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clematis

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Insgesamt 329 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2025
Hewitt, Kate

The Edelweiss Sisters


ausgezeichnet

Mut

Als Kinder 1934 noch fröhlich bei einem Gesangsbewerb, entwickeln die Eder-Schwestern Johanna, Birgit und Lotte wenige Jahre später ganz unterschiedliche Strategien, der aufstrebenden Nazi-Herrschaft in Salzburg zu begegnen. Während Johanna sich in einen Juden verliebt und Birgit für einen Bundeswehrsoldaten schwärmt, fühlt sich Lotte von Gott berufen, ins Benediktinerinnenkloster Nonnberg einzutreten. Bald sind alle drei Schwestern überzeugt davon, sich dem Hass und der Gewalt nicht zu beugen.

Locker und fröhlich beginnt dieser bewegende Roman, die Anzeichen für den bevorstehenden Krieg kann man aber schon zwischen den Zeilen wahrnehmen. Am Schauplatz Salzburg führt Manfred Eder eine Uhrmacherwerkstatt, lebt einfach sein Leben mit Frau und Töchtern. Aber als Kommunisten und Juden verfolgt werden, ist es aus mit der Ruhe, denn diesem Treiben mag er sich keinesfalls anschließen. Sein Lehrling Franz ist Jude, er muss schleunigst weg aus seinem Zimmer unter dem Dach, die Gefahr für Familie Eder wäre einfach zu groß.

Sehr eindringlich und fesselnd schildert Kate Hewitt diese Geschichte um Mut, Widerstand und Angst. Immer wieder geht es um Leben und Tod, um die Frage, wem man trauen darf und wer hinter den Fenstern lauert, um unerwünschte Personen zu denunzieren. Die Spannung steigt stetig, die Kriegsdramen und persönlichen Schicksale sind überaus lebendig und realistisch dargestellt, denn die Kapitel beleuchten jeweils die verschiedenen Blickwinkel von Johanna, Birgit und Lotte. Dadurch wird das Geschehen überlappend erzählt, sodass der Leser jeder der drei Schwestern gut folgen kann und keine Lücken entstehen. Wie es ein Krieg so mit sich bringt, sind Gräuel und Verzweiflung nicht zu vermeiden, auch der Roman beschönigt hier nichts!

Ein trauriges Buch, das aufzeigt, woran man sich in dunkelsten Zeiten klammern kann, wie der Glaube an Gott Kraft verleiht – jede Schwester folgt ihrer eigenen Strategie, jede sucht ihren Weg durch diese schreckliche Zeit und am Ende steht die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ausgezeichnet, wenn auch nur schwer zu ertragen.

Bewertung vom 13.09.2025
Nell, Tine

If You Fly Too Far / Resort Pureza Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Liebe im Luxusresort


Elana verliert auf einen Schlag ihren Freund, ihren Job und ihr Dach über dem Kopf. Aufgrund einer Zeitungsannonce bewirbt sie sich kurzerhand als Fitnesscoach in einem Luxusresort auf Fuerteventura und kehrt schon wenig später Berlin den Rücken. Nach einem ärgerlichen Erlebnis auf der Fähre – aufgrund einer Doppelbuchung belegt ein Fremder ihre Kabine – ist es genau dieser Fiesling, der tags darauf Trainingsstunden bei ihr bucht.

Alles verloren, Neuanfang, das kennt man doch schon? Und trotzdem ist If You Fly Too Far ein einzigartiges Leseerlebnis, das uns mitnimmt auf die schöne, ruhige Kanareninsel Fuerteventura. Elana ist bestens ausgebildet und verfügt zudem über ausreichend Erfahrung, um sich für das Luxusquartier Pureza zu qualifizieren. Keine amourösen Abenteuer mit den Gästen, das ist das oberste Gebot und klingt für Elana unproblematisch, wer will nach einer großen Enttäuschung so schnell wieder etwas von Männern wissen? Da ahnt sie allerdings noch nicht, dass Adrian sich regelmäßig in ihren Trainingsplan eintragen lässt und eigentlich gar nicht so unsympathisch ist, wie er anfangs gewirkt hat. Aus Blicken und zufälligen Berührungen wird langsam mehr, das schlechte Gewissen ringt mit dem Verlangen. Tine Nell versteht es, die prickelnden Momente in Worte zu fassen und Stimmung ebenso wie Gefühle plastisch darzustellen. Nicht nur die Hauptfiguren Elana und Adrian wecken einen sympathischen Eindruck, auch Sunny und Dario von der Rezeption muss man einfach ins Herz schließen. Die Kulisse Fuerteventuras mit endlosen Sand- und Lavastränden, geheimnisvollen Höhlen und malerischen Fischerdörfern bezaubert ebenso wie das Luxusresort mit seinen exklusiven Gästen, die sich nicht nur über kratzige Handtücher beschweren, sondern gar nach geschälten Weintrauben verlangen. Man sieht, Tine Nell verpackt ein gehöriges Maß an Humor in diese schöne Geschichte und lässt Urlaubsflair unter der Sonne aufkommen.

Selbst wer noch nie die Kanaren besucht hat, wird schnell lebendige Bilder vor Augen haben und gebannt mitverfolgen, wann Elana als Vertragsbrüchige entlarvt wird. Im Grunde ist dieser Roman in sich abgeschlossen, aber die erfreuliche Botschaft lautet: Es gibt alsbald eine Fortsetzung – nach unterhaltsamen Stunden auf Fuerteventura freue ich mich natürlich sehr darauf.

Bewertung vom 13.09.2025
Beerwald, Sina

Die Sylt-Schwestern - Schicksalhafte Stunden (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wie Ebbe und Flut

Westerland auf Sylt, 1931: So unterschiedlich wie Ebbe und Flut, aber dennoch ohne einander nicht vorstellbar, so sind die Schwestern Clara und Jella. Verstimmt hat Jella vor zehn Jahren ihrer Heimat Sylt den Rücken gekehrt, um nun an Mutters Sterbebett zurückzukommen. Während sie in Berlin als Tänzerin aufgetreten ist, hat die jüngere Clara den Bürgermeister geheiratet, im Familienrestaurant mitgearbeitet und schließlich die Mutter gepflegt. Deren letzter Wunsch allerdings scheint unerfüllbar, sollen die Schwestern doch gemeinsam das Nobelrestaurant Strandperle weiterführen. Die eine möchte einen Nachtclub gründen, die andere ein Büchercafé einrichten – wer wird sich durchsetzen? Oder wirft die Weltwirtschaftskrise ohnehin alle Pläne über den Haufen?

Mit viel Liebe zum Detail und akribischen Feinheiten zur Geschichte Sylts geht es knapp hundert Jahre zurück in der Zeitrechnung. 1931, ein Sommer, von dem man sich viel verspricht, eine Weltwirtschaftskrise, deren Vorboten nicht von allen ernst genommen werden. Mittendrinnen begegnen wir Clara und Jella Jansen und deren schwerkranker Mutter Hedda. Alle drei haben höchst unterschiedliche Wünsche, den gemeinsamen Nenner findet man nicht einmal dann, wenn es um das Fest zum 50jährigen Jubiläum der Strandperle geht. Clara will etwas Traditionelles, Jella eine ausgelassene Party und Hedda fürchtet sowieso, den Tag gar nicht mehr zu erleben.

Malerische Bilder von Sylt umgeben die bestens charakterisierten Figuren dieses Romans. Clara entspricht voll und ganz dem Weltbild einer braven Ehefrau, die sich über einen Haushalt mit Toaster, Bügeleisen und elektrischem Gänserupfer (!) freut und kaum auf die Idee kommt, dass ihr Mann ihr nicht nur Materielles, sondern auch so etwas Abstraktes wie Liebe schenken könnte. Ganz anders denkt Jella, sie tanzt und feiert bis spät in die Nacht und möchte sich keinesfalls an einen Ehemann binden. Auf humorvolle Art und Weise bringt uns Sina Beerwald die beiden Schwestern näher, aber auch das engere familiäre Umfeld und den Jugendfreund Marius, der offenbar von beiden Damen entzückt ist. Viel zu schnell vergeht der aufregende Sommer auf Sylt und es bleiben noch Fragen offen.

Mit historischen Persönlichkeiten wie Hans Albers oder Marlene Dietrich auf Sylt, das hat schon was. Zudem hat mich die Geschichte der beiden Schwestern bestens unterhalten. Bald erscheint die Fortsetzung „Stürmische Tage“, auf die ich mich jetzt schon freue. Leseempfehlung.

Bewertung vom 12.09.2025
Morris, Heather

Schwestern der Freiheit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Drei Jahre und sieben Monate

Die japanische Armee übernimmt 1942 Singapur, wer kann, flieht. Auch Musikerin Norah Chambers und Krankenschwester Nesta James (zwei reale Charaktere) begeben sich an Bord der HMS Vyner Brooke und setzen ihre Hoffnung auf eine rechtzeitige Flucht Richtung Australien. Diese wird aber schon bald durch Fliegerbomben zunichte gemacht, die Überlebenden werden auf indonesischen Inseln interniert. Drei Jahre und sieben Monate dauert das Martyrium unter japanischer Aufsicht.

Chronologisch geht Heather Morris bei ihren detaillierten Beschreibungen vor, lehnt sich dabei sehr genau an Berichte von Überlebenden und deren Angehörigen an. Das brennende Singapur ist Ausgangspunkt, weiter geht es durch verschiedene Lager bis hin zur Befreiung im September 1945. Schnörkellos und mit bedrückender Sachlichkeit erzählt Morris im Präsens, wodurch eine ganz besondere Atmosphäre im Roman entsteht. Obwohl Verletzungen – durch Abseilen vom Schiff, Schwimmen im Mangrovengebiet und später physische und psychische Gewalt durch die Aufseher im Lager – allgegenwärtig sind, findet sich immer irgendwer, der Zuversicht und Trost spendet, auch wenn die Lage hoffnungslos scheint. Insbesondere die Tätigkeit der australischen Krankenschwestern, aber auch aller anderen Kriegsgefangenen wird von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. Die Geschichte zeigt einmal mehr, wie groß der Zusammenhalt in einer erzwungenen Gemeinschaft sein kann, wenn jeder aufgrund seiner Fähigkeiten und Stärken seinen Teil beiträgt, wie lindernd die Musik wirkt. Aber auch zu welchen Grausamkeiten Menschen leider fähig sind, wird offenbar. Drei Jahre und sieben Monate unter den beschriebenen Bedingungen sind unvorstellbar, völlig verständlich, dass die vierundzwanzig (von über sechzig) Krankenschwestern bei ihrer Rückkehr nach Perth als Heldinnen gefeiert worden sind.

Ein Roman nach einer wahren Geschichte – unfassbar, was damals passiert ist. Leseempfehlung für all jene, die den Zweiten Weltkrieg nicht nur unter den Gesichtspunkten von Nazis und Konzentrationslagern in Europa näher beleuchten möchten.

Bewertung vom 11.09.2025
Kölpin, Regine

Mehr Lametta für Oma (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Weihnachten allein

Feline lebt noch nicht lange in Tjarkswarf an der Nordsee, zudem kleidet sie sich bunt, hat orangerot gefärbte Haare und spricht mit Wildtieren, wie zum Beispiel mit Rehbock Martin, den sie gesundgepflegt hat. Hinter vorgehaltener Hand wird sie gar als Hexe bezeichnet. Der Einzige, der gerne mit ihr plaudert, ist der Postbote Hajo, aber auch der verhält sich eigenartig und sieht ob seines langen Bartes wie der Weihnachtsmann aus. Jedenfalls steht beiden ein Weihnachtsfest ganz allein bevor. Doch da lernen die achtjährigen Zwillinge Jelda und Jonte Feline näher kennen und schmieden einen Plan.

Heiter geht es ins Friesenland, detailliert gezeichnete Figuren sorgen für beste Unterhaltung und eine entzückende Geschichte in der aufregenden Weihnachtszeit. Auch wenn Feline und Hajo Außenseiter sind, schließt man sie rasch ins Herz, so wie es auch die neugierigen Zwillinge tun. Während Feline dem Leser bald eröffnet, warum sie so einsam und zurückgezogen lebt, wahrt Hajo sein Geheimnis länger und bietet somit Platz für Spekulationen. Von dicken Schneeflocken und einer ausgelassenen Rodelpartie geht es auch schon ins erste Adventwochenende und zu einem liebevoll gestalteten Nikolaussackerl. Bis hin zum Weihnachtsfest ist viel zu tun, Regine Kölpin erzählt die Tage bis zum 24. Dezember voller Witz und Humor, welche auch schwerwiegende Probleme in einem anderen Licht darstellen und Lösungen gar nicht mehr unmöglich erscheinen lassen. Mensch und Tier, Alt und Jung bekommen eine Stimme und vielleicht wird sogar ein Weihnachtswunder wahr?

Stimmungsvolle Unterhaltung und ernsthafte Themen werden bestens zu einer entzückenden Weihnachtsgeschichte komponiert, die sich zum Selberlesen ebenso eignet wie als schönes Geschenk. Lesenswert!

Bewertung vom 11.09.2025
Bergmann, Martina

Das Fräulein Buchhändlerin (eBook, ePUB)


sehr gut

Unabhängig

Amanda ist fleißig, hat als Beste im Jahrgang ihre Ausbildung zur Buchhändlerin abgeschlossen und freut sich, mit ihrem Chef Otto und ihrem Kollegen Horst so gut zusammenzuarbeiten. Das ist in Bielefeld im Jahre 1960 schon viel, denn der Platz einer Frau ist bei Kindern und am Herd, aber daran denkt Amanda noch nicht. Während sie über eine Hochzeit mit Gisbert nachdenkt, verstirbt der Chef und für Amanda ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. Ob das den Herren rund um sie passt?

Beschwingt erzählt Martina Bergmann vom Leben in den 1960er-Jahren, vom Wirtschaftsaufschwung und von den Schreibfräulein, von Männern in gehobenen Positionen und von Frauen in Feinstrumpfhosen. Amanda fügt sich nicht in diese Konventionen, blüht auf in ihrem Beruf und ist zuversichtlich, auch als verheiratete Frau und Mutter nicht im Haushalt zu versauern. Was vielleicht nicht einmal ein Traum war, kann sich nun, nach Ottos Tod, verwirklichen lassen, denn ist es nicht eine logische Konsequenz, dass Amanda den Buchladen weiterführt? In lockerem Schreibstil erzählt die Autorin, wie Amanda Pläne schmiedet und mit Hilfe ihrer Oma Schritt für Schritt vorwärts wagt. Sie ist keine, die wütend auf Gleichberechtigung pocht, sondern leise und zielstrebig handelt. Das ist es auch, was sie im Laufe der Kapitel so sympathisch werden lässt und darlegt, warum sich Henriette aus ganzem Herzen über die Freundschaft mit ihr freut. Liebevoll fügt Bergmann Details aus dem Handwerk einer Buchhändlerin ins Geschehen ein, umhüllt vom Flair der damaligen Zeit und der Erwartungshaltung der Gesellschaft. Unabhängig will Amanda sein und passend für die Gegenwart, vielleicht auch für die Zukunft – modern nennt man es zurzeit. Schön, dass wir diese tüchtige Frau dabei begleiten dürfen.

Ein ruhiger, stimmungsvoller Roman, der auf unterhaltsame Weise erzählt, wie auch eine Frau in den 1960ern neidische Männer auf ihre Plätze verweist.

Bewertung vom 10.09.2025
Töpfner, Astrid

Die verschwundenen Jahre


ausgezeichnet

Krieg, Schuld, Vergebung

1936 steht Spanien kurz vor einem Bürgerkrieg, welcher das Leben von Clara und Daniel grundlegend verändert. Sogar Marina, Claras Enkelin, ist von den damaligen Ereignissen und der tragischen Familiengeschichte achtzig Jahre später noch betroffen. Mittlerweile 102 Jahre alt, gibt Clara traurige Erinnerungen preis.

Mit einer passenden Rahmenhandlung – Marina soll eine Reportage rund um die Exhumierung des spanischen Diktators vorbereiten – beginnt Astrid Töpfner eine so großartige wie schockierende Geschichte, welche einen großen Bogen spannt vom Putschversuch Francisco Francos über eine emotionale Liebesgeschichte bis hin zu verletzenden Schuldzuweisungen und Versuchen der Vergebung.

Aus verschiedenen Blickwinkeln und über zwei abwechselnde Zeitschienen verknüpft die empathische Autorin einzelne Szenen zu einem bewegenden Ganzen, welchem man sich, einmal mit dem Lesen begonnen, kaum noch entziehen kann. Die Spannung nimmt sogar dann noch zu, wenn man meint, der Gipfel sei schon erreicht, bis zuletzt bekommt man immer wieder Gänsehaut und wird mitgerissen von aufwühlenden Gefühlen. Nach akribischer Recherche fließen eine Menge historischer Fakten in die Handlung ein und lassen dadurch keinen Zweifel an der Tatsache, dass sich vieles so oder recht ähnlich abgespielt haben könnte. Eine sorgfältige Wortwahl garantiert ein unmittelbares Leseerlebnis, auch scheußliche Dramen während des Krieges werden behutsam erwähnt, um den geschichtlichen Zusammenhang herzustellen, ohne jedoch den Fokus auf diese Details zu legen. Vielmehr steht Claras Familiengeschichte im Mittelpunkt, handelt der Roman von verpassten Chancen, Missverständnissen, Neid, Trauer, Liebe, Schuld und Vergebung. Wie sehr Familie und Umgebung (Nachbarn, Schule) den Charakter eines Heranwachsenden prägen, zeigt die Person von Ivo, welche mir neben einigen anderen besonders nahe gegangen ist.

Ich kann dieses besondere Buch mit vielen berührenden Momenten nur jedem ans Herz legen, der sich für die spanische Geschichte interessiert und harte Fakten gerne eingebettet in eine bewegende Romanhandlung vorfindet. Großartig!

Bewertung vom 09.09.2025
Scott, Lia

Der Wind von Yorkshire


sehr gut

Unvollendet


Nach dem frühen Tod seiner Ehefrau zieht Robert Barlow mit seinen drei Töchtern June, Dahlia und Fern zu seiner Schwägerin, Tante Eliza, in die einsamen Hügel von Craven Dale. Der ehemalige Pfarrer findet keinen Trost mehr im Glauben und verdient sich ein wenig Geld als Lehrer und Schriftgelehrter. Während Dahlia hübsche Kleidungsstücke näht und Fern sich mit der Schafzucht auskennt, begleitet June am liebsten ihre Tante Eliza zu den benachbarten Höfen, um der Heilerin und Hebamme zu helfen. Als Dahlia schwer erkrankt, entscheidet sich June, in die nächste Stadt – Bradford – zu gehen und ebenfalls zum gemeinsamen Einkommen beizutragen.

Recht anschaulich stellt Lia Scott ihre Figuren vor und passt ihren Schreibstil der idyllischen Landschaft des nordenglischen Yorkshire an. Malerisch ist das Land, die Leute so unterschiedlich wie nur möglich, denn Dahlia wartet, wie es sich gehört, auf die Hochzeit mit ihrem Verehrer, June ist bedacht darauf, viel zu lernen und Fern, die Jüngste, kann ein rechter Wildfang sein, besonders wenn sie um den Preis für ihre Schafwolle feilscht, was ganz und gar nicht den vorherrschenden Sitten um 1868 entspricht. Es dauert geraume Zeit, bis sich eine Handlung entspinnt und auch jetzt ist die betörende Atmosphäre das vorherrschende Element im Roman. Zu den wesentlichen Figuren gesellt sich irgendwann auch der Ire Franky hinzu, der schwere Schuld auf sich geladen zu haben scheint, so richtig greifbar wird dieses Thema nicht, dennoch erweckt er keinen unsympathischen Eindruck. Am Ende dieses Buches treffen wir mit June in einer gänzlich anderen Welt ein, nämlich in Bradford, wo die Schlote rauchen, der Schmutz den Himmel verdüstert und die Spinnräder und Webrahmen fast nie stillstehen. Dann reißt das mittlerweile spannende Geschehen abrupt ab und der Leser wird vertröstet auf den folgenden Band, das Bisherige bleibt unvollendet.

Ein schöner Start in die Welt zwischen Landleben und Stadtgefüge, sympathische Charaktere und viel Gefühl, leider wird der Roman erst in einigen Monaten komplett. Wer kann, sollte vielleicht warten? Lesenswert ist „Der Wind von Yorkshire“ aber jedenfalls.

Bewertung vom 08.09.2025
Teige, Trude

Das Mädchen, das schwieg / Kajsa Coren Bd.4 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Stumme Sissel

Kajsa arbeitet zurzeit nur eingeschränkt als Journalistin, übersiedelt endlich in das renovierte Häuschen in Losvika und fühlt sich hier auf der westnorwegischen Insel sichtlich wohl. Ihr Mann Karsten ist schon länger vom Polizeidienst freigestellt, nachdem er seinen letzten Einsatz nur knapp überlebt hat. Aber die Ruhe währt nicht lange, Sissel, eine etwa dreißigjährige Nachbarin, wird tot in ihrem Haus aufgefunden. Kaum jemand hatte näheren Kontakt zu ihr, denn sie sprach kein Wort, schrieb nur kurze Notizen in ihre Büchlein. Wenn auch nicht ganz freiwillig, so werden Kajsa und Karsten schnell in den Fall eingebunden.

Eine großartige Atmosphäre, voller Düsternis und scheinbarer Beschaulichkeit, empfängt den Leser im kleinen Dorf, wo jeder jeden kennt. Umso verwunderlicher, dass Sissel allen so fremd ist und aufgrund der Ermittlungen nach und nach unglaubliche Bösartigkeiten ans Tageslicht geraten. Viele lebendige Dialoge führen durchs Geschehen und lassen den Leser teilhaben an Journalistenarbeit, polizeilichen Amtshandlungen und privaten Problemen. Höchst verworrene Zustände können einen schon einmal irreleiten, einen unempfindlichen Magen braucht man, wenn es um häusliche Gewalt oder Missbrauch durch Respektspersonen geht – Achtung - dies passt vielleicht nicht für alle Leser. Geschickt aufgebaut ist auch dieser Kriminalfall, sodass das Rätsel um den wahren Täter lange andauert und bis zum Schluss spannend bleibt.

Auch dieses Mal hat man als Leser große Freude an der Seite von Kajsa, ihre spezielle Menschenkenntnis und ihre bisweilen gefährlichen Alleingänge zeichnen sie wie immer aus. Man darf gespannt sein, was die Fortsetzung bringt.

Bewertung vom 07.09.2025
Küpper, Henriette

Als uns die Hoffnung am Leben hielt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Grubenunglück

Lengede ist Bergbau, alle Männer arbeiten unter Tag, so soll auch Harald endlich erstmals als Kumpel einfahren, obwohl der Großvater einst unten geblieben und der Vater später schwer verletzt worden ist. Dem jungen Mann bleibt aber keine andere Wahl, will er nicht mit der Familientradition brechen. Zum Glück ist auch Marius, sein bester Freund seit Kindertagen, in derselben Partie dabei, wenn es mit dem engen Gitterkorb in die Tiefe geht. Just an diesem Herbsttag passiert ein Unglück.

Auf außerordentlich beeindruckende Weise packt Autorin Henriette Küppers eine wahre Begebenheit in einen atemberaubenden Roman. Tatsächlich hat sich im niedersächsischen Lengede am 24. Oktober 1963 ein Grubenunglück ereignet, aus dem Klärteich 12 haben riesige Wasser- und Schlammmassen die Grube Mathilde geflutet. Wie in der Realität kämpfen auch die Männer aus dem Buch ums Überleben, suchen Halt an Grubenstempeln, klettern auf Erzhaufen, um sich vor dem steigenden Wasser zu schützen oder suchen Zuflucht in einem „Alten Mann“, einem stillgelegten Stollen, den man unter anderen Umständen niemals betreten hätte. Die unvorstellbaren Zustände in den finsteren Stollen schildert Küpper hervorragend, Angst und Hoffnung, Verzweiflung und Zuversicht wechseln einander ab, die Kameraden unterstützen einander so gut es in dieser Situation möglich ist. Die Beklemmung springt durch die fesselnde Schreibweise schnell auf den Leser über, wobei sich jede Stunde, jeder Tag in der Realität genau so abgespielt haben könnte.

Neben den Ereignissen im Bergwerk ist aber auch an der Oberfläche einiges los und wie die beiden „Außenseiter“, eine junge Reporterin und ein italienischer Truppführer der Bergemannschaft ins Geschehen eingebunden werden, ist einfach nur fabelhaft. Jede einzelne Figur in diesem Roman ist derart lebendig dargestellt, dass man sich nicht als Zuseher fühlt, sondern als kleines Rädchen mittendrinnen zwischen eingeschlossenen Bergarbeitern und emsigen Helfern, zwischen bangenden Familienmitgliedern und aufgeregten Reportern.

Die Gratwanderung zwischen realitätsgetreuer Fassung und spannendem Roman ist mehr als gelungen, stets bleiben die Schilderungen eher ruhig und genau deshalb auch so bewegend, dass man sich kaum abwenden kann. Insbesondere Ingos Schicksal unter Tage hat mich sehr berührt, aber auch alle weiteren Methoden, auf Hilfe zu hoffen und zu warten, sind beindruckend. Nicht nur über technische Ausrüstung und Bergegerät erfährt man viel Interessantes, sondern auch über die menschliche Stärke, unter schier ausweglosen Bedingungen die Hoffnung aufrechtzuhalten.

Als uns die Hoffnung am Leben hielt ist ein brillanter Roman, der einen da und dort den Atem anhalten lässt, der sich sehr nahe am realen Vorbild des Grubenunglücks von Lengede orientiert und gleichzeitig ausgezeichnete Romanelemente in die Geschichte einbindet. Überaus beeindruckend!