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anyways
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Greifswald

Bewertungen

Insgesamt 10 Bewertungen
Bewertung vom 28.03.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


sehr gut

Mit siebzehn hat man noch viele Träume und so träumt sich die junge Beth, Tochter engagierter Lehrer, in dem kleinen englischen Örtchen Hemston ganz so wie in den Romanen von Austen und Brontë ein Leben voller Liebe und Leidenschaft. Tatsächlich begegnet sie dem gutaussehenden Jungen aus dem Herrenhaus, Gabriel Wolf. Einen Sommer lang erlebt sie Liebe und Leidenschaft. Die erste große Liebe die leider nur den Sommer über hält und dann zerbricht. Die Wege der Beiden trennen sich für über ein Jahrzehnt, in denen sich Beth mit einem neuen Mann ein Leben aufbaut, Glück und Tragödie gleichermaßen erlebt und dann steht Gabriel plötzlich wieder vor ihr und mit ihm beginnt jetzt eine unheilvolle Dreiecksbeziehung.
Clare Leslie Halls „Wie Risse in der Erde“ ist ein sehr leidenschaftlicher, wobei hier das Augenmerk auf eindeutig Leiden steht, Roman. Eine Frau die zwischen zwei Männern steht und sich auch nicht entscheiden kann oder will und so nimmt die Tragödie ihren Lauf. In zwei Zeitebenen wird sowohl die Teenagerliebe als auch das spätere Verhältnis geschildert. Zeitumsprünge die für mich manchmal zu unwillkürlich erfolgten.
„Wie viel einfacher wäre es doch, wenn wir die Wahrheit sagen könnten.“ Ja das habe ich mich gefragt: Warum wird hier viel zu viel verschwiegen und gelogen? In der Geschichte an sich habe ich mich gut zurechtgefunden, aber mitgerissen hat sie mich trotz aller geschilderter Leidenschaft gar nicht. Mit der Protagonistin Beth bin ich nicht warm geworden und konnte viele ihrer Entscheidungen nicht nachvollziehen.
Gefallen haben mir die Beschreibung der Landschaft und der Tierwelt, ein ganz bestimmt idyllisches Dorf.
Anmerkungen zum Buch:
Bücher mit Lesebändchen sind ein wahrer Schatz, leider hat „mein“ Schatz auf der Seite 119 einen diagonalen Riss über eine dreiviertel Seite.

Bewertung vom 28.03.2025
Die Melodie der Lagune
Constable, Harriet

Die Melodie der Lagune


ausgezeichnet

Venedig im ausgehenden 17. Jahrhundert

Santa Maria della Pieta in Venedig ist eine Kirche und das Ospedale della Pieta das dazugehörige Waisenhaus für Mädchen. Seit vielen Jahren dient eine Mauernische des Ospedale della Pieta als Babyklappe in die weiblichen Säuglinge vor dem sicheren Tod durch ertränken gerettet werden können. Hier beginnt im April 1696 für die erst wenige Tage alte Anna Maria della Pietà (den Namen geben ihr die dort wohnenden Nonnen) ein neues Leben und die Chance ein großartiges Leben zu führen, denn hier genießt sie neben Kost und Unterbringung auch die Chance auf eine Ausbildung im berühmten Waisenmädchen-Orchester, wenn sie talentiert und ehrgeizig genug ist, sonst droht ihr irgendwann die Zwangsverheiratung. Anna Maria jedoch hat jede Menge Talent und einen Förderer, den später berühmten Antonio Vivaldi.

Großartig… endlich wieder ein Buch mit einer Geschichte über großartige Frauen der Vergangenheit, die in Geschichtsbüchern leider nur als Fußnote auftauchen. Ich ärgere mich immer wieder über die Tatsache, dass wir wissen wer der erste Mann auf dem Mond war, aber den Namen der Mathematikerin, die die Apollo-Missionen überhaupt erst möglich machten, nicht wissen.
Also war ich per se schon mal am Lebensweg der Virtuosin interessiert. Der Schreibstil ist flüssig und sehr farbenprächtig. Manchmal verliert sich die Autorin jedoch ein wenig zu oft in Metaphern. Auf der einen Seite hat mir die sehr bildhafte Sprache die Virtuosin mit ihrem Geigenspiel tatsächlich vor meinem inneren Auge projizieren lassen, jedoch waren die reichlichen Wiederholungen dann doch ein wenig zu viel und die eigentliche Geschichte rückte in den Hintergrund wirkten dadurch etwas langatmig. Man weiß von Anna Maria leider nur das sie eine gefeierte Virtuosin war, ob sie je komponiert hat ist noch nicht bekannt jedoch nicht unwahrscheinlich, denn Vivaldis Lebenswerk ist immens groß und noch nicht vollständig entdeckt, die Wahrscheinlichkeit das er neben Anna Maria auch andere Schülerinnen ermutigt hat zu komponieren und deren Werke als seine ausgab, deshalb groß.

Harriet Constable kreiert ein Bild dieser großartigen Frau, die für mich zwar nicht immer sympathisch und authentisch agiert. Mir gefällt jedoch, dass dem Leben und Wirken dieser Künstlerin Raum verschafft wird.

In der Regel kommentiere ich die Buchgestaltung selten, eigentlich nur wenn ich sie bemerkenswert schön oder originell finde. Hier ist beides gegeben.

Bewertung vom 22.02.2025
Rückkehr nach Budapest
Kiss, Nikoletta

Rückkehr nach Budapest


gut

Eine Deutsch-Ungarische Geschichte in den 80zigern.
Márta wächst mit ihrer deutschen Mutter, die aus Thüringen stammt, und ihrem ungarischen Vater am Balaton auf. Jeden Sommer kommen Márta’s Cousine Theresa und ihre Eltern aus Ostberlin um die Ferien dort zu verbringen. Die beiden Cousinen sind in diesen Wochen unzertrennlich, obwohl sie nicht unterschiedlicher sein könnten. Theresa ist mehr die Extrovertierte, Márta eher introvertiert. Genau diese Eigenschaften manifestieren sich in ihrer Jugendzeit und gestalten diese auf verwandtschaftlich beruhende Freundschaft mitunter schwierig.
Als Márta achtzehn ist, hat sich die Alkoholsucht ihres Vaters derart verschlimmert, dass die Mutter in einer Nacht und Nebelaktion die Familie verlässt und zurück nach Thüringen geht. Márta kann ihrem Vater ebenfalls nicht helfen und befürchtet, dass sie ihr Studium in Budapest, aufgrund der häuslichen Situation nicht antreten kann. Also flüchtet auch sie, nach Ostberlin zu Theresa. Dort schlittert sie sehenden Auges in eine Dreiecksbeziehung an deren Ende die beiden Cousinen sich nichts mehr zu sagen haben werden.

Gefallen an diesem Roman haben mir die Schilderungen der Vorwendezeit aus ungarischer Sicht. Die Freiheiten die dort unter Umständen möglich waren, im Gegensatz zur Ostdeutschen Bevölkerung. (Auch hier gab es Möglichkeiten nach 1985 in den Westen zu fahren, jedoch nur Anlass bezogen und mit Nachweis einer Verwandtschaft ersten Grades.) Diese differenzierte Gegenüberstellung hat mir hier gefehlt. Dadurch wirkt vieles auf mich oberflächlich und ungenau. Ich hätte hier ein bisschen mehr Tiefgang erwartet. Der damalige Zeitgeist ist nicht greifbar, sondern eher verwässert. Nur ein verblasstes Foto.
Schwierigkeiten hatte ich ebenfalls mit der Skizzierung der dargestellten Personen. Alle sind für mich im höchsten Grade egoistisch und selbstbezogen, allen voran hier Márta. Es war für mich schwierig dieser jammernden Protagonistin zu folgen, die anscheinend über keinerlei Selbstreflektion oder Empathie anderen gegenüber verfügt.

Ein kurzweiliges Buch, leider ohne Tiefgang.

Bewertung vom 22.02.2025
Verlassen / Mörderisches Island Bd.4
Ægisdóttir, Eva Björg

Verlassen / Mörderisches Island Bd.4


sehr gut

Der einhundertste Geburtstag des schon verstorbenen Ingolfur Snæberg, des Gründers der Snæberg GmbH, muss von seinen Hinterbliebenen ordentlich gefeiert werden. Da der Snæberg-Clan mittlerweile ein riesiges Imperium mit hunderten Mitarbeitern und einem Milliardenumsatz leitet, ist er dementsprechend in Island eine Berühmtheit. Somit kann er sich es leisten gleich ein ganzes Hotel nur für diesen Anlass zu mieten. Ein futuristisches Hotel (eine sehr schmeichelhafte Beschreibung eines voll technisierten Betonklotzes ohne einen Hauch von Gemütlichkeit) inmitten der Lavafelder Westislands wird eigens für dieses Jubiläum angemietet. Kinder, Enkel und Urenkel versammeln sich, und da sich das Wetter schlagartig verschlechtert, fließt der Alkohol in Strömen. Bei genauem Hinsehen werden die vielen kleinen Risse in dieser perfekten Fassade aus Macht, Geld und Einfluss sichtbar. Lang gehütete Geheimnisse kommen ans Licht und dann verschwindet auch noch ein Gast, mitten im Schneesturm.

Eva Björg Ægisdóttirs neuestes Buch erinnert doch ein wenig an die große Agatha Christie, eine große Familie mit vielen dunklen Geheimnissen, vorrübergehend in einem Haus versammelt und das Unvermeidbare nimmt seinen Lauf.
Der Stammbaum am Anfang dieses Buches ist nur bedingt hilfreich, denn zum Beginn dieses Kriminalromans ist man schier erschlagen von der Fülle an Personen, denen die Autorin auch mehr oder weniger umfangreich Platz gibt sich vorzustellen Erst ab der Hälfte kristallisieren sich die eigentlichen Protagonisten heraus, Dramatik kann sich aufbauen und die Spannung nimmt deutlich zu. Ab dem Zeitpunkt konnte mich die Autorin auch erst für ihre Geschichte begeistern, denn neben der schon erwähnten Vielzahl an Personen wird die Geschichte von eben jenen auch in zwei verschiedenen Zeitebenen präsentiert. Für mich nicht ganz einfach dies zu durchschauen. Gefallen haben mir sehr die detaillierten Landschaftsbeschreibungen des für mich unbekannten Islands.

Alles in allem ein solider Krimi.

Bewertung vom 22.02.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


ausgezeichnet

Wir haben es am Ende doch noch geschafft, wir haben sehenden Auges die Klimakatastrophe zugelassen. Die Natur schlägt in Form eines Nebels der unzähligen schillernden Insekten ernährt zurück. Was an sich harmlos klingt und aussieht ist in Wahrheit ein mörderisches Konstrukt, denn diese Abermillionen Insekten töten alles Lebende und mit Vorliebe Menschen. Die letzten Überlebenden retten sich auf eine Insel im Mittelmeer, darunter auch drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Diese bauen über viele Generationen ein Idyll auf dem kleinen Eiland auf. Eine Kommune, in der jeder seinen Platz und seine Aufgaben hat und diesen auch mit viel Engagement nachgeht. Eine kleine Dorfgemeinschaft deren gemeinsame Charaktereigenschaften es sind ein freundliches Füreinander und ein unbedingter Gehorsam gegenüber den Ältesten (Wissenschaftler) zu pflegen. Doch dann geschieht ein Mord, der dazu führt, dass das Abwehrsystem gegen den gefräßigen Nebel heruntergefahren wird, und der Menschheit bleiben nur noch 107 Stunden zum Überleben.
Stuart Turton’s Version der Postapokalypse zeichnet sich durch ein hohes Maß an Detailverliebheit und Ideenreichtum aus. Doch zuerst einmal war ich wirklich verwirrt, denn Krimis sind schon mein Ding, Sciencefiction eher nicht, jedoch fasziniert diese Geschichte und trotz einiger nicht ganz nachvollziehbaren Gegebenheiten auf dieser von der restlichen Welt abgeschotteten Insel (Warum tötet der Nebel außer Menschen auch Tiere und trotzdem gibt es eine Fülle und Vielfalt an Lebewesen.) Es gibt jede Menge raffinierter Wendungen und Spannungsbögen, interessant aufgebaute Protagonisten, hier allen voran die Hobbydetektivin Emory die wie eine Mischung aus Sherlock Holmes und Bilbo Beutlin erscheint. Wenn man sich auf diese Geschichte einlässt wird man belohnt mit einem originellen Kriminalroman.

Bewertung vom 03.02.2025
Allein gegen die Lüge (eBook, ePUB)
Finlay, Alex

Allein gegen die Lüge (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein Albtraum folgt dem Nächsten. Der junge Filmstudent Matt sitzt nach einer durchzechten Nacht, in der er Handy, Schlüsselkarte und Zimmerschlüssel verlor und die nur stattgefunden hat, weil sich seine Freundin von ihm trennte, im Park beim Schach spielen, als ihm der Hauswart des Studentenwohnheimes davon unterrichtet, das das FBI ihn sucht. Was wollte das FBI von Ihm? Wahrscheinlich gibt es Nachfragen, wegen der True-Crime-Doku über seinen Bruder…
Sieben Jahre haben sich die Brüder Danny und Matt Pine nicht gesehen, denn Danny ist wegen des Mordes an seiner Highschool-Freundin Charlotte zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden. Nun muss ihm sein jüngerer Bruder Matt bei seinem ersten Besuch im Gefängnis darüber informieren, dass ihre Eltern Liv und Evan, sowie ihre jüngere Schwester Maggie und Nesthäkchen Tommy während einer Urlaubsreise in Mexiko tödlich verunglückt sind. Die Behörden vor Ort gehen fest von einem Gasleck im mexikanischen Ferienhaus aus, das FBI hat da erhebliche Zweifel.
Von hieran geht es in einem eher ruhigen Tempo mit unzähligen Perspektivwechseln zwischen Mitschnitte aus der True-Crime-Story, der Vergangenheit der verunglückten Familie bis zur Gegenwart in der Matt versucht die Tragödie zu verarbeiten. Langsam kommt auch den Lesenden der Verdacht das an der Inhaftierung des älteren Bruders nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist und man ahnt eine Verbindung zwischen dem Mordfall und der Familientragödie. Diese Szenerie macht aus „Allein gegen die Lüge“ einen echten Pageturner. Die Charaktere die Alex Finley zeichnet sind erfrischend normal und damit authentisch. Eine Warnung sei ausgesprochen, diese Geschichte ist erschütternd traurig und zeigt einmal mehr die Sinnlosigkeit solcher Verbrechen. Eine Familientragödie ungeahnten Ausmaßes und sie wird so unspektakulär, ja fast distanziert vom Autor geschildert und allein dies macht für mich das eigentliche Grauen aus, zusammen mit den vielen Wendungen ist dies ein ausgesprochen guter Thriller der zwar leisen Art, und deshalb umso packender.

Bewertung vom 03.02.2025
Über allen Bergen
Goby , Valentine

Über allen Bergen


ausgezeichnet

Eine Insel über den Bergen.

Vadim ist zwölf, als seine Mutter im eröffnet: “Du musst gehen!“ Als Sohn jüdisch-russischer Eltern, die zwar nie ihren Glauben aktiv praktizierten, ist es für ihn in Paris um 1942/43 zu gefährlich geworden. Sein größerer Bruder und sein Vater sind schon weg, nur seine Mutter ist noch da und deren Arbeitgeber, die sich als sehr hilfsbereit und menschlich zeigen. Diese ermöglichen ein Exil für Vadim in den französischen Bergen, nahe der schweizerischen Grenze.
Vallorcine, das Bärental, am Fuße der Aiquilles Rouges wird von jetzt ab sein zu Hause und auch seinen Namen muss Vadim „vergessen“. Von nun an muss er sich Viktor nennen lassen. Der Junge der nur die Stadt kennt, der unter schwerem Asthma leidet, entdeckt nun eine ganz andere Welt. Voller Ehrfurcht und Staunen sieht er zum ersten Mal Berge und massenhaft Schnee in den unterschiedlichsten Schattierungen von weiß. Aber nicht nur dies versetzt ihn in Erstaunen, sondern die Tatsache, dass es anscheinend Welten gibt, die nebeneinander existieren. Während in ganz Europa Krieg herrscht, scheint das Leben in Vallorcine seinem eigenen Rhythmus aus Tierpflege, Frühjahrsarbeiten, Pflanzenaufzucht, Almauftrieb, Wetter Holzarbeiten, Heuernte und Erntezeit zu folgen. Und Jeder und Jede im Dorf wird in diesen Microkosmos integriert, auch Vadim, der jetzt Viktor heißt. Vallorcine wird seine Insel über den Bergen, seine Zuflucht, sein Sehnsuchtsort. Doch auch diesem abgeschiedenen Winkel Europas kommt der Krieg immer näher.

Dieses Buch ist leise, still, poetisch und dabei auch wortgewaltig. Nicht alles ist einem Zwölfjährigem in dieser Form zuzutrauen, und doch ist es einfach schön die Erhabenheit der französischen Alpen durch die Worte des Jungen vor dem inneren Auge auferstehen zu lassen. Dieser Schutzraum, der ihm auf einmal zur Verfügung steht, indem der Krieg weit weg scheint, wer würde das, in so rauen Zeiten nicht auch gerne für sich beanspruchen? Der Autor jedenfalls hat in mir diese kleine Sehnsucht geweckt, nach einer Insel…gerne auch über den Bergen.

Bewertung vom 03.02.2025
Ginsterburg
Frank, Arno

Ginsterburg


sehr gut

Ginsterburg, eine kleine fiktive Stadt irgendwo in der Mitte des heutigen Deutschlands angesiedelt, deren Einwohner sich nach der Machtergreifung Hitlers mit den neuen politischen Gegebenheiten versuchen zu arrangieren. Anhand einer Vielzahl von Protagonisten werden Geschichten, Erzählungen, Briefe, Zeitungsartikel, Nachrichtendurchsagen, Anekdoten, Anekdötchen und manchmal auch nur Gedankenfetzen in, für mich, schwindelerregender Abfolge aneinandergereiht um die Jahre 1935,1940 und 1945 abzubilden. Dabei sind nicht alle Einwohner dieses kleinen, so typisch deutschen Städtchens zwischen den Weltkriegen, fiktiv. Einige sind real in der Person.
Ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich mich durch dieses Buch gequält habe. Die überbordende Anzahl von Protagonisten, die Vielzahl von Lebensausschnitten und die schnelle Abfolge in der Diese präsentiert werden, haben mich so manches Mal den Überblick verlieren lassen und doch kratzt alles nur an der Oberfläche. Vieles bleibt unausgesprochen, vage und schwammig. Zuviel und doch zu wenig. Zu keiner der beteiligten Personen kann man in irgendeiner Art eine Beziehung aufbauen. Sie bleiben fern, distanziert und Vergangenheit.
Ich habe lange überlegt wie ich dieses Lesegefühl treffend beschreiben kann, doch da kommt mir unerwartet der Autor zur Hilfe. Wie die Konversationen seines Protagonisten Eugen, ähnelt der Schreibstil des Autors eher an ungelenkes Schlendern als zielstrebiges Marschieren.
Da die heutige weltpolitische Lage doch frappierende Ähnlichkeiten zu den 20ziger und 30ziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufweisen, habe ich mir mehr von diesem Buch erwartet.
Unerwartet, fast versteckt auf den letzten Seiten findet sich noch ein Hinweis auf den für mich schizophrenen Umgang mit der Vergangenheit, die auch so typisch deutsch ist. Wir verehren und ehren Menschen die Ungeheuerliches getan haben. Wann hört das auf? Diese fast nebensächliche Erwähnung ist mir der vierte Stern wert.

Bewertung vom 03.02.2025
Der König
Nesbø, Jo

Der König


ausgezeichnet

„Ich hatte in diesem Dorf alles verloren und alles bekommen. Ich hasste und liebte diesen Flecken Erde. Konnte man – letzten Endes – mehr von dem Ort verlangen, den man Heimat nennt?“
Das kleine Örtchen Os im Norden Norwegens, weit weg von größeren Städten, kämpft seit jeher gegen die Verödung, mittendrin die Brüder Carl und Roy. Carl lockt mit seinem Wellness-Hotel gut betuchte Touristen an und Roy betreibt die örtliche Tankstelle und die Kneipe wider Erwarten sehr erfolgreich. Durch ihre brüderliche Rivalität versuchen sie sich immer noch ein größeres Stück der Ortsgemeinschaft einzuverleiben, Carl plant den Ausbau des Hotels und Roy erwirbt den Campingplatz um einen Vergnügungspark aufzuziehen. Doch ihre Bemühungen könnten ein jähes Ende finden, denn es wird ein Tunnel geplant, der Os umgehen soll, das Dorf würde wieder im Dornröschenschlaf versinken und die Brüder würden auf einer Menge Schulden sitzen bleiben…

Jo Nesbø ist ein ausgezeichneter Thriller Autor und ein Meister in der Darstellung kleinstädtischer Rivalitäten unter den sehr skurril wirkenden Einwohnern. Die mitunter bizarren geistigen Abgründe in dieser abgeschottet wirkenden Dorfgemeinschaft skizziert er originell. Obwohl die Geschehnisse nur von einem Protogonisten dargestellt werden und eher abgeklärt und distanziert wirken, schaffen die vielen unverhofften Wendungen den eigentlichen Nervenkitzel und steigern so die Spannung von Seite zu Seite.
Fazit: Ein etwas spleenig wirkender Roman im Gegensatz zu der Harry-Hole-Reihe und doch gibt es auch hier verdammt viele Leichen und Spannungsbögen.

Übersetzung: Eigentlich verliere ich selten ein Wort über die Übersetzungen, in diesem Fall muss ich es tun, da es mich massiv gestört hat. Es befinden sich doch viele kleinere und auch größere Dialoge auf Englisch, warum diese nicht wie der Rest auf Deutsch übersetzt wurden ist mir schleierhaft. Es stört einfach massiv den Lesefluss und ist für mich ein klares Manko! In die Bewertung lasse ich es nicht einfließen, dies wäre dem Autor gegenüber auch ungerecht.

Bewertung vom 03.02.2025
Blutrotes Karma
Grangé, Jean-Christophe

Blutrotes Karma


gut

Paris im Frühjahr 1968, die ursprünglichen Studentenproteste sind übergeschwappt in die arbeitende Bevölkerung, die Brutalität sowohl auf Seiten der Protestierenden als auch auf Seiten der Polizei ähneln in ihrem Ausmaß eher einem Bürgerkrieg. Mittendrin sind die Halbbrüder Hervé (Student) und Mersch (Kriminalist) sowie die junge Studentin Nicole auf die ein oder andere Weise an den Auseinandersetzungen beteiligt. Inmitten dieses Chaos werden dann auch noch zwei Studentinnen auf äußerst brutale Weise ermordet und noch viel schlimmer zur Schau gestellt. Beide Opfer waren sowohl mit Hervé als auch mit Nicole befreundet. Mersch beginnt mit den Ermittlungen, nicht ahnend das dieser Fall sowohl ihn als auch seinen Bruder persönlich betreffen soll.

Der Name Jean-Christophe Grangé, die tolle Gestaltung des Umschlages und natürlich die Harcoverversion haben mich bewogen genau dieses Buch lesen zu müssen. Grangé ist spätestens seit „Die purpurnen Flüsse“ ein Garant für atemlose Spannung und verzwickte Wendungen, sein Fokus liegt in der Regel auf soziopathologische Verhaltensweise innerhalb familiärer Beziehungen.

Also stürzte ich mich sofort in dieses 600 Seiten Werk und war etwas ernüchtert über die langatmigen Ausführungen der Pariser Studentenrevolte. Auf der einen Seite war es für mich äußerst interessant zu erfahren, dass die europäischen „’68-Bewegung“ doch wesentlich brutaler waren als die Hippiebewegung in Nordamerika, auf der anderen Seite gelingt dem Autor nicht so recht der Spannungsaufbau. Erschüttert war ich dann regelrecht von der Inszenierung der Opfer und der Motivation des Täters. Irgendwie schwer nachvollziehbar und doch eher Horror statt Thriller. Die drei Protagonisten konnten mich weder durch ihre Charakterzeichnung noch durch ihre Aktionen und Interaktionen von sich überzeugen.

Die drei Sterne vergebe ich dann auch nur für den sehr unterhaltsamen und lehrreichen Ausflug in die Vergangenheit.