Worum geht es?
Das Buch spielt auf dem Stadtplaneten Arges, dessen Herrschende mithilfe von Magie Macht ausüben. Jule ist eine eher mittelmäßige Beschwörerin, doch nun muss sie die nächste magische Prüfung schaffen, um ihren Love Interest wiederzusehen, und wird dabei mit jede Menge Problemen und Intrigen konfrontiert.
Was ich gut fand:
Das Buch startet mit einer eindrücklichen Situation: Jule ist in einem Kerker gefangen und kann nur entkommen, indem sie mithilfe eines Monsters ihre magischen Fähigkeiten erweckt. Das Monster entpuppt sich dann als weniger monströs und vielmehr als potentieller Love Interest. Um diesen wiederzusehen, muss Jule in der magischen Hierarchie aufsteigen, wobei ihr ihre Ängste und ihre Herkunft im Wege stehen. Hierbei greift die Autorin wichtige reale Themen auf: Prüfungsangst und die Schwierigkeiten als Arbeiterkind in einem Bildungsumfeld, das nicht für einen gemacht ist. Jule muss wieder bei ihrer alkoholkranken Mutter einziehen, während andere Magische problemlos für die Prüfung lernen können. An jeder Stelle werden realistisch die Hürden gezeigt, die ihr im Wege stehen. Deutlich werden soziale Hierarchien und kapitalistische Ausbeutung thematisiert. Dadurch geht die Geschichte tiefer, als einfach nur spannende Unterhaltung zu sein.
Der Schreibstil ist lebendig und erweckt die Stadt Arges mit vielen Details zum Leben, wozu auch die liebevollen Illustrationen beitragen. Die Story ist temporeich und wartet mit immer neuen Verwicklungen auf, in die Jule hineingezogen wird, sodass die Spannung dauernd hoch ist und man immer weiter lesen will.
Gut fand ich, dass Freundschaften eine wichtige Rolle spielen. Erfrischend ist auch, dass gleich zwei Männer in Jules Leben treten und dann nicht die langweilige Frage künstliches Drama erzeugt, für welchen sie sich entscheiden soll, sondern Polyamorie ganz selbstverständlich eine Option ist. Schön fand ich, wie all das Magische und Spacige mit bodenständigen Szenen kontrastiert.
Das Buch hat einen runden Abschluss und lässt zugleich größere Entwicklungen in den Folgebänden erahnen, denn die ausgebeuteten Planeten beginnen zu rebellieren, und Jules Weg hat gerade erst begonnen.
Was ich nicht so gut fand:
Ich frage mich, ob das Buch stellenweise seine eigenen Absichten konterkariert. So wird der Schönheitswahn der Oberschicht kritisiert, aber zugleich sind alle Love Interests enorm gutaussehend. Warum darf es nicht auch mal ein durchschnittlich aussehender Love Interest sein?
Ebenso wird der Leistungsdruck kritisiert, aber dann reicht es nicht, dass Jule nur ein bisschen weiter kommt, sie muss außergewöhnliche Fähigkeiten entwickeln. Warum nicht mal eine Heldin mit durchschnittlichen Gaben, wenn nicht nur die Besonderen ein gutes Leben verdienen sollen?
Vielleicht werden diese Themen ja in den Folgebänden noch subvertiert.
Etwas komisch fand ich, dass Jule weiß, dass Arges regelmäßig auf anderen Planeten ganze Bevölkerungen ausrottet, aber aus diesem Wissen keinerlei Konsequenzen zieht. Andererseits wundert mich das bei einem Blick in die Realität überhaupt nicht.
Fazit: Spannende Science Fantasy mit Tiefgang und Kapitalismuskritik.
Worum geht es?
In einer postapokalyptischen Welt leben Kenna und Cecil davon, alte Technik zu sammeln und zu verkaufen. Sie stoßen auf Freya, die auf der Suche nach geheimnisvollen Artefakten ist, um uralte Geister zu beschwören. Unversehens geraten Kenna und Cecil zwischen die Fronten von Geistern versus Technik.
Wie ich es fand:
C. I. Ryze baut eine faszinierende Welt auf, mit vielen phantastischen Schauplätzen, wie einer Stadt im Inneren eines Eisbergs oder einer Siedlung auf Flößen. Das Buch ist lebendig und bildhaft geschrieben und enthält eigenwillige Charaktere: Die ruppige Schrottsammlerin Kenna, die sich liebevoll um ihre Ziehtochter Cecil kümmert, die unnahbare Freya und dazu als Comic Relief den eher pragmatischen Ponpon. Magie, Geister, uralte Technik und untergegangene Zivilisationen, sowie ein diverses Charakterensemble, das sind eigentlich Zutaten, die mich packen. Auch ist das Buch schön gestaltet mit schmückenden Symbolen. Doch leider enthält der Text viele sprachliche Fehler und Stellen mit unklarer Erzählperspektive. Zudem konnten mich die Auflösung des Konflikts und das Ende nicht überzeugen.
Spoiler:
Freya beschwört aus keinem nachvollziehbaren Grund einen bösen Geist und richtet damit eine weltweite Zerstörung an, bei der unzählige Menschen sterben. Die anderen Charaktere haben jedoch vollstes Verständnis dafür, nach dem Motto: „Die Arme konnte ja nicht anders.“ Das finde ich unglaubwürdig. Und was nun eigentlich der Konflikt zwischen Geistern und Technik ist, habe ich nicht verstanden.
Fazit:
Ein Fantasy-Roman mit spannenden Ideen, der sein Potential leider nicht erfüllen kann.
Worum geht es:
Der zweite Band einer Trilogie. Im vorigen Band hatte sich die Gestaltwandlerin Lena entschlossen, mit dem Gestaltwandler Evan ein Kind zu bekommen – obwohl Evan verheiratet ist und die Freundschaft zu Lenas bester Freundin und Geliebten Rebecca darüber zerbricht.
Lena reist in die USA zu Evan, um mit ihm ein Kind zu zeugen. Dabei wiegt sie sich in Illusionen darüber, danach ein gemeinsames Familienleben zu haben. Vielleicht auch mit seinem Bruder Thomas, den sie ebenfalls lieb gewinnt. Diese Illusionen drohen, schmerzhaft zu zerbrechen. Denn Evan spielt nicht mit offenen Karten ...
Kommentar:
Das Buch hat den Anspruch, neben der Unterhaltung über Neurodivergenz und toxisches Verhalten aufzuklären. Das gelingt auch. So wird geschildert, wie Lena immer weiter in eine ungesunde Abhängigkeit zu Evan gerät und wie er sie bewusst manipuliert. Dabei kommen Lenas ADHS und ihre frühere Traumatisierung zum Tragen. Dennoch versucht sie, was sie kann, um unabhängig zu bleiben.
Es gibt in diesem Buch viele explizite Szenen, die markiert sind, sodass man sie bei Bedarf überspringen kann. Diese Szenen sind jedoch nicht nur zum Spaß da, sondern demonstrieren, wie über sexuelle Befriedigung eine Abhängigkeit erzeugt werden kann – und wie einvernehmlicher Sex in Nötigung übergehen kann, wenn offene Kommunikation und Konsens fehlen.
Am Ende erklärt ein Nachwort die Verhaltensweisen der Charaktere noch einmal genau.
Dieses Konzept ist, soweit ich weiß, einzigartig und ich finde die Idee super. Gut finde ich auch, dass Evan nicht nur als Bösewicht gezeigt wird, sondern sein Verhalten durch seine Vergangenheit erklärt wird, ohne es dadurch zu entschuldigen oder zu glorifizieren.
Trotz der ernsten Thematik gibt es auch Spaß, Fantasy und Found Family-Szenen, als Lena Zeit mit den anderen Gestaltwandlern verbringt. Außerdem erfährt man einiges über die Natur und Tierwelt Floridas, da Thomas als Naturschützer arbeitet.
Nur sprachlich ist meiner Meinung nach noch Luft nach oben.
Fazit: Ein erotischer Fantasy-Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch aufklärt.
Worum geht es:
Penelope, Sofie und Kader verlieben sich ineinander und arbeiten zusammen für eine IT-Firma. Bei ihrer Arbeit entwickeln sie eine Technologie, mithilfe derer aus den Gehirnen von Verstorbenen ein virtuelles Abbild erzeugt werden kann. Damit soll die Polizei Verbrechen aufklären. Doch die drei bekommen zunehmend Zweifel an ihrer Arbeit und geraten ins Visier dunkler Machenschaften ...
Was ich gut fand:
Das Buch ist über mehrere Jahre hinweg im Zeitraffer erzählt und kann somit eine längere Entwicklung einfangen. Es hat eine ungewöhnliche Struktur, durch Farben und Hexcodes geordnet, und ist eine Hommage an Computerspiele.
Es gibt eine mysteriöse Rahmenhandlung mit einer Person, die in einer Computersimulation gefangen zu sein scheint, was sich nach und nach aufklärt. Dabei gibt es einige unheimliche und beklemmende Momente.
Vor allem aber zeigt das Buch eindrücklich das prekäre Dasein queerer und migrantischer Menschen inmitten einer Arbeitswelt voller (Selbst-)ausbeutung. Um zurechtzukommen und ihre Jobs zu behalten, stellen sie ihre Zweifel zurück, bis es zu spät ist. Deutlich wird die Zwangslage, arbeiten zu müssen, während man keinen Einfluss darauf hat, was man mit seiner Arbeit herstellt, denn diese Entscheidung treffen andere.
So gibt es eine starke Szene, als mithilfe der Technologie ein verstorbener Selbstmordattentäter verhört wird und Kader und Penelope Zweifel bekommen, ob es richtig ist, ihn so zu behandeln.
Davon abgesehen gibt es aber auch schöne Slice of Life-Szenen aus dem Leben des Polyküls und ihren Kindern. Wir sehen das liebevolle Zusammenleben, aber auch die Diskriminierung, auf die diese Familienkonstellation häufig stößt.
Was ich nicht so gut fand:
Sofie und Kader sind als Charaktere blass geblieben und haben kaum Tiefe bekommen.
Sprachlich wirkt das Buch stellenweise unbeholfen.
Meiner Meinung nach hätte man außer dem Selbstmordattentäter weitere Verhöre verstorbener Personen zeigen und daran noch mehr Fragen aufwerfen können. Außerdem: was ist mit "ziviler" Nutzung der Technologie? Würden nicht viele Menschen mit ihren verstorbenen Angehörigen sprechen wollen, und würde nicht ein Unternehmen dieses Bedürfnis gewinnbringend nutzen? Hier wurden die Möglichkeiten des Settings nicht ausgereizt.
(Ab hier Spoiler)
Das Ende hat mich enttäuscht. Denn am Ende kommt heraus, dass Nazis das IT-Unternehmen unterwandert haben. Alles, was bis dahin aufgebaut wurde, wie die (Selbst-)Ausbeutung auf der Arbeit, das rücksichtslose Verhören von Toten, die Diskriminierung einer queeren Familie ... All das wird reduziert auf Nazis als das eigentliche Problem. Im Umkehrschluss: ohne Nazis wäre alles super? Das hinterlässt bei mir einen schalen Beigeschmack. Insbesondere, weil es so ein Ende häufig in Büchern gibt. Anstatt die Gesellschaftskritik konsequent durchzuziehen, wird ein Bösewicht oder eine böse Gruppe aus dem Hut gezaubert, die an allem Schuld sein soll und wohinter alles andere zurückzutreten hat.
Fazit: Das Buch beinhaltet einige spannende Ideen, hätte diese aber gründlicher ausführen können.
In Großbritannien, Ende des 20. Jahrhunderts, werden Klone gezüchtet, um als Organersatzlager ausgeschlachtet zu werden. Der Roman begleitet das Aufwachsen dreier solcher Klone von ihrer Kindheit in einem Internat bis zum jungen Erwachsenenalter, wo sie mit dem „Spenden“ anfangen sollen.
Das klingt wie der Auftakt zu einem spannenden SF-Thriller. Typischerweise würde die brutale Ausbeutung der Klone in allen Farben gezeigt werden und die Klone würden gegen ihre grausamen Unterdrücker aufbegehren.
Nichts davon in diesem Buch.
Was das Buch stattdessen zeigt, ist das Mitmachen. Das stillschweigende Einverständnis. Dass Menschen diese Vorgänge so selbstverständlich finden, dass sie nicht einmal anfangen, etwas zu kritisieren.
Weder sind die Ärzte, Krankenpfleger oder die Erzieher der Kinder besonders grausam, sondern einfach nur Menschen, die ihren Job machen. (Auch wenn eine Erzieherin Probleme damit hat.) Noch rebellieren die Klone, sondern fügen sich in ihr Schicksal, erkennen es als ihre Bestimmung an. Gezeigt werden lauter gute Menschen, die nur Gutes wollen, und am Ende kommt die massenhafte Ermordung von Menschen dabei heraus, was euphemistisch als „Abschließen“ bezeichnet wird.
Als ich das Buch zum ersten Mal las, fand ich das schwer vorstellbar. Mittlerweile halte ich es für ein passendes Abbild der bürgerlichen Gesellschaft, wo auch niemand jemals etwas Böses will. Komischerweise gibt es dann eben Armut, Obdachlosigkeit oder den ein oder anderen Massenmord, für den scheinbar niemand verantwortlich ist.
Im Buch wird nie genauer erklärt, wie es zu dem Einverständnis kommt. Die Beteiligten halten einfach alle für richtig, was sie tun, und wollen ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Außerdem werden den Kindern im Heim Informationen bruchstückweise immer dann gefüttert, wenn sie noch zu jung sind, um sie wirklich zu verstehen.
Zu einer kleinen Rebellion kommt es dann aber doch, allerdings nur innerhalb des Systems. Unter den Klonen geht nämlich das Gerücht um, dass ein Junge und ein Mädchen einen Aufschub des Organspendens beantragen können, wenn sie einander wirklich lieben (das scheint nur für hetero Paare zu gelten).
Das Gerücht weckt bei Ruth, Kathy und Tommy die Hoffnung, den Versuch zu wagen. Unglücklicherweise sind die drei in ein Liebesdreieck verstrickt, sodass sie erst nach Sortieren ihrer Beziehungen diesen Weg gehen können. Scheinbar viel zu spät.
Dabei geht es viel um die zwischenmenschlichen Beobachtungen. Die Ich-Erzählerin Kathy beobachtet genau das Verhalten anderer, während sie über ihre eigenen Gefühle wenig sagt. Diese muss man zwischen den Zeilen lesen und sie treffen dafür umso heftiger.
Es geht auch um die Frage, ob man an Beziehungen wieder anknüpfen kann, die durch verletzende Worte zerbrochen wurden, oder ob es irgendwann zu spät dafür ist.
Die Sprache ist auf einem sehr hohen Niveau, lange Sätze, fast schon etwas altmodisch, was aber gut zur Stimmung passt.
Worum geht es:
In der Stadt Erzweiden gab es vor einigen Jahren einen Krieg der Menschen gegen Irrlichter und deren Obermonster, die Mutter der Masken. Diese erscheint besiegt und alles scheint friedlich. Doch der Schein trügt. Denn in der Stadt schwelen verschiedene Konflikte, z.B. zwischen Magischen und Nichtmagischen. Und auf einmal werden die Irrlichter wieder aktiv.
In dieser Gemengelage versucht die Postbotin Olga, mit ihren Traumata klarzukommen und mit dem komplizierten Verhältnis zu ihrer Mutter, einer Kriegsveteranin. Doch ungewollt wird sie immer tiefer in die Konflikte hineingezogen. Insbesondere in die finsteren Pläne der Kommandantin der Stadtwache.
Kommentar:
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Das Worldbuilding ist hervorragend und die Autorin nimmt sich viel Zeit für dieses sowie für die Beziehungen der Charaktere. Die Gestaltung des Buches ist wunderschön. Grafiken, Zeitungsartikel und Auszüge aus Lehrbüchern und Touristenbroschüren machen Erzweiden lebendig. Das Setting ist eine spannende Mischung aus einer altertümlichen (jedoch nicht mittelalterlichen) Welt, in der es Spuren einer untergegangenen Hochtechnologie gibt.
Was man als Vorteil oder Nachteil sehen kann, ist, dass die Handlung lange nur dahinplätschert und eher einen Slice of Life-Eindruck macht. Erst gegen Ende kommt der Konflikt so richtig ins Rollen. Das hat mich aber nicht gestört, da das Buch lebendig und pointiert geschrieben ist. Auch mochte ich, dass es so viele selbstverständlich queere Charaktere gibt, und wie die Beziehung zwischen Olga und ihrer Mutter gezeigt wird. Eltern-Kind-Beziehungen werden ja ansonsten eher selten in der Fantasy thematisiert, wenn dann glänzen die Eltern durch Abwesenheit oder das Verhältnis ist ausschließlich traumatisch. Hier hingegen wird eine Bindung gezeigt, die konflikthaft ist, aber doch auf einer tiefen Zuneigung beruht.
Allerdings bleibt offen, was genau der Interessengegensatz zwischen den Irrlichtern und den Menschen ist. Ich bin gespannt, ob das in den Folgebänden erklärt wird.
Fazit: Cooles Worldbuilding und zwischenmenschliche Beziehungen kombiniert zu einem Buch, das lange im Gedächtnis bleibt.
Worum geht es:
Das Buch ist eine Sammlung mit verschiedenen Social Sci-Fi Kurzgeschichten. Betrachtet werden also zukünftige technische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Menschen. Das Buch deckt eine breite Menge an Szenarien ab, von der Erde bis ins Weltall.
Mal geht es dabei dystopisch zu, z.B. beim Thema staatliche Überwachung oder KI, die das Leben der Menschen optimiert und ihnen jede Entscheidung vorgibt. Mal eher putzig, z.B. als eine depressive Person ein künstliches „Seelentier“ geschenkt bekommt, welches ihr helfen soll, auf ihre Gefühle zu achten.
Was mir gut gefallen hat:
Ich fand die verschiedenen Ideen vielfältig und gut umgesetzt. Jede Geschichte hat einen besonderen Twist, z.B. entpuppt sich der Erstkontakt mit Aliens oder die Firma, die Zeitreisen anbietet, als etwas ganz anderes als gedacht. Viele Szenarien wirken durchaus realistisch und regen zum Nachdenken an. Einiges ist zwar altbekannt aus der Science Fiction, aber frisch umgesetzt. Man merkt, dass die Autorin viel recherchiert und sich Gedanken gemacht hat.
Was mir nicht so gut gefallen hat:
Sprachlich waren in manchen Sätzen selbst für meinen Geschmack arg viele Adjektive.
Inhaltlich störten mich wiederholt Aussagen, wenn es um die unangenehmen Folgen von Technik geht, wie „Der Mensch stürzt sich mit uneingeschränkter Macht selbst ins Verderben“; „Die Menschheit hatte ihre eigene Macht mal wieder überschätzt“.
Wer entscheidet denn, ob und wie KI, Gentechnik, etc. eingesetzt werden? Die Supermarktkassiererin, der Bauarbeiter, die Büroangestellte? Nein, es sind die Unternehmer und die Herrschenden, die diese Entscheidungen treffen, für ihre Zwecke, nicht einfach „die Menschheit“. Und es sind auch nicht alle Menschen gleichermaßen, die unter der Technologie leiden oder von ihr profitieren. Denn dabei gibt es Klassenunterschiede, was die Autorin ausblendet, wenn sie ihre Kritik undifferenziert an „den Menschen“ richtet.
Worum geht es:
Im frühmittelalterlichen Wales erfährt Adwen, dass sie nicht die Tochter ihres Vaters, des Fürsten Madoc, ist, sondern von einem verfeindeten Clan abstammt. Sie schließt sich diesem Clan an, wobei sie sich in den Krieger Kynan verliebt. Gemeinsam wollen sie gegen die Unterdrückung durch Madoc kämpfen. Doch uralte Segen und Flüche sorgen für Chaos, und bald ist nicht mehr klar, wer gut und böse ist.
Was ich gut fand:
Mit vielen Details macht die Autorin das frühe Mittelalter im Zwiespalt zwischen keltischer Mythologie und Christentum lebendig und baut Atmosphäre auf. Das Setting fühlt sich glaubwürdig an. Ich fand interessant, wie Magie organisch mit dem historischen Hintergrund verflochten wurde: Flüche und Segen existieren wirklich und gehorchen einer eigenen Logik.
Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt und es gibt kein eindeutiges Gut und Böse. Selbst Madocs Handeln wird nach und nach verständlich. Auch die Charaktere der Priesterin Eleri und der Hexe Gwrach verleihen der Geschichte Würze, indem sie mit ihren mysteriösen Plänen für Chaos sorgen. Die Hexe hat einige sehr coole und herrlich verstörende Auftritte. Ebenso fand ich die Entwicklung von Adwens Bruder Cadel spannend, auch wenn sich seine letzte Wandlung für mich zu abrupt anfühlte.
Sprachlich ist das Buch flüssig geschrieben und die Wortwahl passt zum mittelalterlichen Setting.
Auch optisch macht das Buch mit dem Goldschmuck etwas her.
Was ich nicht so gut fand:
Es gibt stellenweise ein paar sprachliche Holprigkeiten.
Fazit: Frühmittelalter und Magie in einer atmosphärischen Geschichte vereint.
Ich habe „Auslöschung“ jetzt zum zweiten Mal gelesen und finde es immer noch ziemlich gut.
Worum geht es:
Es gibt ein Gebiet namens Area X, das hermetisch abgeriegelt wurde und in dem seltsame Dinge geschehen. Immer wieder schickt eine Behörde Expeditionen dorthin, um mehr herauszufinden. Im Buch geht es um die 12. Expedition, eine Gruppe von vier Frauen. Berichtet wird aus Sicht einer der Frauen, der Biologin. Schnell entwickelt sich die Expedition zum Desaster. Eine unbekannte Lebensform scheint Area X im Griff zu haben und „assimiliert“ Menschen, sodass sie sich in Tiere oder Pflanzen oder etwas ganz anderes verwandeln.
Kommentar:
„Auslöschung“ ist eine Mischung aus Horror, New Weird, Science Fiction und mehr. Besonders gut fand ich, dass der Horror nicht nur auf klassische Schocker setzt, sondern darauf, dass etwas nur aufgrund des Vorwissens des Lesers gruselig ist (der Stapel Tagebücher) oder weil es so seltsam und undenkbar ist (Pilze, die verstörende Worte bilden).
Das Buch ist auch eine Reflexion über das Zusammenleben von Mensch und Natur. Menschen zerstören die Natur und die Natur schlägt zurück und assimiliert die Menschen – wobei leider nicht genauer differenziert wird, wer die Akteure der Naturzerstörung sind und warum sie das tun.
Zugleich wird nach und nach klar, dass die Behörde die Expeditionsteilnehmerinnen belogen und psychisch manipuliert hat. In diesem Licht erscheint fragwürdig, wer nun wirklich gefährlich ist: die Lebensform von Area X, die Behörde, oder beide.
Zudem reflektiert das Buch darüber, was die (Natur)wissenschaft wissen kann. Gibt es Dinge, die sich dem Wissen entziehen und machen Menschen Fehler bei dem Versuch, etwas zu erforschen? Zitat: „Wenn ich keine echten Antworten habe, liegt das daran, dass wir immer noch nicht wissen, welche Fragen wir stellen sollen. Unser Instrumentarium ist nutzlos, unsere Methodologie liegt in Trümmern, unsere Beweggründe sind egoistisch.“ Diese Thematik hat mich an „Solaris“ von Stanislav Lem erinnert. Allerdings bleibt unklar, was genau die Kritik an der naturwissenschaftlichen Methode ist. Die Methode funktioniert nicht, weil die Aliens ihre Zellen verändern können? Könnte man nicht die Methode auch darauf anwenden? Die Beweggründe sind egoistisch, weil ...? Ich hätte es begrüßt, wenn die Kritik genauer ausgeführt worden wäre.
Das Buch hat außerdem eine ungewöhnliche Protagonistin und erzählt in Rückblenden aus deren Leben. Die Biologin ist eine eigensinnige Frau, die mit Pflanzen und Tieren schon immer besser zurechtkam als mit Menschen. In nüchternem Ton schildert die Ich-Erzählerin, wie ihre Ehe daran gescheitert ist, dass ihr Ehemann als extrovertierter und sie als introvertierter Mensch nicht zueinanderfanden. Vieles konnte ich selbst als introvertierter Mensch nachempfinden. Und gerade die Eigenschaften der Biologin, mit denen sie immer bei Menschen angeeckt hat, helfen ihr nun, in Area X zu überleben.
Das Buch ist großartig geschrieben. Vandermeer traut sich selbst und seinen Lesern noch etwas zu. Es gibt komplexe Sätze und Überlegungen zu tiefergehenden Themen. Vandermeer tut vieles, was man heute laut Schreibratgebern und Buchmarktmenschen nicht mehr tun soll. Und er hat Erfolg damit. Das ist in meinen Augen ein Zeichen, dass Lesende mehr drauf haben und Lust auf komplexere Stoffe haben, als die Gurus des Buchmarkts weismachen wollen. Das macht mir Hoffnung, dass noch nicht alles in der Literatur weichgespült ist.
Fazit:
„Auslöschung“ ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Bis zum Ende werden nicht allzu viel der Rätsel aufgelöst, aber dafür gibt es die Folgebände. Nur die Kritik an Naturwissenschaft und -zerstörung lässt an Genauigkeit zu wünschen übrig.
Insgesamt: Horror, New Weird und Science Fiction mit Tiefsinn und einer ungewöhnlichen Erzählerin.
Das Buch beginnt in dem fiktiven Land Pagau, das große Ähnlichkeiten mit realen südamerikanischen Ländern hat. Wie die realen Vorbilder hat auch Pagau das Problem, wegen seiner Rohstoffe von einem mächtigen Staat, Uriwa, ausgebeutet zu werden. Zora, Lucio und Roja werden in diesen Konflikt hineingezogen, als Uriwa ihre Stadt bombardiert. Die drei müssen fliehen und treffen auf die Schmugglerin Luana. Zu viert beschließen sie, gegen Uriwa zu kämpfen. Bald müssen sie sich entscheiden, wie viel Gewalt sie bereit sind anzuwenden.
Ich fand die Idee sehr cool, solche realen politökonomischen Konflikte in einer Fantasywelt zu behandeln. Fantastische Elemente wie pflanzliche Luftschiffe, Lichterzwerge oder umherziehende Philosophen sorgen dabei für Auflockerung von dem ernsten Thema. Die Schilderungen von Landschaft und Kultur schaffen eine eindrückliche Atmosphäre und zeugen davon, dass der Autor selbst Zeit in Südamerika verbracht hat. Die Sprache ist auf einem hohen Niveau und sehr poetisch.
Auch das Cover ist wunderschön und macht Pagau lebendig.
Ab hier Spoiler:
Nach etwas über der Hälfte des Buches gibt es einen Plottwist: Pagau ist in Wirklichkeit nur eine Computersimulation. Ab diesem Zeitpunkt geht es um Luana, die in der realen Welt versucht, die Wahrheit über die Simulation herauszufinden und dem mächtigen Konsortium zu entkommen.
Mich persönlich hat dieser Twist nicht so richtig überzeugt, denn die zusätzliche Meta-Ebene wirkte für mich unorganisch daran gestückelt. Ich hätte es besser gefunden, wenn entweder das ganze Buch nur in Pagau gespielt hätte – oder wenn die Handlung von Anfang an zwischen den beiden Ebenen gewechselt wäre, sodass der Bruch weniger stark wäre und beide Konflikte parallel gelaufen wären. So jedoch schien diese Enthüllung alles, was in Pagau passiert ist, zu entwerten und weniger ernsthaft zu machen. Warum sich über die Gewaltfrage und die Ausbeutung von Ressourcen weiter Gedanken machen, wenn es eh bloß NPCs getroffen hat?
Dennoch fand ich das Buch insgesamt sehr lesenswert. Und vielleicht haben andere Lesende ja gerade an dem starken Plottwist ihre Freude.
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