aktiven Miträtseln. Gekonnt lässt Maly die Handlung schließlich in einem überraschenden Finale gipfeln und mit einer stimmigen Auflösung ausklingen.
Mit ihrem pointierten, bildreichen Schreibstil und spritzigen, humorvollen Dialogen versteht sie es, uns ins Wien des 19. Jahrhunderts zu entführen.
Hervorragend gelingt es ihr durch lebendige Milieubeschreibungen, detailreiche Einblicke ins Wiener Alltagsleben sowie anschauliche Schilderungen des gesellschaftlichen Klimas, ein facettenreiches und glaubwürdiges Bild dieser faszinierenden Epoche zu entwerfen.
Ob nun festliche Stimmung der lang ersehnten Wiener Ballsaison der Wohlhabenden  oder das harte Leben der einfachen Bevölkerung, die mit Armut, Hunger und sozialen Ungerechtigkeiten ringt–all diese Facetten werden mit sorgfältig recherchierten historischen Details geschickt zu einem stimmigen Portrait jener Zeit verwoben.
Besonders gelungen sind auch die vielschichtig gestalteten Charaktere, allen voran die junge Protagonistin Aurelia als facettenreiche und inspirierende Heldin, deren persönliche Entwicklung überzeugend und einfühlsam gezeichnet ist.
Sie überzeugt als clevere, selbstsichere junge Frau, die mit bemerkenswerter Widerstandskraft und einer guten Portion Humor unbeirrt gegen gesellschaftliche Zwänge und patriarchale Erwartungen antritt. Ihr Streben nach persönlicher Freiheit, Selbstbestimmung und letztlich nach mehr Gleichberechtigung macht sie sehr sympathisch. Zugleich ist sie sich der Gefahren und möglichen Folgen ihres Handelns stets bewusst. Einfühlsam und glaubwürdig werden sowohl ihre Stärken als auch ihre Verletzlichkeit und ihr innerer Zwiespalt ausgelotet.
Neben ihr überzeugt auch der sympathische Ermittler Oberinspektor Janek Pokorny mit seiner charismatischen, facettenreichen Persönlichkeit und kleinen Schwächen. Die Figuren wirken durchweg liebevoll und authentisch ausgestaltet, die Schilderung ihrer Gedanken- und Gefühlswelt ist nachvollziehbar und glaubwürdig.
Die Zusammenarbeit von Aurelia und Janek bringt eine spannende Dynamik in die Handlung und ihre komplexe Beziehung sorgt immer wieder charmante und humorvolle Momente. Ihre sich langsam entwickelnde Zuneigung wird dabei aber durch gesellschaftliche Barrieren und Klassenunterschiede herausgefordert, sodass sie sich auf einen rein kameradschaftlichen Umgang beschränken müssen. Auch die Nebenfiguren sind facettenreich und authentisch gestaltet. Sie sorgen mit ihren Geheimnissen und Eigenheiten für Abwechslung und eine intensive Atmosphäre.
Die anschaulichen Einblicke in das Alltagsleben im Kaiserreich sowie geschickt eingewobene sozialkritische Anmerkungen verleihen dem historischen Krimi eine besondere Note. So überzeugt die hervorragend recherchierte Geschichte nicht nur als spannender Kriminalfall mit historischem Flair, sondern entwickelt sich zugleich zu einem lebendigen und authentischen Porträt jener Epoche und macht Lust auf weitere Abenteuer mit Aurelia und Janek in der schillernden Donaumonarchie.

FAZIT
Eine rundum gelungene, unterhaltsame Fortsetzung der historischen Krimi-Reihe- mit sympathischen Charakteren, fein dosierter Spannung, detailreichem Zeitkolorit und fesselndem Krimiplot.
Ein vielschichtiges Lesevergnügen, das Lust auf weitere Abenteuer macht!

Bewertung vom 08.11.2025
Laabs, Laura

Adlergestell


sehr gut

*Ein facettenreiches Porträt einer Generation im Umbruch*
Laura Laabs’ Debütroman „Adlergestell“ erschafft mit bemerkenswerter Intensität und sprachlicher Finesse ein lebendiges Panorama der Berliner Nachwendejahre. Die Autorin nimmt uns mit auf eine eindrucksvolle Reise in ein Deutschland, dessen historischer Umbruch nach Mauerfall und Wiedervereinigung einen Kosmos zwischen Aufbruchstimmung und Orientierungslosigkeit entstehen lässt.
Die Geschichte folgt drei jungen Protagonistinnen– die Ich-Erzählerin, Lenka und Chaline, die Anfang der 1990er Jahre am südlichen Stadtrand Berlins direkt am berühmten Adlergestell aufwachsen. Die breite Ausfallstraße, die ihre in einer Eigenheimsiedlung säumt, wird dabei zum Symbol für die Unwägbarkeiten und Verheißungen jener bewegten Zeit.
Trotz ihrer unterschiedlichen sozialen Herkunft verbindet die drei Mädchen eine enge und unerschütterliche Freundschaft über ihre Schulzeit hinweg.
Aus ihrer Perspektive tauchen wir allmählich ein in eine Welt des tiefgreifenden Umbruchs und Wandels und erleben hautnah ihren Lebensalltag in einem sich neu formenden Umfeld, in dem sich ein jeder erst zurechtfinden und behaupten lernen muss.
Die Geschichte beginnt in der Gegenwart, von aus der die Erzählerin in aufblitzenden Erinnerungen auf die intensiven Jahre der Freundschaft zurückblickt. Erst allmählich werden die Hintergründe für das Auseinanderdriften ihrer Lebenswege deutlich.
Die Autorin hat bewusst eine nichtlineare, sehr sprunghafte und fragmentarische Erzählweise gewählt, die das zerrissene Lebensgefühl und die Zerklüftungen jener Zeit eindrücklich widerspiegelt. So entstehen eine fesselnde Atmosphäre und zugleich eine gewisse emotionale Distanz, die den Zugang zu den Figuren bisweilen erschwert, aber gerade dadurch zur Authentizität beiträgt.
Bildgewaltig und mit einem untrüglichen Gespür für faszinierende Details beschwört Laabs die besondere Stimmung der Nachwendezeit herauf – eine Ära voller Möglichkeiten, die jedoch für viele unerreichbar bleiben.
Die Autorin versteht es hervorragend, die die Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Figuren mit all ihren Widersprüchlichkeiten zu veranschaulichen.
Aus unterschiedlichen Perspektiven werden die Herausforderungen, Unsicherheiten, enttäuschten Hoffnungen und nicht realisierbaren Chancen eindringlich beleuchtet. Während sich die alten Ost-Zwänge in Auflösung befinden, gibt es neue Freiheiten und die verlockenden Möglichkeiten der Demokratie und des kapitalistischen Westens. Doch die Schatten der Vergangenheit und ihre Gespenster lassen sich nicht so leicht abschütteln und hinterlassen auch im neuen verheißungsvollen Leben ihre Spuren.
Gekonnt hat Laabs die persönlichen Geschichten ihrer drei Protagonistinnen mit den ostdeutschen Lebenserfahrungen ihrer Mütter und Familien verknüpft. So entstehen auf eindrucksvolle Weise vielschichtige Lebensgeschichten, die die komplexen historischen Brüche und tiefen gesellschaftlichen Verwerfungen Ostdeutschlands generationenübergreifend erfahrbar machen. Mit Feingespür und feiner Ironie beleuchtet die Autorin dabei die Zerbrechlichkeit familiärer Bindungen und das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen sowie das Ringen um Orientierung und die Suche nach Identität in einer Welt, die radikalen sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen unterworfen ist.
Besonders eindrücklich und facettenreich fängt sie nicht nur die Wucht des Wandels, sondern auch das Scheitern der gesellschaftlichen Verheißungen ein. Was vom einstigen Freiheits- und Aufbruchsversprechen der Wende bleibt, ist oftmals pure Ernüchterung angesichts der schmerzhaften Realität im vereinten Deutschland. Ihr gelingt es hervorragend, die Vielschichtigkeit des Erwachsenwerdens, die subtilen Brüche und die allmähliche Entfremdung nicht nur greifbar, sondern auch berührend erlebbar zu machen.
Höchst überraschend und bewegend ist schließlich, wie ihre Figuren auf ganz individuelle Weise mit ihrer eigenen Geschichte und den Narben der Vergangenheit umgehen – die Enttäuschungen und zerplatzten Lebensentwürfe haben sie dabei in sehr unterschiedliche Richtungen geleitet und geprägt.

FAZIT
Ein beeindruckender, vielschichtiger Roman über Kindheit, Freundschaft und den schmerzhaften Wandel im Berlin der Nachwendezeit. Ein facettenreiches Panorama tiefgreifender gesellschaftlicher und persönlicher Umbrüche, das lange nachwirkt und sehr nachdenklich stimmt!

Bewertung vom 08.11.2025
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Schwüre, die wir brechen / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.2


ausgezeichnet

*Dunkle Abgründe und knallharte Ermittlungen – Ein fesselnder Schwedenkrimi*
Mit dem Krimi „Schwüre, die wir brechen“ ist dem Autorenduo Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson eine vielschichtige und äußerst packende Fortsetzung ihrer neuen Schwedenkrimi-Reihe um das unschlagbare wie ungleiche Ermittlerpaar Jon Nordh und Svea Karhuu gelungen.
Auch im zweiten Band beweisen Roman Voosen und Kerstin Signe Danielsson erneut ihr außergewöhnliches Gespür für fesselnde und psychologisch tiefgründige Geschichten mit großem Page-Turner-Potenzial.
Der Krimi besticht durch einen vielschichtigen, sorgfältig konstruierten Fall, der sowohl mit starken, authentischen Charakteren als auch mit pointierten Dialogen und einer dichten, intensiven Atmosphäre überzeugt, sodass man von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt bleibt.
Auch dieses Mal ist der Fall in Malmö angesiedelt, einem Ort geprägt von sozialen Spannungen und Drogenkonflikten, der nun beklemmender Schauplatz grausamer Serienmorde wird.
Ein bizarrer Leichenfund stellt die Ermittler vor eine große Herausforderung. Die groteske Inszenierung des Opfers mit angenähtem Krokodilkopf als altägyptische Gottheit und kryptischen Botschaften in Form von rätselhaften Hieroglyphen zieht die Ermittler bald immer tiefer in ein Netz aus Brutalität und Geheimnissen. Die polizeilichen Ermittlungen zum brisanten Fall geraten rasch unter enormen öffentlichen und medialen Druck, da eine undurchsichtige True-Crime-Podcasterin mit Insiderwissen Aufmerksamkeit auf sich zieht und zudem ein junges Mädchen auf mysteriöse Weise verschwindet.
Bereits der geheimnisvolle Prolog über einen Brückeneinsturz in den 1980er Jahren, dessen Bedeutung sich erst allmählich offenbart, sorgt dafür, dass die Spannung von der ersten Seite an auf einem konstant hohen Niveau gehalten wird.
Eingestreute, Rückblenden gewähren zudem Einblicke in vergangene Ereignisse und lassen uns über ihre Verbindung zum düsteren aktuellen Fall rätseln. Durch diese zusätzlichen Erzählstränge und historischen Verknüpfungen gewinnt der Krimi an Vielschichtigkeit und Komplexität und liefern zusätzlichen Stoff zum Spekulieren und Miträtseln.-
Der Schreibstil ist fesselnd, atmosphärisch und visuell sehr eindrucksvoll, sodass man sich die oftmals düsteren Szenen sehr lebhaft vorstellen kann. Kurze Kapitel sowie rasche Schauplatz- und Perspektivwechsel sorgen für ein hohes Tempo und eine permanente Steigerung der Spannung.
Die Autoren verweben den brisanten Kriminalfall gekonnt mit intensiven Einblicken in das Privatleben ihrer Ermittler - dem frisch verwitweten Jon Nordh und der zwangsversetzten Svea Karhuu Nordh mit arabischen Wurzeln. Die beiden Hauptfiguren werden mit ihren vielschichtigen Persönlichkeiten und privaten Problemen überzeugend und glaubwürdig gezeichnet. Sie sind keine makellosen Helden, sondern tragen beide schwer an persönlichen Altlasten und traumatischen Erlebnissen in der nahen Vergangenheit. Ihre individuellen Hintergrundgeschichten werden nebenbei weitergeführt, was für zusätzliche Spannungsmomente sorgt und dem Krimi eine weitere fesselnde Dimension verleiht.
Besonders beeindruckend sind ihre Persönlichkeitsentwicklung und die von gegenseitigem Respekt geprägte Zusammenarbeit dargestellt. Trotz wunder Punkte und charakterlichen Gegensätzen ergänzen sie sich hervorragend. Während Nordh viel Erfahrung, Intuition und gesunden Pragmatismus in die Ermittlungen einbringt, sorgt Karhuu mit ihrer Entschlusskraft, unkonventionellen Methoden und besonderen Talenten für wichtige Impulse. Ihre dynamische Beziehung und gelegentliche humorvolle Schlagabtausche verleihen der Geschichte trotz der düsteren Grundstimmung viel Lebendigkeit.
Im Hintergrund agieren weitere facettenreich ausgearbeitete Nebenfiguren, die insgesamt das Figurenensemble mit ihren Eigenheiten und individuellen Lebensgeschichten bereichern. Die psychologisch tiefgründige Charakterzeichnung und detailreiche, gesellschaftskritische Milieuschilderungen sind sehr stimmig und schaffen eine realitätsnahe Atmosphäre.
Sehr gelungen sind auch die umfangreichen Einblicke in die Täterbiografie und die gelungene Einbindung der historischen Bezügen in den rückblickenden Erzählsträngen, die uns nach und nach geschickt die Gedankenwelt und Motive des Täters nahebringen.
Das Autorenduo versteht es hervorragend, falsche Fährten zu legen und mit überraschenden Wendungen die Spannung bis zum nervenaufreibenden Showdown hochzuhalten.
Das packende, hochdramatische Finale verlangt Nordh und Karhuu noch einmal alles ab und lässt einen kaum noch zum Durchatmen kommen. Es rundet den hochkomplexen Kriminalfall mit der glaubhaften Auflösung gelungen ab und hinterlässt Vorfreude auf weitere spannungsgeladene Fälle mit diesem tollen Ermittlerduo.
FAZIT
Ein brillanter Schwedenkrimi mit Tiefgang und eine gelungene Fortsetzung mit tiefgründigen Charakteren, einem düsteren, komplex komponierten Plot und tollen Psychothriller-Elementen..
Für Fans moderner Nordic Noir ist dieser Band ein absolutes Muss!

Bewertung vom 04.11.2025
Uketsu

HEN NA IE - Das seltsame Haus


gut

*Uketsus experimentelles Mystery-Debüt*
Nach dem großen Erfolg von "HEN NA E - Seltsame Bilder" erscheint nun mit „Hen na IE – Das seltsame Haus“ ein weiterer Mysteryroman des geheimnisumwitterten japanischen Kultautors und YouTubers Uketsu, der unter Pseudonym auftritt. Bemerkenswert dabei ist, dass es sich hierbei um das eigentliche Debüt des Autors handelt, das ursprünglich während des Pandemie-Lockdowns zunächst als Mystery-Video veröffentlicht wurde. Ebenso entstand zudem eine dreibändige Manga-Adaption unter dem englischen Titel „The Strange House“.
Während Uketsu in "HEN NA E - Seltsame Bilder" seinen originellen Sketch-Mystery-Stil als innovative Erzählform perfektioniert hat, ist im vorliegenden Band die Verwendung der Illustrationen als eigenständige narrative Elemente noch etwas unausgereift. Vieles wirkt experimentell und lässt das Potential der verborgenen Bildbotschaften nur ansatzweise erkennen.
Auch folgt die Geschichte nicht einer Handlung im eigentlichen Sinne, sondern entwickelt sich meist im Rahmen dialogischer Szenen, in denen allmählich gruselige Geheimnisse aufgedeckt und erschütternde menschliche Abgründe enthüllt werden. Trotz dieses eher ungewöhnlichen Erzählform entfaltet sich von Beginn an eine unheilvolle Atmosphäre und latente Spannung, die einen rasch in den Bann zieht.
Im Mittelpunkt der in vier Kapitel untergliederten Geschichte stehen der zunächst namenlose Ich-Erzähler und freier Journalist für okkulte Phänomene sowie der Architekt und Horror- und Mystery-Fan Kurihara, den er zur Analyse des ungewöhnlichen Grundrisses eines zum Verkauf stehenden Hauses hinzuzieht. Gemeinsam stoßen sie neben einem mysteriösen versteckten Raum auf weitere bauliche Auffälligkeiten, die Anlass zu düsteren Spekulationen über frühere Bewohner und deren dunkle Machenschaften geben. Je mehr sie sich mit den Bauplänen beschäftigen, desto mehr verstörende Theorien stellen die beiden zu dem seltsamen Haus und seinen Bewohnern auf und lassen sie Schlimmstes vermuten. Der Einstieg in die Geschichte in einem linearen Erzählstrang präsentiert sich deutlich schlichter und weniger packend als der Vorgängerband, in dem Uketsu mit verschiedenen Handlungssträngen und anfangs unzusammenhängenden Kapiteln rasch Spannung aufbaute. Erst mit dem Fund von Leichenteilen in Nähe des Hauses und dem Auftauchen der geheimnisvollen Informantin Yuzuki, die einen weiteren Hausgrundriss ins Spiel bringt, gewinnt die Geschichte deutlich an Fahrt, denn die zuvor aufgestellten makabren Hypothesen finden scheinbar Bestätigung. Der nüchterne, minimalistisch gehaltene Schreibstil des Autors hat einen nahezu dokumentarischen Charakter und ist geprägt von dialogreichen Passagen und immer wieder eingeschobenen Grundriss-Skizzen als besonderes Stilmerkmal. Deren originelle Einbindung verleiht dem Roman einen sehr mysteriösen Charakter, wobei sich die eigentlichen Bilderrätsel diesmal leider auf die Grundrisse der Häuser sowie Detailausschnitte spezieller Räume und baulicher Strukturen beschränken, deren potentielle Geheimnisse nach und nach enthüllt werden. Das wiederholte Präsentieren ähnlicher visueller Motive bremst allerdings den Lesefluss und erzeugt mitunter unnötige Redundanzen. Die ausführlichen Erklärungen der baulichen Details sind zwar hilfreich, nehmen jedoch oft die eigene Detektivarbeit vorweg, so dass einem die Möglichkeit genommen wird, selbst mitzurätseln und eigenen Schlüssen zu ziehen.
Dennoch versteht es Uketsu sehr gut, durch vage Andeutungen eine düstere Atmosphäre heraufzubeschwören und durch raffinierte Cliffhanger eine beklemmende Spannung aufzubauen.
Mit Offenbarungen zu rätselhaften Bräuchen, okkulten Ritualen, Familientragödien und innerfamiliären Machtkämpfe wird das Geschehen zunehmend verworrener und abstruser. Neben einzelnen, schwer nachvollziehbaren Wendungen nehmen die Verwicklungen und Zufälle in ihrer repetitiven Ausprägung überhand und wirken stellenweise befremdlich und unglaubwürdig.
Die Hauptfiguren bleiben leider weitgehend eindimensional und leblos, so dass man keinen Zugang zu ihren Motiven und ihrem Innenleben erhält. Sie dienen eher als Spielfiguren in Uketsus rätselhaftem Inszenierungskonzept.
Besonders gelungen zeigt sich der finale Twist im Nachwort, der uns die zuvor als stimmig präsentierte Auflösung noch einmal grundlegend in Frage stellen lässt und zum intensiven Nachdenken über die Geschehnisse herausfordert.
Die vielversprechende Ausgangsidee des Mystery-Romans leidet insgesamt unter einer streckenweise überfrachteten und konstruierten Handlung sowie blassen Figuren. Trotz seiner beklemmenden, atmosphärischen Dichte und des faszinierenden japanischen Settings konnte mich Uketsus Debüt nur teilweise überzeugen sein und lässt mich etwas zwiegespalten zurück.

FAZIT
Ein rätselhafter, aber ambivalenter Sketch-Mystery-Roman, der insbesondere Liebhaber ungewöhnlicher Erzählformen und japanischer Mystery-Kultur eine spannende Entdeckung sein dürfte.

Bewertung vom 20.10.2025
Moser-Gattringer, Evelyn

Tierisch viel los!


ausgezeichnet

*Inspirierender Ratgeber für ein kleines Wildtierparadies im Garten*
Mit „Tierisch viel los“  hat Evelyn Moser-Gattringer ein höchst informatives und motivierendes Sachbuch vorgelegt, das alle Naturbegeisterten dazu einlädt, ihren Garten, Balkon oder jeden noch so kleine Fleckchen Grün in ein naturnahes Paradies und eine lebendige Zuflucht für heimische Wildtiere zu verwandeln. Die Autorin hat in ihr wundervoll gestaltetes Werk nicht nur ihr biologisches Fachwissen mit einfließen lassen, sondern auch ihre langjährige Praxiserfahrung und ihre fundierten Kenntnisse über die vielfältigen Bedürfnisse von Wildtieren. Als Gründerin der Wildtierhilfe Wien und Leiterin von Österreichs erstem Wildtierkrankenhaus hat sie sich über ein Jahrzehnt um verletzte Tiere gekümmert, sie gesund gepflegt und wieder ausgewildert. Diese tiefe Verbundenheit mit der Natur durchzieht das ganze Buch und macht ihre Tipps und Projekte äußerst glaubwürdig und alltagstauglich. Beim Lesen spürt man ihre Begeisterung und ihre aufrichtige Liebe zu Flora und Fauna auf jeder Seite.
Sehr eindrucksvoll macht die Autorin in ihrer Einleitung deutlich, wie wichtig Artenschutz, Biodiversität und funktionierende Ökosysteme für Mensch und Natur sind. Sterilen Rasenflächen und öden Steingärten sagt sie den Kampf an und ruft dazu auf, sich dem Artenschutz vor der eigenen Haustür zu widmen. Nach dem Motto „Jeder Quadratmeter zählt“ zeigt sie, dass Naturnähe keiner Perfektion bedarf, sondern vor allem der Bereitschaft einen wildtierfreundlichen Garten zu gestalten und so einen Lebensraum für Vögel, Insekten, Amphibien und kleine Säugetiere zu schaffen. Mit einfachen Veränderungen und leicht umsetzbaren Maßnahmen wie etwa dem Anpflanzen heimischer Pflanzen, Anlegen kleiner Wasserstellen oder Anbringen von Nistmöglichkeiten, lässt sich auch auf kleiner Fläche Großes bewirken.

Im tierischen Gartenjahr der Autorin gibt es tatsächlich immer was zu tun und entsprechend findet sich im Buch eine saisonale Gliederung. Moser-Gattringer führt durch das gesamte Gartenjahr und erklärt, welche kleinen und großen Projekte sich im Frühling, Sommer, Herbst und Winter anbieten. Geschickt verbindet sie dabei viele wissenswerte ökologische Informationen mit praktischen Handlungsvorschlägen, wie beispielsweise dem richtigen Zeitpunkt für den Heckenschnitt, das Belassen verblühter Stauden im Winter oder die ideale Pflege eines Vogelhäuschens.
Äußerst hilfreich sind auch die Hinweise zur Pflanzenwahl, denn statt exotischer oder invasiver Arten ist es sinnvoll sich auf heimische Pflanzen zu konzentrieren, die sich optimal in das heimische Ökosystem einfügen und wildtierfreundlich sind. Anschaulich erläutert die Autorin neben ihrem optimalen Standort auch ihre Funktion als Nahrungsquelle, Schutzraum und Bestäubungsmagnet und zeigt nachvollziehbar auf, wie Flora und Fauna voneinander abhängen.
Die Projektideen sind kreativ, klar strukturiert und praxisnah gestaltet, sodass sie auch für Anfänger ohne Vorkenntnisse und mit wenig Aufwand leicht umsetzbar sind. Dank durchdachter Materiallisten, verständlicher Schritt-für-Schritt-Anleitungen und hilfreicher Zusatztipps kann dabei im Grunde nichts schiefgehen. Ob nun Blühwiese für Schmetterlinge, Wildbienenhotel, Igelunterschlupf oder Futterstelle für Wintergäste – die Bandbreite an Ideen ist beeindruckend und macht Lust, gleich loszulegen. Zusätzlich vermitteln Steckbriefe und Infokästen spannendes Wissen über heimische Tierarten, Pflanzen und ökologische Zusammenhänge. Neben vielen hilfreichen Tipps wie diversen Upcycling-Ideen gibt es wichtige Handreichungen wie beispielsweise zur Hilfe für verletzte Wildtieren, der Entschärfung von Gefahrenstellen oder den richtigen Materialien.
Das sehr abwechslungsreich gestaltete Buch ist eine wahre Augenweide und überzeugt durch ein ansprechendes, liebevoll gestaltetes Layout und ein harmonisch abgestimmtes Farbkonzept, das immer wieder zum Blättern und Schmökern einlädt. Ein besonderer Blickfang sind die beeindruckenden Naturfotografien und stimmungsvollen Momentaufnahmen von Zoe Opratko sowie die wundervoll detailreichen Illustrationen von Ruth Veres. Sie veranschaulichen hervorragend die vorgestellten Projekte und fangen die Atmosphäre eines lebendigen Gartens perfekt ein.
Hervorzuheben ist auch der ansprechende, motivierende Schreibstil der Autorin. Mit ihrer ansteckenden Begeisterung gelingt es ihr, uns für komplexe ökologische Themen zu sensibilisieren und uns zu ermutigen, selbst aktiv zu werden und eigene Ideen umzusetzen – mit Freude, Neugier und Gelassenheit statt Perfektionsanspruch.

FAZIT
Ein wunderschön gestalteter, praxisnaher und inspirierender Ratgeber, der Natur- und Artenschutz greifbar macht - mit Fachwissen, Leidenschaft und vielen kreativen Ideen macht es Mut, im eigenen Umfeld etwas zu verändern, die Natur wieder ein Stück näher an sich heranzulassen und ein Paradies für Wildtiere zu schaffen.
Ein rundum gelungener, sehr empfehlenswerter Gartenratgeber für alle Jahreszeiten!