Bei tiptoi-Büchern sollte die erste Frage sein, ob sie auch ohne Stift eine gute Lektüre darstellen. Das kann hier durchaus bejaht werden. Die Bilder sind anschaulich und detailfreudig und bieten viele Gesprächsanlässe, sodass die Kinder zusammen mit Erwachsenen Vermutungen anstellen und über das Gesehene sprechen können. Die kurzen Texte sind klar formuliert und helfen beim Verständnis.
Der Fall, der hier über die Seiten hinweg immer wieder aufgegriffen wird, ist der Einbruch in eine Eisdiele, also etwas, das Kindern nicht wirklich Angst macht, ein Pluspunkt. Die Geschwister Wanda und Marek sowie die Polizisten Samira und Jonas sind der rote Faden, der sich durch das Geschehen zieht. Die Polizeiwache ist interessant und vielfältig abgebildet, Wanda und Jonas sind hier zu finden, als sie eine Aussage machen. Auch werden die verschiedenen Abteilungen und Einsatzbereiche der Polizei gezeigt, hierzu gibt es gut strukturierte kurze Erläuterungen sowie schöne und interessante Bilder. Am Ende wird der Dieb dann gefunden und verhaftet.
Erst nach der gründlichen Lektüre sollte der Stift zum Einsatz kommen, da der Fokus sonst viel zu eng ist. Die Sprache der Hörtexte ist gut zu verstehen und hilft, das Gesehene zu vertiefen, aber eben nur partiell. Gut finde ich, dass Fragen zu den jeweiligen Seiten gestellt werden, die allerdings an manchen Stellen schwer zu beantworten sind, weil es an Logik mangelt und weil sie außerdem Nebensächlichkeiten aufgreifen, statt relevante Fragen zu stellen, zum Beispiel die Geschwister auf der Wache suchen zu lassen oder die Zeugin, mit deren Hilfe das Phantombild angefertigt wird. Schade, dass die Erstellung des Phantombildes nur am Rande thematisiert wird. Das wäre doch ein tolles Thema gewesen und hätte die Ereignisse besser miteinander verknüpft, auch die Überführung des Täters glaubhafter gemacht. Also wieder eine Aufgabe für die Kommunikation mit dem Kind, die unbedingt stattfinden muss.
Das Vokabular zu den Spezialeinheiten ist für Vierjährige nicht angemessen, ebenso wenig wie manche Fragen. Kinder werden nicht schlauer, wenn es an ihren Köpfen oder Interessen vorbeigeht, auch wenn die Polizei an sich ein tolles Thema ist.
Schön ist dagegen, dass auch viel Humor dabei ist – der Notruf wegen eines Kängurus auf der Autobahn wird den Kleinen ganz bestimmt gefallen und auch, dass das Pistazieneis immer mal wieder zu sehen ist, macht Spaß. Insgesamt empfehle ich das Buch eher für Kinder ab 5.
Mehr als 29 Jahre nach der Ermordung ihrer Schwester Liliana im Jahr 1990 begibt sich die Autorin auf die Suche nach deren Akte bei der Staatsanwaltschaft von Mexiko-Stadt. Zusammen mit einer Freundin wird sie in kafkaesker Weise von Amt zu Amt geschickt, am Ende ist jedoch die Akte nicht mehr auffindbar. Das ist der Moment, in dem Cristina beschließt, schreibend der Schwester nachzuspüren, ihre Existenz durch die vielen Zeugnisse materieller und immaterieller Art zu rekonstruieren, die sie hinterlassen hat. Schon immer hatte sie Briefe und Aufzeichnungen verfasst, die sie sorgfältig aufbewahrte. Diese stehen Cristina zur Verfügung, um Lilianas Leben zu dokumentieren, außerdem spricht sie mit Freunden und Kommilitonen sowie vielen, die sie gekannt hatten. Die junge Frau war voller Energie, Lebenslust, Liebe, hatte viele Freunde, eine große und warmherzige Familie, und sie war eine sehr gute Architekturstudentin. ‚Eine freie Frau‘. Liliana darf nicht vergessen werden.
Liliana fiel einem Mörder in die Hände, den sie für ihren Freund hielt und der für das Verbrechen nie vor Gericht gestanden hat. Cristina Rivera Garza nennt seinen vollen Namen, Ángel Gonzáles Ramos, und zeigt ein Foto aus der Zeit des Mordes, mit dem nach ihm gesucht wurde. Schon früh zeichnete sich das Verhängnisvolle der Beziehung zwischen ihm und ihrer Schwester ab, Liliana wurde gedemütigt, bedroht, vergewaltigt, doch eine Befreiung gelang ihr nicht.
‚Im schlimmsten Winter merkte ich, dass in mir ein unvergänglicher Sommer war‘ schrieb Liliana einer Kommilitonin, um diese zu trösten. Das Motto von Albert Camus ist in einem etwas anderen Wortlaut dem Buch vorangestellt. Lilianas unvergänglicher Sommer, das ist ihre Lebenslust, ihr Optimismus, mit dem sie sich dem Schatten, den ihr Freund auf ihr Leben wirft, entgegenstellt. ‚Die Freiheit /…/ ist das Wichtigste im Leben‘ (183) sagte Liliana, als sie einem gefangenen Spatz die Freiheit schenken wollte. Doch er starb – wie sie später. Kurz vor ihrem Tod, nach einer endgültigen Trennung von Ángel, spürt sie Angst, kann jedoch nicht glauben, dass er fähig wäre, ihr etwas anzutun. Sie wurde mit nur 20 Jahren ermordet, das Entsetzen und die Trauer prägen ihre Familie und ihre Freunde ein Leben lang. Cristina vermisst Liliana ‚jeden Tag, und jede Stunde in jedem Tag. Jede Minute in jeder Stunde. Jede Sekunde‘. (297) Der Schmerz ist unendlich groß und er ist immer da. Wenn Cristina ins Wasser taucht, glaubt sie, Lilianas Gegenwart darin zu spüren.
Das Buch legt Zeugnis ab von einem Leben voller Vorfreude auf das, was es bringen sollte. Es ist angereichert mit Schwarz-Weiß-Fotos von Liliana und ihrer Schwester, eingefügt sind die Briefe, die Liliana an Freunde und Verwandte verfasst hat. Und es weitet Lilianas Schicksal aus in das gesellschaftliche Problem der gewaltvollen Beziehungen, die zu oft zu Victim Blaming führen. Nichts in dem, was die Frauen an sich haben, wie sie leben, sich kleiden, was sie tun, rechtfertigt Gewalt gegen sie, das ist Cristina wichtig.
Das alles macht das Buch zu einer emotional aufwühlenden Lektüre, nicht leicht zu lesen, auch weil die eingefügten Briefe in einer sehr kleinen Schrift gedruckt sind. Ein wichtiges, sehr persönliches, ehrliches Buch. Unbedingt empfehlenswert.
Der Autor spürt in dieser Biographie seiner Urgroßmutter Anna nach, über die ihm nur wenig bekannt ist. Um sich ein Bild von ihr zu machen, sie zu verstehen, ihr Leben mit allen Sinnen zu erfahren, betrachtet er die wenigen alten Fotos, die von ihr existieren, recherchiert akribisch die Zeit, in der sie lebte: Was ist in der Welt passiert? Wie könnte Anna gefühlt, gelebt, gedacht, was könnte sie gesehen, gehört, gerochen haben? Er selbst tritt als Erzähler in Erscheinung, der recherchiert, erzählt, vermutet.
Anna wurde 1866 geboren, ihr Vater starb, als sie 12 Jahre alt war. Nach einem schwierigen Start trifft sie 1887 in Cobbenrode im Sauerland als junge Lehrerin ein. Sie ist an einen Erlass des damals bestehenden Verbots der Verheiratung gebunden – eine Lehrerin hatte ledig zu bleiben. Doch sie verliebt sich in den 4 Jahre jüngeren Clemens, dessen Vater die Beziehung verbietet. Nach dessen Tod kündigt sie und die beiden heiraten, doch die Ehe ist nur von kurzer Dauer, da Clemens nach einem Unfall verstirbt. Ihr Sohn wird als Halbwaise geboren. Als Erbin übernimmt Anna die Postagentur in Cobbenrode, ein Amt, das vorher Clemens innehatte. Sie, die bei ihrer Eheschließung schon 37 war, verliebt sich später erneut und heiratet 1909 den 19 Jahre jüngeren Lehrer Bernhard Raesfeld. Im Alter von 45 Jahren schenkt sie einer Tochter das Leben: Maria, die Großmutter des Autors, wird geboren. Der Krieg beginnt, Bernhard überlebt. Die Jahre danach sind schwer, doch die Familie bleibt zusammen – eine Liebe gegen alle Wahrscheinlichkeit, wie Sußebach betont.
Anna stirbt schließlich im Alter von 65 Jahren an Brustkrebs, es ist das Jahr 1932.
Was dieses Buch so besonders macht, ist die Erzählweise: Der Autor erzählt Annas Leben, bleibt ihr gegenüber immer respektvoll, fragt, wie es gewesen sein könnte – und betont, dass es vielleicht ganz anders war. Die Leerstellen sind durch den historischen Kontext nur als Vermutungen zu füllen. Sußebach macht seine Rolle deutlich und reflektiert sie: „Ich beschließe, dass sie…“, „Ich entscheide, dass…“ – und doch bezeichnet er selbst es als übergriffig, genau das zu tun. Das Dilemma des Schreibenden wird zum Thema des Romans – er möchte Annas Leben dem Vergessen entreißen, immer in der Gefahr, es zu erfinden, den eigenen Blickwinkel zu sehr in den Vordergrund zu stellen „Ich dürfte manches in Anna gesehen haben, was sie nie war. Und werde einiges übersehen haben, was sie gewesen ist.“ (188) . Die große Sensibilität der Urgroßmutter gegenüber zeichnet Sußebach aus. Ein Foto von Anna aus Bad Salzuflen lässt ihn an ihren Tod denken, der für sie in der unbekannten Zukunft liegt, in die er sie ungern entlassen möchte. Er hätte Fragen an sie gehabt.
Eine ungewöhnliche, sehr einfühlsame Darstellung einer Frau, deren Nachfahre er ist und über die er doch so wenig weiß. Großartig.
Ein echter Mallorca-Krimi – so echt, dass es sich empfiehlt, eine Karte des Gebiets um Sant Martí und die Westküste griffbereit zu haben. Dieser Roman hat reale Schauplätze und eine große Anzahl von Personen, ein Verzeichnis wäre hilfreich.
Isabel Flores, die ehemalige Kommissarin, ist eine attraktive Frau Anfang 30 mit viel Energie, kriminalistischem Spürsinn, Appetit und Humor. Zurzeit leitet sie die Ferienhausvermietung ihrer Mutter zusammen mit Pep, dem Bruder ihrer Freundin.
Zunächst geht es um die Entführung der kleinen Miranda, mitten am Tag, am belebten Strand von Pollenca. Isabel hat in ihrer Zeit als Kommissarin in Palma Entführungsfälle bearbeitet, und so ruft ihr ehemaliger Chef Tolo Cabot sie an und bittet um Unterstützung. Obwohl Isabel eigentlich nicht mehr in ihrem alten Beruf arbeiten wollte, beginnt sie mit den Ermittlungen. Sie stellt Nachforschungen an und kommt mithilfe ihrer Beobachtungsgabe und ihres scharfen Verstandes zu einer Theorie. Einer der Verdächtigen verkehrt in zwielichtigen Kreisen, die mit Rauschgiftschmuggel im Zusammenhang stehen. Vom Bürgermeister wird Isabel dann über den grausamen Mord an einem alten Mann informiert, er möchte, dass sie auch hier hinzugezogen wird. Sie ist als erste am Tatort und macht sich ein eigenes Bild.
Isabel ist sehr gut vernetzt, kennt viele Menschen und ist damit den anderen Ermittlern stets um einen Schritt voraus. Die Schauplätze der Ereignisse werden sehr genau beschrieben, enge Straßen, traumhafte Gärten, Orangenhaine und eine blühende Landschaft mit ihren Gerüchen ziehen an den Lesern vorüber, die sich sicherlich gerne mit an den reich gedeckten Tisch von Isabels Mutter oder in eines der kleinen Cafés setzen würden. Hier wird jedoch auch ein Mallorca beschrieben, das eben nicht nur aus den touristischen Hotspots besteht; die realen Probleme der Insel sind immer präsent. Isabel gelingt es, Drogenschmugglern auf die Schliche zu kommen, sie findet das Geheimnis des alten Mannes und die Hintergründe von Mirandas Entführung heraus. Die Leser/innen werden durch Isabels präzise Arbeits- und Denkweise in ihre Überlegungen einbezogen, die zurückhaltend eingestreuten Hinweise auf den oder die Täter machen das Lesen zu einer Detektivarbeit und zu einem Vergnügen. Dabei verknüpft Anna Nicholas geschickt die verschiedenen Erzählstränge und Kriminalfälle. Daneben ist Platz für Verständnis und Empathie, sogar gegenüber denen, die sich nicht gesetzeskonform verhalten, jedoch nachvollziehbare Motive haben. Und Isabels romantische Gefühle für Tolo weisen am Ende auf eine mögliche Entwicklung dieser Beziehung im nächsten Band. Auch ist das Verschwinden ihres Onkels nicht geklärt, es gibt jedoch neue Hinweise…
Ein Kriminalroman, der aufgrund der detailreichen Schilderungen nicht schnell zu lesen ist, aber wer Freude daran hat, einzutauchen in das Setting, mitzurätseln und Isabels Erkenntnisse nach und nach in ein Gesamtbild zu fügen, der wird diese Lektüre nicht bereuen. Und auch, wenn Isabel ein bisschen zu sehr Superwoman ist: Ich freue mich auf die Fortsetzung!
In jedem Fall ein Buch, das geübte Leser/innen ab 8 mögen werden, denn es ist vordergründig witzig und sehr gut geschrieben. Schwarz-weiße Zeichnungen im Comic-Stil, die Einteilung in kurze Kapitel und eine übersichtliche Druckgrafik tragen dazu bei, dass die immerhin knapp 190 Seiten gut zu bewältigen sind, außerdem kann ein Kind auch Antolin-Punkte sammeln.
Zu Beginn des Romans werden von Jakobs Familie Vorbereitungen für einen Umzug an den Stadtrand getroffen. Dieser ist nötig, um dem 10-jährigen Ich-Erzähler Jakob eine ruhigere Umgebung zu bieten, denn er leidet unter einer Angststörung und seine Therapeutin hat eine reizärmere Umgebung empfohlen. Die 4 Jahre ältere Schwester Lilli ist nicht begeistert, ihr Schulweg wird mühsamer. Was sie äußert, sollte ernst genommen werden: Es gehe immer nur um ‚den kleinen Spinner‘, also Jakob. Schisser ist der Stoffhase, den er immer bei sich trägt, ein Angsthase, der ihm bei der Bewältigung des Stresses helfen soll, die seine Ängste auslösen. Und das ist eine Situation, in der kein Kind stecken sollte: Jakob ist klug, strukturiert und sieht seine Situation sehr klar, aber die vielen Gefahren, die im Alltag lauern, sind ihm stets präsent. Seine Panikattacken und die um mögliche Gefahren kreisende Gedanken werden sehr anschaulich beschrieben. So wird schon die Autofahrt in das neue Wohngebiet, das Feuerviertel, für ihn zu einer Herausforderung, die er nur mit Helm und Knie- sowie Ellenbogenschützern überstehen kann. Der Vater verfährt sich und in einem Schrebergarten entdeckt Jakob einige Hühner in viel zu engen Kisten. Es empört ihn, aber er kann noch nichts unternehmen.
Im Feuerviertel lernt er andere Kinder kennen, die eine Bande gebildet haben. Um dazuzugehören, soll Jakob eine Mutprobe bestehen. Es kommt, wie es kommen muss, seine große Schwester erweist sich als Retterin in der Not und holt ihn aus der Situation nach Hause. Das erste Mal war Jakob nahe daran, auch Freunde zu haben, zu einer Bande zu gehören, und nun das: Die Angst ist stärker. Er ist am Boden zerstört. Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte – sonst wäre der Roman ja nichts für Kinder. Wie es gelingt, die Hühner zu retten und was Jakob damit zu tun hat, ist unterhaltsam und spannend erzählt. Allerdings bekommt man beim Lesen den Eindruck, dass es am Schluss sehr überstürzt zugeht und die Glaubwürdigkeit darunter leidet. Auch gibt es lose Enden, die vielleicht für eine Fortsetzung gedacht sind, aber unbedingt sofort eine Lösung verlangt hätten. Immerhin hatten der Hühnerbesitzer und sein Kumpan noch etwas Schlimmes vor.
Insgesamt ein etwas zwiespältiges Fazit: Zu ertragen ist die witzige Darstellung der Ängste nur, weil Jakob selbst davon erzählt und es als Galgenhumor gewertet werden kann. Wir sehen ein Kind, das eigentlich krank, aber vielleicht auf einem guten Weg ist.
Die Zeichnungen dürften eher Kinder ab 10 ansprechen, da sie karikaturenhaft daherkommen und jüngere Kinder doch eher hübsche und bunte Illustrationen bevorzugen.
Also ein neuer Fall für die Gerichtsreporterin Gianna Pitti, drei Wochen, nachdem sie erfolgreich zur Lösung eines Verbrechens in ihrem idyllischen Ort am Gardasee beigetragen hat. Die kleine Zeitung, für die sie arbeitet, sendet sie immer wieder zu Rechercheaufträgen. Diesmal ist es anders: Ihr Vater Arnaldo Pitti, eigentlich Marchese Pitti-Sanbaldi, Inhaber eines investigativen Online-Portals, hat sich nach über einem Jahr bei ihr gemeldet und ihr einen harmlos erscheinenden Auftrag erteilt. Sie soll am Ufer des Gardasees eine Informantin treffen. Gianna hatte ihren Vater für tot gehalten und freut sich auf ein Wiedersehen.
Als sie am Ufer ankommt, findet sie die Informantin ermordet im See. Eine leere CD-Hülle zeugt vom Material, das übergeben werden sollte: Churchills Geheimnis. Diesem sind noch andere Menschen hinterher, Gianna beobachtet einen Jeep, dessen Insassen sich für sie interessieren. Zurück in der Redaktion, wird sie sofort zu einem anderen Tatort geschickt, an dem sich eine Schießerei ereignet hat. Am See verschwindet indessen die Leiche. Sie ahnt, dass die beiden Fälle zusammengehören.
Es folgen turbulente, auch gefährliche Ereignisse, die geschickt historische Fakten mit einem ‚Was-wäre-wenn‘ verknüpfen, dabei ist die Familie Giannas immer involviert: Ihre Mutter Carla, der Vater und auch der liebenswert-schrullige Onkel Francesco, bei dem Gianna seit einem Wasserrohrbruch lebt, der sich in ihrer Wohnung ereignet hat. Es geht spannend zu, ohne die Leser/innen mit allzu vielen Grausamkeiten zu konfrontieren. Und immer ist da auch eine gehörige Portion Humor in der Beschreibung der Charaktere. Der Geschichtsprofessor, der hier verfolgt wird, ist ein Engländer, wie ihn sich Karikaturisten ausgedacht haben könnten. Francesco achtet auf Stil und verwaltet das Erbe der Pitti-Sanbaldis, ist jedoch bereit, für seine Familie jede erdenkliche Hilfe zu leisten, auch wenn es dabei gefährlich wird. Wie sein Bruder und seine Nichte Gianna, so verfügt auch er über kriminalistischen Spürsinn. Gianna ist eine junge Frau, etwas chaotisch, offenbar attraktiv, die Listen anfertigt, um mehr Struktur in ihr Leben zu bekommen, dann aber daran scheitert und die Listen ad absurdum führt. Und Arnaldo, der Verschollene, der seine Frau Carla wegen einer anderen verließ, kann es nicht glauben, dass es ihr auch ohne ihn gut zu gehen scheint!
Der Autor verbindet alles das gekonnt mit dem Kriminalfall, der sich als größer und komplizierter entpuppt, als Gianna das geahnt hätte. Hier geht es um die politische Brisanz der Geheimnisse Churchills, die sogar den britischen Geheimdienst auf den Plan rufen. Zum Ende des Romans wird die Spannung gesteigert, die Dinge scheinen sich zu überschlagen. Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse wird durch verschiedene Erzählstränge verdeutlicht, der Fokus liegt abwechselnd auf Gianna, ihrem Vater, ihrem Onkel und der Chefredakteurin Elvira, wobei der größte Teil auf Gianna entfällt. Durch das Unterbrechen des jeweiligen Erzählstranges entstehen spannungssteigernde Cliffhanger. Am Schluss entlässt uns Koppelstätter mit einem solide geschriebenen Kriminalfall, einer neu gestalteten Familie, aber auch mit einem Augenzwinkern. Die Perspektive für weitere Romane der Reihe ist eröffnet. Lesenswert.
Der Roman erzählt die Geschichte des entführten Mädchens Ruthie aus zwei unterschiedlichen personalen Perspektiven, ihrer eigenen und der ihres Bruders Joe. Im Prolog erfahren wir, dass Joe, nun 56-jährig, im Sterben liegt und sich an die Zeit zurückerinnert, die zwischen Ruthies Verschwinden und der jetzigen liegt. Hier wird bereits offenbart, dass ein Wiedersehen nach nun 50 Jahren bevorsteht.
Zu Beginn des Buches wird deutlich, wie ‚die Weißen‘ auf die ‚Indianer‘ herabschauen, sie als minderwertig betrachten. Ruthies Mi’kmaq Familie reiste zum Beerenpflücken aus Nova Scotia nach Maine, um dort Geld zu verdienen. Am Rande erfahren die Leser/innen von Indianerbeauftragten, Internaten für Indianerkinder und davon, wie die Landbesitzer von den Saisonkräften und ihrer vermuteten Unempfindlichkeit gegen Kriebelmücken profitieren: Diesen Menschen wird Empfindsamkeit abgesprochen, in physischer wie psychischer Hinsicht.
Als Ruthie vierjährig verschwindet, sucht die Familie sechs Wochen lang nach der Kleinen, immer wieder durchkämmen sie den Wald und das Gelände, rufen sie, sind verzweifelt. Schließlich müssen sie zurück. Das Mädchen wächst, nachdem sie entführt wurde, bei einem weißen Ehepaar an einem anderen Ort als Norma auf.
Norma berichtet, wie Joe, rückblickend. Zunächst erfahren wir, dass sie als Kind Träume hatte, die eigentlich die Wahrheit offenbarten, was ihr aber nicht bewusst wurde. Sie träumte von der Zeit in Maine, von einem Bruder, erfand eine Freundin namens Ruthie. Von Anfang an wird klar, dass Norma und Ruthie identisch sind. Ihre psychisch labile ‚Mutter‘ Lenore hatte einige Fehlgeburten und Ruthie, die auf einem Stein saß und auf ihre Familie wartete, einfach mitgenommen. Der Ehemann, ein Richter, deckte seine Frau und versuchte, Norma ein guter Vater zu sein. Bei ihren Fragen wirkte er jedoch gequält und unsicher. Sie hatte nicht die gleichen Freiheiten wie die Kinder gleichen Alters, wurde sehr abgeschirmt und quasi bewacht. Beim Heranwachsen bemerkte sie die vielen Ungereimtheiten in ihrem Leben und schob sie irgendwann darauf, offenbar adoptiert worden zu sein.
Ruthie/Norma lernte, ihre vorgeblichen Eltern zu lieben, übernahm aber Lenores Trauma und hatte nach einer Fehlgeburt Angst, das gleiche durchzumachen wie sie. Es gelingt ihr nie, stabile Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, Freundschaften kann sie nicht halten, ihre Ehe scheitert. Beruflich ist sie durchaus erfolgreich, sie kann studieren und findet eine gute Anstellung. Dass ihr Leben ein falsches war, die Ungeheuerlichkeit der Wahrheit, erfährt sie erst nach Lenores Tod. Sie sucht ihre eigentliche Familie und findet am Ende die, die noch da sind. Sie haben die Hoffnung nie aufgegeben, dass Ruthie lebt.
Joe fühlt sich mitschuldig am Verschwinden von Ruthie, war er doch der letzte, der sie gesehen hatte. Er vermisst seine kleine Schwester, sein Leben wird fortan geprägt von Wut und Unstetigkeit. Auch er kann kein gelingendes Leben mit stabilen sozialen Beziehungen führen.
Die Spannung des Buches besteht darin, die verschiedenen Lebenswege zu verfolgen und zu erfahren, wie es den Menschen ergangen ist und wie es zu der angedeuteten Wiedervereinigung kommen wird. Es gibt aber einige Längen – zu oft werden Normas Träume thematisiert, wird geschildert, wie versucht wird, ihr verharmlosende Deutungen nahezulegen. Strukturiert ist das Buch durch die abwechselnden Erzählungen von Norma und Joe, deren Lebenswege wir verfolgen. Sprachlich kann das Werk durchaus überzeugen, es wurde von Brigitte Jakobeit sorgfältig übersetzt. Was unangenehm auffällt: Wer spricht heute noch von Indianern? Hier wäre es an Amanda Peters gewesen, diesen kolonialen Begriff zumindest zu problematisieren, auch wenn die erzählte Zeit so weit zurückreicht, dass dies noch nicht zentral thematisiert wurde.
Die Idee des Buches ist lobenswert – es gilt, alte Kinderreime, die von 10 kleinen dunkelhäutigen Kindern runterzählten, bis niemand mehr da war, zu ersetzen durch positiv besetzte Bilder von ‚kleinen Menschen‘, die unterschiedlich sind, jedoch alle die gleichen Wünsche und Träume haben. Das ist für die jungen Leser/innen eine wichtige Anregung und Erkenntnis: Alle Menschen, egal welcher ethnischen Herkunft, mit welchem sozialen Hintergrund, mit welchen Familienkonstellationen, sind so anzunehmen, wie sie uns begegnen. Und alle haben ein Recht auf Freude am Leben, auf Freunde und auf Zusammenhalt.
Die im Hintergrund aller Aktionen abgebildete Stadt ist stets in Pastelltönen gehalten und sehr abstrakt dargestellt, während die Kinder selbst und ihre direkten Umfelder in starken Farben gestaltet sind. Die dadurch transportierte Botschaft erschließt sich direkt und ist daher künstlerisch gut umgesetzt. Allerdings werden Kinder, die nach dem Cover eines Buches gehen, sicherlich nicht nach diesem greifen. Zwei große Bäume in blassem Rot und Orange?
Diese Kinder und ihre Eltern sind zwar kreativ, aber zum Teil nicht sehr kindgerecht porträtiert. Details sind an einigen Stellen schwer zu erkennen, die Proportionen stimmen nicht. Dennoch: Es gibt viel Diversität und das ist lobenswert: Ein Junge hat offenbar nur einen Fuß und benutzt entweder Gehhilfen oder eine Prothese, ein Mädchen mit einer großen Brille entweder einen Blindenstock oder einen entsprechenden Hund. Es gibt dunkelhäutige Kinder und solche mit asiatischem Aussehen, Großmütter, Väter… Da gibt es bei genauer Betrachtung einiges zu entdecken und viele geeignete Sprechanlässe für die Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Buches tun sich auf. Der unterschiedliche Reichtum der Kinder dürfte anhand der Bilder schwerer nachzuvollziehen sein, allein ein großer Flügel in einem schönen Zimmer ist hier eindeutig.
Die Sprache des Buches ist zum Teil nicht so durchdacht oder auch schlicht grammatisch falsch: Das Buch beginnt zum Beispiel mit dem Satz ‚9 kleine Menschen kommen heute raus.‘ Das soll hier heißen, sie kommen zu Welt, sie werden geboren. Aber ‚rauskommen‘? Dann heißt es ‚Manche kleine (!) Menschen‘ statt ‚Manche kleinen Menschen‘ – ist das dem Lektorat nicht aufgefallen? Und beim allerletzten Satz hapert es mit dem Reim ganz beträchtlich.
Inhaltlich finde ich viele gute Ansätze, ein bisschen mehr Handlung hätte es sein dürfen, um die ‚Freunde fürs Leben‘ zu begründen. Positiv sind die vielen Möglichkeiten, mit dem Kind über das Gesehene und Gelesene zu sprechen.
Der Krimi von Lilli Pabst beginnt zunächst durchaus komisch, da die sich ständig selbst reflektierende, achtsame, psychologisch versierte Ich-Erzählerin Sophie Stach ihren Klienten Nils Bergmann einerseits mit den Augen der Psychotherapeutin, die weiß, was sie zu denken hat, andererseits als Sophie voller Abscheu betrachtet. Der erste Satz lautet: ‚Nils Bergmann ist eine fette Qualle.‘ Das ist ein fulminanter Auftakt und sicherlich nicht das, was sich Menschen wünschen, die eine Therapeutin aufsuchen.
Diese Zweigleisigkeit Psychotherapeutin/Mensch zieht sich durch den gesamten Roman und wird mehrfach thematisiert. Sophie spricht achtsam und bedacht, handelt jedoch spontan und emotional, zum Teil auch kalt und berechnend. Sie bringt, mehr oder weniger unbeabsichtigt, die Geliebte ihres Mannes um und ‚muss‘ dann in der Folge noch mehrfach zum Mord greifen, um einerseits ihre erste Gewalttat zu vertuschen, andererseits sich selbst als Therapeutin zu beweisen. Sie ist selbst in Behandlung, da sie die psychische Gewalt, die ihr in ihrer Kindheit durch ihre Mutter angetan wurde, aufarbeiten will, und sie hat es offenbar bitter nötig. Sie erklärt fachkundig, was bei ihr gerade vor sich geht – und kann dann doch nicht aus ihrer Haut. Sophie lügt und mordet munter weiter, obwohl sie doch so gut ausgebildet ist und in der Lage sein sollte, Konflikte anders zu lösen. Dabei, und dieses Kunststück vollbringt die Autorin, ist die Erzählerin nicht durchweg unsympathisch, man glaubt ihr wenigstens zum Teil die Zwangslagen, die sie zu ihren Handlungen treiben.
Der Grundgedanke dieses Buches ist amüsant, die Ereignisse werden bis ins Groteske gesteigert. Leider stellt sich durch die Redundanz, mit der hier erklärt, belehrt, kommentiert wird, ein gewisser Ermüdungseffekt ein. Die nächste Wendung scheint vorhersehbar, jedenfalls in groben Zügen. Der Mord an dem Freund einer Klientin ist unnötig und passt nicht wirklich gut in die Handlung, ein Weniger wäre hier mehr gewesen. Was überhaupt für den Roman gilt: Eine straffere Handlung, also Kürzung, wäre zuträglich gewesen. Zudem ist er nur oberflächlich lektoriert, das beginnt damit, dass der Ehemann auf dem Klappentext Jörn heißt, im Buch selbst Jakob, dass Fehler wie ‚vorrübergehend‘ durchrutschen oder dass Sophie sich vorstellt, dass das Objekt ihrer Begierde ‚bestimmt kleine schwarze Haare über (?) seinem Sixpack‘ hat, wobei aus dem Kontext hervorgeht, dass sie tiefer denkt. Auch die Häufung des Wortes ‚toxisch‘ verstört. Hier wirkt doch alles sehr schnell dahingeschrieben, auch musste jeder Einfall irgendwie untergebracht und zu einem neuen Handlungsstrang aufgebläht werden. Die zum Teil sehr vulgäre Sprache ist zwar modern, wirkt jedoch recht aufgesetzt.
Ein Roman für ältere Kinder (ab 12 Jahre), der spannende Einblicke in die griechische Mythologie bietet. Hier wird diese auf den Kopf gestellt, da es um die Frauen geht, die nur allzu oft eine untergeordnete Rolle inne und wenig zu sagen haben. Katherine Marsh hat mit Ava und ihren Freundinnen Fia und Layla Protagonistinnen erschaffen, die stets auf die Rollen der weiblichen Gestalten Wert legen und sich dann durch ihre eigenständigen Aktionen in große Gefahr bringen.
Es beginnt mit einer alltäglichen Erfahrung von Mädchen in der Schule: Obwohl Ava sich gemeldet hat, wird Owen, der sich vordrängelt, bevorzugt. Ava ist wütend und es geschieht etwas Unerwartetes, woraufhin die Mutter Ava und ihren älteren Bruder Jax sofort auf der Accademia del Forte in Venedig anmeldet – ein weiter Weg von ihrem Zuhause in Amerika. Es soll sich nach Aussage der Mutter um ein Internat für besonders begabte Kinder handeln, was sich auf eine originelle Weise als richtig erweist. In der Accademia tauchen Ava und Jax viel tiefer in die griechische Mythologie ein, als sie sich das hätten träumen lassen. Ava findet in Fia und Layla Freundinnen und in Arnold einen guten Freund. Die Freundinnen wollen wie sie nicht hinnehmen, dass stets nur von den männlichen Göttern gesprochen wird und die Frauen eigentlich nichts zu sagen haben. Es beginnt eine aufregende und rasante Handlung mit vielen Aktionen, bei denen es um Leben und Tod geht. Dabei muss sich die sich Freundschaft der drei Mädchen sowie des Jungen Arnold beweisen, und wenn Freunde in Not sind, dann wachsen sogar Flügel – im wörtlichen Sinne. Selbstverständlich unterstützt auch Jax seine kleine Schwester.
Die mythologischen Gestalten werden durch die verschiedenen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer verkörpert. Gut, dass sich im Anhang des Buches ein Glossar befindet, in dem auch Erwachsene immer wieder nachsehen können, wer auf dem Olymp welche Rolle innehatte, über welche spezifischen Fähigkeiten verfügt und wie das Verwandtschaftsverhältnis der weit verzweigten Familie der Gottheiten war. Dies ist nicht nur spannend, sondern äußerst lesbar und unterhaltsam geschrieben und bringt den Leserinnen und Lesern die Göttinnen, Götter und eben auch die Monster sehr nahe. Die Idee von Katherine Marsh, diesen eine konkrete Person auf der Accademia zuzuordnen, hilft beim Verstehen und Behalten.
Was allerdings auffällt, sind die vielen Anleihen bei Harry Potter: Schon der Empfang auf der Accademia präsentiert ein Bankett, das stark an die Szene im Stein der Weisen erinnert, nur, dass hier eben kein gebackener Kürbis, sondern italienische Spezialitäten serviert werden. Die Freundschaft, bei der die Jugendlichen ihre unterschiedlichen Fähigkeiten zusammentragen müssen, um zum Erfolg zu gelangen, hat viele Anklänge an J.K. Rowlings Erfolgsroman, wenngleich man zugeben muss, dass sie selbst mit Fluffy eine Inkarnation von Zerberus geschaffen und ihrerseits viele Mythen aufgegriffen hat. Diejenigen Leser, die mit Harry Potter gut vertraut sind, werden weitere Parallelen schnell aufspüren.
Insgesamt ein aufregender Roman, der die Interessen der Jugendlichen bedient. Auch das Internat ist ja seit Hanni und Nanni vor über 80 Jahren ein immer wieder gern gelesener Ort – es entspricht dem Wunsch der Heranwachsenden nach Ablösung von den Eltern und einer Peer Group, in der sie sich erproben können.
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