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clematis

Bewertungen

Insgesamt 244 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2025
Das verstoßene Mädchen
Römer, Lotte

Das verstoßene Mädchen


ausgezeichnet

Gletschermilch

In einer angesehenen Kaufmannsfamilie wächst Fannerl Nader mit ihren beiden jüngeren Schwestern zur jungen Frau heran. Wie es sich im Jahre 1881 so gehört, knüpft sie unter der gestrengen Aufsicht der Eltern zarte Kontakte zu Johann, dem Sohn eines eleganten Innsbrucker Herrenausstatters. Bevor aber noch Verlobung gefeiert werden kann, verunglückt Fannerls Vater tödlich und hinterlässt einen Schuldenberg. So sieht sich die Mutter gezwungen, rasch wieder zu heiraten, wobei die Vermählung an eine Bedingung geknüpft ist: Fannerl muss aus dem Haus, denn das Mädchen hat porzellanweiße Haut und auffällig helles Haar, was dem abergläubigen Bräutigam Unglück bringen könnte.

Malerische Szenen rund um den Besuch des Kaisers in Innsbruck, das aufgeregte Tun der wohlhabenden Bevölkerung, die Liebe innerhalb der Familie Nader und die zart beginnende Zuneigung zwischen Fannerl und Johann – schöner könnte dieser bewegende Roman kaum beginnen. Mit vielen außergewöhnlichen Details fesselt Lotte Römer ihre Leser und führt alsbald die böse Wende im vermeintlichen Glück herbei: der künftige Stiefvater will nichts mit Fannerl zu tun haben, die Mutter schickt ihr Kind kurzerhand ins Sellraintal zu den Wäscherinnen, es ist bestimmt das Beste so für alle. Auf einen Schlag steht das Leben des jungen Mädchens auf dem Kopf, statt von Bediensteten verwöhnt zu werden, muss sie nun selbst im eiskalten Wasser, im Sellraintal Gletschermilch genannt, Wäsche für andere waschen, unter einem undichten Dach wohnen und mit einfacher Nahrung vorlieb nehmen.

Bestens recherchierte Wäscherinnenarbeit inmitten des wunderschönen Sellrain neben Figuren, die trotz ihrer harten Schale einen umso weicheren Kern haben beeindrucken in diesem lesenswerten Roman, in dem auch allerlei Gefühle nicht zu kurz kommen. Von mir gibt es jedenfalls eine Empfehlung für Teil 1 der „Töchter aus Innsbruck“.

Bewertung vom 10.06.2025
Die Wölfe unter uns (eBook, ePUB)
Sünderhauf, Tim

Die Wölfe unter uns (eBook, ePUB)


sehr gut

Der Hüne

Richtung Klöpper Mühl im Fichtelgebirge ist Johann mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Anna unterwegs. Dort will die vertriebene Müllerfamilie im Jahre 1630 neu beginnen. Aber der Ort ist sonderbar, es gibt hier – außer einem Säugling – keine Kinder.

Mystisch und voll düsterer Atmosphäre beschreibt Tim Sonderhauf in seinem Roman die Stimmung, die dichten Wälder, das unwegsame Gebirge. Auch Johann und seine Familie bekommen rasch ein Gesicht. Kurz nach seiner Ankunft begegnet der Bub im Dorf einem wahrhaften Hünen, dessen Aufgabe als Wildhüter es ist, die Ursache für das Verschwinden der Kinder zu ergründen und die immer näher kommenden Wölfe fernzuhalten. Mit einem scharfen Blick fürs Detail wird die Zeit um 1630 zum Leben erweckt, werden die sonderbaren Vorgänge im Ort ergründet. Ist es ein Wolfsrudel, sind es die Zigeuner, oder gar Wiedergänger, die hier ihr Unwesen treiben? Bald verbindet Johann und den Wildhüter Hildner ein unsichtbares Band von Vertrauen, von Gemeinsamkeit, das sie zusammen durch die Gegend streifen lässt. Was werden sie herausfinden? Gibt es überhaupt eine logische Erklärung?

Eher ruhig vom Schreibstil her, aber deshalb nicht minder spannend, begeben wir uns auf eine Zeitreise in ein Land von Söldnern im Krieg, von Gegnern im Namen der Religion. Wer sich nicht darauf versteht, die Zeichen der Natur zu deuten und im Wald zurecht zu kommen, hat es schwer. Und schließlich hält der Autor noch eine verblüffende Wende bereit, die dem Ganzen einen stimmigen Abschluss verleiht. Ungewöhnliche Lesestunden gehen mit dieser Historie jedenfalls einher.

Bewertung vom 07.06.2025
Die Blumentochter (eBook, ePUB)
Jäger, Fritzi

Die Blumentochter (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Acker Rabeneck

Nachbarskind Johanna Eckstein ist eine der Ersten, die am Acker Rabeneck in Emsfeld eintreffen, nachdem Bauer Schulze auf seinem Grund eine Leiche gefunden hat. Es handelt sich um die junge Lydia, die hier sorgfältig begraben liegt unter Rosen und Zauberschnee. Als Täter kann rasch der Gärtnerlehrling Adam Paczek ausgemacht werden. 31 Jahre später ist Johanna aufgrund dieses Erlebnisses Polizistin und kehrt nun nach einer langen Zeit in Berlin zurück in ihr Heimatdorf. Kaum hat sie ihren Platz im hiesigen Kommissariat gefunden, gibt es wieder eine Leiche am Rabenecker Acker, ebenfalls mit hübschen Blumen bedeckt. Hat der damalige Mörder nochmals zugeschlagen oder gibt es einen Nachahmungstäter?

Erst einmal geht es zurück ins Jahr 1984 und zu dem schrecklichen Vorfall, der sich dort im Münsterland ereignet hat. Bildhafte und lebendige Szenen sorgen sofort dafür, dass man sich mitten im Geschehen fühlt und beinahe selbst Teil der handelnden Personengruppe wird. Die Geschehnisse drei Jahrzehnte später stehen dem in nichts nach, der Mix aus Johannas Privatleben und akribischer Ermittlungsarbeit ist bestens gelungen. Spritzige Dialoge und interessante Rückblenden sorgen für Spannung und eigene kreative Überlegungen. Aber Fritzi Jäger platziert ihre Informationen geschickt und häppchenweise, sodass man nicht gleich die Lösung vor Augen hat. Bäuerliche Dorfstrukturen und lärmende Großstadt, schillernde Machos und zurückhaltende Verliebte, damals und heute eine Blumentochter, die Autorin verknüpft unterschiedliche Welten und Weltanschauungen mit Leichtigkeit zu einem runden Gesamtbild, welches bis zur letzten Seite fesselnde Lesestunden bietet.

Großartig gezeichnete Figuren und eine durchwegs schlüssige Handlung, garniert mit so manch humorvollem Vergleich, lassen diesen Krimi zum Vergnügen werden. Ich empfehle ihn sehr gerne weiter.

Bewertung vom 05.06.2025
Die Festung
Smithson, L. D.

Die Festung


ausgezeichnet

Überlebende

Als einzige Überlebende einer Realityshow gilt Bonnie Drake, die vor der Küste Englands angespült worden ist. Auf einer abgelegenen Festung mitten im Meer hat sie mit sieben weiteren Teilnehmern um den Sieg gekämpft, damit sie sich nach dem Tod ihrer Mutter die Hypothek fürs Haus leisten kann. Nun versucht die junge Frau, sich zu erinnern, was geschehen sein könnte.

Ein packender Prolog mit blutigen Fußspuren eröffnet das Spiel, dann geht es voller Abwechslung weiter durchs Geschehen. Einerseits fährt man mit den Teilnehmern des Wettbewerbes zu der abgeschlossenen „Festung“, welche der Show auch ihren Namen gibt, andererseits hört man einen Podcast, der im Nachhinein die Vorkommnisse auf dem Fort in der Meerenge von Solent wiedergibt. Dazwischen werden Kommentare der Zuschauer der Realityshow eingestreut. So bekommt Bonnies Geschichte einen rundum gerichteten Blickwinkel, der für stete Kurzweil sorgt. Wer anfangs noch meint, es geht schlicht um eine Reihe von Rätseln, der denkt spätestens beim ersten toten Kandidaten, dass da doch etwas gehörig schief läuft. Aber was? Sollen sie weiter die Befehle befolgen und auf ein Entrinnen hoffen oder sich allen Aufgaben widersetzen, um damit einen Abbruch der Sendung zu erzwingen? Die ursprünglich halbwegs geeinte Gruppe bricht aufgrund verschiedener Meinungen auseinander.

In kurzen, flott lesbaren Kapiteln geht es spannend dahin. Besonders gut gelungen ist die Handlung deshalb, weil wir uns nicht ausschließlich im Fort aufhalten, sondern dazwischen dem Podcast lauschen oder den Polizisten über die Schultern sehen. So vergeht die Zeit wie im Fluge und die zweite Buchhälfte liefert noch einiges an Überraschungen. Mit dem Ende schließt sich der Kreis zu den blutigen Fußspuren und der Leser wird sich genauestens überlegen, ob der jemals an solch einem Wettbewerb teilnehmen möchte.

Ein gelungener Escape-Room-Thriller, der durch interessante Zusammenhänge und größtmögliche Abwechslung punktet. Mir hat‘s sehr gut gefallen.

Bewertung vom 04.06.2025
Der Tote am Fluss / Camilla di Salvo ermittelt Bd.2
Conti, Giulia

Der Tote am Fluss / Camilla di Salvo ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Mit den Wölfen singen

Psychoanalytikerin Camilla ist eigentlich schon im Urlaub, als ihr Lebensgefährte Ennio sie um Hilfe bei einem Mordfall ersucht: der Polizist ist am frühen Morgen zum Po-Ufer gerufen worden, wo ein junger Mann erschlagen daliegt, daneben dessen höchst verwirrte Freundin. Während eine hochrangige Kommissarin schnell die Freundin als Täterin identifiziert, zweifelt Camilla an dieser Theorie, stützt sich dabei aber mehr auf ihr Bauchgefühl als auf belastbare Fakten.

Völlig unaufgeregt, ja fast sachlich, erzählt Camilla in der Ich-Form vom aktuellen Geschehen in Turin, von heißen Julitagen, vom Ruderbewerb mit ihrer Busenfreundin Franca, von Urlaubsplänen am Strand. Da platzt ein Toter mitten in die Trägheit des Sommers. Rasch ist die Psychologin verstrickt in die Ermittlungen, da sie sich für die verwirrte junge Frau verantwortlich fühlt und verschiedenen Hinweisen nachgeht. Dabei stößt sie auf eine Gruppe von Naturschützern, die gegen eine Hochgeschwindigkeitszugtrasse protestiert und die vermehrt vorkommenden Wölfe in der Gegend verteidigt. Die zähe Hitze verwandelt sich sogleich in eine aufregende Suche nach der Wahrheit, geprägt von malerischen Plätzen in der Stadt Turin selbst und im Susatal und vielen wie selbstverständlich eingestreuten geschichtlichen Informationen zum schönen Piemont.

Mit ihrem leicht dahinfließenden Schreibstil versetzt Giulia Conti den Leser sofort an den Ort des Geschehens und verknüpft einen Kriminalfall ganz unkompliziert mit Camillas Alltag, sodass sich ein gelungener Mix aus Roman und Krimi zum Kriminalroman verdichtet. Erfrischend anders als bei üblichen Ermittlungen steht hier nicht das Polizeiteam im Vordergrund, sondern Camilla mit ihrem kleinen Kreis aus Freunden und Familie, sodass der Leser ganz andere Eindrücke erhält und die Blickwinkel eine eher persönliche Perspektive bekommen, nicht zuletzt deshalb, weil Camilla zuweilen auch auf ihre Vergangenheit zurückschaut.

Umweltschutz und Intrigen, Wölfe und deren Gesang, Psychoanalytikerin und Polizist, Rudern am Po und Wandern im Susatal – sehr vielfältige und abwechslungsreiche Szenen lassen die Seiten dieses Krimis rasch dahinschmelzen und die sommerliche Hitze vergessen. Ich mag die fast nüchternen Betrachtungen von Giulia Conti sehr gerne und bin jetzt wirklich neugierig auf einen Besuch in Turin, vielleicht auf einen Kaffee und ein Brioche mit Camilla, Franca und Ennio – aber bitte ohne Leiche!

Bewertung vom 03.06.2025
Der Ruf des Horizonts
Janssen, Jaane

Der Ruf des Horizonts


ausgezeichnet

Seifensieden

Während Lian wieder einmal auf Walfang ist, versucht seine Frau Sventje auf der Ostfrieseninsel Borkum, sich und ihre Kinder mit Seifensieden und Kräuteranbau über die Runden zu bringen. Aber obwohl der Glaube an Hexen und Teufelszeug im Jahre 1870 eigentlich schon überholt sein sollte, finden sich missgünstige Nachbarn, die darin Frevel und Gotteslästerei sehen und gegen Sventje hetzen. Zu allem Unheil bricht auch noch ein Krieg aus und ein Geheimnis rund um den Gutsherrn Valentin von Halversberg drängt ans Licht.

Ein wunderbares Wiedersehen mit liebgewonnen Figuren auf Borkum beschert uns Jaane Janssen mit diesem zweiten Teil der Ostfriesland-Saga. Leider das Leben seit damals nicht einfacher geworden, immer noch sorgen viele Frauen allein für ihre Kinder, während die Männer gen Grönland reisen, um Wale zu erlegen und Tran auszukochen, was eine der wenigen Einkommensquellen hier darstellt. Mit viel Geschick verbindet die Autorin eine fiktive, aber durchaus realistische Handlung mit der Geschichte Borkums, die sie genauestens recherchiert hat und somit ein überaus glaubwürdiges Abbild der damaligen Zeit zu erschaffen vermag. Armut und Not, die Angst um den Ehemann herrschen auf der Insel, Einsamkeit und Sehnsucht nach Daheim am Meer. Die Liebe zwischen Sventje und Lian hält beide aufrecht, auch wenn sie so oft voneinander getrennt sind und allein mit ihren Schicksalsschlägen zurechtkommen müssen. Und immer wieder taucht Valentin auf, dessen Rolle erst noch geklärt werden muss.

Gebannt verfolgt man Kapitel um Kapitel, die durch stete Perspektivwechsel abwechslungsreich gestaltet sind und höchst lebendig den Alltag auf der Insel, auf hoher See oder am Gutshof beschreiben. Durch Janssens ruhige und einfühlsame Erzählweise hat man nicht nur eindrucksvolle Bilder vor Augen, sondern verspürt auch eine ganze Fülle an Emotionen, welche Sventje, Lian, Valentin oder die Kinder beuteln, denn da geht es von echter Freude über einfache, aber von Herzen kommende Geburtstagsgeschenke bis hin zu blanker Angst während der Plünderungen oder der Jagd auf eine vermeintliche Hexe. Flott vergeht die Zeit mit großartigen Figuren, mit denen man so richtig mitfiebern kann, kaum ist eine Herausforderung bewältigt, wartet schon die nächste Aufregung um die Ecke. Selbst wenn die Zukunft von Sventje und Lian nicht auf Borkum liegen sollte, so würde ich mich gerne mit ihnen auf die Reise zum Ende des Horizonts begeben.

Der Ruf des Horizonts – eine wunderbare Fortsetzung nach „Die Spur der Sehnsucht“ und hoffentlich nicht das Ende einer lebendigen und abwechslungsreichen Saga, deren historische Grundlagen bestens recherchiert sind. Mir sind alle – vielleicht mit Ausnahme des nicht immer perfekt verständlichen, da meist im Friesischen daherbrummelnden Baders – schon sehr ans Herz gewachsen, weshalb ich mich sehr über einen weiteren Band freuen würde. Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.06.2025
Killer Potential (eBook, ePUB)
Deitch, Hannah

Killer Potential (eBook, ePUB)


weniger gut

Frauen auf der Flucht

Mit Nachhilfe verdient Evie Gordon ihr Geld. Als sie zu ihrem nächsten Einsatzort, einer reichen Familie in Beverly Hills kommt, wird sie regelrecht aus der Bahn geworfen, denn der Vater liegt ertrunken im Teich, die Mutter erschlagen im Garten. Ein heiserer Schrei aus dem Raum unter der Treppe führt zu einer Gefesselten jungen Frau. Während Evie diese befreit, taucht die Tochter der Familie - die Nachhilfeschülerin selbst - auf und bekommt in der surrealen Situation eine schwere Vase auf den Kopf, geworfen von Evie in deren Panik. Als vermeintliche Täterin flieht Evie mit der Unbekannten vor der Polizei.

Was zwar aberwitzig, aber durchaus spannend klingt, entpuppt sich schnell als langatmiger Roadtrip zweier einander völlig fremden Frauen. Mit ausschweifenden Kindheits- und Jugenderinnerungen gespickt, geht es quer durch Amerika, schlagen die Beiden den Verfolgern stets ein Schnippchen. Nach wenigen Tagen kommen sich die Frauen nun auch noch körperlich näher, wodurch die Handlung immer weiter von einem fesselnden Thriller abdriftet. Die kurzen Kapitel lesen sich vom Schreibstil her locker und flott, die Handlung selbst bleibt jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück, auch die Auflösung der Morde an Mr. und Mrs. Victor kann am Ende den bisherigen eher schwachen Eindruck über das Buch nicht mehr aufwiegen.

Ein Thriller, der mit wenig Blutvergießen auskommt, dafür zwei raffinierte Frauen in den Mittelpunkt rückt. Wenn man offen und ohne bestimmte Erwartungen an dieses Buch herangeht, wird man auch mit der ungewöhnlichen Geschichte selbst unterhaltsame Stunden genießen können.

Bewertung vom 01.06.2025
Das Pestmädchen (eBook, ePUB)
Stolzenburg, Silvia

Das Pestmädchen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Unehrliche

Lina wird als Tochter einer Hure geboren, landet im Waisenhaus und ist somit eine Unehrliche. Bereits im Kindesalter wird sie im Heilig-Geist-Spital als Helferin und Pflegerin aufgenommen, aber die junge gottesfürchtige Magd hat Neider, die sie in eine lebensbedrohliche Situation bringen.

Bildreich und lebendig gestaltet Silvia Stolzenburg das Leben in Augsburg um das Jahr 1462. Die einzelnen Berufsgruppen, die Standesunterschiede, die Ehrlichen und die Unehrlichen, werden bestens dargestellt, der Gestank im Siechenhaus, der Trubel in den schmutzigen Gassen und das einfältige Gehabe in Ratsherrenkreisen sind großartig getroffen. Auch wenn die Ereignisse aus dem Klappentext erst spät eintreffen, so ist die Handlung durchwegs aufregend und fesselnd, sind die Szenen bestens recherchiert und stets authentisch. Die Autorin schafft es wie immer, historisch Belegtes mit einer romanhaften Geschichte zu verweben, sodass ein gelungenes Ganzes für bestes Lesevergnügen sorgt. Nicht nur Lina, auch alle anderen Figuren können den Leser berühren und unterschiedliche Emotionen auslösen, was ich besonders wichtig finde bei solch einem Buch.

Detailgetreu und bildhaft wird die Zeit der Pest, der Beutelschneider, der Bader und Wundärzte zum Leben erweckt, auch der Scharfrichter darf natürlich nicht fehlen. Gottesfürchtigkeit und Aberglaube liegen nahe beieinander, die medizinischen Kenntnisse sind atemberaubend in vielerlei Hinsicht. Spannende 500 Seiten lassen die Zeit mit Lina viel zu rasch vergehen und zu einem passenden Ende finden. Mir würde das so durchaus gefallen, aber die Fortsetzung reizt mich natürlich noch viel mehr.

Bewertung vom 31.05.2025
Am Meer ist es schön (eBook, ePUB)
Leciejewski, Barbara

Am Meer ist es schön (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Kinderkurheim

Susi ist zu schmächtig, sagt der Amtsarzt, und empfiehlt für die Achtjährige einen Aufenthalt an der Nordsee. Die Familie hat Glück, denn die Krankenkasse bewilligt eine mehrwöchige Kur im Kinderheim „Haus Morgentau“. Gleichaltrige Spielgefährten, kräftigende Mahlzeiten und gesunde Luft am Meer locken zu einem unvergesslichen Sommer. Unvergessen wird er bleiben, aber anders als erwartet.

Im Jahre 2018 wird Susanne ins Pflegeheim Abendrot gerufen, die Mutter liegt im Sterben. Zufällig oder schicksalhaft, wer weiß das schon, entspinnt sich ein Gespräch über den Sommer 1969, jenen Sommer, in dem die erste Mondlandung stattgefunden hat, jenen Sommer, den Susanne in St. Peter-Ording im Haus Morgentau verbracht hat. Während ihr damals niemand geglaubt hat, der Arzt alles als rege Phantasie eines einfallsreichen Kindes abgetan hat, hören ihr ihre Mutter und ihre Tochter nun gebannt zu, denn was sich an der Nordsee zugetragen hat, lässt die beiden, ebenso wie den Leser, sprachlos zurück. Extrem reduziert und trotzdem unglaublich, schildert Barbara Leciejeweski die unfassbaren Zustände, wie sie sich leider tatsächlich von der Nachkriegszeit bis in die 1990er-Jahre zugetragen haben. Pädagogik, von der Nazizeit geprägt, mit lieblosen „Tanten“, die nichts außer blindem Gehorsam und der Einhaltung strenger Regeln erwarten, gibt hier den schroffen Ton an. Damit die Geschichte nicht nur trostlos daherkommt, erzählt Leciejewski auf einer zweiten Zeitebene, 2018, von der erwachsenen Susanne, die allerdings immer noch unter dieser Zeit leidet und gegen Alpträume kämpft. Jetzt aber ist der rechte Moment gekommen, um sich diesem Trauma zu stellen, der Familie die bleibenden Eindrücke von der schrecklichen Zeit im Kinderhaus zu berichten. Nach und nach kommen auch noch Susannes Geschwister dazu und ein herzlicher Austausch findet statt. Dass ein Verdrängen oft nicht weiterhilft, sondern ein Aufarbeiten notwendig ist, wird immer deutlicher. Den hoffnungsvollen Ausblick untermalt dann schlussendlich Udo Jürgens mit „Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf“, ein überaus passendes Lied, dessen Melodie noch in mir nachhallt zum schönen Ende, das die Autorin für Susanne gefunden hat.

Auch wenn Barbara Leciejewski den Alltag im Kinderkurheim nicht so drastisch und grausam beschreibt wie manch andere Autoren vor ihr und die Realität wohl noch viel schlimmer war, so trägt auch dieses Buch wesentlich dazu bei, dass das Thema „Kinderverschickung“ nicht in Vergessenheit gerät und die „schwarze Pädagogik“ hoffentlich nie wieder zur Anwendung kommt, um die grundsätzlich „bösen Kinder“ richtig zu „erziehen“. Gehört werden und ernst genommen werden – diesem Ziel für die Betroffenen rückt der bewegende Roman „Am Meer ist es schön“ ein Stückchen näher. Auch wenn ich mir am Anfang des Buches noch ein bisschen mehr an Emotionen gewünscht hätte, so ist es dennoch eine gelungene Geschichte, die ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 30.05.2025
Küstenmord: Spur ins Dunkel (eBook, ePUB)
Jensen, Eva

Küstenmord: Spur ins Dunkel (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Vermisst

Nach ihrer Rückkehr aus einem Auslandsjahr möchte sich Luisa mit ihrer besten Freundin Vanessa treffen, allerdings taucht diese nie am vereinbarten Treffpunkt auf. Besorgt wendet sie sich an die Polizei, wo sich das Team rund um Katja Greve und Daniel Kowalski auch nur deshalb näher mit der Meldung beschäftigt, weil gerade sonst nichts zu tun ist. Was anfangs fast als Hysterie einer jungen Frau abgetan wird, zieht jedoch bald weite Kreise.

Sympathische Ermittler, welche man vielleicht schon von früheren Einsätzen kennt, arbeiten im Kriminalkommissariat der Polizeiinspektion Schleswig bestens zusammen unter der Leitung von Ayumi Ichigawa-Herbst. Wenige Spuren sind im Fall der vermissten Vanessa Meier zu finden, vielleicht wollte sie sich ja auch nur eine Auszeit nehmen? Aber hätte sie in diesem Fall nicht ihre Nachbarin informiert, um die Blumen zu gießen und die Post aufzubewahren? Das Bauchgefühl mancher Kriminalisten überzeugt die zuständige Staatsanwältin nicht, wie soll man also vorgehen? Eine schwierige Ausgangslage stellt die Kripo Schleswig vor große Hürden, welche Eva Jensen brillant schildert und die Spannung sehr bald auf ein hohes Niveau bringt und auch hält. Ein wenig Privates kommt auch mit ins Geschehen, aber nur so wenig, dass die Krimihandlung in keiner Weise ins Hintertreffen gerät. Die abwechslungsreichen Szenen und unterschiedlichen Blickwinkel bringen Kurzweil ins Spiel, das Buch unterhält von der ersten bis zur letzten Seite prächtig.

Küstenkrimi Numero Fünf – ein flott zu lesender, dynamischer Roman, der den Leser an der Seite von Katja Greve und Daniel Kowalski miträtseln lässt, was mit der zuverlässigen Sechsundzwanzigjährigen geschehen sein könnte. Ich habe mich im hohen Norden wieder einmal sehr wohl gefühlt, denn mit diesem Duo braucht man (fast) keine Angst vor dem Verbrechen haben.