Pip ist als Sechzehnjährige mit der Geburt ihrer Tochter von ihrer Familie mit Schuld und Gefühlen der Wertlosigkeit überhäuft und in ihrer Entscheidungsfreiheit auf ein Minimum heruntergestuft worden. Jeder Mut, jedes Selbstvertrauen fehlt ihr, selbst noch mit 32 Jahren. Man lässt sie nicht einmal eine richtige Mutter sein. Der Kontakt zu Kindsvater Jamie wird streng überwacht, wenn nicht gänzlich unterbunden. Um wenigstens weitgehend unbehelligt zu bleiben, versucht sie, sich daheim unsichtbar zu machen, damit sie unter dem Radar der Überwachung bleiben kann.
Dabei sieht sie sich selbst als ein verletzliches Blatt Papier, das sich durch Falten stärken und zugleich den Schmerz in sich verbergen kann. Sie verfasst empfindsame Gedichte im Hinblick auf die japanische Papierfaltkunst Origami. Gleichzeitig versteckt sie diese, damit ihre Mutter sie nicht findet und sie sowohl im übertragenen Sinn als auch wörtlich in der Luft zerreißt. Während ein unbekannter Mann an Pips Arbeitsstelle auftaucht, bei dem sie sich akzeptiert fühlt, will ein anderer das Gefühl von Wertlosigkeit, das die schüchterne junge Frau beherrscht, gnadenlos für sich auszunutzen. Dabei will Pip es doch allen einfach nur recht machen.
Seite für Seite habe ich gehofft, dass sich endlich eine Lösung zeigt und sie bald mit ihrer Tochter aus dem Käfig des Elternhauses treten kann. Oft hätte ich sie am liebsten kräftig gestupst. Dann kommt auch ein Dritter ins Spiel. Die Spannung wird zum Pageturner und sorgt dafür, dass der Leser mitfiebert. Rasant entwickelt sich die Handlung und bringt immer neue Wendungen. Plastisch entsteht die Welt der Menschen auf diesem Stückchen Irlands.
Sehr deutlich sind die einzelnen Personen skizziert, und das Geschehen vollzieht sich plastisch vor dem inneren Auge. Es schmerzt, wie sehr die junge Frau, Pip, von ihren Eltern reduziert und unterdrückt wird.
Darüber hinaus werden viele Themen angesprochen, in erster Linie natürlich zwischenmenschliche, doch es geht auch um Habgier und Machtmissbrauch, Raubbau an der Natur und Umweltfragen. Das ist die große Erzählkunst von Cecelia Ahern, dass sie den Leser nicht nur bei Emotion und Empathie zu packen weiß, sondern auch bei seinem persönlichen Engagement.
Mit einigen Herz-Darstellungen macht das Cover auf sich aufmerksam. Mir allerdings fehlt ein kleiner Hinweis auch auf das Wort „Papier“ im Titel. Ein kunstvoll gefaltetes Origami-Herz zum Beispiel.
Sashikala ist eine strebsame junge Frau und möchte nichts anderes, als die Zulassung zum Medizinstudium zu erreichen. Doch bestimmen bald die Rebellionen der Tamil Tigers (LTTE) das tägliche Leben. Sie wollen die Bildung eines unabhängigen tamilischen Staates namens Tamil Eelam im Nordosten der Insel erreichen, weil sie von der Sri Lankischen, singhalesisch dominierten Regierung unterdrückt, verfolgt und diskriminiert werden. Ihre eigene Familie kann sich aus den Kämpfen und Pogromen nicht heraushalten, auch sie ist schwerst betroffen. Das ganze Leben der Tamilen wird niedergehalten, Familienleben, Kultur, Studium, was Sashis Pläne zunichtemacht. Sie kann ihr wachsendes medizinisches Wissen zwar einsetzen und den Menschen auf ihre Weise helfen, doch muss sie ihr Land verlassen. Auch muss sie plötzlich Entscheidungen für sich, ihre Familie und Nachbarn treffen, was sie stark belastet.
Ein früherer Arbeitskollege von mir war geflüchteter Tamile, der ab und zu davon erzählte, wie seine eigene Familie unter den Terroraktionen in Sri Lanka litt, welch unmenschliche Racheaktionen seiner Familie angetan wurden. Auch in diesem Roman wird authentisch davon erzählt. Jeder Krieg ist schwer zu ertragen, doch was auf dieser Insel zwischen Singhalesen und Tamilen an unerbittlichen Grausamkeiten vor sich ging, ist wohl ein Thema für sich.
Mit Tempo und Wärme schildert die Autorin das Leben von Sashis Familie.
Mir gefiel die bilderreiche, sinnliche Sprache, welche die Lesenden anschaulich in die Geschichte der gebeutelten Insel und in Sashis Werdegang führt. Ich habe tiefen Einblick in den Alltag der Menschen gewonnen, wenngleich ich ein erklärendes Glossar stark vermisst habe. Denn die fremdartigen, mir unbekannten Speisen zum Beispiel wurden kaum erläutert. Dabei hätten sie den Roman mit mehr Farbe, um nicht zu schreiben Geschmack und Olfaktorik bestimmt bereichert. Auch werden die Anreden nicht erläutert, und man weiß nicht, ob es ein Name ist oder „Schwester“, „Freund“ oder „Liebling“. Und da die Autorin uns LeserInnen wiederholt direkt anspricht, wäre es auch eine wichtige Ergänzung, um die ethnischen Bedeutungen besser zu erfassen. „Ich möchte, dass du verstehst“, schreibt sie immer wieder, um Verständnis geht es ihr ja.
Das Cover deutet mit einer Umarmungspose bereits an, dass es um Abschiede von liebgewordenen Menschen und Dingen geht. In seiner Schlichtheit ist es ergreifend und sehr stimmig.
Kurz nach dem Tod ihres Mannes John ist Hannah längere Zeit wieder mit ihrer jüngeren Schwester Sadie zusammen. Dabei kommen viele Erinnerungen auf, welche teils schmerzhaft sind. Auch das schweigsame Nebeneinanderher im Haus, ihrer beider Elternhaus, belastet die beiden Frauen. Zusätzlich zur Trauer um den Verstorbenen ist das verständlicherweise eine schwierige Situation. Hinzu kommt Megan, die bisher unbekannte Tochter des Verstorbenen. John spielte im Leben von allen drei Frauen eine wichtige Rolle.
Es geht um drei sehr unterschiedliche Frauen, jede auf eine andere Art in ihrer Beziehung zum Partner und im Leben gescheitert. Plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen und aufeinander angewiesen müssen sie lernen, sich zu öffnen, und genau dadurch finden sie zusammen.
Der Tote hat elf Briefe hinterlassen, im Grunde genommen Liebesbriefe, welche nach und nach gesichtet werden. (Zum besseren Verständnis sind sie jeweils kursiv gedruckt.) Seine Tochter Megan versucht über sie und seine hinterlassene Büchersammlung, ihren bislang unbekannten Vater zu entdecken und damit auch sich selbst.
Wie aus einem gewissen Nebel heraus taucht auch immer wieder der Garten mit seinen Obstbäumen auf, auch diese mit Bedeutung beladen. Und selbstverständlich die Bienenstöcke mit ihren Bewohnern, welche mit ihrem fleißig erarbeiteten Produkt, dem Honig, diesem Werk den Titel geben.
Bei diesem Roman fand ich den Zugang nur schwer, doch dann erschloss sich mir die Schönheit nicht nur der Landschaft, in der er gelebt wird, sondern auch die Weisheit, die aus dem Umgang mit der geschilderten unmittelbaren Natur strömt. Sinnhaftigkeit, Zusammenhalt, Zugehörigkeit sind einige der Themen dieses Buches. Auch um das Kraft schöpfen aus dem Umgang mit dem Apfelgarten und den Bienen, der walisischen Natur, dem sich anderen Menschen öffnen können, dem Sprengen des eigenen Kokons.
Hier liegt ein leiser, unspektakulärer Text vor, der den Lesenden viele Aspekte öffnet, der zum Innehalten und Nachdenken anregt und aus dem ein verständiger Mensch viele Werte für sich selbst schöpfen kann.
Nachdem ich Vea Kaisers Erstlingswerk „Blasmusikpop“ bereits gelesen hatte, erlebte ich sie 2013 an den Solothurner Literaturtagen. Als sie beim Vorlesen zu der Stelle gelangte, wo die Nordic Walkerinnen den jungen Johannes im Gemüsegarten seiner Eltern den Rausch ausschlafen sahen, brach sie auf der Bühne in einen Lachkrampf aus, der sich gewaschen hatte. Erst verblüfft, dann total angesteckt wieherte das zahlreich erschienene Publikum mit, bis die Autorin sich nach Minuten wieder fassen konnte.
Nun also dieses neue Werk, in dem eine junge Frau aus dem Gemeindebau namens „Veza Canetti-Hof“ (die Ehefrau von Elias Canetti hieß so) mit wenig Geld zu überleben versucht. Neben ihrer Arbeit im Grand Hotel Frohner schaut sie zu ihrer dementen Mutter und hat bald auch ein Baby (mit einem Vater, der zu nichts zu gebrauchen ist) noch obendrauf. Dennoch schafft sie es einige Treppen empor, wenn auch nur dank einiger sinistrer Manipulationen.
Der ganze Roman „Fabula Rasa“ ist erneut ein ausuferndes, würziges Erzähl- und Sprachfestival. Kaiser stürmt durch die Geschichte, dass es ein Vergnügen ist. Man spürt, dass sie ihre Figuren innig liebt und diese bereitwillig mitspielen. Mit längst anerkanntem Fabuliertalent hopst die Handlung leichtfüßig von Satz zu Satz, dennoch ist die Story aber durchaus lebensnahe und ernsthaft, soll sie doch auf Tatsachen beruhen. So gesehen passt sie haargenau zu Wiens städtischem Hintergrund.
Groteske Situationen, dreiste Betrügereien, sehr wirklichkeitsnahe Szenen mit kleinen Kindern und nichtsnutzigen Menschen (sowohl als auch) wechseln sich ab mit nahegehenden Bemühungen einer jungen Frau ums Überleben als alleinerziehende Mutter.
Mit viel Verve und einzigartigem erzählerischem Furor, mit unwiderstehlicher Schlagfertigkeit, Tempo und Witz galoppiert die Autorin durch die Geschichte, übersprudelnd und furios schildernd. Tragikomik wechselt sich ab mit Einfühlungsvermögen, der Auftritt von Herzensbrechern mit dem Einbrechen erfolgreich verlaufender skurriler Katastrophen. Es ist ein heftig geschüttelter Mix aus dem, was ein Leben von ganz unten herauf mit sich spülen kann, ein sprachlicher Farbtopf, verarbeitet zu pittoresken Bildern. Trotz allen Irrsinns geschrieben mit liebevollem Blick und Klugheit, jedoch ohne erhobenen Zeigefinger.
Zwar nicht im Dialekt verfasst, aber dicht übersät mit Wiener Ausdrücken, die ein Glossar am Ende des Romans nur teilweise erklärt. Zur Ergänzung: ein Tschecherl ist ein schäbiges Gasthaus; Gfüüte (Gefüllte) sind wohlhabendere Leute.
Mal so ausgedrückt und zusammengefasst: Der Titel Fabula Rasa verheißt in freier Interpretation auch das, was zwischen den Buchdeckeln zu lesen ist: ein rasantes Drauflosfabulieren um eine Familiengeschichte, was ja Vea Kaisers Spezialität und Markenzeichen ist. Lesevergnügen von A bis Z, ich empfehle diese Lektüre sehr!
Obwohl das Kindermädchen einer reichen chinesischen Familie im Begriff ist, ihre Entführungspläne mit ihrem Zögling umzusetzen, muss sie anders reagieren, als ihr Chef verhaftet wird und seine Frau verschwindet. Jetzt trägt Yu Ling plötzlich die ganze Verantwortung für den Jungen und das Haus. Wie sie mit der Situation umgeht, will ich nicht verraten, das muss jeder Interessierte selbst lesen.
Hier geht es um eine sehr loyale junge Frau, sowohl was ihre Familie als auch ihre Arbeitgeber betrifft, damals wohl eine Rarität unter den Angestellten. Und das, obwohl sie ringsum eine große Wankelmütigkeit wahrnimmt, auch bei ihren Chefs. Einzelne Außenstehende und ungünstige Tatsachen kommen hinzu und fordern sie in ihren Entschlüssen. Was im Zug der Handlung recht unwahrscheinlich wird, ist, dass sie bescheiden und still bleibt, wie das auch in der fernöstlichen Literatur zum überwiegenden Teil deutlich erkennbar ist. Doch geht es in der Handlung keineswegs um Traditionen, sondern um das moderne Leben, um Umstürze und neue Rechte.
Der Sprachstil ist frisch, zeitgemäß, fließend, hat Drive und Farbe, Spannung besteht von Beginn an. Die Figuren, vor allem die weiblichen, sind scharf umrissen, wobei Yu Ling eindeutig die Sympathien und ein großes Maß an Mitleid für sich verbuchen kann.
Das Coverbild deutet keineswegs auf die Schwäne im Titel hin, eher auf ein gewisses Maß an Macht, Unterdrückung und Eitelkeit. Es gefällt mir trotzdem gut in seiner Dynamik.
Mir ist aufgefallen, dass dieses Buch nicht nur eine ganz eigene Haptik spüren lässt, sondern auch einen eigenen, leicht säuerlichen Geruch hat.
In diesem Roman ist vieles ungewohnt: der Titel, das Cover, der locker gestreute Text und natürlich die Personen und die Vorgänge. Es ist eine eher ungewohnte Art des Erzählens, wenn auch Rückblenden in der Gegenwart geschrieben sind. Das alles hat mich von Beginn an mitgerissen, und ich habe an einem Stück von A bis Z gelesen.
Schon dass mit der Schlachtung eines Schafes begonnen wird, nimmt einem rasch gefangen. Ich habe das dampfende Blut förmlich gerochen. Der Roman kommt in Zitaten, Aufzählungen, Sprüchlein, Listen daher, in zwei Fällen bleibt es auch beim Titel und einer vielsagenden leeren Seite darunter. Oder mit gänzlich weißen Seiten.
Viele Szenen sind natürlich auch zeitversetzt. Was die Erzählerin Alma uns wissen lässt, klingt manchmal sehr unwahrscheinlich, ja märchenhaft, dann wieder bestechend real. Aber das Wahrscheinliche ist eigentlich gar nicht so wichtig, denn es geht um das Erzählen und damit das Tätigwerden der Fantasie des Lesers. Doch durchaus der Wirklichkeit entsprechend sind die politischen Veränderungen und dadurch ihr Einwirken auf die Familie.
Mir ist aufgefallen, dass auch viel Kälte aus den Zeilen strömt. Sogar das Saure der Tropfen der Zitronen ist in der Geschichte immer wieder deutlich spürbar. Sowohl als Einsprengsel der Schilderung gewisser Härten als auch als Verbindungselement zwischen den Szenen. Manche Geschehnisse hätten mich jedoch noch weiter interessiert.
Karg wie der geschilderte Alltag ist auch die klare, schlichte und schnörkellose Sprache. Die formale Gestaltung des Buches gestattete es einer schon sehbehinderten Seniorin wie mir, den Text leicht zu lesen, wegen der lockeren Kapitelführung und dem großen Druck. Die Kapitelabstände laden den Leser ein, weiße Stellen mit eigenen Fantasien zu füllen.
Ich habe erwartet, einen vier-Generationenroman mit bedeutend mehr Text vorzufinden. Doch auch mit wenigen Worten, manchmal nur Andeutungen, ist außerordentlich viel erzählt. Bravo, das muss man erst einmal können! Es braucht sicher Mut, damit einen Erstlingsroman vorzulegen und Erfolg anzustreben. Dieser wird der Autorin Anna Maschik ganz bestimmt gelingen.
Die Covergestaltung finde ich genial, das Buch fällt in Auslage und Büchertisch sofort ins Auge. Eine Lese-Empfehlung!
Eine junge Amerikanerin, welche die Natur nicht nur liebt, sondern auch die großen und globalen Zusammenhänge in ihr erkennt, muss kurz vor ihrer Promotion das Biologiestudium abbrechen. Obwohl sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiter forscht und auf große Gefahren und Schäden durch den ungezügelten Gebrauch des „Wundermittels“ DDT stößt, findet sie kaum Gehör. Auch, weil sie als unmündig betrachtet wird, weil sie unverheiratet geblieben ist. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde auch im ernsthaften Krankheitsfall nicht mit den Frauen selbst gesprochen, sondern nur mit ihren Ehemännern. Gar noch die damals verbotene gleichgeschlechtliche Liebe unter Frauen wurde als Tabu behandelt. Das Buch spricht also nicht nur ein großes Thema an.
Es geht hauptsächlich um die Vorarbeit und das Verfassen von Rachel Carsons Buch „Silent Spring“. Dabei ist es ein ebenso unterhaltsamer Text wie Carsons (1907 – 1964) andere Natur-Romane, welche dem einen umstrittenen Werk vorangegangen sind und von denen die Leser begeistert waren. Erschütternd ist, wie sie selbst, vermutlich unter dem Einfluss von DDT-Einsätzen schwer krebskrank wird, sodass sie den Triumph ihrer Mahnung nur noch todkrank erleben darf.
Ich muss gestehen, dass ich Carsons Bücher (allesamt Bestseller) bis jetzt nicht kenne. Doch müssen sie ebenso lebendig und farbig geschrieben worden sein wie dieser biografische Roman über Carson, verfasst von Theresia Graw. Fließend und spannungsgeladen ist ihr Schreibstil, deutlich die Figuren gezeichnet, ihr Handeln nachvollziehbar. Manchmal möchte man eingreifen und den einen oder anderen ignoranten Menschen rütteln, damit er nicht so in seinen Vorurteilen verhaftet bleibt und keine so unvernünftigen Entscheidungen trifft. Während in den meisten angeführten Fällen die Männer (Frauen hatten damals ja wenig zu melden) in ihrer Argumentation schwammig blieben und keine ihrer Behauptungen wirklich belegen konnten, kämpfte diese mutige Frau mit erwiesenen Fakten, und das bis ans Ende ihrer Kräfte.
Mir hat dieses Buch nicht nur durch seinen Unterhaltungswert gefallen, sondern weil jeder Leser unendlich viel daraus lernen kann. Ich würde es jedem, ob naturinteressiert und umweltbewusst oder nicht, in die Hand drücken.
Nach einer Trennung und dem Flüggewerden ihrer Kinder besinnt sich eine Frau auf sich selbst und beginnt ein neues Leben. Vieles geht ihr durch den Kopf. Wie weit hat sie nur die Ansprüche der anderen Leute um sich herum erfüllt? Wie oft nahm sie sich selbst zurück, wurde im Hier und Jetzt immer blasser und substanzloser? Wie von unendlich weit her tauchen die Stimmen allseits bekannter weiblicher Märchenfiguren auf, die ihrerseits in ihrer vorgängigen Geschichte versucht hatten, entgegen dem feindlich gesinnten Umfeld sich durchzusetzen und den eigenen Weg zu beschreiten. Auch Jennys Schwester und ihre Therapeutin melden sich zu Wort und versuchen zu raten und zu helfen. Lasst es mich vergleichen mit dem Hintergrundchor (aus dem Off) wabernder Geister auf einer Bühne.
In einer schönen, gepflegten, beinahe schon poetischen Sprache führt uns Minna Rytisalo in die Welt ihrer Heldin Jenny Hill, vormals Jenni Mäki. Den Überlegungen konnte ich gut folgen, mich in ihr Denken einfühlen, denn die Erwartungen anderer Leute und die Auseinandersetzung damit kenne ich zur Genüge. Doch habe ich die erzählerische Spannung vermisst, den Drive, eine vorantreibende Handlung. Über weite Strecken kam es mir recht langatmig vor. Die Figuren der Personen, auch die der Jenny selbst, scheinen mir eher konturenlos gezeichnet.
Das Cover finde ich – sorry! – eher kraftlos langweilig. Etwas weniger Rosa würde vielleicht mehr Energie vermitteln, denn die kommt erst gegen Schluss in Ansätzen vor.
Es tut mir leid, aber mich hat der Roman nicht zu fesseln vermocht, die Aufmerksamkeit beim Lesen vermochte ich nie lange zu halten. Ich wüsste auch nicht, wem ich den Roman empfehlen könnte.
Bevor ihre Mutter von der Demenz gänzlich eingeschränkt ist, fährt ihre Tochter Aki mit ihr nach Japan. Anlass ist auch der Tod ihrer dortigen Großmutter. In Rückblenden wird das Leben einer Familie zwischen zwei Welten, Japan und Deutschland, dargestellt. Es sind große Gegensätze, zwischen denen Aki und ihr Bruder Kenta während ihrer Kindheit und Jugend in Europa lavieren, um nur ja keine Fehler zu machen. Die Demenzkranke, eine Japanerin, hat in Deutschland studiert, einen Deutschen geheiratet und hat mit ihm zwei Kinder. Von ihrer Schwiegerfamilie nie richtig angenommen, hat die Frau ihr Leben dennoch auf bewundernswerte Weise gemeistert.
Jedes der zwölf Kapitel ist mit einem Begriff betitelt, der für einen bestimmten Themenbereich steht. Im Glossar wird erläutert, was mit den japanischen Wörtern gemeint ist. Sowohl der Buchtitel als auch das Cover geben anfangs vermutlich vielen Lesern ein Rätsel auf. Bei Google ist zu erfahren: „Onigiri (Reisbällchen) ist ein beliebter japanischer Snack aus gepresstem Reis, der oft mit Nori-Algen umhüllt und mit einer Füllung wie Lachs oder Umeboshi versehen ist… Onigiri ist ein Symbol für familiäre Zuneigung, ein praktischer Proviant für Ausflüge und ein Ausdruck japanischer Esskultur, der Einfachheit und Kreativität vereint.“ Das sind also mundgerechte Reishäppchen mit getrockneten Algen.
Es geht im Roman auch um die Unterschiede zwischen den Generationen, zwischen Ost und West, erst recht um die Stolpersteine, die eine Demenzerkrankung mit sich bringt.
Sehr nahegehend, aber auch teils unterkühlt-distanziert, gleichzeitig mit menschlicher Größe wird der Text von der Tochter erzählt, in oft fremdartigen Bildern, und für sich selbst kann man als Lesende viel daraus lernen. Die Zeitsprünge können verwirrend sein, man muss sehr aufmerksam lesen, und auch der kleine Druck war für mich anstrengend. Das umfassende Glossar ergänzt das winzige Wissen, das ich von der japanischen Kultur bisher hatte. Ein Buch, das es wert ist, aufmerksam gelesen zu werden. Ein immenses Bravo für dieses Debüt!
Zwei Tage lang sind Lesende mit Thomas Flett auf Krabbenfang unterwegs. Er lebt wie in einer Traumwelt, zuckelt mit Pferd und Karren so dahin und achtet lediglich auf die gefährlichen Sandlöcher. Das alles ohne langes Nachdenken, kritisches Hinterfragen oder höhere Wünsche, in sich zurückgezogen, zufrieden und bescheiden. Von seiner Mutter lässt er sich herumscheuchen, um des Hausfriedens willen. Erst ein angereister Regisseur, der sich wegen seiner Filme für Toms Arbeit interessiert, öffnet ihm das Fenster in eine andere Welt. Wie wäre es dort draußen? Was für Möglichkeiten gäbe es dort für ihn? Muss denn wirklich alles so bleiben wie zur Zeit von Grandpa?
Ein nahegehender Roman, verfasst in schöner stimmungsvoller Sprache. Ich kann die widerstreitenden Gedanken des jungen Mannes sehr gut nachvollziehen, und die Geschichte ist so gut erzählt, dass ich mich mittendrin befand.
Dreimal begleiten wir Thomas in den sandigen Meeresstrand hinaus, und jedes Mal ist das entsprechende Kapitel mit Erstes Niedrigwasser, Zweites und dann nochmals Erstes Niedrigwasser überschrieben: eine Besonderheit.
Der Autor verzichtet auf Drive, der hätte hier nur gestört. Er lässt dem Handlungsfluß seinen Lauf, ähnlich der sanften Brandung des Meeres gegen die flache Sandküste. Vergleichbar auch der Gangart des angeschirrten Pferdes. Dass der Roman in der Gegenwart geschrieben wurde, verstärkt noch den Eindruck der Entschleunigung.
Die Story lässt dem Leser ein Open End, und das ist gut so, denn auf diese Art bleibt Raum für eigene Gedanken und selbstständiges Weiterführen eines möglichen weiteren Weges. Was aber etwas mühsam war: Über viele Strecken liest es sich etwas zäh, zudem wird mit optischen Auflockerungen sehr sparsam umgegangen.
Das Cover wirkt so, wie die Atmosphäre geschildert ist, dämmrig, verregnet, nass und kalt. Ich habe beim Lesen gefröstelt. Meine Empfehlung deshalb: Bei einer heißen großen Tasse Tee lesen! Das Werk als einen literarisch-poetischen Spaziergang betrachten, mit Pausen lesen, vielleicht abwechselnd mit einem spannenden Roman?
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