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helena

Bewertungen

Insgesamt 48 Bewertungen
Bewertung vom 04.10.2025
Easton, Grace

Das Haus mit der kleinen roten Tür


ausgezeichnet

Liebevoll gestaltetes Vorlesebuch für die Winterzeit

Dieses liebevoll gestaltete Vorlesebuch erzählt die Geschichte von dem Mädchen Olivia und der kleinen Maus namens Maus. Es ist Winter, und Olivia lebt allein in ihrem Haus. Die Maus wohnt in einem Baum nebenan, bis ein Sturm ihr Zuhause zerstört. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche nach einer neuen Unterkunft und wählen schließlich einen umgestürzten Blumentopf. Doch in der Nacht können sie beide nicht recht schlafen. So nimmt Olivia die Maus zu sich, und beide wohnen nun zusammen unter einem Dach. Von nun an sind sie nicht mehr allein und schaffen sich ein gemütliches Zuhause voller Wärme und Geborgenheit.

Das großformatige Buch gefiel mir aufgrund der wunderschönen Illustrationen. Die kurzen, klaren Texte sind ideal zum Vorlesen und werden von detailreichen Bildern begleitet, die zum Entdecken einladen. Auf fast jeder Seite verbergen sich zusätzlich Klappen mit weiteren Illustrationen. Das Papier ist stabil genug, so dass die Klappen nicht gleich beschädigt werden, jedoch nicht so robust, dass es sich für ganz kleine Kinder eignet. Daher halte ich die Altersempfehlung des Verlags (ab 4 Jahren) für passend.

Das Buch vermittelt auf einfühlsame Weise die winterliche Stimmung, die Geborgenheit eines warmen Zuhauses und den Wert von Freundschaft und Gemeinschaft.

Bewertung vom 09.09.2025
Ebrahimi, Nava

Und Federn überall


ausgezeichnet

Originell und sehr vielschichtig

Die Handlung spielt an einem Tag im Emsland, in einer provinziellen Kleinstadt, deren wichtigster Arbeitgeber ein Geflügelkonzern ist. Was zunächst nach einer eher trockenen Ausgangslage klingen mag, entpuppt sich als alles andere als langweilig.
Im Zentrum stehen sechs sehr unterschiedliche Figuren: Nassim, ein halbblinder Dichter aus Afghanistan; Rosha, eine iranische Schriftstellerin; Justyna aus Polen, die in der Altenpflege arbeitet; Anna aus Siebenbürgen, die eine selbstentwickelte Kameratechnologie an den Geflügelkonzern verkauft; Merkhausen, Prozessoptimierer im selben Unternehmen; und schließlich Sonia, eine alleinerziehende Mutter, die am Fließband des Konzerns arbeitet.

Kapitelweise wechseln die Perspektiven, sodass man die Ereignisse abwechselnd durch die Augen dieser Figuren erlebt. Ihre Lebenswege kreuzen sich, beeinflussen einander und eröffnen immer neue Blickwinkel. Jede Figur ist facettenreich, einfühlsam und nahbar gezeichnet. Viele haben Migrationserfahrungen, entweder persönlich oder durch ihre Familien. Alle Figuren sind von einer Grundspannung durchzogen: Sie stehen an Wendepunkten, sind unzufrieden, ringen mit den Grenzen ihres Handlungsspielraums, sei es durch ökonomische Abhängigkeit, gesellschaftliche Strukturen, durch familiäre oder kulturelle Prägungen oder durch eigene Lebenserfahrungen. Sie müssen Entscheidungen treffen, Momente des Ausbruchs und kleine Verschiebungen werden sichtbar, auch Überreaktionen.

Besonders faszinierend fand ich die Dichte und Vielfalt der Themen. Neben eindringlichen Einblicken in die Lebensrealitäten der Figuren verwebt die Autorin kunstvoll ein spannendes Kapitel deutsch-polnischer Geschichte, das mir bislang unbekannt war. Ebenso überzeugend sind die gesellschaftskritischen Dimensionen: Fragen von Migration und Integration, Kapitalismuskritik, Tierschutzfragen, die Thematisierung des (mir bislang ebenfalls unbekannten) „Wooden Breast“-Syndroms, eine Krankheit, die aus der Massentierhaltung hervorgegangen ist. All dies wird nicht belehrend, sondern im Kontext der Figuren und ihrer Schicksale erzählt.

Der Roman ist humanistisch, feministisch, tiefgründig und zugleich unterhaltsam. Das offene Ende wird sicher nicht allen gefallen; für mich passte es jedoch gut, da der Fokus weniger auf einer Auflösung als vielmehr auf einer Momentaufnahme der Figuren liegt. Liebend gern hätte ich allerdings auch weiterlesen wollen.

Insgesamt liest sich das Buch fesselnd, berührend, ernst und zugleich komisch, satirisch, philosophisch und hochaktuell. Ein origineller und klug komponierter Roman,der mich nachhaltig beeindruckt und begeistert hat!

Bewertung vom 22.08.2025
Schmidt, Thomas

Traue keinem fremden Wolf


ausgezeichnet

Komplex, multiperspektivisch und sehr bewegend

Der Roman begleitet die tschetschenische Familie Ibragimov und spannt einen Bogen von den 1980er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Im Zentrum stehen Adam und Marina mit ihren Kindern und Enkelkindern sowie Adams Bruder und dessen Sohn.

Der Fokus des Romans liegt auf den historischen und politischen Geschehnissen, die sehr detailliert erzählt werden. Die Zeitspanne reicht von der gewaltsamen Deportation der Tschetschenen nach Kasachstan unter Stalin in den 1940er-Jahren bis hin zu den Jahren um 2014, in denen Ramsan Kadyrow Tschetschenien mit eiserner Hand beherrschte.

Besonders beeindruckend ist die Vielstimmigkeit des Romans. Er fängt die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der tschetschenischen Gesellschaft ein und vermittelt ein tiefes Verständnis von Kultur, Werten, Traditionen und Rollenbildern sowie davon, wie diese sich im Laufe der Jahrzehnte verändert haben. Es werden Generationenkonflikte sichtbar gemacht, die Ausbreitung des radikalen Islamismus nachgezeichnet und immer wieder verdeutlicht, wie sehr unterschiedliche Interessen und Einflüsse, sowohl innerhalb Tschetscheniens als auch von außen, im Hintergrund maßgebliche Veränderungen bewirkt haben. Es werden die Tschetschenienkriege beleuchtet, die Anschläge im Moskauer Theater sowie in der Schule von Beslan und vieles mehr.

Der Schreibstil ist klar und gut lesbar, die Handlung spannend und fesselnd, vor allem, je näher sie der Gegenwart rückt. Die Charaktere bleiben zwar eher angedeutet, aber dennoch immer zugänglich und berührend. Manchmal hätte ich mir dennoch gewünscht, tiefer in die Figuren eintauchen zu können, um manche Entscheidungen noch besser verstehen zu können.

Der Autor arbeitet äußerst differenziert: Er zeigt Widersprüche auf, lässt verschiedene Perspektiven nebeneinanderstehen und gibt Einblicke in die Denk- und Gefühlswelt ganz unterschiedlicher Akteur*innen: von tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfern, jungen russischen Wehrdienstleistenden bis hin zu überzeugten Dschihadisten. Dabei verknüpft er fiktive Figuren mit historischen Persönlichkeiten und stützt sich auf eine bemerkenswerte Recherchearbeit. So entsteht ein facettenreiches Bild, das die historischen Entwicklungen nachvollziehbar macht, ohne Urteile zu fällen. Die Deutung bleibt den Lesenden überlassen.

Insgesamt hat mich die Lektüre tief erschüttert und sehr nachdenklich gemacht. Der Roman bietet einen multiperspektivischen, komplexen und tiefen Einblick in die Geschichte und Gegenwart Tschetscheniens.

Bewertung vom 22.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Bewegende kongolesische Liebes- und Familiengeschichte

Die jugendliche Bijoux wird während des Bürgerkriegs aus dem Kongo nach London geschickt, um bei ihrer Tante Mira in Sicherheit zu leben. Doch auch dort fühlt sie sich nicht frei: Bijoux liebt Frauen, ihre tief religiöse Tante aber gehört einer kirchlichen Gemeinde der kongolesischen Community an, in der Homosexualität nicht akzeptiert wird. Gespräche sind kaum möglich, Mira wirkt verhärtet und schweigsam.
Auf unterschiedlichen Zeitebenen begleiten wir Bijoux in ihrer Entwicklung und erhalten zugleich Einblicke in Miras Vergangenheit.

Sehr eindrücklich schildert der Roman, wie es ist, ein Leben führen zu müssen, das von Familie und Gesellschaft erzwungen wird, und die eigene Sexualität zu verbergen. Zugleich vermittelt er ein detailreiches und sehr interessantes Bild des kongolesischen Alltags, der Kultur und der politischen Geschichte. Besonders spannend sind die Einblicke in familiäre Strukturen, in Erziehung und Rollenbilder. Für Frauen bedeutet dies meist enormen Druck: heiraten, Kinder bekommen, funktionieren. Es ist eine patriarchale Gesellschaft, oft von Gewalt geprägt. Ein Mann sagt einmal: „Wir sind nicht alle Monster“. Dieser Satz hallte lange nach. Auch die Weitergabe von Traumata über Generationen wird thematisiert.

Die Handlung ist durchweg fesselnd und überaus spannend, nicht zuletzt durch die wechselnden Zeitebenen. Das Buch ist berührend und emotional schwer, zugleich jedoch gut lesbar. Momente des Glücks sind selten und scheinen nie von Dauer, was insbesondere das tragische Schicksal von Mira kennzeichnet. Das Ende ist versöhnlich und voller Hoffnung gestaltet, was mir gut gefiel.

Fazit: Eine bewegende und tiefgründige Liebes- und Familiengeschichte vor dem politischen und kulturellen Hintergrund des Kongos. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 14.08.2025
Reifenberg, Frank Maria

Aristide Ledoux - Meisterdieb wider Willen


sehr gut

Abenteuer und Krimi vor historischem Hintergrund
Paris, Anfang des 20. Jahrhunderts: Der junge Aristide wohnt bei Madame Plumard, wie es im Testament seines Onkels verfügt wurde. Er wurde ausgebildet zum Meisterdieb. Er erhält Aufträge von einer unbekannten Person, die er dann Nachts ausführt. Eines Nachts jedoch gerät er in eine Falle und wird in letzter Sekunde vom Straßenjungen Julien gerettet. Gemeinsam mit Juliens Freundin Léontine, beginnt nun ein gefährliches Abenteuer. Wer hatte es auf Aristide abgesehen? Welche Geheimnisse ranken sich ums Aristides Vergangenheit? Wo ist Madame Plumard? Unterstützung bei der Aufklärung erhalten die drei von dem Journalisten Bleriot, dessen wöchentlichen Kriminalgeschichten Léontine begeistert verschlingt.

Die Geschichte wird aus den Perspektiven aller drei Jugendlichen erzählt. Léontine, die eigentliche Hauptfigur des Romans, ist die Tochter des Chefs der Geheimpolizei. Sie rebelliert gegen die strengen gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und sucht ihren eigenen Weg. Julien kam nach Paris, nachdem seine Eltern, aus dem Kongo stammend, von einem Varieté angelockt wurden. Nach ihrem Tod floh er und lebt seither mit seinem pfiffigen Äffchen auf der Straße. Aristide, von dem ich eigentlich erwartete, dass er die Hauptperson ist, bleibt hingegen recht blass.

Zu Beginn hatte ich etwas Schwierigkeiten, die Namen und zeitlichen Bezüge einzuordnen. Nach und nach taucht man jedoch tief in das Paris der Jahrhundertwende ein: mit Kutschen, holprigen Strassen, Katakomben, Häfen, der Metro und versteckten Gängen in prächtigen Villen. Man erhält zudem Einblicke in das Leben einer wohlhabenden Familie und erfährt wie ein Mädchen in dieser Gesellschaft aufwuchs, was ihr erlaubt war und was nicht. Das historische Ambiente empfand ich stimmig und sehr interessant.

Der Sprachstil ist manchmal etwas kompliziert, nicht immer liest es sich flüssig. Die Handlung ist spannend und bietet unerwartete Wendungen. Gegen Ende überschlagen sich jedoch die Ereignisse: Es passiert sehr viel in kurzer Zeit, sodass manches untergeht. Auch die Auflösung hat mich nicht vollständig überzeugt. Hier wurde meiner Meinung nach Potenzial verschenkt. Das offene Ende deutet auf eine Fortsetzung hin, da die drei Freunde mit einem Schiff auf dem Weg nach New York sind. Darauf bin ich schon sehr gespannt.

Das Buch ist sehr wertig verarbeitet und wirklich schön gestaltet. Besonders begeistert hat mich die gelungene Mischung aus Fließtext und Graphic-Novel-Elementen. Genau dieser besondere Stil hat mich zum Lesen animiert.

Der Roman ist eine Mischung aus Abenteuer und Krimi vor historischem Hintergrund, gespickt mit Humor. Ein empfehlenswertes Buch für Mädchen und Jungen gleichermaßen.

Bewertung vom 14.08.2025
Rosa, Maya

Moscow Mule


weniger gut

Junge Frauen in Moskau

Der Roman nimmt die Situation junger Frauen im heutigen Russland in den Blick. Die Hauptperson ist Karina, die an einer Moskauer Universität politischen Journalismus studiert. Da sie in finanziellen Engpässen steckt, sucht sie regelmäßig Nebenjobs. Ihre freie Zeit verbringt sie mit ihrer besten Freundin Tonya und anderen Freunden. Sie gehen in Bars, auf Parties, immer auch auf der Suche nach Männerbekanntschaften.

Karina ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Ihr Verhältnis zur Mutter ist schwierig, da diese sie ablehnt und ihr keinerlei Rückhalt und Verständnis bietet. Die junge Frau ist etwas ziellos, die Wahl ihres Studienfachs war eher beliebig. Wichtig wäre ihr, ins Ausland zu gehen, um dort endlich frei zu sein. Daher sucht sie nach Möglichkeiten, um an ein Visum zu gelangen.

Karinas Entwicklung erleben wir vor der Kulisse Russland. Die politische Gleichschaltung ist in vollem Gange, Meinungsfreiheit, Medienfreiheit etc. sind eingeschränkt. Zudem gibt es deutliche Unterschiede zwischen Arm und Reich. Korruption ist allgegenwärtig, sämtliche Annehmlichkeiten, Diplome und andere Vorteile können mit Geld gekauft werden – falls man es hat. Zugleich wird die kritische Lage in der patriarchalischen Gesellschaft thematisiert, in der es an Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau mangelt.

Der Mord an der engagierten Journalistin Anna Politkowskaya wird im Roman mehrfach angesprochen und ihr dadurch auch ein kleines Denkmal gesetzt. Wenn kritischer Journalismus und Menschen mit anderer politischen Haltung letztlich mit dem Leben bezahlen müssen, stellt sich die Frage, welche Lebensentwürfe und Perspektiven für die Jugend noch bleiben. "Wir waren zu jung, um patriotisch zu sein, und zu alt, um an den Triumph der Gerechtigkeit zu glauben. Die Perspektiven waren überschaubar". Weiterleben und die Politik ignorieren oder abwarten auf freie Wahlen, echte Opposition und keine Zensur oder nach Europa emigrieren. Karina und Tonya treffen unterschiedliche Entscheidungen.

Ich wollte den Roman wirklich gern mögen und freute mich auf die Lektüre. Doch leider konnte er mich nicht packen. Ich blieb zumeist emotionslos und distanziert. Karina und auch alle anderen Figuren blieben mir emotional fern, obwohl die Autorin die Ich-Perspektive gewählt hat. Ganz im Hintergrund spürte ich eine Wut und Empörung, durchaus auch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sowie etwas Mitgefühl für Karina in Bezug auf das Verhältnis zu ihrer Mutter. Aber insgesamt wurde ich kaum berührt.

Zudem konnte mich der Roman nicht fesseln. Einen Spannungsaufbau konnte ich nicht wahrnehmen, es gab keine wirklichen Höhepunkte; alles plätscherte recht eintönig vor sich hin. Es las sich wie aneinander gereihte sachliche Geschehnisse.

Leider begann mich auch die Sprache irgendwann anzustregen und zu nerven. Bei manchen Formulierungen war ich unsicher, ob es sich um eingedeutschte russische Ausdrücke handelte. Der Sprachstil wirkte manchmal etwas übertrieben. Dies war sicherlich häufig auch satirisch gemeint, doch konnte mich auf Dauer nicht überzeugen. All das führte dazu, dass ich nach einiger Zeit Absätze und ganze Seiten nur überflog und querlas.

Fazit: Besonders die Situation und Entwicklung der jungen Frauen sowie das Setting des heutigen Moskaus mit all seinen politischen und gesellschaftlichen Besonderheiten interessierten mich und regten mich zum Nachdenken an. Leider konnte mich allerdings weder der Aufbau noch die Sprache des Romans fesseln und berühren. Schade!

Bewertung vom 06.08.2025
Kitamura, Katie

Die Probe


sehr gut

Ein leiser, aber intensiver Roman mit Interpretationsspielraum

Der Roman erzählt von einer recht erfolgreichen (namenlosen) Schauspielerin in New York. Sie ist mit Tomas verheiratet, der als Schriftsteller tätig ist. Sie haben einen erwachsenen Sohn namens Xavier, der ebenfalls im Theaterbereich studiert und eine Assistentenstelle bei einer Regisseurin angenommen hat.
Inhaltlich möchte ich an dieser Stelle gar nicht so viel vorweg nehmen. Der Roman ist in zwei Teile geteilt. Jeder Teil zeigt eine andere mögliche Version, es gibt dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Erzählt wird aus der subjektiven Ich-Perspektive der Schauspielerin, ähnlich eines inneren Monologs. Wir erfahren viel über ihre Ehe und ihre Arbeit. Sie beobachtet scharf und analysiert präzise und doch geraten wir wiederholt in Irritationen und Widersprüchlichkeiten. Denn die Wahrnehmung der Schauspielerin stimmt nicht immer mit den Wahrnehmungen ihrer engsten Angehörigen, insbesondere ihres Mannes und ihres Sohnes überein. Dadurch entstehen Unsicherheiten in ihren Interaktionen, und sie fragt sich, was eigentlich wahr ist, wie sie das Verhalten der anderen verstehen soll und welche Art von Beziehung sie wirklich zueinander haben.
Oft zweifelt sie an sich, geht aber Konflikten aus dem Weg, verdrängt sie und flüchtet. Es scheint eine Wand zwischen ihr und den anderen, insbesondere zu ihrem Sohn zu geben. Als Schauspielerin muss sie verschiedenste Rollen spielen. Um diese gut darstellen zu können, soll es möglichst echt wirken. Hat sie sich selbst dabei verloren?

Die Charakterdarstellung dieser widersprüchlichen Hauptperson berührte und bewegte mich, da Differenzen zwischen der Selbst-und Fremdwahrnehmung im Alltag immer wieder eine Rolle spielen. Interessant fand ich zudem die teils recht tiefgründigen Einblicke und Gedanken zum Beruf der Schauspieler. Weitere Themen umfassten das Frausein, das Muttersein, die Beziehung zum (erwachsenen) Kind, aber auch Kinderlosigkeit sowie Konflikte in der Ehe. Es geht um Prozesse der Entfremdung, der Kommunikation und um Authentizität. Insgesamt sind die Themen sicherlich nicht neu, ich mochte jedoch, wie sie hier dargestellt und behandelt wurden, und wie ich als Leserin miteinbezogen wurde.

Die Sprache des Romans ist zudem schön zu lesen und tiefgründig. Ich mochte die feine und psychologisch spannende Beobachtungsgabe der Autorin sehr. Ich war gefesselt, weil ich wissen wollte, was nun wirklich wahr ist. Gegen Ende wird die Geschichte sehr skurril und fast unangenehm, es gleicht einer absurden Theaterszene. Das Ende an sich fand ich aufgrund der Selbstreferenz rund und gelungen.

Zurück blieb ich mit einigen Fragen und Interpretationsmöglichkeiten. Das wird sicherlich nicht allen Lesenden gefallen, doch ich schätze es, wenn ein Roman mich dazu bringt, mich aktiv mit ihm auseinanderzusetzen und selbst nachzudenken. Hilfreich ist hierbei sicherlich auch ein Austausch mit anderen Lesenden.

Bewertung vom 06.08.2025
Fallé, Nincemon

Diese glühenden Sonnen


ausgezeichnet

Bewegender und tiefgründiger Roman über junge Menschen in der Elfenbeinküste

Iro zieht nach Abidjan, um dort Literaturwissenschaft zu studieren. Ursprünglich sollte er bei seinem Onkel wohnen, doch aufgrund einer Lüge der Kinder seines Onkels wurde er hinausgeworfen. Plötzlich steht er ohne finanzielle Mittel und Unterkunft da. Während seines Studiums lernte er Thierry kennen, der ihm nun in einem kleinen Studentenzimmer Unterschlupf bietet. Gemeinsam versuchen sie, Geld zu verdienen, indem sie T-Shirts verkaufen.

Iro ist sehr schüchtern und hat im Laufe seines Lebens gelernt, sich unsichtbar zu machen. Seine Beziehung zu seinem Vater ist kompliziert, geprägt von Scham, Hass, Verachtung und Liebe. Sein älterer Bruder, der nach Europa gegangen ist, hat sich seitdem nie wieder gemeldet, was Iro tief bewegt. Im Laufe der Geschichte erlebt Iro tragische Ereignisse, die ihn vor wichtige Entscheidungen stellen, die er treffen und verantworten muss. Er entscheidet sich für den Weg der Bildung und Moral. Auch Thierry steht an einem Scheideweg und muss Entscheidungen treffen, wobei er (wieder) ins kriminelle Milieu abzudriften droht.

Der Roman zeigt die Herausforderungen, vor denen junge Studierende in der Elfenbeinküste im Besonderen stehen, aber auch die Probleme junger Menschen im Allgemeinen. Er stellt zentrale Fragen: Wer bin ich? Was fange ich mit meinem Leben an? Wo möchte ich hin? Welchen Beruf möchte ich ausüben? Was gibt mir Kraft, was treibt mich an?

Die Entwicklungen der jungen Protagonisten sind spannend, fesselnd und sehr bewegend erzählt. Iros Gedanken und Gefühle sind gut nachvollziehbar und konnten mich persönlich berühren. Auch die Nebenfiguren sind authentisch dargestellt. Besonders interessant fand ich die Einblicke in die familiären Hintergründe von Iro und Thierry sowie die Darstellung der aktuellen Situation in der Elfenbeinküste.

Der Autor kritisiert offen die sozialen Missstände in der Elfenbeinküste, wo große Unterschiede zwischen Arm und Reich herrschen. Studieren ohne finanziellen Rückhalt ist nahezu unmöglich. Zudem werden die allgegenwärtige Gewalt, die als probates Mittel der Macht und Kontrolle eingesetzt wird, sowie die patriarchalischen Strukturen, die das gesellschaftliche Leben prägen, thematisiert.

Der Schreibstil ist direkt und ungeschönt, was die Lektüre manchmal schmerzhaft macht. Die Schilderungen sind traurig und melancholisch, aber auch kraftvoll und klug. Der Autor sucht nach Wahrheiten und Antworten. Seine Perspektive ist tief humanistisch geprägt, voller Hoffnung auf die Kraft von Freundschaft, Solidarität, gegenseitigem Verständnis und Vergebung. Das verleiht dem bewegenden Roman insgesamt einen optimistischen Ausklang.

Der Name Iro bedeutet „Sonne“ und dieses Leitmotiv taucht in verschiedenen Facetten im Roman auf. Die Struktur des Romans hätte ich mir insgesamt etwas runder gewünscht und gegen Ende empfand ich einen bestimmten Zufall als zu konstruiert. Dennoch schmälert das keineswegs den insgesamt sehr positiven Eindruck, den der tiefgründige Debütroman bei mir hinterlassen hat. Ich bin sehr gespannt auf weitere Werke!

Ich kann das Buch besonders Menschen empfehlen, die sich für die Elfenbeinküste sowie für die Lebenswege und Entscheidungen junger Erwachsener interessieren. Außerdem ist er sehr gut geeignet für junge Lesende die sich in genau dieser Lebensphase befinden.

Bewertung vom 15.07.2025
Petrowitz, Michael

Leserabe 1. Lesestufe - Gruselgeschichten


ausgezeichnet

Rundum gelungen
Vier Geschichten sind hier versammelt. Die erste Geschichte handelt von einem Vampirmädchen, das endlich mal Knoblauchbrot probieren möchte. Die zweite Geschichte handelt von einem kleinen Gespenst auf der Klassenfahrt. Nun soll eine Tagwanderung stattfinden, doch das Gespenst fürchtet sich, insbesondere vor den Menschen. In der dritten Geschichte spielen Skelette und Zombies ein wildes Fußballmatch. In der vierten Geschichte treffen sich einige der schon bekannten Figuren in der Schule zum Spukunterricht.

Die Worte und Sätze sind gut verständlich und nicht zu schwierig für Erstleser. Die Geschichten haben zudem eine angemessene und gute Länge. Die Figuren sind sympathisch, nett und liebevoll gestaltet. Die Geschichten sind glücklicherweise nicht gruselig, dafür aber spannend und witzig. Die Illustrationen sind sehr schön, farbenfroh und fantasiereich und gefielen uns durchweg.

Aufgrund dieses überzeugenden Gesamteindrucks waren meine 7 jährigen Kinder sehr motiviert beim Lesen, waren gefesselt und amüsierten sich sehr. Das Fussballmatch ist vielleicht etwas schräg, es gefiel ihnen jedoch am besten. Ich hörte ihnen beim Vorlesen gern zu, da ich die Geschichten ebenfalls spannend und sehr unterhaltsam fand (das ist durchaus nicht bei allen Kinderbüchern so).

Zusätzlich gibt es Sticker, die man beim Beenden der Geschichte einkleben kann sowie Rätsel zum Lösen, die sich auf die Geschichten beziehen.

Dieses Buch, empfohlen von der Stiftung Lesen, scheint mir wirklich perfekt für Erstleser geeignet und ich spreche eine klare Leseempfehlung aus!

Bewertung vom 15.07.2025
Tunnicliffe, Hannah

Detektiv Stanley und das Geheimnis im Museum


gut

Detektiv Stanley hat sich aus dem aktiven Polizeidienst zur Ruhe gesetzt, bekommt aber einen Brief, dass er schnell zum Museum kommen soll, da es hier einen Einbruch gab. Dort trifft er auf die Museumsdirektorin Rosenbaum sowie Inspektor Shiro, der in Stanley einen unliebsamen Konkurrenten sieht. Sie besehen sich das Chaos im Museum, doch nach kurzer Zeit wird Stanley plötzlich aufgrund einer Finte verhaftet und landet im Gefängnis. Dort bleibt er jedoch nicht lange, da er das Rätsel um den Einbrecher und Kunstdieb gelöst hat und den wahren Dieb überführen kann.

Das Buch ist im Comic Stil verfasst. Die Illustrationen sind sicher Geschmackssache. Meinen Kindern gefielen sie nicht so sehr. Mir gefielen sie, trotz des etwas ungewöhnlichen Stils, da man überall nette und lustige Details entdecken kann. Insgesamt gibt es immer wieder humorvolle Momente, die den Kriminalfall auflockern.

Sprachlich ist das Comic nicht für Erstleser geeignet, sondern für Kinder, die schon recht sicher beim Lesen sind. Es gibt einige schwierige Worte. Zudem ist die Geschichte recht lang und durchaus auch etwas komplex und detailliert, so dass man Geduld und Überblick benötigt.
Detektiv Stanley verkörpert einen sympathischen, sehr klugen, gelassenen und in sich ruhenden Ermittler. Daneben gibt es noch etliche andere Figuren, die aber insgesamt recht oberflächlich/ schematisch dargestellt werden.

Der Fall an sich hat uns nicht so wirklich mitgerissen, ich kann nicht genau sagen, warum, ich glaube, weil meine Kinder einfach noch zu jung waren (7 Jahre). Es wird damit geworben, dass man miträtseln kann- dem ist aber eher nicht so.

In dem Fall geht es letztlich um den Diebstahl eines berühmten Bildes: "Composition Deux" von Piet Mondrian. Hier im Comic heißt er Zieg Mondrian. Diese Umbenennung hat mir nicht so gut gefallen und hätte es auch nicht gebraucht. Abschließend folgen noch kurze Einblicke in das Leben von Piet Mondrian, diese waren zwar recht interessant, aber auch eher für ältere Lesende geeignet. Mir liegt abstrakte Kunst nicht sehr, vielleicht lag es auch daran, dass der Funke bei mir insgesamt nicht ganz übersprang.
3,5 Punkte