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Sophia

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Insgesamt 106 Bewertungen
Bewertung vom 24.11.2025
Morgenrot, Andrea

Lichtbrechung


sehr gut

Andrea Morgenrot beschreibt in ihrer Geschichte verschiedenste Menschen in verschiedensten Epochen und Lebenslagen, die sich verlieren, wieder finden und ganz werden. Das Buch lässt sich keinem Genre wirklich zuordnen, vielmehr ist es ein Kaleidoskop, so bunt wie das Leben.

Das Buch hat etwa 200 Seiten und ist schnell durchgelesen, ich musste es jedoch immer wieder zur Seite legen und über das Geschriebene und auch Unausgesprochene zwischen den Zeilen nachdenken. Am Anfang sind die Geschichten noch verwirrend und scheinbar zusammenhanglos, man merkt beim Lesen jedoch schnell, dass jede Geschichte auf ihre Weise zusammenhängt und sich ein großes Ganzes bildet.
Die Sprache ist schön und bildlich, auf keinen Fall alltäglich und in jeden Satz steckt so viel Botschaft und Kraft, dass man eigentlich nach jedem Satz eine Pause machen müsste. Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich, dass die Gedanken nicht immer alle greifbar waren, oft hatte ich das Gefühl, dass ich etwas übersehen oder nicht richtig verstanden habe um die Informationen und Botschaften richtig einzuordnen.

Nichtsdestotrotz ist "Lichtbrechung" ein gelungenes Werk, in dem jeder etwas für sich mitnehmen kann, auf das man sich aber auch einlassen muss. Großes Lob an die Autorin, so ein komplexes, in sich verwobenes und stimmiges Werk zu schaffen und dafür eine so besondere Sprache zu finden.

4,5/5 Sternen

Bewertung vom 20.11.2025
Erdmann, Kaleb

Die Ausweichschule


sehr gut

Der Autor ist elf Jahre alt und Schüler des Gutenberg-Gymnasiums in Erfurt als am 26. April 2002 der ehemalige Schüler Robert Steinhäuser 16 Menschen erschießt und danach sich selbst. Der Schock und das Trauma sitzen bei allen tief, damals wie heute. Mehr als zwanzig Jahre später kommt dem Auto das Ereignis wieder in den Sinn. Er fragt sich, ob er nach so langer Zeit die Wunden nochmal aufreißen sollte? Und überhaupt darf? Ist er dafür genügend traumatisiert?

Da das Buch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2025 stand und der Klappentext mich direkt abgeholt hat, habe ich begeistert dazu gegriffen.
Das Buch ist nicht einfach zu lesen, gibt es doch keinen wirklichen roten Faden. Der Autor erzählt aus der Ich-Perspektive: von seinen Erinnerungen an den Amoklauf, dem Bericht, der damals verfasst wurde, seinen Gedanken, ein Buch zu dem Thema zu schreiben und auch Alltägliches von heute. Dort liegt für mich auch der Knackpunkt: der Autor versucht, viele Themen aufzugreifen und schweift oft ab in seiner Geschichte. Er besucht beispielsweise ein Theaterstück eines Dramatikers, mit dem er zuvor am Telefon über seine Erinnerungen an den Amoklauf spricht. Dieser Handlungsstrang wechselt sich ab mit Erinnerungen, Alltäglichem und Überlegungen. Gekennzeichnet oder betitelt wird dies nicht und man muss sich immer wieder neu zurecht finden.
Mehr als interessant sind dafür seine Überlegungen, inwieweit er sich dem Thema des Amoklaufs mehr als zwanzig Jahre später "annähern" darf. Hat er überhaupt das Recht dazu, so viele Jahre später? Er hat den Täter damals gesehen, aber wie klar sind seine Erinnerungen daran noch? Wie viel wurde dazu erfunden in den Erinnerungen? Diesen Fragen widmet er sich vorsichtig, ehrlich und immer wieder innehaltend. Es ist nicht immer einfach zu lesen, durch die Abschweifungen verliert man selbst öfters den roten Faden beim Lesen. Das Thema ist interessant und sensibel und trotzdem aktueller denn je.

Für mich hätte "Die Ausweichschule" verdient den Deutschen Buchpreis gewonnen, es widmet sich einem wichtigen und sensiblen Thema, das auch nach über zwanzig Jahren noch im Gedächtnis sowohl aller Beteiligten als auch von wahrscheinlich ganz Deutschland ist. Die Herangehensweise ist dabei interessant und mit ein paar Abstrichen kann ich das Buch auf jeden Fall weiter empfehlen.

Bewertung vom 18.11.2025
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit


gut

Die namenlose Protagonistin bekommt einen Job bei einem geheimnisvollen Ministerium. Als Übersetzerin wird sie dort aber nicht arbeiten, sie erfährt erst später worum es wirklich geht - bis dahin ist absolute Verschwiegenheit und Geheimhaltung angesagt wie auch die gesamte Handlung über. Dem Ministerium der Zeit ist es gelungen, mittels einer komplizierten Zeitmaschine einige Menschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Einen von ihnen, den Polarforscher Graham Gore, soll die Protagonistin nun betreuen und ihm helfen, sich in der heutigen Zeit zurecht zu finden. Zwischen den beiden entwickelt sich ein enges Verhältnis und sie kommen sich näher. Es gibt jedoch einige Entwicklungen, die dem Leben aller Beteiligten ein Ende setzen könnten.

Ich war sehr gespannt auf die Geschichte: Zeitreisen, Geheimhaltung und eine romantische Liebesbeziehung unter ungewöhnlichen Umständen. Leider konnte das Buch meine Erwartungen nicht wirklich erfüllen.
Ich hatte mir mehr Science Fiction, mehr Action und Spannung erwartet, viele Themen werden auch angerissen, aber nicht auserzählt und die Geschichte wirkt dadurch nicht wirklich rund. Der Anfang ist zäh und langatmig, was mich zunächst nicht wirklich gestört hat, aber die Handlung nimmt im Verlauf kaum Spannung auf und zieht sich. Durch die Ich-Perspektive der Protagonistin erhält man Leser einen sehr subjektiven Eindruck des Geschehens. Oft hatte ich auch das Gefühl, dass sie beim Erzählen einiges verschweigt und den Leser an der Oberfläche hält. Der Zeitreisende Graham Gore wird toll und treffend beschrieben, die beiden Hauptfiguren haben eine besondere Beziehung zueinander, die beim Lesen schnell spürbar wird. Das Ministerium selbst hingegen bleibt bis zum Schluss undurchsichtig und geheimnisvoll, auch die Mitarbeiter dort bleiben einem fremd.
Das letzte Drittel des Buchs konnte mich am wenigsten überzeugen, immer wenn ich dachte, ich bin mit der Handlung warm geworden, folgte der nächste Twist und alles wurde immer verworrener. Die eingeschobenen, kurzen Kapitel über Graham Gore zu Zeiten seiner letzten Polarexpedition hätte es für mich nicht gebraucht, sie werten die Geschichte nicht auf.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen im Buch miteinander, aber es bleibt zu verwirrend als dass ich das Buch uneingeschränkt weiterempfehlen würde. Es ist kurzweilig, aber die Geschichte ist nicht rund.

Bewertung vom 17.11.2025
Lloyd, Josie

Mord in besserer Gesellschaft


sehr gut

Alice Beeton führt in London gemeinsam mit einer Freundin und einer weiteren Mitarbeiterin eine erfolgreiche Agentur für die Vermittlung von Hauspersonal an gut betuchte Kunden. Ihre Kundin Camille Messent benötigt kurz vor Weihnachten dringend eine neue Haushälterin - just in diesem Moment bewirbt sich die junge Enya Fischer und kann sofort bei den Messents anfangen. Einige Tage später wird Enya tot im Arbeitszimmer der Messents aufgefunden. Als Enyas Freundin in der Agentur aufkreuzt und Alice bei den Ermittlungen um Hilfe bittet, ahnt Alice noch nicht, dass sie damit einiges aufwirbeln wird und sich keine Freunde macht - denn alles deutet auf einen Mord hin und der Mörder läuft immer noch frei herum...

Der Klappentext liest sich bereits unterhaltsam und die Geschichte hat mich in die mir bisher fremde Welt der Reichen und Schönen in London entführt. Man ist direkt in der Geschichte drin, denn Alice lebt und liebt ihre Arbeit als Inhaberin der Agentur. Dabei weicht ihr ihre Hündin Agatha nicht von der Seite. Alice als Person ist gutmütig und hilfsbereit, sie hat stets ein offenes Ohr für ihre Mitmenschen, wird aber auch, vor allem von ihrem Bruder und seiner Frau, gerne mal ausgenutzt. Beim Lesen habe ich öfters mit dem Kopf geschüttelt, wie sich ihr Bruder manchmal aufführt und Alice ausnimmt. Die Nebenfiguren werden toll beschreiben und passen perfekt in das Setting. Auch der Erzählstil passt perfekt in das Setting der reichen Kundschaft.

Die Handlung an sich ist unterhaltsam, wenn auch nicht blutig oder sehr spannend - ein typischer Cozy Crime. Gerade im Mittelteil zieht sich die Handlung etwas, Details werden in die Länge gezogen. So wirklich hatte ich auch keinen Verdächtigen bzw. hatte mich schon schnell auf ein oder zwei eingeschossen, die in Frage kommen. Das Ende wertet diesen Kritikpunkt wieder auf, denn es wird nochmal spannend. Im Buch sind viele Rezepte abgedruckt, die die Geschichte auflockern und zum Nachkochen oder -backen einladen.

Das Buch ist unterhaltsam und kurzweilig, perfekt für die herbstliche Jahreszeit und ein typischer Cozy Crime - zum "zwischendurch lesen" und für Fans von britischem Humor.

Bewertung vom 05.11.2025
Xander, Iliana

Love, Mom


ausgezeichnet

Mackenzie Casper ist Anfang zwanzig und die Tochter einer reichen und berühmten Schriftstellerin. Als diese im Wald tot aufgefunden wird, glauben alle zuerst an einen Unfall, aber Mackenzie weiß am besten, dass in ihrer Familie nicht alles so schillernd ist, wie es nach außen scheint. Als sie nach der Beerdigung in ihr Auto steigt, findet sie dort einen Brief - handgeschriebene Seiten ihrer Mutter, die vor ihrer Geburt verfasst sein müssen. Völlig überrumpelt versucht sich gemeinsam mit ihrem besten Freund EJ einen Reim darauf zu machen. Als noch mehr Briefe folgen, wird ihr klar, dass sie nun selbst ermitteln muss - auch wenn das nicht jedem in der Familie gefällt und sie sich in Gefahr bringt...

Ich kann nur sagen: wow! Was für ein grandioses Thrillerdebüt! Oft wird das Buch mit denen von Freida McFadden verglichen - dem kann ich mich nicht anschließen, denn "Love, Mom" ist für mich noch um Einiges besser. Ich habe es von einer Freundin empfohlen und ausgeliehen bekommen, die normalerweise keine Thriller liest, aber von diesem hier restlos begeistert war. Und ich habe das Buch ebenso innerhalb weniger Tage "weg gelesen".
Ab der ersten Seite wird die Spannung konstant hoch gehalten. Die Geschichte ist aus Mackenzies Ich-Perspektive geschrieben, was dem Ganzen eine tolle Bissigkeit und Ironie gibt und perfekt zum Grundton der Geschichte passt. Mackenzie wirkt oft ruppig und abweisend, man merkt beim Lesen jedoch schnell, dass hinter der äußerst taffen Schale ein verletzlicher Kern steckt, der seit Jahren um Anerkennung und Liebe ihrer Eltern kämpft. Gemeinsam mit ihrem besten Freund EJ, der ein typischer Nerd ist und ihr einziger wirklich Verbündeter, bilden die beiden ein Duo, das dynamisch den Spuren und Briefen folgt.
Die ganze Geschichte erscheint wie ein Puzzle, die Briefe bilden dabei den Kern und es fügt sich immer mehr zusammen, dass Mackenzies Eltern und ihre gesamte Familie ihr nicht die Wahrheit erzählt haben. Der Autorin gelingt es hier gekonnt, immer genau so viele Informationen preiszugeben, wie man als Leser braucht, um gebannt weiterzulesen, die Geschichte aber nicht vorhersehbar werden zu lassen. Denn mit den Plottwists im Verlauf der Geschichte hätte ich nie gerechnet.

"Love, Mom" ist ein Thriller mit absoluter Sogwirkung, der mit einer spannenden Geschichte, tollen Figuren und vielen unvorhersehbaren Plottwists punkten kann. Vom mir gibt es eine unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 04.11.2025
Engel, Kathinka

Love is Wild - Uns gehört die Welt / Love is Bd.3


ausgezeichnet

Curtis ist Schlagzeuger der Band "After Hours" und lebt mit seiner Mitbewohnerin Amory im trubeligen New Orleans. Seit er seine Eltern bei einem Hurrikan verloren hat, hat er mit unverarbeiteten Problemen zu kämpfen, rastet aus und prügelt sich. Mit Amory führt er eine lockere Affäre, doch als sie bei der Arbeit jemanden kennenlernt, kommt für Curtis noch die Eifersucht hinzu. Als die Situation vollends eskaliert, zieht Amory einen Schlussstrich - und Curtis muss sich fragen, ob er sein Leben wie bisher weiter führen möchte oder sich etwas ändern muss.

Im dritten Band der "New Orleans"-Reihe begleiten wir Curtis und Amory - und wie immer bei Kathinka Engels Büchern bin ich ich voll begeistert!
Die beiden vorigen Bände haben mir ebenso unglaublich gut gefallen, Curtis lernt man jedoch nochmal von einer ganz anderen Seite kennen. Beim Lesen spürt man seine Explosivität und angestaute Wut, aber auch Sanftheit und Liebe im Umgang mit Amory. Der Erzählstil und die sich abwechselnden Kapitel aus Amorys und Curtis' Sicht passen wieder mal perfekt zur Geschichte. Curtis lernt, nach der kompletten Eskalation, dass es in Ordnung ist, Gefühle rauszulassen, aber man muss sich auch anschauen, was dazu führt, dass man immer wieder so wütend wird.
Amory hingegen ist eine regelrechte Powerfrau und selbstbewusst, sie steht für sich ein und kommt auch mit Curtis' oft roher und abweisender Art zurecht. Die Geschichte zeigt wunderbar, dass man zusammen alles schaffen kann, aber heilen kann man sich nur selbst um sicher und standfest durchs Leben zu gehen.
New Orleans wird wie in allen Büchern der Reihe wunderbar und mit viel Liebe zum Detail beschrieben, die Geselligkeit und auch der Zusammenhalt der Stadt wird deutlich, am liebsten würde ich die "After Hours" auch einmal bei einem Auftritt miterleben :)

Ein großartiger Roman, von mir gibt es, wie für alle Bücher der Autorin, eine große Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.11.2025
Strømsborg, Linn

Verdammt wütend


sehr gut

Die 43-jährige Britt ist im Urlaub mit ihrem Mann, ihrer Tochter und Freunden ihres Mannes als nichts mehr geht: jahrelange, unterdrückte Wut bahnt sich ihren Weg und Britt rastet komplett aus. Wut aufs Leben, auf ihre Mutter, die die Familie verlassen hat als Britt zwölf Jahre alt war und Wut auf ihren Mann und die Freunde. Nachdem die überkochenden Emotionen abgeklungen sind, fragt sich Britt: kann die entladene Wut auch eine Chance auf Veränderung sein?

Der Titel und Klappentext haben mich direkt angesprochen, denn wer von uns ist nicht öfters mal "verdammt wütend" auf die verschiedensten Dinge und Menschen. Britt wollte immer jedem alles recht machen, sie hat Ärger stets herunter geschluckt und sich den Erwartungen von Umfeld und Gesellschaft gebeugt. Seit sie klein ist, versucht sie den Spagat zu meistern, der gerade als Frau schier unmöglich scheint: lieb sein, gut aussehen, aber nicht zu gut, einen Haushalt führen, einen Mann suchen, eine gute Mutter sein. Gerade ihr Mann Espen hat dies stets gut auszunutzen gewusst - Britt kümmert sich um die gemeinsame Tochter, Britt schmeißt den Haushalt, Britt kümmert sich um alles Wichtige. Er wirkt von allen Beteiligten am wenigsten sympathisch, oft habe ich mich beim Lesen gefragt, wie Britt überhaupt so lange mit ihm zusammen sein konnte. Ich konnte Britts Wut fast immer nachvollziehen, der Autorin gelingt es, die Probleme dieser Beziehung in den relativ wenig Seiten auf den Punkt zu bringen. Die Beziehung von Britt und Espen steht stellvertretend für Millionen von Beziehungen, die genau so ablaufen - und aus der man aber ebenso gut ausbrechen kann, Emotionen zeigen darf und kommunizieren kann.

Der Erzählstil ist oft poetisch, in Momentaufnahmen und Erinnerungsstücken setzt sich die Handlung wie ein Mosaik zusammen. Interessant ist auch, dass man als Leser den eigentlichen Ausbruch Britts gar nicht liest sondern nur das Danach. Es zeigt, was Wut losreißen, aber auch schaffen kann, denn Britt kümmert sich danach wahrscheinlich das erste Mal nur um sich selbst.
Die Kapitel sind kurz, oft nur eine halbe Seite lang, sie hätten für mich noch mehr auserzählt werden können, um einen besseren Lesefluss zu erreichen. Generell hätte ich mir noch mehr Seiten und Handlung gewünscht um noch tiefer in die Emotionen eintauchen zu können, wie es dazu kam und was in dem "Danach" passiert, aber auch um mehr von den einzelnen Beteiligten zu erfahren.

Es ist ein aufrüttelndes Buch, das zeigt, was passiert, wenn Wut, die in unserer Gesellschaft am besten unterdrückt werden soll, ausbricht. Wut hat ihre Daseinsberechtigung und sollte wie alle anderen Gefühle ebenso beachtet werden. Von mir gibt es eine Leseempfehlung für alle, die sich mit diesem Thema näher beschäftigen möchten.

Bewertung vom 30.10.2025
Larrea, Maria

Die Kinder von Bilbao


gut

Maria Larrea erzählt in ihrem autobiografischen Roman über ihre illegale Adoption, von der sie erfährt, als sie Ende zwanzig ist. Für sie bricht eine Welt zusammen, dennoch begibt sie sich auf Spurensuche zu ihrer leiblichen Familie in Bilbao. Parallel erzählt sie die Geschichte ihrer Adoptiveltern Julián, aus der Nähe von Bilbaos und Victoria, aus Galicien, und von ihrer nicht einfachen Kindheit in Paris.

Das Buch ist aus Marias Ich-Perspektive geschrieben und bietet somit viel Einblick in ihre Gefühlswelt, was mir gut gefallen hat. Etwas Probleme hatte ich mit dem Erzählstil, der sehr filmisch und oft nüchtern, aber schonungslos ehrlich ist. Mit dem Hintergrundwissen, dass die Autorin Regisseurin ist und das Buch ihr Debütroman, wirkt der Erzählstil zwar nochmal mehr, blieb mir aber immer etwas fremd. Ich hatte auch, gerade anfangs, Probleme, die relativ kurzen Kapitel einzuordnen, weil abwechselnd von verschiedenen Personen erzählt wird, die Kapitel haben keine Überschriften.
Interessant ist es, von Marias Kindheit zu lesen, sie arbeitet sich hoch und wird an einer renommierten Filmschule angenommen. Ihr Verhältnis zu ihren Adoptiveltern ist nicht immer leicht, die Familie hat wenig Geld. Trotzdem wird für mich nicht ganz klar, wie sie genau zu ihren Eltern steht.
Der Umstand, wie sie von ihrer Adoption erfahren hat, wirkt beim Lesen unglaubwürdig, passt aber zum filmischen Erzählstil. Für mich hätte der Teil ihrer Suche nach ihrer leiblichen Familie noch länger gehen können, er nimmt kaum die Hälfte des Buches ein, ist aber eigentlich der zentrale Kern der Geschichte. Es geht zu viel um ihre Adoptiveltern, die aus prekären Verhältnissen in Spanien stammen, ich hätte mir beim Lesen jedoch gewünscht, auch mehr über das Leben und den Alltag der Autorin zu erfahren, von ihrem Mann und ihren Kindern ist kaum die Rede.

"Die Kinder von Bilbao" konnte mich nicht ganz abholen, der Erzählstil war mir zu filmisch und das zentrale Thema der illegalen Adoption wurde für mich zu kurz gehalten. Dennoch ist es ein interessanter autobiografischer Roman, der mit Figuren und Situationen spielt.

3,5/5 Sternen

Bewertung vom 29.10.2025
Glasgow, Kathleen

The Glass Girl


ausgezeichnet

Bella ist fünfzehn Jahre alt und hat es gerade nicht leicht: ihre Eltern haben sich getrennt, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester wechselt sie wochenweise zwischen den beiden und ihre Großmutter ist vor kurzem erst gestorben. Zudem spürt sie großen Leistungsdruck in der Schule und das Gefühl, zu jeder Zeit funktionieren zu müssen. Das alles erträgt sie nur durch die Abende mit ihrer Clique, bei denen der Alkohol fließt. Dass der Alkohol auch immer präsenter im Alltag und nicht nur mit ihrer Clique zusammen wird, verdrängt Bella lieber. Bis eines Tages nichts mehr geht und Bella dämmert, dass sie so nicht weiterleben kann. Eine schwierige Reise für sie beginnt.

Ich kann nur sagen: wow! Was für ein grandioses, wichtiges und eindrückliches Buch! Ich hatte zuvor noch nichts von Kathleen Glasgow gelesen, aber das Thema Alkoholsucht in Verbindung mit dem tollen Cover und Klappentext hat mich neugierig gemacht. Es ist kein leichtes Buch für zwischendurch, es ist harter Tobak, denn mit Bella geht man sprichwörtlich durch die Hölle. Ungeschönt und echt beschreibt sie alles, was ihr im Kopf herumschwirrt: angefangen vom Alkohol besorgen (für sie und ihre Freunde als Minderjährige gar nicht so leicht), ihr Gefühl beim Trinken, ihr Verlangen nach mehr und Abstürze und Filmrisse aller Art. Oft musste ich das Buch kurz zur Seite legen, weil es so intensiv ist, dass man das Gelesene erst verarbeiten muss.

Bella ist ein ganz normaler Teenager, der gerade in einer schwierigen Phase steckt. Angefangen vom Leistungsdruck in der Schule über den Tod der Großmutter, der in der Familie nie thematisiert oder aufgearbeitet wurde bis zu den streitenden Eltern, zwischen denen sie und ihre Schwester pendeln müssen. Vor allem die Eltern haben mich oft unheimlich wütend gemacht: sie benutzen Bella als "Sprachrohr" um nicht miteinander kommunizieren zu müssen, auch das zu Bett bringen der Schwester überlassen sie meist Bella, denn sie meistert ja scheinbar mühelos den ganzen Alltag. Und wenn sie funktioniert und alles perfekt schafft und unter einen Hut bekommt, sind auch alle um sie herum glücklich, oder? Die Eltern ziehen sich geschickt aus der Affäre und der Verantwortung, denn als Eltern in Trennung hat man ja genug Probleme - und Bella schafft das alles schon. Sie verliert sich dabei immer mehr und es tut weh beim Lesen, sie in ihrer Zerrissenheit und Erschöpfung zu erleben. Oft wollte ich sie einfach in den Arm nehmen und die Last von den Schultern, denn dass sie psychisch immer mehr abbaut, sollten eigentlich alle um sie herum merken. Einzig ihre beste Freundin macht sich Sorgen um sie und bemerkt den verstärkten Alkoholkonsum. Aber Bella redet sich immer wieder geschickt raus und entwickelt Möglichkeiten und Schlupflöcher, wie sie heimlich und unbemerkt trinken kann.
Wenn man beim Lesen denkt, dass das alles schon schlimm und fordernd zu lesen ist, wartet noch erst die größte Herausforderung: ein Aufenthalt in der Suchtklinik für Jugendliche. Was sie dort erlebt, möchte ich gar nicht spoilern und zu ausführlich beschreiben, denn sie durchlebt alle Phasen des Nichttrinkens, des Verlangens und noch mehr.
Das Buch ist komplett aus Bellas Ich-Perspektive geschrieben, was einem das Mädchen und die Probleme nochmal viel näher bringt. Auch das Nachwort ist bewegend und toll geschrieben, man merkt der Autorin beim Lesen an, dass es keine einfach zu schreibende Geschichte für sie war.
Alkohol ist leider, vor allem in unserer Gesellschaft, allgegenwärtig und wird zu oft verharmlost und in den Alltag integriert. Auch z.B. Bellas Vater lässt nichts auf sein "Feierabendbier" kommen und in der Clique und auf Partys sowieso ist der Alkohol stets präsent.

Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung für dieses wichtige und eindrückliche Buch. Auch als Schullektüre könne ich mir das Buch vorstellen, zeigt es doch die Gefahren von Alkoholsucht auf und wie leicht es jeden von uns treffen kann. Aber auch Erwachsenen möchte ich das Buch empfehlen. Es sollte öfter Bücher wie dieses geben! Unbedingt lesen!

Bewertung vom 28.10.2025
Uketsu

HEN NA IE - Das seltsame Haus


gut

Worum es geht
Der namenlose Ich-Erzähler ist ein auf Okkultismus spezialisierter Autor. Ein Bekannter bittet ihn, den Grundriss eines Hauses zu prüfen, das er eventuell kaufen möchte. Gemeinsam mit Kurihara, einem befreundeten Architekten, der ebenfalls Interesse an Okkultismus hat, sieht der Erzähler sich den Grundriss an. Die beiden entdecken schnell, dass es einige Auffälligkeiten gibt, die, je mehr man den Grundriss untersucht, immer beunruhigender scheinen. Vor allem das Kinderzimmer gibt Rätsel auf. Als die beiden dann noch einen weiteren Grundriss zu Gesicht bekommen, der mit dem ersten zusammenhängt, kommen Geheimnisse ans Licht, die zu grauenhaft scheinen, um wahr zu sein...

Meine Meinung
Nachdem ich im ersten Band "Seltsame Bilder" ein neues Lesehighlight gefunden habe, war ich unheimlich gespannt auf den zweiten Band. Die beiden Bücher lassen sich unabhängig voneinander lesen. Ein Blick auf die Rückseite verrät, dass "Das seltsame Haus" eigentlich das Debüt von Uketsu ist und in Deutschland die Reihenfolge genau umgekehrt war.
Ich bin mit hohen Erwartungen in die Geschichte gestartet - und wurde leider enttäuscht. Die erste Hälfte konnte mich noch mitreißen, die zweite Hälfte war dann enttäuschend und nur noch verwirrend.
Zunächst wird, wie im ersten Band bereits ein Bild, ein Grundriss abgebildet. Als Leser ist man wieder gefragt, mitzurätseln und zu forschen ob man etwas Ungewöhnliches entdeckt. Dieser Start hat mir wieder mal sehr gut gefallen, die Spannung wird direkt zu Beginn aufgebaut und hoch gehalten. Kurihara als Architekt hat dann natürlich nochmal eine ganz andere Sichtweise auf den mysteriösen Grundriss, er und der Ich-Erzähler ergänzen sich in der ersten Hälfte des Buches wirklich gut. Das gesamte Buch ist mehr oder weniger in Dialogform erzählt, was eine gute Dynamik in die Geschichte bringt, einem als Leser jedoch auch immer etwas fern und distanziert bleibt. Emotionen oder Beschreibungen, die nicht zwingend zur Situation passen, werden nicht beschrieben.
Die Grundrisse der Häuser sind in der ersten Hälfte für meinen Geschmack etwas zu viel abgedruckt. Man kann damit dem Geschehen und den Vermutungen immer sehr gut folgen, aber manchmal erweckte es den Anschein, dass der Autor die Seiten "füllen" wollte und der Grundriss deshalb auffallend oft gedruckt war. Vor allem als der zweite Grundriss auftauchte und klar war, dass beide zusammenhängen, wurde es nochmal spannender. Mit neuen Personen, die in den Fall involviert sind, nimmt die Geschichte bis zur Hälfte an Tempo auf - um sich dann selbst zu verheddern und eine "an den Haaren herbei gezogene" Geschichte und Auflösung zu erarbeiten. Als hätte der Autor in der zweiten Hälfte selbst nicht mehr gewusst, wohin er uns Leser und die Geschichte führen will, haut er mit Namen, Familienkonstellationen und Begebenheiten nur so um sich. Die Story flacht zusehends ab, spätestens bei der Erklärung mit den viel zu vielen Namen war ich raus. Die Grundrisse, die in der ersten Hälfte überhand nehmen, fehlen im zweiten Teil als Stammbäume oder Zeitleisten.
Die Geschichte, die Kurihara hinter den beiden Grundrissen vermutet, ist für mich schon sehr aus der Luft gegriffen, ohne die Hintergründe oder Familie, die darin gelebt hat, zu kennen, kann man nicht schlussfolgern, dass es dort ein mordendes Kind gegeben haben soll. Ich hatte im zweiten Teil einen richtig guten Plottwist erwartet oder eine Auflösung, die ich so nicht habe kommen sehen, aber es plätscherte nur so dahin.
Für Europäer mag es nochmal deutlich schwieriger sein, die japanischen Namen und Familienkonstellationen auseinander zu halten, jedoch passte der zweite Teil nicht zum tollen Anfang und der Ausgangslage der Story. Auch das Nachwort hat mir eher noch mehr verwirrt als Aufklärung zu schaffen - vielleicht hat Uketsu aber auch genau das im Sinn gehabt: was ist real, was ist ausgedacht oder erweitert und was kann man wirklich glauben?

Mein Fazit
"Das seltsame Haus" kommt für mich leider nicht an den ersten Band des Autors heran. Mit dem Wissen, dass dieser Band hier das Debüt ist, schaue ich auch nochmal anders auf den ersten Band. Man merkt, dass Uketsu sich beim Schreiben weiterentwickelt hat und die Handlung und Figuren stimmiger und runder sind. Wer noch nicht "Seltsame Bilder" gelesen hat: lest es unbedingt, es ist ein völlig neues Genre und das Miträtseln ist dort garantiert. Dieses Buch hier konnte mich leider nicht überzeugen, schade!

2,5/5 Sternen